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Kapitel 7 - Göttinger Gelehrte | Übersicht |


66 Ein Bestseller der Frühdruckzeit

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Sebastian Brant:
Das Narrenschiff.
Reutlingen: [Michael Greyff], 23. VIII. 1494.
Signatur: 8° Poet. Germ. II, 2114 Inc. Rara
Provenienz: Georg Christian Gebauer, 1773/74

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8° Poet. Germ. II, 2114 Inc. Rara (Ausschnitt)
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Sebastian Brant (1457 – 1521) studierte in Basel klassische Sprachen und Rechtswissenschaften und lehrte danach in seiner Heimatstadt Straßburg Recht, seit 1484 auch Poesie. Einer Fülle wichtiger öffentlicher Ämter zum Trotz fand er dennoch die Zeit für umfangreiche wissenschaftliche und dichterische Arbeiten: Juristische und historischgeographische Schriften und Editionen gehen ebenso auf Brant zurück wie lateinische und volkssprachliche Gedichte oder Übersetzungen antiker Autoren. Sein Hauptwerk und zugleich sein größter Erfolg ist die Moralsatire Das Narrenschiff, dessen Erstausgabe am 11. Februar 1494 von Johann Bergmann in Basel gedruckt wurde.

Das Buch schildert in einem 112 Kapitel umfassenden Katalog die Torheiten der Menschheit. Die Narren begeben sich auf eine Schiffsreise in ihr Vaterland Narragonien. In der Folge werden sämtliche Narrentypen in Einzelkapiteln vorgeführt. Den Kapiteln ist jeweils ein Motto vorangestellt, das den Inhalt des sich anschließenden Textes zusammenfasst; ihm folgt in der Regel ein Holzschnitt, der diesen Inhalt illustriert. Die insgesamt 105 Holzschnitte stammen zu fast drei Vierteln von dem jungen Albrecht Dürer (1471 – 1528). Nicht nur die sieben Todsünden Hoffart, Wollust, Völlerei, Neid, Trägheit, Geiz und Zorn, sondern auch sonstige menschliche Schwächen werden in satirischer Weise der Lächerlichkeit preisgegeben.

Das Narrenschiff war das erfolgreichste deutschsprachige Werk vor Goethes Werther und begründete die bis ins 18. Jahrhundert lebendige Gattung der Narrenliteratur. Die 1497 von Brants Schüler Jakob Locher (1471 – 1528) verfasste lateinische Version machte das Werk auch zu einem europäischen Erfolg, so dass bald Übersetzungen in die Volkssprachen folgten: Insgesamt zwölf Übersetzungen in vierzig unterschiedlichen Ausgaben machten das Buch zu einem literarischen Bestseller der Frühdruckzeit. Im Göttinger Exemplar der dritten Ausgabe, die von dem Reutlinger Erstdrucker Michael Greyff gedruckt wurde, sind einige fehlende Blätter durch die entsprechenden Blätter aus der ersten Ausgabe ersetzt. Aufgeschlagen ist ein Holzschnitt, der die Wollust thematisiert: Er zeigt eine Frau, die sich auf der Straße anbietet.

(HR)