Göttinger Cimeliennavigation

Kapitel 7 - Göttinger Gelehrte | Übersicht |


75 Die Revolution der Himmelssphären

Beschreibung | Großbildweiterzurück

Nikolaus Kopernikus:
De revolutionibus orbium coelestium libri VI.
Nürnberg: Johann Petreius, 1543.
Signatur: 4° Gauß-Bibliothek 1442 Rara
Provenienz: Carl Friedrich Gauß (1803), Universitäts-Sternwarte 1977

Vorschau
4° Gauß-Bibliothek 1442 Rara (Ausschnitt)
Klick aufs Bild für Großbild

Das Werk des polnischen Priesters und Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543) De revolutionibus orbium coelestium beendete die 2.000 Jahre alte aristotelische Sicht auf das Universum und bildete den Anfang einer neuen Forschungstradition in der Astronomie und Physik, mit der Namen wie Galileo Galilei, Johannes Kepler und Isaac Newton verbunden sind. Die Bedeutung des Werks liegt sowohl auf praktischer als auch auf theoretischer Ebene.

In praktischer Hinsicht sind die von Kopernikus beobachteten astronomischen Daten wichtig. Im frühen 16. Jahrhundert stellte sich das Datum für Ostern – das gemäß dem Konzil von Nizäa (325 n. Chr.) am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem Frühlingsäquinoktium stattfinden sollte – immer früher ein, was an dem aus der Antike stammenden System der astronomischen Berechnung lag, das damals benutzt wurde. 1514 rief Papst Leo X. ein Laterankonzil zusammen und bat Kopernikus um Vorschläge, wie der Julianische Kalender reformiert werden könne, um den Zeitpunkt der Frühlings-Tagundnachtgleiche mit einem Vollmond zu koordinieren und dafür Sorge zu tragen, dass Ostern wieder im Frühling gefeiert werden konnte. Unter dem Vorsitz des deutschen Jesuiten Christoph Flavius aus Bamberg (1537 – 1612) reformierte die katholische Kirche den Julianischen Kalender auf der Grundlage von Kopernikus’ exakteren Berechnungen der Position der Erde und anderer Himmelskörper. Papst Gregor XIII. präsentierte den neuen Kalender, der seither als Gregorianischer bezeichnet wird, in seiner päpstlichen Bulle Inter Gravissimas am 24. Februar 1582.

Kopernikus’ verbesserte Berechnungen für das Osterdatum basierten jedoch auf einer revolutionären Neuerung. An Stelle des geozentrischen Universums, das von Aristoteles und dem Astronomen Ptolemäus (um 150 n. Chr.) entworfen worden war, konstruierte Kopernikus ein heliozentrisches Universum – die Planeten rotieren um die Sonne herum, wie die Abbildung zeigt – und legte dies auch seinen Berechnungen zugrunde. Der Heliozentrismus stellte nicht nur alte Autoritäten in Frage, er widersprach auch der Bibel, die an verschiedenen Stellen von der Bewegungslosigkeit der Erde spricht. Zunächst war die Kirche bereit, die Sonne im Zentrum der Welt als eine Hypothese zu betrachten. Aber mit den Entdeckungen von Johannes Kepler und besonders Galileo Galilei schien die heliozentrische Sichtweise eher als sicher denn als hypothetisch zu gelten. Die Kirche setzte deshalb De revolutionibus orbium coelestium 1616 auf den Index der verbotenen Bücher (auf dem es noch stand, als Gauß sein Exemplar 1803 erwarb); aber sie verwendete Kopernikus’ Berechnungen weiter zur Bestimmung des Ostertermins.

(KMO)