Karl-Heinz Flechsig: Die Entwicklung des Verstänsnisses der neusprachlichen Bildung

Dissertation Göttingen 1963

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung 1
II. Das Bildungsverständnis in den Anfängen des neusprachlichen Unterrichts

1. Die Verbreitung des französischen und englischen Unterrichts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts 4

2. Die Verbreitung der französischen Sprache im gleichen Zeitraum 6

3. Die lebenden Fremdsprachen in der Adelserziehung 11

4. Die lebenden Fremdsprachen in der bürgerlichen Erziehung 20

5. Methoden und Inhalte des neusprachlichen Unterrichts 22

6. Zusammenfassung 27
III. Die Stellung der lebenden Fremdsprachen in den pädagogischen Theorien und Bildungsbewegungen von ca. 1750-1850

1. Martin Ehlers 30

2. Der Philanthropismus 33

3. Johann Gottfried Herder 38

4. Der Einfluß des Neuhumanismus auf das Verständnis der neusprachlichen Bildung 48

5. Auffassungen einzelner Vertreter des Neuhumanismus 56

6. Der pädagogische Realismus und die lebenden Fremdsprachen 62

7. Friedrich Schleiermacher 70

8. Carl Mager 76

9. Zusammenfassung 90
IV. Das Verständnis der neusprachlichen Bildung seit ihrer Institutionalisierung in öffentlichen Schulen

1. Die neusprachliche Reformbewegung 99

2. Das kulturkundliche Prinzip im neusprachlichen Unterricht 129
V. Zusammenfassung 173

Verzeichnis der benutzten Literatur
 

I. Einleitung

Die vorliegende Arbeit soll ein Beitrag zur didaktischen Strukturforschung sein. Dieser Forschungsrichtung der Erziehungswissenschaft ist die Aufgabe gestellt, "sich den einzelnen Gegenstandsbereichen zuzuwenden und sie auf ihren spezifischen Bildungssinn hin durchzuarbeiten und zu durchdenken" . Der Gegenstandsbereich, dem die vorliegende Untersuchung gewidmet ist, sind die neueren Sprachen, soweit sie im deutschen Bildungswesen größere Bedeutung erlangt haben, d. h. in erster Linie die französische und englische. Mit der Bezeichnung neuere Sprachen ist der bearbeitete Bereich jedoch nur unzureichend beschrieben, da zu ihm notwendig die Gehalte gehören, die durch jene Sprachen vermittelt werden.

Die in der Formulierung des Themas gewählte Bezeichnung neusprachliche Bildung lehnt sich an den traditionellen Sprachgebrauch an, der die Begriffe neue oder neuere Sprachen, bzw. auch lebende oder moderne Fremdsprachen kennt. Es ist jedoch vorauszuschicken, daß es sich bei den so bezeichneten Bildungsgehalten prinzipiell um die Lebenswirklichkeit der fremden Nation und der in ihrem Bereich entstandenen Schöpfungen handelt.

Da der Bildungssinn, der sich mit bestimmten Gehalten verbindet, ebenso wie diese Gehalte selbst und die Unterrichtswirklichkeit, in die sie gestellt sind, zunächst geschichtliche Größen sind, muß es Theorien der neusprachlichen Bildung geben, seit lebende Fremdsprachen in den Kanon jugendbildender Gehalte eingegangen sind. Diese Theorien aufzugreifen und darzustellen, in welchem Sinn neusprachliche Bildung jeweils vermittelt wurde, ist das Ziel der folgenden Untersuchung. Mit der Darstellung dieses Sinnverständnisses in seiner geschichtlichen Entwicklung sollen zugleich Hinweise auf den erzieherischen Ertrag der Begegnung mit lebenden Fremdsprachen im Jugendalter gegeben werden.

Von diesem Ziel her sind bereits die Grenzen der Fragestellung aufgewiesen, die weder auf eine Geschichte der Neuphilologie oder des neusprachlichen Unterrichts, noch auf eine Systematik seiner Inhalte und Methoden hin angelegt ist. Wenn an verschiedener Stelle Ausblicke auf die Unterrichts- und Wissenschaftsgeschichte vorkommen, so geschieht das in der Absicht, mittelbare Hinweise auf den Bildungssinn zu erhalten.

Da das Material, aus dem sich Äußerungen zur Frage der neusprachlichen Bildung hätten entnehmen lassen, praktisch unbegrenzt ist (Autobiographien, Reiseberichte, Belle- tristik, Tageszeitungen etc.), war eine Beschränkung auf die pädagogische Literatur im engeren Sinne notwendig. Unter den verarbeiteten Quellen sind daher in erster Linie Schriften von Pädagogen und Schulmännern zu nennen, die direkte Stellungnahmen zur neusprachlichen Bildung enthalten. Sekundärliteratur, die sich speziell auf die gewählte Fragestellung bezieht, liegt nicht vor, so daß es notwendig war, entweder auf Sammelwerke zur Geschichte der Erziehung und der Pädagogik oder aber auf Monographien zu einzelnen Autoren zurückzugreifen. Als indirekte Quellen dienten die speziellen Beiträge zur Geschichte des neusprachlichen Unterrichts sowie Dokumentationen zur Erziehungs- und Unterrichtswirklichkeit, wie Erziehungsgeschichten einzelner, Anstaltsberichte, Lehrpläne, Schulprogramme und Lehrbücher. Nähere Hinweise darüber finden sich im Literaturverzeichnis.

Da nicht alle Quellen, die im Verlauf der Vorarbeiten gesammelt wurden, zitiert werden konnten, stützt sich die vorliegende Darstellung auf jene Belege, denen ein spezifischer Aussagewert zukommt. Auswahlkriterien waren dabei die Bedeutung des Verfassers in seiner Zeit und der Reflexionsgrad seiner Aussage, sowie seine Stellung als Repräsentant einer bestimmten Richtung. Einen weiteren Gesichtspunkt bei der Auswahl der Quellen bildete die Frage, ob das betreffende Zitat eine prägnante Formulierung häufig vertretener Auffassungen darstellt, auch wenn die bereits erwähnten Kriterien unberücksichtigt bleiben mußten. Durch die exemplarische Auswahl der Quellen für die Darstellung ist die Möglichkeit gegeben, auf einzelne Autoren oder Ansichten, denen besonderes Gewicht für den systematischen Ertrag zufällt, näher einzugehen.

Die Gliederung der Arbeit in drei Abschnitte erfolgte nach zeitlichen und systematischen Gesichtspunkten:

Der erste Teil umfaßt jene Epoche, in der sich die geschichtlichen Voraussetzungen entwickelten, durch die lebende Fremdsprachen (die von einzelnen auch vorher immer schon erlernt wurden) im Lebenszusammenhang solche Bedeutung erlangten, daß sie zum Bestandteil der Jugendbildung wurden.

Im zweiten Teil ist sodann jenes Stadium behandelt, in dem die neusprachliche Bildung im Rahmen von Bildungstheorien und konkreten pädagogischen Bewegungen erörtert wurde. Zugleich ist dies jener Zeitraum, in dem ihre institutionelle Verankerung erst soweit vollzogen war, daß der Reflexion noch genügend freier Raum verblieb, d. h. daß die grundsätzliche Erörterung des Bildungssinns nicht von Rücksichten auf eine bereits vorhandene Dogmatik (etwa der Richtlinien und Lehrpläne) bestimmt wurde.

Der dritte Teil schließlich ist dem Zeitraum gewidmet, in welchem die lebenden Fremdsprachen fest im Lehrplan der mittleren und höheren Bildung verankert waren und z. T. auch schon Eingang in die Volksschule gefunden hatten. Damit war die neusprachliche Bildung den jeweils maßgeblichen offiziellen Anforderungen unterstellt, auf die die didaktische Besinnung Rücksicht zu nehmen hatte. Aus diesem Zeitraum sollen zwei Richtungen, welche die weitere Entwicklung des Verständnisses der neusprachlichen Bildung im besonderen Maße beeinflußt haben, erwähnt werden, die neusprachliche Reformbewegung um die Jahrhundertwende und die Kulturkundebewegung der zwanziger Jahre.

II. Das Bildungsverständnis in den Anfängen des neusprachlichen Unterrichts

Die bisherigen Arbeiten zur Geschichte des neusprachlichen Unterrichts lassen eine Aussage darüber, von welchem Verständnis die neusprachliche Bildung in den Anfängen getragen war, nicht unmittelbar zu, da didaktische Überlegungen im engeren Sinne für diese Anfangsperiode - bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts - fehlen. Ein Überblick über Ausbreitung, Methoden und Inhalte des neusprachlichen Unterrichts und über den ihn tragenden Personenkreis erscheint jedoch geeignet, Anhaltspunkte auch für seine Begründung zu geben.

1. Die Verbreitung des französischen und englischen Unterrichts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts

Französischer Unterricht läßt sich in Deutschland nach den Aufstellungen von Dorfeld und Schmidt erstmals um 1554 in Frankfurt/M. nachweisen, wo ein Sprachmeister die Kinder reformierter Niederländer unterrichtete. In der Folgezeit liegen Berichte über Sprachlehrer des Französischen in Köln (1566), Elberfeld (1599), Essen (1603), Gießen (1608) und Soest bzw. Neuß (1610) vor, die ebenfalls in erster Linie Kinder von Flüchtlingen aus Wallonien und Frankreich, aber auch die der einheimischen Bevölkerung unterrichten. Weitere Orte, an denen die französische Sprache im 17. Jahrhundert nachweislich gelehrt wurde, sind Schmalkalden (1616), Cöthen (1619), München (1621), Bremen (1643), Gotha (1645), Danzig (1650), Hamm (1657), Hamburg-Altona (1659), Bayreuth (1664), Osnabrück (1679), Landau (1683), Kreuznach (1687), Frankenthal (1687), Stuttgart (1687), Braunschweig (1687), Gera (1690), Berlin (1689), Mannheim (1687) und Halle (1698).

Im allgemeinen handelte es sich dabei um Privatunterricht außerhalb öffentlicher Schulen. An Orten wie z. B. Frankfurt und Cöthen, wo ab 1591 bzw. 1619 gelegentlich Unterricht in der französischen Sprache auch an öffentlichen Schulen erteilt wurde, handelte es sich ebenfalls um Privatunterricht für wenige Interessierte. Schmidt stellt ausdrücklich fest, "daß während des ganzen 17. Jahrhunderts in diesen Formen des bürgerlichen Bildungswesens in keinem Falle das Französische als ein obligatorisches Fach festgestellt werden konnte" , weist aber auch darauf hin, daß das oben angeführte Ortsverzeichnis in mehrfacher Hinsicht unvollständig sei; einmal, weil das Französische auch in den Universitätsstädten entweder im Rahmen der artistischen Fakultät oder des Sprachmeisterunterrichts im 17. Jahrhundert gelehrt wurde, nachdem Wittenberg bereits 1572 darin vorausgegangen war, und zum anderen, weil in diesem Verzeichnis nicht alle Orte aufgeführt seien, an denen Ritterakademien bestanden hätten: an diesen sei französischer Sprachunterricht jedoch ausnahmslos vertreten gewesen. Drittens - so muß in Ergänzung Schmidts hinzugefügt werden - wurde für die Adelserziehung, auch wo sie nicht an Ritterakademien, sondern im Einzelunterricht besorgt wurde, das Erlernen der französischen Sprache weitgehend für unentbehrlich erachtet .

Als verbindliches Unterrichtsfach wurde das Französische jedoch erst im Laufe des 18. Jahrhunderts an einzelnen Schulen eingeführt, so am Pädagogium in Halle (1721), der Heckerschen Realschule in Berlin (1747) und an Basedows Philanthropin in Dessau (1774).

Unterricht in der englischen Sprache wurde demgegenüber in Deutschland erst später und in wesentlich geringerem Umfang eingeführt. An öffentlichen Schulen läßt er sich zuerst am Friedericianum zur Korbach (1668) nachweisen; es folgen das Christianeum zu Altona (1740) und das Akademische Gymnasium zu Stettin (1747).

Wie für das Französische, so sind auch für das Englische die Ritterakademien als Pflanzstätten anzusehen, da in ihren Lehrplan beide Sprachen Eingang fanden. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die englische Sprache an folgenden Ritterakademien gelehrt: Wolfenbüttel (1687), Erlangen (1700), Académie des Nobles Berlin (1705), Lüneburg (1744) und Collegium Carolinum Braunschweig (1745).

Die Universitäten, an denen die englische Sprache vor 1750 unterrichtet wurde, waren Helmstedt (1731), Leipzig (1729), Göttingen (1735) und Erlangen (1750).

2. Die Verbreitung der französischen Sprache in Deutschland im gleichen Zeitraum

Die Ausbreitung des französischen Sprachunterrichts in Deutschland ging seit dem 17. Jahrhundert einher mit jenem Interesse an der französischen Sprache, das im Zusammenhang derjenigen Lebens- und Bildungsform gründete, die unter der Bezeichnung höfisch Eingang in die Geistes- und Bildungsgeschichte gefunden hat. Die Verbreitung dieses Ideals des vollkommenen Hof- und Weltmannes in den herrschenden Gesellschaftsschichten Europas beförderte die Kommunikation dieser Gruppen und damit allgemeine Mehrsprachigkeit. Frankreich, d. h. zunächst der französische Adel, nahm auf Grund der durch den 30jährigen Krieg veränderten Machtverhältnisse eine führende Stellung ein, so daß die Verbreitung der französischen Sprache von der Mitte des 17. Jahrhunderts an eine Steigerung erfuhr. Ihre Übernahme in Deutschland steht damit in inniger Wechselbeziehung mit der Anlehnung an das französische Vorbild im gesellschaftlichen und politischen Bereich sowie in der Kunst. Eine ausführliche Darstellung dieses Übernahmeprozesses gibt eine Schrift Gustav Schwab(e)s Über die Allgemeinheit der französischen Sprache und die wahrscheinliche Dauer derselben . Sie gewinnt im vorliegenden Zusammenhang besondere Bedeutung, weil sie die Funktion der französischen Sprache in jenem Verhältnis deutsch-französischer Beziehungen in den Mittelpunkt stellt. Zugleich vermag sie durch diese Problemstellung jenen geschichtlichen Rahmen zu beleuchten, den eingehender zu erörtern, das Ziel der vorliegenden Untersuchung überschreiten würde.

Schwab stellt fest, daß vom 16. Jahrhundert an der Verkehr der europäischen Nationen untereinander eine Steigerung erfuhr. Das dabei auftretende Sprachproblem sieht er wie folgt:

"Sobald benachbarte Nationen anfangen, in vielseitige und genaue Verbindungen zu treten, so muß, wenn sie kein gemeinschaftliches Communications-Werkzeug haben, eine jede das Bedürfnis fühlen, die Sprache der andern zu lernen. Es muß also zwischen ihren Sprachen eine Art von Concurrenz entstehen: und da es eben so unnöthig als beschwerlich seyn würde, daß eine jede die Sprachen aller übrigen lernte; so werden sich bald alle zur Sprache einer einzigen neigen."

Nun sei aber von dem ökonomischen Prinzip her, das in der Beschränkung auf eine Sprache waltet, allein noch nicht darüber entschieden, welche Sprache zur allgemeinen werde. Drei Faktoren seien es, die auf diese Entwicklung hinwirkten:

"Die Ausbreitung einer Sprache wird durch die Natur dieser Sprache, durch die Qualitäten der Nation, die sie spricht, und durch das politische Verhältniß dieser Nation gegen die übrigen, bestimmt."

Schwab sieht, daß unter diesen drei Faktoren eine innere Abhängigkeit besteht, analysiert sie jedoch getrennt. Die wichtigste Voraussetzung liegt demnach in der Beschaffenheit der Sprache selbst: Der Sprachbestand muß gesichert und allgemein von der Sprachgemeinschaft anerkannt sein, in Laut und Form darf sie dem Lernenden keine zu großen Schwierigkeiten bieten (wobei sehr unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen können, was man unter Schwierigkeit zu verstehen hat). Die französische Sprache habe diese Bedingung erfüllt, nachdem sie einen Prozeß der Festigung durchlaufen hatte, der in der Gründung der Académie Française (1636) seinen einstweiligen Höhepunkt erreichte. Die Festigung des Sprachbestandes und die allgemeine Anerkennung der Sprache von einer großen Gemeinschaft ging im Wechselbezug zur allgemeinen Kulturentwicklung vor ich, die sich nach Schwab so darstellt:

"Es ist gewiß, und die Geschichte bestätigt es, daß bey einer Nation, die auf der Stuffenleiter der Cultur den Gipfel erreicht hat, sich eine Menge feiner Empfindungen und Ideen entsponnen haben, die einer minder gebildeten fehlen. Die Empfindungen der Menschlichkeit, die sich in so viele Nüancen auflösen, die mannichfaltigen Ideen von gesellschaftlichem Wohlstande, von geselligem Vergnügen und von Urbanität; die Empfindungen des Schönen, Edeln und Großen; die Begriffe von Industrie und Luxus, die sich in tausend Aeste ausbreiten; und entlich die wissenschaftliche und Kunst-Ideen sind bey der vollkommen cultivirten Nation ganz entwickelt, und mit bestimmten Namen bezeichnet."

Zwar hätten auch das Italienische und Spanische schon zu einem früheren Zeitpunkt die oben genannten Forderungen erfüllt,

"Aber ein Haupthindernis, das der größten Ausbreitung dieser beiden Sprachen im Wege stand, war die noch immer bei der Communication der obern und mittlern Classen übliche lateinische Sprache. Die abgöttische Verehrung desselben in Italien dauerte noch im 16. Jahrhundert daselbst fort und teilte sich nun auch dem übrigen Europa mit."

Zudem war das Italienische in Mundarten gespalten, von denen die der Toscana eine Sonderstellung einnahm. Schließlich erfüllte Italien bis zum 16. Jahrhundert die Bedingung nicht, die Schwab als für die Ausbreitung unerläßlich hält: Es stellte keine einheitliche politische Macht dar.

Letzteres traf zwar im 16. Jahrhundert auf das Spanien Karls I. und Philipps II. zu, doch spricht gegen die allgemeine Ausbreitung des Spanischen die geographische Lage Spaniens, die den Verkehr der übrigen Nationen mit diesem Land erschwerte, sowie die Kürze der Zeit, die dem politischen Einfluß Spaniens in Europa beschieden war, schließlich, wie schon für das Italienische erwähnt, stand auch seiner Ausbreitung die Allgemeinheit des Lateins entgegen. Eine Ablösung hierin setzt Schwab erst für das 17. Jahrhundert an:

"Indessen verlor das Lateinische, wie es bey der fortschreitenden Bildung der Landessprache nicht fehlen konnte, von dem Anfang des 17. Jahrhunderts in einem jeden Lande immer mehr und mehr von seiner Herrschaft und seinem Gebrauch. Und gerade in der Mitte dieses Zeitraums geschah es, daß die französische Sprache alle Vortheile der italienischen und spanischen vereinigte, sie in manchem übertraf, und in den günstigsten Umständen sich den Europäern darbot."

Schwab führt sodann im einzelnen aus, worin das Französische im 17. Jahrhundert die Voraussetzungen erfüllte, die es zur am meisten verbreiteten Sprache in Europa machten.

a) Von den politischen Voraussetzungen dieser Ausbreitung hebt er hervor, daß Frankreich seit Franz I. sein diplomatisches Korps erweitert hatte; es unterhielt Gesandte und Vertrauensleute an allen europäischen Höfen. Nach dem Westfälischen Frieden schließlich wurde Französisch die Diplomatensprache Europas.

Hinzu kommt nach Schwab ein starkes Anwachsen der Bevölkerung Frankreichs zur gleichen Zeit. Die französische Nation (nach seiner Auffassung identisch mit Sprachgemeinschaft) war neben der slawischen und deutschen die größte Europas. Er stellt fest, daß

"seit der Errichtung der fränkischen Monarchie das Französische nicht nur in dem ganzen damaligen Frankreich, sondern auch in der Franche Comté, die aber erobert wurde, in Savoyen, in einem Theile von Lothringen, in der Schweiz und den Niederlanden, ja selbst in einigen Grenzen von Deutschland als Landessprache geredet wurde. Zwar unterschieden sich die Mundarten merklich voneinander, jedoch nicht so weit, daß sie nicht leicht wenigstens von den höhern Classen auf eine einzige ausgebildete hätten gebracht werden können."

So fällt die politische Vormachtstellung mit der Bevölkerungsentwicklung und der räumlichen Ausbreitung der Sprache als Muttersprache zusammen.

b) Eine weitere Bedingung erfüllte die französische Sprache insofern, als sie in Wortführung und Satzbau strenge Regeln ausgebildet hatte, was für die anderen europäischen Sprachen zur gleichen Zeit nicht in dem Maße zutraf. Diese Sprachfestigung ist Schwab ein Hinweis für eine große Anzahl Gebildeter,

"denn man glaube nicht, daß die französische Academie durch Machtsprüche, wenn sie auch durch die königliche Autorität wäre unterstützt worden, der ganzen Nation eine solche Regelmäßigkeit hätte aufdrängen können, wenn diese nicht bereits dazu geneigt gewesen wäre."

Bei allen Einwänden, die man gegen eine solche Festlegung der Sprache in Regeln machen könne, sei ihr doch gerade daraus die Verbindlichkeit erwachsen, deren sie bedurfte, um zum allgemeinen Kommunikationsorgan zu werden.

c) Frankreichs Kultur führt Schwab auf geographisch und klimatisch günstige Verhältnisse zurück, unter denen römischer und griechischer Geist gedeihen und sich fortentwickeln könnten. Römische und griechische Tradition aber seien es gewesen, deren Fortwirken in Frankreich das geistige Wachstum und das der Sprache begünstigt hätten:

"Sobald eine neue Empfindung, ein neues Gefühl, ein neuer Gedanke in die Seele eines Franzosen aufkeimte, fand er in seiner gelehrten Sprache ein demselben entsprechendes Wort, heftete seinen neugeborenen Begriff daran und trug ihn hernach mit dem Wort in die gemeine Sprache über."

So sei der Ideenschatz der ganzen Nation bereichert worden. Die französische Sprache habe sich überall dort auf Erbschaft stützen können, wo die deutsche auf Kunstfleiß (Neuschöpfung) angewiesen war.

d) Für die gesellschaftlichen Verhältnisse Frankreichs sei charakteristisch gewesen, daß neben der zentralen Macht des Königs ein Gleichgewicht der ständischen Kräfte bestand; in dieser integrierten Gesellschaft konnten sich verbindliche Sitten, vor allem Formen des geselligen Umgangs, ausbilden. Das Vorhandensein einer Metropole begünstigte die Entstehung dieser abgerundeten aufgeklärten Gesellschaft.

e) Im Bereich des Ästhetischen sei für Frankreich die Einheitlichkeit des Geschmacks bezeichnend. Diese interne Verbindlichkeit ästhetischer Normen setzt sich nach Schwab in eine solche nach außen fort. Diese Verbindlichkeit beruhte auf einer goldenen Mediocrität des Geschmacks, die zwar der Originalität und dem Genialen abträglich sei, ihre Aufnahme bei einer Mehrheit aber sichert. Das Prinzip der Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit, das Schwab schon für den Bereich der Sprache und der Umgangsformen festgestellt hat, findet sich so auch im Ästhetischen wieder.

f) Sprache, Politik, die Formen der Geselligkeit und der Kunst sind für Schwab nur zum Teil Kriterien für die Höhe einer Kultur:

"Der eigentliche Maßstab, wonach die Cultur einer Nation beurtheilt werden muß, ist die Ausbreitung der nützlichen und angenehmen Kenntnisse unter allen Classen und Ständen derselben. Die Kepler, die Kopernike und Leibnize sind Beweise dafür, was für große Anlagen eine Nation haben muß, die so außerordentliche Geister hervorbringt. Allein von ihnen kann weder auf die Fürsten und den Adel, noch auf die niedern Classen geschlossen werden. Unter diesen können immer noch die meisten Menschen roh, unwissend und ungesittet sein."

Schwab meint, daß die Allgemeinheit der Bildung und Aufklärung aller Klassen letztlich der Maßstab für eine durchgeformte Kultur sei. In Frankreich habe dies nach seiner Auffassung weitgehend zugetroffen, auch das Erziehungswesen sei bis zu einem gewissen Grade schon ausgebildet gewesen.

g) Die geographische Lage begünstige Frankreich zur Kommunikation mit anderen Nationen. Ebenso hätten die Reiselust und das Mitteilungsbedürfnis der Franzosen sowie die Flucht der Protestanten bei der Vermittlung der französischen Kultur eine nicht unwesentliche Rolle gespielt.

Damit hat Schwab seinen theoretischen Einsichten entsprechend begründet, warum die französische Sprache so weite Verbreitung in Europa erfuhr. Zugleich aber hat er nachgewiesen, daß es sich dabei nicht um die Sprache allein handelte, sondern um Lebens- und Kulturformen, die sich in Frankreich ausgebildet hatten. Schließlich geht aus Schwabs Ausführungen hervor, worin er die Vorbildlichkeit dieses Kultursystems für die aufnehmende Nation sah:

"Anfangs war ihr (der zurückgebliebenen Nation) die fremde Sprache bloß ein bequemes Communications-Organ, jetzo wird sie eine Quelle geistigen Genusses für sie. - So löst sich die Begierde, die Sprache eines völlig cultivierten Volkes zu lernen, in den Grundtrieb der menschlichen Seele, das Streben nach neuen Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken auf."

In dieser Aussage sind deutlich zwei Motive angesprochen, von denen das Interesse an der französischen Sprache in Deutschland geleitet war, der Verkehrszweck und das Bedürfnis nach Aufnahme neuer, im eigenen Lebensbereich noch nicht entwickelter Gehalte. Wie weit die erwähnten Beweggründe auch den Schlüssel für das Vordringen der lebenden Fremdsprachen als Bildungsmittel zu liefern vermögen, bedarf noch der weiteren Klärung.

3. Die lebenden Fremdsprachen in der Adelserziehung

Die bis ins Mittelalter zurückreichende Tradition, junge Adlige an fremde Höfe zu schicken, wo sie neben der höfischen Sitte auch die fremde Sprache erlernen sollten , erfuhr im 17. Jahrhundert eine stärkere Belebung. Diese auch als Verschickungen bezeichneten Bildungsreisen gehörten, in verstärktem Maße nach dem dreißigjährigen Krieg, zum festen Bestandteil der Erziehung zumindest der männlichen Jugend des Adels .

Zusammenfassende Arbeiten über diesen Typ der Bildungsreise liegen für den zu betrachtenden Zeitraum nicht vor; auf Grund der bereits erwähnten Erziehungsgeschichten deutscher Fürsten lassen sich jedoch die folgenden, für den Zusammenhang der vorliegenden Arbeit bedeutsamen Merkmale feststellen:

Die jungen Adligen wurden in Begleitung ihrer Hofmeister, oft auch eines größeren Gefolges, in der Regel zwischen 15 und 20 Jahren ins Ausland geschickt; nur in Ausnahmefällen auch schon früher . Ungünstige Zeitumstände, z. B. während des 30jähri- gen Krieges, konnten zu einer Verschiebung oder auch zum Ausfall der Verschickung führen. Die Dauer des Auslandsaufenthalts lag, den Verkehrsmöglichkeiten entsprechend, kaum unter drei Monaten, konnte aber auch bis zu drei Jahren betragen. Reise- ziele waren der Möglichkeit nach alle Länder Europas, doch wurden Frankreich und Italien bevorzugt. Konfessionelle Gesichtspunkte, aber auch bereits bestehende oder erstrebte dynastische Beziehungen bestimmten dabei häufig die Wahl. Von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an wurde Frankreich - besonders der Hof Ludwigs XIV. - zum Hauptziel solcher Bildungsreisen, doch übten auch einige Universitäten im Ausland (z. B. Leyden) Anziehungskraft aus.

Direkte Angaben über die Motive, die solchen Reisen zugrunde lagen, lassen sich in den erwähnten Erziehungsgeschichten kaum nachweisen ; Hinweise darauf waren - soweit überhaupt zu finden - so allgemein gehalten (z. B. Kennenlernen fremder Länder), daß ihnen spezifischer Aussagewert nicht zuzusprechen war. Aus dem Gesamtzusammenhang dieser Reisen lassen sich jedoch einige Beweggründe erkennen.

Unter den Motiven, aus denen Bildungsreisen unternommen wurden, ist einmal das Bedürfnis nach direkter persönlicher Begegnung der Adelsschicht erkennbar. Die Angehörigen des herrschenden Standes verschiedener Nation lernten auf diese Weise die verschiedenen Lebensverhältnisse kennen und konnten Beziehungen zueinander anknüpfen. So nennt F. Schmidt für die Reiseabsichten des Wittelsbacher Pfalzgrafen Johann die folgenden Gründe:

"Begabt, insbesondere mit einer sehr lebhaften Einbildungskraft ausgestattet, erfüllt von dem Trieb, sich durch nützliche Tätigkeit hervorzutun und eine über seine Machtverhältnisse sich hoch erhebende Rolle zu spielen, trat er, noch minderjährig, große Reisen an und suchte auf denselben nicht nur seine Kenntnisse und seinen Gesichtskreis zu erweitern, sondern auch mit den großen Höfen Beziehungen anzuknüpfen, von denen er glaubte, daß sie ihm bei der Erfüllung seiner hochstrebenden Wünsche und Pläne förderlich sein könnten."

Auch für die Reise des Wettiner Prinzen Johann Georg (IV.) an den Hof Ludwigs XIV. im Jahre 1685 führt J. Richter an, daß neben der allgemeinen Teilnahme am Leben des Hofes der persönliche Kontakt aus politischem Interesse im Mittelpunkt stand . Daß durch diese Teilnahme am Leben des französischen Hofes auch eine Übernahme bestimmter Lebensgewohnheiten nicht ausblieb, ist ohne weiteres einleuchtend. Da ein Teil dieser Lebensgewohnheiten, z. B. der gesellige Umgang, zugleich mit den sprachlichen Formulierungen und durch sie zugänglich wurde, bedeutete das Erlernen der Fremdsprache, unabhängig von der Funktion des Sichverständlichmachens, das Medium, in dem sich die Übernahme dieser Gewohnheiten vollzog.

Daß neben den primär politischen Zielen der großen Tour jedoch auch Welterfahrung im weitesten Sinne erstrebt wurde, geht daraus hervor, daß auch die Universitäten häufig Ziel der Reise waren; diese ins Mittelalter zurückreichende Tradition der wandernden Scholaren geht so teilweise in den Bildungsplan der jungen Fürsten mit ein. Deutlich kommt dieses, die politische Zielsetzung überschreitende Bestreben nach geistiger Horizonterweiterung auch in der Instruktion zum Ausdruck, die der Hofmeister Joh. Heinr. Schöndörffer für die Erziehung der beiden Söhne eines süddeutschen Grafen im Hinblick auf eine Reise nach Frankreich erhielt. Er sollte die beiden Zöglinge dazu anhalten, die Sprache zu erlernen, Predigten und Disputationen anzuhören, an Exercitien (Tanzen, Reiten, Turnierübungen, Musizieren) teilzunehmen und sich den studiis linguarum et liberalium artium zu widmen; letzteres beurteilt der (wohl in der gelehrten Tradition stehende) Hofmeister wie folgt: "... das heißt aber à la mode studiret / daß man kein Pedant ist / das ist auf Teutsch / nicht viel gelernet."

Bei den genannten drei Instruktionspunkten fällt auf, daß das Erlernen der Sprache als besonderer Punkt und dazu noch an erster Stelle erwähnt wird. Die Wertschätzung der französischen Sprache als Ausweis höfischer Bildung war dafür ein wichtiger Grund, wie auch aus Schöndörffers Kritik am Älteren der beiden Zöglinge zeigt, der "seiner Teutschen Sprache .... fast gar nichts mehr achtet / und in die Gedanken gerathen ist / es könne die Zierlichkeit im Reden und Schreiben in keiner andern Sprache gebrauchet werden " .

In jene Welterfahrung, die dem jungen Adligen auf der großen Tour im direkten Umgang mit dem fremden Land und seinen Bewohnern vermittelt wurde, gingen jedoch auch Erlebnisse ein, die von den Erziehern nicht immer als positive erzieherische Wirkung empfunden wurden. Es stellte sich die Überlegung ein, wie es möglich sei, die Begegnung mit dem Fremden so zu gestalten, daß negative Einwirkungen verhindert wurden. Schöndörffer gibt diesem Unbehagen an der Auslandsreise in einer Weise Ausdruck, die pädagogische Überlegungen durchklingen läßt: Mangelnde Reife auf Grund der Jugendlichkeit habe bei einem seiner Zöglinge dazu geführt, daß er nichts von dem aufgenommen habe, was ihm geboten worden sei, bei dem anderen habe dies im Gegenteil dazu geführt, daß er sich vollkommen der neuen Umgebung angepaßt habe. So seien "die überschwenglichen Unkosten alle vergeblich allhie angewandt worden: und hätte in Warheit die Frantzösische Sprache zu erlernen / in Teutschland nicht das zwantzigste Theil gekostet" . Ähnliche Bedenken gegen die Auslandsreise der jungen Fürsten finden sich in einer Anweisung, die der Bayrische Kurfürst Maximilian bereits 1650 ergehen ließ.

"Nachdem wir uns auch erinnert und Exempla gesehen, wann die Junge Fürsten Persohnen frembde Ländter besuecht und druchraist, dß Sie darbei grossen uncosten aufgewendt, aber darumben gemainiclich nichts anders gelehrnet und mit sich zu Hauß gebracht, alls allerlai frembde schödliche sitten und gewonheiten, so sollen derowegen unnserer hindterlaßnen Wittibin L. unnd der Eltiste Sohn daran sein, unnd unnserm Jüngern Sohn, wann Er zu merern Jarn Khombt, in alweg rathen, dß Er ohne erhebliche Ime selbs unnd unserm loblichen Hauß nuzliche und ersprießliche motiven nit in frembde Lendter raisen, sonder die Zeit und dß gelt anhaimbs mit bessern seinem und des Hauß Nuzen in anderweg anlegen und verzehren, Jedoch nichts destoweniger sich in frembden Sprachen und andern einem solchen Fürsten wolanstehenten Tugenden und exercitien perfectionirn solle, als wann er in frembden Landten gewest were".

Beiden Einwänden ist gemeinsam - was für den vorliegenden Zusammenhang bedeutsam ist - daß die fremde Sprache auf jeden Fall gelernt werden solle.

Mit diesem Bedürfnis, nämlich die Kenntnis der fremden Sprachen und der höfischen Gepflogenheiten zu vermitteln, steht in engem Zusammenhang die Gründung von Ritterakademien, jener Bildungsstätten, an denen lebende Fremdsprachen erstmals in einem charakteristischen Zusammenhang mit bestimmten Erziehungszielen gelehrt wurden. In den Gründungsstatuten der Ritterakademie Wolfenbüttel von 1687 findet sich noch einmal die Bestätigung dafür, daß die erzieherischen Möglichkeiten der Bildungsreise nicht abgelöst, sondern in planvoller und kontrollierbarer Weise und mit geringeren Kosten im eigenen Lande wahrgenommen werden sollten. Die betreffende Stelle lautet:

"Demnach die durchläuchtigsten Fürsten und Herren ... gnädigst bei sich erwogen, was Gestalt in Ermangelung einer adeligen Ritterschule die adelige Jugend, sowohl vor, als bei und nach dem Teutschen Kriege und bis auf diese Zeit, innerhalb Landes zu gehöriger Edukation und Habilitierung keine genugsame Gelegenheit gefunden, dahero, wie die Erfahrung bezeuget, einesteils genötiget worden, zur Erlernung der Sprachen und ritterlichen Exercitien sich in fremde Lande zu begeben, daselbsten öfters mit Verlust der edlen Gesundheit und unwiederbringlicher vielen Zeit viel schwere und größtenteils vergebliche Kosten anzuwenden, worunter dennoch wohl die wenigsten den rechten Zweck, oder doch nur zum Teil erreichet; diejenigen aber, denen es an solchen großen Kosten ermangelt, zu dergleichen Qualifizierung nicht gelangen können und solcher Gestalt an der wohl zu erlangenden Kapazität, dem Vaterlande nützlich zu dienen, merklich gehindert worden: so haben ... Ihre Durchlauchten ... ihre Gedanken dahin gerichtet, wie bei dero fürstlicher Hofstatt allhier zu Wolfenbüttel eine dergleichen Akademie und Ritterschule etablieret werden möchte."

Diese Statuten wurden in deutscher und französischer Sprache verfaßt. Neben dem Gedanken der Bewahrung, der an späterer Stelle erörtert wird, scheinen besonders zwei Gründe die Errichtung von Ritterschulen wesentlich befördert zu haben, ständisches Interesse und ökonomische Notwendigkeit.

Als Bildungsstätten des regierenden Standes sollten diese Schule die adlige Jugend auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereiten, eine Aufgabe, welche die Lateinschulen, in denen adlige und bürgerliche Jugend gemeinsam erzogen worden war, nicht mehr leisten konnten. E. Schwabe beschreibt diese ständische Trennung wie folgt:

"Solange nun der Protestantismus im Aufschwunge war, hielt man diese gemeinsame (d. i. zwischen Adel und Bürgertum) Erziehung für die beste und darum für selbstverständlich. Aber mit der Erstarrung des Protestantismus zum Konfessionalismus ... und mit dem Überwuchern des theologisch-dogmatischen Unterrichts ... trat auch ein Umschwung in der Auffassung von der Nützlichkeit und Wichtigkeit dieser Unterrichtsformen ein. Jedenfalls trennte sich hier Adel und Bürgertum: man schätze zwar die fundamenta pietatis und das allein herrschende Latein noch sehr hoch, beides aus praktischen Gründen, und wollte daran nicht gerüttelt wissen, aber den dogmatischen Religionsunterricht, Griechisch und Hebräisch wollte man vor allem den Gottesgelehrten überlassen; für die adelige Jugend war man mit den beiden ersten Lehrgegenständen in mäßiger Ausdehnung zufrieden, suchte jedoch für die künftigen Politiker (oder wie man damals sagte Staatisten) und Verwaltungsbeamten, eine andere zeitgemäßere und praktisch anwendbare Bildung.

Eine große Zahl adeliger Familien zog es deshalb vor, ihre Söhne überhaupt keine gelehrte Schule mit ihren Mühen und ihren harten Anforderungen und körperlichen Entbehrungen durchmachen zu lassen: zunächst trat bei dem adeligen Nachwuchs die Hofmeistererziehung ein, das berüchtigte Informatorenunwesen, dann kamen ein paar tolle Studentenjahre, hierauf als Krone des Ganzen die Cavalierstour durch die bekanntesten Länder Westeuropas, und dann kehrte man heim, offenbar völlig ausgerüstet und innerlich befähigt, um ein auskömmlich dotiertes Verwaltungsamt zu übernehmen. ... Es ist daher kein Wunder, daß man nach einer anderen Form suchte, um den jungen Adel unter Obhut des Staates zu erziehen und einen brauchbaren Nachwuchs von Zivilbeamten zu schaffen."

Koldewey, der in seiner Arbeit mehr noch als Schwabe neben den besonderen Verhältnissen an der von ihm beschriebenen Ritterakademie auf die allgemeine Situation eingeht, erwähnt ebenfalls auch wirtschaftliche Gesichtspunkte:

"Waren dieselben (d. i. die jungen Adligen) alsdann zum Jünglingsalter herangewachsen, so schickte man sie, falls man es bekräftigen konnte, unter Leitung eines Hofmeisters auf Reisen, damit sie auf Universitäten und an fremden fürstlichen Höfen, nicht zum wenigsten auch auf den Akademien des französischen Adels für ihre Bildung, wenn auch keine gründliche Erweiterung, so doch einen gefälligen Firnis und feineren Schliff gewönnen. Aber ein solcher Bildungsgang war sehr kostspielig, für die meisten Adelsfamilien geradezu unerschwinglich, und was das Schlimmste war, nur zu oft führte er gar nicht zu einem erfreulichen Ziele. Die jungen Herren kehrten von ihren Reisen mit leerem Kopf, liederlichen Sitten nach Hause, weswegen Kritik an ihnen durchaus nicht selten ist."

Für die Inhalte und den Lehrplan der Ritterschulen ist

"allein die Rücksicht auf den praktischen Nutzen maßgebend; eine bloß auf die formale Schulung des Geistes abzweckende Bildung erscheint nicht begehrenswert. Selbst in den ein halbes Jahrhundert später unter dem Einfluß des Halleschen Pietismus entstandenen Realschulen ist dieser auf das unmittelbar im Leben Verwendbare Gesichtspunkt nicht deutlicher zum Ausdruck gekommen. 'Die Professoren sollen', so heißt es, 'keine anderen Disziplinen traktieren, als welche einem jungen Herrn und von Adel wohlanständig und demnächst ihnen bei allerhand Gelegenheit und erlangenden Bedienungen zu statten kommen können, weshalben auch alle unnütze vorkommende Materien und Kontroversien, wodurch nur die edle Zeit verloren und nicht erlernet wird, vorbei zu gehen'."

Öffentliche Lektionen wurden in Wolfenbüttel in folgenden Unterrichtsgegenständen erteilt:

a) Übersicht über Glaubenslehre und Kirchengeschichte,

b) Privat- und Staatsrecht, Ethik und Politik,

c) Weltgeschichte, Genealogie und Geographie,

d) "Oratoria und Studium eloquentiae, die aber mehr ipsa praxi als durch weitläufige praecepta gelehrt und mit Redeübungen in deutscher, lateinischer auch wohl andern fremden Sprachen verbunden werden sollen, wobei jederzeit solche Materien zu choisieren, welche denen vom Adel demnächst in allerhand Occurencen am meisten zu stehen kommen können" ,

e) Mathematik und Mechanik.

Im Privatunterricht wurden Logik, Metaphysik, Experimentalphysik, Kriegswissenschaften, Astronomie, Optik und besondere Gebiete der Rechtswissenschaften gelehrt; auch ein Zeitungskolleg wurde angeboten. Hinzu kommen - ebenfalls in privaten Lektionen - Reiten, Fechten, Tanzen und Spiele.

"Von den Sprachen werden öffentlich Deutsch, Latein, das als eine 'hochnotwendige und bei allen Nationen durchgehende Sprache' dringend empfohlen wird, außerdem als ein 'sonderlich Ornament des Adels' Französisch und Italienisch gelehrt. Die englische und spanische Sprache blieben der Privatunterweisung überlassen."

Aus den übrigen speziellen Arbeiten über einzelne Ritterakademien sowie aus den Übersichten, die Fr. Paulsen und O. Heine geben, läßt sich entnehmen, daß der vorstehend genannte Kanon repräsentativ ist für die Mehrzahl der Ritterakademien, wenn auch im einzelnen mit verschiedenem Schwerpunkt. In bezug auf moderne Sprachen sind die unterschiedlichen Verhältnisse an den einzelnen Anstalten von Aehle dargestellt worden. Er hat besonders gegenüber G. Budde , H. Junker und K. Dorfeld nachgewiesen, daß das Englische weiter verbreitet als von den genannten Autoren angenommen war und an fast allen Ritterakademien - jedoch nicht vor 1700 - gelehrt wurde.

Aus dem Lehrplan der Ritterakademien geht hervor, innerhalb welches Kanons die modernen Fremdsprachen erstmals in einer typischen Bildungsinstitution größere Bedeutung erlangt haben. F. Blättner hat den Bildungsgedanken, der im Fächerkanon dieser Adelsschulen seinen Ausdruck fand, wie folgt umrissen:

"Wenn wir den Inhaltskatalog dieser weltmännischen Erziehung überblicken, so bemerken wir, daß es dabei nicht um Gelehrsamkeit, um Wissen, sondern um künftiges Handeln in höfischer, politischer oder militärischer Verantwortung ging, nicht um Berufs- ausbildung, sondern um die Formung im Sinne eines Herrenideals. Wir bemerken, daß es mehr darauf ankam, zu können als zu wissen, sich einer Aufgabe, einer Lage handelnd gewachsen zu zeigen, statt sie bloß zu erkennen.

Und daraus wird ein zweites deutlich: Daß die Inhalte, diese sprachlichen, juristischen oder historischen oder technischen Kenntnisse alle nur darum in dieser Erziehungsplanung als Aufgaben auftreten, weil man sie benennen, weil man Lehrer mit ihnen betreuen konnte. Die eigentliche erzieherische Kraft dieser Adelserziehung aber liegt nicht im Lernen, sondern im gemeinsamen leben, in dem man sprechend, spielend, tanzend, wetteifernd sich in den Tugenden tätig übt und vervollkommnet, die künftig erwartet werden."

Hinsichtlich der oekonomischen Voraussetzungen für die Einrichtung von Adelsschulen ist davon auszugehen, daß die Privaterziehung durch Hof-, Sprach-, Fecht-, Tanzmeister und andere Lehrer und Erzieher erhebliche Kosten verschlang, die aufzubringen dem weniger begüterten Adel schwerfiel bzw. unmöglich war.

Nicht allein die Einsparung der Kosten für die private Einzelerziehung, auch der Ersatz der Kavalierstour durch weniger aufwendige Veranstaltungen, auf den in den oben erwähnten Gründungsstatuten der Ritterakademie Wolfenbüttel hingewiesen ist, kommt als Motiv wirtschaftlicher Art hinzu. Als Reminiszenz jener Tradition der Bildungsreise kann das Bestreben gedeutet werden, für den fremdsprachlichen Unterricht so gut es ging die fremde Umgebung aufzubauen, wie dies in der Nachricht von der gegenwärtigen Verfassung der Ritterakademie und des Seminarii zu Christian Erlang von 1741 zum Ausdruck kommt, eine Maßnahme, die den engen Zusammenhang von fremder Sprache und fremder Umwelt für die bildende Begegnung unterstreicht. Es heißt in dieser Nachricht:

"Und damit ihr euch je länger je mehr in den occidentalischen Sprachen wegen der vielen schönen und sinnreichen Bücher perfectioniren möget, so wollen wir der in hiesiger Akademie in der größern Tafelstube, welche mit allerhand nützlichen Rissen und Kupferstichen bekleidet ist, Mittwochs und Sonnabends Nachmittags fühmlich angestellten Assemblée uns mitbedienen; dann Montags und Donnerstags gegen vier Uhr hiesige französische Kaffeehäuser, allwo allemahl die Zeitungen abgelesen und über selbige räsonnirt wird, besuchen."

Auch für die Anfänge des Englischunterrichts in Deutschland waren die Ritterakademien erste Zentren. Nach Ausweis von Aehle schwankte die Bedeutung des Englischen an diesen Schulen von der bescheidenen Randstellung als wahlfreies Unterrichtsfach (so an der Ritterakademie zu Wolfenbüttel) bis zum verbindlichen Hauptfach, namentlich am Carolinum zu Braunschweig und an der Hohen Carlsschule zu Stuttgart. Im Gesamtüberblick zeichnet Aehle das folgende Bild:

"Wissenschaftlich einwandfrei nachweisbar ist verbindlicher Unterricht in Englischen an 16 von 20 untersuchten Ritterakademien, möglich als Privatlektion an der Adligen Akademie zu Kremsmünster, so daß nur drei, die Ritter- oder Exercitienakademie zu Halle, die Friedländische Akademie zu Gitschin und die Ritterakademie zu Ettal mit negativem Ergebnis übrig bleiben."

Aehle stellt weiter fest, daß neben der französischen und der englischen Sprache auch Italienisch und Spanisch im Lehrplan verschiedener Ritterakademien vertreten waren, und zwar beide Sprachen an den Adelsschulen zu Tübingen, Wolfenbüttel, Berlin und Kassel, allein das Italienische in Lüneburg, Braunschweig, Reval, Wien, Saarbrücken, Stuttgart, Brandenburg und Liegnitz, allein das Spanische in Erlangen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Unterricht in den einzelnen Fremdsprachen jeweils abhängig war von der Anwesenheit eines Sprachlehrers; da dies nicht immer der Fall war, ist davon auszugehen, daß es längere oder kürzere Perioden waren, während derer die Möglichkeit zu solchem Unterricht gegeben war. nicht aber durchgängig die Zeit des Bestehens der einzelnen Anstalten.

Durch die Errichtung von Ritterakademien verlagerte sich die Stellung der lebenden Fremdsprachen im Rahmen der Adelserziehung insofern, als das Verhältnis des jungen Adligen zum fremden Land und zur fremden Sprache sich änderte. Ständische und wirtschaftliche Gesichtspunkte, verbunden mit dem Gedanken der Bewahrung vor schädlichen Einflüssen während des Auslandsaufenthalts, führen dazu, daß die bis dahin für die Adelserziehung charakteristische unmittelbare Begegnung mit der Wirklichkeit der fremden Nation in einen festen Bildungsplan eingeordnet wurde. Von der Fülle der Erfahrungen, die im direkten Verkehr mit dem fremden Land und seinen Bewohnern gewonnen werden konnten, blieb nur dasjenige erhalten, was kommunikabel war, ohne daß der Zögling in den fremden Lebensbereich eingeführt wurde; dies war vor allem die fremde Sprache in ihrer schriftlichen Form, die Literatur der fremden Nation. Die Ablösung dieses direkten Bezugs ist als einer der Hauptgründe dafür zu werten, daß im neusprachlichen Unterricht seit dem 18. Jahrhundert die Tendenz zur Literarisierung und zum Grammatisieren fast ausschließlich herrschte und erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts durch die neusprachliche Reform zurückgedrängt wurde. Die lebende Fremdsprache wurde nunmehr im Zusammenhang eines charakteristischen Kanons von Gehalten erworben, der im Falle der Ritterakademien darauf abgestellt war, den jungen Menschen in die Aufgaben seines Berufs und seines Standes einzuführen. Wie weit Methoden und Inhalte des neusprachlichen Unterrichts von dieser Aufgabe bestimmt waren, wird im 5. Abschnitt dargestellt.

Zunächst soll erörtert werden, welche Stellung der neusprachliche Unterricht im angegebenen Zeitraum in der bürgerlichen Erziehung einnahm.

4. Die lebenden Fremdsprachen in der bürgerlichen Erziehung

Der Überblick über die Schulen, an denen lebende Fremdsprachen gelehrt wurden, hat gezeigt, daß sich darunter auch solche Anstalten befanden, die nicht ausschließlich für den Adel bestimmt waren. Das auch in bürgerlichen Schichten vorhandene Bedürfnis, Kinder in modernen Fremdsprachen unterweisen zu lassen, faßt Dorfeld wie folgt:

"Schon früh, und nicht erst seit dem 30jährigen Krieg strebte der gebildete Bürgerstand darnach, die Kenntnis einer modernen Sprache, vorzüglich der französischen, sich zu verschaffen. Der reiche Patricierssohn wollte das nicht missen, was bei dem jungen Adligen als zur vollkommenen Bildung gehörig gefordert wurde, und der Kaufmann wußte auf seinen Reisen und im Verkehr mit den vertriebenen Reformierten den Wert dieses neuen Bildungsmittels zu schätzen."

Eine ähnliche Feststellung trifft Schmidt:

"Der Bürgerstand, der auch in den schweren Zeiten des 30jährigen Krieges sich, besonders in den größeren Städten, einer relativ größeren Sicherheit erfreuen konnte als der Landadel, ließ den ganzen Krieg hindurch den französischen Sprachunterricht nicht abreißen, und am Ende des Krieges sehen wir die eigentümliche Erscheinung, daß das vornehmere Bürgertum sich ebenso, ja bald mehr als der Adel, an der französischen Bildung beteiligt. Nach dem 30jährigen Kriege gibt es keine ausgesprochen für den Unterricht der Adligen bestimmten Grammatiken mehr, und der Trennungsstrich liegt vielmehr in der Reihe der Bürgerlichen selbst, indem hier der Unterschied zwischen dem, der an der französischen Bildung teilnahm und dem, der sich ihr nicht widmete oder sich nur eine gewisse sprachliche Bildung für Berufszwecke aneignete, zur Geltung kam."

Soweit nicht besondere Umstände, wie Grenzlandsituation oder Emigrantenschicksal, für dieses Bedürfnis vorlagen, sind in erster Linie berufspraktische und ständische Motive dafür zu nennen. Von den Berufen, für welche die Kenntnis lebender Fremdsprachen als förderlich erachtet wurde, stehen Handel und Verwaltung an erster Stelle; schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde jedoch der Wert neusprachlicher Kenntnisse auch für die akademischen Berufe erkannt. So hielt z. B. der als Professor an der Ritterakademie Liegnitz wirkende August Bohse - nach Aehle zum ersten Male -

"die Englische Sprache sonderlich denen zu erlernen nuetzlich, welche Theologiam oder auch Medicinam studiren: Denn ihre (der Engländer) Geistlichen ueberdiemassen lehrreich schreiben / und vortreffliche Meditationes haben / die hernach die Teutschen in ihren Predigten und Oratoria Ecclesiastica sehr wohl zur Erbauung koennen anbringen / und sich zugleich dadurch beliebt machen. So seynd auch in Chymicis, und was sonst die Wissenschaft eines Medici vermehren kan / koestliche Sachen in ihrer Sprache heraussen."

Besonders diejenigen Angehörigen bürgerlicher Schichten, die als Diplomaten tätig sein wollten, bedurften nach seiner Auffassung solcher Kenntnisse; dabei fällt auf, daß Bohse nicht nur an die französische, sondern auch an die englische Sprache dachte:

"Und weil die Teutschen Hoefe / sonderlich aber der Koeniglichen Preussische oder Hannoverische mit den Englischen viel zu negotiieren haben / so dienet es auch sehr zur Recommendation eines Jungen von Adels oder Buergerlichen / welcher sich mit der Zeit daselbst zu engagiren gedencket / wenn er dieser Sprache kundig ist."

Auch der Rektor des Zittauer Gymnasiums, Gottfried Polycarpus Müller, erachtete die drei Sprachen der galanten Welt, d. h. das Französische, das Englische und das Italienische, wegen der Literatur für alle Fakultäten, die durch sie erschlossen werden konnte, für wichtig; zugleich ließ er erkennen, daß er dabei nicht nur die Verhältnisse des Adels im Auge hatte:

"Es sind theils so viel fürtreffliche Bücher für alle Fakultäten in den drei sogenannten galanten Sprachen ediret worden; theils gebrauchen unterschiedliche Stände, sonderlich der Adeliche und der Hofstand eine oder die andere von diesen Sprachen in ihrem ganzen Leben: dass ein vernünftiger Schul-Mann, der seine Anvertraute nicht zur Speculation, sondern fürnehmlich zum künftigen Leben praeparieren will, Ursache findet, dieselben einem jeden nach seinem künftigen Gebrauch lernen zu lassen."

Auch das Motiv der sozialen Nachahmung war nicht ohne Einfluß auf die Verbreitung moderner Fremdsprachenkenntnisse im Bürgertum. Der von Friedrich Paulsen formulierte Satz, welcher besagt, daß die Bildungswege höherer Schichten von unteren Schichten übernommen werden , findet im 17. und 18. Jahrhundert hinsichtlich der lebenden Fremdsprachen seine Bestätigung.

Schließlich bietet sich in den pädagogischen und religiösen Anschauungen des 17. Jahrhunderts ein weiteres Motiv für die neusprachliche Bildung ohne Rücksicht auf die soziale Schichtenzugehörigkeit an. Es ist dies die in der Pädagogik des Comenius enthaltene Auffassung von der Gottbezogenheit der Sprachen, die das Erlernen möglichst vieler Sprachen an sich als wertvoll erscheinen läßt. Geißler interpretiert diese Auffassung wie folgt:

"Der junge Mensch soll nach seiner (Cormenius') Meinung in einem natürlichen Nebeneinander mehrerer Sprachen aufwachsen. Uns kommt die Lehr- und Lernmethode des Comenius vielfach zu mechanisch vor; er wollte aber im Grunde damit nur erreichen, daß die Schüler beim Erwerb der lebendigen Nachbarsprachen ebenso wie beim Erlernen der geheiligten antiken Sprachen von Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung und von dem Bewußtsein einer christlichen Sendung erfüllt würden. Für Cormenius befreit das ständige Vergleichen der Sprachen miteinander von der Enge irdischen Gebundenseins und erhebt den Blick zum Verständnis der von Gott gesetzten Zusammenhänge alles Seins."

Dieser religiöse Bezug des neusprachlichen Unterrichts kam bereits in den Anfängen dort zum Ausdruck, wo im Unterricht religiöse Inhalte zugrunde gelegt wurden, wie in dem Lehrbuch des Nathanael Duez, das auf der Grundlage der Janua verfaßt worden war. Die Bedeutung dieser Lehrweise im französischen Unterricht sieht Schmidt darin, daß mit ihr ein Durchbruch zu nicht-ständischen Gesichtspunkten erfolgte und somit der Weg frei wurde für eine Eingliederung des französischen Sprachunterrichts in das öffentliche Schulwesen:

"In dieser Stoffauswahl (d. h. wie sie in der Janua getroffen wurde) liegt eine ungeheure Bedeutung für den französischen Unterricht; denn dieser wird hier das erste Mal dem eleganten Gesprächston der phrasenhaften Dialogsammlungen entrissen und, indem er nicht mehr allein die äußerlichen Neigungen eines einzigen Standes berücksichtigt, reift er im Zusammenhang mit der Schulpädagogik der Zeit zu einem ordentlichen Lehrfach heran."

Aus dieser Eingliederung ins öffentliche Schulwesen erklärt sich zugleich auch das Bestreben, den Französischunterricht dem Vorbild des Lateins anzugleichen, d. h. ihn auf grammatischer Grundlage zu erteilen.

5. Methoden und Inhalte des neusprachlichen Unterrichts

Die Methoden des Unterrichts in lebenden Fremdsprachen waren bereits in den Anfängen von dessen Träger, dem Sprachmeister, geprägt. Nach Lehmann zeichnete ihn vor allem Erwerbsstreben aus; auf seine Tätigkeit war er i. a. nicht vorbereitet, so daß es keine Ausnahme war, wenn er der deutschen Sprache nicht mächtig und zudem nur mit Inhalten des Alltagslebens vertraut war. Seine literarischen und historischen Kenntnisse seien gering gewesen. Waren anfangs verarmte oder vertriebene Edelleute unter ihnen häufiger zu finden, so nahm mit steigender Nachfrage die Anzahl der Marktschreier zu, bei denen es Brauch war, sich des Adelsprädikats de zu bedienen. Zusammenfassend sagt Lehmann:

"Unstet war ihr Leben; fanden sie in einer Stadt keinen Verdienst, so mußten sie in einer anderen ihr Heil versuchen. Glücklich war jeder, der eine feste Stellung (als Sprachmeister) an einem Fürstenhofe, einer Landesuniversität oder bei einer städtischen Behörde erwarb."

Ähnlich urteilt Ehrhart , der sich auf Tübinger Verhältnisse bezieht:

"Die sprachlichen Professoren waren, soweit sich aus den leider sehr unvollständigen Akten ersehen läßt, fast durchweg Ausländer, Italiener und Franzosen; ... Es war eine bunte Gesellschaft, die sich zu diesen Stellen drängte. Französische Protestanten, durch die Wirren des 30jährigen Krieges oder die Aufhebung des Edikts von Nantes aus ihrer Heimat vertrieben, Adelige und Bürgerliche, ehemalige Offiziere und italienische Mönche suchten in Tübingen eine Zuflucht."

Für die Sprachmeister des Englischen lagen die Verhältnisse durchweg ähnlich, wie wir von Aehle erfahren:

"Von philologischer Schulung kann bei diesen Sprachmeistern natürlich noch keine Rede sein, da nicht nur die Möglichkeit, diese auf Universitäten zu erwerben, eine seltene Ausnahme darstellt (bis 1750 ist Englisch nur in Marburg, Helmstedt - ab 1731 - und Göttingen - ab 1741 - vertreten), sondern die Sprachmeister auch anderen ungelehrten Berufen entstammen und somit nicht die nötige Vorbildung zu einem Studium besitzen. Sie lehren vielmehr, namentlich soweit sie Ausländer sind, par routine meist in kleineren Zirkeln nach der natürlichen, direkten, synthetisch-konstruktiven Methode, die durch Induktion und Imitation zum Ziele führen will."

Zu dieser Charakteristik des Sprachmeisters und seiner Methode ist anzumerken, daß philologische Schulung im engeren Sinne auch von einem Universitätsstudium nicht hätte erwartet werden können, da sich die beiden in Frage kommenden Disziplinen, Romanistik und Anglistik, erst im 19. Jahrhundert ausbildeten.

Hauptkennzeichen der Sprachmeistermethode im typischen Sinne war, daß der Lehrer der fremden Sprachgemeinschaft angehörte. Er ließ den Zögling die zu vermittelnde Fertigkeit (Sprechen und Verstehen, Lesen und Schreiben der fremden Sprache) teilnehmend erfahren und konnte auf ein Lehrbuch weitgehend verzichten . In seinen einer Meisterlehre analogen Unterricht ging damit nicht allein das unmittelbare Sprachvorbild ein, sondern auch alle jene Nuancen, in denen sich die nationale Verschiedenheit von Individuen manifestiert. Das Fremde wirkte so nicht nur durch die Sprache, sondern in unmittelbarer Anschauung. In dieser Konstellation, bei der das erstrebte Ziel, die Sprachbeherrschung, den Vorrang vor dem methodisch gestalteten Weg hatte, herrschten subjektive Momente vor. Dadurch war eine Anpassungsfähigkeit an das jeweilige Bedürfnis des Zöglings gewährleistet, andererseits bildete die große Abhängigkeit vom Vermögen des jeweiligen Sprachmeisters den Angelpunkt für Gelingen oder Scheitern dieser Vermittlungsweise.

Neben dieser vorstehend in typisierender Vereinfachung dargestellten Sprachmeistermethode, die vor allem auf Nachahmung gründete, gab es schon seit dem 17. Jahrhundert Anfänge einer mehr synthetisch-konstruktiven Methode der Spracherlernung . Sie ist belegt durch mehrere Lehrbücher, die den Charakter von Grammatiken zeigen, ohne jedoch identisch zu sein mit der Regelgrammatik neueren Typus. Dieses Verfahren gewann an Bedeutung, nachdem auch Deutsche als Lehrer der neueren Sprachen, besonders des Französischen, auftraten. Lehmann setzt die Veränderung im Unterrichtsbetrieb, in deren Verlauf die Sprachmeistermethode von dem grammatischen Verfahren allmählich verdrängt wurde, um die Wende vom 17. und 18. Jahrhundert an :

"Die Methode des französischen Unterrichts, die bis dahin, wie wir oben sahen, eine recht freie, ungezügelte war, wurde schulmäßig im Anschluß an den Unterricht in den alten Sprachen ausgebaut. Der Lektüre wurde ein weites Feld eingeräumt, und die französische Literatur des Zeitalters Ludwigs XIV. bot dazu in Poesie und Prosa für die verschiedenen Literaturgattungen reiche Ausbeute. Dabei vernachlässigte man aber durchaus nicht die praktische Seite, das Sprechen. Neben mehr oder weniger umfassenden Proben aus der französischen Original- oder aus der Übersetzungsliteratur altklassischer Werke enthalten die französischen Grammatiken meistens noch Dialoge, Nomenclaturen, Sprichwörter- und Gallizismenverzeichnisse; dazu gesellen sich seit Ende des 17. Jahrhunderts Listen von Germanismen als notwendiges Erfordernis der Übersetzungsübungen aus dem Deutschen ins Französische, denen aber bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts in den Grammatiken nur ein bescheidener Platz eingeräumt wurde. Die eigentliche Grammatik erfuhr meist eine bedeutende Erweiterung, nicht immer zum Vorteil des Unterrichts. Man verfiel eben hier, wie so oft auch in neuester Zeit aus einem Extrem ins andere, und zwar damals, um der durch Gramatic-lose Maitres eingerissenen Unsicherheit in grammatischen Dingen abzuhelfen, die man bei Klassenunterricht besonders störend empfand. Neue Methoden wurden ersonnen, wenigstens reden immer die Titel der Grammatiken davon, die damals entstanden; nach Stengel sind es von 1680 bis 1740 nicht weniger als 160."

