Herausforderungen für die Hochschulen und ihre Informations- und Kommunikationseinrichtungen
15/16 September 1997;
Universität Göttingen
Neue Medien in Lehre und Studium - Zu den Empfehlungen der HRK
Professor Dr. Rainer Künzel Vizepräsident der HRK
Erlauben Sie mir, im folgenden einige Ergebnisse und Schlußfolgerungen aus den bisherigen Aktivitäten der HRK vorzutragen.
Unabhängig von den durchaus auch problematischen Folgen der Eigendynamik, mit der sich neue Informations- und Kommunikationsmedien in allen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzen, steht außer Zweifel, daß sie im Bildungssystem eine Reihe von Aufgaben besser als bisher zu lösen erlauben. Insbesondere gewährleisten sie
Neuerdings zeichnet sich jedoch infolge der Hardware- und Softwareentwicklung sowie des Ausbaus von Datennetzen eine wesentlich veränderte Situation ab. Die geradezu dramatisch gesteigerte Leistungsfähigkeit der auch für Privatpersonen erschwinglichen PC-Systeme, der Ausbau von Datennetzen und die zunehmende Bedienerfreundlichkeit der Programme haben die technischen Voraussetzungen entscheidend verbessert, um neue Medien als Lehr- und Lernmittel einzusetzen. In den Hochschulen selbst wurde durch Ausbau der Rechnerpools, durch interne und externe Vernetzung sowie durch zunehmende Anstrengungen bei der Erstellung mediengerechter Lehrmodule zumindest in einer Reihe von Fächern ein erhebliches Potential aufgebaut.
Die Umfrage der HRK belegt, daß neue Medien in der Lehre bereits in vielen Fächern eingesetzt werden. Zu Einzelheiten der Datenauswertung muß ich aus Zeitgründen zwar auf die Empfehlung der HRK verweisen, aber ich möchte hervorheben, daß die bisherige Konzentration der Computernutzung auf Fächer, in denen quantifizierbare Sachverhalte mit rechenintensiven Darstellungen von Bedeutung sind, durch die zunehmende Verbreitung des Computers auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften allmählich abgebaut wird.
b) Zentrale Einrichtungen in der Hochschule, wie Rechenzentren, Medienzentren und Bibliotheken sollen verstärkt Dienstleistungsfunktionen für die Fachbereiche übernehmen, indem sie Softwarelizenzen beschaffen, Rechenkapazität und Netzzugänge bereitstellen und die erforderliche Peripherieausstattung verwalten und zugänglich machen. Darüber hinaus sollen sie die Hochschulleitung und die Fachbereiche in Fragen des Ausbaus multimedialer Lehr-Lern- Technologien beraten.
c) Verantwortung der Fächer: Die vielfach feststellbare Diskrepanz zwischen einer "Expertenkultur des Medieneinsatzes" und den alltäglichen Lehrerfahrungen von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern stellt eine große Kommunikationsbarriere dar, die rasch überwunden werden muß. Höhere Akzeptanz und größeres Interesse werden nur dann erreichbar sein, wenn sich die Vorteile neuer Informations- und Kommunikationstechnologien im Alltag von Lehre und Studium erweisen und mediale Lehrangebote als Bestandteil der prüfungsrelevanten Lehre anerkannt werden. Neue Lehr-Lern-Medien und ihr Einsatz entbinden die Fächer und die Hochschulen allerdings nicht von ihrer Verantwortung für die persönliche Betreuung der Studierenden und für die Sicherung der Lehrqualität.
d) Einstieg und Einsatzfelder: Die Entwicklung neuer Lehr-Lern-Medien sollte sich zuerst auf Grundlagenwissen und die Standardmethoden eines Faches konzentrieren. Für dieses Vorgehen sprechen die größere Zahl potentieller Nutzer, die längere Einsatzdauer eines Programms - also Kosten-Nutzen-Aspekte - und die Tatsache, daß unterschiedliche Lehrmeinungen bei Grundlagen und Methoden eines Faches im allgemeinen eine geringere Rolle spielen. Dies erleichtert zugleich eine hochschulübergreifende Nutzung von Lehrmedien. Darüber hinaus wird es sich empfehlen, in den sogenannten "Hilfswissenschaften" (z.B. statistische Methodenlehre, angewandte Mathematik) Lehr-Lern-Programme fächer- und hochschulübergreifend zu entwickeln. In den USA zeigt sich allerdings bereits, daß auch Spezialveranstaltungen herausragender Fachwissenschaftler außerhalb ihrer eigenen Hochschule auf großes Interesse stoßen.
