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Kapitel 6 - Von adliger Herkunft | Übersicht |


57 Sensationsmeldung aus Polen

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Newe zeyttung aus Polen von wunderlichen geschichten ynn Polen Vngern und Behemen,
auch von andern landen.
Leipzig: Michael Blum, 1527.
Signatur: 8° Hist. Cesk. I, 3005 (2)
Provenienz: Fürstlich Waldecksche Bibliothek, Arolsen 1801

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8° Hist. Cesk. I, 3005 (2) (Ausschnitt)
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Der Begriff „Zeytung“ bedeutete im Mittelalter „aktuelle Nachricht“, und erst im 16. und 17. Jahrhundert wurde „Zeitung“ im heutigen Wortsinn für unterschiedliche Gattungen des Tagesschrifttums verwendet. Bei den „Newen Zeytungen“ handelt es sich also nicht um periodische Einblattdrucke oder Druckschriften, sondern um Berichte zu besonderen Ereignissen, die nur bei Bedarf herauskamen und oftmals an ein spezielles Publikum gerichtet waren. Ein beliebter Gegenstand waren „erschröckliche“ Begebenheiten wie Naturkatastrophen (Kometen), Teufelsaustreibungen, Missgeburten oder Ketzerverbrennungen. Zur Illustration der Meldung waren die Berichte mit Holzschnitten, später mit Kupferstichen illustriert. Auch Herrschaftshäuser nutzten das neue Medium und beauftragten fürstliche Schreiber, die über repräsentative Ereignisse wie adlige Hochzeiten und Todesfälle berichteten oder über Pläne zur Aufrüstung und Kriegsführung. Die „Sensationsblätter“ wurden auf Märkten und Messen von fliegenden Händlern vorgelesen und verkauft. Die älteste bekannte gedruckte Sensationsmeldung dieser Art trägt den Titel Newe Zeytung vom orient vnnd auffgange und stammt vermutlich aus dem Jahr 1502. Hier wurde erstmals der heute so geläufige Begriff „Zeitung“ verwendet.

Das vorgestellte Beispiel einer Newen zeyttung aus Polen berichtet von „wunderlichen geschichten / ynn Polen Vngern und Behemen“ aus dem Jahre 1527. Offenbar kam es in Polen zu einer Naturkatastrophe der besonderen Art: „Eytel große Hewschrecken“ fielen in das Land ein, bedeckten Himmel und Erde und fraßen nicht nur alles Viehfutter, sondern auch das Korn auf den Feldern. Das Vieh sei tausendfach entweder verhungert oder wahnsinnig geworden. Erst nach einem Kälteeinbruch seien die Insekten, die dem Titelholzschnitt zufolge die Größe von ausgewachsenen Raben gehabt haben müssen, zugrunde gegangen. Als Spätfolge fürchtet der Autor eine weitere Plage: Würmer mit vier Flügeln, von denen zwei grau und zwei golden seien. Am Ende seines Bericht versichert er: „Und dis alles solt yhr fur eyne warheyt glewben / und fur keyne fabel halten / Denn es eyne grosse tewrung ym lande gemacht hat / Gott fug es zu dem besten Geben“. Erstaunlich ist hier nicht die Sensationsmeldung selbst, sondern die Art der Berichterstattung, deren Elemente bis heute in der Regenbogenpresse zu finden sind: Übertreibung des tatsächlichen Geschehens, Bildmanipulation, Beteuerung des Wahrheitsgehalts und Verdächtigung eines fremden Ursprungs der Plage: Ein Wind, der die Heuschrecken von der Türkei aus ins Land getrieben habe, ist schuld!

(KN/HR)