Zusammenfassung
Polyspezifität von Antikörpern, also die hochspezifische differentielle Erkennung verschiedener Epitope, wird als auslösender Faktor bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten wie Rheuma und Asthma diskutiert. Über die strukturellen Voraussetzungen dieses biologischen Phänomens ist bislang wenig bekannt; einzig für den Antikörper CB4-1 gibt es hochaufgelöste Röntgenkristallstrukturen von Komplexen mit nicht verwandten Peptidepitopen. In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, in wieweit Strukturvorhersagen von Antikörper-Peptid-Komplexen mittels Molekularmodellierung geeignet sind, polyspezifisches Bindeverhalten zu charakterisieren. Als Modellsysteme für die Komplex-Strukturvorhersage durch globale stochastische Optimierung wurden drei monoklonale Antikörper gewählt: der anti-p24 (HIV-1) Antikörper CB4-1, der eine Reihe sequentiell ähnlicher sowie unähnlicher Peptide bindet; der anti-TGFa Antikörper tAb2, der neben dem linearen Wildtyp-Epitop verwandte cyclische Peptide erkennt; und der anti-Choleratoxinpeptid 3 Antikörper TE33, dessen Polyspezifität erst kürzlich mit Bindern einer Phagenbibliothek bewiesen wurde. Er bindet sowohl nicht verwandte lineare als auch cyclische Epitoppeptide. In einem ersten Schritt wurden die Konformationslandschaften der linearen, von CB4-1 erkannten Epitope durch Modellierung der ungebundenen 11-meren Peptide analysiert, wobei ein Zusammenhang zwischen diesen und den Konformationen der gebundenen Peptide in bekannten Komplexstrukturen gefunden wurde, der einen Einfluß auf die Affinität vermuten läßt. Auf diese Ergebnisse aufbauend wurden dann Antikörperkomplexe mit linearen Peptiden modelliert und mit bekannten Röntgenkristallstrukturen verglichen. Dabei zeigte sich, daß die globalen Konformationssuche-Simulationen in Gegenwart des Antikörpers Ergebnisse lieferten, die nur in Ausnahmefällen mit der gesuchten Struktur übereinstimmten. Darüber hinaus war die Konvergenz mehrerer unabhängiger, von verschiedenen Zufallskonformationen des gleichen Peptids ausgehender Simulationen in struktureller Hinsicht generell sehr schlecht. Nur für ein lineares Peptid, dessen Komplexstruktur bislang nicht bekannt ist, konvergierten wiederholte Monte-Carlo-Rechnungen in einer ähnlichen Konformationsfamilie. Die Simulationskonvergenz wird mutmaßlich durch die sehr große Anzahl von Freiheitsgraden linearer Peptide erschwert. Durch Cyclisierung kann aber der Konformationsraum von Peptiden erheblich verkleinert werden. Ist daher die Vorhersage von Komplexstrukturen konformationell eingeschränkter Peptide mit größerer Verifizierbarkeit zu erreichen? Diese Frage wurde an der publizierten dreidimensionalen Struktur des Antikörpers tAb2 im Komplex mit einem 7-meren, lactamcyclisierten Peptid überprüft. Wiederum ausgehend von zufällig erzeugten Konformationen, lieferten die stochastischen Simulationen dieses Peptids und homo- bzw. heterodetisch verknüpfter Homologa mit sehr guter Konvergenz Peptidstrukturen, die der bekannten in hervorragender Näherung entsprachen. In Erweiterung dieses Resultates sollten cyclische Peptide mit einer größeren Anzahl von Residuen innerhalb des Ringes getestet werden. Da es keine Kristallstrukturen von Antikörperkomplexen mit größeren, aus natürlichen Aminosäuren bestehenden Peptidcyclen gibt, wurde am Computer eine Reihe von cyclischen Analoga eines 11-meren linearen Templatpeptid konstruiert, dessen quasi-cyclische Konformation in der Bindungstasche des Antikörpers CB4-1 hochaufgelöst beschrieben ist. Bei der Vorhersage der Komplexstrukturen dieser sechs Disulfid- und Lactamcyclen konnte mit befriedigender Wiederholbarkeit die antizipierte Gesamtkonformation der linearen Vorlage ermittelt werden. Zusätzlich wurde mit biochemischen Bindungsstudien nachgewiesen, daß die konstruierten Analoga mit vergleichbarer Affinität und unter Beteiligung identischer funktioneller Gruppen an CB4-1 binden. Die gegenüber linearen Peptiden erhöhte Wahrscheinlichkeit, auch bei größeren Peptidcyclen die gebundene Konformation korrekt zu identifizieren, wurde schließlich genutzt, um die Komplexstruktur eines cyclischen, aus einer Phagenbibliothek ermittelten Peptids mit 11 Aminosäuren vorzuschlagen, das an den Antikörper TE33 bindet und keine Sequenzverwandtschaft mit dessen Wildtyp-Epitop aufweist. Die in unabhängigen Simulationen ohne Vorbeeinflussung wiederholt aufgefundene Struktur des Peptids im Komplex zeigt eine hervorragende Übereinstimmung mit dem Substituierbarkeitsmuster des Peptids. Im Vergleich mit der bekannten Komplexstruktur des linearen Wildtyp-Peptids ist bei sehr unterschiedlichen individuellen Kontakten eine überraschend ähnliche Gesamtkonformation des cyclischen Binders erkennbar. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß eine relativ verläßliche Strukturvorhersage von Antikörper-Komplexen durch globale stochastische Optimierung nur mit konformationell eingeschränkten Peptiden möglich ist unter der Maßgabe, daß sich keine gravierenden Konformationsänderungen beim Bindungspartner ergeben. Aus den gewonnenen Daten wird deutlich, daß polyspezifisches Bindeverhalten von Antikörpern letzlich nur auf atomarer Ebene begriffen werden kann. Eine Abhängigkeit von der Sequenz des Binders ist nur insofern erkennbar, als diese ein räumlich-sterisches Arrangement von Atomgruppen ermöglicht, das unter Berücksichtigung dynamischen Verhaltens zur Bindung führen kann. Unterschiedliche Peptidsequenzen können ähnliche Kontaktflächen hervorbringen und somit ähnliche Paratopresiduen erkennen; gleiche Gesamtkonformationenen gebundener Peptide müssen andererseits auch bei Sequenzähnlichkeit nicht zu ähnlichen Wechselwirkungen führen. |