Im allgemeinen wird die Erstellung von Programmmodulen, die sich mit anderen (classroom-)Lehrangeboten kombinieren lassen, sinnvoll sein. Angesichts der hohen Entwicklungskosten für anspruchsvolle Lehr-Lern-Software gilt, daß die Zahl der Nutzer und die Einsatzdauer wichtige Entscheidungskriterien für die Entwicklung derartiger Programme darstellen. In der Praxis wird sogenannten Hybrid-Systemen, bei denen die elektronischen Lehr- Lern-Programme und die Masse der Daten auf CD-Rom zur Verfügung stehen, während Aktualisierungen bzw. spezielle Dienste (Beratung/Anleitung u.ä.) online bereitgestellt werden, als effiziente und kostengünstige Alternative zu reinen online-Lehrsystemen der Vorzug gegeben.
e) Kooperation und Wettbewerb: Die Kooperation zwischen verschiedenen Hochschulen und Fachbereichen bei der Entwicklung und Verwendung fachspezifischer Lernsoftware oder gemeinsamer Lehrangebote über Datennetze erscheint aus verschiedenen Gründen dringend erforderlich. Sie ist nicht nur aus Kostengründen sinnvoll, sondern würde auch dazu beitragen, verschiedene Sichtweisen und Lehrmeinungen in den betreffenden Lehrangeboten zur Geltung zu bringen. Vielleicht würde dies auch die Bereitschaft unter Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern erhöhen, medienunterstützte Lehr-Lern-Systeme zu verwenden. Die bisher vorherrschenden "Insellösungen" könnten auf diese Weise überwunden werden.
Unter der Voraussetzung, daß sich allmählich ein Markt für mediale Lehr-Lern-Programme für den Hochschulbereich herausbildet, ist zu erwarten, daß sich konkurrierende Produkte etablieren werden. Diese Entwicklung ist zu begrüßen, weil damit der inhaltlichen Vielfalt wissenschaftlicher Ansätze Rechnung getragen wird, besondere Profile in der Lehre ausgebildet und Qualitätsstandards offengelegt werden. Einzelne Hochschulen hätten die Möglichkeit, durch überregional angebotene Lehrprogramme ein besonderes Renommee zu erwerben.
f) Rahmenbedingungen: Ungeachtet der Tatsache, daß die Hochschulen generell mehr Entscheidungs- und Handlungsautonomie benötigen, erfordern Entwicklung und Einsatz neuer Medien in der Hochschullehre in besonderem Maße Finanzautonomie. Angesichts der hohen Investitions- und Betriebskosten für mediale Lehr-Lern-Systeme bei gleichzeitig stagnierender Finanzausstattung werden die Hochschulen vermehrt auf die Akquisition von Drittmitteln sowie auf interne Ressourcenumschichtungen angewiesen sein. Eingeworbene Drittmittel, insbesondere aber aus der Vermarktung von Lehrmaterialien erzielte Erlöse, müssen den Hochschulen für die Refinanzierung verbleiben, zumal wirksame Rationalisierungseffekte allenfalls langfristig erzielt werden können.
Wenn die Entwicklung im Bereich der elektronischen Lehr-Lern-Medien so dynamisch voranschreitet wie bisher, bedarf es eines Handlungsrahmens, der flexibles Entscheiden erlaubt. Im Hinblick auf den verstärkten Einsatz Neuer Medien in der Lehre ist die an Haushaltstitel gebundene Mittelverwendung daher mehr denn je kontraproduktiv.
