Im Rahmen dieser Arbeit konnte die Röntgenkristallstruktur der 5'-Nucleotidase (5'-NT) aus Escherichia coli mit der Methode des multiplen isomorphen Ersatzes und der multiplen anomalen Dispersion bis zu einer maximalen Auflösung von 1.7 Å gelöst werden. Die 5'-NT besteht aus zwei Domänen, welche über eine lange a
-Helix verbunden sind. Das aktive Zentrum befindet sich in einer Spalte zwischen den beiden Domänen. Während die größere N-terminale Domäne, welche die Metalliganden enthält, eine starke Ähnlichkeit zu anderen bereits aufgeklärten Strukturen von Metallophosphoesterasen mit Dimetallzentrum aufweist, wie den Ser/Thr-Proteinphosphatasen, dem Calcineurin und den violetten sauren Phosphatasen, so erscheint die Tertiärstruktur der C-terminalen Domäne einzigartig zu sein. Eine Überlagerung der Liganden des aktiven Zentrums der 5'-NT, der violetten Phosphatase, der Proteinphosphatase 1 und der Proteinphosphatase 2B zeigt, daß die konservierten Metalliganden und das katalytische His-117 sehr gut mit identischen Konformationen überlagern.
Strukturen von insgesamt vier unterschiedlichen Kristallformen wurden analysiert, in denen die 5'-NT unterschiedliche Konformationen besitzt in Bezug auf die relativen Orien-tierungen der zwei Domänen. Die C-terminale Domäne ist in den Kristallformen III und IV um bis zu 96° relativ zu ihrer Orientierung in den Kristallformen I und II rotiert. Die Bindung von Substrat und Substrat-analogen Verbindungen an beide Enzymformen unterstellt die Vermutung, daß es sich bei den Kristallformen I und II um eine inaktive Form des Enzyms handelt, da das Substrat etwa 20 Å entfernt vom aktiven Zentrum bindet. Dagegen enthalten die Kristalle III und IV das Enzym in seiner aktiven Konformation. Die 5'-Nucleotidase wurde in der aktiven Konformation als Kokristallkomplex mit Adenosin und Phosphat (Kristallform III) sowie mit dem Inhibitor a
,b
-Methylen-ADP (Kristallform IV) analysiert. In dieser Konformation binden Adenosin und Phosphat bzw. der Inhibitor am aktiven Zentrum.
Der vorgeschlagene Reaktionsmechanismus geht von einem Michaelis-Komplex aus, bei dem ein Wassermolekül die Rolle des am Phosphor angreifenden Nucleophils übernimmt. Der Substratbindungsmodus stützt sich im wesentlichen auf die strukturell beobachtete Anbindung von a
,b
-Methylen-ADP an die 5'-NT. Die Umsetzung des Substrats verläuft über einen Übergangszustand nach einem inline-Mechanismus, der mit einer Inversion der Konfiguration am Phosphoratom verbunden ist. Somit muß der Produktkomplex einen anderen Bindungsmodus der Phosphatgruppe aufweisen als der Substratkomplex.
Die in den 5'-NT Strukturen beobachtete relative Rotation der N- und C-terminalen Domänen um 96° beschreibt eine erstmalig beobachtete Art der Domänenbewegung, wobei die kleinere C-terminale Domäne annähernd um ihren Massenschwerpunkt rotiert. Dabei bewegen sich die Reste des Domäneninterfaces hauptsächlich in Richtung des Interfaces. Diese Art der Domänenrotation unterscheidet sich wesentlich von der klassischen gelenkartigen Domänenschließbewegung, bei der sich die Substrat- oder Liganden-Bindungsspalte zwischen den beiden Domänen öffnet, wobei sich die Aminosäuren in der Spalte vor allem senkrecht zum Domäneninterface bewegen.
Da ein Primärsequenzvergleich mit anderen bakteriellen und tierischen 5'-NTs viele konservierte Regionen aufweist, die sich besonders in der N-terminalen Domäne in Bereichen der Liganden des aktiven Zentrums befinden, handelt es sich bei der 5'-NT aus E. coli wahrscheinlich um ein gutes Modell für die noch unaufgeklärten Strukturen anderer 5'-NTs. Die anderen 5'-NTs sind sehr wahrscheinlich ebenfalls aus zwei Domänen aufgebaut, die vielleicht auch eine Domänenrotation zur Kontrolle des Katalysemechanismus besitzen.