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FU Berlin
Digitale Dissertation

Gudrun Wegner :
Bluttabu - Tabuisierung des Lebens
Eine historisch-anthropologische Untersuchung zum Umgang mit dem Weiblichen von den griechischen Mythen bis zum Genzeitalter
Blood-Taboo: A Prohibition of Existence

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|Zusammenfassung| |Inhaltsverzeichnis| |Ergänzende Angaben|

Zusammenfassung

Die Untersuchung der gesellschaftlichen Relevanz des Bluttabus in seiner historischen und aktuellen Bedeutung basiert auf der Entdeckung einer für diese Gesellschaft typischen Verknüpfung der Tabuisierung der Materie/des Leibes sowie der Menstruation und des Weiblichen ganz allgemein. In dieser Gesellschaft herrscht ein Erkenntnisverbot was das Leiblich-Materielle-Weibliche anbelangt. Dies bringt eine allgemeine Verseuchung und Umwertung der Materie bzw. durch die Materie mit sich.

Durch den Zeugungsparadigmenwechsel der griechischen Metaphysik erfährt die Zeugung eine fundamentale Umwertung. Zeitgleich erfahrt die Frau durch die gedankliche Herausnahme des Lebens aus ihrem Uterus (Prometheusmythos) eine generelle Abwertung, die zu ihrer Negation auf der symbolischen Ebene führt. Mit dieser Streichung der weiblichen Zeugungskraft geht die Etablierung eines (Opfer)Bluttabus auf der einen Seite und einer Todesprojektion auf die Frau auf der anderen Seite einher. Das vormals Wiedergeburt und Apotheose verheißende weibliche Blut, dessen Paradigma das Menstruationsblut ist, erhält nun tödliche Seuchenqualität.

Der heutige Umgang mit Aids oder BSE zeigt die der symbolischen Ordnung der Moderne zugrunde liegende prinzipielle Minderbewertung bzw. den Seuchencharakter der Materie/des Weiblichen/des Blutes auf. Diese wird exemplarisch in der Pest-Ordnung des 17. Jahrhunderts verdeutlicht: Leben ist Tod, der Tod ist das Lebendige.

Die moderne Geschlechterdifferenz, die auf der antiken Ordnung der Tabuisierung und Abspaltung des Weiblichen beruht, und die bisher die Ordnung im Kern der Gesellschaft garantierte, wird durch die neue Ordnung der geschlechtslosen Gene, die nichts weiter als einen Wissenscode darstellen, obsolet und transformiert. Die Schnittstelle zwischen Antike und moderner Humangenetik ist die gedankliche Herausnahme des Lebens aus dem weiblichen Uterus, die Imagination der Schöpfung ohne die Frau.

Die Humangenetik, die ohne die antike Geist-Materie-Spaltung nicht zu denken ist, setzt dem Menschen eine Mangel voraus und versucht das Leben endgültig in den Griff zu nehmen. Ihr Ziel ist die Neuordnung des Selbst und die kontrollierte Lebensproduktion.

Das Bluttabu der Menstruation, negiertes Zeichen der Andersartigkeit der Frau und ihres Lebensquells, der ihr seit der Antike abgesprochen wird, ist der "unverdauliche" Rest, der nicht verwertbare "Abfall" einer Ordnung, die ihre Basis negiert. Diese Negation führt zu einer allgemeinen Entwertung des Materiellen und letztendlich des Lebens selbst.


Inhaltsverzeichnis

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Titel

Einleitung..................................................................................................................... 8

1. Kapitel

Blutindustrie und Seuchenproduktion....................................................................... 12

1. Einleitung.................................................................................................................. 12

2. Zur Dramaturgie eines Skandals................................................................................ 12

Exkurs: Blut aus medizinischer Sicht.............................................................................. 18

Der Umgang mit einem Tabu..................................................................................... 20

Auch Deutschland spielt mit...................................................................................... 22

Die UB-Plasma: eine exemplarische Geschichte......................................................... 25

3. Ängste...................................................................................................................... 29