Dieser zweite methodische Weg zum Erlernen der Fremdsprache unterschied sich in zwei für den vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Punkten von der Sprachmeistermethode; dies sind sein Schulcharakter und die Bewertung der Sprache als solcher. Für den Schulcharakter dieser Methode ist einmal die Übernahme eines im Raume der Lateinschule entstandenen methodischen Vorbilds ausschlaggebend; zum anderen be- förderte die in der Schule gegebene Gruppensituation das Entstehen einer Methode, die auf Gleichförmigkeit hin angelegt war und ihre Abfolge an der Struktur des Gegenstands, der Sprache, ausrichtete und nicht primär an den jeweiligen Interessen und Bedürfnissen eines einzelnen Zöglings. Drittens zeigte sich der Schulcharakter dieser Methode, die Trennung vom Leben, darin, daß die Beziehung zum fremden Land nur indirekt gegeben war. Dies hängt eng mit dem zweiten Punkt zusammen, der zentraleren Stellung der Sprache als solcher. Dadurch, daß die Sprachformen bezeichnet und isoliert, ihre Verbindungen getrennt eingeübt wurden, erhielt in dieser Form des Sprachunterrichts das Mittel - die Sprache - den Vorrang vor dem Vermittelten, der fremden Lebenswirklichkeit . Der Zug zu größerer Rationalität und Distanz, der dieser Methode innewohnte, empfahl sie dem Lehrer, der nicht der fremden Sprachgemeinschaft angehört. Diesen Zusammenhang spricht Dorfeld an, wenn er sagt:

"Im 18. Jahrhundert (Anfänge reichen schon ins 17. Jahrhundert) kommt die grammatisierende Methode auf. Sie wurde vor allem von einer neuen Gruppe Lehrern aufgebracht, von Informatoren, die auch anderen Unterricht erteilten, Französisch nebenbei."

Konsequenterweise setzte sich diese Methode bei der Einführung der neuen Sprachen in den öffentlichen Schulen im 19. Jahrhundert fast ausschließlich durch, da nunmehr kaum noch ausländische Sprachlehrer zur Verfügung standen .

Inhalte des neusprachlichen Unterrichts waren Begebenheiten des Alltagslebens, Ge-spräche, die auf die Situation im fremden Land vorbereiteten. Lehmann beschreibt z. B. das französische Lehrbuch des Nathanael Duez aus dem Jahre 1639 (französische Ausgabe), bzw. 1656 (deutsche Ausgabe) wie folgt:

"Die inhaltliche Vielseitigkeit dieser Gespräche zeigt schon eine Aufzählung von Überschriften. Es unterhalten sich z. B. zwei Schwestern; zwei Brüder, zwei Nachbarn, zwei Landsleute, zwei gute Freunde, die sich auf dem Lande nahe bei Paris treffen; ein Arzt und ein Kranker bei drei Besuchen; ein Franzose und ein Engländer; Freunde mit einem Kutscher, einem Schneider, einem Tuchhändler, einem Hutmacher; Reisende mit ihrem Wirt, mit ihrem Sprachmeister. Solche Gespräche über die Reise waren in damaliger Zeit von besonderer Wichtigkeit; sie dienten gewissermaßen als Reiseführer; in ihnen fand der junge Edelmann, der im Lande französischer Zunge seine Sprachkenntnisse verwerten und erweitern wollte, die beste Unterweisung."

In anderen Lehrbüchern des 17. Jahrhunderts spielen Bankettszenen, Ein- und Verkauf, Fragen nach dem Weg, aber auch religiöse Themen eine Rolle.

Von den Themen, die der französische Sprachmeister Rouville, der seit 1655 die kursächsischen Prinzen und Prinzessinnen unterwies, seinem Unterricht zugrunde legte, heißt es bei Richter:

"Von Rouvilles unterrichtlichen Maßnahmen zeugt ein Oktavheft ohne Jahr und Namen, das durch den vorgestellten Leitspruch der Prinzessin ... und das Auftreten der fünf vom Lehrer angeblich beherrschten Sprachen gekennzeichnet wird (das sind: Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Englisch) ... Er faßt die Redensarten nach Sachgebieten zusammen, so ... Gratulations-Complimente an einen Staats-Rath ... an einen Staats-Secretarium ... An einen Oberjägermeister ... An einen Hof-Meister ...."

Weitere Themenkreise waren

"De la chasse, ... Entretien en parlant d'une Bibliothèque ... Le devoir d'un Ambassadeut qui va en Ambassade ... Portrait d'un Grand Ministre d'Etat ... Abschieds-Complimente ... eine französische Niederschrift Eloges particuliers de la Langue Françoise, zuletzt ... eine solche religiösen Inhalts ...."

Im Halleschen Pädagogium, wo, wie bereits erwähnt, das Französische 1721 erstmals fest im Lehrplan verankert wurde, spielte das neue Testament in französischer Sprache, sowie die Vaugelas-Übersetzung des Vurtius eine Rolle, daneben Zeitungen. An anderen Anstalten, wo das Französische noch im Privatunterricht betrieben wurde, wird mehrfach Fenélons Télémaque als Lektüre erwähnt. Eine Hinwendung zu literarischen Themen ist seit dem 18. Jahrhundert unverkennbar. Für das Italienische, das Spanische und das Englische ließen sich für den behandelten Zeitraum keine Hinweise auf Unterrichtsthemen finden. Eine Anmerkung Dorfelds läßt auch fraglich erscheinen, ob eine weitere Erhellung dieser Unterrichtswirklichkeit zu erwarten ist, da Dorfeld zu negativen Ergebnissen bei der Quellenforschung kam:

"Leider ist es mir nicht möglich, bei den meisten übrigen Anstalten Nachrichten über Stundenzahl, Methode und Bücher, die im Unterricht benutzt wurden, zu geben. Daran wird auch wahrscheinlich die Zukunft wenig ändern. Denn die Vermutung, die sich mir durch meine erfolglosen Nachforschungen in den Acten aufdrängte, daß Aufzeichnungen über dieses Fach, das während des ganzen 18. Jahrhunderts nur dem Privatunterricht zufiel, höchst spärlich sind, wurde mir von ... (es folgen Namen- und Ortsangaben) ... bestätigt."

Somit läßt sich abschließend feststellen, daß der Französischunterricht der Anfangsepoche gekennzeichnet war von einer Vielzahl von Themen, die das höfische Leben, Reisebedürfnisse, Religion und Alltagsverrichtungen widerspiegeln. Im 18. Jahrhundert nimmt die Bedeutung literarischer Inhalte zu, ohne daß jedoch die genannten Themen ganz verdrängt würden.

6. Zusammenfassung

Die Betrachtung der Anfänge des neusprachlichen, in erster Linie des französischen Unterrichts zeigt, daß das Erlernen lebender Fremdsprachen in einer Tradition gründet, die hinter die Aufnahme dieses Unterrichts in das öffentliche Schulwesen zurückreicht. Die Motive und das Verständnis, welche sich hierbei nachweisen lassen, sind komplexer Natur ; daher erscheint es sinnvoll, die Frage auszuklammern, ob sie primär pädagogischer oder außerpädagogischer (z. B. gesellschaftlicher oder politischer) Natur sind, damit die Vielschichtigkeit der Bezüge, in denen das Erlernen lebender Fremdsprachen stand, nicht verfehlt werde. Zugleich bewahrt die Ausklammerung der genannten Frage davor, die vorgefundenen Begründungen für das Sprachenlernen unmittelbar als Bildungssinn auszugeben, eine Gleichsetzung, die im Hinblick auf die spätere Entstehung des Bildungsgedankens in seiner spezifischen Form einen Anachronismus darstellen würde. Fruchtbarer erscheint demgegenüber die Frage, wie weit diese ursprünglich verschiedenen Quellen entstammenden Beweggründe auch erzieherisch und bildungsgeschichtlich relevant werden konnten, indem sie die Richtung mitbestimmten, in der sich der Gedanke neusprachlicher Bildung entwickelte.

Die Epoche, in der neusprachlicher Unterricht zum steigenden Bedürfnis der Ober- und Mittelschicht in Deutschland wurde, ist durch die politische und geistige Vorherrschaft Frankreichs gekennzeichnet. Seine Führungsschicht hatte an der Ausbildung und Verbreitung der höfischen Lebensform jener Prägung mitgewirkt, die - wie im übrigen Europa - auch vom deutschen Adel, später von Teilen des Bürgertums, als Vorbild verstanden und nachgeahmt wurde. Für denjenigen, der die Begegnung mit der als überlegen empfundenen französischen Kultur erfahren sollte, bot sich die Frankreichreise im Jugendalter als der geeignete Weg an, der allerdings weitgehend dem begüterten Adel vorbehalten blieb.

Der französischen Sprache kam in solchem Rahmen die Rolle eines Mittlers im weitesten Sinne zu, da für die Ideen und typischen Verhaltensweisen, welche diese Lebensform ausmachten, in der deutschen Sprache noch kein angemessener Ausdruck vorhanden war. Daraus erklärt sich nicht zuletzt der Gebrauch der französischen Sprache an deutschen Fürstenhöfen. Der neusprachliche Unterricht erfüllte bei dieser unmittelbaren Begegnungsweise eine dienende und vorbereitende Rolle. Er half, die ersten Verständigungsschwierigkeiten zu überwinden und zog sich dann auf gelegentliche Hilfe zurück, bis er in der Konversation, der Korrespondenz und der Lektüre aufging.

Unmittelbare Teilhabe an der Kultur des fremden Landes war es jedoch nicht allein, was dem Erlernen einer lebenden Sprache seinen Sinn zu geben vermochte. Auch für denjenigen, welcher nicht mit einer Auslandsreise rechnen konnte, barg solches Bemühen Möglichkeiten, seinen an die Muttersprache gebundenen Erfahrungsbereich zu erweitern. Die fremdsprachliche Literatur bot dazu hinreichend Gelegenheit. Entsprechende Aussichten, auch im eigenen Lande durch Kenntnis moderner Sprachen sich Qualifikationen zu erwerben, die dem beruflichen Aufstieg wie dem sozialen Ansehen gleichermaßen förderlich waren, wurden in den Quellen mehrfach angesprochen, besonders, wo es um die Begründung des Englischunterrichts ging.

Schließlich stellte die Kenntnis lebender Fremdsprachen, vor allem des Französischen, ein Mittel der sozialen Differenzierung dar, das weitgehend unabhängig von berufs- praktischen und politischen Zielsetzungen wirkte .

Die vorstehend angeführten Begründungen des neusprachlichen Unterrichts, Hinführung zur Begegnung mit der fremden Kultur, Eröffnung beruflicher Chancen und Hebung des sozialen Ansehens waren tragfähig, ohne daß der Fremdsprache ein Eigenwert zuerkannt werden mußte. Daher befanden sie sich nicht im Widerspruch zur Sprachauffassung ihrer Zeit, in der die Sprache wesentlich als Mittel verstanden wurde. In prägnanter Formulierung findet sich diese bei Comenius:

"Die Sprachen werden nicht gelernt als ein Teil der gelehrten Bildung oder der Weisheit, sondern als ein Werkzeug, solche Bildung zu gewinnen und sie andern mitzuteilen."

Übertragen auf die hier verfolgte Fragestellung bedeutet das, daß es nicht die Sprache in ihrem Charakter als geistige Objektivation war, auf die der Sprachunterricht ausgerichtet war, wenn dies auch nicht ausschließt, daß zumindest bestimmte Bedingungen in der Sprache selbst liegen mußten, damit der Unterricht in dem aufgezeichneten Umfang Verbreitung finden konnte .

Sind die für die Anfangsperiode des neusprachlichen Unterrichts auweisbaren Motive nicht als pädagogische im engeren Sinne aufzufassen, so enthielten doch die beiden idealtypisch dargestellten Vermittlungskreise, der weltmännische und der schulmäßige, Möglichkeiten erzieherischer Wirksamkeit. Letztere bestanden der Form nach darin, daß der Zögling für Erfahrungen außerhalb seines Sprachbereichs offengehalten und in den Stand gesetzt wurde, den Erfordernissen seiner Gegenwart zu entsprechen. Das Charakteristikum der weltmännischen Vermittlung bestand dabei darin, daß die Bezugnahme auf das Fremde im Lebensverhältnis des Umgangs erfolgte und sich nicht in Vorübungen erschöpfte, sondern das Handeln, den Verkehr mit dem fremden Land, einschloß. Der schulmäßige Vermittlungskreis entbehrte dieses Lebensbezugs, machte aber durch seine Überschaubarkeit und Planbarkeit eine sicherere Auswahl der Inhalte möglich, so daß die erzieherische Einwirkung mittelbarer - etwa über bildende Literatur - sich vollzog. Ungeachtet ihres pragmatischen Verständnisses enthielten so beide Formen des Erlernens moderner Fremdsprachen Elemente, auf die sich die neusprachliche Bildung der Folgezeit stützen konnte.

III. Die Stellung der lebenden Fremdsprachen in den pädagogischen Theorien und Bildungsbewegungen von ca. 1750 - 1850

1. Martin Ehlers

Von den Vertretern der aufklärerischen Pädagogik hat sich Martin Ehlers am ausführlichsten zum Unterricht in lebenden Fremdsprachen geäußert. Seine Überlegungen zu diesem Gegenstand sind eingeordnet in die von ihm veröffentlichten Vorschläge zur Verbesserung der Lehrerbildung und des Schulwesens. Die Hebung des sozialen Ansehens der Lehrer - eine der Grundvoraussetzungen für diese Verbesserung - hängt nach seiner Auffassung zusammen mit einer Erweiterung des Wissenshorizontes dieser Berufsgruppe. Die Sprachen stehen dabei an der Spitze eines polyhistorischen Kanons, zu dem auch die Künste, Naturlehre, Historie, Mathematik und Philosophie gehören. Wie er in seiner Hauptschrift angibt, hat für ihn die französische und englische Sprachbildung innerhalb dieses Kanons die folgende Funktion:

"Sieht man auf die französische Sprache, so ist deren Gebrauch so allgemein, daß sich nicht nur unter Gelehrten, sondern auch unter andern Personen von einer guten Erziehung sehr wenige finden, denen die Kenntniß derselben auch in Ansehung des äußern Vortheile dieses Lebens nicht sehr nützlich wäre. Nächstdem hat sie in der Aussprache solche Annehmlichkeiten, und in der Wortfügung eine solche Leichtigkeit, daß, wenn wir eine fremde Sprache reden wollen, selbige vorzüglich geschickt ist, die Sprache des Umgangs zu sein, und aus diesem Grunde ist zu wünschen, daß sich ihre Allgemeinheit behaupte, und daß die verschiedenen Völker, die sich einander in ihrer eigenen Sprache nicht verstehen, selbige anstatt eines Dolmetschers gebrauchen mögen. Die große Menge vortreflicher Werke in allen Arten von Wissenschaften und Künsten ist eine neue Empfehlung für die Erlernung dieser Sprache. Die Franzosen machen überhaupt, deucht mir, zwischen sehr kleinen Seelen und sehr starken Geistern eine Mittelgattung aus. Das Schlechte und Niedrige und das Tiefsinnige und Erhabene wird durchgängig an ihnen vermißt. Sie bleiben in der Mitte und da sind sie liebenswürdig und vortreflich; da sind sie echte und geliebte Säuglinge der Natur; ohne Mühe finden sie da das Wahre und das Schöne. Dies scheinen mir einige Hauptzüge von dem Charakter der Franzosen zu sein, und betrachtet man ihre Sprache: so ist sie darnach gebildet. Die Vergleichung der Aehnlichkeit zwischen der Denkungsart und der Sprache der Franzosen dürfte eine Beschäftigung seyn, die einem schönen Kopfe Ehre und allen Liebhabern der Künste und Wissenschaften viel Vergnügen machen könnte.

Und wie vortrefflich könnte dieses Werk in den Händen des grossen Verfassers der Preisschrift von dem Einfluß der Meynungen in die Sprachen und der Sprachen in die Denkungsart werden, wenn der grössere Theil der gelehrten Welt nicht mit noch grösserer Begierde andere Arbeiten von ihm erwartete!"

Die rückläufige Entwicklung des französischen Einflusses in Deutschland spiegelt sich hier insofern wieder, als die französische Sprache nicht mehr in erster Linie als Sprache der gebildeten Welt gesehen wird, sondern als universales Verständigungsmittel. Diese ihre Eignung wird wiederum nicht mehr auf die konkrete geschichtliche Lage der französischen Vorherrschaft zurückgeführt, sondern auf die Mittelmäßigkeit (im guten Sinne) der französischen Denkungsart; letztere eigne sich dazu, jene gemeinsame mittlere Ebene zu bilden, auf der sich Angehörige der verschiedensten Nationen zu verständigen vermögen.

Neu ist bei Ehlers auch die ausführliche Begründung der englischen Sprachbildung. Wie im 17. Jahrhundert sich das feudale Lebensideal des vollkommenen Hofmannes auf französischem Boden ausgebildet hatte, so entwickelte sich im 18. Jahrhundert auf englischem Boden das Ideal des Gentleman als Lebensform des niederen Adels und des Bürgertums. Zugleich stieg der Einfluß Englands in Europa besonders auf politischem und literarischem Gebiet schnell an; dieses Verhältnis spiegelt sich in den folgenden Ausführungen Ehlers', der der englischen Sprache als Unterrichtsgegenstand mehr Raum widmet als der französischen, wie folgt wieder:

"Nächst der französischen verlange ich, daß mein Schulehrer die englische Sprache verstehe. Daß England in allen Wissenschaften, in allen Werken der Kunst und des Geschmacks die größten und erhabensten Seelen und sich über die Menschheit fast erhebende Genies hervorgebracht habe, wird mir itzt, da selbige den Deutschen so sehr bekannt zu werden anfangen, hoffentlich ohne Beweis zugegeben. Und werde ich denn beweisen müssen, daß man vorzüglich Ursache habe, ihre Sprache zu lernen? Hoffentlich auch nicht."

Ehlers betont besonders die Bedeutung der Werke der Engländer für die Ästhetische Bildung; diejenigen, die sich mit der englischen Literatur beschäftigen,

"lernen, was die Franzosen sie nicht gelehret hatten, daß die Beschäftigung des Verstandes sich auch über die Werke der Kunst erstrecken, und kommen also nach der Anmerkung der größten Kunstrichter unserer Zeit über die Metaphysik zu den Werken des Geschmacks ... Man liest hiebey die vortreflichsten Schriften der Engländer, man fühlt sich von sympathetischen Empfindungen dahin gerissen, und nun bricht das sonst in der Brust der Deutschen verschlossene Feuer für die Schönen Wissenschaften ... hervor."

Auch Ehlers beschäftigt die Frage, ob es nicht sinnvoller sei, die Werke in der Übersetzung zu lesen und die Kraft, die man für das Erlernen der fremden Sprachen aufwende, zur Erweiterung der Kenntnisse zu verwenden. Da es ihm aber in erster Linie um sprachliche Kunstwerke geht, nicht um Sachliteratur, würden in Übersetzungen wesentliche Schichten des Sprachwerkes verlorengehen:

"Die einer jeden Sprache eigenthümliche Beschaffenheit verstattet es nicht, alle diese Schönheiten in eine andere Sprache hinüber zu tragen. ... Hiezu kömmt noch dieses, daß die Wörter, welche einen gewissen Schall in der Natur nachahmen, daß die Wortspiele und Sprichwörter in einer Übersetzung fast niemals mit gleicher Annehmlichkeit ausgedrückt werden können ..."

Der wichtigste Ertrag, den die Kenntnis der englischen Sprache einbringen soll, ist nach Ehlers die Vermittlung der englischen Literatur, besonders der kunstkritischen Werke. Er nennt dabei keine Namen, doch liegt es nahe, an die englischen Wochenschriften (Spectator, Tatler, Guardian, The Gentleman's Magazine, Rambler, Adventurer, Idler etc.) und die sich in ihnen entwickelnde Essayistik zu erinnern; sie ist eng mit den Namen Pope, Addison, Steele, sowie Dr. Johnson verbunden. Zugleich liegt um die Mitte des Jahrhunderts die große Zeit des englischen realistischen Romans.

Doch nicht nur die Kenntnis der Literatur, sondern die Erweiterung der Fachkenntnisse auf allen Gebieten, nicht zuletzt der Altphilologie, wird nach Ehlers durch die Fremdsprache ermöglicht, weshalb der entsprechende Unterricht bereits in den Kanon der Schule gehört, nicht erst auf die Universitäten:

"Alle Schuleinrichtungen scheinen so beschaffen zu seyn, daß nur bloß auf die, welche sich gänzlich den Wissenschaften widmen, gesehen werde. ist dieses nicht unbillig? Sollte der Nutzen der Schulen sich nicht über alle verbreiten? Der zukünftige Soldat, der Kaufmann, der Reisende, der Landmann, der Künstler, dürfen diese bey Schulanstalten übersehen werden? Auf wie vielerley Art können die nicht von der Kenntniß der französischen und englischen Sprache nutzen ziehen? Und wie viele gibt es auch unter ihnen, die nicht bloß das Handwerksmäßige ihres Standes lieben, sondern, die auch die Vergnügungen suchen, die ihnen die Lesung schöner Schriftsteller und der Umgang mit den Musen schenken! ... Ist es auch nicht so billig, als natürlich, daß der Mensch mehr für seine Zeit lebe, als für eine jede andere, und daß er folglich Sprachen lerne. ... Man braucht die Franzosen und Engländer, um die Alten zu verstehen und erwirbt sich zugleich dadurch eine größere Fertigkeit im Englischen und Französischen. Eben dieses gilt auch von den Wissenschaften, womit man sich hernach zu beschäftigen anfängt."

Damit sind die Hauptmotive, die Ehlers für das Erlernen fremder Sprachen anführt, genannt: Das Französische als allgemeines Verständigungsmittel, das Englische wegen der englischen Literatur, beide Sprachen wegen ihres Nutzens für den künftigen Beruf, für den sie Fachliteratur zu erschließen vermögen.

Der wachsende Einfluß Englands im 19. Jahrhundert wurde besonders in Norddeutschland durch die Personalunion des englischen und des hannoverschen Throns gefördert. Auch die sich mehrenden politischen Bildungsreisen nach England sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen, auch wenn sie, im Unterschied zu den Bildungsreisen nach Frankreich, überwiegend von Erwachsenen unternommen wurden .

Da Ehlers die Einbeziehung lebender Fremdsprachen in den Kanon der Jugendbildung unter dem Gesichtspunkt des späteren Berufs sieht, kann er als Vorläufer jenes pädagogischen Realismus angesehen werden, der im 19. Jahrhundert die Einführung französischen und englischen Unterrichts in das mittlere Bildungswesen förderte.

2. Der Philanthropismus

Ernst Christian Trapp, der "Theoretiker unter den Philanthropen" , macht in seiner Schrift Über den Unterricht in Sprachen das Verhältnis des Philanthropismus zum Sprachunterricht in exemplarischer Weise greifbar. Seine Vorstellungen vom Bildungswert der Sprachen sind eingeordnet in seine pädagogische Theorie, welche - wie später die Herbarts - den Unterricht als Mittel der Erziehung begreift. Die Funktion eines so verstandenen Unterrichts ist nach Trapp die Bereitstellung von Ideen und Begriffen, deren der Zögling als Mensch und als Glied der Gesellschaft bedarf. Von dieser vorwiegend Materialien Unterrichtsauffassung, für die als Ziel ein Inventarium enzyklopädischer Kenntnisse und moralischer Ideen erstrebt wird, ist auch die Aufgabe des Sprachunterrichts vorgezeichnet. Sie entspricht weitgehend der bereits von Comenius aufgestellten Maxime der Priorität der Sachen vor den Sprachen. Die Frage, ob das Sprachstudium unabdingbare Voraussetzung der Bildung sei, oder ob Sachgelehrsamkeit dieses entbehren könne, findet folgende Antwort:

"I. Das Sprachstudium befördert nicht die Geistesbildung und Aufklärung überhaupt, weil es sich bloß mit Wörtern beschäftigt und daher gar kein taugliches Mittel ist, um jenen wichtigen Zweck zu erreichen, vielmehr bessern Mitteln im Wege steht.

II. Das Sprachstudium ist nicht der Grund also auch nicht die unumgängliche Bedingung aller Gelehrsamkeit, weil Sachgelehrsamkeit ohne dieses Studium Statt finden kann."

Es bleibt offen, ob die Absage an allen Unterricht in Sprachen zum Zwecke der Geistesbildung, die sich aus dieser Äußerung entnehmen läßt, für jede Form dieses Unterrichts gilt oder nur gegen jenen vorherrschenden Unterrichtstypus seiner zeit gerichtet ist, der das bloße Erlernen der Sprache als sein Ziel betrachtete. Dennoch glaubt Trapp, auf fremdsprachlichen Unterricht nicht verzichten zu können, wenn auch aus anderen Gründen:

"Erlernung fremder Sprachen ist also ein nothwendiges Übel; nothwendig wegen des nothwendigen Verkehrs der Nationen miteinander, welches Verkehr in Bedürfnissen und Trieben der menschlichen Natur begründet ist; ein Uebel, weil die Vermehrung und Verbesserung der Ideen dadurch gehindert wird."

Der Hinweis auf die Verkehrsfunktion der Sprachen, mit der Trapp die Notwendigkeit des fremdsprachlichen Unterrichts begründet, liegt somit ganz im Rahmen der schon bekannten Argumente. Von der Verkehrsfunktion der Fremdsprachen her bestimmt Trapp nun

a) den Personenkreis, der ihrer bedarf,

b) die jeweils zu erlernende Sprache und deren Reihenfolge, sowie

c) den Zeitpunkt, den Grad und die Art ihrer Erlernung, womit die Wendung zum Methodischen angebahnt wird.

Zur ersten Frage: Fremde Sprachen soll nur derjenige lernen, der sie braucht, "dessen Stand, Lebensart, Wohnort, Geschäfte sie ihm nötig machen" . Wenn wir Brauchbarkeit hier auch nicht ausschließlich im ökonomischen Sinne zu verstehen haben, so kommt doch dem wirtschaftlichen Aspekt besonderes Gewicht zu. Daneben lassen sich sozialpsychologische Motive feststellen, wie aus folgendem hervorgeht:

"Ich untersuche hier nicht, ob gewissen Classen der Menschen gewisse fremde Sprachen nicht aus Vorurtheil für unentbehrlich gehalten werden. Wenn das Vorurtheil allgemein und verjährt ist: so können wir nichts dagegen ausrichten, was auch die Vernunft für Gründe anführen mag. Dies ist z. B. der Fall ... mit dem Französischen fürs Frauenzimmer. ... (Diese werden) immer Französisch lernen, wenn gleich der Nutzen dieser Sprache für sie nicht sehr erheblich ist."

Zweitens leitet Trapp aus der Verkehrsfunktion auch die Bestimmung der Sprachen, die zu lernen sind, ab:

"Man lernt nämlich zunächst und allgemein die Sprache der Völker, mit welchen unsere Nation und die meisten cultivirten Nationen den meisten Verkehr haben."

Das wir Verkehr im allgemeinsten Sinne, also nicht nur als Geschäfts- und Reiseverkehr zu verstehen haben, entnehmen wir dem folgenden Zitat:

"Ich nehme Verkehr hier in der vielumfassenden Bedeutung, wo es nicht bloß Handel und Wandel und dgl. sondern auch Mittheilung von Kenntnissen bedeutet. In diesem Sinne hatten die Römer Verkehr mit den Griechen; wir haben ihn besonders mit Franzosen, Engländern, Italienern, Spaniern."

Wir müssen diesen Verkehrsbegriff besonders nachdrücklich festhalten, weil er manchen Argumenten, die vom neuhumanistischen Bildungsdenken her angeführt werden, und die den Vorwurf bloßer Nützlichkeit enthalten, die Grundlage entzieht. Drittens hängt der Grad an Vollkommenheit der Sprachbeherrschung, der zu fordern ist, ebenfalls von der möglichen Teilnahme an diesem Verkehr ab. Der höchste Grad schließt ein: "... fehlerfrei sprechen und regelrecht und schön schreiben" . Für künftige Kaufleute z. B. jedoch genügt ein geringerer Grad vollauf. Diese Abhängigkeit von der künftigen (Berufs-)Stellung läßt sich nur halten, wenn man die berufliche Vorherbestimmung und die künftige soziale Stellung der Zöglinge als weitgehend vorgegeben anerkennt. Da eine solche Beschränkung aber den Weg verfestigt und die spätere Entscheidung vorwegnimmt - was durchaus nicht im Sinne der Philanthropen wäre - nimmt Trapp diese Begründung zumindest bei der Reihenfolge der Sprachen wieder zurück:

"Weil man in den Jahren, wo die Erlernung fremder Sprachen gewöhnlich ihren Anfang nimmt, noch nicht wissen kann, ob ein Knabe künftig den gelehrten oder einen andern Stand wählen werde: so ist es besser, ihn erst lebende Sprachen, und unter diesen zuerst diejenige lernen zu lassen, die wegen der Allgemeinheit ihres Gebrauchs und Nutzens auf diesen Vorzug mit Recht Anspruch macht. Das Latein des künftigen Gelehrten verliert nichts dabei, wenn es hinter dem Französischen hergelernt wird; ... Welche Sprache auf das Französische folgen müsse, läßt sich im Allgemeinen nicht bestimmen. Der künftige Kaufmann wird wohl das Englische, Italienische, Spanische u. s. w. wählen; der künftige Gelehrte kann, wenn er nicht etwa noch das Englische vorausschicken will, gleich zum Latein übergehn; und so ein jeder nach seiner Bestimmung und nach den Umständen."

Aber nicht nur die größere Chance künftiger Anwendbarkeit fordert die Reihenfolge Französisch-Latein, auch die Unterrichtsmethode, die im Französischunterricht jugendgemäßer, natürlicher ist, spricht dafür:

"Gewöhnlich wird beim Französischen eine Methode gebraucht, die zwar nicht so philosophisch aussieht, als die man gemeiniglich beim Latein befolgt, die aber dahingegen natürlicher ist und schneller zur Erreichung des Zwecks, der mechanischen Fertigkeit im Verstehen, Sprechen und Schreiben, führt."

Ehe diese Begründung von der Methode her erörtert werden soll, ist kurz auf den Sprachbegriff Trapps einzugehen. Wenn, wie bei Trapp, allein die Verkehrsfunktion der Sprache zur Begründung des fremdsprachlichen Unterrichts angeführt wird, so schließt dies eine Anerkennung des Eigenwertes der Sprache aus; damit entfällt aber auch die Möglichkeit, die Sprache als solche zum Gegenstand der Bildung zu erheben.

Damit ist die Auffassung verbunden, daß die Wörter der verschiedenen Sprachen lediglich verschiedene Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache sind. In diesem Sinne äußert sich Trapp, womit er ganz dem Denken der Aufklärung folgt:

"Ich behaupte nicht, daß der Inhalt eines in einer fremden Sprache geschriebenen lehrreichen Buches der Jugend nicht nützlich sey; sondern nur dies, daß die fremde Sprache nichts zu dem Nutzen des Inhalts beitrage; daß also dasselbe Buch, in einer guten Übersetzung gelesen, wenigstens eben so viel Nutzen stifte."

Auf die Ideenbildung des Individuums bezogen muß die Konsequenz dieser Sprachauffassung sein:

"Der jugendliche Geist strebt nach Erweiterung seines sinnlichen, intellectuellen und moralischen Erkenntnisvermögens. Nun erfährt er nichts neues dieser Art, wenn er z. B. hört, wie Pferd, Esel, Fuchs ec. in einer fremden Sprache heißt."

In welch grundlegendem Gegensatz zum neuhumanistisch-idealistischen Sprachverständnis sich Trapp hier befindet, wird deutlich, wenn man dem die spätere Auffassung W. v Humboldts gegenüberstellt:

"Mehrere Sprachen sind nicht ebensoviele Bezeichnungen einer Sache; es sind verschiedene Ansichten derselben, und wenn die Sache kein Gegenstand der äußeren Sinne ist, sind es of ebensoviele, von jedem anders gebildete Sachen, ...."

Schon hier wird deutlich, daß der Sprachbegriff eines der Kriterien ist, an denen sich Wertschätzung und Gestaltung des Sprachunterrichts entscheiden.

Wie bereits erwähnt, leiten die Philanthropen ein weiteres Motiv für das Lernen moderner Fremdsprachen im jugendlichen Alter aus der Methode ab. Dieses Motiv, das bezeichnend für die Methodengläubigkeit der Bewegung ist, bedarf deswegen besonderer Erwähnung, weil die Rückwendung und -wirkung methodischer Konzeptionen auf die didaktische Grundlegung an späterer Stelle im Zusammenhang mit der neusprachlichen Reformbewegung ein wichtiges Moment darstellen wird.

Zwei weitere Belegstellen bei Gedicke und Locke ergänzen die oben zitierte Begründung Trapps und machen das Besondere dieser Motivation sichtbar. Gedicke, der wegen seines Einflusses auf das öffentliche Schulwesen eine besondere Rolle spielt, folgt in seinem Denken ganz den Auffassungen der Philanthropen, wenn er sagt:

"Es ist wahr, da die französische Sprache eine Tochter der lateinischen ist, und beinahe den größten Teil ihrer Wörter von dieser entlehnt, so wird allerdings die Erlernung der französischen Sprache durch vorherige Kenntnis der lateinischen außerordentlich erleichtert, aber dieser Vorteil allein ist nicht Grund genug, die schwierigere Sprache früher zu erlernen. Und sollte nicht das Französische ebenso gut die Erlernung des Lateinischen erleichtern können, wie dieses die Erlernung von jenem? Aber schon darum ist die französische Sprache geschickter, den Anfang unter den fremden Sprachen zu machen, weil der Lehrer in ihr sogleich die natürlichste Methode der Spracherlernung, ich meine die Sprachmethode anwenden kann."

Lockes Stellung zu dieser Frage entspricht dem weitgehend. (Bei dem folgenden Zitat ist lediglich Englisch als Muttersprache, Französisch als erste Fremdsprache zu verstehen):

"Sobald er nun Englisch sprechen kann, so ist es Zeit, daß er auch irgend eine andere Sprache lerne. Wenn man hierzu die französische vorschlägt, so wird wol Niemand etwas dagegen einwenden. Und die Ursach ist, weil die Leute bei dieser Sprache wirklich an die richtige Methode sie zu lehren gewöhnt sind, nemlich nicht durch die Regeln der Grammatik, sondern dadurch, daß man sie im Umgang, durch fortgesetzten Gebrauch derselben den Kindern einschwatzt."

Wenn sowohl Trapp als auch Gedicke und Locke den größeren Wert des Französischunterrichts für eine bestimmte Altersstufe aus der Unterrichtsmethode ableiten, so spielt die Vorstellung von Natürlichkeit dabei eine besondere Rolle: Die imitative Methode der Spracherlernung, die in den Anstalten des Philanthropismus fast ausschließlich angewandt wurde, ist, da sie dem Erlernen der Muttersprache entspricht, die natürlichere, dem Kind gemäßere. Die grammatische Methode - auch als philosophische bezeichnet - besitzt diesen Vorzug nicht. Das didaktische Denken nimmt hier seinen Ausgang vom Kinde, nicht von objektiven oder gesellschaftlichen Forderungen. Die Auswahl des Bildungsgutes (hier einer Sprache) wird davon abhängig gemacht, ob es in einer Weise dargestellt werden kann, die dem kindlichen Auffassen angemessen ist.

Es lassen sich demnach folgende zwei Grundansichten des Philanthropismus zur Frage der neusprachlichen Bildung festhalten:

1. Moderne Fremdsprachen werden als Mittel wegen ihrer Verkehrsfunktion gelernt, wobei besonders das weite Verständnis des Begriffs Verkehr hervorzuheben ist. Damit bleiben auch die Philanthropen auf der Linie der bisher nachweisbaren Auffassungen vom neusprachlichen Unterricht.

2. Moderne Fremdsprachen verdienen en Vorrang vor den alten, weil bei diesem Unterricht die natürliche Methode der Spracherlernung Anwendung findet. In diesem zweiten Punkt findet das neue, von Rousseau beeinflußte pädagogische Denken Anwendung auf den Fremdsprachenunterricht. Die von der Berücksichtigung der Individualität des Kindes her zu stellenden Forderungen an die Methode (Natürlichkeit) waren in der Praxis des neusprachlichen Unterrichts - aus anderen Gründen - bereits erfüllt, so daß sich hinsichtlich der Methode völlige Übereinstimmung mit der Grundkonzeption der Philanthropen ergab.

3. Johann Gottried Herder

Das höfisch-moderne Bildungsideal und die damit verbundene Nachahmung Frankreichs, auf deren Hintergrund die Institutionalisierung des neusprachlichen Unterrichts eingesetzt hatte, waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu ihrer größten Wirksamkeit gelangt. Die Die Wandlung, die sich von der Jahrhundertmitte an im Verhältnis der Deutschen zu Frankreich vollzog, und die für die neusprachliche Bildung nicht ohne Auswirkungen bleiben konnte, hat in Herders Anschauungen von Nation und Sprache, sowie deren Zusammenhang gültigen Ausdruck gefunden.

Das Reisetagebuch aus dem Jahr 1769 gibt Aufschluß über diesen Umbruch, der sich darin zunächst als subjektive Erfahrung zeigt . Die unreflektiert, blinde Nachahmung alles Französischen, von Herder später als Gallicomanie abgelehnt , spricht der junge Herder im Reisetagebuch zumindest dem Motiv nach noch an, wenn er sagt:

"Welche Schande, bei Landräthen und Sekretairen von Wind und von Geschmack kein Französisch zu sprechen! Welche Schande, eine Schweizerfranzösin und einen durchwandernden Franzosen insonderheit wenn es ein Abbe wäre, nicht zu verstehen! Welcher Vortheil hingegen, mit jedem Narren nach seiner Narrheit zu reden, ... (es folgt die Aufzählung eines Kanons von Inhalten französischen Lebens, die zu kennen nützlich sei; der Ausruf endet:) Vorjetzt bin ich schon in Frankreich, ich muß es nutzen: denn gar ohne Französische Sprache, Sitten, Anekdoten und Känntniße zurück zu kommen, welche Schande!"

Die Anerkennung einer solchen Konvention, verbunden mit dem Wunsch, die Reiseerfahrung für die eigene Berufslaufbahn nutzbar zu machen, kommt an anderer Stelle zum Ausdruck:

"Französische Sprache ist das Medium um zu zeigen, daß man in Frankreich gelebt und es genossen hat - so auch mit andern Sprachen - wie viel habe ich zu lernen! Mich selbst zu zwingen, um nachher Einer seyn zu können, der Frankreich, England, Italien, Deutschland genossen hat, und als solcher erscheinen darf! Und kann ich als solcher erscheinen, was habe ich in Liefland als Prediger für Vorzüge und Geltungsrechte!"

Es hieße jedoch Herders Verhältnis zur französischen Tradition in Deutschland mißverstehen, wollte man diesen Aspekt als den einzigen und charakteristischen hervorheben. Wie stark das Bewußtsein davon, daß die französische Epoche ihrem Ende entgegenging, schon zu diesem Zeitpunkt bei Herder war, geht aus dem folgenden Zitat hervor:

"Frankreich: seine Epoche der Literatur ist gemacht: das Jahrhundert Ludwichs vorbei; auch die Montesquiens, D'Alemberts, Voltaire's Roußeau sind vorbei: man wohnt auf den Ruinen: was wollen jetzt die Heroidensänger und kleinen Comödienschreibeer und Liederchenmacher sagen? Der Geschmack zeigt den Mangel an Originalwerken. ... die große Ernte ist vorbei."

Im Rückblick erscheint Herder als das Hauptverdienst der Franzosen, den Werken der anderen Völker das hinzugefügt zu haben, was "wir Geschmack nennen" , und auf diese Weise deren Vermittler gewesen zu sein. Zu dieser Vermittlung

"... disponirte sie ihre Philosophische Sprache, mit ihrer Einförmigkeit, Reichthum an Abstrakten Begriffen und Fähigkeit, neue Abstracte Begriffe zu bezeichnen."

Damit scheint die Entscheidung gegen das Französische und die Herrschaft der französischen Sprache in Deutschland gefallen zu sein. Überrascht stellen wir jedoch fest, daß in dem imaginären Lehrplan, den Herder im Reisejournal entwirft, das Französische an hervorragender Stelle steht:

"Nach der Muttersprache folgt die Französische: denn sie ist die allgemeinste und unentbehrlichste in Europa; sie ist nach unsrer Denkart die gebildetste: der schöne Styl und der Ausdruck des Geschmacks ist am meisten in ihr geformt, und von ihr in andre übertragen: sie ist die leichteste, und einförmigste, um an ihr einen Praegustus der Philosophischen Grammatik zu nehmen: sie ist die ordentlichste zu Sachen der Erzählung, der Vernunft und des Raisonnemens. Sie muß also nach unserer Welt unmittelbar auf die Muttersprache folgen, und vor jeder andern, selbst vor der lateinischen vorausgehen. Ich will, daß selbst der Gelehrte beßer Französisch als latein könne."

In dieser Vorliebe für das Französische schließt sich Herder an die bis dahin geltende Tradition an, wenn auch aus anderen Motiven, wie zu zeigen sein wird. Desgleichen entsprechen seine Vorstellungen von der Methode des Fremdsprachenunterrichts derjenigen, die an Philanthropenschulen und Ritterakademien verbreitet war:

"Es muß ein Französischer Lehrer daseyn, der spreche, Geschmack und Vernunft habe; sonst sei er von allem entnommen. ... das erste Gesetz also; die Sprache soll nicht aus Grammatik, sondern lebendig gelernt werden; nicht fürs Auge und durchs Auge studirt, sondern durchs Ohr und fürs Ohr gesprochen, ein Gesetz, das nicht zu übertreten ist. ... Die erste Sprache ist also eine Plapperstunde. Der Lehrer spricht mit dem Schüler über die bekanntesten Sachen des gemeinen Lebens, ...."

Könnten diese Worte noch aus einem Methodenbuch der der Philanthropenschulen entnommen sein, so ist diese Art des Unterrichts doch nur Vorstufe für weitere Ansprüche, die darauf aufbauend zu erfüllen sind, nämlich ein literarisches und ein philosophisches Ziel.

Der literarische Anspruch, der in dem von Herder angestrebten Umfang dem Französischunterricht bisher nicht gestellt war, soll in der 2. Klasse (d. h. auf der Mittelstufe) erfüllt werden:

"Die 2. Französische Klasse spricht und lieset; mit Geschmack für die Schönheiten und Tours der Sprache: hier sind Boßvets (Bossuets) und Fenelons, Voltaire und Fontenelle, Roußeaus und Sevignes, Crebillon und Duklos Leute für den Geschmack der Sprache, der Wißenschaften, des Lebens, der Schreibart."

Die zweite Zielsetzung, die über den Rahmen des bisherigen Unterrichts in lebenden Fremdsprachen hinausgeht, ist die philosophische Grammatik. Es ist vorauszuschicken, daß dieser Entwurf Herders nicht identisch ist mit jener grammatischen Methode, die neben der Sprachmeistermethode schon in den Anfängen des neusprachlichen Unterrichts angewandt wurde, daß er aber auch einen weiteren Anspruch stellt, als ihn die Schulgrammatiker des 19. Jahrhunderts zu erfüllen vermochten. Bevor der Sprach- begriff Herders erörtert wird, der die Aufgabe einer solchen philosophischen Grammatik verständlich macht, ist noch die grundsätzliche Frage zu klären, ob sich im Verhältnis Herders zu Frankreich und zur französischen Sprache nicht eine gewisse Inkonsequenz offenbart. Diese Frage erscheint insofern berechtigt, als Herder einerseits um der Ausbildung der nationalen Eigenart willen die weitere Imitation Frankreichs ablehnt, andererseits aber dem Unterricht im Französischen, der doch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts von dieser Absicht getragen wurde, einen so hohen Rang einräumt. E. Haccius erklärt diese zwiespältige Haltung und den in ihr liegenden Widerspruch mit der Anerkennung, die Herder der französischen Geistigkeit als Stimulans für die jugendliche Entwicklung und als Einstieg in die eigene Epoche zollt, ohne dabei an Nachahmung zu denken. Es habe sich bei Herder die große Wendung vollzogen "von der Nachahmung einer fremden Welt zur schöpferischen Originalität des eigenen nationalen Geistes" . Es ist zu fragen, ob nicht auch von dem im späteren Werk Herders ausgearbeiteten Zusammenhang vom Volk, Sprache und Humanität her sich eine Klärung finden läßt. Eine der Kernstellen, an denen der genannte Zusammenhang erörtert wird, lautet:

"Wenn Wörter nicht bloß Zeichen, sondern gleichsam die Hüllen sind, in welchen wir die Gedanken sehen: so betrachte ich eine ganze Sprache, als einen großen Umfang von sichtbar gewordenen Gedanken, als ein unermäßliches Land von Begriffen. Jahrhunderte und Reihen von Menschenaltern legten in dies große Behältniß ihre Schätze von Ideen, so gut oder schlecht geprägt sie seyn mochten: ... Jede Nation hat ein eignes Vorrathshaus solcher zu Zeichen gewordenen Gedanken, dies ist ihre Nationalsprache: ... und ein Philolog der Nation, was könnte er nicht in ihm (dem Gedankenschatz) zeigen, durch ihn erklären? ... Allein die Stelle eines solchen Sprachforschers ist freilich schwer zu besetzen, weil in sie in Mann von drei Köpfen gehört, der Philosophie und Geschichte und Philologie verbinde - der als Fremdling Völker und Nationen durchwandert, und fremde Zungen und Sprachen gelernt hätte, um über die seinige klug zu reden, der aber zugleich als ein wahrer Idiot alles auf seine Sprache zurückführte, um ein Mann seines Volkes zu seyn."

Aus diesem Zitat wird nicht allein das Verhältnis von Sprache und Nation, sondern auch die Aufgabe des Philologen deutlich: Er dringt über die Sprache in den Nationalcharakter eines fremden Volkes ein, um die so gewonnene Erkenntnis auf den eigenen nationalen Lebenszusammenhang zurückzubeziehen.

Jenes Verhältnis von Sprache und Nation macht die Rolle verständlich, die Herder im Reisetagebuch - scheinbar inkonsequent - dem Unterricht in der philosophischen Grammatik einer fremden Sprache zuweist, wenn es heißt:

"Die (französische) Sprache ist einförmig, Philosophisch an sich schon, vernünftig: ungleich leichter als die Deutsche und Lateinische: also schon sehr bearbeitet. Zudem hats auch den Vorzug, wenn man an ihr Philosophische Grammatik recht anfängt, daß ihr Genie zwischen der Lateinischen und unsrer steht: von dieser wird also ausgegangen und zu jener zubereitet. Dies Studium ist hier also am rechten orte, angenehm und bildend: es sagt die Mängel der Sprache, wie ihre Schönheiten: es verbindet Lesungen und Übungen über die Werke der großen Autoren selbst. Es übet sich im Mechanischen, Physischen, Pragmatischen Styl, indem uns die Franzosen in allem, in ihren Politischen, Physischen, Mechanischen Werken so sehr überlegen sind: übet sich in der Geschichte, wo die Französische Sprache die meisten feinen Unterschiede in Zeiten, Fluß in Bildern, Reihe von Gedanken u. s. w. hat: übet sich in der Philosophie, in der die Französische Sprache den meisten Schwung genommen."

Der imaginäre Lehrplan Herders ist damit die erste Belegstelle, an der Bildung durch Grammatik im Zusammenhang mit einer lebenden Fremdsprache auftritt. Die Erläuterung des Begriffs philosophische Grammatik erweist, daß der kategoriale Ertrag solchen Unterrichts nicht im Erkennen allgemeingültiger Denkformen gesucht wird, sondern in der Einsicht in das Wechselverhältnis von Weltbild und Sprachstruktur. Der Ertrag, der in der Sprache bewahrten Denk- und Auffassungsweisen läßt sich nach Herde durch recht verstandene philosophische Grammatik wieder hervorholen.

Auf diese von Herder hervorgehobene Aufgabe des Sprachunterrichts hat F. Berger in seinem Buch hingewiesen; sein Schluß "Herder lag das Prinzip einer formalen bzw. kategorialen Schulung durch fremde Sprache nicht so sehr" ist jedoch nur dann haltbar, wenn damit allgemeine Denkkategorien gemeint sein sollen. Will Berger jedoch damit auch ausschließen, daß Herder die Möglichkeit bereichsgebundener Mitübung gesehen hat, so widerspricht dem das vorangehende Zitat; darin wird eindeutig festgestellt, daß die tempora der französischen Sprache das geschichtliche Denken üben.

Auf ein zweites Ziel, das Herder mit der philosophischen Grammatik verband, nämlich zu einem tieferen Verständnis für die fremde Nation zu gelangen, geht G. Mundorf ein . Dies soll im Zusammenhang mit Herders Humanitätsbegriff erörtert werden.

Der Sprachvergleich mit der Methode der philosophischen Grammatik ist jedoch nicht das einzige Mittel, das Fremde für die Bildung der eigenen Nation fruchtbar zu machen. Auch die Reise, die direkte Begegnung, soll positive Erfahrungen der fremden Nation oder auch negative Beispiele, die es zu meiden gilt, dem gleichen Zweck nutzbar machen. Wie Herder sich dieses Verhältnis von Nachahmen und Absetzen vorstellt, deutet er im Anhang zum Reisetagebuch an:

"Von der Bildung einer Nation nach andern-- sparsam ... behutsam ... Reisen ... gut und böses ... Nutzbarkeit ... Nutzbarmachung ... Eine Nation läuft nicht blind an, als wenn sie blind und schlecht nachahmt. ... Eine Nation indessen bleibt unvollkommen, wenn sie gar nicht nachahmet. Also Reisen. Insonderheit heut zu tage für das Ganze eines Staats unentbehrlich. ... Vieles läßt sich nicht beschreiben."

In zwei späteren Schriften Herders klingt diese Erweiterung des nationalen Erfahrungsbereichs durch Verkehr mit der Fremde ebenfalls an, wobei er weitgehend dem Fortschrittsdenken der Aufklärung folgt:

"Wie wenig Fortschritte würden wir gethan haben, wenn jede Nation in die enge Sphäre ihrer Sprache eingeschlossen, für die Gelehrsamkeit allein arbeitete? Ein Newton unseres Landes würde sich mit einer Entdeckung marten, die dem Englischen Newton lange ein entsiegeltes Geheimniß war. Er würde höchstens eine Bahn durchlaufen, die jener zurückgelegt; und tausend Fußstapfen würden ihm fehlen, seine ermüdeten Schritte aufmuntern. - Jetzt aber, welch ein Schatz von Entdeckungen ist jede Sprache der Gelehrsamkeit! Geheimnisse, die die Mitternächtliche Lampe der Alten erfand, sieht jetzt die Sonne des Mittages. Schätze, die der Schweiß einer fremden Nation aus den Adern der Tiefe grub; theilt ihre Sprache unter andre Völker als Beuten aus."

Und:

"Es ist indessen doch wahr, daß eine Gesellschaft mehr als ein Mensch, und das ganze menschliche Geschlecht mehr als ein einzelnes Volk erfinde; und das zwar nicht bloß nach Menge der Köpfe, sondern nach vielfach und innigvermehrten Verhältnissen."

Hinzugewinnung von Kenntnissen durch Erweiterung des Erfahrungsbereichs ist ein Gedanke, der mit dem Fortschrittsdenken der Aufklärung in Einklang steht. Eine Ablösung von diesen Vorstellungen ergibt sich aber dort, wo die Kenntnis der fremden Sprache Voraussetzung für den Zugang wird, also vor allem in der Dichtung; hier können Übersetzungen nur unzulänglich vermitteln:

"Es gibt immer Schönheiten, die durch den Schleyer der Sprache mit doppelten Reisen durchscheinen; man reisse den Schleyer weg, und sie zerstäuben."

Dies führt zu der Frage, auf welche Weise sich der Verkehr, durch den Völker voneinander lernen, vollziehen soll. Im besonderen fällt diese Aufgabe bei Herder der Reise zu, mit der Einschränkung allerdings, daß das Lernen nicht mehr ein einfacher Vorgang der Imitation ist. Der Verkehr mit dem fremden Land ist vielmehr unter ein verändertes Problembewußtsein gestellt:

"... wem kann ich mich denn mittheilen? Wem Intereße an mir einflössen? Gegen wen mir den Stempel des Ausdrucks geben, der nach der Französischen Denkart allein den Menschen von Geschmack und Geist ausmacht? ... Armer, wirst du dich mit deiner Deutschen Denkart, die mit deiner Muttersprache so zusammengewachsen ist, ... nur durchbetteln müssen?"

Die Selbstverständlichkeit des Umgang mit dem Fremden ist durch das Bewußtsein des Unterschieds von Französischer Denkart und Deutscher Denkart gebrochen. Daß damit nicht nur das Problem des Verstehens, sondern auch des Sich-Verständlichmachens gestellt ist, geht aus diesem Zitat hervor. Der "Unterschied der Denkart" ist dabei nicht als lediglich erschwerende Zutat des Verkehrs zu werten, sondern dieses Erlebnis ist wesentlich an den Verkehr mit dem Fremden gebunden. So geschieht es fast zwangsläufig, daß Herder auf Grund dieser Voreinstellung die Begegnung mit Frankreich als seelische Erschütterung erfährt:

"Der erste Anblick von Nantes war Betäubung: ich sah überall, was ich nachher nie mehr sahe: eine Verzerrung ins Groteske ohngefähr; das ist der Schnitt meines Auges, und nicht auch meiner Denkart. Woher das? ein Freund, den ich über eben diesen ersten Anblick fragte, stutze und sagte, daß der seinige auch vast, aber vaste Regelmäßigkeit, eine große Schönheit gewesen wäre, die er nachher nie in der vue á la Josse hätte finden können. Entweder hat dieser kälter Geblüt, oder wenn ich so sagen darf, einen andern Zuschnett der Sehart. ... Wenn ich in gewissen Augenblicken noch jetzt meinem Gefühl eine Neuigkeit und gleichsam Innigkeit gebe: was ists anders, als eine Art Schauder, der nicht eben Schauder der Wohllust (ist)."

Die Intensität und Mischung der Gefühle, die aus diesen Worten spricht, zeigt, daß das vertiefte Verhältnis die Selbstverständlichkeit der Bezugnahme in Frage stellt. Der unbefangene Umgang weicht dem Zuschnitt der Sehart. Das führt dazu, daß nicht das in beiden Ländern Gleiche, Ähnliche gesucht wird, sondern das für Frankreich charakteristische, Typische. Erfahrbar ist dies wieder besonders in der Sprache: "Nun ist also die Französische Sprache nach der Mundart der Nation, nach ihrem Ton, und Nasenlaut, nach ihrem Geschmack und Schönheit, und Genie mein Hauptzweck -."

Doch ist es noch eine weitere Erfahrung, die durch die Reise vermittelt werden kann. Herder spricht sie in zunächst rätselhaft klingender Formulierung aus: "alles spricht hier Französisch, sogar Piloten und Kinder" . Sicher wußte er auch vorher, daß in Frankreich auch das Volk und die Kinder französisch sprechen; was ihm bei der Begegnung jedoch aufgeht, ist - so muß wohl diese Stelle verstanden werden -, daß die Sprache dem Leben des gesamten Volkes angehört, also weder auf Alters- noch ständische Gruppen beschränkt ist. Somit wird auch und gerade die Volks- und Umgangssprache wichtig; sie ist nur im Lande selbst erlernbar, denn mit der toten Sprache fällt "aller lebendige Accent weg: die Flick- und Bindewörter, auf die sich die Reise stützt, wenn es auch nur ein eh bien! ma foi! u. s. w. seyn sollte, aber so hörbar ist, um Leben oder nichts zu geben" . Herder weist in der Grunderfahrung, daß eine Nationalsprache unmittelbar dem Leben der betreffenden Nation als Ganzem (nicht nur einer Gruppe) verbunden ist, einen Aspekt auf, der in den Humanitätsbriefen später noch deutlicher zum Ausdruck kommt:

"Wenn die Sprache das Organ unserer Seelenkräfte, das Mittel unserer innersten Bildung und Erziehung ist: so können wir nicht anders als in der Sprache unsres Volks und Landes gut erzogen werden; eine sogenannte Französische Erziehung ... in Deutschland muß Deutsche Gemüther nothwendig mißbilden und irre führen."

In einem Organismus - und an diesem Modell orientiert Herder seinen Volksbegriff - stehen die einzelnen Glieder untereinander in einem inneren Zusammenhang; Fremdes läßt sich nur unter bestimmten Voraussetzungen eingliedern; das Erziehungswesen gehört zu jenen Gliedern, die nicht einfach von einem fremden Vorbild übernommen werden können. So erfüllt die Auslandsreise ihre Aufgabe der nationalen Bildung erst in der Anwendung der Einsicht "In Frankreich sprechen auch Kinder und Piloten französisch" auf das Leben der eigenen Nation; das kann nur heißen, daß sich auch in Deutschland alle der Muttersprache bedienen sollten. Der Gedanke der Selbsterhellung durch die Begegnung mit dem Fremden, der später in der Kulturkundebewegung eine überragende Rolle spielen sollte, ist hier bereits deutlich ausgesprochen.

War bisher der Verkehr der Nationen miteinander, die vertiefte Einsicht in den Nationalcharakter durch philosophische Sprachbetrachtung und gründliche Literaturkenntnis, sowie die Anwendung dieser Einsichten auf den Zusammenhang der eigenen Nation zu betrachten, so gilt es im folgenden, die Verbindung zur Humanitätsidee Herders zu finden, wie sie im späteren Werk dargestellt ist.

Für Herder gibt es eine Einheit des Menschlichen, auf Grund deren Individuen und Nationen der Möglichkeit nach an der Erfahrung des gesamten Menschengeschlechts teilhaben: "Jeder Mensch hat freilich alle Fähigkeit, die alle Nationen haben." So verstandene Humanität begründet ein allgemeines Interesse am Fremden und erweitert den Kreis der Nationen, deren Nationalcharakter es zu erfahren gilt. Nicht zuletzt aus diesem Motiv ist zu verstehen, weshalb die Volksdichtung fremder Völker eine zentrale Stellung in Herders Gesamtwerk einnimmt. Am dichtesten ist diese Fülle des Menschlichen für Herder erfahrbar über die Sprachen der Völker:

"Der schönste Versuch über die Geschichte und mannichfaltige Charakteristik des menschlichen Verstandes und Herzens wäre also eine philosophische Vergleichung der Sprachen: denn in jede derselben ist der Verstand eines Volks und sein Charakter geprägt."

Mit dieser allgemeinen Physiognomik der Völker, in der - wie bereits am Lehrplan des Reisetagebuchs zu erkennen ist - der fremdsprachliche Unterricht sein höchstes Ziel finden soll, ist die Bildung zur Humanität angebahnt: "Humanität ist der Schatz und die Ausbeute aller menschlichen Bemühungen, gleichsam die Kunst unseres Geschlechts." War oben das Eindringen in das Genie fremder Völker um des Rückbezugs auf die eigene Nation gefordert, so wird es nun um des Vergleichs willen betrieben, der die Bildung zur Humanität fundiert; zum nationale Bildungsziel tritt ein individuelles hinzu: "Ich sammle den Geist jedes Volkes in meiner Seele! - Belohnungen, wie ich denke, gnug, um unsern Fleiß zu vielen Sprachen aufzuwecken." Hier nun steht Sprachbildung (moderne und antike) im Dienste der Humanitätsidee, als deren erstes rhapsodisches Programm E. Spranger Herders Reisetagebuch ansieht. Eine Einengung dieser Humanitätsidee auf bestimmte exemplarische Bereiche oder Epochen, dies gilt es ausdrücklich festzuhalten, kennt Herder noch nicht .

Es läßt sich abschließend feststellen, daß mit Herder in Deutschland ein neues Verhältnis zur französischen Bildung und zum neusprachlichen Unterricht einsetzte, ohne daß damit ein völliger Bruch mit den bis dahin geltenden Vorstellungen verbunden gewesen wäre. Nachzuweisen war, daß Herder um die Bedeutung der französischen Bildung in Deutschland als eines Mittels gesellschaftlicher Geltung und sozialen Aufstiegs wußte, auch wenn er sie später als Gallicomanie ablehnte. Ferner ließ sich zeigen, daß er sich zu der bis dahin weitgehend üblichen imitativen Methode der Spracherlernung bekannte und sich darin mit den Anschauungen seiner Zeit traf. Auch das aufklärerische Verständnis vom Verkehr mit fremden Völkern als einer Möglichkeit, den Kreis der Sacherfahrung zu erweitern, fand in seinem Denken eine Fortsetzung.

Die neuen von ihm für die fremdsprachliche Bildung entwickelten Gesichtspunkte standen im Zusammenhang mit seiner Auffassung von Volk und Sprache, die mit der Tradition der Aufklärung brach. Hier zeichnete sich ein Ablösungsprozeß ab, der gekennzeichnet war vom Organismus-Denken, während die Aufklärung ein mehr mechanistisches Verständnis von diesen Begriffen hatte. In diesem Prozeß spiegelt sich zugleich eine Abwendung vom französischen Vorbild: Innerhalb dieses neuen Verständnisses von Volk und Sprache mußte der Verkehr mit fremden Nationen in einem neuen Lichte erscheinen, die Reise veränderte Aufgaben erfüllen und die fremdsprachliche Bildung neue Funktionen übernehmen, erhält doch der Begriff des Fremden im Organismusdenken recht eigentlich erst mein Profil dadurch, daß ein Verhältnis der Konkurrenz, der Kooperation oder des Kampfes zwischen Völkern angenommen wird.

Für die fremdsprachliche Bildung ergeben sich daraus folgende wichtige Konsequenzen:

a) Der vertieften Sicht des Nationalen spricht eine Vertiefung des Verhältnisses der Nationen zueinander, was nicht unbedingt im positiven Sinne gelten muß. Sprache und Dichtung sind zwei Bereiche, in denen der Charakter einer Nation, ihr Genie, am deutlichsten erkennbar und faßbar ist. Somit fallen dem fremdsprachlichen Unterricht erweiterte literarische Bildung und philosophische Grammatik als neue Aufgaben zu.

b) Die Sprache (also auch die Fremdsprache) wird daher nicht mehr zuerst als Mittel zum Verkehr, sondern als Gebilde eigener Art, als Träger des Nationalcharakters angesehen.

c) In den verschiedenen Formen und Graden des Verkehrs sieht Herder keinen Gegensatz, sondern eher ein Stufenverhältnis. Allerdings geht die Wechselseitigkeit, die den Verkehr auf der Umgangsstufe (z. B. die Reise) kennzeichnet, wo es sich stets um Aufnahme und Kundgabe handelt, mit zunehmender Vertiefung verloren. Das Verstehen wird einseitig angesprochen.

d) Der Kreis der Nationen, der von Herders Humanitätsdenken her Interesse verdient, wird auf die gesamte Menschheit ausgedehnt, so daß der Gedanke, weitere Fremdsprachen (z. B. die slawischen) in den Gesichtskreis einzubeziehen, Unterstützung findet.

e) Die Einsicht in den Nationalcharakter fremder Völker, vorzüglich über Sprache und Literatur, aber auch im Umgang, soll in erster Linie nicht um ihrer selbst willen gewonnen, sondern dem eigenen nationalen Denken dienstbar gemacht werden. Durch Bewußtmachen des Verhältnisses von Sprache und nationaler Bildung am Beispiel der fremden Nation und den sich anschließenden Vergleich soll die Erkenntnis vom Wert der Muttersprache und ihrer Bedeutung für die Bildung der eigenen Nation gehoben werden.

f) Das Erkennen der eigenen oder der fremden Nationalität ist bei Herder jedoch nicht letztes Ziel, sondern notwendige Voraussetzung für die Bildung zur Humanität; nationale Bildung stellt die Vor- und Durchgangsstufe eigener Art und eigenen Wertes hierzu dar. Damit schließt sich der Zusammenhang von fremdsprachlicher Bildung und Humanitätsgedanken.

