Symposium "Informationsinfrastruktur im Wandel"

Peter Diepold

Bemerkungen auf der Podiumsdiskussion

Nachdem wir die technischen, organisatorischen und institutionellen Probleme einer lokalen Kooperation zwischen Bibliotheken, Rechenzentren und Universitätsleitung intensiv diskutiert haben, möchte ich zum Schluß Ihre Aufmerksamkeit auf drei übergreifende Aspekte richten, die mir aus der Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers, des Sprechers der IuK-Kommission der deutschen Fachgesellschaften und des Erziehungswisssenschaftlers für unser Thema wichtig erscheinen.

Ökonomische Aspekte

Die Universität ist ein vielfältig vernetztes Dienstleistungsunternehmen. Das trifft nicht nur auf die infrastrukturellen Einrichtungen wie Rechenzentren und Bibliotheken zu, sondern auch auf die Verwaltung, die Institute und die einzelnen Lehrstühle. Wie kann unser Service für die vielen Tausend Studenten einer Universität und für das wissenschaftlichen Personal angesichts steigender Kosten, schrumpfender Etats und zunehmender Sparauflagen verbessert werden? Eine merkwürdige Frage vielleicht, wo doch allenthalben Klagen erschallen. Ich meine indessen, daß wir die gegenwärtige Finanzmisere vielmehr als Herausforderung begreifen sollten, über eine optimale Nutzung knapper Ressourcen nachzudenken. Das bedeutet: die Effektivität und Produktivität von Informations- und Kommunikationseinrichtungen zu untersuchen und zu bewerten, Alternativen zu prüfen, Prioritäten zu setzen.

Ein solches Controlling ist zugegebenermaßen schwierig und sollte sich konzentrieren auf die Untersuchung von Nutzung und Wirkung bei den Adressaten, in enger Rückkoppelung an deren Interessen, Bedürfnissen und Wünschen und in langfristiger Perspektive einer Qualifizierung für lebenslangen Lernens in der Informationsgesellschaft.

Es wäre sinnvoll, Mittel für wissenschaftliche Untersuchungen - z.B. Auswertungen von Logfiles, Analyse des Benutzerverhaltens, Befragungen - für Evaluationen zu reservieren. Dies ist z.B. erfreulicherweise für den im kommenden Semester anlaufenden BLK-Modellversuch zur informationellen Bildung für Lehrerstudenten vorgesehen, wo die Hälfte der Mittel für eine wissenschaftliche Evaluation eingesetzt werden sollen. Wir erwarten, daß durch die begleitende Evaluation die dort entwickelten Konzepte und "virtuellen" Lernmaterialien über die Humboldt-Universität hinaus breite Anwendung finden werden.

Fachwissenschaftliche Aspekte

Angesichts der verwirrenden Vielfalt von Informationsangeboten im Internet wird eine Strukturierung von Informationen in fachlicher Hinsicht immer wichtiger. Dies betrifft sowohl die fachwissenschaftliche Erschließung von hypermedialen Dokumenten im WWW als auch ihre Vermittlung über Meta-Server in den einzelnen Fachwissenschaften.

Hier liegt eine besondere Chance für die wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die über die lokale oder landesweite Kooperation hinaus auf der nationalen und internationalen Ebene koordinierend Einfluß nehmen. 1995 haben sich vier Fachgesellschaften zu einer "IuK-Kommission" zusammengeschlossen; inzwischen gehören zu diesem Kooperationsverbund 8 Fachgesellschaften (DMV, DPG, GDCh, GI, DGfE, DGS, DGPs, ITG im VDE), die mehr als 100 Tsd. Mitglieder repräsentieren. Sie verfolgen in interdisziplinären Arbeitsgruppen, wie "Dissertationen Online", "Meta-Daten", "Global-Info" u.a. gemeinsame Ziele und betreiben Meta-Server, die insbesondere fachrelevante Strukturdaten vermitteln, so z.B. für die Erziehungswissenschaft der Deutsche Bildungs-Server, der Server der Mathematik, der Physik, der Chemie u.a.

Die hier angesprochenen Struktur-Daten, mit denen hypermediale Dokumente im Internet beschrieben werden, gehen über die üblichen bibliographischen Nachweise gedruckter Texte hinaus. Sie dienen der gezielten Recherche in dem verwirrenden Informationsangebot des Internet und betreffen Gliederung, Schlagwort-, Orts- und Namensverzeichnisse, Formeln, Zitate, Verweise, Tabellen, Grafiken u.a.m., die in Zukunft nach dem "Dublin Core" bezeichnet werden sollen. Hier sind fachspezifische Absprachen nötig, die über regionale und nationale Dimensionen hinausgehen und die internationale Kooperation zwischen Fachgesellschaften, Bibliotheken und Dokumentationseinrichtungen einschließen.

Erziehungswissenschaftliche Aspekte

Die beeindruckenden Fortschritte in der IuK-Technik, weltweite Vernetzung, Zugriff auf die Informationsressourcen der Welt vom eigenen Arbeitsplatz aus, die Möglichkeiten digitalen multimedialen Publizierens, die Kooperation auf internationaler Ebene zwischen Fachgesellschaften wie auch auf lokaler Ebene zwischen Bibliotheken, Rechenzentren und Universitätsleitung sind Voraussetzungen, aber keine Garantie, für eine Effizienssteigerung wissenschaftlicher Arbeit.

Technik allein bewirkt noch nicht, daß die Nutzer dieser Ressourcen - Wissenschaftler, Studenten und das Personal einer Universität - sie auch sinnvoll einsetzen können und wollen, Die Nutzung von OPACs, Datenbanken und Volltext-Angeboten ebenso wie das Publizieren im Netz bedarf neben den oben skizzierten objektiven fachbezogenen Strukturhilfen der Entwicklung subjektiver kognitiver Strukturen bei den individuellen Nutzern. Um dies über komplexe Lernvorgänge zu erreichen, ist die Expertise von Erziehungswissenschaftlern und Pädagogischen Psychologen gefragt, die in Kooperation mit allen Beteiligten Lernprozesse anregen und planen helfen und entsprechende didaktische Hilfen erstellen - Konzepte, multimediale Lernmaterialien, tutorengestütze Einführungen, Lernarranments für das selbständige Weiterlernen u.a.m. Im Rahmen des beantragten DFG-Projekts "Dissertationen Online" wird sich eins der fünf Teilprojekte ("Autorenunterstützung") speziell mit diesen Fragen beschäftigen; wir werden Hilfen entwickeln, die über den Kreis der Promovenden hinaus für Autoren digitaler Dokumente benutzt werden können.

Ich kann nur dringend empfehlen, bei den anlaufenden Kooperationsprojekten an den Hochschulen das vorhandene Fachwissen von Erziehungswissenschaftlern, Hochschuldidaktikern und pädagogischen Psychologen zu nutzen, sollen unsere Bemühungen um den Aufbau kooperativer Informationsinfrastukturen an den Hochschulen nicht ins Leere laufen.

Prof. Dr. Peter Diepold
Abt. Pädagogik und Informatik
Humboldt-Universität zu Berlin
E-Mail: Diepold@educat.hu-berlin.de
Weitere Informationen: http://www.educat.hu-berlin.de/~diepold