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Kapitel 11 - Autographa Lutheri | Übersicht |


114 Das Septembertestament

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[Martin Luther:]
Das Newe Testament Deutzsch.
Wittenberg: Melchior Lotter d. J., 1522.
Signatur: 4° Bibl. II, 1922 Rara
Provenienz: Autographa Lutheri

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4° Bibl. II, 1922 Rara (Ausschnitt)
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Mitte Dezember 1521 begann Martin Luther (1483 – 1546) auf der Wartburg mit der Übersetzung des Neuen Testamentes in das Hochdeutsche, die er bereits Ende Februar 1522 abschloss und unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Wittenberg im März 1522 mit dem Professor für Hebraistik und Gräzistik Philipp Melanchthon (1497 – 1560) redigierte. Als Quelle stand Luther die 1519 in Basel in zweiter Auflage erschienene Ausgabe des griechischen Urtextes mit lateinischer Übertragung und Anmerkungen des Erasmus von Rotterdam zur Verfügung. Ergänzend fügte er Vorreden und zahlreiche erläuternde Randglossen hinzu. Die den biblischen Text beschließende Offenbarung des Johannes wurde mit 21 ganzseitigen Holzschnitten aus der Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. (1472 – 1553) versehen, die sich eng an Albrecht Dürers vierzehn Holzschnitte zur Apokalypse (1498 – 1511) anschlossen. Nach fünfmonatiger Druckzeit in der Offizin von Melchior Lotter d. J. im Verlag von Lucas Cranach d. Ä. und Christian Döring am 29. September 1522, rechtzeitig zum Beginn der Leipziger Herbstmesse, erschienen, wurde dem Werk ein überwältigender Erfolg zuteil: Trotz eines Stückpreises von etwa anderthalb Gulden, der dem Dreimonatsgehalt eines Schulmeisters entsprach, war die Erstauflage von ca. 3.000 Exemplaren binnen dreier Monate vergriffen, und bereits im Dezember desselben Jahres folgte eine zweite, verbesserte Auflage.

Luthers Werk – nach Teilübersetzungen des Alten Testamentes erschien 1534 die erste Vollbibel in seiner Übertragung – steht keinesfalls am Beginn der deutschsprachigen Bibelübersetzung: Bereits vor 1522 gab es nicht weniger als vierzehn hochdeutsche Vollbibeln. Ihre Wirkung blieb jedoch aufgrund ihres veralteten, eng die lateinische Vorlage der Vulgata imitierenden Sprachbildes eingeschränkt. Luthers Absicht war es demgegenüber, gemäß seiner Lehre von der Heiligen Schrift als der höchsten Autorität in Glaubensdingen einen Text vorzulegen, der auch Laien verständlich war. Im Sinne des Humanismus wandte er sich den griechischen und hebräischen Urtexten zu, legte seiner Übersetzung die überregional verbreitete sächsische Kanzleisprache zugrunde und erhob die Sinngemäßheit seiner Formulierungen als Übersetzungsprinzip. Wie sehr er damit einem weitverbreiteten Interesse entgegenkam, beweist der Erfolg seines Unterfangens: Bis zu Luthers Tod 1546 sollten mehr als 300 hochdeutsche Bibelausgaben mit einer Gesamtauflage von über einer halben Million Exemplaren erscheinen, eine für die Frühzeit des Buchdruckes ungeheure Menge. Als sprachliches Kunstwerk und Meilenstein innerhalb der Standardisierung des heutigen Hochdeutschen ist die Lutherbibel auch außerhalb der Religionsgeschichte von herausragender Bedeutung.

Aufgeschlagen ist eine Offenbarung 9, Vs. 1 – 12 begleitende Illustration: Aus dem Rauch des Brunnens des Abgrundes steigen gepanzerte und mit Stacheln bewehrte Heuschrecken mit menschlichen Antlitzen, die alle Menschen quälen, die nicht das Siegel Gottes tragen.

(SG)