Die tiefgehende Wandlung, welche sich bei Herder für das Verständnis der neusprachlichen Bildung vollzog, blieb vorerst ohne Auswirkungen auf die Unterrichtswirklichkeit. Im folgenden Abschnitt sollen die Hauptgründe dafür erörtert werden.

4. Der Einfluß des Neuhumanismus auf das Verständnis der neusprachlichen Bildung

Das Verhältnis des Neuhumanismus zur neusprachlichen Bildung stellt sich dem ersten Blick als Gegnerschaft dar. Die Hauptvertreter des neuhumanistischen Denkens führten der didaktischen Besinnung auf neusprachlichem Gebiet nicht nur keine neuen Kräfte zu, sondern entwickelten ein Bildungsideal, das für moderne Fremdsprachen keinen Raum ließ .

Dennoch kommt dieser Bewegung im vorliegenden Zusammenhang besonders dadurch Bedeutung zu, daß ihr Einfluß, wenn auch mehr indirekter Natur, so doch deswegen nicht weniger dauerhaft war. Dieser Einfluß macht sich in den folgenden Zusammenhängen bemerkbar:

a) Der Sprachbegriff des Neuhumanismus.

b) Die Weiterentwicklung des Humanitätsgedankens.

c) Der Neuhumanismus als Theorie des Gymnasiums.

d) Die Grundlegung der Gymnasiallehrerbildung durch den Neuhumanismus.

e) Das Entstehen der neueren Philologien.

f) Die Theorie der formalen Bildung.

a) Der Sprachbegriff des Neuhumanismus hat seine ausführlichste Darstellung gefunden in W. v. Humboldts Spätschrift "Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts" vom Jahre 1835 . Sie bildet den vorläufigen Abschluß eines Denkens, das auf Herders zurückgeht. Wie Herder, so wendet sich auch Humboldt gegen den Sprachbegriff der Aufklärung, den wir u. a. bei Trapp vorfanden. Diese Tendenz geht bereits aus einer früheren Schrift von 1806 hervor, wo es heißt:

"Den nachtheiligsten Einfluss auf die interessante Behandlung jedes Sprachstudiums hat die beschränkte Vorstellung ausgeübt, dass die Sprache durch Convention entstanden, und das Wort nichts als Zeichen einer unabhängig von ihm vorhandenen Sache, oder eines eben solchen Begriffs ist. Diese bis auf einen gewissen Punkt freilich unläugbar richtige, aber weiter hinaus auch durchaus falsche Ansicht tödtet, sobald sie herrschend zu werden anfängt, allen Geist und verbannt alles Leben und ihr dankt man die so häufig wiederholten Gemeinplätze: dass das Sprachstudium entweder nur zu äußeren Zwecken, oder zu gelegentlicher Entwicklung noch ungeübter Kräfte nothwendig; dass die beste Methode die am kürzesten zu dem mechanischen Verstehen und Gebrauchen einer Sprache führende; dass jede Sprache, wenn man sich ihrer nur recht zu bedienen weiss, ungefähr gleich gut ist; dass es besser seyn würde, wenn alle Nationen sich nur über den Gebrauch einer und ebenderselben verstünden, und was es noch sonst für Vorurtheile dieser Art geben mag.

Genauer untersucht zeigt sich nun aber von allem diesem das gerade Gegentheil.

Das Wort ist freilich insofern ein Zeichen, als es für eine Sache oder einen Begriff gebraucht wird, aber nach der Art seiner Bildung und seiner Wirkung ist es ein eignes und selbständiges Wesen, ein Individuum, die Summe aller Wörter, die Sprache, ist eine Welt, die zwischen der erscheinenden ausser, und der wirkenden in und in der Mitte liegt; sie beruht freilich auf Convention, insofern sich alle Glieder eines Stammes verstehen, aber die einzelnen Wörter sind zuerst aus dem natürlichen Gefühl des Sprechenden gebildet, und durch das ähnliche natürliche Gefühl des Hörenden verstanden worden; das Sprachstudium lehrt daher, außer dem Gebrauch der Sprache selbst, noch die Analogie zwischen dem Menschen und der Welt im Allgemeinen und jeder Nation insbesondere, die sich in der Sprache ausdrückt, und da der in der Welt sich offenbarende Geist durch keine gegebene Menge von Ansichten erschöpfend erkannt werden kann, sondern jede neue immer etwas Neues entdeckt, so wäre es vielmehr gut die verschiedenen Sprachen so sehr zu vervielfältigen, als es immer die Zahl der den Erdboden bewohnenden Menschen erlaubt."

Humboldt erkennt bis zu einem gewissen Grade die Mittler-Funktion der Sprache an, sieht aber ihre eigentliche Bedeutung für den Menschen und die Menschheit in ihrem Doppelaspekt als "bildendes Organ des Menschen" und als "äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker".

So gesehen wird das Erlernen einer Fremdsprache mehr als bloßer Wissenszuwachs oder Erwerb von Fertigkeiten bzw. Kräfteschulung, sondern

"Die Erlernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht seyn und ist es in der That bis auf einen gewissen Grad, da jede Sprache das ganze Gewebe der Begriffe und die Vorstellungsweise eines Theils der Menschheit enthält."

Der Aspektcharakter menschlichen Erkennens als anthropologische Gegebenheit bedingt also, daß das Individuum den Kreis von Vorstellungen, in den es sich mit der Muttersprache hineinspinnt, nur verlassen kann, wenn es eine fremde Sprache lernt. Keine Sprache bringt den in der Welt sich offenbarenden Geist vollständig zum Ausdruck. Das Studium fremder Sprachen und Nationen entfaltet seine bildende Wirkung, indem es "durch Beispiele von Handlungen und Begebenheiten die Menschenkenntnis erweitert und verbessert" .

Diese Sprachauffassung, die in der Verschiedenheit der Sprachstruktur eine Verschiedenheit des Nationalgeistes sieht, hat für den Sprachunterricht zur Folge, daß die Sprache selbst, nicht die durch sie vermittelten Gehalte, Gegenstand des Bemühens sind. Darüber hinaus ergibt sich aus ihr jene Identität von Geistesbildung und Sprachbildung, die wir als Charakteristikum der neuhumanistischen Bildung anzusehen haben. Es scheint zunächst, daß dieser Sprachbegriff keine negative Auswirkung auf den Unterricht in lebenden Sprachen zu haben braucht, daß er vielmehr zu seiner Vertiefung führt, wie dies bereits Herdes Einsichten zu entnehmen war. Der Grund dafür, daß die neusprachliche Bildung im neuhumanistischen Kanon dennoch an den Rand gedrängt, bzw. daraus verbannt wurde, ergibt sich aus einem zweiten Zusammenhang, der mit dem vorangehenden in Verbindung steht.

b) Nicht das Studium jeder Nation - wobei stets zu berücksichtigen ist, daß dies nur in und an deren Sprache voll gelingt - entfaltet nach Humboldt eine gleich intensive bildende Wirkung; die Kriterien, nach denen die Auswahl der zu behandelnden Nationen getroffen wird, bestimmt er folgendermaßen:

"Das bis jetzt betrachtete Studium des Menschen überhaupt an dem Charakter einer einzelnen Nation, aus den von ihr hinterlassenen Denkmälern, ist zwar bei einer jeden Nation in gewissem Grade möglich, in einem vorzüglicheren aber bei einer oder der andren nach folgenden vier Momenten:

1. je nachdem die von ihr vorhandnen Überreste in treuer Abdruck ihre Geistes und ihres Charakters sind, oder nicht ...

2. je nachdem der Charakter einer Nation Vielseitigkeit und Einheit ... besitzt ...

3. je nachdem eine Nation reich ist an Mannigfaltigkeit der verschiedenen Formen ...

4. je nachdem der Charakter einer Nation von der Art ist, dass er demjenigen Charakter des Menschen überhaupt, welcher in jeder Lage, ohne Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten da sein kann und da sein sollte, am nächsten kommt."

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien fällt die Wahl Humboldts auf die Griechen. Seine Liebe zum Griechentum kommt in der Schrift: "Über den Charakter der Griechen, die idealistische und historische Ansicht derselben" wohl am reinsten zum Ausdruck; es heißt dort:

"Die Griechen sind nicht bloß ein nützlich historisch zu kennendes Volk, sondern in Ideal .... Sie sind für uns, was ihre Götter für sie waren .... Durch alle diese Züge wurde der Charakter der Griechen insofern das Ideal alles Menschendaseins, daß man behaupten kann, daß sie die reine Form der menschlichen Bestimmung unverbesserlich vorzeichneten."

Eine Erörterung der historischen und psychologischen Voraussetzungen dieses Enthusiasmus für das Griechentum würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten , so daß die bloße Feststellung genügen muß. Stattdessen ist auf die Konsequenz hinzuweisen, die jene Verknüpfung der Humanitätsidee mit dem Griechentum für die neusprachliche Bildung hatte: Die "Metaphysik der Griechenauffassung" (Spranger) erhob eine Nation zur Norm und beschränkte dadurch die Humanitätsidee auf sie. Mit dieser Einengung stand Humboldt nicht allein.

F. A. Wolf, Niethammer, Thiersch u. a. stimmten mit ihm darin überein, wenn auch bei ihnen die römische Antike mit einbezogen wurde. War noch bei Herder die Fülle des Menschlichen über die Begegnung mit einer Vielzahl von Völkern erfahrbar, so liefen nunmehr alle Bestrebungen an einem Punkt zusammen; denn nicht die gesamten Griechen, sondern "oft ausschließend die Athener" standen im Mittelpunkt. In diesem Maße, in dem sich das Interesse auf die Antike richtete, wurde es von den gegenwärtigen Nationen, besonders von Frankreich, abgezogen.

c) Der Einfluß des neuhumanistischen Denkens auf die Organisation des Bildungswesens erhält sein Gewicht aus der Tatsache, daß seine Vertreter an führender Stelle bei der Reform des Unterrichtswesens tätig waren. Wilhelm v. Humboldt als Leiter der "Sektion für den Kultus und den öffentlichen Unterricht" im Verein mit G. H. Ludwig Nicolovius und Joh. Wilh. Süvern gestalteten zusammen mit der Wissenschaftlichen Deputation, der u. a. Schleiermacher, Spalding und Bernhardi angehörten, den Lehrplan für die Schulen Preußens .

In Süddeutschland wirken vor allem Jacobi, Schelling, Niethammer, Jacobs, Thiersch und Paulus, sei es durch die Gründung philologischer Seminare, sei es wie Niethammer als Zentralschulrat in München, wo er einen humanistischen Lehrkursus für die bayrischen Gymnasien entwarf, oder in hervorragender beratender Funktion wie Thiersch, als "Seele der humanistischen Bestrebungen in Bayern" (Paulsen).

Auch in anderen deutschen Ländern standen Vertreter des Neuhumanismus an der Spitze des höheren Unterrichtswesens, so E. T. Friedemann in Braunschweig, Gottfried Hermann in Sachsen, Heynes Schüler in Hannover, Nitsch in Schleswig Holstein. Lediglich in Südwestdeutschland stelle die alte protestantische Tradition dem Neuhumanismus einen gewissen Widerstand entgegen .

Diese Grundlegung des deutschen Gymnasiums durch Vertreter des Neuhumanismus wirkte weiter in den Lehrplänen und besonders in der didaktischen Begründung der einzelnen Gymnasialfächer, die fortan den Beweis ihrer "humanistischen" Legitimation zu erbringen hatten, um in den Kanon der bildenden Gehalte eintreten oder in ihm bestehen zu können.

d) Einen Zusammenhang eigener Art, wenn auch vom vorigen nicht unabhängig, stellt die Ausbildung der Gymnasiallehrer dar. Mit der Gründung des philologischen Seminars in Halle durch Fr. Aug. Wolf im Jahre 1787 setzte ein Prozeß ein, in dessen Verlauf sich die Gymnasialbildung von der Theologie emanzipierte. Die Trennung des Gymnasiallehrerstandes von dem des Theologen, die von Wolf als eines der Hauptmittel zur Verbesserung des Gymnasialunterrichts angesehen wurde, führte jedoch zu einer neuen Bindung, nämlich an die Altertumswissenschaft. Diese wurde von Wolf begriffen

"als die Kenntnis der alterthümlichen Menschheit selbst, welche Kenntnis aus der durch das Studium der alten Überreste bedingten Beobachtung einer organisch entwickelten bedeutungsvollen Nationalbildung hervorgehe" .

Die enge Zusammenarbeit, die in diesem Punkt zwischen Humboldt und Wolf bestand, hat J. F. J. Arnoldt beschrieben . Das philologische Seminar Wolfs, das ganz von der Altertumswissenschaft ausgefüllt wurde, hatte die Aufgabe, "brauchbare Schulleute für die obern Classen litterarischer Schulen oder Gymnasien zuzuziehen" . Damit gewann der Neuhumanismus den entscheidenden Einfluß auf die Gymnasiallehrerbildung: Philologe und Gymnasiallehrer werden noch im heutigen Sprachgebrauch häufig als Synonyme verwendet. Die philologischen Seminare, die in der Folge in ganz Deutschland gegründet wurden, blieben für lange Zeit die einzigen Ausbildungsstätten für Gymnasiallehrer .

Die Auswirkungen dieses Verhältnisses auf die neusprachliche Bildung sind leicht einzusehen: Der Gymnasiallehrer war von seinem Werdegang her nur für den Unterricht in alten Sprachen hinreichend vorgebildet, sowohl im Hinblick auf das Ziel als auch auf die Methode. Es nimmt daher nicht wunder, daß sein eigentliches Interesse bei diesem Gegenstand lag. Mußte der dennoch auch andere Fächer unterrichten, so geschah dies, zumindest in Anlehnung, wenn nicht gar ganz nach dem Vorbilde der alten Sprachen. Im examen pro facultate docendo von 1812 sind zwar Kenntnisse in 12 Fächern, darunter auch im Französischen nachzuweisen, aber selbst wenn der Gymnasiallehrer über eine gewisse Sicherheit im Französischen verfügte, so wurden seine didaktischen und methodischen Einsichten an der Altphilologie entwickelt. Daran änderte im Prinzip auch die preußische Prüfungsordnung von 1832 nichts, die ihm die Möglichkeit anbot, eine der schriftlichen Prüfungsarbeiten in französischer Sprache abzufassen.

Diese Entwicklung kann jedoch nicht nur auf neuhumanistische Begeisterung für die Antike zurückgeführt werden. Die alten Sprachen waren außer Philosophie und Religion die einzigen Lehrgegenstände, für die die Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Ausbildung der Gymnasiallehrer gegeben waren. Erst von den 30er Jahren an wurden an den Universitäten Seminare auch anderer Fachrichtungen gegründet. Allerdings erfolgte die Gründung von Universitätsseminaren der romanischen und englischen Philologie im Vergleich zu historischen und mathematisch-physikalischen nach Ausweis von Wiese erst spät. 1875 wurden in Halle und Marburg Institute für romanische und englische Philologie (gemeinsam ) eingerichtet. Vorher (1861) war allerdings unter Herrig am Friedrichsgymnasium zu Berlin bereits ein Institut zur Ausbildung von Lehrern der neueren Sprachen - offensichtlich das erste dieser Art - eingerichtet worden, das 3 Mitglieder aufnahm . Da die Einrichtung romanischer und anglistischer Seminare nicht überall gleichzeitig erfolgte, und da die an ihnen ausgebildeten Neuphilologen nur allmählich die Altphilologen oder die nach altphilologischem Vorbild ausgebildeten Lehrer ablösten, setzte die Wirkung auf die Schule in größerem Umfange nicht vor den 80er Jahren ein.

Dadurch, daß seit Beginn des 19. Jahrhunderts der Altphilologe den Sprachmeister, der an vielen Schulen Ausländer war, aus dem neusprachlichen Unterricht ersetzte, gewann zwar das Fach an Ansehen, verlor aber gleichzeitig den Lebensbezug, der es bis dahin gekennzeichnet hatte . Das die imitative Methode durch die grammatikalische nunmehr fast vollständig ersetzt wurde, ergab sich zwangsläufig. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Neuhumanismus mit der Grundlegung der wissenschaftlichen Gymnasiallehrerbildung ein Prinzip stiftete, welches den neusprachlichen Unterricht, der sich auf eine ihm entsprechende Wissenschaft noch nicht stützen konnte, in eine Abhängigkeit von Kräften brachte, die seiner bis dahin entwickelten Eigenart nicht entsprachen.

e) Ein weiterer für die vorliegende Untersuchung wichtiger Zusammenhang zwischen dem Neuhumanismus und der Entwicklung des neusprachlichen Bildungsdenkens läßt sich in dem Einfluß nachweisen, den dieser auf die Entstehung der neueren Philologien, besonders der romanischen, ausübte. Das Interesse an fremden Nationen, der neuentwickelte Sinn für das Geschichtliche und die neue Sprachauffassung bilden den Hintergrund für die Einrichtung von Lehrstühlen für moderne Sprachen und Literaturen . Neuphilologische Seminare wurden jedoch, wie bereits erwähnt, nicht vor 1875 gegründet.

Die ersten Arbeiten auf dem Gebiete der romanischen Philologie waren vom Geist des Idealismus und der Romantik angeregt. Dies zeigte sich besonders bei Friedrich Diez, der sowohl der vergleichenden romanischen Sprachwissenschaft als auch der romanischen Literaturwissenschaft durch Anwendung der von Humboldt, Bopp und Jacob Grimm entwickelten historisch-vergleichenden Methode ihre Forschungsrichtung gewiesen hat.

Die Anglistik, die sich erst später aus der germanischen Philologie ausgliederte, stand, der Zeit ihres Entstehens entsprechend, unter anderen Einwirkungen.

Das idealistisch-neuhumanistische Denken wirkte so in doppelter Weise: einmal legte es den Grund zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit lebenden Sprachen und Literaturen, zum anderen gab es den neueren Philologien ihre spezifische Anfangsrichtung. Durch beides aber wurde die Bildung der neusprachlichen Gymnasiallehrer im Kern berührt.

f) Die Theorie der formalen Bildung wurde, wie E. Lehmensick nachgewiesen hat, als die herrschende Gymnasialtheorie des 19. Jahrhunderts vom Neuhumanismus geprägt. Unter seinen Vertretern war es besonders Niethammer , der die Bedeutung des Unterrichts in alten Sprachen für die Schulung der geistigen Kräfte hervorgehoben hat. Jachmann und Passow bauten das Prinzip weiter aus. Dieser Phase des Neuhumanismus, die der der Griechenbegeisterung folgte, und in der auch das Humanitätsdenken immer mehr an Einfluß verlor , hat K. Mager schon früh als rationalistischen Humanismus bezeichnet ; er verstand darunter den aus der Auseinandersetzung mit dem Philanthropismus geborenen Abkömmling des ursprünglichen Neuhumanismus.

In verkürzter Wiedergabe stellt sich die Entwicklung der Theorie formaler Bildung aus dem neuhumanistischen Bildungsdenken wie folgt dar: Die vermittelten Gehalte (nämlich die Antike), welche bei Wolf und Humboldt zumindest die gleiche Bedeutung besaßen wie die Sprache als vermittelndes Organ, und von denen her der Sprachunterricht seine eigentliche Weihe empfing, traten zugunsten des Mittels, der Sprache als solcher, zurück. Die Loslösung des Mittels vom Zweck setzte dieses Mittel frei für andere Zwecke; oder aber: weil andere Zwecke gebieterisch ihr Recht forderten, mußte das Mittel von seinem bisherigen Zweck losgelöst werden. Der neue Zweck war allgemeiner Art, und wurde im Gymnasium i. a. als Schulung des logischen Denkens verstanden. Das auf diese Weise allgemein geschulte Denken wiederum sollte die künftige Bewältigung beliebiger Lebens- und Berufsaufgaben vorbereiten.

Auf die Gefahr, welche von dieser Argumentation den alten Sprachen selbst drohte, hat später der Altphilologe Aug. Böckh hingewiesen . Er gab zu bedenken, daß mit der Vorstellung von der formalbildenden Kraft der Spracherlernung eine Maxime aufgestellt sei, welche die Mittel zu ihrer Verwirklichung auf ihren Effekt hin befragen müßte. Dabei könne sich herausstellen, daß andere Mittel (etwa die Mathematik oder die Philosophie) die Aufgabe der formalen Schulung des Denkens besser zu leisten vermögen. Das könne dann zur Folge haben, daß die Anhänger dieser Theorie, soweit sie Altphilologen seien, sich selbst entbehrlich machten.

Die Auswirkungen dieses Prinzips auf die anderen Gymnasialfächer konnten nicht ausbleiben. Lehmensick sieht sie darin, daß

"sich denn auch im Laufe des Jahrhunderts die verschiedenen Fächer zum Zwecke der Gymnasialfähigkeit mehr oder weniger um eine Aufzeigung einer durch sie gewährleisteten formalen Bildung bemüht (haben)" .

Hier, in der Weiterentwicklung des Neuhumanismus, liegt der Ausgangspunkt, von dem her die vielen Vertreter einer formalen Schulung auch durch moderne Sprachen ihre Ideen bezogen (und in einigen wenigen Fällen noch beziehen).

5. Auffassungen einzelner Vertreter des Neuhumanismus

Der im vorangegangenen Abschnitt unternommene Versuch, das Verhältnis der idealistisch-neuhumanistischen Bewegung zur neusprachlichen Bildung zu bestimmen, bedarf der Ergänzung durch die Wiedergabe von Auffassungen einzelner Vertreter des Neuhumanismus, da sonst ein einseitiges und wesentlich negatives Bild entstehen könnte.

In der Erneuerten Schulordnung für die Chur-Sächsischen drey Fürsten- und Landesschulen von 1773, die von Johann August Ernesti verfaßt ist, heißt es über die modernen Sprachen:

"Endlich muß bey allem Unterricht in den alten Sprachen doch die Erlernung der neuern, als der französischen, italiänischen und englischen, deren Kenntnis nun mehro zu einer vollständigen Gelehrsamkeit sowohl, als zu dem Umgange mit der Welt so unentbehrlich geworden ist, wenigstens soviel die Grundsätze und erste Anleitung zum Lesen der besten Schriften anbelangt, keineswegs verabsäumet, sondern, wo Sprachmeister dazu vorhanden sind, die Jugend zu sorgfältiger Abwartung der Lehrstunden ermahnet, von Erlangung dieser Sprachkenntnisse, durch Verachtung der neuern Sprachen, aus Vorurtheil für die älteren, niemals abgehalten, aber auch erinnert werden, daß sie nicht den größten Theil ihrer Zeit auf Sprachen wende, die sie ohnehin, nicht auf der Fürstenschule, sondern erst in den academischen und folgenden Jahren, durch den Umgang mit Ausländern, und eine fortgesetzte Übung, sich eigen machen kann."

Auch in der von Christian Gottlob Heyne inspirierten Schulverfassung für die Stadtschule zu Göttingen ist das Französische erwähnt:

"Der Unterricht in der französischen Sprache ist nun auf eine solche Weise verbessert, daß hoffentlich jeder Vater, der die Nothwendigkeit einiger Kenntniß dieser Sprache für jeden Stand des Lebens einsieht, mit Dank gegen seine Obrigkeit belebt seyn wird."

Neben Ernesti und Heyne ist vor allem Friedrich August Wolf zu nennen, der die Altphilologie zur Altertumswissenschaft erweiterte und damit die exklusive Stellung der alten Sprachen im Lehrplan des Gymnasiums neu begründete.

Von ihm ist belegt, daß er während seiner Tätigkeit am Gymnasium zu Ilfeld (1780) Unterricht im Englischen erteilte und dabei Lillo, Goldsmith und Milton lesen ließ . In Osterode (1782/3) unterrichtete er Französisch, woraus hervorgeht, daß er mit der Sprache vertraut sein mußte (wie übrigens auch Humboldt, der einen Teil seiner Korrespondenz in französischer Sprache führte). Über Wolfs Französischunterricht finden sich die folgenden von ihm selbst verfaßten Notizen:

"1) Lesen, Zadig etc. 2) Aufsätze vorlegen über früher französisch gelesene Sachen, besonders Geschichten. 3) Syntax durch Exempel. 4) Bloss Reden über a) gemeine Dinge, b) Geographie, c) Naturgeschichte, d) Sitten, besonders der Franzosen. - 5) Aus dem Deutschen ins Französische mündlich, wie bisher. 6) Auswendig declamiren."

Dieser Angabe lassen sich zugleich Hinweise auf die Unterrichtswirklichkeit jener Zeit entnehmen. Es bestünde zwar die Möglichkeit, daß Wolf den Unterricht im Französischen ohne innere Zustimmung erteilt hätte; aus der folgenden Stelle in den Consilia scholastica geht jedoch hervor, warum er diesen Unterricht für notwendig erachtete:

"Französisch aber darf auf keinen Fall fehlen, und dies aus sehr vielen, sich leicht darbietenden Gründen. Wäre es auch dem isolirten Gelehrten nicht in so manchem Betracht nothwendig, so bedürfen dessen doch alle in Weltgeschäfte übergehende Jünglinge; eher kann sogar Jemand ein guter Prediger und Seelenhirt seyn ohne Hebräisch ... als ein Kaufmann, Soldat ... ohne Französisch. Dann ist es auch für die Kenntnis der neuern Welt nöthig, wenigstens noch eine Sprache mit der Muttersprache vergleichen zu lernen, wodurch zugleich die Achtung der letztern viele neue Motive gewinnt."

J. F. J. Arnoldt weist an Hand anderer Schriften Wolfs nach, daß dieser auch der englischen Sprache Wertschätzung entgegenbrachte, ja sie an einer Stelle als erste der neuen Sprachen gelehrt wissen wollte . Den Grund dafür sah Wolf darin, daß die englische Sprache

"erst spät die Herrschaft meisternder Grammatiker erfahren, lange Zeit hindurch die eigenthümliche Denkart einer Nation rein auszusprechen und der ungetrübte Spiegel des Nationalgeistes bleiben mußte" .

Nach Wolfs Auffassung gereicht hier eine Eigenart, die späteren Parteigängern des Neuhumanismus als Makel erscheinen mußte, der englischen Sprache zum Vorteil. zweitens glaubt Wolf, daß "die Lesung der Werke der Engländer unsern Geist bald philosophisch stimmen würde" .

Dennoch scheint geraten, die Tatsache nicht zu übersehen, daß nicht die lebenden Sprachen, sondern Griechisch und Latein es sind, denen Wolfs Lebenswerk gewidmet war. Seine Äußerungen über den neusprachlichen Unterricht erscheinen darin als beiläufige Randbemerkungen. Es läßt sich aus ihnen jedoch entnehmen, daß er den Unterricht in lebenden Sprachen nicht kategorisch ablehnt, sondern in einem gewissen Maß befürwortet, und zwar in erster Linie aus den gleichen Gründen, wie die Mehrzahl seiner Zeitgenossen, nämlich wegen der Weltgeschäfte, d. h. wegen ihres Wertes für den Völkerverkehr. Sodann - und auch hier ist die Sprache in ihrer erschließenden Funktion gesehen - wegen des Zugangs zur Literatur des betreffenden Volkes. Drittens schließlich - darin bildet Wolf eine Ausnahme unter den Neuhumanisten - sieht er in der Sprache selbst, auch wenn es sich um eine lebende handelt, die Möglichkeit bildenden Einflusses, und zwar einmal als Spiegel des Nationalgeistes, zum anderen als Objekt des Vergleiches mit der Muttersprache.

Friedrich Thiersch, durch seine Stellung als Schulrat zur Auseinandersetzung auch mit Forderungen nach neusprachlichem Unterricht konfrontiert, äußerte sich wie folgt:

"Die neuern Sprachen, die französische, die italienische, die englische, besonders aber die erste, als das Mittel allgemeiner Conversation der Völker miteinander begehren fast mit Ungestüm den Einlaß, und ihre vortrefflichen meister drohen den ehrenhaften Professoren der alten Lehrweise darin einen harten Kampf, welcher mit Gründen der Nothwendigkeit und Nützlichkeit, mit Erwägungen, hergenommen aus der Schönheit, dem Reichthum ihrer Literatur, ihrer Verwandtschaft mit uns, auch ihrer Bildungsfähigkeit geführt, durch heftige Bestrebungen, durch Leidenschaften, Befeindungen der Absicht unterstützt, und durch ganze Schaaren von gleichgesinnten Vätern und Vettern, Müttern und Muhmen der in die Schulen aufgenommen Jugend erneut wird, auch andere Stadtgenossen gesellen sich zu ihnen, welche von einem uneigennützigen Eifer für das allgemeine Wohl und das Bürgern Nützliche entflammt werden."

Die Bezugnahme auf den Druck der Öffentlichkeit, der hierin angesprochen ist, bildet den Hintergrund der Argumentation, in der auch die Motive der Gegenseite angedeutet werden. Nur für das Französische scheinen aber Thiersch die Voraussetzung zum Teil gegeben, die den Unterricht in dieser Sprache berechtigt erscheinen lassen:

"Von den neuen Sprachen gehört das Französische allein der Schule an, als Mittel nicht nur des europäischen Verkehrs, sondern auch zum Verständniß einer, für alle Gebiete der Wissenschaft sehr reichen Literatur."

Die Gründe, welche der Gymnasialfähigkeit des Französischen in der Praxis entgegenstanden, waren dennoch nach Thiersch recht zahlreich:

Es "wird die Erlernung dieser Sprache durch ein eigenes Mißgeschick auf der Schule niedergedrückt. Selbst in den Jahren der französischen Herrschaft, da das Französische bey uns durch alle Classen der Schulen ausgebreitet, mit Stunden reichlich bedacht und mit Belohnungen genug umgeben war, ist es hinter der allgemeinen Erwartung und dem Wunsche der Eltern zurückgeblieben, und wo es zu etwas Gründlichem kommen sollte, mußte schon damals der Privatlehrer eintreten. Der Grund liegt in der meist schlechten Methode des Vortrags der französischen Meister und einer Mißachtung der Sprache, welche sich, vielleicht mit einem nationalen Gefühle gegen die westlichen Nachbarn zusammenhängend, trotz allen Reden zum Lobe des Französischen, so allgemein und hartnäckig in den Schulen festgesetzt hat, daß sie sogar nicht selten auf die Meister der Sprache übergeht, welche, mit den Ansprüchen eines Lehrers vor den Classen erscheinend, oft Mühe haben, sich gegen die strafbare Ungebühr der jungen Leute zu behaupten. Auch die Art der dem Studium gemeiniglich zum Grunde liegenden französischen Werke trägt zu dieser traurigen Beschaffenheit des Französischen Unterrichts auf unsern Schulen bey. Diese Dürftigkeit des Erfolgs aber und die Unmöglichkeit einen vollen zu erzielen, sind Ursache gewesen, daß man in letzten Zeiten bey uns das Erlernen des Französischen als eine Sache des eigenen Willens freygegeben, und nur Anstalt getroffen hat, daß für die Lernbegierigen eine gute Gelegenheit in der Schule vorhanden war."

Wie weit die Klagen über den Sprachmeister berechtigt oder als Ausdruck eines Vorurteils des Philologen seinem nicht-akademischen Kollegen gegenüber zu werten sind, läßt sich schwer entscheiden. Aus den zitierten Stellen geht jedoch hervor, daß Thierschs Ablehnung nicht prinzipieller Art ist, sondern nur die Art der Durchführung betrifft. Anerkannt wird jedoch auch von ihm die Bedeutung des Französischen für den europäischen Verkehr sowie für Wissenschaft und Literatur.

Thierschs Ansichten über den Unterricht in neuen Sprachen stießen schon bei seinen Zeitgenossen auf Widerspruch, wofür eine kleine Schrift von Claude , Professor an der Studienanstalt in München, als Beispiel gelten mag. Dieser hielt Thiersch entgegen, daß sich Sprachmeister an den Gymnasien zu den ehrenhaften Professoren in einem zahlenmäßigen Verhältnis von 1 : 12 befänden und keineswegs so kampfeslustig seien, wie Thiersch meine. Gegen die öffentliche Meinung sich zu stellen, die den Unterricht fordere, heiße eine hoffnungslose Position einnehmen. Die Voraussetzungen des Unterrichts seien von der Stundenzahl her keineswegs so günstig gewesen, wie Thiersch vorgeben; das gleiche gelte für die Betreuung mit Lehrkräften und Unterrichtsmitteln, wie auch für die methodischen Bemühungen. Vor allem aber die Mißachtung der französischen Sprache durch die anderen Professoren wirke auf die Unterrichtsmoral der Schüler in diesem Fache zurück. Claude, der sich darauf beschränkt, Thiersch zu widerlegen, führt selbst keine weiteren Motive an, die für den Unterricht im Französischen anzuführen wären, sondern beschränkt sich ebenso auf die Verkehrsfunktion wie Thiersch .

Welcher Wert dem Französischen von Neuhumanisten in der Pfalz zur gleichen zeit beigemessen wurde, geht aus einem Gutachten des Speyerer Lyceumsdirektors Georg Jäger hervor .

"Was immer man auch in der neuesten Zeit wegen der Einführung dieses Lehrgegenstandes an den Studienanstalten gesagt und geschrieben haben mag - es bleibt unumstößlich wahr, daß der Unterricht überall und am notwendigsten in den Anstalten des Rheinkreises erteilt werden muß. Allerdings verkennen wir es nicht, daß der Zweck der durch ein Gymnasium zu erreichenden Bildung schon allein und auf das sicherste durch das Studium der alten Sprachen erreicht wird; allein das Französische greift allenthalben und in der hiesigen Gegend zu sehr in das öffentliche Leben, als daß die frühzeitige Erlernung desselben nicht von wesentlicher Bedeutung für den jungen Menschen und seine Bildung sein sollte. Es muß daher die Aufstellung eines eigenen Lehrers der französischen Sprache und die Erteilung seiner Lehrstunden ebenso unerläßlich sein als die Pflicht der Schüler, ohne Ausnahme diesem Unterrichte mit Fleiß und Emsigkeit beizuwohnen."

Bei den bisher angeführten Neuhumanisten läßt sich durchgängig feststellen, daß das Bildungsdenken des Neuhumanismus, vor allem seine Humanitätsauffassung und sein Sprachbegriff nicht für den neusprachlichen Unterricht geltend gemacht wurden . Vielmehr wurden von ihnen die Verkehrsfunktion der lebenden Sprachen und die durch sie vermittelten sozialen und beruflichen Chancen zur Begründung des neusprachlichen Unterrichts angeführt. Unter den durch die lebenden Sprachen vermittelten Gehalten wird häufig die Literatur des betreffenden Landes genannt, worunter nicht nur belletristische, sondern auch wissenschaftliche Werke verstanden werden müssen.

H.-W. Brandau weist in seiner problemgeschichtlichen Untersuchung zur mittleren Bildung in Deutschland ausdrücklich darauf hin, daß "im Bereich des höheren Schulwesens ... es gerade Schulmänner und Gelehrte von unbezweifelbarer humanistischer Gesinnung (waren), welche die Aufnahme der Realien in den gymnasialen Unterricht begünstigten" . Zu den Realien wurden nach der damals üblichen Auffassung auch lebende Sprachen gerechnet. Das Weiterleben des Französischunterrichts scheint gerade dadurch gesichert gewesen zu sein, daß er nicht in Konkurrenz zu den alten Sprachen empfunden wurde, sondern unter gemildertem Anspruch sozusagen in der zweiten Reihe geduldet wurde. Daher tritt auch kein Widerspruch zu der im vorigen Abschnitt getroffenen Feststellung auf. daß der Neuhumanismus an sich und die einseitig neuhumanistisch orientierten Schulmänner der neusprachlichen Bildung entgegenwirkten. Die Duldung der neueren Sprachen als Gegenstand minderen Interesses muß wohl - was besonders in der Auseinandersetzung Thiersch - Claude deutlich wurde - in erster Linie als Zugeständnis an die Öffentlichkeit gewertet werden; diese war in ihrer Mehrheit dem klassischen Bildungsideal nicht in dem Maße zugewandt wie die Schulmänner .

Die nächste Generation der an Gymnasien lehrenden Parteigänger jenes Neuhumanismus, der bereits an früherer Stelle als rationaler gekennzeichnet wurde, hegte noch weniger Interesse für lebende Sprachen: Als Auftakt für dieses neue Programm, das in der formalbildenden Wirkung des Sprachunterrichts den Hauptgrund seiner tragenden Kraft für die Gymnasialbildung sah, gilt allgemein Niethammers bereits zitierte Schrift aus dem Jahre 1808. In ihr ist zugleich die Ablehnung des neusprachlichen Unterrichts beschlossen, da

"jede lebende, sich sonach noch weiter bildende Sprache zu jenem Zwecke (der formalen Bildung durch Grammatikunterricht) schon weniger geschickt, weil sie noch immer zuviel Unentschiedenes darbietet, das zwar die Regel selbst nicht zweifelhaft machen kann, aber doch das Auffassen derselben, da sie nicht gleichförmig anzuwenden und sogar die Zahl der Ausnahmen noch nicht einmal zu bestimmen ist, sehr erschwert."

Auch die literarische Bildung sowie die Einführung in das europäische Denken, zwei der Hauptziele des Gymnasialunterrichts bei Niethammer, sind ausschließlich an Griechisch und Latein geknüpft. In diesem Bezuge finden die lebenden Sprachen nicht einmal Erwähnung.

Für die in der Folgezeit hervortretenden Anhänger des rationalistischen Humanismus ist charakteristisch, daß sie, mehr oder weniger epigonal,, an der formalbildenden Wirkung des Altsprachenunterrichts festhalten. Da diese Theorie jedoch in der Auseinandersetzung gegen die Realien (also auch die lebenden Fremdsprachen) für die Verteidigung eben der alten Sprachen aufgestellt worden war, war nicht zu erwarten, daß ihre Verfechter sie zur Rechtfertigung des neusprachlichen Unterrichts verwandten. Der Versuch, auch die lebenden Fremdsprachen für die formale Bildung des Verstandes heranzuziehen, gehört einer späteren Zeit an. Nicht die ausgesprochenen Anhänger des Neuhumanismus gaben diese Begründung, sondern Schulmänner, welche aus den verschiedenen Gründen die lebenden Sprachen schätzten und sich damit zwangsläufig im Lager des pädagogischen Realismus befanden. Sie bedienten sich des Arguments der formalen Bildung, um die modernen Sprachen aufzuwerten und sie für ihre Aufnahme in den Fächerkanon des Gymnasiums geeignet zu machen.

6. Der pädagogische Realismus und die lebenden Fremdsprachen

Eine Bestimmung des pädagogischen Realismus, welche die für den folgenden Zusammenhang bestimmenden Aspekte hervorkehrt, gibt Blättner ; er geht mit seiner Fassung dieses Begriffs hinter jene Ansichten zurück, welche unter pädagogischem Realismus bloße Vermittlung der für das Leben nützlichen Kenntnisse und Fertigkeiten verstehen. Blättner zeigt, was den bisherigen Ergebnissen entspricht, den Zusammenhang mit der Adelsbildung des 17. Jahrhunderts auf:

"Aber eine genauere Untersuchung dessen, was im 19. Jahrhundert sich dem Humanismus unter dem vieldeutigen Titel Realismus entgegenstellte, ergibt, daß es sich hier in der Tat um zweierlei handelte. Wenn die Modernen lebende Sprachen, Geographie, Naturkunde und neue Geschichte verlangten, so führten sie, meist unbewußt, eine Tradition fort, die mit der Adelserziehung des 17. Jahrhunderts eingesetzt hatte. Auf den Ritterakademien waren zuerst realistische Tendenzen in die höhere Bildung eingedrungen. Die jungen Adeligen, die sich auf Kriegs- und Hofdienst vorbereiteten, mußten Französisch, die Hof- und Diplomatensprache lernen, mußten Länder und Nationen kennenlernen, mußten die Genealogie ihrer Fürstenhäuser beherrschen, die physikalischen und geographischen Voraussetzungen der Taktik und der Fortifikation einsehen - und dergleichen mehr. Als im 19. Jahrhundert die Untertanen zu Bürgern wurden, bekamen auch für sie Geschichte, Länderkunde moderne Sprachen eine neue Bedeutung und neue inhaltliche Erfüllung. ...

Dieser Realismus der auf Weltkenntnis und Weltläufigkeit, also auf politische Mündigkeit hinzielte, ist als besondere Aufgabe nicht gesehen worden. Die Realisten hatten zuerst mehr die Interessen des Gewerbestandes im Auge, und die politischen und sozialen Verhältnisse brachten es mit sich, daß der Realismus der Kaufleute und Fabrikanten, der Krämer und Geldleute als das Geringwertigere angesehen wurde. Die Angehörigen der politisch führenden Schicht aber holten sich ihre Bildung natürlich auf dem Gymnasium, nachdem dieses die Spezialschulen, die Ritterakademien und Kollegien glücklich verdrängt hatte. ...Daraus ist es zu erklären, daß der weltmännische Realismus im Schulwesen nicht recht zur Entfaltung kam und auch im Bewußtsein der Realschulmänner kaum eine Rolle spielte."

Diese Entwicklung, welche in den bearbeiteten Quellen für das neusprachliche Bildungsdenken ihren Niederschlag gefunden hat, führte dazu, daß lebende Fremdsprachen nicht ohne weiteres als Mittel bürgerlicher Bildung ausgewiesen waren. Da für den Bürger das Französische wie auch das Englische nicht in dem Sinne nützlich sein konnte, wie es das Französische dem Adligen gewesen war (für gewerbliche Zwecke, etwa den Außenhandel, waren beide Sprachen nur für eine zahlenmäßig kleine Gruppe von Bedeutung), waren es vor allem Vorstellungen über gesteigertes soziales Ansehen, die sich mit dem Begriff der Nützlichkeit verbanden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts mehrten sich nunmehr auch die Möglichkeiten direkter Nutzanwendung beider Sprachen, bedingt durch den gesteigerten Verkehr innerhalb Europas und das Aufkommen von Industrie, Naturwissenschaften und Technik, wobei besonders aus England neue Erfahrungen zu übernehmen waren.

Wie deutlich bei den folgenden Vertretern des pädagogischen Realismus, soweit sie zur Frage der neusprachlichen Bildung Stellung genommen haben, die Kategorie der Weltläufigkeit in ihrer politischen und berufsbildenden Komponente hervortritt, soll an Hand der Schriften von Schmieder, Niemeyer, Klumpp und Capelle gezeigt werden .

Schmieder möchte das Französische in die höhere Bürgerschule aufgenommen haben, da diese Sprache

"auch dann, wenn sie nicht aus politischen Ursachen unsre zweite Muttersprache und für jeden Hausbesitzer unentbehrlich geworden wäre, doch für alle Geschäftsleute ein großes Interesse haben (würde), da sie ihrer Anmuth wegen die Pasigraphie der ganzen civilisirten Welt geworden ist" .

Diesem Ziel entsprechend möchte Schmieder im Unterricht eine der Erlernung der Muttersprache ähnliche, auf Geläufigkeit abzielende Methode angewandt wissen. Auch er wendet den Begriff der Nützlichkeit in einem sehr weiten Verstande an, da er, wie aus der folgenden Stelle hervorgeht, den Kreis der Gegenstände, der sich durch die fremde Sprache erschließen läßt, nicht eng faßt:

"Außer dem Französischen ist auch das Italienische und Englische für höhere Bürgerschulen wichtig und der Unterricht in beiden Sprachen ist keineswegs als eine Nebenlektion für den Kaufmann allein anzusehen. Ich gebe zu, daß die Literatur beider Sprachen nicht eben viel Ausbeute für den Geschäftsmann verspricht, weil der Italiener in der Industrie zurückgekommen, der Engländer aber kein sonderlicher Freund der Publicität ist und ein Patent dem Danke der Zeitgenossen vorzieht; aber dessen ungeachtet wird einige Kenntniß beider Sprachen doch dem Bürger nützlich und sogar oft nothwendig. Der Gewerbstand ist mehr als alle andre dem Peregriniren unterworfen und muß großentheils seine Vervollkommnung darin suchen; schon darum ist es nützlich, wenn der reisende Handwerker, Kaufmann, Künstler, Soldat in Stand gesetzt wird, sich mit allerlei Fremden unterhalten zu können. Der Künstler findet in Italien immer noch viele der Deportation nicht ausgesetzte Muster der Kunst, noch immer viele würdige Erben der ältern venetianischen Industrie. Im Englischen aber sollten alle mechanische Handwerker, die einiges Talent zeigen, gleich dem Kaufmann geübt werden, um ihre Wanderungen auch auf England ausdehnen zu können, oder, wenn das die Verfassungen nicht zulassen, die englischen Maschinen an Ort und Stelle besichtigen zu können, wenn es darauf ankommt, dergleichen Erfindungen nachzuahmen. Es bedarf dazu keiner tiefen Sprachkenntniß, sondern nur der Herbergsprache, das heißt: der Bekanntschaft mit denen Wörtern und Redensarten, durch welche der Reisende seine Bedürfnisse andeutet."

Zum ersten Male werden hier Industrie und Technik als Bereiche genannt, zu deren Bewältigung die Kenntnis lebender Fremdsprachen beizutragen vermag. Schmieders Buch erschien zu einer Zeit, da die Umgestaltung des preußischen Gymnasiums im neuhumanistischen Sinne begann. Dies bedeutet, daß zur gleichen Zeit, als das Motiv der Nützlichkeit fremdsprachlicher Kenntnisse seine Berechtigung zu erweisen begann, es von einer Bildungsauffassung verdrängt wurde, die ihm keinen Raum gewährte.

Auch August Hermann Niemeyer stellt zunächst eine Vorliebe bestimmter Schichten für fremde Sprachen fest, spricht ihnen aber für die unteren Klassen und für einen Teil des Mittelstandes jede Bedeutung ab:

"Für die meisten Menschen ist die Kenntniß der Muttersprache völlig zureichend, so daß in untern Volksschulen überall von fremden Sprachen nicht die Rede seyn sollte; ... Auch in manchen Familien des Mittelstandes wird viel zu viel Zeit damit versplittert und weit Wichtigeres für die echte und gründliche Bildung, namentlich der Töchter, darüber versäumt. Ohnehin kommt es doch gewöhnlich nur bis zum dürftigen Lesen und Verstehen, selten zum Sprechen. Aber es gehört zu der unglücklichen Nachahmungssucht, die uns Deutschen leider überall anhängt, daß wir gern in fremden Zungen reden, und mit einigen ausländischen Worten uns brüsten mögen."

An anderer Stelle heißt es:

"Für die unteren Stände der Gesellschaft, desgleichen den größten Theil des weiblichen Geschlechts, reicht in der Regel die Muttersprache vollkommen aus. Für manche Glieder der mittlern und höhern Stände wird, um in den äußern Geschäften und dem bürgerlichen Verkehr des Lebens andre verstehen und sich ihnen verständlich machen zu können, zuweiln selbst durch neue politische Verhältnisse, das Erlernen bald dieser, bald jener fremden Sprache Bedürfniß."

Wenn man unberücksichtigt läßt, daß für einzelne Angehörige der unteren und mittleren Schicht Fremdsprachenkenntnisse zu einer Bereicherung ihrer Lebenssituation führen konnte (was Niemeyer nicht als Grund ansieht, sie deswegen allgemein als Unterrichtsgegenstand einzuführen), so war die eigentliche Bezugsgruppe für die fremdsprachliche Bildung die "gebildete Welt". Sie bedurfte ihrer wegen des geselligen Verkehrs und der Literatur aller Arten von Wissenschaften, also nicht nur der Belletristik:

"An sich betrachtet liegen uns die lebenden, namentlich die europäischen Sprachen ungleich näher als die todten des Alterthums, sowohl wegen ihres häufigen Gebrauchs in den mannichfaltigen Verhältnissen des Lebens, als wegen der Ähnlichkeit, worin die gebildeten Nationen in Absicht des Ideenkreises und aller äußern Zwecke, wozu man sich der Sprache bedient, unter einander stehen. ...

Berücksichtigt man dabei die geistige Cultur der Nationen, den Umfang und Einfluß ihrer literärischen Erzeugnisse auf alle Arten von Wissenschaften, so behaupten unstreitig die französische, englische und italienische den ersten Rang. Die erstere ist im Lauf der Zeit beinah eine Universalsprache der gebildeten Welt geworden - vielleicht eben so zufällig, als die Lateinische der gelehrten Welt ward. Dadurch wird sie zugleich für viele in den mittlern und höhern Ständen am meisten Bedürfniß, dem selbst ihre Hasser sich oft nicht entziehen können. Sonst ist uns unstreitig die englische nicht nur als Sprache verwandter, auch ihr Geist und ihre Literatur steht unserm Sinn und Geiste näher, und die letztere hat vielleicht noch mehr Antheil an unsrer, besonders ästhetischen Bildung gehabt, welche uns, wie sich geschichtlich nachweisen läßt, die in der Zeitperiode des erwachsenden Geschmacks bis zur Thorheit gewordene Vorliebe für gallische Werke und Schriften, nicht in dem Grade geben konnte, als das fleißige Lesen der britischen Classiker, Die italienische hat sich in Poesie und Prosa am frühesten vervollkommnet."

In diesen Ausführungen treten erneut die Charakteristika der Weltläufigkeit auf, der gesellige Verkehr, sowie die Erweiterung des Erfahrungsschatzes durch Lektüre von Schriften aller Art, die in fremder Sprache abgefaßt sind.

Zum anderen erkennt Niemeyer auch den formalen Gesichtspunkt bei der Spracherlernung an, denn diese übt

"zugleich das Gedächtniß, die Phantasie, die Vernunft, den Witz und Scharfsinn, den Sinn für das Schickliche und Schöne, und nicht befördert die anhaltende Aufmerksamkeit und den unermüdlichen Fleiß so sehr, und giebt so viel Gelegenheit scharf aufzumerken und Schwierigkeiten durch Ausdauer zu überwinden. Eine treffliche Vorübung für alle Geschäfte des Lebens, weil es eine gründliche ist!"

Hierzu sei angemerkt, daß dieser Aspekt bei Niemeyer nicht unbedingt auf neuhumanistischen Einfluß zurückgeführt werden muß, sondern daß er mit gleichem Recht aus der Franckeschen Tradition hergeleitet werden kann, hatte doch der Pietismus, um Latein als die Sprache der heidnischen Antike im Fächerkanon behalten zu können, die formalbildende Funktion bereits herausgestellt.

Ein zweiter Gedanke, der hieran anschließt, weist allerdings auf den Neuhumanismus hin, nämlich die Erweiterung des Ideenkreises durch die Sprache als solche:

"Übedieß sind die Sprachen, da sich in ihnen der menschliche Geist in allen seinen Veränderungen und Richtungen ausdrückt, die Magazine aller Verstandesbegriffe, aller Gedankenformen, und aller Mittel und Werkzeuge ihrer Zusammensetzung und Auflösung. Daher wird durch ihr Studium der Ideenvorrath so sehr vermehrt, das deutliche und ordentliche Denken so sehr gefördert, und die natürliche Logik sogleich in Anwendung gebracht. Je erweiterter also das Sprachstudium ist, in desto größerem Umfange können auch alle diese Zwecke erreicht, kann zugleich eine gewisse Einseitigkeit verhütet werden, welche eben so leicht die Folge einer gänzlichen Unbekanntschaft mit der Sprache fremder Völker, als mit ihren Kenntnissen und Sitten und den Vorzügen ihrer Länder ist, welche dem, der nie den engen Wohnort verließ, so leicht eigen werden kann und fast immer anhängt."

Am Beispiel Niemeyers läßt sich zeigen, daß ebenso wie verschiedene Vertreter des Neuhumanismus (u. a. F. A. Wolf) den realistischen Aspekt der Nützlichkeit für moderne Sprachen herausstellten, ein Repräsentant des pädagogischen Realismus sich des humanistischen Prinzips der formalen Bildung zu ihrer Begründung bedient. Es zeichnet sich ab, daß in jener Zeit das Spezifische der neusprachlichen Bildung nicht aus einem einzigen Prinzip abgeleitet wurde, sondern daß jeweils mehrere Begründungen aufgeführt wurden, die in einem mehr oder weniger losten Zusammenhang stehen.

Ein doppeltes Verhältnis zu lebenden Fremdsprachen kennzeichnet auch die Stellungnahme von F. W. Klumpp. Auch er hebt zuerst den Verkehrs-Aspekt hervor:

"Wie die alten classischen Sprachen als die Vermittlerinnen der neueren zeit mit der antiken Welt und ihrem so tief eingreifenden Bildungs-Stoffe im Allgemeinen in unseren Schulen ihre Stelle einnehmen, und zwar das Primat behaupten, ebenso müssen die neueren fremden Sprachen die Vermittlung des einzelnen Volkes mit der übrigen Mitwelt herstellen.

Wir haben uns in der Einleitung über die Wichtigkeit des durch die mannigfachen Bestrebungen der neuesten zeit eröffneten Völker- und Welt-Verkehrs ausgesprochen, welche keineswegs eine bloß kommerzielle ist, sondern Wissenschaft und Kunst und öffentliches Leben, kurz die ganze Entwicklung der Menschheit begreift.

Durch diese ist denn auch die Kenntniß der Mittel zu solcher allgemeinen Mittheilung, d. h. der verschiedenen Sprachen, bedingt;"

Und:

"Eine besondere Wichtigkeit gewinnt aber offenbar die Erlernung einer fremden Sprache, wenn diese uns nicht nur mit ihrem eigenen Volke in Verbindung setzt, sondern eine Art von Universalität behauptet. Und dieß ist bekanntlich in einem ausgezeichneten Grade der Fall bey der französischen."

Wiederum wird Verkehr in einem weiten Sinne als eine auf die verschiedensten Gebiete, nicht lediglich auf Banales sich erstreckende Beziehung der Völker zueinander verstanden. Neben den auch von anderen erwähnten Bereichen Handel, Kunst, Wissenschaft und öffentliches Leben nennt Klumpp an anderer Stelle noch besonders die politische und wissenschaftliche Tagesliteratur in französischer Sprache.

Ähnlich wie Niemeyer, aber schon beeinflußt von den Ereignissen der Sprachwissenschaft seiner Zeit, sieht Klumpp auch ein philologisch-formales Bildungsziel für den Unterricht im Französischen:

"Wenn sich aus dem Bisherigen die große materielle Wichtigkeit dieser Sprache ergibt, so erhält sie auch in sprachlicher Beziehung dadurch ein weiteres eigenthümliches Interesse, daß sie gewissermaßen als Repräsentant der romanischen Sprachen betrachtet werden darf, und dadurch in Verbindung mit den alten classischen und der deutschen schon eine Art von Sprachen-Cyclus bildet, welcher für in tieferes Studium der Sprachwissenschaft von großer Wichtigkeit ist, und in jedem Falle eben für die vergleichende allgemeine Behandlung der Sprachlehre, welche wir als letzten und höchsten Cursus der Schule verlangt haben, die wesentliche Unterlage bilden muß. Aber auch abgesehen von dieser Vergleichung empfiehlt sie sich an und für sich schon durch ihren eigenthümlichen Charakter für den Jugend-Unterricht. Denn bekanntlich zeichnet sie sich vorzugsweise durch Klarheit und Deutlichkeit ihrer Wortfügung aus. welche sich selbst bey Dichtern in einem Grade findet, der kaum bey Prosaikern anderer Nationen anzutreffen ist. Ein Grund davon liegt in dem Mechanismus der Sprache selbst, der hauptsächlichste aber ist wohl jene Leichtigkeit im Auffassen, jene Klarheit der Begriffe, welche die guten französischen Schriftsteller charakterisieren. ... so daß die Erlernung dieser Sprache nothwendig nicht nur einen sehr wohlthätigen Einfluß auf Einfachheit und Bestimmtheit in der Behandlung der - ... Muttersprache haben, sondern überhaupt klares Denken befördern muß."

Hinsichtlich der formalbildenden Kraft des Sprachstudiums findet sich hier eine Verschiebung des Akzents; Klumpp leitet den Ertrag für die intellektuelle Schulung nicht allein aus dem eigentümlichen Charakter des Französischen, d. h. der Struktur einer bestimmten Sprache, sondern ebensosehr vom Sprachenvergleich ab. An dieser Stelle wird der Einfluß des in erster Linie durch Humboldt vermittelten neuen Sprachverständnisses sichtbar.

Daß die Konzeption des pädagogischen Realismus auch von Gymnasiallehrern schon früh anerkannt wurde, geht aus einer Programmschrift des Gymnasiums zu Ilfeld hervor (jenes Gymnasium, an dem F. A. Wolf unterrichtet hatte). Ihr Verfasser, C. L. Capelle , weist einmal auf die Bedeutung des Französischen für den Alltag hin (z. B. richtige Aussprache der französischen Lehrwörter), zum anderen sieht er die Kenntnis dieser Sprache als wichtiges Instrument für künftige Studierende an:

"Bietet nicht für jede Wissenschaft die Französische Literatur Werke dar, und welche in Deutscher Übersetzung nicht zu haben sind, deren Kenntniss mehr oder minder nothwendig ist, wenn das Studium gründlich und gedeihlich sein soll? In Betreff des Studiums der Geschichte, der Politik, aller Staatswissenschaften, wie aller mathematischen und physikalischen Disciplinen dürfte wohl kein Zweifel obwalten."

Die Erweiterung des Berufshorizonts, welche durch die Kenntnis der französischen Sprache erreicht werden soll, ist für alle akademischen Disziplinen gedacht, nicht nur für die philologischen Fächer. Daneben werden über die Sprachkenntnis auch die Erfahrungen anderer Nationen im politischen Bereich verfügbar:

"Da wir keinen Welthandel haben und keine Herrschaft in den überseeischen Ländern, da die äussere Form für die Einheit unseres Volks schwach ist, und in unsern politischen und bürgerlichen Zuständen und Instituten Manches fehlt, worin und wodurch sich eben bei unsern Nachbarn die alle Reiche der Natur beherrschende Wissenschaft und die sociale und politische Bildung fortentwickeln: so würde uns gedeihliche Nahrung und fruchtbare Anregung zu unserm grössten Schaden entzogen werden."

Die französische Sprache selbst ist das Sammelbecken, in welchem diese Erfahrungen aufbewahrt sind:

"Überall hat sie ... mit der weisesten Ökonomie über ihr Besitzthum geschaltet, so daß keine Sprache geschickter, fertiger und vollständiger für die Darstellung aller endlichen Verhältnisse der natürlichen und gesellschaftlichen Sphäre ist."

Drittens betont Capelle, wie die anderen Anhänger des pädagogischen Realismus, daß sich das Französische als Weltsprache anbietet und damit einer aktuellen Notwendigkeit entgegenkommt:

"Ein allgemeines Mittel zum Verkehr in diplomatischen und geselligen Verhältnissen, für Schriftwerke, die eine allgemeine und unmittelbare Theilnahme in Anspruch nehmen, wird bei den immer innigern und lebhaftern Beziehungen der Nationen stets nothwendiger."

Schließlich fehlt auch das Argument der Verstandes- und Gesinnungsbildung nicht, wobei Capelle die Bildung zur Humanität nicht aus der Sprache selbst oder dem nationalen Leben, sondern auf die Lektüre großer Werke gründet:

"Wir wollen unsern Schülern nicht bloss ein deutlicheres Bewußtsein ihrer eigenen Sprache, eine grössere Fertigkeit im Gebrauche derselben, Übung ihres Gedächtnisses und Denkvermögens verschaffen: wir wollen sie besonders auch zu einem deutlichern Bewußtsein der ächten Humanität, zu den edelsten Gefühlen und den zartesten Empfindungen, zu den erhabensten Ideen und den tiefsten Gedanken zu den wackersten Entschlüssen und den tugendhaftesten Bestrebungen geleiten. Diese goldnen Früchte bieten wir ihnen in den silbernen Schalen der fremden Geisteswerke."

Auch Capelle führt demnach humanistische Gründe zur Ergänzung an. Doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er hier der allgemeinen Gymnasialtheorie seiner Zeit Reverenz erweist und im Unterschied zu den vorangehenden Punkten durch klangvolle Epitheta ersetzt, was ihm an gesicherten Argumenten mangelt.

Wiewohl bei den genannten Vertretern des pädagogischen Realismus Hinweise auf den formalbildenden Wert der lebenden Fremdsprachen nicht fehlen, soll im folgenden allein das spezifisch realistische Verständnis der neusprachlichen Bildung erörtert werden, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschte. Eine Verbindung zu den Begründungen, die für die Anfänge des neusprachlichen Unterrichts aufgewiesen werden konnten, stellt die Tatsache dar, daß in beiden Fällen die erschließende Funktion der Fremdsprache im Vordergrund stand. Neue Kennzeichen des vom pädagogischen Realismus entwickelten Verständnisses sind die überwiegende Bindung der neusprachlichen Bildung an eine andere soziale Schicht, das nicht-akademische Bürgertum, und die Hinwendung zum gewerblichen Bereich, wodurch besonders das Englische an Bedeutung gewann. Das bedeutet jedoch nicht, daß die bereit anerkannten Vorstellungen von literarischer und formaler Bildung durch lebende Fremdsprachen zurückgedrängt worden wären; nach Ausweis der Lehrpläne standen vielmehr besonders für das Gymnasium beide Begründungen noch an erster Stelle.

Der genannte Zeitraum war ferner dadurch gekennzeichnet, daß die Besatzungszeit dem Französischen gesteigerte Aktualität verlieh, wenn diese auch nur von kurzer Dauer war; (Schmieders Hinweis auf die Nützlichkeit dieser Sprache für Hausbesitzer deutet dies an). Ebenso wirkte sich die Neugestaltung der staatlich-gesellschaftlichen Verhältnisse in Frankreich dahingehend aus, daß zusätzliches Interesse an der französischen Sprache durch die nach Deutschland gelangenden politischen Schriften geweckt wurde. Die stärkste Aufwertung erfuhr die französische Sprache jedoch in ihrer Eigenschaft als Universalsprache Europas. Diese ihre Funktion als allgemeines Verständigungsmittel macht in besonderer Weise deutlich, daß nicht die Erkenntnis des Volkscharakters, sondern die Ausrichtung auf den Völkerverkehr das Erlernen der Fremdsprache motivierte, da ja die Bindung an ein einzelnes Volk weitgehend gelöst werden mußte, damit die Sprache jene Universalität erreichen konnte.

Überdies implizierte diese Auffassung, daß weder Angehörige noch Werke der zur Universalsprache gehörigen Nation notwendig in diesen Verkehr einbezogen werden mußten. Aus dieser radikalen Gegenposition zu idealistisch-neuhumanistischen Auffassungen ergibt sich zwangsläufig, daß einem von dieser Motivation getragenen Fremdsprachenunterricht nur von einer pädagogischen Theorie wie der des pädagogischen Realismus bildende Wirkung zuerkannt werden konnte, für den diese pragmatische Bindung selbst ein fundierendes Prinzip war.