Gesagt worden ist, man hätte Aids erfinden müssen, wenn es nicht gekommen wäre oder:
Die Durchseuchung des Geistes.................................................................................. 29

Die Medien und die Aidsphobie............................................................................... 30

4. Angst und Schuld - das Modell der Pest................................................................. 34

Metaphern............................................................................................................... 34

Verseuchtes Blut - verseuchtes Leben - verseuchte Körper....................................... 36

Disziplin und Kontrolle............................................................................................. 37

Das Ausschließungsritual der Lepra: der soziale Tod................................................. 37

Die Organisationsform der Lepra: Der Traum von den reinen Körpern...................... 39

Das Erbe der Lepra: Das Modell der Pest................................................................ 40

Eine Bewußtseinseuche............................................................................................ 41

Die Neuordnung des Raumes................................................................................... 42

Die Produktion von Wissen: Die Pest-Ordnung, der Gesundheitspaß und die Inquisition 43

Das Problem der Grenze.......................................................................................... 44

Die Aids-Ordnung: Enteignung der Körper............................................................ 45

5. Zusammenfassung..................................................................................................... 46

Die Objektivierung des Körpers............................................................................... 47

2. Kapitel

Mythos ....................................................................................................................... 48

1. Einleitung.................................................................................................................. 48

Die Logik des Patriarchats....................................................................................... 49

2. Der kulturgeschichtliche Bruch: Von der Opferordnung zur logosorientierten Ordnung 51

Die Rolle des Blutes................................................................................................. 53

3. Der Mythos von der verseuchten Büchse oder die patriarchale Neuordnung der Welt. 58

Der Zeugungsparadigmenwechsel im Mythos vom Feuerraub.................................... 59

Die Enteignung des Uterus und die Bewandtnis mit der verseuchten und verseuchenden Büchse     60

Die Auslöschung der Differenz durch ihre Tabuisierung.............................................. 63

4. Die Schwarzen Göttinnen und das Bluttabu................................................................ 64

Die Göttin der Wandlung - die Wandlung der Göttin................................................. 65

Der Doppelaspekt der Dämonin............................................................................... 67

Liliths Schwestern.................................................................................................... 70

Von Lamien, Epousen, Stringes und anderen weiblichen Tag- und Nachtgespenstern. 70

Der Rote Faden, das verleugnete, tabuisierte weibliche Blut...................................... 72

5. Der Zeugungsparadigmenwechsel, die Verdrängung der Göttin und der Muttermord... 74

Das Heilige Paar und die Entmachtung der Göttin...................................................... 74

Die Verdinglichung der Frau und der Warencharakter des Lebens............................. 78

Exkurs: Eine andere Mythologie.................................................................................... 80

6. Die Enthauptung der Medusa oder die Chancenlosigkeit der Frau in der patriarchalen Ordnung
ihren Kopf zu behalten................................................................................................. 85

Nur eine tote Frau ist eine gute Frau: die Ordnung des Geistes.................................. 88

7. Zusammenfassung: Die Verpestung der Materie durch den Geist................................ 93

3. Kapitel

Die Welt-Ordnung der Antike und die Geschlechterdifferenz................................ 97

1. Einleitung.................................................................................................................. 97

2. Die Aristotelische Zeugungslehre: das weibliche Mangelwesen................................... 99

Vorbemerkungen: Krisenzeit.................................................................................... 99

Die Aristotelische Zeugungslehre............................................................................ 100

Der Zweck heiligt die Mittel................................................................................... 102

Die Mystifizierung der Differenz durch ihre Rationalisierung..................................... 103

Kein Ort, keine eigene Stimme............................................................................... 104

Die Kehrseite der Medaille: Mythen und Märchen des Patriarchats......................... 104

Leib gegen Logos: die Ambivalenz des Weiblichen.................................................. 113

3. Wahrnehmung, Geist und Erkenntnis....................................................................... 114

Die Platonische Teilung der Welt als Konsequenz des Leib-Seele-Dualismus........... 115

Der Verlust der Gegenwart.................................................................................... 116

Platon als Vater der Abwertung des Leibes......................................................... 117

