Zusammenfassung
Bei der Durchführung von Fall-Kontroll-Studien wird seit
langem das Probandeninterview zur Erfassung einer möglichen Exposition
herangezogen. Insbesondere bei lange zurückliegender Exposition kann eine
Verzerrung der Erinnerung allerdings nicht ausgeschlossen werden.
Die bisher durchgeführten Validierungsstudien über
Interviewdaten zur Nutzung oraler Kontrazeptiva lassen annehmen, daß die Erinnerung
für die Risikoschätzung hinsichtlich der Jemals-Nutzung und der Dauer der
Nutzung oraler Kontrazeptiva im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie ausreichend
gut ist. Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lagen bisher noch keine
solche Validierungsdaten vor.
Die vorliegende Studie sollte zur Einschätzung der
Qualität der Daten dienen, die im Rahmen der multizentrischen Lebertumor-Studie
(MILTS) durch ein standardisiertes Probandeninterview zur Nutzung oraler
Kontrazeptiva für den deutschen Raum erhoben worden sind. Im besonderen sollte auch
untersucht werden, ob eine zu Beginn des MILTS-Projektes stattgehabte
ausführliche Berichterstattung in den Medien über eine potentielle
leberkrebserzeugende Wirkung von Cyproteronacetat Einfluß auf die Erinnerung der Probandin
hatte. Die Validierung der Interviewangaben zur Nutzung oraler Kontrazeptiva
erfolgte anhand von Informationen aus der Krankenakte des orale Kontrazeptiva
verschreibenden Arztes.
Die vorgestellten Ergebnisse lassen annehmen, daß auch
die Frauen in Deutschland die lebenslange Einnahme oraler Kontrazeptiva für die
Risikoeinschätzung eines seltenen Ereignisses, wie zum Beispiel dem
Leberkarzinom, im Rahmen von Fall-Kontroll-Studien ausreichend gut erinnern. Sowohl
die Übereinstimmung zur Jemals-Nutzung in den validierten Zeitabschnitten als
auch die Übereinstimmung zur Dauer der Nutzung oraler Kontrazeptiva waren
gut. Eine unterschiedliche Erinnerung für Fälle und Kontrollen war nicht zu
erkennen. Weniger gut war die Übereinstimmung hinsichtlich der genutzten Marken,
das galt besonders für Stellvertreter.
Obwohl die Zahl der Jemals-Nutzerinnen von
Cyproteronacetat nur sehr gering war, zeigten die Ergebnisse kein Grund zu der Annahme, daß
eine verzerrte Erinnerung der Einnahme cyproteronacetathaltiger oraler
Kontrazeptiva zu einer Unterschätzung des Risikos für Leberkrebs in der
multizentrischen Lebertumor-Studie geführt haben könnte. Es gibt dagegen Hinweise, daß
die Bereitschaft, an der Validierungsstudie teilzunehmen, durch die
Medienberichte positiv beeinflußt worden ist. Im Hinblick auf die Hauptstudie hätte
dies eher zu einer Überschätzung des Risikos beigetragen.
Generell kann jedoch bei der in Deutschland beobachteten
speziellen Situation der ärztlichen Versorgung, der Dokumentation und des
Datenschutzes die Durchführung von Validierungsstudien zur lebenslangen
Arzneimittelanamnese am Standard der ärztlich dokumentierten Verordnung nur dann
empfohlen werden, wenn eine sehr bedeutende Fragestellung vorliegt. Für eine
routinemäßige Validierung ist die deutsche Situation ungeeignet. Die Validierung
wird immer nur für lückenhafte Zeiträume möglich und mit hohen Kosten
verbunden sein. |