Zusammenfassung
In dieser Arbeit werden Ladungsaustausch und Elektron-Positron
Paarerzeugung in relativistischen Stößen schwerer Ionen theoretisch
untersucht.
Dabei werden periphere Stöße von Schwerionen betrachtet, auch als
atomare Stöße bezeichnet, bei denen die Atomkerne unverändert bleiben.
Bei solchen Stößen ist der minimale Kernabstand beim Stoß genügend
groß, so daß die starke Wechselwirkung der Kerne untereinander nicht
von Bedeutung ist.
Der theoretische Zugang beruht auf einer semiklassischen Näherung. Die
Bewegung der Atomkerne, welche als klassische Ladungsverteilungen
angesehen werden, wird durch relativistische klassische Trajektorien
beschrieben, die Dynamik der Elektronen dagegen durch die
Quantentheorie.
Wir betrachten Stoßsysteme mit Kernladungszahlen zwischen Z=66 und
Z=92 bei Stoßenergien von etwa 1 GeV/Nukleon kinetischer Energie
im Ruhesystem eines Stoßpartners. Für solche Systeme ist eine
relativistische quantentheoretische Beschreibung der Elektronen- und
Positronen-Dynamik notwendig und gegeben durch die
Zwei-Zentren-Dirac-Gleichung. Experimentell können derartige Stöße
untersucht werden seitdem entsprechende Schwerionen und Energien in
Beschleunigeranlagen zur Verfügung stehen, wie z.B. in Berkeley seit
Mitte der achtziger Jahre.
Die nicht-störungstheoretische Lösung der zeitabhängigen
Zwei-Zentren-Dirac-Gleichung ist Hauptgegenstand der vorliegenden
Arbeit. Nach einer Einführung in dieses Modell relativistischer
atomarer Stöße wird in Kapitel 3 eine
relativistische Vielkanal-Streutheorie der
Zwei-Zentren-Dirac-Gleichung formuliert und untersucht. Für eine
Klasse von Zwei-Zentren-Dirac-Gleichungen mit abgeschirmten
Kernladungen werden die asymptotische Konvergenz und die
relativistische Invarianz der Anregungs- und
Ladungstransfer-Amplituden nachgewiesen.
Zur numerischen Lösung der Gleichung wird die Methode der gekoppelten
Kanäle herangezogen (siehe Kapitel 4). Im
Vergleich zu früheren numerischen Rechnungen dieser Art erlaubt der
für diese Arbeit neu erstellte numerische Code (siehe Anhang
A) erstmals die Lösung der
gekoppelte-Kanäle-Gleichungen in einer Vielzahl unterschiedlicher
Lorentz-Bezugssysteme. Dadurch kann unter anderem erstmals die
Verletzung der Lorentz-Invarianz aufgrund des Lösungsansatzes studiert
und die Genauigkeit der Ergebnisse beurteilt werden (siehe Kapitel
6). Es zeigt sich durchgehend, daß die
Verwendung von sogenannten Coulomb-verzerrten Basisfunktionen die
Bezugssystem-Abhängigkeit der numerischen Ergebnisse deutlich
vermindert. Eine weitere Neuerung der hier vorgestellten Rechnungen
stellt die benutzte gekoppelte-Kanäle-Basis dar. Unterschiedliche
Ansätze früherer Arbeiten werden in Form einer bezüglich der Zentren
symmetrischen Basis vereinheitlicht, welche gleichzeitig freie
Teilchen beschreiben kann.
Es werden numerische Ergebnisse zum relativistischen
Elektronentransfer präsentiert. Wir beginnen mit Rechnungen, die
publizierte theoretische Resultate zu diesem Prozeß bestätigen.
Darüber hinaus wird erstmalig die Ladungszahl- und
Stoßenergie-Abhängigkeit des totalen
Ladungstransfer-Wirkungsquerschnittes nicht-störungstheoretisch
untersucht. Die berechneten Ergebnisse sind in qualitativer
Übereinstimmung mit den experimentellen Daten für schwere Stoßsysteme.
Sie unterscheiden sich aber deutlich von den entsprechenden
parametrischen Abhängigkeiten, wie sie von Störungstheorien für höhere
Stoßenergien vorrausgesagt werden.
Desweiteren betrachten wir gebunden-freie Paarerzeugung, d.h. den
Prozeß, in dem ein Elektron in einem gebundenen Zustand und ein
Positron in einem freien Zustand erzeugt werden.
Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt hierbei auf einem
qualitativen Verständnis der Verwendung einer bezüglich der
Stoßpartner symmetrischen Basis von Positronen-Zuständen. In der
Literatur wird bislang ausschließlich eine unsymmetrische Beschreibung
verwendet, was numerisch einfacher zu behandeln ist. Darüber hinaus
wurde auch für den Paarerzeugungsprozeß erstmals die Abhängigkeit der
numerischen Ergebnisse vom Lorentz-Bezugssystem untersucht. Diese
Abhängigkeit erwies sich als sehr ausgeprägt. Aufgrund dieser Tatsache
ergibt sich ein vorerst uneinheitliches Bild bezüglich der Frage, ob
eine symmetrischen Basis zur Beschreibung des Paarerzeugungs-Prozesses
bei mittleren relativistischen Stoßenergien notwendig ist. Das ist
allerdings der Fall für die numerischen Rechnungen im Collider-System,
die nicht nur dadurch ausgezeichnet sind, daß eine Symmetrie der
exakten Streutheorie erhalten ist, sondern auch dadurch, daß sie den
experimentellen Befunden am nächsten kommen.
Schließlich wird durch numerische Rechnungen die Vermutung bestätigt,
daß die Abhängigkeit der berechneten
Ladungstransfer-Wahrscheinlichkeiten vom Bezugssystem durch die
Hinzunahme von Basisfunktionen für freie Teilchen abgeschwächt wird. |