Zusammenfassung
Denkmäler werden meistens als steinerne Objekte verstanden und gemäß ihrer plastischen Gestalt gedeutet. Wie aber ist ein Denkmal zu interpretieren, das entweder noch gar nicht existiert oder nur auf Blaupausen bzw. in den Köpfen seiner Initiatoren? Ziel der hier vorliegenden Untersuchung ist es, den politischen Entscheidungsprozeß vor der Errichtung von Denkmälern nachzuzeichnen, um so die damit verbundenen Motive und Intentionen einerseits als Sinnproduktion und andererseits als vorwegnehmende Rezeption zu deuten. Grundlage dieser Dissertation war deshalb die Beobachtung der tagespolitischen Auseinandersetzungen um zwei Denkmäler in Frankreich und Deutschland in Form von öffentlichen Debatten, die vor allem in Tageszeitungen ausgetragen wurden. Zum einen geht es um den Ort des früheren, nach dem Krieg niedergerissenen "Vél' d'Hiv'" (Vélodrome d'Hiver: Winterradsporthalle) in Paris, das zwischen 1992 und 1995 Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung war. Dieser Ort wurde nach dem Krieg zu einem zentralen symbolischen Bezugspunkt für die jüdische Gemeinschaft in Frankreich, da er am 16./17. Juli 1942 als Sammelplatz für Pariser Juden vor ihrer Deportation gedient hatte. Der Streit ging darum, ob der französische Präsident eine Gedenkrede halten sollte, in der er nicht nur an das Zusammentreiben von Juden in der Radsporthalle und deren Deportation erinnern, sondern sich auch zur Verantwortung des "französischen Staates" für die Judenverfolgungen während des zweiten Weltkrieges bekennen sollte. Zum anderen geht es um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das "Holocaust-Denkmal" in Berlin. Dieses wurde 1988 von einem Bürgerverein geplant, sein Bau wurde jedoch erst nach drei künstlerischen Wettbewerben, nach einer über zehn Jahre dauernden Debatte über die Form, den Standort, die Widmung und das Entscheidungsverfahren, und schließlich 1999 durch eine Abstimmung im deutschen Bundestag entschieden.
Der empirische Kern dieser Arbeit führt zunächst zu der Schlußfolgerung, daß ein Denkmal Mittelpunkt eines komplexen Dialogs zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist - zwischen historischen Ereignissen, Herstellern von Denkmälern und aufeinanderfolgenden Generationen von Betrachtern, die die Vergangenheit anhand historischer Artefakte zu deuten versuchen. Ein Denkmal ist aber auch Mittelpunkt einer Auseinandersetzung zwischen Individuen, Institutionen und politischen Parteien in der Gegenwart. Die erste Phase dieses doppelten Dialogs um Denkmäler, 1992-95 in Frankreich und 1988-1999 in der Bundesrepublik Deutschland, wird hier untersucht: die öffentlichen Diskussionen, die der Einweihung des Vél' d'Hiv' und des Holocaust-Denkmals vorausgingen und die sich eher auf Spekulationen über die Art des Gedenkens als auf die hermeneutische Interpretation vorhandener Denkmäler stützten. In beiden Fällen wurde in erster Linie danach gefragt, wie statt an was gedacht werden sollte. |