Auch die Forderung nach größerer Berücksichtigung des Englischen wurde von den Anwendungsbereichen dieser Sprache, nicht von ihrer Struktur her begründet. Galten im 18. Jahrhundert (so bei Ehlers) die ästhetischen Schriften und die schöne Literatur als dasjenige, was die englische Sprache vermitteln sollte, so traten im 19. Jahrhundert Handel und Technik in den Vordergrund. Gebiete also, auf denen England damals eine führende Stellung einnahm. Da die Verbreitung des Englischen zu Beginn des Jahrhunderts die des Französischen noch nicht erreicht hatte, war sie nicht in dem gleichen Maße geeignet, allgemeine Verkehrssprache in Europa zu werden.

Eine weitere Bedeutung erlangte der pädagogische Realismus für die neusprachliche Bildung insofern, als er die Gestaltung der Bürgerschule weitgehend bestimmte, welche als erste Institution das Englische als verbindliches Unterrichtsfach einführte.

7. Friedrich Schleiermacher

Obwohl die neusprachliche Bildung als solche im pädagogischen Werk Schleiermachers nur am Rande erwähnt wird, erlangen seine Einsichten für die vorliegende Untersuchung insofern Wichtigkeit, als die Stellung des neusprachlichen Unterrichts im System der Erziehung deutlich aufgewiesen wird.

Im allgemeinen Teil seiner pädagogischen Schriften geht Schleiermacher auf das Verhältnis der größeren Lebensgemeinschaften zur Erziehung ein. Es handelt sich dabei in der besonderen geschichtlichen Lage, auf die er seine Aussagen bezieht, um Kirche, Staat, freie Geselligkeit und Wissenschaft. Die folgende Darstellung beschränkt sich vor allem auf die Darstellung des Begriffs freie Geselligkeit, bzw. freier geselliger Verkehr.

Das Interesse des Staates an der Erziehung beruht für Schleiermacher darauf,

"den Gemeingeist, die Übereinstimmung der Einzelnen mit der bestimmten Form des Staates zu wecken, und zugleich die Generation so zu entwickeln, daß in ihr die Totalität aller der Fertigkeiten ausgebildet werde, welche zur Erhaltung des allgemeinen Lebens im Staat erforderlich sind."

Schleiermacher erkennt, daß für die gegenwärtige Epoche die Isolation der Staaten abnimmt; das Bewußtsein vom Gemeingeist, d. h. der Patriotismus geht in dem gleichen Maße zurück; es kommt ein neues Bewußtsein hinzu, "das Bewußtsein des Verbandes mit allen, die den ganzen Völkerverband ausmachen" , auch Kosmopolitismus benannt. Der Kosmopolitismus als Bewußtseinshaltung entspricht jener bereits erwähnten größeren Lebensgemeinschaft, die Schleiermacher als freien geselligen Verkehr bezeichnet. Ausdrücklich hebt er Kosmopolitismus ab von einer Haltung, die sich "auf die Totalität der menschlichen Gemeinschaft bezieht" also von dem, was den Kern des Humanitätsgedankens bei Herder und im Neuhumanismus ausmacht. Kosmopolitismus ist bezogen "nicht auf die Totalität der menschlichen Gemeinschaft, sondern auf einen besonderen Staatenzusammenhang,, auf einen bestimmten Kreis, innerhalb dessen schon wirklich eine über den einzelnen Staat hinausgehende Gemeinschaft sich gebildet hat".

Seine Entstehung verdankt der freie gesellige Verkehr vorwiegend ökonomischen Gründen: "Die Gemeinschaft, welche in dem Verkehr sich darstellt, ist auf dem natürlichen Wege durch Zunahme der Bevölkerung, durch die Notwendigkeit, die Existenzmittel zu vervielfältigen, entstanden."

Freier geselliger Verkehr und Kosmopolitismus als aufeinander bezogene Erscheinungen stehen im Kreis der Familie, sie sind zunächst nicht dem Staate zugeordnet: "Der Regierung werden wir nichts anderes zumuten können, als daß sie den Einfluß dieses Gebietes nicht hemme." Jedoch "Die Erziehung wird meist von selbst dem gegebenen Zustande folgen; vorangehen kann sie ihm nicht" . Dies ist eine Bestätigung der in den Anfängen des neusprachlichen Unterrichts erkennbaren Tatsache, daß die Vorbereitung auf künftigen Verkehr mit anderen Völkern im neusprachlichen Unterricht ein deutlich bestimmbares gesellschaftliches Bedürfnis darstellte, dem später die öffentliche Erziehung nachkam: Bestimmter noch als Herder hebt Schleiermacher die Wechselseitigkeit dieses Verkehrs hervor:

"Wenn in einem Volke ausschließlich die passive Kommunikation ist, so kann es auch nur eine untergeordnete Stellung im Völkerverbande einnehmen. Aktiv ist nämlich die Kommunikation, wenn ein Volk die verschiedenen Sprachen bei sich selbst einführt und die Bekanntschaft mit diesen unter sich begründet; passiv dagegen, wenn ein Volk zwar Menschen aus anderen Ländern unter sich aufnimmt, ihnen aber überläßt, die Landessprache sich anzueignen. Auf dem letzten Wege ist keine entwickelte Bekanntschaft mit den Lebenszuständen anderer Völker, keine Aneignung der verschiedenen Sprachen möglich. Wir Deutsche haben immer auf die aktive Kommunikation gehalten, und sind die Vermittler des Verkehrs zwischen den verschiedenen Völkern geworden. Die Leichtigkeit, andere Sprachen zu erlernen, ist unser Eigentum. Es ist sogar bis zu dem Übermaß gekommen, daß wir fremde Elemente in unsere Sprache aufnehmen."

Die Wechselseitigkeit des Verkehrs mit anderen Völkern (aktive Kommunikation) bedingt das Erlernen fremder Sprachen, und so heißt es an der angegebenen Stelle weiter:

"Vorzugsweise repräsentiert also die Erlernung fremder Sprachen, die lebendige Kommunikation der durch Sprache, Nationalität, Staatsverfassung geschiedenen Glieder der Gesamtmassen, das andere Glied."

Im vorangehenden Zitat ist ein bedeutsamer Hinweis auf den Bildungssinn des neusprachlichen Unterrichts gegeben, der als gültige Einsicht in dieser Deutlichkeit vorher noch nicht festzustellen war.

Schleiermacher grenzt deutlich den didaktischen Ort der alten von dem der neuen Sprachen ab. Die ein Richtung ist bestimmt

"durch den allgemeinen Weltverkehr in der Gegenwart, die andere durch die Beziehung der Vergangenheit auf die Gegenwart ...".

Genauer:

"Die letzte gehört dem historischen Standpunkt an und beruht darauf, daß unsere Kultur auf dem Felde ausgestorbener Sprachen erwachsen ist. Sie hat nur für diejenigen Wert, die auf dem historischen Standpunkt stehen; und da nun erst später sich entscheidet, ob ein Kind befähigt ist, auf diese Stufe sich zu erheben, so kann auch erst später das Bedürfnis eintreten, die alten Sprachen in den Kreis des Unterrichts zu ziehen.

Die erste Richtung gehört dem kosmopolitischen Standpunkt an, über die Grenzen eines Volkes und Staates hinausgehend. Dieser Standpunkt bezieht sich auf zwei Funktionen. Einmal nämlich ist für diejenigen, welche Anteil an der Regierung haben, das Bedürfnis einer Gemeinschaft mit anderen Sprachen vorhanden, da jeder Staat in realem Verhältnis mit anderen steht. zweitens besteht ein großer Geschäftsverkehr; insofern dieses in den Welthandel übergeht, ruft es ebenfalls jenes Bedürfnis der Gemeinschaft mit fremden Sprachen hervor."

Teilhabe an der Regierung und am Geschäftsverkehr sind jedoch Beziehungen, die nicht schon in der Kindheit zu stiften sind; im Erwachsenenleben sind sie wiederum gewissen Ständen vorbehalten. Noch ein weiterer Grund gebietet, die Kindheit von der auf politische und kommerzielle Tätigkeit ausgerichteten neusprachlichen Bildung freizuhalten:

"Wo man mehrere Sprachen in gewissen Klassen neben der Muttersprache den Kindern beizubringen sich bestrebt, da ist auch gewöhnlich die Neigung, die Ungleichheit fortzupflanzen."

Es würde dadurch nicht die gewünschte Vorbereitung auf den künftigen Beruf angebahnt, wohl aber die Abgrenzung der Klassen gestützt. Nachdem Schleiermacher die Notwendigkeit der Erlernung moderner Fremdsprachen begründet und begrenzt hat, untersucht er die Gründe für deren Verbreitung in den verschiedenen Schularten. Ein erster Grund für die Ablehnung des fremdsprachlichen Unterrichts für die allgemeine Volksbildung liegt, wie bereits erwähnt, in seiner sozial differenzierenden Wirkung. Auch das Argument der intellektuellen und ethischen Bildung durch Sprach- und Kulturvergleich, das im Zusammenhang mit dem Neuhumanismus erörtert wurde, nimmt Schleiermacher auf und kommt auch in dieser Hinsicht zu einer Ablehnung, gerade weil er das Erlebnis der Differenz, d. h. der Relativität von Vorstellungen und Handlungsweisen auf einer zu frühen Stufe vermeiden möchte: "Die logische und ethische Fortentwicklung leidet durch frühe Aneignung fremder Sprachen."

Drittens schließlich lehnt er den Brauch ab, im internationalen politischen Verkehr sich stets der Sprache des Partners zu bedienen, da dieser dadurch an Ansehen gewinne, man selbst jedoch nicht auf gleiche Weise gewürdigt werde.

Drei Motive sind es somit, die für Schleiermachers Ablehnung des fremdsprachlichen Unterrichts in der Kindheit maßgeblich sind, ein soziales, ein entwicklungspsychologisches und ein nationales; die Ablehnung gilt für die neuen ebenso wie für die alten Sprachen. Die gleichen Gründe, die er für diese Ablehnung in der Kindheit anführt, bestimmen ihn auch, den Fremdsprachenunterricht aus dem Kanon der Volksbildung auszuschließen.

Anders die Bürgerschule: in ihren Zyklus sind die Sprachen derjenigen Nationen enthalten, "welche im unmittelbaren Verkehr mit der erziehenden Generation stehen" , wobei die Auswahl nach der Maxime der Verbreitung und der der Sparsamkeit getroffen werden soll, d. h. entweder man lernt die Sprachen der Völker, mit denen man kommuniziert, oder aber man erlernt eine weit verbreitete Hauptsprache. Die Lehrmethode soll sich dabei an die der Muttersprache anschließen und mit dem praktischen Leben in Verbindung stehen:

"Je mehr der Unterricht in den fremden Sprachen auf das im gewöhnlichen Leben stets Vorkommende sich bezieht und von der Bildung der Sätze ausgeht, und so bildend und zerlegend auf lebendige Weise die Regeln entwickelt, desto fruchtbarer wird er sein und dem Erlernen der Muttersprache ähnlich."

Im Fächerkanon der Gelehrtenschule schließlich fehlen bei Schleiermacher lebende Fremdsprachen. Verständlich wird dies, wenn man die von ihm postulierte Bindung des neusprachlichen Unterrichts an die Lebensgemeinschaft des geselligen Verkehrs berücksichtigt. Für diesen Bereich soll die Bürgerschule vorbereiten, während die Gelehrtenschule geprägt ist durch ihre wissenschaftliche bzw. wissenschaftspropädeutische Aufgabe. Hatte Herder für das Gymnasium philosophische Grammatik auch der modernen Sprachen gefordert, so lehnt Schleiermacher diese selbst für die alten Sprachen ab und weist diese Aufgabe der Universität zu:

"Die spekulative Seite des Sprachstudiums, die ausführlichere, eigentlich gelehrte Behandlung der einzelnen Sprachen bleibt der höheren wissenschaftlichen Bildungsstufe vorbehalten, den Universitätsstudien."

Wenn aber weder Verkehrsfunktion der Fremdsprache noch ihre philosophische Analyse dem Bereich der gelehrten Bildung zuzuweisen sind, so bliebe nur noch eine der bisher aufgewiesenen Aufgaben für den Unterricht in modernen Fremdsprachen übrig, nämlich die Einführung in die Literatur anderer Nationen. Diese Aufgabe fällt jedoch, soweit Schleiermacher sie überhaupt als eigenständig anerkennt, dem altsprachlichen Unterricht zu. Damit sind die Gründe deutlich geworden, die Schleiermacher dazu bestimmen, moderne Sprachen von der gelehrten Bildung auszuschließen.

Schleiermachers Ansicht von der Bedeutung fremdsprachlicher Erziehung läßt sich so wie folgt zusammenfassen: Im Ganzen der Gesellschaft hat sich als eigenständiger Bereich der freie gesellige Verkehr, der auch auf eine Völkergemeinschaft ausdehnbar ist, herausgebildet. Mit der Völkergemeinschaft als einer konkreten Gruppe miteinander in Beziehung stehender Staaten weist er auf ein Zwischenglied hin, das zwischen Volk bzw. Staat und Menschheit steht. Auf diese reale Gemeinschaft sind Verkehr und Kosmopolitismus bezogen. Gegenüber dem Neuhumanismus bedeutet dieser Bezug insofern einen Fortschritt, als aus der größeren Konkretheit der Beziehung größere Verbindlichkeit des Verkehrs und der auf ihn gerichteten Haltung des Kosmopolitismus erwächst. Dadurch gewinnt die fremdsprachliche Bildung einen sicheren Ort im Bildungskanon: es werden die Bedingungen aufgewiesen, unter denen fremde Sprachen in das Erziehungssystem aufzunehmen sind.

Aus den epochalen Lebensverhältnissen erwachsen, findet der Völkerverkehr in der Gesinnung des Kosmopolitismus seinen Niederschlag. An ihm partizipiert jedoch der Möglichkeit nach nur ein Teil des Volkes. Nur für diese Gruppe, vorwiegend die bürgerlich-nichtakademische Schicht, die ihre Vorbildung auf der Bürgerschule erfährt, sind aber moderne Fremdsprachen von Bedeutung. Diese Gruppe repräsentiert und trägt den Völkerverkehr in der Gesamtgesellschaft. Mit der Bindung der fremdsprachlichen Bildung an mögliche Teilhabe am Völkerverkehr ist von Schleiermacher ein gesellschaftlich-dynamischer Aspekt aufgewiesen: in dem Maße, wie diese Möglichkeit wächst oder abnimmt, nimmt auch die neusprachliche Bildung an Bedeutung zu bzw. ab.

Nicht weniger interessant sind die von Schleiermach angegebenen Gründe, die lebende Fremdsprachen aus dem Kanon der Volksbildung ausschließen:

a) Der entwicklungspsychologische: Hatte das Sprachdenken der Philanthropen den Einfluß der Spracherlernung auf die Geistesbildung nur als Kenntniszuwachs angesehen, so war bei Herder und den Neuhumanisten die Einsicht in die bewußtseinsstrukturierende Wirkung des Erlernens von Fremdsprachen aufgekommen, jedoch nur in ihrer positiven Seite. Schleiermacher weist demgegenüber auf die negativen Folgen einer zu frühen Bezugnahme auf das Fremde im Medium seiner Sprache hin, die das Hineinleben in die Norm der Muttersprache erschwert.

b) Der soziale: Solange die Integration der Stände in die Nation nicht erreicht ist, wirkt die fremdsprachliche Bildung diesem Ziel entgegen, da in ihr ein Mittel zur sozialen Distanzierung gegeben ist; ein Hinweis darauf fand sich bereits bei Herder.

Schließlich steht auch bei Schleiermacher die Methode des Lernens von lebenden Fremdsprachen mit deren Verkehrsfunktion in Einklang; damit wird jenes Verhältnis von Ziel und Methode, das sich bereits in den Anfängen des neusprachlichen Unterrichts abzeichnete, neu bestätigt.

8. Carl Mager

Der neusprachliche Unterricht war nach den bisher von uns festgestellten Auffassungen hauptsächlich auf folgende Aufgaben ausgerichtet:

a) Vermittlung eines Lebens- und Bildungsideals, das sich auf französischem Boden entwickelt hatte.

b) Prestigeerhöhung bürgerlicher und aufstrebender Schichten durch Übernahme dieses Erkennungszeichens der Oberschicht.

c) Erweiterung des Erfahrungs- und Handlungsbereichs über den eigenen nationalen Rahmen hinaus durch den Erwerb eines für die Zeit sehr weit verbreiteten Verständigungsmittels.

d) Formale Geistesbildung, d. h. Schulung geistiger Funktionen: des Gedächtnisses, des Willens etc.

Die Begründung erfolgte dabei entweder vom gesellschaftlichen Bedürfnis (z. T. in gruppenspezifischer Ausrichtung), oder aber - wenn auch in weit geringerem Maße - vom Intellekt des Zöglings her. Der große pädagogische Gedanke der Epoche, die Bildung zur Humanität, hatte bisher mit Ausnahme von Herder keine Anwendung auf den Unterricht in lebenden Fremdsprachen gefunden. Und so ist es kein Zufall, wenn Carl W. Mager als der Mann, dem die gedankliche Bewältigung dieses Verhältnisses zu danken ist, ausdrücklich Bezug nimmt auf Herder. Mager versuchte, den zur intellektuellen Gymnastik formaler Bildung entarteten Neuhumanismus und den zu enzyklopädischer Faktenvermittlung verdünnten pädagogischen Realismus zu einer fruchtbaren Synthese zu verbinden, die er als moderne Humanitätsbildung verstand. Die gedankliche Durchdringung beider Prinzipien und ihre Anwendung auf den Fremdsprachenunterricht verrät den Einfluß Herders und Humboldts, Fichtes und Hegels, aber auch Pestalozzis, Herbarts und Schleiermachers. Im Rahmen der pädagogischen Theorie Magers wird der neusprachliche Unterricht zum ersten Male in seiner spezifischen erzieherischen Bedeutung gesehen, so daß es geraten scheint, diese Erziehungstheorie im ganzen kurz zu umreißen.

Unter Hinweis auf Herder versteht Mager die Bildung zur Humanität als eine Bildung,

"durch die der natürliche Mensch zu einem geistigen Menschen wiedergeboren, durch die das Subject von seiner eigenen Subjectivität befreit, durch die das Individuum, indem es sich mit den wesentlichen Gegenständen Natur, Menschheit, Gott, geistig und gemüthlich beschäftigt und in das rechte Verhältnis setzt, zu dem wird, was es nach den ihm verliehenen Anlagen zu werden die Fähigkeit hat."

Damit ist verbunden, daß nicht reine, sondern der in nationale, epochale und ständische Verhältnisse gebundene Mensch Gegenstand der Erziehung ist. Der Sozialordnung entsprechend soll sich das Schulwesen in drei Typen gliedern: die Volksschule, die Bürgerschule und das Gymnasium. Diese Schultypen sind gekennzeichnet durch die Verschiedenheit der sie bestimmenden Ideenkreise, die von Mager als das nationale, das modern-europäische und das Welt-Bewußtsein bezeichnet werden. Diesen Ideenkreisen entsprechen die drei Stände des gemeinen Mannes oder Volks, des Gebildeten und des Gelehrten. Dennoch sind die drei Schularten einer generischen Identität, da eine jede den Kreis der humanen Bildung durchlaufen muß und zwar auf ihre Art. Die drei wesentlichen Gegenstände dieses Kreises der humanen Bildung sind die Natur, die Menschheit (darunter versteht Mager Zivilisation und Kultur) und Gott.

"Fehlt einer dieser drei Gegenstände - wie z. B. der nun im Veralten begriffene Humanismus ... die Natur ausschließt, während der utilitaristische Realismus das Menschliche mehr oder weniger über Bord wirft, - so ist die Bildung materiell unvollständig."

Den Gegenständen der humanen Bildung gegenüber gibt es zwei Grundeinstellungen, die theoretische (Kennen und Wissen) und die praktische (Können und Wollen). Die theoretische Bildung umfaßt Kenntniserwerb, Denkschulung und sprachliches Darstellungsvermögen, während die praktische Bildung Organfähigkeit, ethischen und ästhetischen Sinn einschließt.

Dies sind die Hauptmomente der humanen Bildung, die mit je verschiedenen Schwerpunkten in allen drei Schularten zur Geltung gebracht werden müssen. Bevor die Frage nach der Stellung des neusprachlichen Unterrichts innerhalb dieses Systems erörtert wird, ist noch ein Hinweis auf den didaktischen Ort, den Mager dem Sprachunterricht überhaupt zuweist, notwendig. Schon gegen die Bezeichnung Sprachunterricht wendet Mager ein, daß darin der Gegenstand, um den es eigentlich geht, nämlich der Mensch, nicht vorkommt. Die beiden Hauptgegenstände der humanen Bildung, Natur und Menschheit, sind für ihn die Unterscheidungsgrundlage der beiden großen Wissenschaftsbereiche, der Naturwissenschaften und der ethischen (auch historische oder anthropologische genannt). Wissenschaften, d. h. der Geisteswissenschaften:

"Wie die Natur das Substrat einer Reihe von Wissenschaften (Mathematik, Physik, Chemie, Botanik, Geologie, Geographie etc.) und Künsten ist (Feldmessen, Mechanik, chemischer Fabrikation, Pharmacie, Pflanzen- und Viehzucht, Heilkunst u. s. w.), so verhält es sich auch mit dem Menschen, insofern wir diesen nicht als Naturobject ..., sondern als geistig-sittliches Wesen betrachten. Auch der Mensch, oder sagen wir lieber gleich die Menschheit, ist Substrat mehrerer Wissenschaften (Seele, Sprache, Rede, Recht, Sitte, Staat, Völkerleben, Kunst, Religion u. s. w.) und Künste (Erziehung, Staatskunst, Poesie, Beredsamkeit u. s. w.); in dem Kreise dieser ethischen (oder historischen, oder anthropologischen) Wissenschaften und Künste haben die Sprachen und Litteraturen nun die doppelte Stellung, daß sie einerseits rein als solche (dies ist der Gesichtspunkt des Linguisten und des Philologen), andererseits als Inhalt der ganzen sittlichen und natürlichen Welt betrachtet werden können. Die pädagogische Beschäftigung mit den Sprachen und Litteraturen, die somit zugleich ein Reale sind ... läßt den letzten Gesichtspunkt vorwalten, so daß ein himmelweiter Unterschied zwischen wissenschaftlichen und schulmäßigen (humanem) Sprach- und Litteraturstudium ist."

Sprach- und Literaturunterricht ist demnach für Mager geisteswissenschaftliche Propädeutik (auf der Stufe der Kunde), nicht Geisteswissenschaft selbst, womit ja von vornherein ein von der Schule nicht zu erfüllender Anspruch aufgestellt wäre. Die Einteilung dieser (Menschheits-)Kunde in drei Bezirke (muttersprachlicher, neu- und altsprachlicher Unterricht) geschieht nach den oben erwähnten drei Ideenkreisen.

Der doppelte Aspekt der Sprache als geistige Objektivation und als Mittel wird - wie aus dem vorangehenden Zitat hervorgeht - von Mager deutlich erkannt. Die Beschäftigung mit Sprachen und Literaturen als Inhalt der ganzen sittlichen und natürlichen Welt "bedeutet nicht weniger als das Unternehmen, der Wirklichkeit des menschlichen Geistes nachzuspüren". Gemeint ist der menschliche Geist, "wie er sich im geistigen, sittlichen und künstlerischen Leben edler Völker und in den Hervorbringungen großer und hoher Genien dargestellt und bethätigt hat".

Ist so die Stellung bestimmt, die Mager dem Sprachunterricht im Ganzen der Erziehung zuweist, so soll im folgenden seine Auffassung von den einzelnen Funktionen der Sprachbildung dargestellt werden. Das folgende von Mager selbst gegebene Schema bietet einen ersten Überblick:

"Der sog. Sprachunterricht soll

A. In Bezug auf theoretische Bildung,

Er soll geben: B. In Bezug auf praktische Bildung a) Die erste Forderung, daß der sogenannte Sprachunterricht Sprach- und Literaturunterricht als solcher zu sein habe, ist gegen zwei Mißverständnisse abzusichern. Grammatik und Wortschatz, Literaturgeschichte und Literarästhetik sollen nicht als fertige Gebilde der gedächtnismäßigen Aneignung angeboten werden, so daß der eigentliche Bildungsprozeß erst nach dem Erwerb dieser Mittel einsetzen kann. Andererseits aber meint Mager auch nicht, daß beim Lernvorgang geistig-seelische Kräfte allgemein geübt würden (etwa als Denkschulung oder Gedächtnistraining). Insofern bleibt er seiner Grundeinstellung treu, die ihn sowohl zur Ablehnung der ausschließlich Materialien oder formalen Bildungstheorien, des reinen Realismus wie auch des rationalen Humanismus, führte. Es kommt ihm vielmehr darauf an, im Zögling ein Grundverständnis auszubilden, mit dessen Hilfe dieser sich Sprache und Literatur erschließen kann. Daher auch Magers Forderung, eine Grammatik zu verfassen, welche die Wirklichkeit der Sprache angemessen wiedergibt, oder seine Ablehnung des ungeordneten Vokabellernens, das er durch eine organische Darstellung des Wortschatzes einer Sprache abgelöst sehen möchte:

"Das zweitausend Jahre alte aristarchische grammatische System, wie es der Grammairo ... heut zu Tage zu Grunde liegt, verhält sich zu dem genetischen, wie es allmälig durch die Arbeiten der neueren Philologie aufgebaut wird, wie ein alphabetisches Wörterbuch einer Wissenschaft zu einer organischen Darstellung derselben."

Die erste Aufgabe zur Überwindung bloß materialer oder formaler Ansprüche an den Sprachunterricht fällt demnach der Wissenschaft (im Falle der modernen Sprachen den neueren Philologien) zu; ihre Aufgabe ist es, die Bildung nach der Seite der Gehalte hin abzusichern, indem sie die Klärung der Sachstrukturen leistet. Der eigentliche Bildungsprozeß, der so vom Bildungsgegenstand her vorbereitet ist, besteht dann darin, daß mit Hilfe der genetischen Methode diese Gegenstandsstrukturen entbunden und in elementarer Form vermittelt werden.

b) Was den zweiten Punkt, den historischen Unterricht betrifft, so versteht Mager darunter jenen Aspekt, der in späterer Zeit als der kulturkundliche bezeichnet wurde. So ist also die zweite Aufgabe des Sprachunterrichts,

"den Schüler mit dem Gesamtleben verschiedener Nationen ... zwar nur schulmäßig, jedoch so gründlich bekannt zu machen, daß der Schüler eine anschauliche Kenntniß des fremden Ethos und damit die Elemente der Gewinnung eines neuen, höheren und reicheren Standpunktes der Weltansicht gewinnt."

Hierbei beruft sich Mager auf den oben erwähnten Gedanken Humboldts. Auch die folgenden Ausführungen über die Notwendigkeit, das fremde Ethos im Medium seiner eigenen Sprache, nicht in Übersetzungen, zu vermitteln, verraten eindeutig Humboldts Einfluß. Wenn Mager die Erweiterung des nationalen Bewußtseins fordert, so geschieht dies in einer an Herders Humanitätsdenken gemahnenden Weise:

"In unsrer modernen, christlichen Welt, wo kein Volk mehr alle andern Völker Barbaren nennt, gehört es nun zur höheren Bildung, daß man die Schranken seines bloß nationalen, particularen Bewußtseins durchbreche, daß man in Deutschland sein deutsches (in Frankreich sein französisches) Bewußtsein erweitere und durch Aufnahme derjenigen Bildungselemente fremder Culturnationen vervollständige, die unsrer nationalen Cultur mehr oder minder fehlen und dabei mit unserem Wesen sich leicht verbinden und unser Gutes zu vermehren oder uns auch nur zu schmücken vermögen. Welch unermeßlicher Schatz bei den Griechen und Römern zu heben ist, das haben viele classische Philologen vielmals dargestellt; aber auch bei den neueuropäischen Culturnationen ist eine edle und schöne Bildung zu gewinnen, und kein heutiger Mensch, der an dem höheren europäischen Culturleben Theil haben will, kann ohne Kenntniß der beiden Nachbarvölker bestehen."

Als Beispiel dafür, wie im neusprachlichen Unterricht das gesamte Leben der fremden Nation einschließlich der ökonomischen und politischen Verhältnisse darzustellen ist, nennt Mager seine Textsammlungen für den französischen Unterricht. Er sieht in dieser Ausrichtung des Unterrichts die Möglichkeit, ein rechtes Verhältnis zum fremden Land und seiner Kultur zu gewinnen, das ebenso frei ist von blinder Nachahmung wie von beschränkter Ablehnung.

c) Mit dem dritten Motiv für die neusprachliche Bildung steht Mager ganz in der Tradition des pädagogischen Realismus, wenn er fordert, "daß der Unterricht den Schülern nebenbei viele schätzbare Kenntnisse aus den natürlichen und ethischen Fächern beibringt". Unter diesen schätzbaren Kenntnissen, die nebenbei im fremdsprachlichen Unterricht vermittelt werden, sind solche Wissensinhalte zu verstehen, deren Vermittlung nicht eigentlich Aufgabe des neusprachlichen Unterrichts ist (etwa solche der Naturwissenschaften), die aber dennoch gelegentlich auch in diesen einfließen können.

d) Der philosophische Ertrag ist der vierte Gesichtspunkt, den Mager für die neusprachliche Bildung anführt. An ihm wird besonders deutlich, wie sehr für Mager alte und moderne Sprachen prinzipiell gleichwertig sind. Er überträgt die Begründung, die Hegel für die Verstandesbildung durch den Unterricht in lateinischer Sprache gegeben hat, ohne Vorbehalt auf die neuen Sprachen und verbindet diese Begründung mit Herders Gedanken der philosophischen Grammatik. Dabei sieht Mager den intellektuell bildenden Wert nicht darin, daß der Schüler durch die Beschäftigung mit der Bauweise einer bestimmten Einzelsprache zum logischen Denken angeleitet wird; vielmehr ist es die geistige Tätigkeit des Vergleichens zweier Sprachen, der Fremdsprache und der Muttersprache, die dem philosophischen Denken zugute kommt. Mager stellt sich damit dem geläufigen Argument entgegen, daß dem Latein der Vorrang gebühre, weil diese Sprache von besonders logischer Struktur sei. Zum Vergleich mit der Muttersprache eignet sich jede Sprache, deren Bau markante Abweichungen aufweist.

Der vergleichende Sprachunterricht kann nach Mager jedoch noch auf eine zweite Weise als philosophische Propädeutik wirksam werden:

"Wenn das grammatische Studium eine Vorschule der Logik und eine unschätzbare logische Praxis ist, so ist dagegen das Studium der Onomatik Vorschule und Praxis der Metaphysik."

Magers Auffassung zufolge vermittelt die Onomatik als Lehre von den Wortinhalten und deren Bezeichnungen die Einsicht, daß mit jeder Bezeichnung nicht eine Definition des Gemeinten gegeben, sondern ein bestimmtes Merkmal der Sache herausgehoben wird, das für das Ganze steht. Daraus erklärt sich, daß derjenige, welcher bloß im unbefangenen Umgang mit der Muttersprache lebt, nicht zum Begriff selbst vordringen kann, weil ihm die Fähigkeit, die Bezeichnung vom Wortinhalt zu trennen, fehlt. Wer hingegen fremde Sprachen lernt, kann erkennen, daß die Wörter der verschiedenen Sprachen, welche eine Sache bezeichnen, verschiedene Merkmale dieser Sache herausgreifen. Damit kann er sich

"über die Sprache als solche erheben und, genöthigt, den Gedanken von seinem Zeichen abzulösen, aus dem vorstellenden, an den Mechanismus Einer Sprache gebundenen Denken zu dem reinen, streng begrifflichen Denken die Fähigkeit gewinnen".

Drittens schließlich erwähnt Mager die Tatsache, daß Völker, ihrer geistigen Tradition gemäß, Vorlieben für bestimmte Intellektualvorstellungen entwickelt haben, die anderen Völkern fehlen oder bei ihnen nur unvollkommen ausgebildet sind. Da das Studium fremder Sprachen den Zugang zu diesen eröffnet, vermittelt es einen Zuwachs der Verstandes- und Ideenbildung.

e) Unter philologischer Bildung versteht Mager nicht eigentlich das, was von der Bezeichnung her zu erwarten wäre, nämlich wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache und den sprachlichen Werken, sondern den Umgang mit der Sprache und ihre volle Beherrschung, also in erster Linie Rhetorik und Stilistik. Dies bezieht sich zwar vornehmlich auf die Muttersprache, die fremdsprachliche Bildung leistet jedoch wertvolle Hilfe, denn:

"ein kundiges Auge sieht es dem deutschen Stil eines Schriftstellers bald an, ob derselbe je in einer fremden Sprache geschrieben hat oder nicht".

eine solche Wirkung verspricht sich Mager darum, weil es vor allem die lateinische und die französische Sprache verbieten, Unsinn auszudrücken. Damit wertet der in nicht ganz konsequenter Weise zu seinen sonstigen Ausführungen fremde Sprachen normativ.

f) Mager versteht unter praktischer Bildung, dem fünften Anliegen des Fremdsprachen- Unterrichts, folgendes:

"Wenn wir von dem Nutzen der Sprach- und Litteraturstudien für praktische Bildung reden, so fassen wir die Praktische Bildung nicht wie der gemeine und vornehme Realismus, wenn dieser darum neuere Sprachen betrieben wissen will, weil ein großer Theil der Gebildeten der Kenntniß derselben im Geschäfts- und gesellschaftlichen leben nicht entrathen kann - obschon auch dieser Gesichtspunkt seine Berechtigung hat -; wir haben, im Gegensatz zur intellectuellen Bildung, die Bildung des Willens und Characters, des Gemüthes und der Gesinnung im Auge."

In dieser Definition ist angedeutet, daß Mager praktische (d. h. ethische) Bildung aus der Begegnung des Zöglings mit der Literatur ableitet. Den modernen europäischen Literaturen gebühre gegenüber den antiken der Vorrang, da sie vom christlichen Denken geprägt seien. Zudem sei es einfacher, moderne Werke, die für die sittliche Bildung ohne Wert sind, aus dem Kanon auszuschließen, als solche der Antike, die ob ihres Alters mit der Gloriole der Ehrwürdigkeit umgeben sind, was einen solchen Ausschluß problematisch macht. Bezüglich der Literatur denkt Mager keineswegs nur an Dichtung, sondern ebensosehr an "die zu Nationalautoren gewordenen Prosaisten, die Geschichtsschreiber, die Redner und die abhandelnden Schriftsteller ...".

In den Werken der modernen Literatur sei jedoch nicht nur die allgemeine Sittlichkeit zur Darstellung gebracht, sie spiegelten auch das spezifische nationale Ethos wider. Eine Darstellung der bildenden Wirkung, die aus der Begegnung mit den spezifischen Wertvorstellungen fremder Nationen entspricht, versagt sich Mager jedoch.

Nachdem die verschiedenen Bildungsaspekte, die Mager für den Fremdsprachenunterricht aufweist, erörtert worden sind, gilt es, die Mittel darzustellen, die er für die Neugestaltung des neusprachlichen Unterrichts als notwendig erachtet. Es sind dies a) die genetische Methode und b) ein reformierter Ausbildungsgang der Neuphilologen.

a) In seiner Abhandlung über die genetische Methode setzt sich Mager mit den pädagogischen und philosophischen Anschauungen Hegels, Herbarts und Pestalozzis auseinander. Er entwickelt in Anknüpfung an die elementarische Methode Pestalozzis, "die nicht allein auf der Psychologie, sondern zugleich auf der Natur der Gegenstände beruht" , eine Methode des Fremdsprachenunterrichts, welche in Anlehnung an die wissenschaftliche Darstellung des Gegenstands (einer Sprache, eines literarischen Werks) und der darin enthaltenen elementaren Formen den Sinn des Zöglings für diese Bereiche in spezifischer Weise zu entwickeln sucht. Mager definiert diese Methode wie folgt:

"Uns ist die genetische Methode diejenige Entwicklung des Gedankens, welche die Entwicklung des Seins, das erkannt werden soll, schrittweise begleitet und getreu spiegelt, so daß beide Gebiete sich decken."

In der Praxis unterscheidet sich die genetische Methode von der analytischen dadurch, daß sie nicht bei der imitativ erworbenen Sprachgewohnheit verharrt, sondern diese reflektiert. Von der synthetischen Methode hebt sie sich dadurch ab, daß sie von der Ganzheit der sprachlichen Form und vom Sprachgebrauch, d. h. vom sinnvollen Satz ausgeht.

Wichtigste Aufgabe der genetischen Methode ist für Mager, daß diese die oben genannten Bildungsziele gleichzeitig, wenn auch mit je verschiedenem Schwergewicht, zu verwirklichen sucht. Unter Berücksichtigung der seelisch-geistigen Entwicklung des Jugendlichen soll dies in zwei Stufen geschehen. Die propädeutische oder elementarische Stufe soll 2 (für Bürgergymnasien) oder 3 (für gelehrte Gymnasien) Jahre dauern, die darauf folgende dogmatische - auch höhere genannt - 4 (für Bürgergymnasien) oder 5 (für gelehrte Gymnasien) Jahre.

Die elementarische Stufe, die ganz auf Technik und Verstehen gerichtet ist, geht von der Anschauung, dem Sprachgebrauch aus. Sie soll einen ausgewählten und geordneten Wortschatz und elementare syntaktische Formen vermitteln, die der Altersstufe gemäß sind. Die Sprachgesetzlichkeiten sollen durch häufiges Wiederholen gleicher Satzmuster (Mager spricht von syntaktischen Formen) mit verschiedenen Inhalten bewußt gemacht werden, nicht aber auf dogmatische Art, d. h. durch Sprechen über. Am Ende dieser Stufe soll zu einfachen Texten hingeführt werden.

Auf der dogmatischen Stufe werden Grammatik, Onomatik und Literatur zum Hauptgegenstand, daneben wird die Technik, d. h. die Sprachbeherrschung so ausgebildet, daß sie dem geistigen Fortschritt parallel läuft. Für den Lektürekanon, der, mit epischen und historischen Schriften beginnend, über lyrische und rhetorische Werke zur dramatischen und didaktischen Dichtung fortschreitet, hat Mager zwar keine Auswahlprinzipien aufgestellt, doch hat er selbst Chrestomathien verfaßt. Mit Arbeiten zur französischen Literaturgeschichte , einem Lehrbuch und einer Schrift über die Bedeutung der neueren Philologie für die Schule hat er dazu beigetragen, die sachlichen Grundlagen für den Fremdsprachenunterricht zu schaffen.

Die genetische Methode soll den Unterricht einmal vor der Verwissenschaftlichung bewahren, wodurch er zum Selbstzweck entarten und damit seine erzieherische Absicht verfehlen würde. Zum anderen soll sie seine Dienstbarmachung für heteronome Zwecke verhindern, eine Gefahr, der nach seiner Auffassung Herbart nicht entgangen ist:

"Geht man dagegen (wie Herbart) vom Leben aus und läßt nur dessen Gesichtspunkte gelten, gesetzt auch, man stellt sich auf den höchsten Standpunkt, so daß Alles der Sittlichkeit untergeordnet und in ihren Dienst gestellt wird, so entsteht der unwissenschaftliche Unterricht, ...."

Besonders wo der Lehrer kein Fachgelehrter ist, tritt diese Entwicklung leicht ein:

"Lehrer, die nicht Gelehrte sind, verfallen meist einem höchst rohen Dogmatismus, entweder einem sogenannten philosophischen, oder einem sogenannten empirischen, und überhaupt muß jede Wissenschaft, die ausschließlich in solchen Händen liegt, sehr viel Pathologisches zeigen."

b) Die Lehrerbildung ist die zweite Voraussetzung dafür, daß der Sprachunterricht auf die humane Bildung hinwirken kann. Hier sieht Mager den eigentlichen Mangel seiner Zeit, der nicht nur das Bildungsziel, sondern auch das Hauptmittel, nämlich die genetische Methode, in Frage stellt; denn, wie den bisherigen Äußerungen zu entnehmen war, hängt ihr Erfolg von der wissenschaftlichen Durchdringung des Gegenstandes ab. So kommt Mager zu der Forderung:

"Soll den Schülern aus ihrer Beschäftigung mit den neueren Sprachen und Litteraturen echte Bildung erwachsen, ... so muß man das Karthago der vulgären Sprachmeisterei zerstören und dafür sorgen, daß sich allmählig für den Unterricht in neueren Sprachen und Litteraturen und was daran hängt, ein Stand moderner Philologen bilde, wie sich für den classischen Unterricht seit vierzig Jahren allmählig ein Stand classischer Philologen gebildet hat."

Da es bis dahin einen eigenen Stand der Neuphilologen nicht gab, erteilten andere Lehrer diesen Unterricht, und zwar folgende drei Gruppen:

"Bekanntlich besteht die Mehrheit der Lehrer neuerer fremder Sprachen aus Leuten ohne alle gelehrte, oft sogar ohne die gewöhnliche Gymnasialbildung; die pädagogisch-didaktische Unfähigkeit dieser Leute, besonders zum Classenunterricht, ist weltbekannt; in einer zweiten Kategorie finden wir solche Franzosen, Engländer u. s. w., die in ihrem Vaterlande Studien gemacht haben und gebildete Männer sind, denen aber, wenn auch Einzelne ihre Sprache mit großer technischer Gewandtheit handhaben und auch die Litteratur ihrer Nation kennen, doch ein eigentlich philologisch-wissenschaftliches Studium ihrer Sprache und Litteratur fremd ist. Zum Dritten finden sich (besonders seit einigen Jahren an manchen h. Bürgerschulen) Deutsche, die auf dem Gymnasium eine classische Bildung genossen, auf der Universität irgend ein Fach (Mathematik, Naturwissenschaft, Theologie, classische Philologie) studirt, auch - wie es einem gebildeten Manne ziemt - ein paar neuere Sprachen erlernt haben, so daß sie dieselben mehr oder weniger verstehen, schreiben und sprechen, die aber, eben so wenig als die Vorigen, in der Regel diese neueren Sprachen und Litteraturen philologisch-wissenschaftlich erforscht haben."

Diese von Mager gegebene Einteilung deckt sich mit den bisherigen Feststellungen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der neuen Philologien wurde bereits darauf hingewiesen, daß ein wissenschaftliches Studium moderner Sprachen vor 1830 nicht möglich war; auch um 1840 scheinen die Möglichkeiten dafür noch sehr begrenzt zu sein, denn:

"Es gibt einige Universitäten, auf denen deutsche Philologie studirt werden kann; die französische und englische Philologie ist auf den meisten Universitäten gar nicht besetzt (Bonn, Marburg und Tübingen, wo die HH. Diez, Huber und Keller lehren, ausgenommen)."

Dem Werben für die Einrichtung von Lehrstühlen für diese Disziplin läßt Mager den Entwurf eines Studienplanes für die künftigen Lehrer lebender Sprachen folgen. Dieser Plan macht anschaulich, auf welch breite Basis Mager den Unterricht in lebenden Fremdsprachen zu stellen gedenkt, zeigt aber zugleich die Grenzen auf.

Der Student der neuen Philologien soll während seiner Studienzeit deutsche, französische, englische Grammatik, Vulgärlatein als Grundlage der romanischen Sprachen, vergleichende Grammatik der germanischen, romanischen und klassischen Sprachen, sowie Philosophie der Sprache studieren.

Von den Literaturen sind die deutsche, englische, und französische, die literarische Theorie, Hermeneutik, Kritik, Paläographie sowie praktische poetische und prosaische Übungen auf dem Plan.

Die unter der Bezeichnung Leben zusammengefaßten Gegenstände sind:

"1. Allgemeine politische (historische) Geographie, und specielle Geographie von Deutschland, Frankreich und England, seit dem Eintreten dieser Länder in die Geschichte.

2. Allgemeine Statistik, und specielle Statistik von Deutschland, Frankreich und England.

3. Deutsche Volks-, Staats-, Kirchen-, Cultur-, und Sittengeschichte, nebst Mythologie und Rechtsalterthümern.

4. Französische, ebenso.

5. Englische, ebenso.

6. Allgemeine Geschichte des Mittelalters und der neueren Zeit.

7. Staatslehre."

Dazu macht Mager folgende Anmerkung:

"Die ... genannten Gegenstände sind natürlich bei den Professoren der Geschichte und Staatswissenschaften zu hören. Der künftige Lehrer neuerer Sprachen und Litteraturen bedarf der Kenntniß derselben sowohl für dein Fach als für den historischen Unterricht, den er vielleicht später zu geben hat."

Da dem Studium noch ein Aufenthalt in England und Frankreich sowie das Probejahr und das pädagogische Seminar folgen, zeichnet sich folgender Ausbildungsgang der Neuphilologen ab:

"Wir können für die Erwerbung derselben Lehrbefähigung vier Stadien annehmen: das Gymnasium, die Universität und das historisch-philologische Seminar, ein wenigstens einjähriger Aufenthalt in Frankreich und England, und das Probejahr und pädagogische Seminar."

Mit diesem Plan stützt Mager seine Ansicht, daß Unterricht im allgemeinen und Sprachunterricht im besonderen elementarisch, humanistisch, (auch schulmäßig, propädeutisch, educatorisch wird angegeben) zu sein hat, nicht aber wissenschaftlich. Schon der künftige Sprachlehrer durchläuft mehrere Fachdisziplinen und soll sich während des Studiums auch nicht an einer Stelle festsetzen. Er ist demnach mehr polyhistorisch als wissenschaftlich gebildet. eine Identität zwischen Universitätsdisziplin und Schulfach ist damit auch dem Umfang nach nicht gegeben; daß es eine solche in bezug auf die Höhe des Anspruchs ebenfalls nicht geben kann, versteht sich von selbst. Daher wendet sich Mager auch gegen jenen Typ wissenschaftlicher Philologen, welche Fachwissenschaft unverkürzt als Unterricht betreiben:

"Diese Humanisten neuesten Datums, diese gründlichen Philologen, (und eben so die ihnen ähnlichen unpädagogischen Lehrer der Mathematik, Physik, Chemie, Naturgeschichte, Geographie u. s. w.) sind eine währe Pest unseres heutigen Schulwesens dadurch, daß sie die Schulclasse zu einem academischen Auditorium machen und einen Unterricht geben, der eben darum, weil er ein wissenschaftlicher sein will, gar nichts allseitig Bildendes, nicht Educatorisches mehr hat."

Es ist also ein Umsetzen von wissenschaftlicher Erkenntnis in Bildungsgut nötig:

es "wird der wissenschaftliche Verband gelöst, und es werden ... Trennungen und Vereinigungen vorgenommen, für die nicht in der Wissenschaft, sondern in der Natur des jugendlichen Geistes, in der Art der ihm zu gebenden Bildung, in den besonderen Verhältnissen der Schule das Princip zu suchen ist" ausgewählt werden "diejenigen Partien, die

a) zu dem jugendlichen Geiste und Gemüthe ein natürliches Verhältniß haben,

b) als Fundamente zu späteren Studien, wo möglich mehrerer Fächer dienen können,

c) in ihrer Gesammtheit ein Ganzes machen, aus dem ein zum Denken angeführter jun- ger Mann eine achtbare Lebens- und Weltanschauung ableiten kann.

Solche aus dem System einer Wissenschaft herausgehobene, für sich verständliche Partie nennen wir .. Elemente."

Oder wie es an anderer Stelle heißt:

"Schulmäßiger Unterricht ist der Natur der Sache nach fragmentarisch; die Fragmente, die er gibt, sollen aber verbunden werden, und zwar einerseits psychologisch, innerlich; andererseits sachlich, äußerlich."

Finden sich auch in diesen Formulierungen manche Übereinstimmung mit Bildungstheorien der Gegenwart (besonders der dialektisch vermittelnden), so bleibt diese Bestimmung doch rein formal; eine Anwendung auf das Gebiet der neueren Sprachen erfolgt nicht explizit. So gibt Mager z. B. hinsichtlich des französischen Wortschatzes nicht an, was wir als das Elementare oder Fundamentale anzusehen haben; es läßt sich lediglich unterstellen, daß Mager bei der Gestaltung seines Elementarwerks und seiner Lesebücher nach diesem Prinzip verfuhr.

Das von Mager entwickelte Maximalprogramm des Fremdsprachenunterrichts kann man in einem gewissen Sinne als Synthese der bis dahin nachweisbaren Strömungen begreifen. Mit Mager tritt im Verständnis der neusprachlichen Bildung ein grundsätzlicher Wandel ein; dieser besteht im wesentlichen darin, daß das Erlernen moderner Fremdsprachen nicht mehr mit außerpädagogischen Motiven begründet und als Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse verstanden wird, sondern daß die entscheidenden Kriterien für seine Grundlegung der pädagogischen Theorie und der Wissenschaft entnommen werden. Diese erste geschlossene Didaktik der neueren Sprachen ist durch die folgenden Momente gekennzeichnet:

a) Das bildungstheoretische: Der Bildungsbegriff, den Mager seinen Abhandlungen zugrunde legt, ist entstanden in der Auseinandersetzung mit der pädagogischen Theorie seiner Zeit, mit dem Neuhumanismus, mit Pestalozzi und Herbart, sowie dem pädagogischen Realismus. Er verwendet die Bezeichnung Bildung zur Humanität, bezieht diese jedoch nicht auf ein der Gegenwart enthobenes Ideal, sondern auf die lebende Generation in ihrer geschichtlichen Bedingtheit. Von dieser Auffassung her gewinnt der Unterricht in lebenden Fremdsprachen, seine spezifische Aufgabe, die Begegnung mit der neu-europäischen Kultur zu vermitteln.

b) Das wissenschaftstheoretische: Die neue Sprachwissenschaft (vor allem Humboldt, Grimm und Diez) stellt Einsichten in Wesen und Entwicklung von Sprache und Sprachverwandtschaft bereit, die der Unterrichtende zu berücksichtigen hat. Das gleiche gilt entsprechend für Literaturwissenschaft (Literaturgeschichte und literarische Theorie), Geschichte, Staatswissenschaften und alle übrigen Wissenschaften, in deren Bereich die Gegenstände des neusprachlichen Unterrichts fallen. An sie stellt Mager lediglich die Forderung, "Sachgründe in Erkenntnisgründe zu verwandeln", das heißt für ihn nicht mehr als von der Deskription zur (genetischen) Erklärung fortzuschreiten. Er stellt den auf den Unterricht Bezug habenden Wissenschaften nicht die Aufgabe, die Auswahl des Bildungsgutes zu treffen, sondern durch genetische Darstellung des Gegenstands den Erkenntnisvorgang des Zöglings vorzubereiten, gemäß der kantischen Einsicht, daß die Bedingung der Möglichkeit eines Gegenstandes zugleich die Bedingung seiner Erkenntnis ist.

c) Das eigentlich didaktische: Während den Wissenschaften die Klärung des Objektbereichs obliegt, und die Bildungstheorie das Ziel und die allgemeinen Voraussetzungen des Unterrichts aufweist, läßt sich bei Mager noch ein didaktisches Moment im engeren Sinne nachweisen. Als die zwischen Wissenschaft und Erziehung vermittelnde Kategorie nennt er (im Anschluß an Pestalozzi) das Element , eine je nach Gegenstandsbereich, Altersstufe und Schulart variable Größe, deren eingehende Erörterung er jedoch unterläßt. Möglicherweise führte ihn seine Auffassung von einer Art prästabilierter Harmonie zwischen Gegenstandsstruktur und Bewußtseinsstruktur zu der Annahme, daß ein Gegenstandsbereich, sofern wer nur angemessen (genetisch) geordnet ist, sich gewissermaßen von selbst erschließt oder mit der genetischen Methode, welche diese Ordnung nachentwickelt, erschließen läßt. So ließe sich erklären, warum er dieses Problem nur gestreift, nicht aber eingehend erörtert hat.

d) Das methodische: Die Bemühungen Magers um eine geeignete Methode für den Fremdsprachenunterricht entsprangen nicht naiver Methodengläubigkeit, wie sie Ratichius oder Basedow eigen war, sondern standen in inniger Wechselbeziehung zu den übrigen Voraussetzungen, die er für den Sprachunterricht anführte. Das Erlernen der Fremdsprache soll sich am Prozeß der Sprachentwicklung des Kindes orientieren, wobei sich ganz von selbst die richtige Ordnung und Aufeinanderfolge ergibt. Die genetische Methode soll den Zuwachs an Sprachmächtigkeit durch Unterstützung von Anschauung und Begriffsbildung erbringen und so in Einklang stehen mit den erkenntnistheoretisch-psychologischen Voraussetzungen und dem Ziel.

e) Das institutionelle, zugleich soziologische: Für Mager hängen beide Momente eng zusammen, da er einen bestimmten Stand eine bestimmte Bildungsinstitution und damit unterschiedliche Bildungsinteressen zuordnet. Für beide Stände, den Gebildeten und den Gelehrten (für den gemeinen Mann entfallen Fremdsprachen) liegt bei gleichen Grundvoraussetzungen und gleichem Bildungsziel (Humanität) der Schwerpunkt auf verschiedenen Bildungsrichtungen, dem tätigen und den kontemplativen Leben. Bei gleicher Methode ergeben sich daraus für den neusprachlichen Unterricht gewisse Unterschiede in der Stoffauswahl.

f) Das personelle: Welche Bedeutung der Lehrerbildung für den Zusammenhang der neusprachlichen Bildung zufällt, hat Mager im Nachweis der drei Typen des Sprachmeisters, des gebildeten Ausländers und des (fachfremden) Gelehrten gezeigt. Es wurde noch einmal deutlich, wie der Typ des Sprachmeisters mit einem bestimmten Unterrichtsziel, nämlich der Fähigkeit zu einfacher Konversation in der fremden Sprache, in Einklang stand, weitergehenden Ansprüchen jedoch nicht gewachsen war. Die beiden anderen Typen versprachen ebenfalls keine Lösung. Der nach Mager neu zu begründende Stand der Neuphilologen sollte durch ein maximales Ausbildungsprogramm in die Lage versetzt werden, dem maximalen Bildungsprogramm, das Mager für den neusprachlichen Unterricht aufstellte, gerecht zu werden.

g) Das ethische: Mager betont unter Bezug auf Herbart, daß jeder Unterricht erziehend zu sein habe. Er stellt damit auch für den neusprachlichen Unterricht die Forderung auf, daß die zu vermittelnden Gehalte im Einklang mit dem Ethos der eigenen Nation stehen müßten. Die impliziert seine Ablehnung der Fremdtümelei wie auch seinen Verzicht auf den Selbsterhellungsgedanken, das Hervorheben der eigenen Lebensform durch Absetzen von der fremden. Während er sich vom Sprachvergleich bildende Wirkung verspricht, strebt er einen Vergleich der Volkscharaktere nicht an.

Diese für die neusprachliche Didaktik gültigen Einsichten gewann Mager zu einer Zeit, in der wesentliche Bedingungen für ihre Verwirklichung in der Unterrichtspraxis nicht gegeben waren; es fehlten sowohl die Voraussetzungen für die entsprechende Lehrerbildung als auch das Bürgergymnasium in der von Mager geforderten Form, jene Schulform, in der die neusprachliche Bildung ihren hauptsächlichen Ort haben sollte. Im Fehlen dieser Voraussetzungen ist eine der Hauptursachen dafür zu sehen, daß Magers Gedanken zur neusprachlichen Bildung später kaum rezipiert wurden und in Vergessenheit gerieten. Auch wurden seine Werke nicht wieder aufgelegt.

Mager unternahm es nicht, die Notwendigkeit neusprachlichen Unterrichts von einem einzigen Prinzip her zu begründen; sondern ordnete ihm mehrere Aufgaben zu, mit denen er gleichberechtigt neben dem muttersprachlichen und dem altsprachlichen Unterricht stehen sollte, so daß er sich von den beiden letzteren nur durch das Merkmal Vermittlung des Ideenkreises der neueuropäischen Kultur unterschied, d. h. durch den Lebenskreis, auf den er bezogen war, nicht aber in der Methode, die ja für alle drei Arten des Sprachunterrichts die gleiche sein sollte oder in der Grundlegung, die in einer für jeden Unterricht maßgeblichen pädagogischen Theorie bestand. Damit steht Mager am Ende der Periode, in der das Verständnis der neusprachlichen Bildung aus einer einheitlichen Bildungstheorie abgeleitet wurde. In der Folgezeit ging die Begründung dieses Verständnisses in die Kompetenz von Fachleuten über, nachdem sich die neueren Philologien zu eigenständigen Wissenschaften ausgebildet hatten.

9. Zusammenfassung

Der erste Teil der vorliegenden Arbeit war von der Absicht getragen, die Voraussetzungen und Bezüge aufzuzeigen, welche das Erlernen lebender Fremdsprachen in der Anfangsperiode bestimmten, um so Aufschluß über einen möglichen Bildungssinn zu erhalten. Der intereuropäische Verkehr der Oberschicht hatte sich dabei als das vorherrschende Motiv für die Verbreitung des neusprachlichen Unterrichts und seiner Aufnahme in einzelne Institutionen der Erziehung erwiesen. Zugleich bestimmte dieses Motiv weitgehend Umfang und Verständnis dieses neuen Bildungsfaktors.

Die Fragestellung des zweiten Teils suchte demgegenüber den Wandel zu erfassen, dem das Verständnis der neusprachlichen Bildung von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unterworfen war. Als bestimmende Momente dieses Wandels stellten sich dabei heraus:

a) Der Funktionszuwachs, den der pädagogische Gedanke der Weltläufigkeit durch das zunehmende Interesse bürgerlicher Schichten an einer Erweiterung des Erfahrungs- und Handlungsbereichs über den Rahmen der eigenen Nation hinaus erfuhr, und die Aufnahme dieses Gedankens in die Bildungskonzeption des pädagogischen Realismus.

b) Das Entstehen eines humanistischen Verständnisses der neusprachlichen Bildung.

c) Die Aufnahme der lebenden Fremdsprachen in die öffentlichen Schulen.

d) Die Ablösung des Sprachmeisters durch den Philologen.

Ferner ist dieser Zeitabschnitt dadurch gekennzeichnet, daß die eigentliche didaktische Besinnung zu Fragen des neusprachlichen Unterrichts einsetzt. Das Problem der neusprachlichen Bildung wird im Zusammenhang verschiedener Theorien der Erziehung und des Unterrichts erörtert. Erkennbar ist dies nicht zuletzt daran, daß nunmehr auch Stellungnahmen von Schulmännern und Erziehungstheoretikern vorliegen.

Die genannten Momente sollen im folgenden einzeln erörtert werden.

a) Die realistischen Auffassungen, die sich im angegebenen Zeitraum nachweisen lassen, stehen in der Tradition jener Begründungen, welche die Weltläufigkeit des Zöglings als Ziel des neusprachlichen Unterrichts hervorhoben. Von diesem Standpunkt aus wurde das Erlernen lebender Fremdsprachen im Jugendalter in erster Linie als Mittel zur Erweiterung des künftigen Erfahrungs- und Handlungsbereichs gesehen. Diese Grundauffassung wurde weder von der allmählichen Verlagerung der Blickrichtung von Frankreich nach England noch vom Wechsel der Bezugsschicht (Adel-Bürgertum) berührt. Auch dadurch, daß die Bereiche der fremden Lebenswirklichkeit, denen das überwiegende Interesse galt, mit den im ersten Teil aufgeführten nicht mehr identisch waren , wurde dieser Aspekt nicht prinzipiell in Frage gestellt.

Zur Bestimmung des realistischen Verständnisses der neusprachlichen Bildung gehört ferner, daß hinsichtlich der Bildungsinhalte Vielseitigkeit erstrebt wurde: Die schöne Literatur stand mit den anderen zu vermittelnden Bereichen der fremden Lebenswirklichkeit (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Geschichte, geselliges Leben) auf einer Stufe und wurde nicht als einziges Bildungsgut des neusprachlichen Unterrichts betrachtet. Unausgesprochen lag damit den realistischen Auffassungen der neusprachlichen Bildung ein erweiterter, nicht allein auf das höhere geistige Leben beschränkter Kulturbegriff zugrunde, der im enzyklopädischen Denken der Aufklärung seine Stütze fand.

Eine Affinität des realistischen Verständnisses vom neusprachlichen Unterricht zur Theorie der materialen Bildung liegt nur insofern vor, als beide von der Frage nach den Bildungsinhalten bestimmt sind. Es war jedoch nicht ausschließlich der Gedanke des Völkerverkehrs, der die Inhalte des fremdsprachlichen Unterrichts in den Mittelpunkt rückte. Am Beispiel Herbarts und der Herbartianer wird sichtbar, daß auch unter dem Gesichtspunkt der Gesinnungsbildung das materiale Prinzip seine Berechtigung haben konnte . Neben den Herbartianern, die im ganzen den neusprachlichen Unterricht unter dem Gesichtspunkt der materialen Bildung betrachten, waren es aber auch Vertreter humanistischer Auffassungen, die im Erlernen lebender Fremdsprachen eine Möglichkeit sahen, den Kreis an Beispielen tugendhafter Gesinnung über den nationalen Rahmen hinaus zu erweitern. Da somit das materiale Prinzip sowohl zur Begründung des realistischen wie auch des humanistischen Verständnisses der neusprachlichen Bildung dienen konnte, läßt sich eine Identität von realistischen und materialen Bildungszielen auf der einen, sowie humanistischen und formalen auf der anderen Seite nicht feststellen.

Das realistische Verständnis der neusprachlichen Bildung würde jedoch nicht angemessen gewürdigt, wenn es allein auf jene pragmatische Funktion der Erweiterung des künftigen Erfahrungs- und Handlungsbereichs eingeengt werden sollte, ohne daß die Frage nach den dabei vermittelten Werthaltungen gestellt würde. Bei Schleiermacher, der als Anwalt des realistischen Gesichtspunktes der neusprachlichen Bildung gelten kann, wurde in besonderer Weise deutlich, daß der Gedanke der Weltläufigkeit eine spezifische Werthaltung impliziert. Schleiermacher bezeichnete diese durch den Verkehr mit fremden Nationen sich herausbildende Gesinnung als Kosmopolitismus. Dieser bildete bei ihm den Gegenpol zum Patriotismus und zum Nationalismus. Bei anderen Fürsprechern des realistischen Prinzips, z. B. bei Niemeyer, fanden sich ähnliche Erwartungen, wenn sie auch nicht in gleicher Weise deutlich wurden. Im Gegensatz zu den Auffassungen (etwa der Herbartianer), welche durch neusprachliche Bildung lediglich eine Erweiterung des Angebots verschiedener Werthaltungen erreichen wollten, erwies sich der Kosmopolitismus als eine Gesinnung, die im Völkerverkehr selbst in spezifischer Weise zu entwickeln ist. Der neusprachliche Unterricht im realistischen Verständnis kann daher zu ihrer Ausbildung in entscheidender Weise beitragen.

