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FU Berlin
Digitale Dissertation

Ralf Grötker :
Moral(theorie)kritik und Ethische Skepsis
Zur Rationalität von moralischen Überzeugungen und Konzepten des guten Lebens
The Critic of Morality and Ethical Scepticism

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|Zusammenfassung| |Inhaltsverzeichnis| |Ergänzende Angaben|

Zusammenfassung

Moral(theorie)kritik und ethische Skepsis: Abstract Bei der Moral geht es um das richtige Handeln. Ethik hingegen hat mit dem guten Leben zu tun. Manchmal scheinen Moral und Ethik miteinander zu konkurrieren: Das Streben nach dem persönlichen Glück kann es manchmal verlangen, dass man moralische Regeln missachtet. Aber bestehen nicht auch Spannungen oder sogar Widersprüche innerhalb des moralischen Systems und innerhalb des ethischen Denkens? Genau dies behaupten Moralkritiker seit Nietzsche: Indem sie anscheinende Konflikte aufzeigen, stellen sie die Rationalität moralischer Prinzipien und ethischer Urteile insgesamt in Frage. Wie kann können Moraltheorie und Ethik dieser Herausforderung gerecht werden? Der erste Teil der Arbeit handelt von der Moral. Zumindest in der Philosophie ist der moralische Standpunkt oft mit der "unpersönlichen Perspektive" in Verbindung gebracht worden. Manche Philosophen sprechen hier von einem "unparteilichen" oder einem "universalen" Standpunkt. Wenn wir moralisch urteilen, dann geht es uns nicht um die Belange einer besonderen Person (zum Beispiel um uns selbst), sondern um die Allgemeinheit. Das zumindest meinen die Moralphilosophen in der kantianischen Tradition. Ihnen zufolge müssen wir beim moralischen Urteil von unserem sozialen Status, unserer ethnischen Herkunft, unserem Geschlecht, Alter und unseren körperlichen Fähigkeiten abstrahieren. Das Resultat ist ein Standpunkt der Überlegung, von dem aus Kandidaten für moralische Regeln beurteilt werden können. Nur solche Regeln bestehen den Test, denen jeder zustimmen kann - unbeachtet seiner ethnischen oder sozialen Herkunft, seines Geschlechts, Alters oder seiner körperlichen Fähigkeiten. In letzter Zeit ist diese Konzeption einer unparteilichen Moral in Bezug auf so genannte "subjektrelative" ("agent-relative") moralische Direktiven kritisiert worden. Der Kern des Einwandes greift auf eine phänomenologische Beobachtung zurück, die vor allem von Thomas Nagel in die Diskussion gebracht worden ist. Nagel hat Fälle ausgemacht, in denen moralische Gründe in einer merkwürdigen Weise "individualisiert" werden. Mit Nagel unterscheide ich zwischen drei Fällen von moralisch relevanten "subjektrelativen" Gründen oder Handlungsregeln, die drei Gruppen von Phänomenen betreffen: Skrupel, persönliche Beziehungen und private Projekte. a) Was die Skrupel anbelangt, spricht Nagel von (moralischen) Gründen, die "dagegen sprechen, dass man selbst etwas tut" nicht dagegen, "dass etwas bloß passiert" b) Hinsichtlich unserer persönlichen Beziehungen behauptet Nagel, dass wir "spezielle Verpflichtungen ... denen gegenüber hätten, denen wir eng verbunden sind". c) Bezüglich privater Projekte "wie etwa einer Besteigung des Kilimandscharos" ist von einer besonderen Verpflichtung die Rede, einem "persönlichen Grund" des Bergsteigers, den Kilimandscharo zu erklimmen. Obwohl es sich hier, wie Nagel argumentiert, in gewisser Hinsicht nicht nur um ein Bedürfnis handelt, sondern um eine Art Verpflichtung, kann dieser Handlungsgrund vom moralischen Standpunkt her nicht akzeptiert werden ganz im Gegensatz zu anderen moralischen Handlungsdirektiven: "Wenn ich schlimme Kopfschmerzen habe, dann hat jeder einen Grund zu wollen, dass diese aufhören. Aber wenn ich dringend auf den Kilimandscharo steigen will, dann hat überhaut nicht jeder einen Grund zu wollen, dass ich damit Erfolg habe." Formal betrachtet, gibt es in allen drei Fällen, "den Skrupeln, den persönlichen Verpflichtungen, und den privaten Projekten" einen Rückverweis auf den Akteur. Deshalb heißen Regeln, die z.B. fordern, dass jeder für seine eigenen (!) Kinder sorgen soll, "subjektrelative" Regeln, im Gegensatz zu "subjektneutralen" Handlungsregeln. Zu letzteren gehört etwa auch das Prinzip, dass jeder dafür sorgen soll, dass jedes Kind von den eigenen Eltern versorgt wird. In meiner Arbeit erörtere ich verschiedene Versuche, die Unterscheidung zwischen subjektrelativen und subjektneutralen Handlungsregeln schärfer zu definieren. Am Ende adoptiere ich - mit einigen Modifikationen - ein Modell, das von David McNaughton und Pierce Rawling in die Diskussion gebracht worden ist, und welches präziser und weniger problematisch ist als der ursprüngliche Vorschlag von Thomas Nagel oder andere Konzeptionen, wie zum Beispiel jene von Amartya Sen. Indem ich für die subjektrelativ/subjektneutral-Unterscheidung Partei ergreife, gelange ich in meiner Konklusion zu einem Dualismus moralischer Werte, ganz ähnlich Max Webers bekannter Unterscheidung zwischen "Gesinnungsethik" und "Verantwortungsethik". Mein Ziel ist es, zu zeigen, dass subjektrelative und subjektneutrale Handlungsdirektiven nicht unter ein und dasselbe Prinzip subsumiert werden können. Wenn man die moralische Relevanz subjektrelativer Regeln anerkennt, folgt daraus, dass die Moral des unpersönlichen Standpunktes unvollständig ist. Wenn man die moralischen Intuitionen beibehalten will, die mit den skizzierten Fällen von Skrupeln und der Sorge um die Angehörigen einhergehen, dann muss man zugeben, dass die Moral signifikante Ausnahmen zum Prinzip der Unpersönlichkeit erlaubt oder sogar gebietet. Aber aus dem Argument für die subjektrelativ/subjektneutral-Unterscheidung folgt noch mehr: Ich möchte zeigen, dass nicht nur die Moral des unpersönlichen Standpunktes, sondern jede denkbare Moraltheorie die Möglichkeit von echten Widersprüchen zwischen moralischen Handlungsdirektiven anerkennen muss. Um dieser Form von moralischem Dualismus einen theoretischen Hintergrund zu verschaffen, greife ich auf Bernard Williams' "internalistisches" Modell der Moralbegründung zurück. Dem Internalismus zu Folge sind alle Handlungsgründe, etwas zu tun, auch die moralischen Handlungsgründe, in Wünschen oder Proeinstellungen verwurzelt, so dass es falsch ist zu behaupten, jemanden hätte einen Grund, etwas zu tun, wenn er nicht auch einen entsprechenden Wunsch hat. Der zweite, kürzere Teil der Arbeit dreht sich um die Rationalität von ethischen Urteilen, d.h., Antworten auf die Frage, wie man leben soll. Verschiedene Einwände, die ethischen Skeptikern aufgebracht worden sind, werden hier erörtert. Mein Hauptziel ist es zu klären, in welchem Ausmaß diese Einwände gegen Theorien des guten Lebens die Rationalität der Ethik insgesamt in Frage stellen. Ich versuche zu zeigen, dass selbst wenn man davon ausgeht, dass ethische Beurteilungen im allgemeinen nur innerhalb eines Rahmens von "dichten Prädikaten" und "starken Wertungen" möglich sind, welche von einer kulturellen Gemeinschaft geteilt werden und daher intersubjektiv sind, es immer noch genügend Raum für individuelle Idiosynkrasien in besonderen Fällen gibt. Andere Fragen, mit denen ich mich auseinandersetze, befassen sich mit dem von David Wiggins so genannten "ethischen Nihilismus" (einer Art von Skepsis, die behauptet, dass das Leben schlechthin keinen Sinn hätte) und Nietzsches Kritik der Glücksmoral, genauer: der Frage, inwiefern Konzepte des guten Lebens überhaupt auf einen Kernbegriff wie den des Glücks zurückgeführt werden können. Das letzte Kapitel befasst sich mit der romantischen Skepsis gegenüber dem Ideal prudentieller Kalkulation: Gibt es möglicherweise Momente im Leben "Momente des Glücks, der Liebe oder der mystischen oder religiösen Versenkung, oder auch Drogenerfahrungen" deren Wert nicht angemessen erklärt werden kann in Bezug darauf, was diese Momente für ein gelungenes Leben im ganzen beizutragen vermögen. Ich versuche zu zeigen, die Autorität solcher Glücksmomente nicht auf irgendeine Form von prudentieller Kalkulation zurückgeführt werden kann. Trotzdem setzen solche Erfahrungen voraus, dass ethische Urteile gewöhnlicherweise Bezug auf das ganze menschliche Leben nehmen. Episodenhaftes Glück kann deshalb so überwältigend sein, weil es über diesen alltäglichen Beurteilungsrahmen hinausweist. Die Konklusion des zweiten Teils der Arbeit lautet deshalb, dass die Einwände der ethischen Skeptiker lediglich zu Folge haben, dass die Bandbreite ethischen Überlegens verbreitert werden muss, die Rationalität der Ethik bleibt deshalb dennoch im Grunde intakt.

