daß diese Tagung von Rektorenkonferenz, Forschungsgemeinschaft Bibliotheksverband
und ZKI gemeinsam veranstaltet wird, befriedigt mich zutiefst. Offenbar
dringt nun die Erkenntnis durch, daß die strukturverändernden Wirkungen, die die
Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) in die
Hochschulen bringen, nur in enger Zusammenarbeit zwischen DV-Spezialisten, IuK-
Dienste-Vermittler, Fachwissenschaftler und Hochschulleitung fruchtbar umgesetzt
werden können. Unter Dienste-Vermittlern verstehe ich hier diejenigen Einrichtungen,
die Studenten und Fachwissenschaftler in bestimmten IuK-Anwendungen unterstützen,
also Bibliothek, das Zentrum für Sprachkommunikation, das Medienzentrum und die
Anwendungsberatung des Rechenzentrums. Das Zusammenwachsen der
Aufgabenfelder erfordert eine wesentlich engere Zusammenarbeit dieser Einrichtungen
als bisher. Deshalb müssen die Hochschulleitungen dafür geeignete organisatorische
Rahmenbedingungen schaffen.
Bei der Beurteilung des Standes, den die Informations- und Kommunikationstechnik in
der deutschen Wissenschaft erreicht hat, können folgende Feststellungen getroffen
werden:
- In allen Wissenschaftseinrichtungen wurden in den letzten Jahren lokale Netze
eingerichtet und kontinuierlich ausgebaut.
- Die lokalen Netze der Institutionen sind an ein nationales Backbone, das B-WIN
angeschlossen. Die gesamte Transportkapazität dieses Backbone wurde in den
letzten beiden Jahren entscheidend verbessert, ebenso wurden die möglichen
Übertragungsraten der Anschlüsse stark diversifiziert und nach oben in den
Breitbandbereich hinein erweitert.
- Damit sind die Voraussetzungen für wichtige neue Netzanwendungen geschaffen.
Diese werden in einer Vielzahl von Entwicklungsprojekten zügig vorangetrieben
und führen dazu, daß das Netz als Forschungsinfrastruktur ständig auch qualitativ
an Bedeutung gewinnt.
- Die Kommunikationstechnik findet im Wissenschaftsbereich hohe Akzeptanz, die
sich an den exponentiell wachsenden Netzlasten ablesen läßt.
- Die Wissenschaft ist anderen Bereichen, etwa der Industrie, dem Handwerk oder
den Behörden hinsichtlich Verfügbarkeit und Nutzung von Kommunikationstechnik
noch ein gutes Stück voraus. Allerdings ist auch in den genannten Bereichen
Aufbruchsstimmung festzustellen.
- Die Wissenschaft ist sowohl bezüglich der Grundlagen wie auch der Anwendungen
an der zügigen technischen Entwicklung der Kommunikationstechnik unmittelbar
beteiligt und erfüllt damit in einer Schlüsseltechnologie eine wichtige
volkswirtschaftliche Aufgabe zur Stärkung der Marktposition der Bundesrepublik
und ihrer Standortqualität.
- Das starke Wachstum der elektronischen Kommunikation wird noch lange anhalten.
Deshalb muß die Netztechnik in den nächsten zwei bis vier Jahren erneut einen
Innovationsschub in die Gb-Technologie hinein vollziehen.
- Die gemischte Finanzierung der Netztechnik, nämlich
a) im regionalen Bereich durch die Länder (plus HBFG),
b) der Entwicklungskosten und der Anschubfinanzierung durch den Bundesforschungsminister
hat sich bewährt und sollte fortgesetzt werden.
Diese erfreuliche Bilanz ist zwar grundsätzlich zutreffend. Sie beschreibt aber nur die
Rahmenbedingungen, unter denen IuK heute in der Wissenschaft eingesetzt wird. Sie
sagt noch nichts darüber aus, welchen Nutzen diese Infrastruktur für Lehre und
Forschung tatsächlich konkret erbringt. Darum geht es aber gerade, wenn wir IuK nicht
selbst als Forschungsgegenstand betrachten wollen.
Es ist also die Frage zu untersuchen:
Wird Forschenden, Lehrenden und Lernenden an je ihrem Arbeitsplatz die
Unterstützung zuteil, die Informations- und Kommunikationstechnik aufgrund
des erreichten und soeben skizzierten Standes heute zu leisten vermag?
Die Frage ist in Abhängigkeit z. B. vom Arbeitsfeld, vom Stand der technischen
Vorkenntnisse, aber auch von Hochschule zu Hochschule natürlich sehr differenziert
zu beantworten. Ich möchte aus Sicht des Anwenders einige offene Anforderungen von
genereller Bedeutung ansprechen. Dabei gliedere ich die Wünsche danach, an wen sie
sich primär richten, in drei Gruppen:
1. Anforderungen an die technische Unterstützung vor Ort
2. Anforderungen an neue IuK-Dienste
3. Organisatorisch-rechtliche Anforderungen.
Dieser Katalog ist nicht vollständig. Ich habe diese Komplexe gewählt, weil daran
verdeutlicht werden kann, daß die Probleme nur in enger Kooperation von Anwender,
Management, Netzanbieter und Betreuer, keineswegs etwa alleine durch eine Gruppe,
z. B. die Rechenzentren gelöst werden können.