Es ließ sich ferner nachweisen, daß das realistische Verständnis der neusprachlichen Bildung nicht notwendig mit einer bestimmten (etwa der imitativen) Methode der Spracherlernung verbunden war. Zwar war in diesem Prinzip die Forderung nach Geläufigkeit enthalten, der die Sprachmeistermethode zu entsprechen vermochte, doch hatte sich herausgestellt, daß auch Herder als Repräsentant des humanistischen Verständnisses keine andere Methode erwähnte.

b) Das humanistische Verständnis der neusprachlichen Bildung, das in Herders Anschauungen am deutlichsten zum Ausdruck kam, unterschied sich vom realistischen zunächst in der Betrachtung des Verhältnisses zur fremden Nation. Dieses Verhältnis läßt sich als instrumental bezeichnen, da die Begegnung mit der fremden Nation und ihren Werken nicht als letztes Ziel angesehen wurde, sondern als Durchgangsstufe, welche sowohl zur Veranschaulichung des Menschlichen überhaupt, als auch zur Erhellung der eigenen Stellung in der Welt führen sollte. Damit ging die Tendenz einher, das Unterscheidende hervorzuheben, Gemeinsamkeiten jedoch zu vernachlässigen, um die Fülle und Mannigfaltigkeit der menschlichen Gattung, aber auch den Eigenwert des Nationalen zu erfahren. Der fremde Nationalcharakter als das Integral der zu unterscheidenden Merkmale, nicht das bloß Faktische der fremden Lebensäußerungen, sollte erschlossen werden. Die Auswahl der Kulturgüter darnach, wie weit in ihnen dieser Nationalcharakter sichtbar wird, erschien so geboten. In diesem instrumentalen Bezug zum Fremden liegt aber zugleich auch eine Gefährdung der Humanitätsidee selbst, insofern als aus ihm die Neigung entstehen kann, die fremde Lebenswirklichkeit zu manipulieren, sie der eigenen Sicht zu unterwerfen und das Verhältnis zu ihr abstrakt und kontemplativ zu gestalten.

Die zweite Grundposition, in der sich das humanistische vom realistischen Verständnis unterschied, ist der Sprachbegriff. Hierbei war kennzeichnend, daß im humanistischen Verständnis die fremde Sprache nicht als Verständigungsmittel, sondern als Begriffsschatz der Nation (Herder) und als bildendes Organ des Gedankens (Humboldt) auftrat. Diesem Sprachbegriff zufolge mußte der Sprache als solcher ein weit größerer Wert beigemessen werden als nach dem des Realismus, da sich in ihr der Nationalcharakter fassen läßt. Zugleich wird hieraus auch die erhöhte Bedeutung verständlich, welche für das humanistische Verständnis der neusprachlichen Bildung die Sprachkunst als die höchste Stufe sprachlichen Ausdrucks erhielt.

Dem unterschiedlichen Verhältnis zur fremden Nation und dem neuen Sprachbegriff entsprechend verband das humanistische Verständnis einen anderen Bildungssinn mit dem Erlernen lebender Fremdsprachen. Dieser war gegeben in der Erweiterung des Ideenkreises durch Hinzugewinnung einer neuen Weltansicht. Damit sollte das Individuum befähigt werden, einen weiteren Teil der Welt in das Eigentum des Geistes zu verwandeln . Zum anderen sollte die Begegnung mit der fremden Sprache und dem fremden Lebenszusammenhang eine auf die Totalität der menschlichen Gemeinschaft gerichtete Werthaltung (Humanität) wecken. Diese stand somit dem Kosmopolitismus gegenüber, den Schleiermacher definierte als die "auf einen konkreten Verband miteinander in Verkehr stehender Nationen" bezogene Werthaltung.

Hinsichtlich der Methode war nicht festzustellen, daß sich mit dem humanistischen Verständnis eine bestimmte Art der Spracherlernung verband. Die Herdersche Forderung nach philosophischer Grammatik bezog sich auf eine besondere Art der Sprachbetrachtung, die der Ideenbildung dienen sollte.

c) An früherer Stelle wurden bereits diejenigen Anstalten genannt, in welche die neueren Sprachen im 18. Jahrhundert Eingang gefunden hatten. Es handelte sich dabei um Schulen, die eine Sonderstellung einnahmen, da sie entweder vom Geiste einzelner Persönlichkeiten oder aber bestimmter Gruppen und Richtungen in hervorragender Weise getragen waren.

In der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde jedoch das Französische als verbindliches Unterrichtsfach in den Lehrplan der öffentlichen Gymnasien aufgenommen, nachdem es dort schon längere Zeit gelegentlich in Privatlektionen erteilt worden war . Diese Aufnahme gewinnt für die weitere Entwicklung des Verständnisses der neusprachlichen Bildung insofern Bedeutung, als in ihr eine der Hauptursachen für die Anwendung des formalbildenden Aspekts auch auf die lebenden Fremdsprachen gesehen werden muß.

Es wurde ferner bereits dargestellt, wie die Bildungsauffassung des Neuhumanismus allmählich in Theorien formaler Bildung übergegangen war, die den Kern des gymnasialen Selbstverständnisses bildeten. Das Französische wurde jedoch ausdrücklich gegen dieses Selbstverständnis als verbindliches Gymnasialfach eingeführt, wie aus der preußischen Verordnung vom 24.10.1837 hervorgeht , so daß dieses Fach unter den anderen Unterrichtsgegenständen als eine Art Fremdkörper angesehen wurde, und zwar weil diese Sprache

"ihre Erhebung zu einem Gegenstande des öffentlichen Unterrichts nicht sowohl ihrer inneren Vortrefflichkeit und der bildenden Kraft ihres Baus, als der Rücksicht auf ihre Nützlichkeit für das weitere praktische Leben verdankt." .

Diese offizielle Auffassung macht verständlich, daß die Anhänger des Französischunterrichts versuchten, die Gymnasialfähigkeit der französischen Sprache zu erweisen, indem sie auf deren formalbildende Kraft hinwiesen. Der Gesichtspunkt der formalen Bildung unterschied sich hinsichtlich der lebenden Sprachen vom realistischen und vom humanistischen in folgender Weise: Während der realistische Aspekt der Weltläufigkeit sich im Bereich der neusprachlichen Bildung selbst entwickelt hatte, und während auch der humanistische Aspekt in der dargestellten Weise einen inneren Bezug zur fremdsprachlichen Bildung besaß, war der formalbildende Gesichtspunkt ein von außen an den neusprachlichen Unterricht herangetragenes Prinzip, das sich durch Neutralität gegenüber den Bildungsgehalten auszeichnete, und das daher deren inneren Bildungssinn nicht aufzuschließen vermochte. Die lebenden Fremdsprachen hatten unter diesem Gesichtspunkt die gleiche Aufgabe zu erfüllen, wie alle übrigen Unterrichtsgegenstände: auch ihnen wurde die Wirkung zugeschrieben, Mittel zur Übung von Gedächtnis, Willen, Konzentrationsfähigkeit und Denkvermögen zu sein; auch an ihnen sollten die Tugenden der Gründlichkeit, des Scharfsinns und der Ausdauer entwickelt werden. Die einzige Variante, die innerhalb dieser Vorstellungen auftauchte, war die Frage, ob diese Wirkungen von der Beschaffenheit der fremden Sprache selbst ausgehen, oder ob sie erst durch deren Vergleich mit der Muttersprache entfaltet werden sollten.

Mit der formalen Bildung tritt im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit zum ersten Male ein didaktisches Prinzip auf den Plan, das den immanenten Bildungssinn der lebenden Fremdsprachen vernachlässigt zugunsten heteronomer Ziele. Es handelt sich dabei um ein Problem, das besonders dadurch auftrat, daß bei verändertem Bildungsziel ein bereits vorhandener Kanon beibehalten werden sollte.

Die Auseinandersetzung um die Realschule, welche in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu deren festen Verankerung im Bildungswesen im Jahre 1859 geführt wurde, war, wie Schmeding ausführlich belegt, zugleich eine Auseinandersetzung um die lebenden Fremdsprachen. Als für das Französische und das Englische, die beiden Pflichtfremdsprachen für die Realschulen 1. Ordnung, die Prüfungsordnung in Preußen festgelegt wurde , griff man zur Begründung allein auf den realistischen Gesichtspunkt zurück:

"Das Französische und Englische sind für die Realschule nicht nur als moderne Verkehrssprachen wichtig, sondern auch deshalb, weil beide Sprachen im Gebiete der Realwissenschaften eine reiche Literatur besitzen, deren Verständnis auf der Schule vorbereitet werden muß. Außerdem kommt auch der für die betreffenden Berufsarten in vielen Fällen wichtige und durch die jetzigen Communicationsmittel erleichterte Besuch Englands und Frankreichs in Betracht."

Damit hatte sich das realistische Verständnis der neusprachlichen Bildung auch offiziell durchgesetzt; der humanistischen Begründung war die gleiche Anerkennung versagt geblieben.

d) Die Ablösung des Sprachmeisters durch den Philologen

Die bereits im ersten Teil zitierten Urteile über den Sprachmeister wurden im ganzen auch von den im zweiten Teil erwähnten Autoren bestätigt. eine systematische Erörterung fand sich jedoch erst bei Mager, der die Lehrer fremder Sprachen in drei Gruppen einteilte, den ausländischen Sprachmeister ohne Bildung, den gebildeten Ausländer und den wissenschaftlich gebildeten deutschen Lehrer, der jedoch andere Disziplinen als neue Sprachen studiert haben mußte, da um 1840 die neueren Philologien noch kaum an den Universitäten vertreten waren. Hinzu kommt, daß das neuphilologische Studium in Preußen erst 1870 als volle Befähigung zum Höheren Lehramt anerkannt wurde.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ließ sich ein Ablösungsprozeß feststellen, in dessen Verlauf der neusprachliche (vor allem der französische) Unterricht in immer größerem Umfang von Philologen erteilt wurde. Da hiervon die Unterrichtswirklichkeit wesentlich beeinflußt wurde, liegt es nahe, diese Erscheinung aufzugreifen, um durch die Gegenüberstellung der beiden Lehrertypen, des (ausländischen) Sprachmeisters und des (deutschen) Philologen, Rückschlüsse auf das Bildungsverständnis zu ziehen. Beide Gestalten sollen idealtypisch dargestellt werden, damit die drei für den Unterschied wesentlichen Faktoren klarer hervortreten: die Stellung zum fremden Land, zur fremden Sprache und zur einheimischen Bildungstradition.

Der Sprachmeister als Angehöriger der fremden Sprachnation repräsentierte bestimmte Verhaltens- und Denkweisen des fremden Landes und sprach - wenn auch unbewußt - aus dem Selbstverständnis des fremden Volkes, unabhängig davon, mit welchem Grad an gedanklicher Durchdringung dies geschah, und welche Bereiche der Lebenswirklichkeit seines Landes er in besonderer Weise darzustellen vermochte. Da er jedoch nicht in einem inneren Verhältnis zur deutschen Bildungstradition stand, nahm er innerhalb des Kollegiums eine gewisse Außenseiterstellung ein, was wiederum dem neusprachlichen Unterricht eine Sonderstellung unter den anderen Fächern gab.

Der Philologe hingegen kannte das fremde Land und die Traditionen seiner Bewohner in der Regel nicht aus eigener Anschauung, sondern hatte seine Kenntnisse aus zweiter Hand empfangen. Daher mußte für ihn die fremde Literatur als die Hauptquelle seiner Erkenntnis besonders wichtig sein, sofern er sich nicht überhaupt auf das Lehrbuch zurückzog. Durch seine Distanz zur fremden Lebenswirklichkeit konnte er den Sinn des Schülers für das spezifisch andere nicht mehr im direkten Umgang entwickeln, sondern mußte sich dazu, soweit dies überhaupt möglich war, der rationalen Vermittlung bedienen. Nichtrationalisierbare Elemente, z. B. Gesten und Denkstil, mußten notwendig unbeachtet bleiben.

Auch im Verhältnis zur Fremdsprache ergab sich ein grundlegender Unterschied. Der Sprachmeister beherrschte die Fremdsprache als Muttersprache, mochte er ihrer auch in verschiedener Weise mächtig sein. Er vermittelte diese weitgehend an Inhalten der Alltagserfahrung, jenen Bereichen also, die für die künftige Begegnung mit Angehörigen der fremden Sprachnation besonders wichtig waren. Die Imitation schien das am besten geeignete Mittel, eine möglichst große Geläufigkeit der Sprachbeherrschung zu erreichen. Der Philologe befand sich demgegenüber im Verhältnis zur fremden Sprache prinzipiell auf der gleichen Stufe wie der Schüler. Da es ihm der Sicherheit des Umgangs mit der Fremdsprache ermangelte, mußte für ihn die in Regeln gefaßte Sprachnorm wichtig werden, desgleichen die Hochsprache in ihrer literarischen Form, da ihm hier breiteres Material zur Verfügung stand. Da aber das Verhältnis des Sprachmeisters zur Fremdsprache weitgehend unreflektiert blieb, trat nicht die Sprache selbst, sondern das Ausgesagte in den Vordergrund. Der Philologe jedoch, der mit der fremden Sprache selbst ringen mußte, wandte dieser größere Aufmerksamkeit zu, als den durch sie vermittelten Inhalten .

Während der Sprachmeister zu dem (neuhumanistischen) Bildungsideal, das einer ihm fernliegenden Tradition angehörte, keinen eigentlichen Bezug fand, war der Philologe schon von seinem Hauptstudium her (überwiegend waren dies die alten Sprachen) auf dieses Ziel hin ausgerichtet. Es lag nahe, daß er den Unterricht in lebenden Sprachen dem gleichen Verfahren und den gleichen Zielen unterstellte, die ihm von seinem eigenen Fach her geläufig waren. Das Prinzip der formalen Bildung konnte für ihn schon deshalb in den Vordergrund treten, weil ihm die Voraussetzungen fehlten, um das auf Verkehr gerichtete realistische oder das auf innige Bekanntschaft mit dem fremden Volk gegründete humanistische Verständnis der neusprachlichen Bildung zu erfüllen.

Aus dieser Lage heraus erhoben sich Stimmen, die darauf drängten, einen eigenen Stand von Neuphilologen zu schaffen, der die positiven Merkmale beider Typen vereinigen sollte: ein enges Verhältnis zur fremden Sprache und zum fremden Land sowie philologische Gelehrsamkeit. Der Neuphilologe ihres Wunsches sollte über historische, literarische und grammatische Kenntnis verfügen, er sollte dem fremden Land verbunden sein und seine Sprache beherrschen, aber gleichzeitig in jener Distanz zum fremden Lebensbereich stehen, deren er bedurfte, um die bildenden Kräfte zu entbinden, die in der Spannung zwischen beiden Lebenskreisen enthalten sind. Außerdem erhoffte man von ihm, daß er für das Unterrichtsfach neue Sprachen größere Selbständigkeit in Methode und Ziel erreichen konnte.

IV. Das Verständnis der neusprachlichen Bildung seit ihrer Institutionalisierung in öffentlichen Schulen

1. Die neusprachliche Reformbewegung

Der Beginn der neusprachlichen Reformbewegung wird allgemein mit dem Erscheinen der Viëtorschen Streitschrift Der Sprachunterricht muß umkehren! angesetzt . hierzu ist anzumerken, daß diese Schrift keineswegs den ersten schriftlichen Hinweis auf eine neue Methode des neusprachlichen Unterrichts darstellt, da das Wissen um zumindest zwei Unterrichtsverfahren auch während jener Zeit nicht verlorengegangen war, als das grammatikalische Lehrverfahren an den öffentlichen Gymnasien und Realschulen fast ausschließlich angewandt wurde. Als Beispiel für die Kenntnis imitativer, direkter Lehrverfahren, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eng mit den Namen Jacotot und Hamilton verbunden waren, ist die 1859 erschienene neuphilologische Enzyklopädie von Schmitz zu nennen, wo es heißt:

"Doch lassen sich nach der Art und Weise, die Theorie und Praxis auseinandergehen oder zusammenfallen können, sowohl historisch nachweisen, als auch gegenwärtig noch immer als möglich und üblich annehmen - folgende drei Arten von Methoden des Sprachen-Lehrens und -Lernens: 1) Die (wenigstens zunächst nur) einseitig practische Methode ... 2) Die (wenigstens zunächst nur) einseitig theoretische Methode 3) ... Die von vorne herein theoretisch-practische Methode in mancherlei Formen."

Auch in F. W. Dörpfelds Theorie des Lehrplans findet sich bereits die Forderung, daß im Sprachunterricht nicht bloß das Lesen und Schreiben geübt werden müsse, sondern auch das Sprechen:

"Soll eine fremde Sprache - gleichviel ob es eine alte oder neue ist - obligatorisch sein, also um der Bildung willen gelehrt werden, so muß es geschehen, daß der volle Bildungsgewinn erzielt wird, und dazu gehört, daß sie auch in Ohr und Mund gebracht werde. Wohlverstanden: nicht um irgendwelcher Nützlichkeitszwecke (Konversation usw.) willen wird die mündliche Übung gefordert, ... sondern lediglich um des darin liegenden Bildungsgewinnes willen."

Kann so von der Neu- oder Wiederentdeckung eines bestimmten Lehrverfahrens nicht die Rede sein, so stellt doch das z. t. leidenschaftliche Bemühen um seine Anwendung ein neues Phänomen dar. Der Kern der neuen methodischen Bestrebungen ist in en Erwartungen zu sehen, welche mit der geforderten Methode verbunden waren, die auf veränderte didaktische und wissenschaftliche Grundauffassungen zurückzuführen sind.

Damit der Umfang und die ziele der neusprachlichen Reform klarer hervortreten, sei zunächst das Unterrichtsverfahren beschrieben, gegen das sie gerichtet war, und das sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hatte, so daß es in Preußen in der Allgemeinen Lehrordnung von 1867 auch öffentlich sanktioniert wurde.

Dieses als synthetische oder grammatische Methode (auch als exakte, reflektierende, konstruktive oder Übersetzungs-Methode) bezeichnete Verfahren des neusprachlichen Unterrichts beruhte auf einer ebenso weit zurückreichenden Tradition wie die Sprachmeistermethode, hatte sich aber durch die Ablösung des Sprachmeisters durch den Philologen (s. S. 141 ff.) an den deutschen Gymnasien und Realschulen seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts allein durchgesetzt.

Das Vorbild des altsprachlichen Unterrichts hatte diese Tendenz verstärkt , und die Theorien formaler Bildung hatten ihm seine Dignität verliehen.

Ausgangspunkt dieser Sprachlehrmethode war die Grammatik, d. h. ein System von Regeln des Sprachgebrauchs, das nach dem Muster der lateinischen Grammatik und mit deren Terminologie gegliedert bzw. ihr angepaßt war. Aus dem Zusammenhang dieser Regeln leitete sich das grammatische Pensum her, das es im Laufe der Schulzeit zu bewältigen galt, und das im Lehrbuch die Gliederung der Lektionen bestimmte. Das zur Anwendung der Regeln benötigte Wortmaterial, die Vokabeln, wurde isoliert dazu angeboten; in der Übersetzung in die Fremdsprache wurde beides - Regel und Vokabel - verbunden und so die fremdsprachliche Aussage konstruiert. Der Zwang, bestimmte Regeln zu üben, hatte eine Vernachlässigung der Inhalte der Aussagen zur Folge. am Beispiel zweier für das 19. Jahrhundert bestimmender Lehrbücher sei diese Lehrweise erläutert:

Die Praktische französische Grammatik von Joh. Valentin Meidinger, die in der zeit von 1783 bis 1857 insgesamt 37 Auflagen erlebte , ordnet sich nach folgendem Prinzip: Der erste Teil ist in Abschnitte gegliedert, in denen jeweils eine Regel des Sprachgebrauchs vorausgeschickt wird, die dann in Aufgabengruppen (Übersetzungen aus dem Deutschen ins Französische) anzuwenden ist. Der dazu erforderliche Wortschatz schließt sich an diese Übersetzungsaufgaben an. Wie wenig Berücksichtigung dabei der inhaltliche Zusammenhang der Übungssätze findet, illustriert die folgende Aufgabe, in der es au Übung der benannten unpersönlichen Zeitwörter ankommt:

"Es schneiet heute, es schneiete gestern, und allem Vermuthen nach wird es auch morgen schneien. - Es mag schneien, und ich wollte, daß es noch mehr schneiete, und daß es fröre; denn ich befinde mich immer sehr wohl, wann (quand) es recht kalt ist. - Und ich befinde mich recht wohl, wenn es weder kalt noch warm ist. - Es ist heute gar nicht windig; wir wollen nach Hause gehen. - Es ist noch zu früh, und ich gehe noch nicht nach Hause -."

Mit Recht bemängelt daher einer der späteren Kritiker an diesem Lehrverfahren,

"daß in allen nach der herkömmlichen Methode bearbeiteten Lehrbüchern dem Schüler fast nur bunt zusammengewürfelte Sätze geboten werden, die ausschließlich nach einem grammatischen Prinzip aneinander gereiht sind, von denen aber logisch keiner mit dem vorhergehenden zusammenhängt. Der Blick auf ein beliebiges Übungsstück der bisherigen Lehrbücher zeigt eine bunte Musterkarte der heterogensten Wissensstoffe, ein geradezu kaleidoskopisches Bild. Da ist in einem Atemzuge die Rede von der Wahrheitsliebe des Vaters, dem verlorenen Fingerhute der Mutter, den schönen Armeen und Häfen des Königs, dem Verkauf des Getreides und der Schränke ... etc."

Dem in der beschriebenen Weise aufgebauten ersten Teil des Lehrbuches folgt eines Sammlung von Redensarten und Briefmustern. Daran schließt sich eine Auswahl des französischen Wortschatzes an,, der nach Sachgruppen gegliedert ist; es folgen eine französische Synonymik, eine Gesprächssammlung (zweisprachig) sowie Auserlesene Histörchen (französisch) mit anschließendem Wörterverzeichnis. Den Abschluß des 684 Seiten umfassenden Buches bildet eine Sammlung der Anredeformen im Deutschen und Französischen.

Schon die dem eigentlichen Lehrbuch folgenden Abschnitte zeigen, daß die praktische Sprachbeherrschung als Hauptziel angesehen wurde. Die dem Vorwort entnommenen Sätze des Autors bestätigen dieses Ziel:

"Hat jemand diese Grammatik ganz durchgegangen, so hat er den ganzen Syntax fest ein, weil er ihn gleich ausüben lernte. Es fehlt ihm alsdann weiter nichts als ein gutes Dictionnaire, Lectüre, und Umgang mit Leuten, die rein Französisch sprechen." Und: "Mithin wird diejenige Person, die nur ein wenig gesunden Menschenverstand hat, und sich die Regeln und Wörter vorher recht einprägt, diese Aufgaben mit geringer Mühe mündlich und schriftlich übersetzen können, und dadurch in kurzer Zeit in den Stand gesetzt werden, rein Französisch zu sprechen und zu schreiben; welches, wann man es blos durch den Umgang, oder durch's Lesen Französischer Bücher erlernen will, sehr viele Zeit erfordert."

Meidinger betont, daß es darauf ankomme, die Regeln praktisch anwenden zu lehren, und daß sich aus dem Beherrschen der Regel nicht schon selbst das richtige Sprechenkönnen ergibt.

Hier liegt einer der wesentlichen Unterschiede zu dem zweiten zu betrachtenden Lehrbuch der französischen Sprache, das häufig mit Meidinger von den Reformen in einem Zusammenhang genannt wird, dem Lehrbuch von Ploetz. Rein äußerlich unterscheidet sich dieses Lehrbuch von dem Meidingers dadurch, daß in den frühen Auflagen Grammatik und eigentliches Lehrbuch getrennt sind und nicht Regel und Anwendung in einem Abschnitt vereinigen. Wie bei Meidinger handelt es sich ausschließlich um Übersetzungsübungen, wobei den Übersetzungen vom Französischen ins Deutsche mehr Platz eingeräumt wird als bei Meidinger. Bei den Übersetzungen vom Deutschen ins Französische bemüht sich der Verfasser, die Übungssätze in einen gewissen Zusammenhang zu bringen. Deutlich ist sein Bestreben, in diesen Übersetzungsübungen zugleich Geschichtskenntnisse zu vermitteln, oder an bekannte historische Tatsachen sich anzuschließen. Erkennbar ist auch bei Ploetz der Versuch, seine Grammatik au eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen, d. h., auf den Stand der Neuphilologie seiner zeit bezogen, ist er hauptsächlich sprachgeschichtlich orientiert. Die Ploetzsche Grammatik ist wesentlich ausführlicher als die Meidingers, und ihre Beispielsätze sind aus der französischen Literatur seit dem 17. Jahrhundert entnommen.

Da die von Ploetz verfaßten Lehrbücher des Französischen seit der Jahrhundertmitte unter allen Lehrbüchern am weitesten verbreitet waren, sahen die Vertreter der neusprachlichen Reform in ihnen die Quintessenz der synthetischen Sprachlehrmethode. So schreibt Linz:

"Als den Hauptrepräsentanten des überlieferten Lehrverfahrens haben wir, wenn wir von älteren Vertretern der konstruktiven Methode ... absehen, Dr. K. Plötz zu betrachten, der durch seine vielen theoretisch-praktischen Werke bis in die neueste Zeit einen entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung des französischen Unterrichts ausgeübt hat, und dessen Lehrbücher mehrere Dezennien die unbestrittene Herrschaft an unseren höheren Schulen behauptet haben."

Ploetz selbst hat sich dagegen gewehrt, als Gegner der Sprechfertigkeit zu gelten, indem er darauf hinwies, daß er von den Vertretern der formalen Bildung mit dem Vorwurf belegt worden sei, zum Parlieren hinzuführen. Steuerwald sieht rückschauend den Mangel nicht so sehr in den Ploetzschen Lehrbüchern, sondern in den mangelnden Kenntnissen und dem fehlenden pädagogischen Talent der Lehrer.

Wie sich aus der Sicht der Reformer die synthetische Methode darstellt, sofern ihr gegenüber überhaupt Verständnis vorhanden ist, soll am Beispiel Wilhelm Münchs gezeigt werden, der in dem bereits zitierten Aufsatz schreibt:

"Zum Ausgangspunkt ward also durchaus gemacht die Regel, planmäßige Nötigung zu ihrer Anwendung war die Seele des Unterrichts, der Wortschatz sollte durch planmäßig kontinuierliches Lesen isolierten Vokabelmaterials gewonnen werden, und durch Aneignen eines Vorrats von in ähnlicher Weise isolierten Phrasen sollte die Möglichkeit echtgefärbten Ausdrucks in der fremden Sprache erzielt werden. Die Übungen, ganz vorwiegend schriftlich, beschränkten sich bis an die Schwelle der obersten Stufe auf Übertragungen in die fremde Sprache, und zwar unter grammatischen Gesichtspunkt, worauf dann schließlich der Aufsatz zu folgen hatte, für dessen Komposition die des lateinischen Aufsatzes durchaus vorbildlich wurde. Auch die Fähigkeit mündlichen Ausdrucks in der Sprache sollte zuletzt mit herauswachsen, und als Ziel war dabei das Halten eines kleinen Vortrags aus dem Stegreif bezeichnet (was freilich ein ganz schönes Ziel ist, aber nicht angestrebt werden kann, ohne daß die Vorstufen dazu wirklich absolviert sind). Die immerhin vornehme Rolle der Lektüre an Gymnasien wird nicht einmal hierher übertragen. In Beziehung auf das Was der Lektüre fehlte es an guter Regelung, weil dieser Punkt nicht hoch genug geschätzt wurde, weil praktische Gesichtspunkte mit Idealen sich kreuzten, und weil die Schätzung der Schwierigkeit noch auf unzulänglicher Tradition ruhte. Mit dem Wie der Behandlung stand es kaum besser; außerordentlich ungleiche Quantitäten wurden bewältigt, die kommentierten Ausgaben zeugten durchweg von sehr wenig Tiefe und wenig pädagogischer Bewußtheit, und auf die Übertragung ins Deutsche ward wohl auch kaum größere Sorgfalt verwandt, als es den alten Schriftstellern gegenüber zu geschehen pflegte ...."

Mit diesem Urteil Münchs ist bereits das Ziel der Reformer angedeutet. Von den zahlreichen Äußerungen, die in der Auseinandersetzung um die neusprachliche Reformbewegung gemacht worden sind , soll zur Erläuterung ihrer Ziele ein Dokument vorausgeschickt sein, das in hohem Maße Anspruch auf Repräsentanz erheben kann. Es sind dies die Wiener Thesen, so genannt nach dem Tagungsort des 8. deutschen Neuphilologentages 1898, auf dem Gustav Wendt die Ziele der Reform in der Weise zusammengefaßt hat, wie diese dann vor der großen Mehrheit der Mitglieder zwei Jahre später in Leipzig mit gewissen Änderungen angenommen worden sind. Die 12 Thesen lauten in der ursprünglichen Fassung von 1898:

"1) Die Beherrschung der fremden Sprache ist das oberste Ziel des Unterrichts; den Unterrichtsstoff bildet das fremde Volkstum. Die fremde Sprache ist das naturgemäße Mittel, um in dessen Erkenntnis einzudringen.

2) Die Unterrichtssprache ist französisch oder englisch.

3) Die fremde Sprache wird nicht getrieben, um daran die Muttersprache zu lernen.

4) Das Übersetzen in die Muttersprache beschränkt sich auf die Fälle, wo formelle Schwierigkeiten dazu zwingen.

5) Das Übersetzen in die Fremdsprache ist nur gelegentlich zu üben.

6) An die Stelle der Grammatik wird - im Anschluß an die Lektüre - die stilistisch-idiomatische Seite der fremden Sprache betont und für die Synonymik das Verständnis geweckt.

7) Die Klassenlektüre - im Mittelpunkt des Unterrichts stehend, berücksichtigt vorwiegend die moderne Prosa. Die Auswahl ist nach folgenden Gesichtspunkten zu treffen:

a) die Klassenlektüre hat in erster Linie die Kenntnis des fremden Volkstums - die Realien - zu vermitteln, möglichst mit Verwendung von Bildern. Es empfiehlt sich: für Obersekunda: Die feste Einprägung des äußeren geschichtlichen Rahmens, der Geographie des Landes und Topographie der Hauptstadt; für Prima: Die Einführung in die gegenwärtigen Zustände, entscheidende Perioden der Geschichte, Besprechung bedeutsamer Tagesereignisse.

b) Das technologische ist in bescheidenem Umfange zu berücksichtigen.

c) Den Dichtern ist nicht mehr als ein Semester zu widmen; zu bevorzugen sind Werke mit nationaler Färbung.

8) Literaturgeschichte ist in jeder Form ausgeschlossen.

9) Die Privatlektüre kann neben (vorwiegend modernen) Literaturwerken aller Art auch wissenschaftliche und technische Abhandlungen umfassen.

10) Deklamationen, besonders dramatischer Szenen, bei Schulfeiern erscheinen als ein wesentliches Förderungsmittel.

11) Die schriftlichen Arbeiten sind in kürzeren Zwischenräumen anzufertigen, etwa zur Hälfte unter Klausur; sie sind nur freie und ragen ausschließlich den Charakter der Nacherzählung oder Nachbildung. Zwischendurch empfehlen sich Diktate.

12) Der VII. Verbandstag erklärt die Revision der Ordnung für die Abschlußprüfung wie für die Abiturientenprüfung für eine dringende Notwendigkeit."

Diese Thesen enthalten in gedrängter Form alle wesentlichen Forderungen der Reformer, so daß weitere Zitate des sehr umfangreichen Schrifttums zu dieser Frage entbehrlich erscheinen, zumal zum Zeitpunkt ihres Entstehens die Diskussion weitgehend mit den gleichen Argumenten weitergeführt wurde . Sieht man von den unterschiedlichen Auffassungen der Reformer in einzelnen Punkten ab, so läßt sich die von ihnen angestrebte und teilweise bereits gestaltete Wirklichkeit des neusprachlichen Unterrichts wie folgt zusammenfassen:

Grundlage des Unterrichts ist die Fremdsprache in ihrer Lautform, wobei der Stilebene der Umgangssprache mehr Bedeutung zukommt, als der literarischen Form. Zur Sprachvermittlung wird ein Verfahren angewandt, das dem Erwerb der Muttersprache insofern ähnlich ist, als es auf Imitation beruht. Die aktive Beherrschung des genuinen fremdsprachlichen Ausdrucks, die Sprachfertigkeit, gilt als das oberste Ziel. Die ganzheitlich, sinnvolle Aussage in der fremden Sprache und deren unmittelbares Verständnis bildet den Ausgangspunkt. Weder die Muttersprache (außer in Sonderfällen) noch die Regeln des fremden Sprachgebrauchs sollen diese Unmittelbarkeit stören. Grammatische Regeln sollen vielmehr erst auf einer bestimmten Stufe der Sprachbeherrschung induktiv aus dem Sprachgebrauch abgeleitet werden.

Eng verbunden mit diesen Prinzipien der Spracherlernung ist die Frage der Stoffwahl. Die Forderung nach originaler und umgangssprachlicher Redeweise führt zu stärkerer Berücksichtigung der (realistischen) zeitgenössischen Literatur und drängt die klassischen und geschichtlichen Werke in den Hintergrund. Weiter ist in der Forderung nach genuinem fremden Ausdruck schon eine Tendenz auf fremdes Volkstum (Wendt) enthalten, die unmittelbar in die Kulturbewegung der 20er Jahre einmündet. Vorerst ist es jedoch ein mehr realienkundlicher Gesichtspunkt, von dem her die Erweiterung des neusprachlichen Unterrichts in bezug auf seine Inhalte geboten erscheint. Neben der zeitgenössischen Literatur sollen Geschichte, Geographie, Tagesereignisse und die Technik als Unterrichtsgegenstände erscheinen.

Die angeführten Prinzipien und Forderungen der neusprachlichen Reformbewegung scheinen zunächst vom methodischen Interesse bestimmt zu sein und sind bis in die Gegenwart überwiegend unter diesem Gesichtspunkt betrachtet worden . Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist jedoch in Anlehnung an den Methodensatz E. Wenigers nach den didaktischen Voraussetzungen, von denen die Reformbewegung getragen war, zu fragen. Von den bisher erarbeiteten Gesichtspunkten sollen zunächst die Auffassungen von Hornemann , Breymann und Steuerwald dargestellt werden, die sich mit dem geistig-sozialen, dem theoretischen und dem institutionellen Hintergrund der Reform befassen und damit Hinweise auf den Bildungszusammenhang geben, in dem die Bemühungen um die Methode des neusprachlichen Unterrichts stehen.

Hornemann, dessen Schrift als ein erster Versuch zu werten ist, die bis dahin sichtbaren Tendenzen der Reformbewegung in größere Zusammenhänge einzuordnen, nennt drei Bezüge: den nationalen Gedanken, die Idee der freien Individualität und den Kulturwandel. Unter dem letztgenannten Punkt subsumiert er den wirtschaftlichen, den psychologischen und den sprachwissenschaftlichen Aspekt.

Breymann erklärt die Entstehung der neusprachlichen Reform

"vor allem durch die kräftige Reaktion gegen die einseitige Überschätzung des grammatischen Unterrichts und gegen den Glauben an den absoluten Wert der sogenannten formalen Bildung, durch die intensive Pflege der romanischen und der englischen Philologie und der durch sie veranlaßten, immer zahlreicher werdenden neuphilologischen Vorlesungen; ferner durch die Entstehung einer neuen Hilfswissenschaft, der Lautphysiologie bzw. Phonetik; endlich durch die glänzende Entwicklung der allgemein sprachwissenschaftlichen, sprachhistorischen und psychologischen Studien, als deren schönstes Resultat Paul's bahnbrechende Prinzipien angesehen werden dürfen."

Steuerwalds Arbeit als die jüngste umfassendere Würdigung der neusprachlichen Reform weist vor allem unterrichtspraktische, psychologische und pädagogische Motive nach; die Forderungen der Reform lassen sich nach seiner Auffassung mit folgenden 3 charakteristischen Merkmalen kennzeichnen, "die Richtung auf das Unbewußte, ferner die Richtung auf das Konkrete und schließlich die Richtung auf das Universale."

Unter Berücksichtigung der genannten drei Schriften, die im einzelnen noch zu behandeln sind, sowie unter Würdigung der noch folgenden Arbeiten, ergeben sich folgende Ansätze, von denen her das Beziehungsgeflecht, in dem die neusprachliche Reform stand, zu verstehen ist:

a) der philologisch-sprachwissenschaftliche,

b) der psychologische,

c) der bildungstheoretische,

d) der institutionelle und

e) der zeitgeschichtlich-politische Zusammenhang.

a) Der sprachwissenschaftliche Zusammenhang

Die Sprachwissenschaft hatte sich seit Humboldt von einer Wort- und Buchstabenwissenschaft zu einer Wissenschaft der menschlichen Lebensäußerung Sprache hin entwickelt. Unter dem Einfluß naturwissenschaftlichen Denkens bediente sie sich nun zunehmend der Methoden und Modelle, die sich zu jener Zeit dem Verstehen des menschlichen Verhaltens anboten, d. h. in erster Linie psychologischer und physiologischer. Dieses neue anthropologische Sprachverständnis suchte die Gesetze von Sprache und Sprechen im Menschen selbst, im Individuum, nicht mehr außer ihm in objektiven Sprachgesetzlichkeiten, die aus einem System abzuleiten waren. Für die psychologische Grundlegung waren dabei vor allem die Anschauungen Herbarts für die physiologische, die von Helmholtz maßgebend.

Zu den wichtigsten sprachwissenschaftlichen Veröffentlichungen, die der neusprachlichen Reformbewegung unmittelbar vorausgingen, und die von den Reformern wiederholt zitiert wurden, gehören die Werke von Steinthal, Sievers und Paul, deren Auffassungen hier nur in den Punkten dargestellt werden können, die für die neusprachliche Reform direkt bestimmend wurden.

Zwei Grundgedanken Steinthals waren es vor allem, in denen die Bestrebungen der Reformer eine Stütze fanden, sein psychologisch orientierter Sprachbegriff und seine Bestimmung der Aufgabe der Grammatik.

In seiner Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft , die Herbarts mechanistischer Psychologie verpflichtet war, nahm der Sprechakt die zentrale Stellung ein. Die Analyse dieses Vorgangs, besonders in der kindlichen Sprachentwicklung, war für Steinthal das methodische Mittel, um das Phänomen der menschlichen Sprache überhaupt zu erfassen. Unter Anwendung des Herbartschen Apperzeptionsbegriffs erklärte er die Entstehung des Wortes als Reflex einer Vorstellung. Diese Assoziation von Vorstellung und Wort löse sich jedoch im Verlauf der weiteren Sprachentwicklung und es finde eine Assoziation der Wörter untereinander statt. Damit steht für ihn die Ausdrucksfunktion der Sprache am Anfang, nicht das Mitteilungsbedürfnis. Der Rückgriff Steinthals auf den Sprechvorgang als den eigentlichen Quell der Sprache stützte die Bedeutung, welche die Reformer dem Sprechen beimaßen.

Einen zweiten Berührungspunkt mit der neusprachlichen Reform bot die in Steinthals Sprachtheorie enthaltene Forderung: "So viele Sprachen es gibt, so viele Grammatiken haben wir zu schaffen." Diese unterstreicht die Vorstellungen der Reformer von der Eigenständigkeit der grammatischen Systeme, die es verbot, die Sprachen nach einem einheitlichen System mit einheitlicher Nomenklatur zu beschreiben, wie das die traditionelle Schulgrammatik lange Zeit gepflegt hatte. Zugleich begründete der methodische Ansatz Steinthals, der die schon von Humboldt vertretene Einsicht vom Nationalcharakter der Sprachen auf die Basis empirischer Beweisbarkeit stellte, die Hoffnung der neusprachlichen Reform, zu einer neuen Methode der Sprachbetrachtung auch in der Schule zu gelangen.

Auch Eduard Sievers erkannte die Maximen von der Priorität der Laute und vom Systemcharakter der Sprachen an. Er verwies die linguistische Forschung darauf, daß sie ihre Aufmerksamkeit dem Lautsystem einer Sprache im Ganzen, und nicht isolierten Lauten zuzuwenden habe. Da dieses Lautsystem nach dem Prinzip des kleinsten Schrittes aufgebaut sei, gehe der Lautwandel weitgehend unbewußt vor sich. Die Mundartenforschung weise solche Schritte in regionaler Verschiebung in der Gleichzeitigkeit auf:

"Da die Sprache natürlicherweise nicht bloß in den Kreisen der Gebildeten ... vielmehr im Munde des Volkes ihre eigentliche Entwicklungsstätte hat, so ist für die Sprach- und Lautgeschichte ... ein jeder Unterschied zwischen einer Sprache des Gebildeten und den Dialekten ein für allemal aufzuheben."

Diese aus wissenschaftsmethodischen Gründen gebotene Gleichsetzung von Umgangssprache (Mundart) und gehobener, literarischer Sprache impliziert eine generelle Aufwertung der Umgangssprache, ein Vorgang, der sich schon bei Rudolf Hildebrand fand, und der dort unmittelbar in seiner didaktischen Konsequenz gefaßt wurde.

Auch Hermann Paul hob in seinem Hauptwerk den soziologischen, psychologischen und physiologischen Aspekt der Sprache hervor. Er ging darin so weit, daß er behauptete, jede grammatische Kategorie sei auf eine psychologische reduzierbar:

"Alle psychischen Prozesse aber vollziehen sich in Einzelgeistern und nirgends sonst. ... Weder Volksgeist noch Elemente des Volksgeistes, wie Kunst, Religion etc. haben eine konkrete Existenz, und folglich kann auch nichts in ihnen und zwischen ihnen vorgehen."

Mit der Reduktion des Phänomens Sprache auf die (physiologisch, psychologisch und soziologisch bedingte) Sprechtätigkeit soll Sprache in ihrer konkreten Form gefaßt werden, in der sie mit exakten Methoden aufzuschließen ist. Da aber zur Sprechtätigkeit gehört, daß Sätze gebildet werden, gehört zu dieser Konkretheit, daß der Forscher vom ganzen Satz ausgeht:

"Der Satz ist der sprachliche Ausdruck, das Symbol dafür, daß sich die Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen in der Seele des Sprechenden vollzogen hat, und das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hörenden zu erzeugen."

Aus den bisher genannten Auffassungen Steinthals, Sievers' und Pauls, der am häufigsten von den Reformern erwähnten Sprachwissenschaftler, geht z. T. schon hervor, worin ihr Einfluß auf die neusprachliche Reformbewegung bestehen konnte. So zitiert J. Bierbaum Steinthal, um nachzuweisen, daß Grammatik nicht mit Logik identisch sein könne, da die Sprache ihrem Wesen nach alogisch sei. Damit stützte er seine Einwände gegen das Argument der formalen Bildung durch Grammatikunterricht.

Neben der bereits zitierten Stelle bei Breymann ist Eggert zu nennen, der sich auf Pauls Prinzipien beruft, um die unbewußten und ganzheitlichen Momente des Sprachvorgangs herauszustellen. Auch F. Franke erwähnt Paul: er leitet von ihm die Bestätigung ab, daß jede Sprache nur individuell zu begreifen sei und sich einer Einordnung in ein für alle Sprachen verbindliches System entziehe:

" Man hatte die Individualität der einzelnen Sprache überhaupt so viel als nur immer möglich verwischt, und alle Sprachen wohl oder übel in den Rahmen der lateinischen gespannt oder gezwängt und so auf Kosten der Wahrheit einen Anschein von Gleichmäßigkeit erzeugt, den neuere Forschung mit ihrem Bestreben, die Sprachen als individuelle zu fassende Denkformen zu betrachten und dementsprechend darzustellen, anfängt, als groben Irrtum zu erweisen."

Ohlert weist darauf hin, daß das dynamische Verständnis, wie es der Sprachwissenschaft seiner Zeit entsprach, im neusprachlichen Unterricht der Reformer insofern seinen Ausdruck gefunden habe, als dieser von der Lektüre, nicht von der Grammatik ausgehe:

"Wie oben erwähnt haben die Arbeiten moderner Sprachforscher, eines Bopp, Grimm, Diez, auf welchen wiederum Männer wie Geiger, Steinthal, Paul, Lazarus u. a. fußten, der Auffassung der Sprachen als veränderlicher, in steter Entwicklung befindlicher Organismen zu allgemeinerer Anerkennung verholfen. Die von den Reformern gemachte Forderung, die Lektüre in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen, ist recht eigentlich ein Ausdruck dieser veränderten Auffassung: gerade die modernen Sprachen mit ihrer sich beständig ändernden Ausdrucksweise ... entziehen sich der völligen Fixierung durch ein System von Regeln ...."

Andererseits greift Hornemann als kritischer Betrachter der Reform ebenfalls auf die Ansichten von Steinthal, Paul und Lazarus zurück, um nachzuweisen, daß nicht nur die gesprochene Sprache wirklich und lebendig ist, sondern daß von einer bestimmten Stufe an auch der Schriftform Bedeutung zukomme.

Schließlich war es kein Geringerer als Viëtor , der - allerdings ohne Namensnennung - sich auf die Sprachwissenschaft seiner Zeit stützte, wenn er sagte:

"Die Sprache besteht aus Lauten und nicht aus Buchstaben, und ehe diese Thatsache gründlich zum Bewußtsein gekommen ist, braucht man nicht zu erwarten, daß die Sprachen jemals richtig betrieben würden. Ferner wird die Sprache gebildet und geformt durch die unbewußte Thätigkeit des Ganzen und ist wie das Leben der Gesellschaft beständig im Wechsel und in der Entwicklung begriffen. Folglich kann man die Grammatik einer Sprache nicht in eine Reihe starrer Regeln zwängen, die einmal vom Grammatiker abgefaßt, so unabänderlich sind wie die Gesetze der Meder und Perser. ... Man wird nie eine fremde Sprache dadurch sprechen lernen, daß man einfach lange Listen von abgerissenen Wörtern dem Gedächtnis überliefert."

Aus den vorstehend referierten direkten Bezugnahmen sowie aus der engen zeitlichen Aufeinanderfolge grundlegender Arbeiten zur Sprachtheorie und neusprachlicher Reform ist zu schließen, daß die Einwirkungen, welche die didaktische Besinnung auf dem Gebiete des neusprachlichen Unterrichts von dieser Seite erfahren hat, nicht gering einzuschätzen ist. Im einzelnen sind es folgende Prinzipien der Reformer, die in der zeitgenössischen Sprachwissenschaft eine Stütze fanden: Jede Sprache stellt ein Gebilde, einen Organismus eigener Art dar, das nicht in allgemeingültigen Kategorien angemessen erfaßt werden kann. Alle Sprachebenen verdienen das gleiche Interesse; die Umgangssprache ist keineswegs geringer einzuschätzen als die Schriftsprache. Die Lautform der Sprache ist ihre wirkliche, lebendige Seite, die Schriftform hingegen eine sekundäre Erscheinung .. alles Sprechen geschieht in ganzen Sätzen und vollzieht sich weitgehend ohne Einschaltung der Reflexion. Der Akt der Sprachbildung geht ebenso wie die Sprachentwicklung, der Sprachwandel, wesentlich unbewußt vor sich. Betrachtet man diese Prinzipien im ganzen, so lassen sich jene von Steuerwald aufgewiesene Tendenzen der neusprachlichen Reformbewegung zum Unbewußten und zum Konkreten auch schon in den Einflüssen feststellen, die von der Sprachwissenschaft her wirken. Hinzufügen läßt sich noch, daß in ihr auch eine Tendenz zum Ganzheitlichen festzustellen ist.

b) Der psychologische Zusammenhang

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich die Psychologie von Herbart ausgehend zu einer selbständigen Wissenschaft entwickelt, die psychische Vorgänge mit mathematischen und physikalischen Methoden zu erfassen suchte, um Einblick in die Gesetzmäßigkeit geistig-seelischer Prozesse zu erhalten. Besonders Herbarts Assoziationslehre wirkte sich auf das Denken der Reformer aus . Diese Theorie war auf die Voraussetzung gegründet, daß die Vorstellungen im Bewußtsein durch ihre Ähnlichkeit oder durch die Gleichzeitigkeit ihrer Aufnahme im Gedächtnis verknüpft und daher geeignet sind, einander gegenseitig hervorzurufen oder zu verdrängen. Bei den Vertretern der neusprachlichen Reformbewegung läßt sich nachweisen, daß methodische Folgerungen von dieser Theorie nach zwei Seiten hin abgeleitet werden konnten.

Felix Franke geht davon aus, daß nach den Gesetzen der Simultanität und der Sukzession jede Vorstellung A die Tendenz habe, eine Vorstellung B zu reproduzieren, wenn diese mit ihr assoziiert ist. Eine solche Verbindung bestehe auch zwischen einem Begriff B und seiner muttersprachlichen Bezeichnung M. Es erhebe sich nun die rage, woran die fremdsprachliche Bezeichnung F anzuknüpfen sei, an B oder an M. Die Übersetzungsmethode habe sich dafür entschieden, an das entsprechende Wort der Muttersprache M in der Vokabelgleichung FM auszuschließen, so daß der Begriff nur mittelbar, FMB mit dem fremdsprachlichen Wort in Verbindung steht. Für die Reformmethode gelte hingegen:

"Unser Bestreben hat demnach darauf auszugehen, die Verknüpfung direkt herzustellen und zugleich einseitige Reproduktion möglichst auszuschließen, d. h. wir wollen die Assoziation BF oder gar MF oder MF."

Der weitgehende Verzicht auf den Gebrauch der Muttersprache im fremdsprachlichen Unterricht sei von der genannten psychologischen Grundtatsache her gefordert, damit durch die Erklärung der Wörter in der Fremdsprache die gewünschten Assoziationen zustande kommen könnten. Weiter biete es sich an, statt der fremdsprachlichen Erklärung Bilder zu verwenden; durch sie könnten nach dem Gesetz der Substitution die in unserer Seele vorhandenen Vorstellungsbilder ersetzt, bzw. erzeugt werden, ohne daß es dazu der Vermittlung der die Muttersprache bedürfe.

Die von Franke aus den psychologischen Voraussetzungen abgeleiteten Konsequenzen wurden 5 Jahre später von Sallwürk korrigiert . Dieser sah im Schema Frankes einen psychologischen Fehlschluß, da er nicht glaubte, daß es in der Hand des Unterrichtenden stehe, das fremdsprachliche Wort mit der Anschauung direkt zu assoziieren. Zwischen Anschauung und Begriff einerseits und der muttersprachlichen Bezeichnung andererseits bestehe eine durch lange Gewöhnung begründete feste Verbindung, die der neuen Assoziation entgegensteht. So werde die Übersetzung, die der Lehrer meidet, im Vorstellen des Schülers selber unvermeidlich. Zweitens sei das, was Franke unter Begriff verstehe, ein weniger einfaches Gebilde als dieser annehme, insofern als die Begriffswelt jeweils an eine Sprache gebunden sei und selbst in den konkreten Bereichen keine volle Identität in den Begriffen zweier Sprachen vorliege. So müsse das Bestreben am Anfang stehen, die Begriffskreise zu scheiden, das heißt, in der fremden Sprache denken zu lernen, ehe man hoffen kann, daß sich die gewünschten Assoziationen einstellen:

"Die einer Sprache eigentümliche Scheidung und Zusammenfassung der Begriffskreise begründet das, was den Stoff der speziellen Synonymik einer Sprache ausmacht, und die richtige Erfassung dieser sprachlichen Begriffskreise kennzeichnet den idiomatischen Ausdruck. Nun ist bekannt, daß der synonymisch richtige Ausdruck weder durch mechanische Gedächtnisarbeit, noch durch lange bloß äußerliche Sprachübung erreicht wird."

So findet durch die Einführung des Humboldtschen Gedankens einer geistigen Zwischenwelt bei prinzipiellem Festhalten am Gesetz der Assoziation bei Sallwürk eine wesentliche Verlagerung statt: Es kommt nicht darauf an, daß Anschauung und Begriff mit der fremdsprachlichen Bezeichnung verknüpft werden, sondern darauf, daß eine neue Begriffswelt aufgebaut wird, in der die einzelnen Begriffe untereinander verknüpft sind.

In einem ersten Überblick über die Tendenzen der neusprachlichen Reform nannte Hornemann unter den Wissenschaften, die er als notwendige Grundlage jeder Methodik des Unterrichts ansah, an erster Stelle die Psychologie:

"Ich brauche nur an die Namen Herbarts, Fechners und Lotzes zu erinnern, um die Grundlagen zu bezeichnen, auf denen die Psychologie der Gegenwart ruht."

Er erwähnt weiter die von w. Wundt herausgegebenen Philosophischen Studien , in denen die experimentelle Psychologie zu Wort kam, und die für den Fremdsprachenunterricht wichtige Untersuchungen z. B. über Apperzeption oder über Assoziationszeit enthielten. Hornemann fährt fort:

"Aber eine viel allgemeinere Bedeutung hat die Psychologie für unsre moderne Pädagogik durch die Anregungen Herbarts gewonnen, welche sich in Männern wie Theodor Waitz, Bonitz, Ziller, Stoy und andern bis in die unmittelbare Gegenwart fortsetzen."

Der Einfluß W. Wundts, der in dem vorstehend erwähnten Überblick Hornemanns bereits angedeutet ist, nahm im weiteren Verlauf der Reform zu und überschattete den der Herbartianer mindestens auf dem Gebiet der psychologischen Grundlegung. Bereits bei Sallwürk ließ sich ein solcher Einfluß nachweisen. Am ausgeprägtesten wirkte er sich dann bei Eggert aus, der den zu seiner Zeit bekannten Werken Wundts folgende, für die Gestaltung des neusprachlichen Unterrichts wichtige allgemein-psychologische und sprachpsychologische Einsichten entnahm:

1. Beim zusammenhängenden Sprechen steht schon im Beginn der Rede der ganze Satz als einheitliche Gesamtvorstellung, als Entwurf, im Bewußtsein; die einzelnen Wörter gelangen erst in dem Augenblick, wo sie ausgesprochen werden, zu klarer Vorstellung.

2. Wörter liegen als Einheiten erlebnisgebundener Einzelvorstellungen, als Gefühlstöne, im menschlichen Bewußtsein vor, nicht als objektive bewußte Vorstellungen. Das Phänomen Sprache weist so auf ein emotionales Moment zurück, das sogenannte Begriffsgefühl , das der unmittelbaren Anschauung zugänglich ist.

3. Die Analyse des Sprachvorgangs ergibt, wie durch Beobachtung von Sprachstörungen nachgewiesen werden kann, daß die Wortvorstellung ein komplexes psychisches Gebilde darstellt, eine Komplikation, in der akustische, optische und motorische Komponenten enthalten sind: unter diesen nimmt das akustische Moment eine zentrale Stellung ein.

Aus der Wundtschen Analyse des Sprachvorgangs, die er durch Einsichten von Ebbinghaus, Meumann, Jodl, Ballet u. a. erweitert, leitet Eggert die folgenden methodischen und didaktischen Folgerungen für den neusprachlichen Unterricht ab:

a) "Die hervorragende Bedeutung, welche Klangbild und Sprachbewegungsvorstellung für das Zustandekommen der gesamten Sprachvorstellung besitzen, enthält die psychologische Begründung für die Hauptforderung der neusprachlichen Reform, daß die gesprochene Sprache den Ausgang und die Grundlage des Sprachunterrichts bilden muß. Mag auch die Sprechfähigkeit ein erstrebenswertes Ziel sein, das durch die Entwicklung unserer Kulturverhältnisse immer mehr in den Vordergrund praktischer Bedürfnisse gerückt wird, so könnte sie doch nicht allein die zentrale Stellung rechtfertigen, die der mündlichen Sprachbetätigung im neusprachlichen Unterricht zukommen soll. Das Sprechen der Sprache dient nicht der einseitigen Ausbildung des Sprechens selbst. Es ist nicht nur ein Ziel, sondern vor allem ein methodisches Mittel des Sprachunterrichts, das in der psychischen Natur der Sprachvorstellung bedingt ist und der Ausbildung aller Formen der Sprechtätigkeit zu Grunde liegt. Eine unerläßliche Aufgabe des Sprachunterrichts ist es deshalb, das Klangbild und die Sprechbewegungsvorstellungen in ihrer natürlichen Verbindung der übrigen Sprachvorstellungselemente deutlich ins Bewußtsein zu rufen und dem Gedächtnis einzuprägen."

Liegt auf dieser Konsequenz bei Eggert der Schwerpunkt, so mißt er doch auch den folgenden Punkten, die den unter 1 und 2 erwähnten Prinzipien Wundts entsprechen, Bedeutung bei:

b) Nur das analytische, imitative und ganzheitliche Verfahren beim Erlernen einer Fremdsprache wird der Einsicht gerecht, daß der ganze Satz als primäre, das einzelne Wort als sekundäre Vorstellung anzusehen ist.

c) Das induktive Verfahren beim Vermitteln von Wortvorstellungen, Beziehungsformen und Satzmustern entspricht dem psychischen Vorgang:

Die "Loslösung der Sprachformen aus dem Zusammenhange und in der reihenweisen Zusammenfassung gleichartiger Fälle" stellt daher das natürliche Prinzip dar.

d) Auch die Gefühlsseite der objektiven Vorstellungen muß im fremdsprachlichen Unterricht berücksichtigt werden. Dies kann geschehen, indem der Schüler im Unterricht zu Tätigkeiten veranlaßt wird, die in seinem Erfahrungsbereich liegen, und die er in der Fremdsprache kommentiert, wie dies Gouin empfohlen hat. Damit sei die Totalität der psychischen Funktionen, also auch das Gefühl, am Sprachvorgang beteiligt. Wo sich die Tätigkeit selbst nicht ausführen lasse, solle die Erinnerung an sie im Gespräch wachgerufen werden.

Ferner erwähnt Eggert , daß die eigentümlichen Assoziations- und Apperzeptionsgesetze, die in den Wortformen und im Satzbau in Erscheinung treten, dem Gesamtbewußtsein einer sprechenden Gemeinschaft zuzuordnen seien; er verzichtet jedoch darauf, didaktische Konsequenzen für den neusprachlichen Unterricht aus diesem Gesetz der Sprachgemeinschaft (Weisgerber) zu ziehen. Die Hinwendung auf diesen Gesichtspunkt blieb der Kulturkundebewegung vorbehalten. Wenn auch der Einfluß der Psychologie auf die neusprachliche Reform in erster Linie an die Namen Franke, v. Sallwürk und Eggert geknüpft ist, so geht doch aus verschiedenen anderen Schriften hervor, daß die Probleme des neusprachlichen Unterrichts nicht ohne psychologische Gesichtspunkte erörtert wurden. Der Einfluß ist hier im einzelnen aber kaum faßbar, da bestimmte Namen nicht genannt werden, vielleicht auch nicht genannt werden konnten, weil es sich um sehr pauschale Einsichten handelte, die inzwischen zum pädagogischen Allgemeingut geworden waren.

c) Der bildungstheoretische Zusammenhang

Bereits in Viëtors Schrift Der Sprachunterricht muß umkehren! finden sich Formulierungen, die darauf hinweisen, daß in den methodischen Bestrebungen der Reformer zugleich ein verändertes Bildungsdenken zum Ausdruck kommt. Viëtor bezeichnet den traditionellen Grammatikunterricht nicht nur als unvereinbar mit sprachtheoretischen Erkenntnissen, sondern hält ihn für pädagogisch bedenklich:

"Daß dies Beginnen ein sprachliches Vergehen ist, darüber sind wir uns wohl klar; aber auch seinerseits wieder ist es zugleich eine pädagogische Sünde. Was der Schüler durch eigene Kraft und selbständiges Nachdenken hätte finden können, das wird ihm ... gleichsam auf dem Präsentierteller entgegengebracht."

Er werde dazu angehalten, Unverstandenes in sklavischem Gehorsam sich anzueignen; damit würden Gedankenlosigkeit und Schablonendenken vorbereitet. Schale, inhaltlose Bemerkungen verführten zu Verwirrung, Zerstreutheit, Oberflächlichkeit und Interesselosigkeit. Entsprechend falle das Resultat dieses Unterrichts aus:

"Widerspreche mir, wer kann: läßt ihn die Schule endlich frei, so ist dem abgehetzten Schüler die Sprache der alten Römer und Hellenen, ja das lebendige Englisch oder Französisch der Gegenwart im wahren Sinne des Wortes fremd wie zuvor. Sechs oder gar neun lange Jahre hat er Schalen geknackt: nun geht er, ohne daß er einen Kern gekostet hätte. - 'Wehe jeder Art von Bildung', warnt Goethe, 'die auf das Ende hinweist, statt auf dem Wege zu beglücken'. Dreimal wehe denn der Bildung, die auch nicht einmal auf ein beglückendes Ende hinweisen darf."

Um diesen Mangel zu verschleiern, habe man sich des Arguments der formalen Bildung bedient, jedoch müsse dem entgegengehalten werden, daß Unverstandenes auch nicht geistbildend wirken könne.

Auch Bierbaum wendet sich gegen das Prinzip der formalen Bildung:

"Hiernach behauptete man - und behauptet wohl auch jetzt noch allen Ernstes - daß das angestrengte, intensive Nachdenken über schwierige und oft recht spitzfindige Regeln der Grammatik und Syntax und deren Anwendung ... ganz besonders geistbildend wirke, den Verstand schärfe, das Gedächtnis und den Willen kräftige, ja sogar das Gefühl und die Phantasie nebenbei wecke und beschäftige, und was dergleichen Dinge mehr sind, so eine Art geistiger Gymnastik, wie man es wohl auch zu nennen beliebte."

Er bezweifelt mit Ackermann die Möglichkeit eines allgemeinen Lerntransfers, wodurch auch das Prinzip der formalen Bildung eine Erschütterung erfahre. Sein Aufkommen führt er demgegenüber auf die Bequemlichkeit des Lehrers zurück, der sich ins Buch zurückgezogen habe:

"Wo der Lehrer unterrichten und erklären sollte, examinierte er nur, wo er die Schüler anleiten, mit ihnen üben sollte, gab er einfach auf.... Mit dem allmählichen Überleiten der Aufgabe des Lehrers in die des Lehrbuchs glitt auch ganz unmerklich aber naturgemäß seine Bedeutung und Autorität mit hinüber. Und ist das etwa so sehr befremdlich, wenn noch heute wissensdurstige Schüler, denen irgend eine Frage oder ein unverständlicher Punkt unverständlich geblieben, mit der ganz unpädagogischen Zurechtweisung abgefertigt werden: 'Schau ins Buch, da steht's!' ."

Unter Berufung auf F. A. Wolf und Herbart fordert auch Ohlert den Verzicht auf ausschließlich formale Ziele im Sprachunterricht, Ziele, die mit guten Gründen widerlegt seien, sich aber hartnäckig erhalten hätten:

"Diese Auffassung (d. i. Grammatik ist die wahre Palästra des Geistes) ist die Grundlage unserer Gymnasialpädagogik, sie übt ihren Einfluß auch auf alle übrigen Schulen aus, sie ist in weite Kreise gedrungen, die sie, ohne zu prüfen, als unumstößliche Wahrheit entgegennehmen. Hier wiederum zeigt sich ein handgreifliches Beispiel der Tatsache, daß neue Ideen trotz der besten Begründung vor der Hand einem allgemein verbreiteten Irrtum unterliegen und sich erst allmählich Geltung und Achtung verschaffen. Denn die mannigfachen Erörterungen, welche den Wahnbegriff der formalen Bildung beleuchtet und in seiner Falschheit nachgewiesen haben, verfehlen ihre Wirkung noch immer auf die Kreise, für die sie berechnet waren."

Die Forderung der Reformer hingegen laute:

"die jahrelange Beschäftigung auf den Schulen müsse der gut passende Schlüssel werden zum mühelosen Gebrauch des Inhalts der fremden Literaturen, welchem seinerseits als Ausdruck des fremden Geistes gebührenderweise die größte Beachtung geschenkt werden müsse. Das ist das Prinzip, in dem zunächst alle einig sind, das ist auch die Errungenschaft, die sich aus den Kämpfen der Gegenwart siegreich durchringen wird zur Alleinherrschaft in der Zukunft."