Aus einer Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Verlagen zum Zweck der Verbreitung und Vermarktung könnte sich langfristig ein Rückfluß investierter Mittel ergeben. Für die absehbare Zukunft ist allerdings davon auszugehen, daß sich angesichts hoher Investitions- und Entwicklungskosten ein finanzieller Gewinn nur für solche Lehreinheiten realisieren lassen wird, die eine größere Verbreitung finden. Ferner ist zu beachten, daß bei Lehrmedien für wissenschaftliche Zwecke die Verantwortung bei den Fachwissenschaftlern bleiben muß. Werden Lehr-Lern-Systeme und Unterrichtsmaterialien für akademische Ausbildungsprogramme von privaten Anbietern auf den Markt gebracht, muß ihre Qualität durch ein Evaluations- und Akkreditierungsverfahren gewährleistet werden, das von den Hochschulen kontrolliert wird.
Die Kooperation mit Verlagen schließt im übrigen nicht aus, daß die Fachbereiche für spezifische Zwecke (z.B. für lehrbegleitende Materialsammlungen, auf einzelne Lehrveranstaltungen bezogene Anwendungen o.ä.) - wie dies beim Verkauf von Skripten schon jetzt üblich ist - den Studierenden elektronische Informationsmaterialien auf Datenträgern oder über Netz anbieten.
g) Finanzierung und Förderprogramme: Wesentlich ist, daß mit einem Ausbau der erforderlichen hochschulinternen Infrastruktur die Entwicklung und Erprobung medialer Lehr- und Lernformen möglichst rasch zu einem breiteren Angebot an Programmen und zu praktischen Erfahrungen führt. Um diesen Prozeß in Gang zu setzen, bedarf es nicht nur struktureller Voraussetzungen, sondern auch wirksamer Anreize.
Auf längere Sicht ist anzustreben, einen Teil der Entwicklungs- und Herstellungskosten durch Vermarktung zu refinanzieren. Gleichwohl erscheint in der gegenwärtigen Situation ein gemeinsames Förderprogramm von Bund und Ländern zur Entwicklung von medialen Lehr- Lern-Systemen erforderlich. Es ist daher zu begrüßen, daß Bund und Länder sich im Hochschulsonderprogramm III auf die Förderung von Multimedia in der Lehre verständigt haben. Dies gilt auch für die Leitprojekte des Bundes sowie entsprechende Programme der Länder. Ziel sollte es sein, die bereits vorhandenen Ansätze medialer Lehr-Lern-Systeme zu unterstützen, neue Entwicklungen auf diesem Gebiet zu initiieren und Qualitätsstandards zu sichern. Die Trägerschaft für ein solches Programm könnte im Rahmen der Schwerpunktförderung in gemeinsamer Bund-Länder-Verantwortung unter Beteiligung der Hochschulen, aber auch nach dem Grundsatz einer private-public-partnership organisiert und einer bestehenden Wissenschaftsorganisation mit engem Kontakt zur Hochschullehre übertragen werden. Die HRK hat sich bereit erklärt, im Rahmen einer solchen Förderstruktur verantwortlich mitzuwirken.
Neue Medien werden nicht in erster Linie das Lehrpersonal entlasten, sondern langfristig zu einer veränderten Rollenverteilung im Lehr-Lern-Prozeß führen. Größtenteils noch ungeklärt sind in diesem Zusammenhang die kapazitätsrechtlichen Auswirkungen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß im Vergleich zu herkömmlichen Lehreinheiten der Entwicklungsaufwand um den Faktor 50 bis 100 höher liegt.
Angesichts der bereits bestehenden Belastungen der Hochschulen und der finanziellen Engpässe hat die HRK der Versuchung widerstanden, weiterreichende Szenarien zu entwerfen und bewußt die pragmatischen Aspekte der Medienentwicklung für die Hochschullehre in den Vordergrund gerückt. Dabei war die Überlegung maßgebend, daß es für die Hochschulen in der gegenwärtigen Phase darauf ankommt, in einem mittelfristigen Handlungsrahmen alltagstaugliche Konzepte mediengestützter Lehre zu entwickeln. Realistische Konzepte müssen mindestens drei Bedingungen erfüllen: sie müssen technisch machbar, sie müssen finanzierbar und sie müssen politisch durchsetzbar sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Prof. Dr. Rainer Künzel