1. Anforderungen an die technische Unterstützung vor Ort
Die Inanspruchnahme von IuK-Diensten ist sehr ungleichmäßig über die
wissenschaftlichen Disziplinen an unseren Hochschulen verteilt. In
Naturwissenschaft und Technik werden die angebotenen
Kommunikationsressourcen im allgemeinen voll genutzt. Sobald neue Dienste und
Bandbreiten angeboten werden, entstehen auch neue Anwendungen. Dies gilt in
ähnlicher Weise auch noch für die Bereiche der Sozial- und
Wirtschaftswissenschaften, der Medizin und der Angewandten Mathematik. In
manchen anderen Disziplinen ist die Anwendung der Informationstechnik bisher
kaum über die Textverarbeitung hinaus gewachsen. Das kann nicht damit erklärt
werden, daß etwa kein Bedarf bestände. Es ist nicht einzusehen, warum die
Massenanwendungen elektronischer Kommunikation, also Electronic Mail, News
und ähnliches fachspezifisch signifikant unterschiedlich sein sollten. Dasselbe gilt
für Informationsrecherchen aller Art, insbesondere aber für Literaturrecherchen.
Auch mangelnde Endgeräteausstattung kann nicht die alleinige Ursache dafür sein,
daß die Geisteswissenschaften mit mehr als 25 % der wissenschaftlichen Population
nur weniger als 5 % der Netzlast erzeugen.
Offenbar orientiert sich das Betreuungsangebot (Texte, Beratung, Kurse) an einem
Anwender mit Vorkenntnissen, die in manchen Bereichen nicht gegeben sind. Dies
ist natürlich auch ein Generationenproblem und erledigt sich insofern in ca. 20
Jahren von selbst. Aber auch danach wird es den Anwender mit einheitlichem
Bedürfnisprofil nicht geben. Mit wachsender Abhängigkeit aller Disziplinen von
einer permanent verfügbaren IuK-Infrastruktur wird deshalb auch eine (nahezu)
permanente und stärker an fachlichen Bedürfnissen orientierte Unterstützung
aufgebaut werden müssen. Dies ist eine Forderung, die zwischen allen Vermittlern
von IuK-Diensten koordiniert werden sollte. Die Florida Atlantic University (FAU)
hat eine solche Struktur schon vor Jahren vorbildlich aufgebaut. Daß dies nicht ohne
personelle Konsequenzen und damit nicht ohne Beteiligung des Managements
möglich ist, versteht sich von selbst.
2. Anforderungen an neue IuK-Dienste
Für neue IuK-Dienste ist typisch, daß sie im Rahmen komplexer
Anwendungsszenarien eingesetzt werden. Zum Beispiel sollten Videokonferenzen
Zusatzdienste umfeldabhängig anbieten, etwa
- automatische Protokollerzeugung und automatischen Versand (im Bereich
teleconsulting)
- Zugriff auf fachspezifische MM-Datenbanken
- Editorfunktionen (im Bereich telepublishing)
Bekannte einfache tools werden zu komplexen Diensten integriert. Diese werden
umso eher angenommen, je mehr sie den traditionellen Arbeitsablauf in der
jeweiligen Umgebung simulieren. Die Akzeptanz von IuK-Diensten wäre in den
Geisteswissenschaften wesentlich höher, wenn die klassischen Arbeitsmaterialien
(ältere Literatur, Urkunden, Siegel, Funde, Landkarten u. a.) über MM-Archive nach
simulierten herkömmlichen Methoden (Findbücher) erschlossen wären.
Die Entwicklung solcher komplexen Dienste ist nur auf nationaler Ebene oder in
europäischen Programmen möglich. Der DFN-Verein hat dabei die Aufgabe,
Projekte anzuregen und die Verbindung zum Anwender schon im
Entwicklungsstadium sicherzustellen. Die Einführung als Regeldienst setzt
allerdings voraus, daß lokale Beratungskompetenz verfügbar ist. Diese könnte auch
durch Vertreter eines Anwendungsbereichs erbracht werden.
Neue IuK-Dienste verlangen also wiederum die Zusammenarbeit mehrerer Partner
vom Anwender über die lokalen zentralen Einrichtungen bis zum globalen
Netzmanagement.
Bedarf an neuen IuK-Diensten besteht in vielfältiger Weise. Einige Beispiele:
- Werkzeuge für interaktives Arbeiten auf verteilten Hochleistungsrechnern mit
Integration von hochentwickelten Visualisierungstechniken (virtual reality)
- MM-Archivsysteme mit der Funktion Online-Repräsentation (wird benötigt in
Szenarien für teleteaching, teleconsulting u. a.)