Der Glaube daran, daß sich die Richtung durchsetzen werde, der das Verständnis der Bildungsinhalte wichtig sei, war begründet: In den Wiener Thesen fand das materiale Bildungsprinzip allgemeine Billigung.

Es hieße jedoch die bildungstheoretische Auseinandersetzung zwischen Reformern und Antireformern vereinfachen, wollte man sie auf die Formel didaktischer Materialismus gegen didaktischen Formalismus bringen, obwohl diese beiden Positionen am deutlichsten sichtbar werden. Zumindest die folgenden Ansätze von bildungstheoretischer Relevanz lassen sich in der neusprachlichen Reformbewegung nachweisen: die Anerkennung des Irrationalen, des Kindgemäßen und der Selbsttätigkeit. Es handelt sich dabei um Prinzipien, die in der pädagogischen Bewegung ihre Entsprechung fanden.

Die Tendenz zur Würdigung nicht rationalisierbarer Elemente beim Erlernen einer Fremdsprache drückt sich darin aus, daß der Wert eines Sprachgefühls zunehmend anerkannt wird (so von Viëtor, Hornemann, v. Sallwürk, W. Münch, Eggert und M. Walter). auch die Berücksichtigung der Möglichkeiten und Bedürfnisse des Kindes, welche ein abstraktes Verfahren ausschließt, der Imitation, dem spielerischen Nachahmen, der Funktionslust hingegen ihr Recht gibt, gehört zu den Neuansätzen der Bildungstheorie, die sich dem Begriffspaar formale - materiale Bildung entziehen. Diese Berücksichtigung der Kindgemäßheit läßt sich nicht nur in der Methode nachweisen, sondern auch in der Auswahl der Unterrichtsinhalte; so forderte O. Wendt:

"Das Sprachstück liege im Gesichtskreise der Kinder, sei ihm durch Lebenserfahrung oder im Sachunterrichte bereits nahe gebracht, so daß es nicht der Worte und Formen wegen, sondern des dem Kinde tief und allseitig interessierenden Inhalts wegen zur Behandlung kommt. Soweit letzterer der Interessensphäre und Fassungskraft des Kindes angemessen ist, soweit wird sich auch die sachliche und sprachliche Aneignung leicht, schnell und sicher vollziehen."

Für die Unterrichtspraxis hieß dies, daß Kindergeschichten, Kinderreime, Märchen, Lieder und szenische Darstellungen jene Übersetzungsstücke ohne Inhalt abzulösen beginnen, deren Existenz von vielen Reformern beklagt würde. Wie aus den Wiener Thesen hervorgeht, sollten auch für Schulfeiern Aufführungen in fremder Sprache vorgesehen werden. Desgleichen suchen die von der Reform beeinflußten Lesebücher den neuen Vorstellungen hinsichtlich der Inhalte des Unterrichts gerecht zu werden.

Damit klingt bereits das dritte Motiv an, der Gedanke der Selbsttätigkeit. Er war zunächst in der Forderung nach aktiver Sprachbeherrschung durch den Schüler enthalten, sodann aber in der neuen Art der Grammatikbehandlung und in der schriftlichen Arbeit. Schon Viëtor hatte gefordert, daß die grammatischen Regeln nicht einfach aus der Grammatik gelernt, sondern vom Schüler selbst aus dem Sprachmaterial induktiv abgeleitet werden sollten. Auch in der Forderung nach freien Klassenarbeiten (Nacherzählungen etc.), wie sie in den Wiener Thesen erhoben wurde, kam das Bemühen um eine Aktivierung des Schülers zum Ausdruck. Bestimmte Gedanken der Arbeitsschulbewegung waren hier bereits berücksichtigt. Gaudig erkannte dies, wenn er feststellte:

"Kommt es z. B. in der Sprachlehre zu nichts anderem als der ewigen Wiederholung ... dann versteht man die Schullust unserer Gymnasiasten sehr gut. Offensichtlich ist auch hier der Vorzug der lebenden Sprachen vor den toten. NB. wenn sie als lebende und nicht nach dem Schema der toten behandelt werden: die Verwertung des Sprachmaterials zu freier Darstellung, schriftlicher und namentlich mündlicher, führt dem Sprachbetrieb nach seiner formalen Seite neue und eigenartige Lustgefühle zu ... Es würde vom Standpunkte der Lustgefühle tiefbedauerlich sein, wenn die Grammtisterei, die, wie es scheint, mit Erfolg gegen die neue Methode reagiert, die Lustgefühle der Darstellung in der fremden Sprache ausschalten sollte."

Das Bestreben, den Schüler aktiv am Unterricht zu beteiligen, führte dazu, daß auch neue Ansprüche an den Lehrer gestellt wurden. Er sollte der fremden Sprache ganz mächtig sein, um sich vom Lehrbuch lösen zu können, und um so in der Lage zu sein, auf spontane Einfälle des Schülers eingehen zu können.

Die so skizzierte bildungstheoretische Grundkonzeption der neusprachlichen Reform weist auf eine Verwandtschaft zur pädagogischen Bewegung hin; zumindest läßt sich feststellen, daß sich in ihr die gleichen Kräfte geltend machten, die auch die anderen Reformbewegungen getragen haben.

d) Der institutionelle Zusammenhang

Die vorstehend geschilderte Entwicklung wurde nicht zuletzt auch von institutionellen Voraussetzungen getragen; unter diesen nehmen sowohl die Entstehung eines Neuphilologenstandes als auch die Gründung von Realschule und Realgymnasium eine besonders wichtige Stellung ein.

In dem Reglement für die Prüfungen der Candidaten des höheren Lehramts von 1866 wurden erstmalig neuere Sprachen als gleichberechtigte Prüfungsfächer anerkannt. Um ein Zeugnis 1. Grades zu erhalten, das zum Unterrichten in allen Klassen berechtigte, mußte der Kandidat seine Befähigung nachweisen,

"das Französische und Englische durch alle Classen, außerdem aber entweder die beiden alten Sprachen, oder Lateinisch und Deutsch, oder Religion, oder Geschichte und Geographie, oder Mathematik und die beschreibenden Naturwissenschaften, in den mittleren Classen zu lehren."

Dazu war erforderlich,

"daß der französische und englische Aufsatz eine gewisse Geläufigkeit und Sicherheit im Gebrauch der Sprache erkennen lasse. Die mündliche Prüfung ist darauf zu richten, daß der Candidat Sicherheit in der Grammatik und Kenntniß in der Metrik besitzt, ob er mit den hervorragendsten Erscheinungen der Literatur bekannt ist, und einige Werke der bedeutendsten Schriftsteller, namentlich der classischen Periode, mit eingehendem Verständnis gelesen hat, auch sich mündlich in guter Aussprache correct und sicher auszudrücken weiß. So weit es erforderlich ist, letzteres zu ermitteln, wird die Prüfung in französischer, resp. englischer Sprache abgehalten, Kenntniß der Hauptergebnisse der romanischen Sprachforschung und der geschichtlichen Entwickelung beider Sprachen ist wünschenswerth."

Gleichzeitig wird aber auch noch dem Sprachlehrer älteren Stils eine Möglichkeit eingeräumt:

"Schulamtscandidaten, welche außer der erforderlichen allgemeinen Bildung eine Unterrichtsbefähigung nur für das Französische und Englische, oder nur für eine von beiden Sprachen, nachzuweisen im Stande sind, können bei höheren Lehranstalten nur ausnahmsweise als besondere Fachlehrer eintreten, und sind von der Ascension im Lehrercollegium der betreffenden Anstalt ausgeschlossen."

Mit dieser neuen Prüfungsordnung wurden die beiden vorhergehenden von 1838 und 1854 außer Kraft gesetzt, in denen für Lehrer neuerer Sprachen nur ausnahmsweise eine Prüfungsmöglichkeit vorgesehen war . Es bestand außerdem kein Unterschied der Prüfungsanforderungen mehr in Hinblick auf den künftigen Tätigkeitsbereich:

"Der verschiedene Umfang der Schulen gleicher Kategorie, der Gymnasien und Progymnasien einerseits, sowie der Real- und höheren Bürgerschulen andererseits, begründet keine Verschiedenheit des Prüfungsverfahrens."

Somit setzte diese Prüfungsordnung ein reguläres Studium der betreffenden Fachwissenschaften voraus, was durch die Einrichtung weiterer Lehrstühle für romanische und englische Philologie möglich geworden war. Außerdem stellte sie den Inhaber des Prüfungszeugnisses denen anderer Fächergruppen gleich. Ferner war in ihr die Forderung nach Sprachfertigkeit enthalten, die im Fachstudium selbst nicht angelegt war , so daß die schon von Mager hervorgehobene Notwendigkeit eines längeren Auslandsaufenthalts für Lehrer lebender Fremdsprachen neues Gewicht erhielt. Von der preußischen Regierung war bereits 1838 ein Auslandsreisestipendium von jährlich 400 Talern für Neusprachler ausgesetzt worden . Es ist jedoch zu betonen, daß dieser Gesichtspunkt nicht mit dem Wunsche in Zusammenhang stand, auch im Unterricht des Gymnasiums sich der fremden Sprache zu bedienen, da noch 1882 in der Circular-Verfügung, betreffend die Einführung der revidirten Lehrpläne für die höheren Schulen ausdrücklich auf dieses Ziel verzichtet wurde:

"das Maß der für den französischen Unterricht an Gymnasien verfügbaren zeit und Arbeitskraft und die Erschwerung, welcher der Klassenunterricht im Vergleiche zu dem Privatunterrichte unterliegt, machen es notwendig, ausdrücklich darauf zu verzichten, daß eine Geläufigkeit im freien mündlichen Gebrauche der Sprache erreicht werde."

Neben dem speziellen Studium und dem Auslandsaufenthalt der Neuphilologen stellte die Errichtung neusprachlicher Seminare die dritte Institution dar, die das Kennzeichen berufsständischer Eigenart trug. In einer Nachricht des Berliner Friedrichgymnasiums aus dem Jahre 1861 heißt es:

"Seit Ostern v. J. ist mit dem Friedrichsgymnasium hierselbst ein unter Leitung des Prof. Dr. Herrig gestelltes Institut zur Ausbildung von Lehrern für die neueren Sprachen verbunden. Die Zahl der ordentl. Mitglieder ist für jetzt auf 3 festgesetzt. Als ordentl. Mitglieder werden nur solche Schulamtscandidaten aufgenommen, welche vor einer K. wissensch. Prüfungscomm. das Examen pro facult, docendi bestanden haben. Außerdem werden Hospitanten zugelassen, die auch aus den Studirenden gewählt werden können, wenn sie mindestens 4 Semester bereits absolvirt haben. Sämmtl. Mitglieder des Instituts werden in schriftl. Ausarbeitungen und freien Vorträgen geübt, und erhalten eine specielle Anleitung für das prakt. Lehramt. Die ordentl. Mitglieder wohnen anfangs dem Unterr. des Prof. H. in verschiedenen Classen bei, um eine Anschauung seine Verfahrens zu gewinnen, später ertheilen sie selbst im Beisein des Prof. H. in einzelnen Classen Unterricht. Die Theilnahme an diesen Übungen beschränkt sich für die ordentl. Mitglieder in der Regel auf ein Semester. Mittellosen wird, wenn sie sich durch gute Leistungen hervorgethan haben, eine Unterstützung gewährt."

Für die weitere Entwicklung des berufsständischen Selbstbewußtseins der Neusprachler wurden neben diesen staatlichen Maßnahmen folgende Neugründungen wichtig, die der Initiative einzelner oder kleinerer Gruppen zuzuschreiben sind: Seit 1878 bestand in Dresden eine Gesellschaft für neuere Philologie; entsprechende Vereine wurden in der Folgezeit in Hannover (1880), Hildesheim (1882) und Hamburg-Altona (1883) gegründet; 1886 war das Geburtsjahr des Allgemeinen Deutschen Neuphilologenvereins. Mit dem seit 1886 2jährlich stattfindenden Neuphilologentag schuf sich der Verein jenes Forum, das auch für Fragen der Reform - dem Zentralproblem der nächsten Jahre - offen war. Die Verbandszeitung, das Neuphilologische Zentralblatt (1886 ff.) war neben den Phonetischen Studien Viëtors (1888 ff., ab 1894 Die Neueren Sprachen) und der von den Reformgegnern herausgegebenen Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht (1902 ff.) diejenige Zeitschrift, in der die Auseinandersetzung um die neusprachliche Reform vorwiegend ausgetragen wurde.

Neben dieser Umgestaltung der öffentlichen und korporativen Voraussetzungen, welche die Entstehung eines neuen Fachlehrertyps förderten, ist als zweites Moment des institutionellen Zusammenhanges die Begründung der Realschule zu nennen, die zur Hauptstätte des Wirkens von Neuphilologen wurde. In der Realschule I. Ordnung, die in Preußen mit der Unterrichts- und Prüfungsordnung von 1859 ihren Rahmen erhielt, nahmen die beiden lebenden Fremdsprachen eine zentrale Stellung ein. In den 9 Schuljahren war das Französische mit insgesamt 34, das Englische mit 20 Wochenstunden berücksichtigt . Hinsichtlich des Unterrichtszieles, das für beide Sprachen, wie erwähnt gleich war, fällt auf, daß der Umgangs- und Verkehrsaspekt bereits voll gewürdigt wurde . 1882, im Reformjahr, wurde in Preußen die Realschule I. Ordnung in Realgymnasium umbenannt, ohne daß dies eine Veränderung der Stundenzahl für die neueren Sprachen zur Folge gehabt hätte; Sachsen nahm die gleiche Umbenennung 1884 vor . Damit wurde im Bereich der Schulorganisation dem für die lebenden Fremdsprachen charakteristischen Schultyp eine Rangerhöhung zuteil, die den Neuphilologen insofern als ein Akt der Gerechtigkeit erscheinen mußte, als in den Prüfungsordnungen kein Unterschied hinsichtlich einer späteren Tätigkeit am Gymnasium oder Realgymnasium gemacht wurde. Zur Gleichstellung beider Schularten kam es jedoch nicht; die Reifeprüfung des Realgymnasiums berechtigte nicht zum Universitätsstudium. Das aber bedeutete, daß die in den lebenden Fremdsprachen (besonders im Englischen) gründlicher vorgebildeten Abiturienten von Realgymnasien neuere Philologie nicht, oder erst nachdem sie eine Zusatzprüfung abgelegt hatten, studieren konnten. Erst der Kieler Erlaß von 1901 brachte die Gleichberechtigung aller Reifezeugnisse.

e) Der zeigeschichtlich-politische Zusammenhang

Auch für die neusprachliche Reformbewegung bestätigt sich die Feststellung, daß die modern-fremdsprachliche Bildung zu Zeiten gesteigerten internationalen Verkehrs ihre stärksten Impulse empfängt. Obwohl die in den vorangehenden vier Zusammenhängen dargestellten Einflüsse der Wissenschaft, der Bildungstheorie und der Institutionen ihr volles Gewicht behalten, läßt sich erst - wie zu zeigen sein wird - auf dem Hintergrund der zeitgeschichtlich-politischen Verhältnisse ihre ganze Wirksamkeit verstehen. Es erscheint daher fraglich, ob man wie Steuerwald Wesen und Bedeutung der neusprachlichen Reform allein im methodisch-didaktischen Horizont im engeren Sinne erfassen kann.

In ausgeprägter Form läßt sich bereits bei Hornemann, der zu den frühen Reformern gehörte, und u. a. neben Frick den Hannoverschen Einheitsschulverein leitete, zeigen, in welch direkter Verbindung die Unterrichtsmethode zu den Anforderungen der Zeit gesehen wurde. Den gesteigerten Weltverkehr in der Form des Kolonialismus erlebte Hornemann wie folgt:

"Wir alle, die wir im Mitgefühl der großen Bewegung der Gegenwart leben, haben die Empfindung, daß die deutsche Nation mit dem verflossenen Jahre in eine neue große Phase ihrer Entwicklung eingetreten ist. Wer erinnerte sich nicht des weltgeschichtlichen Momentes, da der römische Senat lange und ernst über den Antrag der Konsuln beriet, den Mamertinern in Messana die Legionen zu Hülfe zu senden?

Ein ähnliches Gefühl stolzer und doch banger Erregung geht jetzt auch durch das deutsche Volk, seitdem Fürst Bismarcks kühner Geist die deutsche Kolonialpolitik in Fluß gebracht hat. ... Diese ... Bewegung ist ein Resultat und zugleich ein Symptom von einer ... Wandlung, die wie kaum eine frühere unser gesamtes Leben und Denken beeinflussen muß. Ich möchte sie kurz bezeichnen als den Übergang vom kontinentalen System zu dem der überseeischen Politik, vom wesentlich Ackerbau treibenden Staate zum Industrie- und Handelsstaat."

Hier läßt sich in Anmerkung hinzufügen, daß 1882, im gleichen Jahre, in dem Viëtors Streitschrift erschien, der Deutsche Kolonialverein gegründet wurde.

Doch sieht Hornemann, daß der Kolonialismus nur eine Seite des durch die wirtschaftliche Expansion gesteigerten Verkehrs darstellt:

"Allein auch abgesehen von Auswanderung und Kolonisation, überhaupt muß, je stärker Deutschland an dem friedlichen Wettstreit der Nationen im Welthandel Anteil nimmt, desto vielseitiger und häufiger der Verkehr mit den beiden großen Handelsvölkern West-Europas werden, das Interesse, die beiden modernen Weltsprachen praktisch zu beherrschen, von Jahr zu Jahr wachsen."

Damit leitet Hornemann bereits zu der Frage über, wie die Methode unter diesen zeitgeschichtlichen Bedingungen zu werten ist:

"Kurs, die Kulturbewegung der Gegenwart führt mit Notwendigkeit darauf, daß das Interesse an den neueren Sprachen immer allgemeiner und intensiver wird. Aber selbst die Methode, in der wir dieselben lehren müssen, wird wenigstens ganz im allgemeinen hierdurch bestimmt. Es kommt natürlich weniger auf die sogenannte formale Bildung an, als auf praktisches Können, und die Schule hat also den Unterricht so zu betreiben, daß dieses Ziel möglichst vollkommen erreicht ... werde. Also fort mit der unendlichen Fülle grammatischer Regeln und Exercitien! Lektüre und immer wieder Lektüre, ... womöglich auch Sprechübungen ...."

Mit diesem Ansatz, das Unterrichtsziel direkt aus den Bedürfnissen der gegenwärtigen Gesellschaft abzuleiten, stellt Hornemann sich in die Tradition jenes pädagogischen Realismus, der später den Grundton der Wiener Thesen bilden wird. Es ist daher kein Zufall, wenn Gustav Wendt, der Verfasser der Thesen, in seiner Begrüßungsansprache auf dem Hamburger Neuphilologentag 1896 ähnliche Gedanken äußerte:

"Wenn irgendwo die von den neuphilologischen Schulmännern erstrebten Ziele mit den Händen gegriffen werden könne, so ist es hier an der Mündung des Stromes, der unsere Schiffe zu allen Nationen hinausträgt und uns mit allen Beziehungen anzuknüpfen und festzuhalten treibt. Hier muß man es, wenn irgendwo, wissen, wozu man neuere Sprachen lehrt, und daß ihr Betrieb sich losmachen muß von Methoden, die, sich vorwiegend oder gar ausschließlich der Form der Sprache widmend, den Inhalt vernachlässigen, von Methoden, welche das Wissen nur fördern auf Kosten des Könnens."

In ähnlicher Weise haben sich auch andere Reformer geäußert, u. a. Münch , Franke , Clasen und Max Walter . Seit der Thronbesteigung Wilhelms II. (1888) konnten die Vertreter der Reformmethode in dem Bewußtsein arbeiten, nicht nur den Anforderungen der Zeit zu entsprechen, sondern auch des Wohlwollens des Monarchen gewiß zu sein:

"Eine Order vom 13.2.1890 führte zur Reform der auf Anordnung Wilhelms I. nach dem Realgymnasiallehrplan eingerichteten Lehrverfassung des Kadettenkorps durch Verstärkung des Unterrichts in Deutsch, ... Geschichte und Erdkunde, sowie durch Anleitung zum praktischen Gebrauch der neueren Fremdsprachen, ...."

Auf der Dezemberkonferenz des gleichen Jahres 1890 nahm der Kaiser persönlich gegen die klassische Bildung Stellung, so daß bei den Neuphilologen noch weniger Neigung bestehen mußte, sich weiterhin am Vorbild des altsprachlichen Unterrichts zu orientieren.

Die formale Feststellung, daß die neusprachliche Reform mit den wirtschaftlichen und politischen Zielen der Öffentlichkeit in Einklang stand und aus ihnen wesentliche Argumente empfing, ist dahingehend zu ergänzen, daß die Tönung jenes Verkehrsdenkens von der Idee des friedlichen Wettbewerbs der Völker bis zum imperialistisch-kolonialen Kampfpathos reichte, das besonders nach der Jahrhundertwende deutlicher zu vernehmen war. Letzteres jedoch als den alleinigen Grundton hervorzukehren, wie dies in einer Studie aus neuerer Zeit geschieht , erscheint angesichts der Persönlichkeit Gustav Wendts , der schließlich die Ziele der Reform maßgeblich vertrat, abwegig. Schwieriger hingegen wird die Frage zu beantworten sein, welche Motive im einzelnen den Hinweis auf die zeitgeschichtliche Lage leiteten.

Mit der Darstellung des zeitgeschichtlich-politischen Zusammenhanges der neusprachlichen Reform sind die Hauptmomente, auf die es für den weiteren Gang der Untersuchung ankommt, aufgewiesen. Es stellt sich nunmehr die Frage, welche Bedeutung der Reformbewegung für die Entwicklung des Verständnisses der neusprachlichen Bildung zukommt.

Die Frühzeit des neusprachlichen Unterrichts war, wie sich nachweisen ließ, dadurch gekennzeichnet, daß seine Fürsprecher seinen Sinn aus dem Leben selbst, der gesellschaftlichen Wirklichkeit, abzuleiten suchten. In der darauffolgenden Periode vollzog sich das Reflektieren über neusprachliche Bildung im Rahmen von Erziehungssystemen und Bildungstheorien; die lebenden Sprachen wurden jeweils der gleichen Begrifflichkeit und den gleichen pädagogischen maximen unterstellt wie die übrigen Bildungsgegenstände. Damit wurden sie als (unterschiedlich gewichtiger) Bestandteil des Kanons betrachtet, der seinerseits nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel der Erziehung und Bildung galt. Zugleich war damit über die Bedeutung der lebenden Sprachen für die Gesellschaft und ihren Wert für den Zögling prinzipiell, da. h. nach den Maximen des jeweiligen Systems, entschieden.

In diesem Fundierungszusammenhang trat im Laufe de 19. Jahrhunderts ein tiefgreifender Wandel ein: "1850 waren die Philologen nicht mehr vollendet Gebildete im Sinne Humboldts, sondern Fachwissenschaftler.... Die Altsprachenschule verwandelte sich, nachdem die Lehrer Fachlehrer geworden waren, in die 15-Fächerschule, die wir heute haben." Der so von Blättner charakterisierte Prozeß der Fächerspezialisierung blieb nicht ohne Einfluß auf die didaktische Besinnung.

Er war im wesentlichen bereits abgeschlossen und institutionell sanktioniert, als die neusprachliche Reform einsetzte. Letztere ist daher weder als Ursache noch als Spiegelbild jener Spezialisierung anzusehen, sondern als eine erste Konsequenz im Raum des neusprachlichen Unterrichts. Die didaktische Reflexion über neusprachliche Bildung, die für die Reformbewegung charakteristisch war, zeichnete sich dadurch aus, daß sie vom Bildungsgegenstand, den lebenden Sprachen, den Ausgang nahm und sich von diesem Fixpunkt her ihren Bezugsrahmen erschloß. Sie mußte somit den Horizont ihres Gegenstandes erst gewinnen, der in der früheren Periode von der jeweiligen Bildungstheorie, dem jeweiligen Erziehungssystem, bereits vorgezeichnet war. Diese Wendung ist nicht zuletzt an den Repräsentanten der didaktischen Überlegungen zum neusprachlichen Unterricht zu erkennen: Im Gegensatz zu Herder, Trapp, Schleiermacher und Mager waren die Reformer durchweg Fachmänner, Vertreter des Faches neuere Sprachen an Schule und Universität. Das barg für die Arbeit ihrer Reflexion zwei Konsequenzen: einmal hatten sie als Berufsgruppe nicht die Freiheit, das von ihnen vertretene Fach in Frage zu stellen und aus dem Kanon auszuschließen; zum anderen brachten sie in die didaktische Besinnung über neusprachliche Bildung jenes Engagement ein, daß im Interesse des Ausübenden gründet. Dennoch beschränkten sich die Reformer nicht darauf, die Notwendigkeit ihres Faches als erwiesen anzusehen und lediglich eine optimal zweckmäßige Methode er Spracherlernung auszubilden, sondern sie strebten die wissenschaftliche und pädagogische Begründung dieser Methode an. Ihre Erörterungen zeigen, daß es ihnen einerseits darauf ankam, die in anderen Wissenschaften gewonnenen Einsichten zu assimilieren und andererseits die neusprachliche Bildung in Einklang zu bringen mit den Forderungen der Gesellschaft, der Schulorganisation, und der Unterrichtspraxis. Somit ist es als ihr Verdienst anzusehen, daß der Bildungsgegenstand lebende Fremdsprachen in seinem wissenschaftlichen Horizont gesehen wurde, wobei nicht nur die Fachphilologien, sondern ebenso die allgemeine Sprachtheorie, die Psychologie und die Pädagogik einbezogen wurden. Die pädagogische Theorie wurde für die Reformer also, wie deren Verhältnis zu den Herbartianern gezeigt hat, als Teilgebiet dieses zu erschließenden Horizonts gesehen und stellte für sie nicht den Bezugsrahmen dar, in dem sich ihre didaktischen Bemühungen vollzogen. Damit hängt zusammen, daß die neusprachliche Reform den Wert der lebenden Fremdsprachen für die Erziehung des Individuums nicht prinzipiell, sondern lediglich psychologisch-funktional zu bestimmen suchte, so daß die Bedeutung der Erlernung von Fremdsprachen für den Erziehungsprozeß überhaupt wesentlich unerörtert blieb.

Ist somit das neue, von der Reformbewegung repräsentierte Verständnis der neusprachlichen Bildung formal dahingehend zu bestimmen, daß die didaktische Besinnung in die Kompetenz der Fachleute übergeht, so sind im folgenden diejenigen Faktoren zusammenfassend darzustellen, die dieses Verständnis inhaltlich ausmachen.

In den Auffassungen der Reformer läßt sich eine Tendenz zur Gegenwart nachweisen. Sie kommt einmal in der Forderung zum Ausdruck, das gegenwärtige Leben des fremden Landes und moderne Literatur zu Inhalten des neusprachlichen Unterrichts zu machen, Historie und klassische Werke hingegen wie auch Literaturgeschichte, in geringerem Umfang zu berücksichtigen. Für die Sprache gilt entsprechend: sprach- und lautgeschichtliche Betrachtungen, die, bedingt von der anfänglichen Forschungsrichtung der Neuphilologie, in den Unterricht aufgenommen worden waren, sollten durch systematische Betrachtung des aktuellen Sprachgebrauchs (Phonetik, Synonymik, Syntax) teilweise abgelöst, mindestens aber ergänzt werden. In dieser als Tendenz zur Gegenwart bezeichneten didaktischen Neuorientierung gewinnen das Prinzip der Weltläufigkeit und der Verkehrsaspekt, welche für die Anfänge des neusprachlichen Unterrichts kennzeichnend waren, neue Geltung.

Zweitens tritt eine Tendenz zur Vielseitigkeit in der neusprachlichen Reform hervor. Sie ist einmal an der Erweiterung des Kanons durch landeskundliche Beiträge (Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Technik, Verkehr, Wissenschaft) feststellbar, zum anderen daran, daß zur klassischen die moderne Literatur des fremden Landes hinzutrat, so daß das Angebot von Unterrichtsinhalten zu enzyklopädischer Breite anwuchs. Auch die Sprache selbst wurde mannigfaltiger betrachtet: Laut und Schrift, Umgangssprache und literarischer Stil, Synonymik und Phonetik fanden nunmehr gleiche Berücksichtigung, ohne daß die bisherigen Gebiete, z. B. Sprachgeschichte unberücksichtigt geblieben wären. Die Reformer glaubten die Einbeziehung weiterer Inhalte zeitlich dadurch bewältigen zu können, daß die direkte Methode für die Inhalte freisetzte, so daß es nicht erforderlich war, mehrere Jahre daran zu verwenden, allein die Sprache zu erlernen, ohne Gehalten zu begegnen, wie dies beim grammatikalischen Verfahren der Fall war.

Pädagogisch ist diese Tendenz zur Vielseitigkeit insofern von Bedeutung, als auf diese Weise dem Schüler mehrere Möglichkeiten des Einstiegs in die lebenden Sprachen eröffnet wurden; zum anderen wurden im Unterricht verschiedene Interessen, verschiedene psychische Funktionen angesprochen, so daß z. B. im Unterschied zur vorreformerischen Unterrichtswirklichkeit diejenigen Schüler, welche dem einseitig rationalen, konstruktiven Unterrichtsverfahren nicht aufgeschlossen waren, möglicherweise auf dem Wege des direkten Umgangs mit der Sprache erreicht werden konnten.

Die Gefahr, welche in diesem Hang zur enzyklopädischen Breite lag, bestand einmal in einer Aufsplitterung des Interesses auf zu viele verschiedenartige Gegenstände, zum anderen darin, daß keine eigentlichen Kriterien für den bildenden Wert gegeben werden konnten, wie etwa das ringen um die Kanonfrage zeigte. Weiter bestand nur geringe Möglichkeit, die unter dem Stichwort Auslandskunde zusammengefaßten Fakten anders als in Form von Wissensinhalten zu vermitteln, die nur eindimensional aneinandergereiht, nicht aber intensiv erschlossen werden konnten, dies nicht zuletzt deswegen, weil der Neuphilologe nicht jene Zuständigkeit besitzen konnte, die es ihm ermöglicht hätte, auslandskundliche Gehalte wie z. B. Kunst und Wirtschaft sachgerecht darzubieten und aufzuschließen. Diese Bedenken, die besonders von den Neuphilologen der Universität vorgetragen wurden, stellen zugleich einen Ansatz zum späteren Verständnis des kulturkundlichen Prinzips im neusprachlichen Unterricht dar.

Ein drittes Merkmal der neusprachlichen Reform zeigt sich darin, daß sie eine innere Dynamik der neusprachlichen Bildung hervorkehrte. Nicht das erkannte Sprachgesetz, sondern das sprechende Subjekt wurde als Mittelpunkt des Unterrichts betrachtet; nicht die Beherrschung eines klassischen Kanons von Bildungsgehalten, sondern die Vorbereitung auf späteren Völkerverkehr war das Ziel. Möglichkeiten, die sich schon im Bereich der Schule anboten, um diese Verlebendigung zu erreichen, zeigten die Reformer auf, so den Schülerbriefwechsel und die Aufführung dramatischer Szenen in fremder Sprache. Auch sollte die freie Aufgabenstellung dazu beitragen, den Unterricht aus seiner Starre und Gleichförmigkeit zu lösen und jenem Prinzip der Lebendigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Schließlich stellte die direkte Methode selbst schon einen Appell an die Funktionslust und Ausdrucksfreude des Zöglings dar, so daß jene aktivistische Grundstimmung, die den Reformunterricht kennzeichnete, erzeugt werden konnte.

Die Bedenken, welche gegen den dynamischen Stil des neusprachlichen Reformunterrichts vorgebracht wurden, gingen einmal davon aus, daß Systematik und sachliche Zucht vernachlässigt würden, zum anderen sahen sie in dieser Unterrichtsform eine Überforderung des Lehrers.

Einheitsstiftendes Moment und sichtbarer Ausdruck der genannten drei Tendenzen war zwar die neue Methode; dennoch ließ sich aus den im vorangegangenen Abschnitt zitierten Stimmen entnehmen, daß es sich bei dem Verständnis, das die Reform von der neusprachlichen Bildung entwickelte, keineswegs um einen Formalismus neuer Art handelte, der in der perfekten Sprachbeherrschung sein Ziel gefunden hätte; vielmehr ließ sich bei den führenden Vertretern der Reform, aber auch in den Wiener Thesen nachweisen, daß jene Sprachbeherrschung als unabdingbare Voraussetzung betrachtet wurde, um die Gehalte zu erschließen. In dieser Einsicht und in ihrer wissenschaftlichen Begründung liegt der eigentliche Ertrag der neusprachlichen Reformbewegung für die didaktische Grundlegung des Unterrichts.

Zwei wesentliche Punkte wurden jedoch in den Auseinandersetzungen um die neue Methode nicht erörtert: dies ist einmal die Frage, in welch spezifischer Weise das Kind durch die Begegnung mit lebenden Sprachen und fremden Kulturbereichen bildende Einwirkungen erfährt, die jenseits bloßer (physischer und psychischer) Funktionsschulung liegen, die aber auch elementarer sind als bloße Vorbereitung auf eine bestimmte Lebenssituation. Zweitens konnte die Reform keine gültigen Prinzipien für die Auswahl der Gehalte liefern, sondern mußte eben dadurch, daß sie auf den Verkehr mit dem fremden Land in inhaltlicher Vollständigkeit vorzubereiten suchte, die Lösung in der enzyklopädischen Breite finden.

2. Das kulturkundliche Prinzip im neusprachlichen Unterricht

Der erste Weltkrieg mußte für diejenigen Neuphilologen, die den Sinn ihres Unterrichts im künftigen Verkehr mit dem Ausland sahen und diesen als Beitrag zur Völkerverständigung betrachteten, tiefe Enttäuschung hervorrufen. Gerade die Reformer hatten darin das Ziel ihrer Bemühungen gesehen. W. Viëtor hat unter dieser Entwicklung persönlich gelitten , und noch im Kriegsjahr 1917 gab P. Olbrich die 3. Auflage von Max Walters Methodik heraus , die mit den Worten schließt:

"So können wir Lehrer der neueren Sprachen bei dieser Einwirkung auf die Jugend, die wir durch das Studium de Literatur und Kultur der fremden Völker mit diesen bekannt und vertraut machen, auch wohl unsererseits ein wenig dazu beitragen, manches Mißverständnis und manchen Argwohn zwischen den einzelnen Völkern zu beseitigen und sie so einander näher zu bringen."

Olbrichs Nachwort zu dieser Neuauflage ist repräsentativ für die Stimmung vieler Neusprachler und enthält zugleich Hinweise auf die künftige didaktische Grundlegung der neusprachlichen Bildung. Er gibt der Befürchtung Ausdruck, daß der durch den Krieg erzeugte Haß zu der Frage berechtigt, "wo und wann ... jemals wieder ein unmittelbarer Verkehr zwischen uns und jenen einsetzen können" wird; es erscheint ihm auch fraglich, ob Lehreraustausch und Schülerbriefwechsel so bald nach dem Kriege neu aufleben könnten, doch hofft er, daß "Der Zwang der Tatsachen in der Zukunft, die Notwendigkeit des Zusammenlebens der Weltvölker auf so engem Raume ... uns ganz von selbst unser Verhalten vorschreiben und nach Liebe und Haß nicht fragen" werde. Dies ist ein Hinweis darauf, daß er den Verkehrsgedanken grundsätzlich beibehält, wenn er auch die künftigen Hindernisse sieht. Andererseits deutet er einen Ausweg aus künftigen Schwierigkeiten an, indem er einen Rückgriff auf klassische Werke vorschlägt:

"Wir werden bei dem Studium des fremden Volkes wieder mehr in die Tiefe und weniger in die oberflächliche Breite gehen. Aber es gibt ja noch Quellen, die lauter und rein fließen, Werke, die das große Ringen und Suchen des Menschengeistes, des zeitlosen, der über allen völkischen Zufälligkeiten steht, unsrer aufhorchenden Jugend enthüllen, Dichter, die den Menschheitsgedanken in der Tiefe ihrer Seele bergen, um ihm Form zu geben, Erzeugnisse, die der abgeklärte Spiegel vergangener Zeiten sind und uns ihre Lehren künden, Kunstwerke, deren unvergängliche Schönheiten die Sinne des Geniessenden läutern, und veredeln. Sollte je das reine Licht, das aus den Schöpfungen leuchtet, auf unsern Schulen durch materialistische Nützlichkeitserwägungen verdunkelt worden sein, so möge es jetzt um so heller strahlen und uns die Heimkehr in die Menschlichkeit nach der Seelenqual des Krieges erleichtern."

Diese Stelle ist ausführlich wiedergegeben, weil sie beispielhaft ist für die Tendenz zum Klassischen, die in der Geschichte des neusprachlichen Unterrichts bereits hervorgetreten war. Das überzeitliche Kunstwerk in fremder Sprache als gültige Prägung menschlichen Geistes jenseits aller völkischen Zufälligkeiten, d. h. gerade nicht als Niederschlag des fremden Volksgeistes, wird zum Gegenstand der Bildung erhoben, der der Läuterung und Veredelung dient. Damit ist auf eine bestimmte Seite des humanistischen Bildungsdenkens verwiesen.

Im ähnlichen Sinne äußerte sich W. Tappert , der ebenfalls das Kriegserlebnis dafür verantwortlich machte, daß vielen neuphilologischen Lehrern die fremde Sprache nur noch schwer über die Zunge gehe, und daß ferner das völkische Selbstgefühl auch nach dem Kriege Beschränkung im Verkehr mit dem feindlichen Ausland fordere. Der neusprachliche Unterricht müsse sich daher dem Umfang und dem Verfahren nach auf diese neue Lage einstellen und "einen gehaltvollen, erziehlich und ästhetisch bildenden Stoff" dem Schüler zum Verständnis bringen. Die weiteren Gedanken Tapperts führen dann vom Prinzip des Klassischen ab und weisen auf kulturkundliche Gesichtspunkte bei der Lektüreauswahl hin, die an späterer Stelle wieder aufgegriffen werden sollen. In zwei weiteren Aufsätzen, ebenfalls aus dem Jahre 1917, forderten W. Klatt und O. Rübmann , gegenüber den Sprechübungen und der Realienkunde, wie sie die Reform gepflegt hatten, eine stärkere Berücksichtigung der gehaltvollen Lektüre.

War unter den Bedingungen des unterbrochenen Verkehrs mit dem Ausland der Rückgriff auf das Prinzip des Klassischen ein Versuch einer Neubesinnung, so bildete das Argument der formalen Bildung eine andere Alternative. Ein Aufleben dieses Gedankens war jedoch nicht in nennenswertem Umfang zu verzeichnen; er war von der Reform zu gründlich widerlegt worden. Lediglich O. Lohmann war der Meinung, daß das Französische auch nach dem Kriege Berechtigung habe, und zwar

"weniger ... aus praktischen Gründen ... als aus pädagogischen Gründen, und zwar aus formalen Gründen, besonders wegen der Wertschätzung der französischen Grammatik, der von vielen Seiten eine Bedeutung beigelegt wird, wie sie die lateinische für die Gymnasien besitzt."

Sowohl der Rückgriff auf die klassischen Werke als auch auf das Prinzip der formalen Bildung ist nicht zuletzt als Abwehr derjenigen Stimmen zu werten, die auf eine Abschaffung oder starke Beschränkung des neusprachlichen Unterrichts drängten, z. T. mit dem im Freund-Feind-Denken verwurzelten Hinweis, daß es der deutschen Jugend nicht zuzumuten sei, die Sprache des Feindes zu lernen. Einen Überblick über jene weit verbreiteten Ansichten gibt Th. Schöningh , der seinerseits neben Spranger , Borbein , Schücking , Tappert u. a. einer der ersten war, die aus der Kriegssituation heraus zur entgegengesetzten Konsequenz gelangten und eine Erweiterung der Auslandsstudien befürworteten . Da der Krieg sowohl als Kampf um die Absatzmärkte wie auch als Verhängnis, bewirkt durch die gegenseitige Unkenntnis der Völker , verstanden wurde, gelangten die Forderungen der Neuphilologen nach erweiterten Auslandsstudien unter verschiedenartigen Gesichtspunkten in die Öffentlichkeit.

Erste Ansätze bei der realienkundlichen Darstellung des Wissens vom Ausland einen bestimmten Zusammenhang zu wahren, fanden sich bereits vor dem ersten Weltkrieg ; sie entfalteten sich jedoch erst von 1916 ab in stärkerem Maße. Als ausführlichste Darstellung der als Folge des Krieges veränderten Grundauffassung von der neusprachlichen Bildung in der angegebenen Richtung ist die Schrift von H. Borbein zu nennen .Der Verfasser bekannte sich zum neusprachlichen Unterricht trotz Kriegssituation, war jedoch der Meinung, "daß der neusprachliche Unterricht nach dem Kriege nicht in demselben Geiste erteilt werden darf wie vorher" , sondern, "daß wir uns um unserer selbst willen gründlich mit den großen Kulturvölkern befassen müssen" . Der Glaube an die Völkerverständigung, der den Unterricht in der Vorkriegszeit getragen habe, sei erschüttert. "Die Liebe zum Auslande und die Neigung, uns nach ihm zu richten, ist zwar ins Wanken geraten, aber dafür hat sich unser Gesichtskreis erweitert, und unser Drang, die Beschäftigung mit ausländischen Dingen als Mittel (!) für unsere nationalen Zwecke zu benutzen, ist verstärkt worden." Das bedinge auch, daß statt des wissenschaftlichen und ästhetischen Interesses am Ausland nunmehr reale Werte, vor allem die Wirtschaft, im Vordergrund zu stehen haben. Für den neusprachlichen Unterricht als einen Ort der Auslandskunde ergebe sich daher nach dem Kriege, durch den die gefühlsmäßige Abneigung gegen die Feindmächte auf die Unterrichtsfächer Französisch und Englisch übertragen worden seien, daß "das Interesse an dem Bestand und der Weiterbildung unserer vaterländischen Kultur" künftig der tragende Gedanke sein müsse. Deutschlands Kulturmission in der Welt verlange zudem eine intensive Beschäftigung mit dem Ausland, wozu selbstverständlich die Beherrschung der fremden Sprache gehöre, da nur sie "das Eindringen in den Genius des fremden Volkes" ermögliche.

Selbstschutz, Wettbewerbsdenken und Ausdehnungsdrang waren während des Weltkrieges die am häufigsten auftretenden Begründungen für erweiterte Auslandsstudien auch im neusprachlichen Unterricht, daneben gewann der Gedanke der Selbsterhellung an Raum. Noch eingehender als Borbeit arbeitete E. Spranger in seiner Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien den zeit- und bildungspolitischen sowie den geistesgeschichtlichen Zusammenhang jener Strömung heraus. In der Einleitung seiner Denkschrift, der für jenes Vorstadium der Kulturkunde exemplarischer Wert zugesprochen werden muß, stellte Spranger fest, daß das Kriegserlebnis zu zwei gegensätzlichen Auffassungen im Bildungsleben geführt habe: eine verlange stärkere Besinnung auf das eigene deutsche Wesen, die andere, zu der er sich selbst bekenne, wirke auf engere Bekanntschaft mit anderen Völkern hin. Da die Struktur der gegenwärtigen Epoche auf weltweiten Verkehr ausgerichtet sei, sei in Deutschland

"nachzuholen, was wir bisher überhaupt noch nicht gehabt haben: eine Erziehung des Volkes zum Verkehr mit anderen Völkern. Dieser Verkehr beruhte bisher auf dem autodidaktischen Instinkt von Unternehmern, Kaufleuten und Reisenden mit privater Verantwortung: Eine Auslandsbildung hat es in Deutschland im 19. Jahrhundert noch nicht gegeben, weder eine kontinentale noch eine planetarische. Wir haben England, Frankreich und Rußland im strengen Sinn so wenig gekannt wie Amerika, Japan und die überseeischen Kolonialländer."

Dieser Mangel an Auslandbildung sei letztlich ein Mangel der politischen Volkserziehung. Die neusprachlichen Reformer, namentlich Viëtor, hätten eine Überwindung dieses Zustands angebahnt; und ihre Bemühungen könnten als Symptom dafür gelten, daß die Wissenschaft sich der lebenden Kultur zuzuwenden beginne. Die Zeitlage dränge darauf, diesen Weg fortzuführen, was für das Auslandsstudium eine doppelte Konsequenz berge: es muß von der einseitigen Herrschaft des philologischen Gesichtspunktes befreit werden, trotzdem aber wissenschaftlich bleiben.

Nun sei zwar der natürliche Weg, Auslandsstudien zu treiben, das Reisen, doch bestehe hierbei die Gefahr, daß Einzelerfahrung verallgemeinert werde, und daß bei der anschließenden Wiedergabe isolierte Einzeltatsachen in den Blick gerückt würden. Deshalb müsse man, um der Zersplitterung zu entgehen, "vom gelegentlichen Verfahren zu einem ganz systematischen" übergehen. Der Kulturtheorie entsprechend könne dies aber nur dadurch verwirklicht werden, daß man Auslandsinstitute als Kulturinstitute einrichtet:

"Es gibt kein Auslandsstudium, sondern nur Studium einer singulären fremden Kultur. Dadurch gerade unterscheidet sich das Studium von der rohen, ungeschulten Erfahrung, daß es das einzelne nach seinem genetischen Ursprung und seinem strukturellen Zusammenhang als ein innerlich Notwendiges, als eine geprägte Form oder einen Charakter zu begreifen sucht, während der bloße Empiriker Tatsachen an Tatsachen reiht, Merkwürdigkeiten zu berichten weiß und ein Sammler (an Stelle eines Forschers) bleibt."

Der Natur des Verstehens gemäß habe man daher von der unteilbaren Ganzheit einer Kultur auszugehen, so daß der historische, der geographische und der soziologische Aspekt gleichermaßen berücksichtigt würden, denn "Alle Kulturgebiete sind wechselseitig Funktionen voneinander" . In diesem Sinne seien die Hauptrichtungen der Kultur, Staat, Wirtschaft, Religion, Kunst, Wissenschaft, Gesellschaft zu verstehen und zu lehren. Daraus erwachse der Neuphilologie eine neue Aufgabe: "Unerläßlich ist ... die Ausdehnung des neuphilologischen Universitätsstudiums zu einem Auslandsstudium mit lebendigen kulturellen Tendenzen" .

Die zitierte Denkschrift stellt im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit in zweifacher Hinsicht ein Bindeglied zwischen den Bestrebungen der neusprachlichen Reform und der späteren Kulturkundebewegung dar: Einmal erkannte Spranger die Bedeutung des direkten Verkehrs als Voraussetzung für die Auslandskunde weiterhin an, stellte aber gleichzeitig die Notwendigkeit heraus, die im Verkehr gewonnene Erfahrung in typisierende Einsichten umzuformen und sie so zu systematisieren. Zweitens erkannte er, wie die Reformer, eine Tendenz auf die Gegenwart an und verwarf wie diese die philologisch-historische Methode zum Verständnis des fremden Landes; er wollte dabei Wissenschaftlichkeit gewahrt wissen und mehr erreichen als bloße Realienkunde; den Weg hierzu suchte er in der Anwendung des von Dilthey übernommenen Strukturbegriffs und einer an Dilthey geschulten Theorie des Verstehens. Durch sie glaubte er zu typischen Einsichten in den Zusammenhang einer fremden Kultur zu gelangen, die dann zu Voraussetzungen für ein sinnvolles Verhalten gegenüber dem Ausland werden sollten.

Mit der so veränderten Konzeption der Auslandsstudien nahm Spranger ein wichtiges Prinzip der späteren Kulturkundebewegung vorweg. Es muß jedoch betont werden, daß er das Schwergewicht auf die objektive Seite der Kultur legte und darauf verzichtete, eine in diesem Struktur- und Wirkungszusammenhang waltende Volksseele zu suchen oder jene Objektivationen auf nationale Charaktereigenschaften der in diesem Bereich lebenden Individuen zurückzuführen. Dieses zweite Kennzeichen der Kulturkundebewegung ist offensichtlich anderen Ursprungs.

Dieses Bemühen, Angehörigen bestimmter Nationen bestimmte nationale Charakterzüge zuzuordnen, beruht auf einer Tradition, die seit der Antike ungebrochen ist . Der geschichtliche Zusammenhang, in dem dieses Interesse an fremden Völkern und Nationen jeweils auftritt, schlägt sich dann in einer bestimmten (völkerkundlichen und völkerpsychologischen) Konzeption nieder. Als Beispiel für ein solches Verhältnis wurde an früherer Stelle der Volksbegriff Herders erwähnt. Die Situation des ersten Weltkrieges bot in besonderer Weise Anlaß, die Prägung nationaler Stereotypen neu zu beleben, alte Vorstellungen von dem Franzosen, dem Engländer usw. aufzufrischen, zu modifizieren und sie dem Bild, das man vom eigenen Nationalcharakter hatte, gegenüberzustellen. Die Aufnahme dieses Gedankens war der Entstehung nach nicht identisch mit den Forderungen nach erweiterten Auslandsstudien; sie stellte vielmehr eine relativ selbständige Strömung dar, die später in die eigentliche Kulturkundebewegung einging, und verdient daher gesonderte Erwähnung.

Unter den Neuphilologen, die nationale Stereotypen aufzuweisen suchten, nahm E. Wechssler eine Sonderstellung ein, nicht zuletzt deshalb, weil er im Vergleich zu den anderen Vertretern der Kulturkunde schon früh hervortrat. In einer Schrift, die mehrere Vorträge an der Westfront vereint unternahm es der Verfasser, "in kritischer Gegenüberstellung französischer und deutscher Kultur seine deutsche Gesinnung zu bekennen" . Mit dieser Zielsetzung ist bereits angedeutet, wie wenig Spielraum für eine kritische Erörterung verblieb. Wechssler stellte einen tiefgreifenden Unterschied von Deutschtum und Franzosentum fest, den er auf die verschiedene geographische Lage und die unterschiedliche geschichtliche Entwicklung beider Völker zurückführte. Als wichtigste Antithesen, in denen er den Unterschied der deutschen und französischen Lebensformen zu fassen suchte, traten auf: Zivilisation - Kultur; Gesittung - Bildung; Geselligkeit - Einsamkeit; Rhetorik - Poesie; schicklich - sittlich; städtisch - ländlich; gefällig - gründlich. Es muß an dieser Stelle darauf verzichtet werden, die inhaltliche Kritik dieser Antithesen zu leisten. Es kann auch nicht die Frage erörtert werden, wie weit es sich bei diesen Nationaleigenschaften um überall vorkommende menschliche Grundhaltungen handelt, die Wechssler um Wertkonflikte innerhalb eines Kultursystems zu umgehen, auf verschiedene Kulturkreise projizierte. An Hand eines charakteristischen Zitats soll vielmehr die Grundrichtung der Schrift veranschaulicht werden, in der geschichtliche Tatsachen mit Behauptungen, Beobachtungen mit Deutungen bunt gemischt vorkommen:

"Der Franzose schätzt und wertet die Welt ringsum und das Weltall mit anderen Augen als wir. Ohne es sich jemals einzugestehen und ohne einen Beweis dafür zu versuchen, betrachtet er sich und seine Nation als den Mittelpunkt der ganzen Welt und Natur. Stillschweigend setzt er voraus, daß dieses alles da sei, um ihm selbst zur Erhöhung und zum Genuß seines Lebens zu dienen ... Selbstbewußt glaubt er an die geistigen Kräfte in der eigenen Brust, aber er scheut davor zurück, sich mit denen des All ernstlich auseinanderzusetzen. ...

Der echte Deutsche dagegen, so können wir ohne Voreingenommenheit sagen, ist gläubig im tiefsten Grund seines Wesens. Ob er seine Andacht in einer christlichen Kirche oder im grünen Hochwald, vor einem erhabenen Kunstwerk oder in philosophischer Weltbetrachtung abzuhalten gewohnt ist; immer wieder zieht ihn die Sehnsucht seiner Seele zur Heiligung seines irdischen Seins in einem Geistigen, das weltüberlegen und zeitüberlegen in alle Ewigkeit wirkt."

Gegenüberstellungen dieser Art sind jedoch nur Vorstufe zu der Forderung, das eigene Wesen in der Erkenntnis dieses Unterschieds zur Reinheit und Reife zu bringen; dazu "ist nötig, daß wir das tödliche Fremdgift aus unserem Volkskörper ausstoßen"; dazu gehört ferner, daß die Ritter der reinen Geistigkeit wie auch die Agenten eines wirtschaftlichen, bloße Geldwerte schaffenden Deutschlands erkennen, daß beides zusammengehört: "das kaiserliche Reich und die geistige Macht, Rohstoffe für unsere Industrie und die Gedankenkraft schöpferischer Erfinder" . Selbst wenn man die anti-rationalen, antihumanistischen, antidemokratischen und anti-kosmopolitischen Affekte und das dazugehörige Pathos dem Freund-Feind-Denken der Kriegssituation zugute hält, verbleibt der Eindruck, daß von einer Erkenntnis des Volkscharakters, der Wesensart um der Erkenntnis willen nicht die Rede sein kann, sondern daß diese Erkenntnis - sofern sie überhaupt auf die beschriebene Weise gewonnen werden kann - letztlich dem völkisch-nationalistischen Selbstlob untergeordnet wird. Aus dem Kriegszusammenhang und der Propaganda entlassen, wird sich später diese Stereotypenbildung zwar um größere Objektivität bemühen und mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit auftreten , ganz aufzugeben vermochte es diese Anfangsrichtung, wie die Kritik zeigen wird, jedoch nicht.

Neben Wechsslers Arbeiten, der auch in verschiedenen anderen Schriften sich schon während des Weltkrieges darum bemüht hat, den Gegensatz von deutschem und französischem Nationalcharakter herauszustellen , illustriert diese Vorphase der Kulturkundebewegung vor allem ein Aufsatz von O. H. Brandt , in dem sich die neue Sichtweise des fremden Nationalcharakters besonders unverhüllt darstellt. Zugleich weist dieser Aufsatz schon Züge späterer kulturkundlicher Betrachtungsweise von literarischen Werken.

Für Brandt ist die vergleichende Betrachtung von Kriegsliedern ein Mittel, um die Verschiedenheit deutschen und französischen Nationalgeistes zu bestimmen. In diesem Ansatz werden sowohl die Voraussetzungen als auch die Problematik der spezifisch kulturkundlichen Sicht erkennbar. Der Verfasser schickt die Bemerkung voraus: "Rassenhaftes Empfinden ist dort am stärksten zu spüren, wo es sich unmittelbar dem elementaren Fühlen des Volksgeistes entringt" . Diese Prämisse besagt zugleich, daß nicht alle Schöpfungen der fremden Nation in gleicher Weise vom Nationalcharakter geprägt sind, sondern daß - wie die späteren Ausführungen Brandts zeigen - sogar ein gewisser Gegensatz zwischen künstlerischer Form und nationaler Prägung besteht: "So ist es kein Wunder, daß das französische Kriegsgedicht weniger charakteristisch, um vieles farbloser für den französischen Volksgeist ist als das französische Kriegslied" . Für den Verfasser hat die Tatsache "einen besonderen Vorzug, daß es eigentlich lauter unbekannte Namen sind, die diese Lieder geschaffen haben, daß das Vol somit unmittelbar selbst spricht" . Die Frage, warum drittrangige Autoren in direkterem Verhältnis zur Seele des Volkes stehen als bedeutendere, und ob das von ihnen zu Papier Gebrachte mehr Ausdruck ihrer Drittrangigkeit als ein solcher der Volksseele ist, erörtert Brandt nicht. Er kommt vielmehr bald zur Gegenüberstellung des französischen und des deutschen Volksgeistes. Für den letzteren hält er es für kennzeichnend, daß es ein Kriegslied i. e. S. nicht gebe, sondern vertonte Kriegsgedichte. Für diese aber gelte:

"Haß und Roheit lagen unserer Kriegsdichtung fern, und selbst wenn sie sich der Mundart bedient, wahrt sie die Haltung. Das hängt mit unserer Art zusammen. ... die gedankliche Fracht, die in ihnen (den Kriegsgedichten) steckt, ist eher ein Hindernis für die Sangbarkeit, und so ist es kein Wunder, daß die Lieder, die draußen im Schützengraben oder hinter der Front gesunden wurden, in ihrer Mehrzahl mit dem Kriege wenig zu tun haben. ...

Anders verhält es sich mit dem französischen Kriegslied, ich wähle absichtlich diesen Ausdruck. Die französische Psyche ist impulsiver, launenhafter, sprunghafter in ihren Äußerungen als die deutsche, und Erziehung wie Vergangenheit haben eine viel unmittelbarere Ausdrucksfähigkeit auch des einfachen Mannes gepflegt. ...

Nach vieler Richtung hin prägt sich der französische Volksgeist in diesen Liedern, aus einmal nach der Seite der Lebensauffassung, dann nach der des Patriotischen und Ironischen und schließlich nach dem Vulgären."

Schon diese wenigen Ausführungen machen deutlich, daß eine schwer faßbare Größe Volksgeist eingeführt wird, um gattungsbedingte, soziologische, psychologische und traditionale Faktoren zu erklären oder vielmehr eine solche Erklärung zu umgehen. Darüber hinaus scheint die Auswahl der in dem Aufsatz verwendeten Beispiele so getroffen zu sein, daß der zu belegende Nationalcharakter bereits feststand, um von dieser Sicht her dann jene Belegstellen ausgewählt wurden.

Die Neigung, von einem feststehen Bild des Volksgeistes bzw. des Nationalcharakters auszugehen, um dann Beispiele aus Literatur und Geschichte unter diesem Gesichtspunkt auszuwählen oder zu interpretieren, ließ sich bereits bei Wechssler feststellen. Das unkritische und weitgehend kurzschlüssige Verfahren, einen Nationalcharakter dort zu unterstellen, wo andere Begründungen mindestens ebenso gut hinreichten, tritt bei Brandt jedoch noch deutlicher hervor. Beiden Verfassern muß zugute gehalten werden, daß ihre Ausführungen von kriegsbedingten Ressentiments getragen und nicht zur pädagogischen Nutzanwendung gedacht waren; dieser Grund jedoch entfällt bei manchem der späteren Kulturkundler, die in gleicher Weise verfuhren und dies für das pädagogische Gebotene erachteten.

So läßt sich feststellen, daß die Forderung nach einer Erkenntnis des fremden Nationalcharakters ebenso wie die Forderung nach erweiterten Auslandsstudien ihren eigentlichen Ursprung außerhalb der Schule und der pädagogischen Reflexion hatten. Zu Hauptquellen des kulturkundlichen Prinzips im neusprachlichen Unterricht wurden beide Forderungen erst nach ihrer Rezeption in den Hallenser Leitsätzen von 1920 .

An der Diskussion und der Formulierung der Leitsätze waren, dies unterstreicht das oben Gesagte, in der Hauptsache die Neuphilologen der Universität beteiligt, und zwar neben Förster, Wechssler und Dibelius als Fürsprechern eines kulturkundlich ausgerichteten Unterrichts, Voretzsch und Klemperer als Gegner. Klemperer warnte besonders davor, das Politische und Wirtschaftliche über das Wissenschaftliche zu stellen und Voretzsch wandte ein, daß man von der Neuphilologie nicht verlangen könne, von der vorwiegend ästhetisch-literarhistorischen zur kulturhistorischen Einstellung überzugehen. Trotz ihres Widerspruchs, vorwiegend mit Argumenten aus wissenschaftlicher Sicht, kam es zur Verabschiedung der folgenden Leitsätze, die für die weitere Entwicklung der neuphilologischen Kulturkunde an Schule und Universität richtungsweisend wurden:

"I. Leitsätze über die durch den Krieg geschaffene allgemeine Lage der neusprachlichen Wissenschaft in Deutschland.

1. Die Erfahrungen während des Weltkrieges haben gezeigt, daß die deutsche Neuphilologie mehr als bisher zur kulturhistorischen Einstellung überzugehen und insonderheit auch die Geschichte sowie die geistigen, wirtschaftlichen und politischen Bestrebungen der Fremdvölker zu beachten hat. Dabei sind die Kulturverhältnisse des 19. und 20. Jahrhunderts stark zu betonen, aber nicht als schlechthin gegebene, sondern als Produkte einer historischen Evolution zu erfassen.

2. Da der Kriegsausgang den angelsächsischen Staaten England und Amerika eine ausgesprochene wirtschaftliche Vormachtstellung in der ganzen Welt auf lange Zeit gesichert hat, ist auch für das deutsche Volk von allen Fremdkulturen die englisch-amerikanische die wichtigste geworden.

3. Eine Erweiterung der neuphilologischen Studien ist in der Weise zu erstreben, daß auch den Kulturverhältnissen in Italien, Spanien, Latein-Amerika, in den englischen Kolonien und den Vereinigten Staaten von Amerika und endlich in unseren östlichen Nachbarstaaten, vor allem Rußland, größere Aufmerksamkeit als bisher zugewendet wird."

Teil II der Leitsätze beschäftigte sich mit der Vor- und Weiterbildung der Neuphilologen, für die landeskundliche Übungen gefordert wurden und für die eine Einbeziehung der Nachbardisziplinen (Geschichte, Kunstgeschichte, Erdkunde, Staatswissenschaften) in das Studium gewünscht wurde.

"III. Leitsätze über die Stellung des neusprachlichen Unterrichts in der Schule.

1. Der A. D. N.-V. hält es für unbedingt erforderlich, an der Reform des deutschen Schulwesens mitzuarbeiten. Zwar sind als allgemeine Richtlinien auch fernerhin die bisherigen Ziele des neusprachlichen Unterrichts zu beachten, nämlich

a) als allgemeine Ziele

aa) Verständnis der Kultur und des Geisteslebens der großen Kulturvölker der Gegenwart und damit Förderung des Verständnisses der eigenen Kulturentwicklung und des eigenen Volkscharakters,

bb) geistige Schulung,

cc) sittlich-ästhetische Bildung,

b) als besondere Ziele im Rahmen des Faches: Verständnis wertvoller Literaturwerke, Verstehen des gesprochenen Wortes, ausreichende Fähigkeit zu mündlichem und schriftlichem Gedankenausdruck, gründliche lautliche und grammatische Schulung.

2. Vom nationale Standpunkt aus ist zwar eine Verstärkung des Deutschen - besonders im Hinblick auf die früheren Lehrpläne - für manche Schularten und Länder noch erwünscht, doch darf sie nicht durch Benachteiligung der neusprachlichen Fächer erfolgen, da gerade diese eine innere Stärkung des Deutschen in sich schließen und durch eine Einschränkung der neueren Sprachen so mittelbar eine Schädigung des Deutschen eintreten würde, auch sonst die Forderungen der Gegenwart eine Einschränkung des neusprachlichen Unterrichts nicht zulassen."

Vergleicht man den I. und III. Teil der Leitsätze, so fällt auf, daß die aus der Kriegssituation hervorgegangenen Grundsätze kulturkundlicher Betrachtung für die Universität deutlicher herausgestellt wurden als für die Schule, wo geistige Schulung und sittlich-ästhetische Bildung gleichberechtigt neben Verständnis der fremden und eigenen Kultur standen. In beiden Teilen wurde jedoch die Begründung der kulturkundlichen Forderung in Hinblick auf die Erfahrungen des Weltkrieges bzw. die letzten Jahre geführt, was in Einklang steht mit dem bisherigen Ergebnis dieses Abschnitts.

Die dritte und wohl wichtigste Quelle, aus der die Kulturkunde und damit auch das kulturkundliche Prinzip im neusprachlichen Unterricht gespeist wurde, war, wie an bestimmten Formulierungen der Leitsätze, aber auch der Sprangerschen Denkschrift erkennbar ist, der Einfluß des geisteswissenschaftlichen Denkens.

