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Kapitel 5 - Buchhandel und Antiquariat | Übersicht |


45 Eine „überköstliche Ballade“

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Gottfried August Bürger:
Lenore.
Papierhandschrift,
Göttingen [?], 9. September 1773.
Signatur: 8° Cod. Ms. philol. 206 Cim.
Provenienz: Antiquariat Wilhelm Zentner, Prag 1925

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8° Cod. Ms. philol. 206 Cim (Ausschnitt)
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Gottfried August Bürger (1747 – 1794) war ein bedeutender Dichter der Sturm-und-Drang-Epoche, der mit seiner kraftvollvolkstümlichen, manchmal derben und oft sozialkritischen Dichtung in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Lenore, die Ballade von der jungen Soldatenbraut, die ihrem im Krieg gefallenen Geliebten ins Grab folgt, gehört heute ebenso zum Kanon wie jene Ballade von der armen, durch einen adligen Strolch verführten Tochter des Pfarrers von Taubenhain. Weitere bedeutende Werke Bürgers sind das Gedicht Der Bauer. An seinen Durchlauchtigen Tyrannen oder die (anonym bearbeiteten) Erzählungen vom Lügenbaron Münchhausen (s. Nr. 13). Zu Lebzeiten allerdings musste sich der von persönlichem Unglück verfolgte Herausgeber des Göttinger Musenalmanachs neben Lob auch immer wieder herbe Kritik seiner Dichtung anhören. Am schlimmsten traf ihn das rundweg negative (und leider überaus einflussreiche) Urteil Friedrich Schillers, der 1791 bei Bürger die Kunst des Idealisierens und Veredelns vermisste – eine Kunst, die Bürgers Dichtungskonzept in keiner Weise entsprochen hat. Von Schillers Kritik erholte sich Bürger nie, er starb vereinsamt und verarmt wenige Jahre später.

Die unglaublich erfolgreiche Lenore war der Höhepunkt in Bürgers Balladenschaffen und ließ ihn zum Begründer der deutschen Kunstballade werden. Die Handschrift, die wahrscheinlich aus dem Nachlass von Johann Heinrich Voß (1771 – 1826) stammt und 1925 über einen Düsseldorfer Bankier sowie einen Prager Antiquar für 5.000 Goldmark in den Besitz der Göttinger Bibliothek gelangt ist, besteht aus vier Lagen, d. h. acht Blättern. Blatt 4 ist in Falznähe abgeschnitten und ersetzt worden. Blatt 4r trägt drei Strophen, ansonsten stehen auf Blatt 1r bis 7v zwei Strophen, die mit Ausnahme der letzten beiden von Bürger nachträglich nummeriert worden sind. Blatt 8r enthält eine Nachschrift Bürgers, die Hinweise zum Druck der dialogischen Teile des Gedichts gibt. Blatt 8v ist leer. Die Niederschrift stellt somit eine Zwischenstufe zwischen der Urfassung und der 1774 im Musenalmanach veröffentlichten Version dar. Einzelne Worte sind unterstrichen und mit darüber stehenden eigenhändigen Korrekturen versehen. Am Rand finden sich kritische Bemerkungen von Heinrich Christian Boie (1744 – 1806), dem Mitbegründer des Göttinger Hainbundes und engen Freund und Berater Bürgers. Zusammen mit Bürgers Briefwechsel gewährt die Handschrift einen fast lückenlosen Einblick in den Schaffensprozess seiner „überköstlichen Ballade“, der „unsterblichen Lenora“.

(JMb)