Inhaltsverzeichnis

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Titelblatt

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Teil I: Moral(Theorie)Kritik

3. Kritik am Unpersönlichkeitsideal

4. Praktische Gründe

5. Persönliche Gründe

6. Agent-Relativity

7. Zwei Perspektiven

8. "Nur eine einzige Verpflichtung"

9. Rationalität und Wünsche

10. Zusammenfassung Teil I

11. Die ethische Frage

12. Ethische Selbstvergewisserung

13. Der ethische Nihilismus

14. Skepsis am Glückskonkretismus

15. Augenblicksglückseligkeit

16. Zusammenfassung Teil II

Bibliographie


Ergänzende Angaben:

Online-Adresse: http://www.diss.fu-berlin.de/2001/59/index.html
Sprache: Deutsch
Keywords: Agent-Relativity; Thomas Nagel; Moral Dualism
DNB-Sachgruppe: 10 Philosophie
Datum der Disputation: 12-May-2000
Entstanden am: Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften, Freie Universität Berlin
Erster Gutachter: Prof. Dr. Ursula Wolf
Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Jay Wallace
Kontakt (Verfasser): groetker@web.de
Kontakt (Betreuer): ursula.wolf@phil.uni-mannheim.de
Abgabedatum:19-Apr-2001
Freigabedatum:27-Apr-2001

 


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