Bereits in der oben erwähnten Denkschrift hatte E. Spranger Ansätze einer geisteswissenschaftlichen Begründung der Auslandsstudien gegeben. Eine erste Überschau der geisteswissenschaftlichen Strömungen, die den Hintergrund des kulturkundlichen Unterrichts bildeten, findet sich in einem Vortrag, den Spranger 1921 auf der 53. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Jena gehalten hat . Der Redner brachte auf dieser Versammlung die geisteswissenschaftliche Basis des neuen Bildungsprinzips weiten Kreisen der Philologenschaft zum Bewußtsein und wirkte so auf die Kulturkundebewegung anregend nach Grad und Richtung, was u. a. daraus hervorgeht, daß sich in der Folgezeit auch kulturkundlich orientierte Neuphilologen auf diesen Vortrag beriefen, so Hübner , Roeder und Grabert/Hartig . Aus diesem Grunde scheint es geboten, auf die darin enthaltenen Grundgedanken näher einzugehen.

Unter den Repräsentanten der Geisteswissenschaften, die Spranger anführte, nahmen Spentler, Dilthey und Max Weber eine besondere Stellung ein; der Reihenfolge im Vortrag entsprechend seien zunächst die Leitideen des Spenglerschen Werkes , die Spranger hervorhob, dargestellt. Dies ist die von Spengler aufgewiesene Gesetzlichkeit,"

"daß Kulturen, genau so wie Naturorganismen, eine innere Struktur und Entwicklungsgesetzlichkeit besitzen, von denen aus ihr Leben, Sein und Sterben zu verstehen ist. Die eigentümliche Geistesart, die sich in einer Kultur auswirkt, führt Spengler auf eine eigentümliche Seele zurück, die freilich von ihm ins Metaphysische projiziert wird und fast die Rolle eines mystischen Prinzips spielt. Das Leben dieser Kulturseelen aber sucht er untereinander zu vergleichen und auf typische Entwicklungsstadien zu bringen."

Dieser in der Form biologischer Analogien niedergelegten Betrachtungsweise geschichtlicher Verhältnisse, die sich auch bei Jakob Burkhardt, Lamprecht und Wundt fänden, stehe ein Hindernis gegenüber,

"die Tatsache des objektiven Geistes, d. h. eines Inbegriffs von Seelenerzeugnissen, die sich von der Einzelseele weitgehend losgelöst haben und ein geschichtliches Leben für sich führen. Sie überdauern die Einzelseele, umfangen sie mit ihrer rückwirkenden Macht und lösen in ihr solange sie wahrhaft lebendig sind - Werterlebnisse aus, wie sie selbst ursprünglich von einem Willen zum Wert geschaffen worden sind."

Eine Zusammenschau der Probleme des subjektiven und des objektiven Geistes werde durch die geisteswissenschaftliche Strukturlehre Diltheys möglich. In ihr, wie in den Arbeiten von Schmoller, Windelband, Rickert, Münsterberg, Wieser, Max Weber, Wölfflin und Hintze komme ein Gesamtbild der geisteswissenschaftlichen Lage zum Ausdruck.

"dessen charakteristisches Merkmal man mit einem Worte Strukturforschung aussprechen könnte. Denn überall handelt es sich um die Aufgabe, entweder ruhende Strukturen von geistigen Personen und Kulturgebieten festzustellen, oder in Entwicklung befindliche Strukturen von gewissen Entwicklungsgesetzen aus zu begreifen."

Aus der neuen Einsicht, daß "das, was man früher Menschheit nannte, das Menschentum ... sich in eine Fülle von Bildungen" spaltet, ergeben sich einmal Konsequenzen für die Betrachtung der Einzelseele ; für das kulturkundliche Prinzip ist jedoch eine zweite Gruppe von Folgerungen wirksam:

Der große Strukturzusammenhang einer historischen Kultur gliedert sich für unsere wissenschaftliche Analyse in Staat, Gesellschaft und Recht, in Wissenschaft, Wirtschaft und Technik, in Kunst und Religion. Jedes dieser Gebiete hat seine immanente Struktur, die in abstrakter Darstellung herausgehoben werden kann."

Als diejenige geisteswissenschaftliche Methode, mit der sich Strukturen sowohl der Einzelseele als auch der geistigen Objektivationen, d. h. überindividuelle, kulturelle Strukturen erfassen lassen, bezeichnet Spranger im Anschluß an Dilthey das Verstehen, d. h. "die Deutung geistiger Erscheinungen durch Zurückführung auf sinnvolle Verknüpfungen, d. h. Wertrelationen" . Da jedoch das auffassende Bewußtsein bereits werthaft strukturiert sei, bestehe bei dieser Methode stets die Gefahr, daß der Verstehende sein eigene Innenleben den Gegenständen seiner Interpretation unterschiebt; es sei daher die Aufgabe der Geisteswissenschaft, ein geklärtes Strukturbewußtsein zu entwickeln, damit es dem Auffassenden möglich werde, sich auf die allgemeine Sinnrichtung, die sein Gegenstand fordert, einzustellen. Für die Gestaltung der geisteswissenschaftlichen Unterrichtsfächer liege daher in der planmäßigen Entwicklung der Kategorien und Kräfte des Verstehens eine Möglichkeit formaler Bildung, "das inhaltliche, geistige Verstehen von Persönlichkeiten und Kulturobjektivationen" . Gelegenheit dazu biete der klassische, neusprachliche und historische Unterricht reichlich. Spranger glaubt jedoch nicht, daß sich dieses Verstehen automatisch einstellt,

"nachdem die Schwierigkeiten des sprachlichen Verstehens überwunden (sind); sondern dann fängt der eigentliche Bildungsprozeß erst an. Der Bildungswert der Übung im sprachlichen Verstehen liegt unmittelbar nur auf logischem, genauer auf sprachlogischem und auf sprachpsychologischem Gebiet. Der Bildungswert der Geschichte - der alten und neuen - wie der Literaturen - der alten und neuen - liegt aber zuletzt in den inhaltlichen geistigen Zusammenhängen, die sie vermitteln, im Leben der Kunst, des Staates, der Religion, der Wirtschaft. Am sprachlichen Verstehen formt sich der Denker, der Gelehrte, der künftige Philologe; am inhaltlichen Verstehen außerdem noch der ganze Mensch. Denn im Verstehen weitet sich der Geist aus und wird sich seiner eigenen Maße und Gesetze bewußt. Und bis zu diesem Punkte wollen wir doch mit unseren humanistischen Bildungsmitteln, wo wir sie auch hernehmen, vordringen, d. h. bis zu den geistigen Formungen, an denen der Mensch sich gestaltet, bis zu den Kulturleistungen, die wieder Kulturverständnis und Kulturschaffen zu entbinden geeignet sind."

Die verstehende Methode der Geisteswissenschaft erfüllt somit in der Schule eine veränderte Funktion: Das Verstehen wird zum Ziel des Bildungsprozesses, während es im Bereich der Wissenschaft als Methode angewandt werden soll: die Frage nach dem Unterrichtsverfahren, das zum Verstehen führt, bleibt offen und wird von Spranger nur formal beantwortet als Öffnung der Organe des Verstehens. Zweitens aber bleibt die aussage, daß Kulturleistungen Kulturverständnis und Kulturschaffen zu entbinden geeignet seien, solange Vermutung, wie nicht nachgewiesen ist, daß eine solche Wirkung sich quasi automatisch einstellt. Die Frage nach der Bildungswirkung - die im Bereich der Wissenschaft nicht gestellt ist - findet in dieser Übertragung geisteswissenschaftlicher Prinzipien keine hinreichende Antwort. Es entstehen somit bei der Umsetzung des geisteswissenschaftlichen Verfahrens in die Unterrichtswirklichkeit schon in der Theorie Lücken, die zu jenem spekulativen Mißbrauch, vor dem Spranger warnt, einladen. Wie der weitere Verlauf der Kulturkunde in Theorie und Praxis zeigen wird, können beliebige private oder kollektive Ideologien zu Kriterien dafür erhoben werden, wann der Sinn eines Kulturgutes als verstanden anzusehen ist. Was in der Wissenschaft dem Korrektiv der wissenschaftlichen Diskussion ausgesetzt ist, bleibt im Bereich der Schule bestenfalls dem Wechselspiel von Meinungen und Gegenmeinungen überlassen. So gerät bereits an dieser Stelle die Tatsache in den Blick, daß die Wertfrage zur eigentlichen quaestio crucis des kulturkundlichen Prinzips werden mußte. Im letzten Teil seiner Rede hat Spranger diese Problematik in der Auseinandersetzung mit Max Weber angeschnitten.

Webers Auffassung, daß die Geisteswissenschaften nur zweckrational zu verfahren hätten, d. h. daß sie allein über die technisch-zweckmäßigen Mittel zur Einsicht in bestimmte Werthaltungen und Wertverwirklichungen zu befinden hätten, nicht aber über diese Werte selbst, teilt Spranger nicht. Er anerkennt zwar den guten Sinn dieser Position, die stets nur hypothetische Imperative zulasse, indem er für die Pädagogik darauf hinweist, wie etwa die extreme Gegenposition, der pädagogische Pragmatismus Kriecks, welcher den Wert der Wissenschaft von ihrer volkserziehenden Kraft abhängig macht, die Wahrheit verstellt: "In demselben Augenblick, wo die Wissenschaft aufhört, zuerst nach der Wahrheit zu fragen, wo sie ein anders Bedürfnis voranstellt als die Wahrheit, in demselben Augenblick hört die Wissenschaft überhaupt auf zu sein" . Dennoch dürfe man, wie Spranger gegenüber Weber meint, beim Positivismus der Tatsachendarbietung nicht stehenbleiben:

"Alle jene geisteswissenschaftliche Arbeit, die historische und die isolierend-systematische, ist für die Gestaltung unseres Wertlebens nicht gleichgültig, sondern mit unseren wissenschaftlichen Einsichten bildet sich auch unser Wertbewußtsein um, läutern sich unsere Ideale, berichtigen sich unsere Normen. Je objektiver wir Wissenschaft zu treiben bemüht sind - und diese Objektivität ist freilich bei den Geisteswissenschaften durch die mitgebrachte Struktur der Persönlichkeit perspektivisch bedingt -, um so tiefer greift die Kenntnis der Tatsachen und Gesetze in unsere lebendige Wertverfassung ein, um so mehr bildet und formt uns die Wissenschaft."

Besonders in der Erziehung erweise es sich, daß Geisteswissenschaft nicht nur als Kunst des Verstehens zu gelten habe, sondern daß hier ihre Funktion als Wertwissenschaft angesprochen werde. Im Unterschied zur wissenschaftlichen Tätigkeit, für die Weltanschauung nicht schon Voraussetzung, sondern erst Resultat sei, habe für die Schule zu gelten:

"Hier hat der Erziehungsgedanke ein Recht, und die Auswahl der Stoffe erfolgt nicht rein nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern zugleich nach dem Gesichtspunkt ihrer normativen, wertbildenden Kraft. Damit kommt der gebundene Weltanschauungscharakter in jede Schule hinein, die von einem Bildungsideal aus organisiert ist."

Als Grund für diese Ausrichtung jeder Schulform auf Weltanschauung führt Spranger an, daß für die Bildung des Menschen nicht Tatsachen, sondern Wertstrukturen entscheidend seien. Er räumt jedoch ein, daß die gegenwärtige Lage ein Nebeneinanderstehen verschiedener Wertstrukturen bedinge, und daß, um dieses Nebeneinander zu gewährleisten, der Lehrer seinen persönlichen Wertstandpunkt durch echte Geisteswissenschaft geläutert haben müsse.

Dem geschichtlichen Prozeß entsprechend gebe es im deutschen Raum drei Bildungsideale, die sich als werthafte Organisationsprinzipien der Schulformen nachweisen lassen, das griechisch-römische Altertum, das Christentum mit seinen Fortwirkungen in der christlichen Antike und im christlichen Mittelalter, sowie den deutschen Idealismus. Tiefgreifendere geistformende Bildung sei jedoch nicht denkbar in der Beschränkung auf einheimische Bildungsgüter: "Nur in der Auseinandersetzung mit fremder Art gewinnt man die eigene Art" . Dies müsse auch dann bedacht sein, wenn man darüber einig sei, daß alle höheren Schultypen deutsche Gymnasien seien, die auf verschiedenem Wege zum Deutschtum führten, "das Realgymnasium den Weg durch die neueren Kulturen / nicht bloß den Weg durch die neueren Sprachen)" . In diesem letzten Teil seiner Rede schließt Spranger an Richertsche Gedanken an, die an späterer Stelle erörtert werden sollen.

Relevant werden die Sprangers Rede entnommenen Grundgedanken für das kulturkundliche Denken im neusprachlichen Unterricht in folgender Weise: Zunächst weist Spranger die verschiedenen Ansätze, aus denen das Prinzip sich entwickelte, im geistesgeschichtlichen Raum nach; er zeigt, daß es sich dabei in erster Linie um ein geisteswissenschaftlich-methodologisches Problem handelt. Diese Auffassung wird in der Folge von verschiedenen Neuphilologen geteilt . Aber auch die Schwierigkeiten, die er für die praktische Verwirklichung der Strukturforschung aufweist, werden von verschiedenen Neuphilologen gesehen . Spranger selbst hat dafür die Worte gefunden: "Es wird jahrzehntelanger Arbeit bedürfen, um die geübte Praxis auf methodisch gesicherte Grundsätze zu bringen, wobei natürlich Korrekturen des heutigen Ansatzes bestimmt zu erwarten sind."

Die wissenschaftstheoretische Seite der von Spranger aufgewiesenen Fragestellung muß im Rahmen der vorliegenden Arbeit ausgeklammert werden. Es soll vielmehr im weiteren der Frage nachgegangen werden, wie weit aus den verschiedenen Aufgaben von Wissenschaft und Erziehung eine unterschiedliche Anwendung des Strukturgedankens schon von der Theorie her sich ergab.

Wie bereits erwähnt, betonte Spranger im Anschluß an Max Weber, daß sich der Wissenschaftler zunächst der Wertungen enthalten müsse; sein Verstehen sei auf das Erfassen von Strukturen und Entwicklungstypen gerichtet, ohne daß seine persönliche Perspektive, sein weltanschaulicher Standpunkt bereits in die Analyse eingehen dürfe. Da jedoch, wie Spranger weiter ausführte, sich Bildung von Wissenschaft darin unterscheide, daß sie Werterlebnisse zu vermitteln habe, müßten die Strukturen im Bildungsprozeß von Anfang an in ihrer Werthaltigkeit erfaßt werden. Damit räumte Spranger ein, daß das Verstehen des Schülers im Unterschied zu dem des Wissenschaftlers nur im Nachvollziehen bereits erwiesener Strukturen und in der Annahme vorgegebener Wertungen bestehen kann . Prinzipiell ändert sich an diesem Verhältnis auch dann nichts, wenn durch das unterrichtliche Verfahren der Eindruck erweckt wird, als ob der Schüler in den historischen, ästhetischen etc. Inhalten die Typen, Strukturen oder Wesensmerkmale selbst findet.

eine weitere Darstellung der geisteswissenschaftlichen Grundlagen des kulturkundlichen Prinzips findet sich in E. Ottos Vortrag über "Möglichkeit und Aufgabe der Kulturkunde und des kulturkundlichen Unterrichts" . Ottos Ausführungen unterscheiden sich von denen Sprangers einmal dadurch, daß sie speziell aus der Sicht der Neuphilologie konzipiert sind, und zum anderen dadurch, daß sie am Ende der Kulturkundebewegung stehen.

Otto nennt drei Tendenzen, welche für den Wandel der Geisteswissenschaft bestimmend waren,

a) die Wendung vom bloßen Erleben zum Verstehen unter dem Einfluß der Arbeiten Diltheys,

b) die Wendung von der kausalen zur teleologischen Sichtweise, welche nach den treibenden Kräften und Wertungen der Individuen und Völker, nach dem Reich des Sinnes (Rickert) fragt, und

c) die Wendung von der analysierenden Methode zur Einsicht in die Einheit des Gegenstandes, in sein Wesen, wie sie am stärksten in der Phänomenologie Husserls zum Ausdruck kommt.

Als vierte Tendenz, die weniger für die Wissenschaft als für die Schule wirksam geworden sei, erwähnt Otto die Deutschkunde. Die Gefahr, welche durch sie in den neusprachlichen Kulturunterricht eingedrungen sei, bestehe darin, die fremde Kultur zu einem Mittel werden zu lassen. Es bleibe daher die Aufgabe, "das Nationale und das Allgemein-Menschliche taktvoll in Einklang zu bringen."

Unter Berufung auf Max Webers Begriff des Idealtypus führt Otto weiter aus, daß die Möglichkeit der Kulturkunde als Wissenschaft auf der Voraussetzung beruhe, daß man die Einzelerscheinungen der geschichtlichen Welt unter allgemeine Begriffe, nach Typen ordnen könne, die von einem Einheitspunkt her strukturiert sind und eine innere Kontinuität aufweisen. Erklären lasse sich das Bestehen solcher Typen nicht aus physischen, sondern aus geistigen Wurzeln, einer Wertsehnsucht des Vernunftmenschen.

Für die Kulturkunde und den kulturkundlichen Unterricht lassen sich nach Otto somit folgende Aufgaben nachweisen:

a) Neben den treibenden geistigen Kräften der Kulturentwicklung sollten auch die seelischen Funktionen der Völker herausgearbeitet werden.

b) Der Typus ist als begriffliche Abstraktion, als Arbeitshypothese anzusehen, nicht als real existierende Größe, etwa als Volkscharakter. Da die Jugend aber nicht an Abstraktionen, sondern nur an großen Gestalten wachse, müßten immer die großen Werke vorausgehen.

c) Wenn die Kulturkunde und der kulturkundliche Unterricht die fremde Kultur als gegliedertes Sinnganzes betrachten, das auf einen geistigen Einheitspunkt bezogen ist, werde das Typische der Kultur auch in der Sprache und der Literatur faßbar. Grammatik sei daher als Stilkunde, als Charakterologie der Völker zu betreiben. So könne auch die verlorengegangene Einheit von Philosophie und Philologie wiedergewonnen werden.

Indem Otto, wie vorher Spranger, versucht, Kulturkunde als wissenschaftliche Methode und Kulturkunde als Unterrichtsprinzip auf einer Ebene zu erörtern, bleibt es ihm versagt, das eigentlich Bildende der kulturkundlichen Beschäftigung näher zu bestimmen. Mehr noch, es gelingt ihm nicht, Widersprüche zu vermeiden, wie sie z. B. in der unter b) verlangten Aufgabe enthalten sind: Wenn die Jugend nämlich nicht an Abstraktionen wächst, der Typus aber als solche anzusehen ist, so ist die Einsicht in das Typische entweder nicht bildend, oder aber das Bildende liegt an anderer Stelle, die dann noch bestimmt werden müßte. So kommt es auch, daß Otto, wie Spranger, nach einer längeren Erörterung der geisteswissenschaftlichen Situation die pädagogische Nutzanwendung zum Schluß nur in wenige, allgemein gehaltenen Sätzen zu Sprache bringt.

Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, daß die Vorstellung eines einheitlichen kulturkundlichen Prinzips nur in bezug auf die allgemeinsten Grundzüge eines solchen Verfahrens in der Wissenschaft haltbar war; jeder Versuch hingegen, den pädagogischen Sinn dieses Verfahrens anzugeben, läßt erkennen, daß es sich bei dem sogenannten kulturkundlichen Prinzip im neusprachlichen Unterricht um eine Sammelbezeichnung für zumindest drei Richtungen handelte, von denen sich jede einem eigenen Bildungsideal zuordnen läßt. Je nachdem, von welchen Ziel- und Wertvorstellungen der neusprachliche Kulturunterricht geleitet wurde, lassen sich eine selbsterhellende, eine humanistische und eine solidaristische Richtung unterscheiden. Im Folgenden sollen diese einzeln erörtert werden.

Der bereits in den Hallenser Leitsätzen nachweisbare Gedanke, daß die Beschäftigung mit fremden Kulturen dazu zu dienen habe, das eigene nationale Wollen zu steigern, fand seine stärkste Stütze in den deutschkundlichen Bestrebungen wie sie in Richters Deutscher Bildungseinheit ihren sinnfälligsten Ausdruck gefunden haben.

Richerts Grundidee war, das deutsche Volk, das er in Interessen- und Wertrichtungen zersplittert sah, durch Erziehung zur geistigen Einheit zu führen. Die Vielheit der weltanschaulichen Gruppen und Mächte habe - wie er meinte - zur Folge, daß ein allen gemeinsames Bildungsideal nicht vorhanden sei; andererseits lasse es die Idee der Freiheit nicht zu, das Ideal einer Gruppe für alle verbindlich zu erklären:

"Damit ist die fruchtbare Antinomie unserer Lage klar geworden. Unsere Erziehung kann ohne Vergewaltigung ein System der Geistesführung nicht dekretieren. Sie kann es, ohne die Grundlagen des Staates und der Gesellschaft zu erschüttern, nicht entbehren. Diese Antinomie kann in Zeiten gefestigter Kulturverhältnisse erträglich sein. In Zeiten der völligen Umbildung der Gesellschaft wird sie ein furchtbares Problem, denn sie bedroht den Frieden des heiligen Bezirkes, in dem allein die Kindesseele sich entfalten kann.

Finden wir in unserer Lage für unsere Erziehung kein System der Geistesführung, kein allgemeines Bildungsideal, in dem das Recht des Individuums und das Recht des Staates, das Recht der Mehrheit und das der Minderheiten, das Recht des Lehrers und das der Eltern und vor allem das Recht des Kindes, dem keine Entwicklungsmöglichkeit abgeschnitten werden darf, sich ausgleichen, dann bleibt nur die Wahl zwischen Knechtung und Chaos."

Als ein solches Ideal, das dieser Forderung gerecht zu werden verspricht, sah Richert den deutschen Menschen an:

"Darin sind wir alle einig: wir wollen deutsche Volksgenossen sein, Staatsbürger und deutsche Kulturmenschen und als solche der Menschheit dienen. In der Beziehung zur Nationalität, zum Staate, zur Kultur und damit zur Menschheit können und müssen wir einig sein."

Nur aus diesem Ideal des deutschen Menschen lasse sich nach Richerts Überzeugung ein Konzentrationsprinzip für die Erziehung ableiten, welches alte Gegensätze der Bildungskonzeptionen und Schulformen wie auch den Fächerpluralismus überwinden könne.

Es ist im Rahmen der vorliegenden Fragestellung weder möglich, der Frage nachzugehen, wie weit Richert zu seiner Berufung auf die veschiedensten Repräsentanten der deutschen Geistesgeschichte berechtigt ist, noch kann erörtert werden, wie weit das von ihm aufgestellte Bildungsprinzip über den einzelnen Weltanschauungen steht und wie weit es selbstideologisch geprägt ist ; hier soll lediglich die aus dem neuen Prinzip erwachsende Konsequenz für die neusprachliche Bildung aufgewiesen werden.

Die deutschkundliche Einstellung, welche Richert als das didaktische Konzentrationsprinzip aller Fächer und Schulformen ansah, schloß eine Beschäftigung mit fremden Kulturen nicht aus:

"Es wird sich bei der Deutschkunde ganz wesentlich um eine Unterrichtsmethode handeln, um Gesichtspunkte, die allen Fächern Richtung und Inhalt geben. ... Und diese Bildungseinheit wird nur gewinnen, wenn die Verbindungsfäden von der fremden Kultur zum deutschen Leben sichtbar machen."

Hier ist, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, gemeint, daß es im Unterricht darauf ankommen müsse, die in der Geschichte wirksamen Einflüsse anderer Nationen auf Deutschland sichtbar zu machen. An anderer Stelle begründet Richert die Notwendigkeit fremdsprachlicher Bildung damit, daß erst durch sie die Objektivität des Denkens möglich werde:

"In der Tat, erst dann beherrschen wir diesen Gedanken ganz, erst dann erhalten wir die volle Beweglichkeit des Denkens, erst dann kommen wir von uns selbst los und erreichen die Objektivität, die einen andern ganz versteht, wenn wir einen Gedanken in einer fremden Sprache ausdrücken könne. Die höhere Bildung muß Bildung durch eine fremde Sprache sein."

Weder das Argument der historischen noch das der formalen Bildung, welche sich in den genannten Zitaten verbergen, geben einen Anhaltspunkt dafür, daß Richert vom Ideal des deutschen Menschen her zu grundsätzlich neuen Begründungen der fremdsprachlichen Bildung kam. Auch bei seiner Bestimmung der Aufgaben des neusprachlichen Gymnasiums bleibt er wesentlich formal, wenn er auch die Durchdringung französischer und englischer Kultur fordert:

"Wir brauchen ein neusprachliches Gymnasium, in dem ganz anderer Ernst mit der Durchdringung französischer und englischer Kultur gemacht wird als bisher. Ja wir brauchen Anstalten, die auch hier differenzieren, die eins dieser Gebiete besonders pflegen. Die neusprachlichen Anstalten leiden unter der Vielheit der Fächer, unter der Massenhaftigkeit des Stofflichen, unter der Buntheit der Lehrziele und Lehraufgaben noch mehr als das Gymnasium, da dieses alten Besitzstand hat verteidigen können, da es trotz allem von der Zielsicherheit und dem Reichtum großer Vergangenheitstradition zehren konnte, da es nicht schrittweise in ermüdendem Kleinkriege sein Sondergebiet sich erst erstreiten mußte, da es nicht nötig hatte, durch unerfüllbare Versprechungen zu blenden, wie es die neuen Anstaltsformen taten und tun mußten."

Der in der Folgezeit so häufig unter Berufung auf Richert ausgesprochene und aus dessen Auffassung konsequent ableitbare Gedanke, daß das Studium der fremden Kultur dazu zu dienen habe, die eigene besser zu verstehen und an ihrer Weiterbildung mitzuwirken, ist bei Richert selbst an keiner Stelle des Buches ausgesprochen, sondern findet sich erst später in den von ihm verfaßten Richtlinien.

In der Neuphilologie fand die selbsterhellende, vom deutschkundlichen Prinzip beeinflußte Richtung der Kulturkunde ihren ausgeprägten Vertreter in E. Wechssler. Er hielt auf der 18. Tagung des Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verbandes von 1922 einen Vortrag über Vergleichende Betrachtung der Grundlagen deutscher und französischer Kultur an Universität und Schule . Darin vertrat er die These.

"Den deutschen Menschen wollen wir bilden. Wir streben nicht irgendeinem humanitären Bildungsideal wie im 18. Jahrhundert zu. ... Die Franzosen stehen vor unseren Toren. ... Sie schänden alles. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. ... Ein Durchschauen der feindlichen Art tut uns bitter not. ... Wir wollen keine Liebe zum Ausland wecken - sie soll dem Deutschtum gehören, nur Achtung und Anerkennung vor fremder Größe."

Aus dieser seiner Position heraus stellte er die Frage nach der Möglichkeit, den fremden Nationalcharakter zu erkennen, die er wie folgt beantwortete:

"Es gibt kein wissenschaftliches Verfahren. Es gibt nur eine Möglichkeit dazu, man frage nach dem, was jedem heilig ist, nach den Heiligtümern müssen wir fragen. Plato nannte sie Ideen, wir nennen sie Ideale, Lotze nennt sie geistige Werte, die Geltung haben, Hindenburg bezeichnet sie die deutschen Tugenden."

Das Verfahren, mit dem Wechssler im folgenden versuchte, die Leitideen der deutschen und der französischen Kultur aufzuweisen, gleicht demjenigen, das er bereits in seiner früher erwähnten Schrift anwandte, wobei er wiederholt bekannte, daß es ihm bei seiner Darstellung darum gehe, die eigenen Götter deutlich herauszuarbeiten.

Dieser Vortrag Wechsslers hat den Vorzug, daß er an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, und daß in ihm der Selbsterhellungsgedanke kompromißlos vertreten wurde. Er stellte eine Absage an jede humanistische Auffassung der Kulturkunde dar und unterstreicht, daß erst die Einstellung, mit der Kulturkunde betrieben wurde, ein Kriterium für die pädagogische Relevanz dieses Prinzips abgab.

Aus dem gleichen Geiste, wenn auch in anspruchsvollerer Form, ist Wechsslers Hauptwerk Esprit und Geist gestaltet; auch in ihm bekennt sich der Verfasser zu dem Ziel, eigene und fremde Wesensart bewußt zu machen, um den eigenen Standpunkt finden zu können .

Es sei angemerkt, daß der zitierte Vortrag Wechsslers sowohl im Zusammenhang seiner übrigen Arbeiten als auch im Vergleich mit den Äußerungen der anderen Anhänger des Selbsterhellungsgedankens wegen seiner affektgeladenen Polemik eine extreme Stellung einnimmt. In sachlicherer Form, wenn auch im Kern der gleichen Auffassung zuneigend, haben sich E. Schön und W. Hübner zwei Jahre später zur selbsterhellenden Funktion des kulturkundlichen Unterrichts geäußert.

Auch Schön bekannte sich zu der Auffassung, daß das Wertproblem im kulturkundlich verstandenen Fremdsprachenunterricht die zentrale Stellung einnimmt, und daß bloß intellektuelle Einsicht in Strukturgesetzlichkeiten der fremden Kultur nicht sein Ziel sein könne:

"Kulturkunde befreit also vom reinen Intellektualismus, in den uns eine Auffassung vom Erzieherberuf hindrängte, die in dem Streben nach Wahrheit alles Streben nach Bildung zusammenfaßte.

Mit diesen Bemerkungen ist über den Begriff Kulturkunde als wichtigstes Ergebnis zunächst das festgestellt, daß Kulturkunde zu einem Werterlebnis führen soll. Verschiedene Werttendenzen liegen in allen Völkern nebeneinander. Aber die geschichtliche Entwicklung gab ihnen eine verschiedene Ausbildung und verschiedene Stärke, damit eine verschiedene Wertstruktur. Das Schicksal differenziert die Völker nach Werttypen. Wir erleben nie die Welt als etwas Tatsächliches bloß, sondern alles Tatsächliche ist stets begleitet von Vorstellungen über Werte und Normen. Kulturkunde hat es letzten Endes immer mit Wertrichtungen zu tun, in denen sich die besondere Art der Völker und der Individuen am klarsten ausdrückt."

So betrachtet, müßte der neusprachliche Unterricht kulturkundlicher Ausrichtung sich damit begnügen, das Erlebnis der im fremden Bereich verwirklichten Wertvorstellungen herbeizuführen. Er würde sich jedoch dann dem Vorwurf aussetzen, an Stelle der stofflichen Vielfalt, welche die Auslandskunde älteren Stils geboten hatte, einen Pluralismus der Werte zu setzen. Um dieser Konsequenz zu entgehen, fügt Schön hinzu, daß erst der Rückbezug auf die Wertwelt der eigenen Nation einen erzieherischen Sinn haben könne:

"Fremdsprachliche Kulturkunde ist das Ziel einer Unterrichtsweise, welche die in Wertrichtungen sich offenbarenden Strukturmerkmale einer einzelnen Persönlichkeit wie eines Volksganzen zu dem Zweck zu erkennen strebt, die eigene Wesensart tiefer zu erfassen und entschiedener zu wollen."

Als weiterer repräsentativer Vertreter des Selbsterhellungsgedankens im kulturkundlichen Fremdsprachenunterricht ist W. Hübner zu nennen. Seine Stellungnahme zu dieser Frage findet sich in gedrängter Form in dem folgenden Zitat, das aus diesem Grunde der Erörterung vorangestellt sei:

"Es ist dasselbe Bestreben, das uns auf andern Gebieten als kulturwissenschaftliche Synthese entgegentritt, als Strukturpsychologie, als Typik im Sinne von Max Weber, Troeltzsch, Spranger. So soll auch der Schulunterricht darauf aus sein, das wesentliche erkennen, Menschen und Zeitläufe strukturelle verstehen zu lehren, Kulturkunde zu treiben. Die Zielsetzung ist in Wissenschaft und Unterricht die gleiche, die Stoffe indessen sind vielfach verschieden, entsprechend einer auf demselben Boden erwachsenen Psychologie der Werte. Die Wissenschaft befaßt sich mit den Problemen wegen ihres Tatsachengehaltes, in die Schule bringen wir sie wegen ihrer geistformenden Kraft. Bietet uns die kulturwissenschaftlich orientierte Philosophie und Strukturpsychologie den Weg zur richtigen Erfassung des Begriffs der Kulturkunde, so weist uns die Wertwissenschaft auf die Pflicht sorgsamer Stoffauswahl für den Unterricht. Dem deutschen Menschen und Staatsbürger, den wir bilden wollen, müssen wir die Kräfte und Äußerungen des fremden Volkstums aufzeigen, die als Folie für das eigene Volkstum dienen können."

Mit der Forderung nach gleicher kulturkundlicher Methode in Wissenschaft und Unterricht befindet sich Hübner in Übereinstimmung mit anderen bereits erwähnten Kulturkundlern, gerät aber, ähnlich wie Otto, in die Schwierigkeit, die verschiedenen Zielsetzungen beider damit in Einklang zu bringen. Obwohl er von gleicher Zielsetzung in Wissenschaft und Unterricht spricht, muß er doch, wie das Zitat beweist, beiden verschiedene Ziele (Tatsachenforschung - Geistesbildung) zuerkennen. Wenn er angibt, daß der Stoff in beiden verschieden sei, handelt es sich, wie der folgende Nebensatz erweist, in Wirklichkeit um verschiedene Wertungen, um einen anderen Sinn. So bestätigt sich auch hier, daß der Versuch, Kulturkunde als Prinzip wissenschaftlicher Forschung und Kulturkunde als Unterrichtsprinzip undifferenziert zu lassen, an der Wertfrage scheitert.

Da Hübner jedoch diese Wertfrage nicht ausklammert, sondern sich zum Bildungsideal des deutschen Menschen bekennt, gelangt er wie Wechssler und Schön dazu, das fremde Volkstum als Folie für das eigene zu benutzen. Der Sinn dieser Begegnung liegt für ihn nicht in den Gehalten selbst und den Werterlebnissen, die sie auszulösen imstande sind, sondern erst in der vergleichenden Betrachtung dieser Gehalte mit entsprechenden des eigenen Volkes. Zu dieser Auffassung bekennt sich Hübner noch an einer anderen Stelle des gleichen Vortrags: "Fremdes Volkstum wollen wir studieren, aber nicht als Selbstzweck, sondern mit dem Ziel (!) einer vertieften Erkenntnis deutschen Wesens" . Diese Forderung ging auch in die von ihm aufgestellten und von der Mehrheit des Neuphilologentages von 1925 angenommenen Leitsätze ein, in denen es heißt:

"Die Betonung der nationalen Bildungsstoffe bedeutet für den neusprachlichen Unterricht: Studium des fremden Volkstums zum Zweck einer vertieften Erkenntnis des eigenen. Kulturunterricht ist kein neues Lehrfach, sondern eine Unterrichtsart, die alle Zweige des Sprachunterricht beherrschen soll. Einstellung auf das Problem, auf die Erkenntnis der in der Gesamtveranlagung eines Volkes wurzelnden einfachen Triebe."

Wie Schön, so rückte auch Hübner später z. T. von diesem einseitig selbsterhellenden Verständnis der Kulturkunde ab, indem er eine Wendung ins Allgemein-Menschliche andeutet, ohne jedoch den Selbsterhellungsgedanken aufzugeben.

Der Kerngedanke der selbsterhellenden Richtung der Kulturkunde, der über die von Richert verfaßten Richtlinien auch offizielle Anerkennung fand , ohne diese Richtlinien allein zu prägen, läßt sich wie folgt fassen: Der neusprachliche Unterricht soll auf das für alle Fächer verbindliche Bildungsideal des deutschen Menschen ausgerichtet werden. Dies kann nur geschehen, indem vorwiegend nationale Bildungsstoffe berücksichtigt werden, d. h. solche Gehalte, von denen man der Meinung ist, daß sie typisch für das Wesen, den Charakter der fremden Nation sind. Die eigentliche bildende Wirkung soll dann aus dem Vergleich, jener Gehalte, die das Anderssein beweisen sollen, entspringen. Durch den Rückbezug der fremden Gehalte auf das eigene Wesen werden die darzustellenden Gegenstände aus dem französischen und englischen Leben und seiner geschichtlichen Entwicklung herausgelöst und zur Folie für das Verständnis des deutschen Wesens zubereitet. Das kulturkundliche Verfahren war für diese Bildungskonzeption insofern notwendig, als es die Herausstellung nationaler Typen ermöglichte, während ohne ein solches Prinzip lediglich Werke und Fakten des eigenen und fremden Lebens als solche einander gegenüberstünden. Die Auswirkung dieses Selbsterhellungsprinzips auf die Unterrichtswirklichkeit soll an späterer Stelle erörtert werden.

Eine zweite Auffassung des Kulturgedankens sah nicht die Erhellung des deutschen Wesens, sondern die Erschließung der Humanität als Hauptziel des Unterrichts an. Auf die Tradition, in der diese Auffassung stand, wies E. R. Curtius in einem Aufsatz über Probleme der Kulturkunde von 1925 hin:

"Kulturkunde - ein schönes neues Wort für alte Ideale! Denn die Strukturmerkmale einer Volksindividualität zu erkennen, das schwebte schon den großen Gründern der deutschen geisteswissenschaftlichen Bewegung von Herder ab als oberstes Ziel vor."

Die Bezugnahme auf Herder deutet an, daß hier an jenen Aspekt der neusprachlichen Bildung gedacht ist, der bereits an früherer Stelle als der humanistische herausgestellt wurde, in vereinfachter Darstellung also jene Auffassungsweise, die in der Begegnung mit anderen typischen Formen der Lebensgestaltung und Werthaltung Einsichten in das Wesen des Menschen vermitteln will.

P. Hartig hat jenen humanistischen Aspekt der Kulturkunde in der Auseinandersetzung mit dem Selbsterhellungsgedanken deutlicher bestimmt. Er erklärte die einseitige Ausrichtung des kulturkundlichen Fremdsprachenunterrichts auf Selbsterhellung im Sinne der Deutschkunde in der ersten Hälfte der 20er Jahre mit der geistigen Isolierung Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg. Der Gesamtcharakter dieser Richtung war nach Hartig

"dadurch bestimmt, daß man im französischen oder im englischen Zeugnis das ganz Andere, das uns Fremde, Feindliche, Gefährliche zu Meidende zu finden erwartete, von dem man sich zurückgestoßen fühlte, zurückgestoßen zu der eigenen Volksart, die man im Erlebnis solchen Rückstoßes erst recht lebendig und echt erfaßte. Die fremden Wesenszüge wollte man in ihrem Gegensatz zu den eigenen Wesenszügen erkennen, und dabei drohte auch immer die Gefahr formelartiger Festlegung, wie am krassesten etwa in der Form: der französische Mensch ist so, der deutsche Mensch so. Gegensätze und Unterschiede wurden so gefunden und herausgestellt; auch hier wurden alle geistigen Brücken im Grunde, bei radikaler Durchführung, abgebrochen und es war kaum möglich zu vermeiden, daß Gefühle stolzer Überheblichkeit geweckt und großgezogen wurden."

Demgegenüber habe die Kulturkunde nunmehr die Aufgabe, auch das humanistische Bewußtsein in sich aufzunehmen, d. h. den menschlichen Urgrund alles geistigen Lebens gegenüber den volksmäßig bedingten Unterschieden wieder stärker herauszustellen:

"Die wesentliche Frage, von der eine solche Humanisierung der Wissenschaft auszugehen hat, scheint mir zu sein: Wie kann man von der antithetischen Gegenüberstellung der Wesenszüge mit ihrer Sicht vom deutschen Standpunkt aus, ihrer Herabsetzung des fremden Seins loskommen, hin zu einer Vermenschlichung? Man wird sich vor allem bemühen müssen, nicht nur immer die Unterschiede zu sehen, sondern die im Urgrund gleich angelegte Menschennatur zu erkennen, zu erkennen, wie Wesensart und Wertverwirklichung der einzelnen Völker den gleichen seelischen Grundrichtungen entspringen. Zu solcher Erkenntnis vermag uns die noch junge Wissenschaft der geisteswissenschaftlichen Psychologie zu führen, die von Diltheys grundlegenden Forschungen aus im letzten Jahrzehnt besonders durch die Arbeiten Eduard Sprangers ihren systematischen Aufbau erhalten hat."

Auf der wissenschaftlichen Ebene führe das zu der Forderung, daß der geistesgeschichtlichen Forschung wieder breiterer Raum zukommen müsse, da nur durch sie jene Objektivität erreicht werden könne, welche Grundvoraussetzung für das Erfassen der Eigengesetzlichkeit und Eigenwertigkeit fremder Völker sei. Dadurch trete auch wieder ins Bewußtsein, daß der Kulturprozeß nicht in der Entwicklung eines nationalen Typus bestehe, sondern als Auseinandersetzung individueller, volksheitlicher und menschheitlicher Kräfte zu verstehen sei, und daß sich für unseren Raum gemeinsame abendländische Züge nachweisen lassen:

"Die Geistesgeschichte (läßt) erkennen, daß sich die deutsche Kultur in einem nahezu unaufhörlichen Prozeß des Gebens und Nehmens mit den anderen Völkern Europas, vor allem Frankreich und England, entwickelt hat. ... Man ist versucht ..., von einem allgemein-abendländischen Problembewußtsein zu sprechen. Auch daran wird das Unzulängliche antithetischer Gegenüberstellungsweise offenbar werden."

Daher wurde auch in der Wissenschaft eine stärkere Verbindung geistesgeschichtlicher Betrachtung und geisteswissenschaftlicher Psychologie dazu führen, die antithetische, formelhafte Gegenüberstellung der Nationalcharaktere durch eine menschheitsbezogene und abendländische Sichtweise abzulösen. Ein solcher Wandel der Wissenschaft würde nicht ohne Einfluß auf die Schule bleiben, da die Unsicherheit in der Anwendung des kulturkundlichen Prinzips nicht zuletzt aus einer Unsicherheit der Wissenschaft herrühre:

"Es wird darauf ankommen, im kulturkundlichen Unterricht Wege zu finden, die uns gestatten, im fremden Volkstum und in der fremden Kultur die innige Verbindung von volkheitlichem Wesen mit Menschentum zu erkennen, und in den Zeugnissen des fremden Volkstums auch das Ringen des Geistes der Menschheit zu erfassen, des Geistes aus dem heraus auch wir alle unser Leben führen."

Gegenüber dem Ideal des deutschen Menschen und der deutschen Bildung, wie es in der Nachfolge Richerts vertreten wurde, entwickelt Hartig so eine weltoffenere Auffassung von deutscher Bildung:

"Deutsche Bildung wird sich so verwirklichen lassen, nicht im Sinne eines scheuen Sichzurückziehens auf das eigne, teure Wesen, sondern offenbar, mutiger Auseinandersetzung und auch, wenn es sein muß, bereitwilligen Aufnehmens."

Die Konsequenz, die sich daraus für die Unterrichtsgestaltung ableiten lasse, sei eine Absage an die typisierende Auslandskunde, bei der Textsammlungen im Mittelpunkt stünden, welche den Nachweis des Nationalcharakters erbringen sollten; stattdessen müsse das einzelne Werk in seinen geistesgeschichtlichen Horizont wieder mehr in den Mittelpunkt treten:

"In der Schule werden wir uns auf die wahrhaft bedeutenden, exemplarischen, symbolischen Fälle zu beschränken haben. Darum werden wir die großen repräsentativen Gestalten in den Vordergrund rücken."

Mit der programmatischen Bezeichnung Moderner Humanismus belegt Hartig jenen Wandel in der Ausrichtung des neusprachlichen Unterrichts, dessen Ziele er zum Schluß wie folgt bestimmt:

"Ein neusprachlicher Unterricht, der aus solcher Gesinnung heraus und auf der zunächst beschriebenen Grundlage kulturkundlich arbeitet, wird Menschen heranbilden, die als Deutsche hineingewachsen sind in das geistige Leben des Abendlandes, die geistig gebildet sind im Sinne eines modernen Humanismus, der nicht rückwärts sieht zu Kulturen, die einstmals blühten, aber doch nur noch durch uns hindurch, durch uns selbst leben, im Sinne eines modernen Humanismus, der den Geistesgehalt Europas in sich behält und weiterträgt, im Sinne eines modernen Humanismus, der die geistige Grundlage des neusprachlichen Gymnasiums bildet und der uns keine ererbte Tradition, sondern im wesentlichen Aufgabe der Zukunft ist, eine Aufgabe, um deren Lösung wir alle aus eigner Not im Dienst am Geiste ringen."

In ähnlicher Weise wie Hartig begriff V. Klemperer das Prinzip der Kulturkunde als Erfassung eines Mittleren, das zwischen Individualität und Menschheit angesiedelt sei und als Züge einer bestimmten Menschengruppe (eines Volkes oder einer größeren Gruppe wie z. B. der europäische Kulturkreis) in Erscheinung trete; dabei dürfe jedoch nicht vergessen werden, daß dieses Mittlere notwendig die beiden anderen Pole bedingt, konkret, daß im einzelnen Werk z. B. diese verschiedenen Momente in enger Verflechtung gegeben seien. Am Beispiel der Analyse eines Dramas von Raynal suchte Klemperer diesen Grundtatbestand aufzuweisen. Er gelangte dabei zu der folgenden Definition von Kulturkunde:

"Dies also verstehe ich unter Kulturkunde: die Erfassung eines Mittleren, das den einzelnen an eine Menschengruppe bindet und diese Gruppe von der Gesamtheit der Menschen - nicht etwa gänzlich abtrennt, wohl aber unterscheidet, die Erfassung gleichbleibender Wesenszüge innerhalb eines Volkes. Daß solch ein Volkscharakter nie und nirgends nackt und für sich allein zutage tritt, sondern immer in der Verflechtung mit dem Individuellen und dem Allgemein-Menschlichen, daß in allen Menschen auch solche Züge wirksam sind, die zwar nicht der ganzen Menschheit, aber doch größeren Gruppen als dem Einzelvolk angehören (europäische Züge etwa), daß jedes Alleinbetrachten des Individuellen oder Nationalen oder Europäischen oder Menschlichen zu falschen Ergebnissen führen muß - das soll aus meiner Analyse des Raynalschen Dramas hervorgehen."

Die Ablehnung des Selbsterhellungszwecks aus europäischer Gesinnung, die bei Hartig und Klemperer bereits sichtbar wurde, tritt bei H. Platz noch deutlicher hervor . Platz versuchte einsichtig zu machen, daß nicht der Takt des Blutes der Instinkt des Beharrens und Bewahrens die erziehende Funktion der Kulturkunde ausmachen dürfe. Diese aus der Not des Krieges heraus verständliche Auffassung müsse durch eine andere abgelöst werden:

"Daß alles Menschliche einseitig, ergänzungsbedürftig ist und darum verständigungsbereit sein muß im Interesse des Ganzen, der abendländischen Kulturgemeinschaft also, das scheint mir der tiefere Sinn des kulturkundlichen Verstehens zu sein. Eine Methode, die in diesem Sinne arbeitet, könnte man realistisch-solidaristisch nennen."

Jene realistisch-solidaristische Einstellung sei zu gewinnen durch stärkere Berücksichtigung der Geistesgeschichte, welche die "Verwachsenheit und Geistbezogenheit alles Abendländischen" erweisen werde. Damit verbindet Platz die Aufforderung, auch das Mittelalter wieder in sein Recht einzusetzen, da in ihm jene abendländische Solidarität schon vorhanden gewesen sei. Während Hartig die Überwindung der selbsterhellenden Richtung in der Kulturkunde eher aus der Tradition des deutschen Idealismus begründen möchte, beruft sich Platz auf die solidaristische Tradition des christlichen Abendlandes.

Noch direkter als Platz sprach sich K. Schewe dafür aus, daß der Auftrag des Neusprachlers darin bestehen müsse, die gemeinsame europäisch-christliche Grundlage der Nachbarkulturen dem jungen Menschen nahezubringen:

"Er muß den christlichen Brudersinn, den Glauben an seine Realisierbarkeit und seine Kulturkraft in jedem befreundeten, neutralen und feindlichen Kulturkreis aufsuchen, ehren und als Vorbilder und Nacheiferung empfehlen. ... Als genauer Kenner mehrerer Kulturen unseres Kontinents kann er geräuschloser, gründlicher und schonungsvoller als kenntnisarme, aber willensgewaltige Heißsporne die Versöhnung des nationalen Denkens und Fühlens mit dem aufdämmernden Europaideal anbahnen und fördern."

Die sogenannten drei Richtungen der Kulturkunde, die der Einfachheit halber als selbsterhellend, humanistisch, und solidaristisch bezeichnet wurden, stützten sich in gleicher Weise auf die Strukturforschung und die Geistesgeschichte, wenn auch in verschiedener Bevorzugung. Sie unterschieden sich jedoch in der Bewertung der gewonnen Einsichten. Eine genauere Betrachtung der Chronologie der verschiedenen Beiträge zur Diskussion um Kulturkunde zeigt, daß sich um 1926 eine Wende von der selbsterhellenden zur humanistischen und solidaristischen Betrachtungsweise vollzog; dennoch fand die erstere auch weiterhin Fürsprecher , ebenso wie die beiden letzteren schon vor diesem Zeitpunkt vertreten worden waren . Als Gründe für diesen Wandel lassen sich neben wirtschaftlich-politischen Ereignissen die Stimmen der Kritik anführen, welche das kulturkundliche Unterrichtsprinzip von theoretischen und unterrichtspraktischen Erwägungen her in Frage stellten .

In den methodischen Arbeiten zum neusprachlichen Unterricht spiegelte sich das kulturkundliche Prinzip vor allem in der Weise, daß die bereits von der neusprachlichen Reform vorgebrachte Forderung, möglichst viele Seiten der englischen und französischen Lebenswirklichkeit aufzunehmen, sich weiterhin durchsetzte. Sie erhielt jedoch eine neue Richtung dadurch, daß die verschiedenen Lebensbereiche in Hinblick auf die in ihnen aufweisbaren Strukturen der fremden Kultur und typischen Züge des fremden Nationalcharakters zur Darstellung gelangten, weniger um der bloßen Information willen. Die kulturkundlichen Lesebücher, die in reicher Zahl entstanden, enthielten ausgewählte Texte über Staat, Gesellschaft, Kunst, Religion und Wirtschaft Englands und Frankreichs und waren teils in deutscher, teils in der Fremdsprache abgefaßt; als das bekannteste kulturkundliche Lesebuch dieser Art galt allgemein W. Dibelius England . Methodische Hinweise, wie die verschiedenen auslandskundlichen Bereiche im neusprachlichen Unterricht dargestellt werden sollten, finden sich bei Wichmann , Schäfer und Schwedtke/Salewsky . Neben der auslandskundlichen Lesebuchart wurden verschiedene Chrestomathien der französischen und englischen Literatur angeboten, in denen ebenfalls Textstellen aus Gesamtschriften unter dem Gesichtspunkt typisch nationaler Wesenszüge zusammengestellt waren. Übersichten über kulturkundliche Lesebücher finden sich bei Roeder , Hübner , Oeckel und Klemperer . In welcher Weise die Absichten der Verfasser, nämlich Einsichten in den Nationalcharakter zu vermitteln, im Unterricht zum Tragen kamen, ist von der Anlage dieser Lesebücher her nicht zu entscheiden.

Auch in der Einstellung gegenüber Einzelwerken der Literatur bahnte sich ein Wandel unter dem Einfluß der Kulturkunde an; Autoren, die als Repräsentanten des Nationalen angesehen wurden, fanden stärkere Berücksichtigung; konsequent im Sinne der selbsterhellenden Richtung verfuhren diejenigen Neuphilologen, die im Unterricht Gegenüberstellungen deutscher und fremder Autoren versuchten. Beispiele dafür finden sich bei Hartig und Steinbrecher .

Für die Stellung der fremden Sprache erbrachten die kulturkundlichen Bestrebungen im neusprachlichen Unterricht zwei einander widersprechende Tendenzen. Einmal wirkte die Ausrichtung auf den strukturpsychologischen Aspekt der Bildungsgegenstände sich dahingehend aus, daß für das Erlernen der Sprache nur noch wenig Raum blieb, zumal diese strukturpsychologischen Erörterungen erhebliche sprachliche Schwierigkeiten boten, die dann die Neigung aufkommen ließen, sich im Unterricht weitgehend der Muttersprache zu bedienen. Auf diese Lage hat besonders G. Hanf hingewiesen.

Zum anderen aber glaubten die Anhänger des sogenannten reinen Sprachunterrichts, die in der Beschäftigung mit der Sprache als solcher die bildende Wirkung sahen, sich auf die Kulturkunde berufen zu können. Sie taten dies, indem sie die Fremdsprache unter Berufung auf Herder und Humboldt als den klarsten Spiegel des Volksgeistes und der Seelenstruktur des fremden Volkes herausstellten und in der Begegnung mit der inneren Form der fremden Sprache das von der Kulturkunde her Gebotene sahen. Diese Tendenz war in allen Phasen der Kulturkundebewegung wirksam, wie aus den Arbeiten von Mackel und Schroer hervorgeht. Es ist jedoch festzuhalten, daß es sich bei dieser kulturkundlichen Form des reinen Sprachunterrichts in erster Linie um Betrachtung der Sprache, nicht um Umgang mit ihr handelte.

Da die vorstehend erwähnten methodischen Beiträge zur Verwirklichung des kulturkundlichen Prinzips mehr programmatischen als referierenden Charakter haben, geht aus ihnen nicht hervor, wie weit die Unterrichtswirklichkeit vom Kulturkundegedanken durchdrungen und umgestaltet worden war. Daß erhebliche Unterschiede von Theorie und Praxis bestanden, welche nicht zuletzt daher rührten, daß das Kulturkundeprinzip nicht im Raum der Schule und nicht in erster Linie von Erziehern entwickelt worden war, geht aus Berichten über den neusprachlichen Unterricht im Schuljahr 1927/28 hervor.

Über die im angegebenen Schuljahr behandelte französische Lektüre ist darin gesagt, aß die französische Klassik, besonders Molière und der Roman des 19. Jahrhunderts an erster Stelle gestanden, die Gegenwartsliteratur jedoch erst zögernd Eingang gefunden habe. Erdkundliche und philosophische Texte seien mehr als früher gelesen worden. Die englische Lektüre bot den Berichten nach ein anderes Bild. Dort herrschte das kulturkundliche Lesebuch vor, sowie historische, nationalökonomische und politische Texte. Hinsichtlich der schönen Literatur stellt der Berichterstatter fest:

"Im ganzen gesehen überwiegt unter Althergebrachtem nicht das gute Alte, sondern das Gewohnte, unter dem Neuen das, was bereits durch tacitus consensus sanktioniert ist. So muß man sagen, daß innerhalb der englischen Schullektüre sowohl frisches Leben wie auch bewußte Pflege der Tradition fehlen."

Im ganzen läßt sich dem Bericht entnehmen, daß, abgesehen von einer gewissen Erweiterung nach der Landeskunde hin, die Kulturkunde keinen größeren Umschwung hinsichtlich der Stoffauswahl herbeigeführt hat. Zureichende Aussagen darüber, wieweit das durchschnittliche Unterrichtsverfahren vom kulturkundlichen Prinzip berührt wurde, ließen sich nicht finden; auch aus der Kritik an der Kulturkunde, soweit sie von der Unterrichtspraxis ausging, läßt sich nicht entnehmen, ob eine vorhandene oder eine geplante Praxis angesprochen wurde. Diese Kritik erhob besonders den Vorwurf, daß die Beherrschung der Fremdsprache als vornehmstes Ziel des neusprachlichen Unterrichts durch das kulturkundliche Prinzip nicht gewährleistet sei. In dieser Kritik machte sich das Eigengesetz des neusprachlichen Unterrichts geltend und drängte auf eine Revision jenes von außen gesetzten Zieles zugunsten fachimmanenter erfüllbarer Prinzipien .

Wichtiger als dieser Widerstand der Praxis ist jedoch jene Kritik, welche das kulturkundliche Unterrichtsprinzip von der Bildungstheorie her erfuhr, in erster Linie durch Litt, Nohl, Wichmann und Weinstock. Den weitesten Widerhall fand Litts Aufsatz Gedanken zum kulturkundlichen Unterrichtsprinzip , nicht nur bei den direkt Angesprochenen , sondern auch bei anderen Neuphilologen .

Für das Entstehen des Kulturkundegedankens nannte Litt zwei Motive, die Überwindung des Historismus durch Dilthey und das aus dem Kriegserlebnis stammende Bedürfnis nach einem tieferen Verständnis für fremde Völker, verbunden mit einer Unsicherheit des nationalen Selbstbewußtseins. In gewisser Weise schließe sich dieser Gedanke an eine im deutschen Geistesleben tief eingewurzelte Tradition an, die "durch die Namen Herder, Wilhelm v. Humboldt, Romantik, historische Schule markiert" ist. Das Merkmal jedoch, in dem sich das Neue des kulturkundlichen Prinzips verkörpere, sei das Zauberwort Struktur. Unter Ausklammerung der sehr verschiedenen Auslegungen dieses Gedankens, lasse eine oberflächliche Betrachtung erkennen, daß es den Anhängern der Kulturkunde darum gehe,

"hinter den Werken des Geistes, mit denen sich der Unterricht beschäftigt, ein geordnetes, gegliedertes Ganzes von seelischen Kräften zu ergründen, deren Niederschlag und Offenbarung diese Werke sind. Genauer besehen kann dann dies Ganze verstanden werden sowohl als die seelische Organisation der einzelnen Persönlichkeit, die das Werk schuf, wie auch als die innere Verfassung der kulturellen oder nationalen Gemeinschaft, aus deren Schoß sich die fraglichen Schöpfungen gelöst haben."

Sodann strebe man darnach, die aufgefundenen Strukturen der Erziehung zum deutschen Menschen nutzbar zu machen.

Die Kritik Litts an dieser Konzeption der Kulturkunde besteht vor allem in dem Nachweis, daß damit eine fortschreitende Entziehung des Selbstwertes objektiver Schöpfungen erfolge, indem nämlich

a) das Werk nicht gegenständlich als geistige Objektivation, sondern physiognomisch als Ausdruck einer individuellen Seelenstruktur gedeutet würde,

b) die so herauspräparierte Seelenstruktur wiederum aufgelöst werde, um aus ihr die Elemente der Volksseele zu gewinnen,

c) dann aber auch der Nachweis der Kollektivstruktur (etwa des Nationalcharakters) nicht genügte, sondern als Folie benutzt würde, um die Struktur der eigenen Volksseele besser verstehen zu können und

d) aus diesem Seienden ein Seinsollendes, aus einer Wirklichkeitsstruktur ein Wertgefüge abgeleitet werde, dadurch, daß die Einsicht in den eigenen Nationalcharakter Mittel sei, um das zu verwirklichende Lebensideal aufzustellen.

Auf jeder dieser Verkürzungsstufen ergeben sich, wie Litt nachweist, Verstöße gegen die Gesetze des objektiven Geistes, die sowohl zu wissenschaftskritischen als auch pädagogischen Bedenken Anlaß geben. Sie rühren nach Litt daher, daß das Mittel-Zweck-Denken dem Eigenwert objektiver Gebilde unangemessen sei.

Er trifft jedoch noch eine weitere, im Zusammenhang der bisherigen Fragestellung höchst wichtige Unterscheidung, indem er den wissenschaftlichen und den pädagogischen Aspekt der Kulturkunde konsequent trennt. Litt macht geltend, daß, selbst wenn es einen Grund gebe, in der Wissenschaft künftig nach strukturpsychologisch-kulturkundlichen Methoden zu verfahren, die Frage bestehen bleibe, ob sich die Schule diesen Standpunkt zu eigen machen dürfe.

Die Argumentation der kulturkundlich ausgerichteten Neuphilologen lautet nach Litt etwa:

"Gelingt es uns, die charakterologische Struktur der Völker zu erfassen, mit denen unsere geistige und materielle Existenz uns in erster Linie verknüpft, so gewinnen wir nicht nur einen Einblick in das Weltgetriebe, dem wir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, sondern wir kommen auch in die Lage, auf Grund unseres Wissens um Stärke und Schwäche, um Bedürfnisse und Lebenstriebe jener anderen, unser eigenes Verhalten so einzurichten, daß aus dem Zusammenspiel dieser Faktoren das für uns wünschenswerte Ergebnis herausspringt."

Im Hintergrund dieser Bestrebungen, welche ein teleologische Gefüge von Konstanten der seelischen Bewegungen in der Mannigfaltigkeit der geschichtlichen Gestalten zu finden suchten, stehe immer noch der naturwissenschaftliche Glaube an eine Gesetzlichkeit des geschichtlichen Prozesses nach naturwissenschaftlichem Modell, die Suche nach wenigen, diesen Prozeß bewirkenden elementaren Kräfte. Das Wesen geschichtlicher Gestalten sei jedoch lebendige Ganzheit mit Unendlichkeitscharakter. Zwar sei es ein Notbehelf des erkennenden Geistes, mit einer begrenzten Begrifflichkeit dieser Fülle habhaft zu werden, doch könne diese Not nicht zur Tugend ungefälscht werden, wie dies die kulturkundlichen Bestrebungen erkennen ließen. Nun zeige aber auch hier erst die pädagogische Seite jenes Problems die volle Tragweise dieser Verkürzung:

Der Unterrichtende wird Kenner der Strukturformeln, der Schüler Mitforscher und Examinand in Strukturpsychologie. Da jedoch der Erkenntniswert solcher Formeln vom "Umfang und der Lebhaftigkeit des konkreten Anschauungsmaterials", welches ihnen zugrunde liegt, abhängt, biete allein "Fülle und Mannigfaltigkeit dieses Materials den einzigen Schutz gegen jenen begrifflichen Verkalkungsprozeß, der die gedankliche Abbreviatur zu einer festen Formel erstarren läßt."

Die Fülle der Gestalten und Gehalte und ihre gegenständliche Interpretation sei vom pädagogischen Gesichtspunkt aus auch in Hinblick auf Begabungsunterschiede zu fordern. Während bei der gegenständlichen Interpretation am Werk eine Vielzahl von Begabungen angesprochen werde, sei das intuitive Verfahren der Strukturforschung nur an eine kleine Zahl von Schülern gerichtet, die übrigen liefen Gefahr, in schöngeistiges Gerede oder Einpauken ausweichen zu müssen.

