Der Nobelpreis für Literatur
Von den fünf in Alfred Nobels Testament vorgesehenen Preisen sollte einer
an diejenige Person gehen, die "in der Literatur das Ausgezeichnetste
in idealistischer Richtung hervorgebracht hat". Der Nobelpreis für
Literatur wird nicht einem Buch zuerkannt, sondern einem Autor. Er ist nicht
auf Werke beschränkt, die im Jahr unmittelbar vor der Preisverleihung
erschienen sind: frühere Werke können ausgezeichnet werden, wenn
ihre Bedeutung erst seit kurzem erkannt worden ist. Der Preisträger wird
von einem drei- bis fünfköpfigen Ausschuss der Schwedischen Akademie
bestimmt. Der Ausschuss bewertet die Werke vorgeschlagener Anwärter und
empfiehlt der Akademie einen Kandidaten.
Seit der ersten Vergabe des Preises 1901 hat es bis zum Ende des 20. Jahrhunderts
99 Träger des Nobelpreises für Literatur gegeben. In der Entwicklung
des Nobelpreises für Literatur im 20. Jahrhundert lassen sich sechs Phasen
unterscheiden.
Konservativer Idealismus
Das erste Jahrzehnt des Literaturpreises war von einem konservativen Idealismus
geprägt, der die Werte Kirche, Staat und Familie hoch hielt und seine
ästhetischen Qualitätsvorstellungen aus der Epoche Goethes und Hegels
bezog. Diese Kriterien führten etwa zur Vergabe des Preises an Rudyard
Kipling (1865-1936, ausgezeichnet 1907) und Paul Heyse (1830-1914, ausgezeichnet
1910) und zum Ausschluss von Schriftstellern wie Leo Tolstoi (1828-1910),
Henrik Ibsen (1828-1906) und Emile Zola (1840-1902).
Neutralitätspolitik
Während des Ersten Weltkrieges wurden keine Preise an Schriftsteller
aus den kriegführenden Nationen verliehen. Dies gab Autoren aus kleineren
Ländern eine Chance auf den Preis und erklärt, warum beispielsweise
mit dem Schweden Carl Gustaf Verner von Heidenstam (1859-1940, ausgezeichnet
1916) und den 1917 geehrten Dänen Karl Adolph Gjellerup (1857-1919) und
Henrik Pontoppidan (1857- 1943) Skandinavier in dieser Zeit überrepräsentiert
sind.
Populäre Schriftsteller
In der Zwischenkriegszeit bevorzugte die Akademie bei der Preisvergabe Schriftsteller,
die ein breites Publikum erreichten, etwa Sinclair Lewis (1885-1951, ausgezeichnet
1930) und Pearl S. Buck (1892-1973, ausgezeichnet 1938).
Pioniere
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Literatur-Nobelpreis immer öfter
an Schriftsteller verliehen, die als literarische Pioniere galten. Wie in
den Naturwissenschaften wurde ausgezeichnet, wer - in diesem Falle literarisches
- Neuland betrat.
Unter den Preisträgern der Nachkriegszeit finden sich deshalb Neuerer
wie T. S. Eliot (1888-1965, ausgezeichnet 1948), William Faulkner (1897-1962,
ausgezeichnet 1949) und Samuel Beckett (1906-1989, ausgezeichnet 1969).
Weltliteratur
Während
der 1960er und 70er Jahre wurde der Literatur-Nobelpreis wegen seiner
Bevorzugung der Literatur Europas und der USA und deren bekannten Schriftstellern
kritisiert. In Reaktion darauf hat die Akademie in den letzten zwanzig
Jahren ihre Vergabepolitik geändert und zeichnet auch wichtige, aber
wenig beachtete Schriftsteller und Autoren aus anderen Kulturkreisen aus,
auf die sie Aufmerksamkeit lenken will. Der Weltöffentlichkeit vorher
kaum bekannt waren etwa der Amerikaner Isaac Bashevis Singer (1904-1991,
ausgezeichnet 1978) und der Tschechoslowake Jaroslav Seifert (1901-1986,
ausgezeichnet 1984). Dem Eindruck einer eurozentristischen Vergabepolitik
wirkte die Akademie auch durch die Verleihung des Preises an den Ägypter
Naguib Mahfouz (*1911, ausgezeichnet 1988), die Südafrikanerin Nadime
Gordimer (*1923, ausgezeichnet 1991) und den (in Frankreich lebenden)
Chinesen Gao Xingjian (*1940, ausgezeichnet 2000) entgegen. Mit seiner internationalen Öffnung und seinem Interesse auch an weniger bekannten literarischen Werken ist die Vergabe des Nobelpreises für Literatur allmählich von kulturellen und politischen Einschränkungen unabhängig geworden. |
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Jan
Kornelis Oosthoek