zu den Exponaten
von Kapitel 3
Kapitel 3
Herkunft aus öffentlichen Institutionen
Neben dem regelmäßigen Erwerbungsgeschäft und dem Bezug einzelner wertvoller Drucke und Handschriften aus dem Antiquariat und bei Auktionen des In- und Auslandes gelangten häufig Stücke in den Bestand der Göttinger Universitätsbibliothek, die zuvor im Besitz öffentlicher Einrichtungen gewesen waren. In jeder Bibliothek war und ist es trotz großer Sorgfalt unvermeidbar, dass Drucke erworben werden, die bereits im Bestand vorhanden sind, so dass Doppelstücke oder Dubletten nebeneinander existieren. Dies kann durch ungenaue Angaben im Verkaufskatalog eines Antiquariats geschehen oder durch unzulängliche Verzeichnung der Drucke in den älteren Bibliothekskatalogen, um nur zwei der offensichtlicheren Ursachen zu benennen. Bereits seit dem 18. Jahrhundert veranstalteten öffentliche Bibliotheken deshalb größere Dublettenverkäufe, um sich dieser unnötigen Exemplare zu entledigen. Ein typisches Beispiel hierfür ist ein Dublettenverkauf der Stadtbibliothek Nürnberg aus dem Jahr 1777, der in erster Linie zum weiteren Aufbau der Göttinger Inkunabelsammlung beitrug.
Als Göttingen 1807 dem Königreich Westfalen einverleibt wurde, schienen sich für die Bibliothek beim Erwerb älterer Literatur Aussichten besonderer Art zu eröffnen. Im Zuge der von Frankreich übernommenen Zentralisierung wurden neben der Universitätsbibliothek Helmstedt zahlreiche Stifts- und Klosterbibliotheken im Bereich des neuen Königreichs aufgelöst, deren Bestände 1812 nach Göttingen gelangten. Nach dem Zusammenbruch der Napoleonischen Herrschaft musste jedoch nach 1814 der größte Teil dieser Bestände wieder an die Vorbesitzer zurückgegeben werden. Damit war die Möglichkeit, dem Zentrum für alte Drucke und Handschriften im Süden Deutschlands eines im Norden gegenüberzustellen, geschwunden, kaum dass sie entstanden war. Doch sind zwei herausragende Bücher aus Helmstedt in Göttingen geblieben: das Fuldaer Sakramentar aus dem 10. Jahrhundert und eine der schönsten und frühesten Inkunabeln, die von Johannes Gutenberg in Mainz 1454 / 55 gedruckte 42-zeilige Bibel.
Die Aufnahme von Bibliotheken aufgelöster Institutionen ist ein willkommenes Instrument des Bestandsaufbaus, insbesondere in Zeiten, in denen Mittelkürzungen die antiquarische Erwerbung im Handel schwieriger gestalten oder gar ganz ausschließen. Im 19. Jahrhundert flossen auch die Göttinger Erwerbungsmittel spärlicher, so dass die Übernahme der Bücher des Alexander-Stifts zu Einbeck im Jahre 1831 sowie die 1853 zugewiesene Bibliothek der aufgelösten Ritterakademie zu Lüneburg, des ehemaligen Michaelisklosters, zu den wichtigeren Ereignissen in der Erwerbungsgeschichte zählen. Unter den Büchern des Einbecker Alexander-Stifts befanden sich 81 Inkunabeln, großenteils aus dem juristischen Bereich. Ein handschriftlicher Sonderkatalog der aus Einbeck erhaltenen Werke wurde von Jacob Grimm (1785 – 1863) angelegt, der seit 1830 als Bibliothekar und Professor in Göttingen tätig war und möglicherweise auch die Erwerbung selbst veranlasst hatte.
Im Jahr 1853 wurden 3.500 Bände der aufgelösten Ritterakademie zu Lüneburg nach Göttingen überwiesen. Die Ritterakademie hatte den Bestand des ehemaligen Klosters St. Michaelis in Lüneburg übernommen, und man erwartete von der Erwerbung eine große Zahl von Kostbarkeiten. Tatsächlich war die Sammlung als Ganzes nicht so bedeutend wie angenommen. Unter den neueren Titeln gab es einen Schwerpunkt zur niedersächsischen Geschichte, der doch eine willkommene Ergänzung darstellte. Zu den wertvolleren Stücken zählten aber die mittelalterlichen Handschriften des Klosters, 54 Inkunabeln und zwei klassische Werke der Architekturgeschichte: Wendel Dietterlins Architectura (Nürnberg 1598) und Andrea Palladios I quattro libri dell’ architettura (Venedig 1570).
(HR)