- Neue Werkzeuge zur Nutzung von Informationsressourcen. (Recherchen über
Suchmaschinen sind bekanntermaßen bisher unbefriedigend. Fachspezifische
Informationsdienste sind in einigen Bereichen (Mathematik, Chemie,
Forschungsförderungsreferate) im Aufbau)
- Videoconference mit umfeldabhängigen Zusatzfunktionen und/oder Benutzerschnittstelle
- integrierte neue Mailtechniken, insbesondere in Verbindung mit MMM.
Eine gute Koordinierung der Entwicklungsvorhaben und wo möglich eine
Einordnung in europäische Programme ist eine Aufgabe, die viel Aufwand und
einen vollständigen Überblick, auch bzgl. der Programme in anderen Ländern
erfordert. Dieses Know-how kann nur zentral vorgehalten werden. Die
diesbezüglichen Anforderungen richten sich deshalb an den DFN-Verein.
3. Organisatorisch-rechtliche Anforderungen
Der Wissenschaftler hat heute kaum eine andere Wahl als seinen gesamten
Arbeitsertrag von den Meßdaten bis zur fertigen Publikation und ebenso seine
persönlichen Daten dem lokalen Client-Server-System anzuvertrauen. Er muß
deshalb erwarten können, daß seine Daten vor Verlust und unberechtigtem Zugriff
geschützt sind und daß ihm selbst zuverlässige Verhaltensmaßregeln zum Schutz
vor Gefährdungen bei der Verarbeitung der Daten an die Hand gegeben werden. Er
erwartet also, daß seine Hochschule ein umfassendes Datensicherheitssystem
unterhält. Einzelne Schutzmaßnahmen, die meist noch nicht einmal systematisch
überwacht werden, haben hier nur Alibifunktion.
Ein integriertes Sicherheitssystem besteht aus einer Vielzahl von Komponenten, die
sorgfältig aufeinander abgestimmt sind, die regelmäßig überwacht und technisch
weiterentwickelt werden. Die Zuständigkeit und Verhaltensvorgaben aller
Netzbenutzer müssen schriftlich und verbindlich geregelt sein. Ein solches
Sicherheitssystem kann nur von der Hochschulleitung organisiert werden. Auch hier
sind allerdings Beiträge von mehreren Partnern zu erbringen. Das
Sicherheitskonzept kann technisch nur von Netzfachleuten verantwortet werden. Die
Überwachung der Sicherheitsregeln kann nur teilweise zentral erfolgen. Deshalb
müssen alle Fachbereiche und zentralen Einrichtungen aktiv in das Konzept
eingebunden sein. Eine weitere Anforderung in diesem Zusammenhang besteht
darin, daß künftig zusätzlich Sicherheitskomponenten direkt in komplexe
Anwendungen integriert werden müssen.
Auch bezüglich der im Netz frei zugänglichen Informationsmengen sind gesetzlich
geregelte Rechte umd Pflichten zu beachten. Man kann nicht erwarten, daß der
Student oder Wissenschaftler hierin sachkundig ist. Er erwartet vielmehr, daß er
über die wichtigsten Verhaltensregeln im Netz aufgeklärt wird und im Bedarfsfalle
eine kompetente Beratungsstelle in Anspruch nehmen kann. Der DFN-Verein hat
über die Rechtslage ein ausführliches Gutachten erstellen lassen. Ich habe darüber
in der Rektorenkonferenz berichtet. Eine Kurzfassung des Gutachtens wurde allen
Hochschulleitungen zugestellt. Es zeigt sich, daß die Haftungsproblematik im
Internet das Urheberrecht, das Wettbewerbsrecht, das Vertragsrecht und das
Strafrecht berührt. Zum Beispiel sind folgende Fragen zu klären:
- Wer trägt die Verantwortung für die Informationen auf Servern?
- Wer besitzt dasUrheberrecht für Lehrveranstaltungen im Sinne von teleteaching?
- Wie verteilt sich die Verantwortung zwischen Autor und Hochschule für die
Daten, die vom Hochschulnetz ins Internet eingebracht werden?
Die Materie ist, wie man sieht, sehr komplex. Es sind längst nicht alle offenen
Fragen eindeutig beantwortbar. Deshalb braucht der Benutzer des Netzes Regeln,
die ihn wenigstens vor den gröbsten unbeabsichtigten Verstößen oder umgekehrt als
Autor vor schwerem Schaden bewahren. Ich habe den Eindruck, daß die deutsche
Rechtssprechung von den zunehmenden Schadensmeldungen so sensibilisiert ist,
daß man geradezu nach Musterprozessen sucht. Zumindest ist klar, daß die
Hochschulen sich mit der Rechtslage befassen müssen.