Erwin
Neher
Fachliche Leistung
Bereits in der Theorie der Nervenerregung von Hodgkin und Huxley (1952)
tauchten Ionenkanäle als ein Denkmodell auf. Bis in die Mitte der siebziger
Jahre jedoch blieb die diskrete Natur dieser Stromschleusen unbewiesen.
Am Göttinger Max-Planck-
Institut für biophysikalische Chemie entwickelte Neher damals mit seinem
Kollegen Sakmann eine Technik, die es ermöglichte, geringe elektrische
Ströme zwischen Körperzellen und ihrer Umgebung zu registrieren.
Damit konnten sie erstmals den Nachweis erbringen, dass in der Zellhülle
winzige Kanäle existieren, die den Durchfluss von geladenen Teilchen
(Ionen) wie etwa Kalium oder Natrium vom Zellinneren in die Umgebung ermöglichen.
In der Folge stellte sich sehr schnell heraus, dass nicht nur die Prozesse
der elektrischen Erregung und der synaptischen Transmission, sondern sehr
viele Körperfunktionen, vor allem im Bereich der Sensorik, Motorik
und der Sekretion, von Ionenkanälen gesteuert werden.
Bei der so genannten Patch-Clamp-Technik wird eine dünne Glasmikropipette
mit nur einem tausendstel Millimeter Durchmesser so eng auf die Zellhülle
gesetzt, dass jeder noch so geringe Strom, der in Ionenkanälen darunter
fließt, registriert werden kann. Es sind diese Ionenkanäle, die
die notwendige Kommunikation zwischen den Membran-eingehüllten Zellen
erlauben, und über die auf bestimmte Reize hin Zellen gereizt oder
gehemmt werden. Den beiden Preisträgern gelang es mittels
dieser neuen Methode, die elektrischen Signale und Schaltvorhänge erregbarer
Zellen in individuelle Signale einzelner Moleküle aufzuschlüsseln.
Die Göttinger Versuchsanordnung machte es überdies möglich,
den Einfluss einzelner Substanzen auf die Ionenkanäle gezielt zu untersuchen
und so auch die Wirkung von Arzneistoffen direkt auf molekularer Ebene zu
überprüfen. Mit Neher und Sakmann sind damit zwei Wissenschaftler
mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden, die in gemeinsamen und sich ergänzenden
Forschungsarbeiten wegweisende Ergebnisse über die Erregungsprozesse
in den Membranen lebender Zellen erzielten.
Für die Medizin
wurde die Entdeckung der Ionenkanäle zu einem Schlüsseldatum.
Viele Krankheiten beruhen ganz oder teilweise auf einer defekten Regulierung
des Ionenflusses, zum Beispiel Epilepsie, verschiedene Herz- und Gefäßkrankheiten
oder Nerven-Muskelkrankheiten. Mit Hilfe von Nehers und Sakmanns Technik
lassen sich jetzt zur Behandlung einiger Erkrankungen gleichsam Medikamente
nach Maß herstellen, die auf den Ionenkanal wirken.
Das gegenwärtige Forschungsinteresse von Neher konzentriert sich auf die Auflösung der Hormon- und Neurotransmitterfreisetzung durch Kalzium und kalzium spezifische Ionenkanäle, sowie auf Mechanismen der synaptischen Kurzzeitplastizität.