Die Zerteilung des Körpers bei Platon (das Dreiseelenmodell): der rationalisierte innere Raum118

Der neue Modell-Körper....................................................................................... 125

Exkurs: Das Ein-Geschlecht-Modell............................................................................ 126

Die männliche Ehre in Athen................................................................................... 128

Die Augen des Maulwurfs und die angebliche Minderwertigkeit der Frau................. 130

Die Flexibilität der Grenzen in der Säftelehre........................................................... 133

4. Die Konsequenz der Trennung von Körper und Geist: Das Leibesinnere als der verborgene und verbotene Raum   135

5. Zusammenfassung................................................................................................... 137

4. Kapitel

Der Hexenwahn - der Wahn der neuen Disziplinierungsmacht und ihrer Wissensproduktion  142

1. Einleitung................................................................................................................ 142

Die Auslöschung der Leiber................................................................................... 142

Die Frau - das Alien der Gesellschaft..................................................................... 146

Exkurs: Die Unterwerfung und die Vereinnahmung der Frau durch ihre (Re)-Mythisierung   146

2. Die Inszenierung des Hexensabbats......................................................................... 147

Die großen Verschwörungen.................................................................................. 148

Die Göttin und ihre Gesellschaft und der kirchliche Sabbatglaube............................. 150

Die Dämonisierung der Göttin und ihre Ersetzung durch den Teufel.......................... 152

Die ekstatische Komponente.................................................................................. 153

Alte schamanistische Praktiken............................................................................... 155

Die Entwertung des Weiblichen und der Kampf um die Fruchtbarkeit...................... 156

3. Die Hexen als die Anderen...................................................................................... 157

Die Frauenfrage des Mittelalters............................................................................. 160

Die Spaltung der Natur.......................................................................................... 162

Die Verdammung der Schönheit............................................................................. 163

Der Einbruch des Unheimlichen.............................................................................. 164

4. Der verseuchte Körper - das Gift der Menstruation - die Angst vor der Frau/Hexe.. 167

Die weibliche Anfälligkeit für Hexerei...................................................................... 170

Die Hemmung der Fruchtbarkeit durch den dämonischen Einfluß der Hexen............ 174

Exkurs: Aus Hebammen werden Hexen....................................................................... 175

Der Zerfall des Hexenwahns in der Aufklärung und die Verschiebung der Grenzen... 179

5. Mythen, Zaubermärchen und die Hexen.................................................................. 181

6. Zusammenfassung................................................................................................... 184

5. Kapitel

Die blutlose Geburt aus der Maschine oder

Der Beginn der zweiten Schöpfung......................................................................... 187

1. Einleitung................................................................................................................ 187

Die naturwissenschaftliche Erfindung des Menschen und seines Körpers und die Rolle der Vernunft     187

2. Die Neuordnung der Natur und der Leiber.............................................................. 189

Die Verdinglichung der Welt................................................................................... 192

3. Das alte Säftesystem, der beredte Leib und der stumme, moderne, tote Körper....... 193

Das Netz der Heilbeziehungen................................................................................ 196

Vias extraordinarias oder alles ist möglich............................................................... 200

Auch Männer menstruieren - Reminiszenzen an das Ein-Geschlecht-Modell..............202

Antike - Moderne - und die Schnittfläche im Jetzt................................................... 203

Das Blut der Frau in der alten Körper- und Weltordnung........................................ 207

Die Käse-Analogie............................................................................................. 208

4. Das Verschwinden des Leibes in der Moderne: Die Mechanisierung und Medizinierung der Körper..210

Der gerasterte Blick: Die Disziplinierung des Auges................................................. 212

Die Überwindung der inneren Natur....................................................................... 213

Der Verlust der Sinne............................................................................................. 215

Auge und camera obscura...................................................................................... 218

5. Die Harveysche Herzpumpe und der naturwissenschaftliche Kreislaufbegriff............ 220

Der Raub der weiblichen Potenz und das patriarchale Herz..................................... 221

Der Harveysche Vitalismus................................................................................... 224

Blut ist Leben......................................................................................................... 225

Descartes und die Schöpfung der wahren Wissenschaft......................................... 226

Konsequenzen....................................................................................................... 227

Der Tod des Leibes............................................................................................... 230

Die neue Linearität................................................................................................. 231

6. Zusammenfassung................................................................................................... 232

Blut ist Geld oder die verlorene Blutspur durch den modernen Lebensbegriff der Mechanik            232

6. Kapitel

Das Ende der Geschlechterdifferenz und die All-Macht der Gene oder
Die gentechnische Ersetzung der Bluts-Bande
....................................................................................................................... 236

1. Einleitung................................................................................................................ 236

2. Die medizinische und psychologische Sonderstellung der Frau in der Moderne......... 237

Moderne Grenzverschiebungen: Das Brechen der weiblichen Scham....................... 238

Das angebliche Wesen der Frau des 19. Jahrhunderts: Krankheit Frau................... 239

Exkurs: Die verseuchte Frau oder die krankhafte Menstruation.................................... 240

Menstruation und Hysterie: das ausgehende 19. Jahrhundert.................................... 242

Die Psychologie der Eierstöcke............................................................................. 242

Physiologische Geistesgestörtheit oder PMS?......................................................... 243

3. Der neue Typus der Macht und das Sexualitätsdispositiv.......................................... 243

Die ent-leibte Frau: Objekt und Ergebnis der modernen Medizin............................. 244

Eine Wirkweise der Macht: Die Hysterisierung der Frau im 19. Jahrhundert und die Auslöschung der Frau als Sexualwesen.............................................................................................................246

4. Die Genealogie des sexuellen Individuums und die Biomacht.................................... 249

Die Auslöschung der sexuellen Differenz durch die Verkoppelung von Wissen (Medizin, Technik, Biologie) und Politik...................................................................................................................... 251

Die Negation der Sexualität durch die Sexualisierung............................................... 253

Fazit: Die technische Ersetzung der Mutter durch die Entkoppelung von Sexualität und Fortpflanzung          255

5. Die Folgen der Ausweitung der Biomedizin............................................................. 257

Genetikerträume einst und jetzt............................................................................... 257

Von nun an sprechen die Gene............................................................................... 258

Das erste Verbrechen der Geschichte und die Opferung des Lebens selbst.............. 259

Der fragwürdige Umgang der Biomedizin mit dem Leben........................................ 261

Pränatale Diagnostik: Eugenik oder Rationale Lebensplanung?............................. 263

6. Die Produktion der unfruchtbaren Frau oder die endgültige Enteignung der weiblichen Gebärfähigkeit durch die Biomedizin................................................................................................................ 265

Das Schüren der Angst.......................................................................................... 266

Das Dilemma der Frauenbewegung: die patriarchale Falle?...................................... 267

Die kontrollierte Zeugung oder warum die Biotechnologie dem Leben nach dem Leben trachtet      269

Exkurs: Ich blute also bin ich....................................................................................... 270

Das fließende Blut als Ausweg?.............................................................................. 271

Ritzen als aktiver Prozess der Konfliktbewältigung.................................................. 271

Das Ritzen, die weibliche Sprachlosigkeit und die Ambivalenz................................. 273

Fazit...................................................................................................................... 273

7. Zusammenfassung: Die Allmacht der Gene............................................................. 275

Epilog

Das Ende des Körpers............................................................................................ 279

Literatur................................................................................................................... 284


Ergänzende Angaben:

Online-Adresse: http://www.diss.fu-berlin.de/2001/70/index.html
Sprache: Deutsch
Keywords: gender, blood taboo, myth, body, genetic engeneering
DNB-Sachgruppe: 14 Soziologie, Gesellschaft
Datum der Disputation: 29-Jan-2001
Entstanden am: Fachbereich Politik- u. Sozialwissenschaft, Freie Universität Berlin
Erster Gutachter: Prof. Dr. Gerburg Treusch-Dieter
Zweiter Gutachter: Dr. Frithjof Hager
Kontakt (Verfasser): wegner.g@gmx.de
Abgabedatum:28-Mar-2001
Freigabedatum:17-May-2001

 


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