Der dritte vor allem gegen den selbsterhellend-kulturkundlichen Gedanken der Neuphilologie gerichtete Einwand Litts lautet:

"Wer fremdseelische Strukturen als bloßes Mittel einschätzt, das dem Zwecke der Selbsterkenntnis dient, wird diesen Zweck mit unbedingter Sicherheit verfehlen,"

da genau diese Einstellung jenes Verständnis verlege das nur durch ein Aufgehen im fremdseelischen Leben gewonnen werde. Daß es sich letzten Endes dabei nicht nur um ein Problem des Erkennens, sondern um ein Wertproblem handelt, hebt auch Litt hervor: Es bestehe die Gefahr einer sittlichen Schädigung, wenn aus der Selbsterkenntnis die Selbstüberschätzung erwachse, denn

"die eigene Vortrefflichkeit erstrahlt am hellsten, wenn man sie auf dem schärzlichen Hintergrund fremder Minderwertigkeit aufsetzt. Ich brauche nicht auszuführen, welche Hekatomben im Leben der Einzelnen wie der Nationen, in ruhigen wie vor allem in krisenhaften Zeitläufen dem Dämon des Pharisäertums auch ohne die Anfeuerung durch kulturphilosophische Theorien geopfert werden. Ich halte es für durchaus bedenklich, diesem allverbreiteten Hang Nahrung zuzuführen durch solche kulturkundlichen Lehren, die sich der Nachbarschaft solcher Selbstüberhebung zum mindestens nicht entschieden genug fernhalten. Hat man sich einmal eingeredet, die französische oder englische Seelenstruktur interessiere uns nur in Hinblick auf die Erforschung unserer eigenen Wesensart, dann ist es nicht weit bis zur Anlage eines Kabinetts von Nationalporträts, wie man es vor kurzem - nicht etwa in den überhitzten Zeiten der Kriegsstimmung - in einem pädagogischen Blatte gefunden hat: englische Struktur: Utilitarismus, verbrämt mit Heuchelei - französische Struktur: verlogenes Phrasengeklingel - deutsche Struktur: Pflichtbewußtsein, Wahrhaftigkeit usf. Wenn diese Strukturpsychologie auch nur zu einem Drittel recht hat, dann ist der Frage wirklich nicht auszuweichen, ob es einen Sinn hat, die deutsche Jugend Jahre hindurch sich in fremde Seelenwelten versenken zu lassen, damit sie zum Schluß vernehme: Seht, so wenig taugen die Schöpfer von alledem - soviel besser sind wir selbst. Ich dächte, die Jugend diesen Bildungsweg zu führen haben wir doch nur dann ein Recht, wenn die geistige Welt, in der wir sie heimisch zu machen versuchen, ihren kulturellen Wert und so auch ihren in sich selbst trägt und nicht erst von dem Ziel der deutschen Selbsterkenntnis erborgen muß."

Die gründliche Verdammung des Gedankens der Selbsterhellung durch Litt, wie sie an dieser Stelle zum Ausdruck kommt, war, wie bereits erwähnt, eine der Hauptursachen dafür, daß in der Folgezeit Befürworter dieser Konzeption kaum noch hervortraten. Zugleich war die Gesamtkritik Litts der Auftakt einer Zurück-zum-Werk-Bewegung, welche in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts an Einfluß zunahm .

Das die Betonung des Gegenständlichen gegenüber der physiognomischen Deutung von Werken und die Kritik an der selbsterhellenden Position nicht generell zur Ablehnung des kulturkundlichen Prinzips führen mußte, sondern auch sein humanistisches Neuverständnis begründen konnte, läßt sich bei O. Wichmann feststellen. Bei ihm wird noch einmal deutlich, wie sich die Diskussion um das kulturkundliche Unterrichtsprinzip auf ein Wertproblem hin zuspitzt.

Verantwortlich für die selbsterhellende Richtung der Kulturkunde ist nach Wichmann in erster Linie der Spenglersche Gedanke autonomer, nur aus sich ableitbarer Kulturen gewesen. Demgegenüber müsse man daran festhalten, daß Kultur als Gesamtkultur zu verstehen sei, der Geist der Völker auf Allgemein-Menschliches gehe. Als Beweis dieser These führt Wichmann das Phänomen des Kulturwandels an, den Aufbruch einzelner oder ganzer Völker zu neuen Werthaltungen. Ein lediglich national fundiertes Wertbewußtsein würde eine solche Erscheinung nicht zulassen. Erst dadurch, daß das Individuum sich sicher wisse, im Einklang mit Ansprüchen zu stehen, die auch anderswo Geltung haben, gewinne es jenes Freiheitsgefühl, das ihm erlaube, auch seinem Volk gegenüber wertend Stellung zu nehmen. an den großen Gestalten werde dies besonders deutlich. Wichmann fragt mit Nietzsche, was an Bach, Beethoven und Goethe eigentlich spezifisch deutsch sei; gerade durch das, was ihre Genialität ausmache, müßten sie sich von ihrem Lebensboden abheben.

Aus dieser Erkenntnis müsse man daher gegenüber dem deutschkundlichen Schema zu einer tieferen Auffassung von Kulturkunde gelangen:

"Diese Auffassung kann in Wahrheit nicht anders sein, als die Betrachtung menschlichen Daseins und Schaffens nach ihren wahren Beweggründen. Als solche sind das ins Allgemein-Menschliche drängende Wertgefühl, der Drang zur Idee und die darin liegende Beziehung auf das übergreifende Ideell-Gegenständliche zum mindesten stets mitzurechnen. Freie, d. h. menschheitlich wertende Beziehungnahme zum Ideell-Gegenständlichen muß daher im kulturkundlichen Bildungsgedanken stets einbegriffen sein."

Sinn des Fremdsprachenunterrichts sei, die Gegenständlichkeit überragender Gehalte zur Darstellung zu bringen; dieser Unterricht müsse sich daher gegen ein kulturkundliches Bildungsprinzip wehren, "das allein in der bestimmten Zurückführung auf formulierte Auffassungen und Wertungen unseres Kulturbewußtseins den eigentlichen Bildungswert sieht" .

Ähnliche Gedanken vertrat H. Weinstock , der dabei in noch stärkerem Maße die Unterrichtspraxis berücksichtigte und die Stellung der Sprache im Kulturunterricht erörterte. Auch er wandte sich gegen die Auffassung der Kulturkunde, im Bildungsgut nicht den Bedeutungsgehalt, sondern den Ausdrucksgehalt zu suchen. Dies sei eine dem Pädagogen unangemessene Sicht, da er an das Werk die Lebensfrage zu stellen habe, d. h. es daraufhin befragen müsse, welche Bedeutung es für uns hat. Erfahrbar sei dies aber nur in der Gestalt des Werkes, die eine überhistorische Prägung sei und Allgemein-Menschliches vertrete. In diesem Zusammenhang verwendet auch Weinstock die Bezeichnung Struktur, bzw. Wesenslinien des Werkes; darunter versteht er jedoch allgemeingültige Prägungen der Gestalt, nicht wie die Mehrzahl der Kulturkundler individuelle oder kollektive seelische Strukturen, die in den Werken nachweisbar sind. Entsprechendes gelte für die Sprache: "auch die Sprache gewinnt, ebenso wie das Werk, ihre kulturpädagogische Allmacht erst, sofern sie Menschheitsgehalt birgt" .

Der methodische Weg, die Gestalt zu erfahren, sei die Arbeit am Werk, der Umgang mit der Sprache, nicht das Reden über, welches die Gefahr des Verbalismus enthalte:

"Wer die Sprache erfaßt hat, soweit das möglich ist, in ihr lebt, oder sich in sie hineinlebt, der hat Teil an ihrer Kultur, auch wenn er nicht imstande ist, über diese Kultur und ihren Geist sich strukturpsychologisch zu äußern. Wenn der Schüler so gut wie möglich französisch spricht, dann webt er in dem, was man französischen Sprachgeist nennt."

Der Grund dafür, daß die Kulturkunde diese Einsicht außer acht gelassen habe, sei darin zu suchen, daß sie sich zu sehr mit der Kulturphilosophie identifiziert habe, welche die Unmöglichkeit allgemeingültiger Normen aufgewiesen habe. In dem Maße aber, in welchem Wissenschaftsziel und Bildungsziel, Wissenschaftsgut und Bildungskraft, Wissenschaftsmethode und Bildungsverfahren gleichgesetzt würden, verliere die Pädagogik an Boden. Es wirke sich hier das Fehlen einer allgemeinen Theorie der Bildung aus, deren Aufgabe sei, die Beziehung zwischen Wissenschaftsgut und Bildungskraft zu analysieren.

Anders geartet waren die Einwände, die Nohl gegen das kulturkundliche Prinzip im fremdsprachlichen Unterricht vorbrachte . Seine Kritik richtete sich sowohl gegen das Prinzip der Selbsterhellung, als auch gegen den ungeklärten Strukturbegriff der Kulturkunde. Gegen das Ziel der Selbsterhellung wandte er sich wie folgt:

"Wenn manche Kulturkundler das Ziel allein in der Auffassung der Struktur der fremden Seele sehen, ganz gleich, weil sie sie beherrschen wollen oder weil diese Erkenntnis dazu dienen soll, ihnen das eigene Wesen zum Bewußtsein zu bringen - was übrigens eine Pubertätsangelegenheit wäre, der die männliche Befreiung von der naiven Gebundenheit der eigenen Existenz durch die Anschauung der fremden Lebensmöglichkeiten doch mindestens ebenbürtig zur Seite steht, weil sie vor der Spießerei bewahrt -, so ist das eine ganz unmögliche Verkümmerung. Wir leben in einer gemeinsamen Welt von Inhalten, Aufgaben und Lösungen, hier liegen unsre ersten Interessen, und uns gemeinsam in ihr zu bewegen, uns zu streiten und uns zu verständigen ist das erste Ziel."

Der Bildungswert des neusprachlichen Unterrichts sei daher nicht in der Erkenntnis der fremden Seele zu suchen, sondern in der Gewinnung eines richtigen Grundverhaltens dem fremden Volk gegenüber:

"Soll ich dieses bildende Grundverhalten zu dem fremden Volk in einer ersten Formel so elementar wie möglich aussprechen, so möchte ich sagen: das einfache Ziel sei, in geistigen Verkehr mit ihm zu treten, einen Verkehr, in dem wir nicht bloß empfangen, sondern auch geben, nicht bloß verstehen, sondern auch einwirken."

Das so beschriebene Grundverhalten sah Nohl am deutlichsten in jener Epoche verwirklicht, in der der neusprachliche Unterricht in direktem Bezug zum Leben stand, d. h. im 17. und 18. Jahrhundert. Verschulung und Verwissenschaftlichung hätten dann zur Aufhebung jenes Lebensbezuges geführt, so daß der Unterricht als ziellos empfunden werden mußte. Dieser Verkehr mit der vollen Lebenswirklichkeit des fremden Landes vollziehe sich bei der Auslandsreise in seiner echtesten Form und enthalte stets ein pragmatisches wie auch ein geistiges Moment. Es gelte dabei zu erfahren, welche Lösungen das fremde Volk für allgemeine Lebensfragen und Probleme gefunden hat, die auch im eigenen Bereich gestellt sind, und einzutreten in die sachliche Auseinandersetzung mit dem Partner.

Die Kulturkunde habe demgegenüber versucht, durch die Sphäre der sachlichen Auseinandersetzung durchzustoßen zur Menschenkenntnis. Dabei habe sie aber unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich dessen erkennen lassen, wie diese zu verstehen sei, als Kenntnis des konkreten Volkes oder als Kenntnis seiner Idealität, seines Typus. Dies stehe in Verbindung - und das ist der zweite Punkt der Nohlschen Kritik an der Kulturkunde - mit ihrer unterschiedlichen Auffassung von der fremden Seele:

"Sie (die Kulturkunde) spricht bald in naturwissenschaftlichem Sinn von dem zeitlosen psychologischen Anlagesystem, bald in geisteswissenschaftlichem Sinn von der Werthierarchie des fremden Volkes, die ein Historisches ist, das den objektiven Charakter des Volks wohl zur Voraussetzung hat, das aber jede neue Erfahrung, Schicksal oder Werteinsicht umgestalten kann."

In gleicher Weise wie gegen die Kulturkunde stellt sich Nohl jedoch mit seinem Rückgriff auf die Lebenswirklichkeit auch gegen die Theorie des Objektiven, besonders gegen Litt und Weinstock. Er begründet seine Ablehnung damit, daß er sagt, der junge Mensch werde bei der Begegnung mit dem Kunstwerk zunächst weder der psychischen Struktur des Schöpfers gewahr - so die Auffassung der Kulturkunde -, noch erlebe er in erster Linie die Kunstvollendung des Werkes (Litt und Weinstock); vielmehr sei das, was ihn zunächst interessiere, ein Drittes, nämlich des Künstlers Weise

"sich dem Leben gegenüber zu verhalten, die eingentümliche Art, wie er sich dem Leben stellt und seine Probleme in einer bestimmten Art von Gültigkeit löst, die Dynamik seiner geistigen Welt. Diese Zurückführung der Objektivität des Werks in die geistige Welt, nicht in das persönliche Schicksal des Dichters und nicht in seine persönliche Struktur war das, was Dilthey mit Erlebnis und Dichtung meinte."

Analog gelte dieses Verhältnis des jungen Menschen zum Dichter auch für das zum fremden Volk: Nicht die psychische Struktur des fremden Volkes, sondern die Art, in der es seine Lebensaufgaben löst, erfahre er zuerst in der Begegnung mit ihm und diese Einsicht müsse daher auch zur Grundlage des Unterrichts gemacht werden. Das Verhältnis der so erfahrbaren geistigen Welt (als Gesamtheit der Lebenslösungen im fremden Bereich), welche stets individuell-historisch zugleich aber allgemeingültiger Natur sei, zur Seelenstruktur des fremden Volkes einerseits und zu den auf seinem Boden erwachsenen Werken andererseits stellt Nohl wie folgt dar:

"Diese geistige Welt ist nicht loszulösen, von den psychologischen Anlagen, den klimatischen Bedingungen, der geographisch-politischen Lage und allem andern, was man Schicksal nennt, aber sie ist auch nicht mit ihm identisch, denn sie ist eben die schöpferische Lebenslösung, die angesichts dieser Faktizitäten gelungen ist. ... In dieser Welt wollen wir uns wie in einem Element bewegen lernen, aus der dann die Werke wie Kristallisationen dieses Elementes herausragen, nicht als ein vom Leben abgestelltes, sondern als seine Vollendung, wobei uns vom Werk aus dieses Leben am sichtbarsten wird, wie umgekehrt das Leben die Voraussetzung für die volle Aufnahme des Werkes ist. ... Wir verkehren aber nicht mit Werken, sondern immer nur mit lebendigen Persönlichkeiten, hier also mit dem Geist des Volkes und seinen lebendigen Trägern, und der Bildungswert des Verkehrs mit diesem Geist liegt in der Erfahrung von seiner Gültigkeit. ...

In diesem Zusammenhang setzt Nohl auch den Selbsterhellungsgedanken der Kulturkunde in sein relatives Recht ein, wenn er sagt:

"Der höchste Bildungswert im Verkehr mit der fremden Kultur liegt dann weniger in den einzelnen sachlichen Lösungen selbst, als in der Anschauung, solcher organisierenden Energie, die die geschlossene Form eines Volkes schafft. Wenn dieser Werkcharakter des eigenen Volkes bei der Nähe der Interessenkämpfe uns bisweilen ganz entschwinden kann, so daß man meint, seine Einheit nur als eine pädagogische Utopie oder als das bloße dialektische Aufeinanderbezogensein seiner Gegensätze nehmen zu dürfen - das fremde Volk zeigt diesen Einheitswissen und sein Resultat anschaulich in jedem Hinblick und ruft dieses Ziel auch in uns immer von neuem wieder wach."

Im Unterschied zum Selbsterhellungsgedanken der Kulturkunde wird hier das Fremde nicht zur Folie, zum bloßen Mittel für das Hervorheben des Eigenen, sondern behält seinen eigenen Wert. Gerade dadurch, daß es als ein Gültiges erfahren wird, eröffnet es die Möglichkeit, Lebenslösungen zu veranschaulichen, die am Beispiel der eigenen Nation deshalb kaum dargestellt werden können, weil das Engagement der dazu nötigen Distanz entgegensteht.

Wenn Nohl in der Auseinandersetzung sowohl mit der Kulturkunde als auch mit der Theorie des objektiven Geistes im wechselseitigen Verkehr mit der Lebenswirklichkeit des fremden Volkes den eigentlichen Bildungswert fremder Kulturen sieht, so zeigt seine Stellungnahme, daß er gleich weit von kulturkundlicher Spekulation wie von humanistischer Abstraktion entfernt ist, ohne aber auch einem vordergründigen Brauchbarkeitsprinzip das Wort zu reden.

Mit der Bezugnahme auf die fremde Lebenswirklichkeit in ihrer ganzen Fülle stellte er sich in jene Tradition, welche die Anfänge des neusprachlichen Unterrichts bestimmte, von der Erziehungstheorie der Philanthropen aufgenommen und vom pädagogischen Realismus des 19. Jahrhunderts weitergetragen wurde, und welche schließlich in den letzten Intentionen der neusprachlichen Reform wirksam war. Er ging jedoch über diese Tradition hinaus, indem er diese Lebenswirklichkeit als organisierende geistige Energie begriff und damit auch eine statische Interpretation des Kulturbegriffs ausschloß. Dieser Sichtweise entsprechend war für ihn Verkehr, die geistige Begegnung mit fremden Kulturen, ein Lebensvollzug, nicht lediglich potentielle Erweiterung des Erfahrungs- und Handlungsbereichs.

Die Erörterung des kulturkundlichen Prinzips im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung läßt sich wie folgt zusammenfassen: Das von der neusprachlichen Reform in die didaktische Grundlegung des Unterrichts eingebrachte Interesse am Verkehr mit den Nachbarländern England und Frankreich wurde durch den ersten Weltkrieg in Frage gestellt. Unter den Ansätzen, die auf eine Neubegründung des neusprachlichen Unterrichts unter den veränderten Umständen hinzielten, war den traditionellen Theorien der formalen und der klassischen Bildung nur geringer Einfluß beschieden. Zwei andere Strömungen, deren Motivation unmittelbar aus der Weltkriegssituation erwuchs, drangen als außerpädagogische Zielsetzungen in die Didaktik der neueren Sprachen ein, das Interesse an erweiterten Auslandsstudien und das Freund-Feind-Denken. Mit den Erkenntnissen der Geisteswissenschaft verschmolzen beide Ansätze zu jener oft schillernden Konzeption, die unter der Bezeichnung Kulturkunde mit pädagogischem Anspruch auftrat und das pädagogische Denken der 20er Jahre entscheidend bestimmte. Der wichtigste Anhaltspunkt für die Feststellung, daß das kulturkundliche Prinzip aus dem außerpädagogischen Raum auf die Didaktik des neusprachlichen Unterrichts wirkte, war dabei die Tatsache, daß sich in erster Linie die Neuphilologen der Universität als seine Fürsprecher einsetzten, und zwar zu einem sehr frühen Zeitpunkt, wie aus den Hallenser Leitsätzen hervorging.

In der allgemeinsten Formulierung läßt sich die neue Konzeption der Neuphilologie an Universität und Schule dahingehend kennzeichnen, daß weder die Sprache, noch literarische Werke oder Realien an sich als Erkenntnis- oder Bildungsgegenstände angesehen wurden, sondern die Seele, das Wesen, der Charakter, die Struktur, der Geist, der Typus des fremden Volkes bzw. der fremden Kultur, der in ihnen seinen Ausdruck gefunden hatte. In ihnen sahen die Befürworter einer kulturkundlich ausgerichteten neusprachlichen Forschung und Bildung ihr Ziel.

Während die Wissenschaft jedoch, soweit sie von der neuen Fragestellung ergriffen war, darauf verzichten konnte, die gewonnenen Erkenntnisse auf den ihnen immanenten Wertgehalt zu befragen, mußte diese Fragestellung für die Bildung zum Schlüsselproblem werden, wenn sie nicht dem Philologismus verfallen wollte, d. h. die von der Neuphilologie, der Philosophie, der Soziologie usw. gewonnenen Einsichten in die Struktur des französischen und englischen Nationalcharakters unmittelbar als Bildungsgut übernehmen wollte. Drei Wege, den bildenden Wert der kulturkundlichen Betrachtungsweise zu bestimmen, ließen sich nachweisen; sie bildeten zugleich Konzentrationsprinzipien, nach denen die Auswahl der Bildungsgehalte getroffen wurde:

a) Die zumindest in der ersten Hälfte der 20er Jahre vorherrschende selbsterhellende Einstellung, welche in der Rückwendung auf das Deutsche, die fremde Kultur zum Spiegel, zur Folie für die eigenen Wertüberzeugungen werden ließ. Die der fremden Kultur entnommenen Gehalte, d. h. Struktureinsichten, waren nur Mittel zur Wertdarstellung und wurden in ihrer Werthaltigkeit selbst nicht erfaßt. Diese Richtung der neusprachlichen Kulturkunde wurde häufig von Fürsprechern wie von Gegnern als die kulturkundliche Einstellung überhaupt verstanden, so daß sie auch als Kulturkunde im engeren Sinne bezeichnet werden kann. Diese Richtung stützte sich auf einen Kulturbegriff, der das Volk bzw. die Nation als Erfahrungs- und Anwendungsbereich sittlicher Normen begreift. So wurde von diesem selbsterhellenden Verständnis der neusprachlichen Bildung die Entscheidung über die Unterrichtsgegenstände darnach gefällt, wieweit in den zu vermittelnden Werken, Gestalten und Institutionen typisch fremdnationale Züge nachweisbar waren, an denen das andersgeartete Eigene verdeutlicht werden konnte.

b) Die humanistische Richtung der neusprachlichen Kulturkunde bekannte sich bei gleichem Ausgangspunkt, nämlich Einsicht in Nationaltypen, zu allgemein-menschlichen Wertüberzeugungen und zu einem universalen Kulturbegriff. Dabei wurde den im fremden Bereich erfahrenen Werteinsichten schon an sich bildende Wirkung zuerkannt, da sie als geeignet erachtet wurden, im Zögling die Überzeugung zu wecken, daß das Wesen der Humanität in der Vielfalt gültiger Werthaltungen besteht. Dem Nationalen kam unter diesem Aspekt der Rang einer Spielart zu. Dieser moderne Humanismus wollte jene Kräfte und Haltungen, welche der Neuhumanismus in der Begegnung mit der Antike wecken wollte, an den beiden lebenden Kulturen Englands und Frankreichs zur Entfaltung bringen. Als Spezies der Kulturkunde verstand dieser moderne Humanismus sich aber insofern, als er sich der kulturkundlichen Methode bediente, um die Bildung zur Humanität zu erzielen.

c) Die solidaristische Richtung gründete sich im Unterschied zu den beiden ersten Auffassungen auf die Überzeugung, daß der christlich-abendländische Kulturkreis die gemeinsame Grundlage bildet, auf welche die Wertmaßstäbe sowohl des englischen und französischen als auch des deutschen Volkes zurückzuführen seien. Der auf diese Überzeugung aufbauende kulturkundliche Unterricht in lebenden Fremdsprachen habe daher in erster Linie das Erlebnis dieser Gemeinsamkeit zu vermitteln. Die kulturkundliche Betrachtungsweise wurde auch hier als Mittel angesehen, um zu dieser Einsicht zu gelangen.

Die Bildungsideale, die so im Laufe der Kulturkundebewegung und unter Berufung auf sie hervortraten, waren der deutsche Mensch, der Mensch überhaupt und der Europäer. Die Gemeinsamkeit dieser drei Verständnisweisen der neusprachlichen Bildung bestand darin, daß sie den jeweiligen Bildungswert durch eine bestimmte, von der Wissenschaft vorgegebene Betrachtungsweise zu heben suchten.

Der bleibende Ertrag, den die Kulturkundebewegung für die Grundlegung des neusprachlichen Unterrichts einbrachte, lag dementsprechend in der Vertiefung der Gegenstandsseite der Bildung. Die auf Überwindung des Stoffenzyklopädismus und der bloß informierenden Auslandskunde hinwirkende Tendenz und die Bemühung um Konzentration und ganzheitliche Sicht der Gehalte behalten ihren guten Sinn auch dann, wenn dem vorgeschlagenen Weg und dem erstrebten Ziel bleibende Anerkennung versagt war. In Form einer geistesgeschichtlichen Vertiefung des neusprachlichen Unterrichts kommt den kulturkundlichen Anschauungen in gewandelter Form auch gegenwärtig Bedeutung zu. Zudem wurde durch die Kulturkunde erneut bestätigt, daß als Gegenstand des neusprachlichen Unterrichts nicht allein die Sprache, sondern die gesamte Kultur des fremden Landes anzusehen ist. Schließlich ist es das Verdienst der Kulturkunde, zwei für den neusprachlichen Unterricht grundlegende Probleme zur Diskussion gestellt zu haben; dies ist einmal die Erörterung des Kulturbegriffs, durch dessen Bestimmung erst eine Aussage darüber möglich wird, was als fremd anzusehen ist, und zum anderen die Frage nach der Bewertung des Fremden, die zu den Grundfragen der neusprachlichen Didaktik gehört.

V. Zusammenfassung

Die folgende Zusammenfassung hat eine doppelte Aufgabe. Einmal gilt es, im Überblick die Einflüsse darzustellen, welche sich als bestimmend für das Verständnis der neusprachlichen Bildung erwiesen haben; zum anderen sind die wesentlichen Strukturmerkmale der neusprachlichen Didaktik, d. h. die für die didaktische Reflexion grundlegenden Fragestellungen und Problemkreise herauszuarbeiten, wie sie sich aus der Betrachtung der geschichtlichen Beispiele ergeben.

Es erscheint jedoch geboten, zwei Anmerkungen vorauszuschicken: Die Verwendung des Wortes Verständnis im Singular besagt nicht, daß eine einheitliche Konzeption der neusprachlichen Bildung nachzuweisen war. Die Untersuchung erbrachte im Gegenteil deutliche Hinweise dafür, daß die Begründung für den neusprachlichen Unterricht geschichtlich bedingt waren und oft heterogenen Motiven entsprangen. Zweitens ist anzumerken, daß für die Anfangsperiode des neusprachlichen Unterrichts die Frage offen bleibt, wie weit die hervortretenden Sinnbestimmungen primär von allgemeinen Lebenszwecken oder von erzieherischen Intentionen getragen waren.

Von den Einflüssen, die sich als relevant für das Verständnis der neusprachlichen Bildung erwiesen, traten besonders zeitgeschichtlich-politische Einwirkungen in Erscheinung. Entstehung und Ausbreitung des französischen Unterrichts in Deutschland weisen bereits auf einen Zusammenhang dieser Art hin: Die Konfessionskriege des 16. Jahrhundert führten zur Vertreibung von Menschen aus dem französischen Sprachbereich, die sich auch in Deutschland niederließen und als Lehrer oder Schüler den französischen Sprachunterricht förderten.

Für das 17. Jahrhundert ist eine Abhängigkeit des neusprachlichen Unterrichts von den geschichtlichen Verhältnissen offenkundig. Die kulturelle und politische Vorherrschaft Frankreichs in Europa war nach dem 30jährigen Krieg die Hauptursache dafür, daß in Deutschland die französische Sprache allgemein als Unterrichtsgegenstand in die Adelserziehung aufgenommen wurde. Bildung zur Weltgewandtheit und zum höfischen Betragen war ohne sie nicht mehr denkbar. Sie war das Mittel der individuellen und kollektiven Nachahmung der als höher empfundenen französischen Lebensform. Nachdem sie zum Schibboleth der Oberschicht geworden war, trat zu den bis dahin vorhandenen Motiven für den französischen Unterricht das des sozialen Prestiges hinzu, ein Motiv, das den Zeitraum der politisch-geistigen Vorherrschaft Frankreichs überdauerte.

Entsprechend blieb auch die Abwendung vom französischen Vorbild und die Ausbildung des nationalen Selbstbewußtseins in Deutschland nicht ohne Einfluß auf die Grundlegung des Französischunterrichts. In dem gleichen Maße, wie seine Ausrichtung auf das gegenwärtige Frankreich zurückgenommen wurde, erfolgte eine Hinwendung auf literarische, historische und formale Ziele. Erst im Zusammenhang mit der französischen Revolution und der französischen Besetzung traten gelegentlich wieder politische Begründungen für den Französischunterricht hervor.

Die Entwicklung der politischen Beziehungen zwischen England und Deutschland im 18. Jahrhundert trug, wenn auch nicht in der gleichen Weise, wie dies für das Verhältnis zu Frankreich galt, zur Ausbreitung des Unterrichts in der englischen Sprache bei. Sodann spiegelten sich die Anfänge des Industriezeitalters im Verständnis der neusprachlichen Bildung vor allem darin wieder, daß das Englische weiter an Bedeutung gewann. Mit dem Hinweis auf die Stellung Englands als der führenden Industrienation wurde die Notwendigkeit des Englischunterrichts bereits im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begründet. Seine Aufnahme als Unterrichtsfach in die Bürgerschule unterstreicht diese Tendenz.

Die Tatsache, daß die neusprachliche Bildung von solchen geschichtlichen Ereignissen, die gesteigerte Kommunikation mit dem Ausland bewirkten, Impulse empfing, wird auch durch die folgenden Zusammenhänge bestätigt. Wie die Betrachtung der neusprachlichen Reformbewegung ergab, wirkte sich das Aufkommen des kolonialen Interesses in Deutschland sowohl in der Gestaltung wie auch in den Begründungen des neusprachlichen Unterrichts aus.

Der erste Weltkrieg war ein weiteres geschichtliches Ereignis, von dem didaktische Konsequenzen ausgingen, indem Forderungen nach erweiterten Auslandsstudien an den neusprachlichen Unterricht gestellt wurden. Der Umschlag von dieser auslandskundlichen Ausrichtung hin zu einer distanzierten Einstellung gegenüber England und Frankreich setzte mit der Niederlage Deutschlands ein; Ressentiments gegenüber beiden Ländern fanden im selbsterhellenden Gedanken der Kulturkundebewegung ihren Niederschlag. Die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund wiederum fiel zeitlich zusammen mit einer Ablösung von diesen Auffassungen; zugleich breiteten sich andere, auf Begegnung mit dem Ausland gerichtete Strömungen aus.

Nach den zeitgeschichtlich-politischen Einflüssen sind solche Einwirkungen zu nennen, welche die neusprachliche Bildung von den Institutionen her erfuhr, von denen sie getragen wurde. Dies waren sowohl bestimmte Schularten als auch die Ausbildungsstätten und der Berufsverband der Neuphilologen. Die Ritterakademien waren jene Bildungsstätten, welche lebende Fremdsprachen erstmals als wesentliche Gehalte in den Kanon ihrer Bildungsgüter aufnahmen und damit für die didaktische Grundlegung des neusprachlichen Unterrichts insofern relevant wurden, als die Bildungsvorstellungen, welche sich in diesem Kanon realisiert hatten, auch das Verständnis der neusprachlichen Bildung bestimmten.

Demgegenüber waren die Einwirkungen von der Tradition der Lateinschule her von unterschiedlicher Art. Soweit der neusprachliche Unterricht als Privatlektion auch in den Lateinschulen gepflegt wurde, geriet er in den Sog der Bildungsvorstellungen und Methoden, die für diese Schulen charakteristisch waren. Das grammatische Prinzip fand so Eingang nicht nur in die Methoden, sondern wirkte mit seinem Anspruch auf Gelehrsamkeit und Gründlichkeit auch auf die didaktische Begründung der neueren Sprachen. Da hiervon die weltmännisch-pragmatische Ausrichtung dieses Unterrichts nicht grundsätzlich verdrängt werden konnte, verschloß sich die Gelehrtenschule, nachdem das neuhumanistische Bildungsprinzip Eingang gefunden hatte, den lebenden Fremdsprachen weitgehend.

Die sich im 19. Jahrhundert weiter ausbildende Bürgerschule bot mit ihrem Erziehungsplan dem vom Verkehrsgedanken geprägten Verständnis der neusprachlichen Bildung eine Stütze. Die lebenden Fremdsprachen hatten für diese Schulart als Realien gleichen Wert wie die übrigen Fächer. Ein Gymnasialtypus, der die neueren Sprachen in den Mittelpunkt stellte, bildete sich erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts aus.

Als Institutionen, die für die weitere Entwicklung des Verständnisses der neusprachlichen Bildung in gleicher Weise wie die Schulformen bedeutsam wurden, erweisen sich die neuphilologischen Seminare als die Ausbildungsstätten der Lehrer lebender Fremdsprachen, sowie die berufsständische Organisation des 1886 gegründeten Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verbandes, dessen 2jährlich stattfindende Versammlungen zum Forum wurden, au dem Fragen der neusprachlichen Didaktik verhandelt wurden. Während die neuphilologischen Seminare den wissenschaftlichen Aspekt des neusprachlichen Unterrichts verstärkten, ging von den Neuphilologentagen die Bestrebung aus, autonome Zielsetzungen für den neusprachlichen Unterricht zu finden. Die zuletzt genannte Entwicklung macht verständlich, daß die Begründungen der neusprachlichen Bildung zunehmend apologetischen Charakter annahmen und daher den Blick auf den Gesamtzusammenhang der Bildung an bestimmten Punkten verstellten.

Drittens schließlich ließen sich in den verschiedenen Auffassungen der neusprachlichen Bildung Beziehungen zu bestimmten Bildungstheorien feststellen. Vom aufklärerisch-philanthropischen Bildungsverständnis her wurde dabei der Verkehrswert der lebenden Sprachen in seiner erzieherischen Funktion herausgestellt, zum anderen wurde die Sprachmeistermethode als pädagogisch legitimes Lehrverfahren gewürdigt, das der Forderung nach Natürlichkeit gerecht wurde. Mit dem Bildungsbegriff Herders wurde die philosophisch-anthropologische Dimension der neusprachlichen Bildung aufgewiesen, die später in Magers Theorie der modernen Humanitätsbildung aufgenommen und durch den gesellschaftlich-ständischen Aspekt ergänzt wurde. Bildungstheorien, die dem pädagogischen Realismus nahestanden, bezogen lebende Fremdsprachen, wie vorher der Philanthropismus, wegen ihres Verkehrswertes und ihrer wissenserweiternden Funktion als Bildungsgegenstände ein. Die neusprachliche Reform übernahm Gedanken, die von der pädagogischen Reformbewegung ausgingen oder von dieser aufgenommen worden waren, so die Maximen des Kindgemäßen und der Selbsttätigkeit, sowie die Anerkennung des Irrationalen.

An vierter Stelle sind jene Rückwirkungen zu nennen, welche von der Erziehungswirklichkeit und der Unterrichtspraxis ausgingen, in der lebende Fremdsprachen jeweils vermittelt wurden. Als typischer Zusammenhang dieser Art stellte sich das Erlernen lebender Fremdsprachen in Verbindung mit Bildungsreisen dar. Da letztere vorwiegend ein Privileg der Oberschicht waren, wurde der aristokratisch-weltmännische Charakter der neusprachlichen Bildung weiter entwickelt. Weil diese Reisen nicht zuletzt auch politischen Zwecken dienten, machte sich von hier aus auch das Motiv der politischen Bildung geltend. Sodann unterstützte die Sprachmeistermethode als das in den Anfängen des neusprachlichen Unterrichts verbreitetste Lehrverfahren die pragmatische Grundlegung der neusprachlichen Bildung, indem sie den Umgang mit der Sprache und das Gespräch mit dem Angehörigen der fremden Sprachnation in den Mittelpunkt stellte. Auf der anderen Seite förderte die grammatische Methode Bestrebungen, das Erlernen der lebenden Sprachen den gelehrten Studien zuzuordnen und den neusprachlichen Unterricht so in die Tradition der artistischen Bildung zustellen. Diese bereits in den Anfängen sich abzeichnende methodische Zweibahnigkeit wurde auch in der Folgezeit in Verbindungen zu bestimmten Auffassungen der neusprachlichen Bildung sichtbar. Während die grammatische Methode Theorien formaler Bildung zugeordnet wurde, verband sich die direkte Methode mit dem Verkehrsgedanken.

Schließlich ist der Einfluß zu erwähnen, den die Wissenschaften auf die Begründung der neusprachlichen Bildung ausübten. Dieser war etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisbar und ging einerseits von den Fachphilologien (Romanistik, Anglistik) aus, zum anderen von der Psychologie, der allgemeinen Sprachwissenschaft und der Kulturphilosophie. Während im Zusammenhang mit der neusprachlichen Reformbewegung der Einfluß der Psychologie und der allgemeinen Sprachwissenschaft besonders deutlich hervortrat, zeigte die Genese des kulturkundlichen Unterrichtsprinzips vor allem die Abhängigkeit der neusprachlichen Didaktik von der Kulturphilosophie.

In der Analyse der geschichtlich nachweisbaren Auffassungen traten als wesentliche Strukturmerkmale der neusprachlichen Didaktik hervor

a) der Gedanke des internationale Verkehrs,

b) die Bewertung der fremden Sprache,

c) die Einstellung zur fremden Nation und

d) die Bezugnahme auf das Fremde als anthropologisches Problem.

Diese vier Problemkreise sollen im folgenden unter systematischem Aspekt erörtert werden; die in der geschichtlichen Darstellung angeführten Auffassungen und die in den einzelnen Abschnitten gegebenen Interpretationen bilden dafür die Grundlage, ohne daß in jedem Falle darauf verwiesen wird.

Die allgemeinste und am durchgängigsten aufweisbare Begründung des neusprachlichen Unterrichts bildete das Motiv, dem Zögling die Möglichkeit zu künftigem internationalen Verkehr zu erschließen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei hinzugefügt, daß unter internationalem Verkehr alle Arten der Kommunikation mit dem Ausland zu verstehen sind; der an persönliche Beziehungen gebundene Kontakt ist darin ebenso eingeschlossen, wie alle Modi der Teilnahme an Literatur, an bestimmten Institutionen oder an anderen Gebieten der Kultur.

Die Betrachtung der geschichtlichen Zusammenhänge ergab, daß Verbreitung und Wertschätzung des neusprachlichen Unterrichts eng verbunden waren mit der Entwicklung der internationalen Kommunikation. Entsprechend wurde der Gesichtspunkt des Völkerverkehrs im neusprachlichen Unterricht zu Zeiten intensiver Beziehungen zum Ausland hervorgehoben, während er in Epochen nationaler Zurückgezogenheit von anderen Prinzipien verdrängt wurde. In der gleichen Weise, wie die Lebensbereiche, in denen sich eine rege Kommunikation mit dem Ausland entwickelte, wechselten, und bestimmte Länder als Partner bevorzugt wurden, zeichnete sich auch in der Ausrichtung und Gestaltung des neusprachlichen Unterrichts eine Verlagerung ab. So standen in der Anfangsperiode die Formen des geselligen Umgangs, das religiöse Leben und die Politik im Vordergrund, ehe vom 18. Jahrhundert an die Literatur und die Wissenschaften den Vorrang einnahmen. Während im 16 Jahrhundert die Beziehungen zu Italien, Frankreich und Spanien im großen und ganzen gleiches Gewicht hatten, verdrängte im 17. Jahrhundert das Interesse an Frankreich dasjenige an anderen Nationen. Vom 18. Jahrhundert an gewannen die Verbindungen zu England an Bedeutung. Die genannten Verhältnisse spiegelten sich jeweils auch in der neusprachlichen Bildung wider.

Die aus der zunehmenden Zivilisation erwachsene Notwendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland machte sich zunächst als gesellschaftliches Bedürfnis geltend und gehörte, da sie Mündigkeit der an der Kommunikation Beteiligten voraussetzte, als Aufgabe der Welt der Erwachsenen an. Das aber bedeutete, daß Erziehungstheorien, welche die Erziehung zur Welt prinzipiell ausschlossen, den Verkehrsgedanken nicht als Grundlage des neusprachlichen Unterrichts anerkennen konnten, vorausgesetzt, daß sie diesem Unterricht überhaupt positiv gegenüberstanden.

Die Kommunikation mit dem Ausland war in der Frühzeit des neusprachlichen Unterrichts überwiegend der gesellschaftlichen Oberschicht vorbehalten, wurde jedoch seit dem 18. Jahrhundert zum steigenden Bedürfnis auch der anderen Schichten. Dem entspricht die Tatsache, daß die lebenden Fremdsprachen zunächst in die Adelserziehung aufgenommen und später in die Institutionen der höheren und mittleren Bildung, im 20. Jahrhundert auch in die Volksschule einbezogen wurden.

Der erzieherisch-positive Sinn des Verkehrsgedankens, wie er bereits in den Anfängen des neusprachlichen Unterrichts hervortrat und später vor allem von Schleiermacher und Mager entwickelt wurde, läßt sich wie folgt fassen: Durch Begegnung mit der Lebenswirklichkeit und den Schöpfungen fremder Nationen und einzelner ihnen angehörender Individuen wächst dem jungen Menschen eine Erweiterung seines künftigen Erfahrungs- und Handlungsbereichs zu. Diese Erweiterung schließ die Möglichkeit, menschliche Bindungen mit Angehörigen anderer Nationen einzugehen, ebenso ein wie die Ausdehnung des beruflichen, staatsbürgerlichen und ästhetischen Erfahrungshorizonts. Formal betrachtet erschließ sich der Zögling damit eine neue Dimension der Begegnung und des Wirkens und gewinnt eine Plattform, die es ihm ermöglicht, in ein distanziertes Verhältnis zu regionalen und nationalen Auffassungsweisen zu treten. Dem Inhalt nach läßt sich internationale Kommunikation als ein Lebensbereich eigener Art begreifen, welcher der gleichen Fortführung durch die junge Generation bedarf, wie z. B. Politik, Religion, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaften. So betrachtet, steht und fällt die Bedeutung eines auf die Notwendigkeit internationaler Kommunikation gegründeten neusprachlichen Unterrichts mit der Möglichkeit des Zöglings, künftig an diesem Verkehr teilzunehmen. Sofern diese Möglichkeit (epochal bedingt) in Frage steht oder aus bestimmten (z. B. ideologischen) Gründen unerwünscht ist, dem Verkehrsgedanken somit sein Wert für das Leben abgesprochen wird, ist auch sein erzieherischer Wert zweifelhaft. Diesem Grundproblem gegenüber erweist sich die Entscheidung darüber, welche Auswahl in bezug auf die Nationen und die Werke, die es zu vermitteln gilt, zutreffen ist als ein zwar wichtiges, jedoch sekundäres Problem, dessen Lösung aus dem Zusammenhang der geschichtlichen Lage heraus versucht werden muß.

Der erzieherische Sinn des Verkehrsgedankens ist jedoch nicht allein von diesem pragmatischen Ansatz her zu fassen, sondern ist darüber hinaus gebunden an eine Wertentscheidung zugunsten einer positiven Einstellung zur fremden Nation und den Gütern, die in ihrem Bereich geschaffen worden sind. Wie eng der Gedanke des Verkehrs auch die Völkerverständigung einschließt, zeigten die Bestrebungen der neusprachlichen Reformbewegung. Andererseits bereitete der Rückgang der Kommunikation mit dem Ausland unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg den Boden für die weitgehend verständigungsindifferenten bzw. verständigungsfeindlichen Tendenzen der Kulturkunde. Die von Schleiermacher als Kosmopolitismus bezeichnete Gesinnung, welche die Bereitschaft zum partnerschaftlichen Umgang mit fremden Nationen voraussetzt, erweist sich so als die dem Verkehrsgedanken angemessene erzieherische Einstellung, die im neusprachlichen Unterricht angelegt sein muß.

Vom Gedanken der internationalen Kommunikation als der zentralen Kategorie der neusprachlichen Bildung aus eröffnet sich auch der Zugang zu den anderen Grundfragen der neusprachlichen Didaktik, ohne daß deren eigentümliche Problematik dadurch aufgehoben würde.

Das zweite, für die didaktische Grundlegung der neusprachlichen Bildung wesentliche Kriterium bildet die Bewertung der fremden Sprache selbst. Drei typische Auffassungen von ihrer Stellung im Unterricht zeichnen sich in der Analyse der dargestellten Richtungen ab.

Die erste Position ist dadurch bestimmt, daß die fremde Sprache wesentlich als Mittel zur Kommunikation begriffen wird, das den Zugang zu Gehalten der fremden Kultur öffnet. Das durch die Sprache zu Erschließende steht im Mittelpunkt, nicht die Weise des Erschließens. Insofern tritt der bildende Wert der Fremdsprache erst sekundär in Erscheinung, weil er aus dieser ihrer Mittel-Funktion abgeleitet wird. Der Unterricht ist von dieser Sprachauffassung her so zu gestalten, daß das Mittel Fremdsprache beherrscht, und daß Geläufigkeit im Sprechen und Verstehen erreicht wird, so daß die Gehalte nicht durch Sprachschwierigkeiten verstellt werden. Methoden, die das Erlernen der Fremdsprache im Umgang anstreben, und eine Unterrichtspraxis, die auf die Inhalte hin konzentriert ist, finden in diesem Verständnis eine Stütze. Mit dem Gedanken des internationalen Verkehrs steht die genannte Sprachauffassung insofern in Einklang, als in beiden das kommunikative Element überwiegt.

Eine entgegengesetzte Bewertung erfährt die Fremdsprache dort, wo sie in ihrer Eigenschaft als geistige Objektivation in den Mittelpunkt des Unterrichts gestellt wird. Nicht durch die Sprache, sondern in ihr sollen die bildenden Gehalte erschlossen werden.

Dabei kann einmal als die Hauptaufgabe angesehen werden, an den Baugesetzen der Fremdsprache bestimmte Denkoperationen zu üben (Induktion, Deduktion, Gliedern, Analysieren etc.), bzw. am Sprachmaterial das Gedächtnis zu schulen. Dieses im traditionellen, lautbezogenen Grammatikunterricht angestrebte Ziel der formalen Bildung zeichnet sich zwar ebenfalls dadurch aus, daß die Sprache dabei als Mittel aufgefaßt wird, jedoch nicht als Mittel der Kommunikation, sondern, abgelöst vom Zusammenhang der Sprachgemeinschaft, als logisches System.

Hiervon ist deutlich eine dritte, ebenfalls auf die Sprache als geistige Objektivation zurückgreifende Auffassung zu unterscheiden, der es darauf ankommt, in der Fremdsprache eine Weltansicht aufzuweisen, die sich von der eigenen unterscheidet, und den Zusammenhang der Sprache mit dem Gesamtsystem der Kultur zu erfassen. Dieses auf Herder und Humboldt zurückgehende und für den neusprachlichen Unterricht gelegentlich bereits in der Kulturkunde wieder aufgegriffene Sprachverständnis hat gegenwärtig vom Gedanken der inhaltbezogenen Grammatik (Weisgerber) her neue Bedeutung erlangt. Versuche, diese Einsichten auch auf die Begründung der neusprachlichen Bildung anzuwenden, lassen sich erst in jüngster Zeit feststellen und fallen daher nicht mehr in den Zeitraum, dem die vorliegende Untersuchung gewidmet ist.

Als weiteres Kriterium für das Verständnis der neusprachlichen Bildung erwies sich die Einstellung zum Fremden. In besonderer Weise trat die Reflexion darüber, was das Wesen dieses Fremdseins ausmacht, im Zusammenhang mit Fragen der neusprachlichen Bildung bei Herder und in der Kulturkundebewegung auf, während in der Frühzeit des neusprachlichen Unterrichts und teilweise auch in der neusprachlichen Reformbewegung eine eher naive Grundhaltung dieser Fragestellung gegenüber vorherrschte. Die Spannung zwischen dem Eigenen und dem Fremden wurde in der Frühzeit weitgehend durch Anpassung an das Fremde gelöst, von der neusprachlichen Reform wurde sie gewissermaßen technisch bewältigt durch möglichst vollkommene Sprachbeherrschung und Einfühlung in die fremden Denkweisen.

Ohne auf die philosophischen und psychologischen Grundlagen des Fremdverstehens und der sympathetischen Gefühle einzugehen, läßt sich feststellen, daß diejenige menschliche Bindung, die im Falle des neusprachlichen Unterrichts das Kriterium für Eigenes und Fremdes abgibt, die Zugehörigkeit zur Sprachgemeinschaft ist. Da letztere jedoch mit anderen, z. B. nationalen, ethnischen und politischen Bindungen teilweise zusammenfällt, handelt es sich beim Erlernen einer Fremdsprache und bei der Begegnung mit Menschen und Schöpfungen aus dem fremden Sprachbereich um eine Grenzüberschreitung prinzipieller Art, indem der Kreis der Muttersprache, an den die frühen Erfahrungen gebunden sind, verlassen wird.

Die Einstellung zum Fremden kann einmal als ein Verhältnis der Verwandtschaft, der Freundschaft, der Partnerschaft, d. h. der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer übergreifenden Gruppe angesehen werden. Es steht dabei nicht in Frage, daß sich die eigene und die fremde Auffassung nur zum Teil unterscheiden, daß das Fremde also nicht das absolut Andere darstellt. Zum anderen kann jedoch das Fremde auch unter dem Aspekt der Rivalität oder der Feindschaft betrachtet werden. Die Auseinandersetzung mit ihm gilt dann nicht mehr in erster Linie der Horizonterweiterung, sondern vielmehr der Absicherung des eigenen Bereichs.

In jedem Falle hängt jedoch der erzieherische Wert solcher Begegnung davon ab, daß dem Fremden als solchem ein Eigenwert zuerkannt wird. Das gilt für Kunstwerke aus dem fremden Sprachbereich ebenso wie für religiöse, politische, ökonomische und wissenschaftliche Gehalte. In gleicher Weise, wie es der Erziehung angelegen sein muß, das Fremde aus dem Zweck-Mittel-Denken herauszuhalten, muß sie sich von jeder einseitigen Zuspitzung auf ein Dialektik Fremdes-Eigenes freihalten, die den Zwang fortwährender Kontrastierung auslöst, auch dort, wo in Wirklichkeit Gemeinsamkeiten vorliegen.

Als vierte Problemstellung erbrachte die Analyse des Verständnisses der neusprachlichen Bildung einen anthropologischen Aspekt, wenn dieser auch nur an verhältnismäßig wenigen Stellen explizit sichtbar wurde. Es handelte sich dabei um die Frage, in welcher Weise die frühe Bezugnahme auf das Fremde die Personwerdung des Zöglings hemmt oder unterstützt. Dabei wurde wesentlich nur die negative Seite aufgewiesen. Rousseau, Schleiermacher und Herbart lehnten den neusprachlichen Unterricht im frühen Jugendalter mit der Begründung ab, daß darunter die Festigung des individuellen Charakters leide. Sie gelangten von verschiedenen Voraussetzungen zu der Auffassung, daß Denkweisen und sittliche Normen als eindeutig bestimmbar dargestellt werden müßten, um dem Zögling zur Sicherheit in seinem Verhältnis zur Welt zu verhelfen. Eine frühe Bezugnahme auf das Fremde führe jedoch zur Relativität im Auffassen und Werten und hemme so die Ausbildung der sittlichen Persönlichkeit.

Es ist jedoch zu fragen, ob von einem veränderten Menschenbild her, welches wesentlich von einer Offenheit des Menschen zur Welt, von seiner Unbestimmtheit ausgeht, es nicht geboten erscheint, durch Begegnung mit Gehalten fremder Kulturen eine frühe Festlegung des Zöglings auf bestimmte Denk- und Auffassungsschemata zu verhindern. In den verschiedenen Formen eines humanistischen Verständnisses der neusprachlichen Bildung scheinen sich solche Vorstellungen als letzte Gründe abzuzeichnen, doch kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung und an Hand des erfaßten Materials diese Fragestellung nur angedeutet werden. Es erscheint jedoch notwendig, darauf hinzuweisen, daß in dieser anthropologischen Grundfrage eine Problematik eigener Art für die Begründung des neusprachlichen Unterrichts sichtbar wird.

Verzeichnis der benutzten Literatur

Ackermann: Über den französischen Sprachunterricht in der höheren Mädchenschule. In: Zeitschrift für weibliche Bildung, 11. Jahrg., S. 175.

Aehle, W.: Die Anfänge des Unterrichts in der englischen Sprache, besonders auf den Ritterakademien. Erziehungswissenschaftliche Studien 7, Hamburg 1938.

Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher. 15 Bände, Wien/Braunschweig 1785 ff., Hrsg. J. H. Campe.

Apelt, W.: Die Kulturkunde im Unterricht der neueren Sprachen. Ein Irrweg deutscher Philologen. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1960, S. 303.

Arnold, A.: Die höheren Unterrichtsanstalten nach den Anforderungen der Gegenwart. Berlin 1829.

Arnoldt, J. F. J.: Fr. Aug. Wolf in seinem Verhältnisse zum Schulwesen und zur Pädagogik. 2 Bände, Braunschweig 1861/62.

Benedict, R.: Urformen der Kultur. rowohlts deutsche enzyklopädie 7, Hamburg 1955.

Berger, F.: Menschenbild und Menschenbildung. Die philosophisch-pädagogische Anthropologie J. G. Herders, Stuttgart 1933.

Berichte über die Verhandlungen der Tagungen des Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verbandes. 1886 ff.

Bierbaum, J.: Die Reform des fremdsprachlichen Unterrichts. Kassel 1886.

Blättner, F.: Das Gymnasium. Heidelberg 1960.

Blättner, F.: Geschichte der Pädagogik. Heidelberg 19532.

Boeckh, A.: Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften. (Hrsg. E. Bratuschek), Leipzig 18862.

Bohlen, A.: Methodik des neusprachlichen Unterrichts. Heidelberg 19552.

Bohse, A.: Der getreue Hofmeister. Liegnitz 1703.

Borbein, H.: Auslandsstudien und neusprachlicher Unterricht im Lichte des Weltkrieges. Leipzig 1917.

Brandau, H.-W.: Die mittlere Bildung in Deutschland. Göttinger Studien zur Pädagogik, Neue Folge Heft 2, Weinheim 1959.

Brandt, O. H.: Der Volksgeist im französischen Kriegslied der Gegenwart. In: Die Neueren Sprachen 27 (1920), S. 154.

Breymann, H.: Die neusprachliche Reformliteratur von 1876-1893. 3 Bände, Leipzig 1895 ff.

Budde, G.: Die Theorie des fremdsprachlichen Unterrichts in der Herbart'schen Schule. Hannover 1907.

Capelle: Zur Frage: Über den Unterricht in der Französischen Sprache und seine Stellung auf Gymnasien. Nordhausen 1843.

Clasen, J.: Die Reform des neusprachlichen Unterrichts und ihre Gegner. In: Die Neueren Sprachen, 22. Jahrg. 1915, S. 209.

Claude: Bemerkungen über die von Herrn Professor Thiersch vorgeschlagene Organisation der glehrten Schulen mit besonderer Rücksicht auf Bayern. München 1826.

Comenius, J. A.: Große Ddaktik. In neuer Übersetzung herausgegeben von Andreas Flitner, Düsseldorf 1954.

Curtius, E. R.: Probleme der französischen Kulturkunde. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 1925, S. 649.

Derbolav, J.: Die Stellung der pädagogischen Psychologie in der Erziehungswissenschaft. In: Handbuch der Psychologie Band 10, 1959.

Deutschbein, M.: Kulturkunde und Universität. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 19228, S. 582.

Dibelius, W.: England. Stuttgart 1923.

Dorfeld, K.: Beiträge zur Geschichte des französischen Unterrichts in Deutschland. Gymnasialprogramm, Gießen 1882.

Dörpfeld, F.-W.: Grundlinien einer Theorie des Lehrplans. Gesammelte Schriften, Band II, 1, Gütersloh 1894.

Dörr, F.: Wilhelm Viëtor zum Gedächtnis. In: Die Neueren Sprachen 1919, S. 1.

Eggert, B.: Der psychologische Zusammenhang in der Didaktik des neusprachlichen Reformunterrichts. In: Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der Pädagogischen Psychologie und Physiologie, Band VII, Heft 4, Berlin 1904.

Ehlers, M.: Gedanken von den zur Verbesserung der Schulen notwendigen Erfordernissen. Altona/Lübeck 1766.

Ehrhart, F.: Die Geschichte des fremdsprachlichen Unterrichts in Württemberg. In: Korrespondenzblatt für das Gelehrten- und Realschulwesen Württembergs, 37. Jahrg., Tübingen 1890, S. 281.

Ehrke, K.: Mehr Englisch und Französisch. Marburg 1910.

Eickhoff, R.: Der Krieg und die neueren Sprachen. In: Zeitschrift für die Reform der höheren Schulen 1915, S. 53.

Elsasser, R.: Über die politischen Bildungsreisen der Deutschen nach England. Heidelberg 1917.

Ernesti, J. A.: Erneuerte Schulordnung für die Chur-Sächsischen drey Fürsten- und Landesschulen. Dresden 1773.

Franke, F.: Die praktische Spracherlernung auf Grund der Psychologie und der Physiologie der Sprache. Heilbronn 1884.

Freyer, H.: Sprache und Kultur. In: Die Erziehung 1928, S. 65.

Gaudig, H., Didaktische Präludien. Leipzig 1909.

Gedicke, F.: Gesammelte Schulschriften. In: Allgemeine Revision (s. d.).

Geißler, G.: Comenius und die Sprache. Heidelberg 1960.

Gelhard, J.: Zur gegenwärtigen Lage des Unterrichts in den neueren Sprachen. In: Zeitschrift für französichen und englischen Unterricht, 1930, S. 550 ff.

Gouin, F.: L'art d'enseigner et d'étudier les langues. Paris 1880.

Grabert/Hartig: Deutschkunde im französischen Unterricht. Frankfurt 1928.

Grauthoff, O.: Das gegenwärtige Frankreich. Halberstadt 1926.

Haccius, E.: Die pädagogische Bewegung in Herders Reisejournal. Göttinger Studien zur Pädagogik, Heft 32, Göttingen 1939.

Hanf, G.: Die Gedanken des Arbeitsunterrichts und der Konzentration im Französischen. In: Lehrproben und Lehrgänge aus der Praxis der Gymnasien und Realschulen 1925, S. 258.

Hartig, P.: Kulturkunde und Humanität. In: Die Neueren Sprachen, Beiheft 15, 1928, S. 20.

Hartig, P.: Kulturkundlicher Unterricht mit Hilfe von Verlaine und Storm. In: Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht 1926, S. 289.

Herder, J. G.: Reisejournal. Kleine Pädagogische Texte, herausgegeben von E. Blochmann, Weinheim o. J.

Herder, J. G.: Sämtliche Werke. Herausgegeben von B. Suphan, 30 Bände, Berlin 1877-1913.

Heyne, Ch. G.: Schulverfassung und Schulordnung für die Stadtschule zu Göttingen. Göttingen 1798.

Hildebrand, R.: Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt. 1867.

Hornemann, F.: Zur Reform des neusprachlichen Unterrichts auf höheren Lehranstalten. Hannover 1885.

Hübner, W.: Auslandskunde. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 1925, S. 424.

Hübner, W.: Didaktik der neueren Sprachen. Frankfurt 1929, 19332.

Hübner, W.: Welche Aufgaben stellt die Schulreform dem neusprachlichen Unterricht. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 1925, S. 88.

Hübotter, A.: Das Schicksal der Humanität im 19. Jahrhundert. Göttinger Studien zur Pädagogik, Heft 9, 1929.

Junker, H.: Artikel "Englischer Unterricht" in Reins Encyklopädie (s. d.). Band 2, S. 406.

Kinkel, H.: Die Problematik des kulturkundlichen Prinzips im neusprachlichen Unterricht. In: Südwestdeutsche Schulblätter 1928, S. 52 und S. 87.

Klafki, W.: Das pädagogische Problem des Elementaren und die Theorie der kategorialen Bildung. Göttinger Studien zur Pädagogik, Neue Folge, Heft 6, Weinheim 1957.

Klatt, W.: Die modernen Fremdsprachen nach dem Weltkriege. In: Deutsches Philologenblatt 25, 1917, S. 299.

Klemperer, V.: Immer wieder Kulturkunde. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 1928, S. 246.

Klemperer, V.: Schulbücher. In: Idealistische Philologie 1927, S. 395.

Klemperer, V.: Verstehen und Verständigung. In: Idealistische Philologie 1927/28, S. 132.

Klumpp, F. W.: Die gelehrten Schulen nach den Grundsätzen des wahren Humanismus und den Anforderungen der Zeit. Stuttgart 1829.

Koldewey, F.: Die Ritterakademie zu Wolfenbüttel. In: Beiträge zur Kirchen- und Schulgeschichte des Herzogthums Braunschweig, Wolfenbüttel 1888, S. 58.

Lehmann, A.: Der neusprachliche Unterricht im 17. und 18. Jahrhundert, insbesondere seine Methode im Lichte der Reform der Neuzeit. Jahresbericht der Annenschule, Dresden 1904.

Lehmensick, E.: Die Theorie der formalen Bildung. Göttinger Studien zur Pädagogik, Heft 6, 1926.

Lerch, E.: Französische Kulturkunde? In: Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht 1928, S. 1.

Linz, F.: Zur Tradition und Reform des französischen Unterrichts. Langensalza 1896.

Litt, Th.: Gedanken zum kulturkundlichen Unterrichtsprinzip. In: Die Erziehung I (1925), S. 38 und S. 99, sowie in: Möglichkeiten und Grenzen der Pädagogik, Leipzig 1926, S. 132.

Locke, J.: Handbuch der Erziehung. Aus dem Englischen übersetzt von Rudolphi. In: Allgemeine Revision (s. d.) Band IX.

Lohmann, O.: Über den Wert unserer Regeln und Sprachgesetze bei Behandlung der französischen Grammatik. In: Die Neueren Sprachen 25 (1918), S. 502.

Mackel, E.: Die Sprache im Dienste der Auslandskunde. In: Die Neueren Sprachen 1922, S. 105.

Mager, C. W.: Die genetische Methode des Unterrichts in französischer Sprache. Zürich 1846.

Mager, C. W.: Die moderne Philologie und die deutschen Schulen. Stuttgart 1840.

Mager, C. W.: Französische Chrestomathie. 2 Bände, Stuttgart 1842.

Mager, C. W.: Französisches Elementarwerk. Lehr- und Lesebuch für Gymnasien und höhere Bürger-(Realschulen), Stuttgart 1840.

Mager, C. W.: Geschichte der französischen Nationalliteratur neuerer und neuester Zeit. 4 Bände, Berlin 1837-39.

Mager, C. W.: Tableau anthologique de la littérature francaise contemporaine. Berlin 1837-38.

Mager, C. W.: Über Wesen, Einrichtung und pädagogische Bedeutung des schulmäßigen Studiums der neueren Sprachen und Litteraturen. Zürich, 1843.

Mager, C. W.: Versuch einer Geschichte und Charakteristik der französischen Nationalliteratur. Wismar 1834.

Maier, W.: Prinzipielles zur französischen Schullektüre. Ein Beitrag zur Humanisierung des neusprachlichen Unterrichts. In: Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht 1931, S. 530.

Meidinger, J. V.: Praktische Französische Grammatik. Frankfurt 181730.

Michaelis, J. D.: Über den Einfluß der Meinungen auf die Sprachen und der Sprachen auf die Meinungen. Berlin 1760.

Michels, R.: Zum Wesen des Franzosentums. In: Neuphilologische Zeitschrift 1930, S. 281.

Müller, G.: Zur Geschichte der Prinzen- und Prinzessinnen-Erziehung der Hohenzollern. In: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, Berlin 1897, S. 281.

Münch, W.: Didaktik und Methodik des französischen und englischen Unterrichts. 1895.

Münch, W.: Die Reformbewegung auf dem Gebiete des neusprachlichen Unterrichts. In: Pädagogisches Archiv, Band 28, 1886, S. 521.

Mundorf, G.: Die Muttersprache im pädagogischen Werk Herders. Berlin 1956.

Niemeyer, A. H.: Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts. 3 Bände, Reutlingen 18279.

Niethammer, F. I.: Der Streit des Philanthropismus und Humanismus. Jena 1808.

Nohl, H.: Der Bildungswert fremder Kulturen. In: Die Erziehung 1928, S. 524, sowie in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt 1949, S. 50.

Nohl, H.: Der neusprachliche Unterricht im Sammelwerk. In: Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht 1930, S. 634 und 1931, S. 116.

Nohl, H.: Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie. Frankfurt 19615.

Oeckel, F.: Englischer Kulturunterricht im Lichte der Unterrichtspraxis. Leipzig 1928.

Ohlert, A.: Die fremdsprachliche Reformbewegung mit besonderer Berücksichtigung des Französischen. Königsberg 1886.

Otto, E.: Möglichkeit und Aufgabe der Kulturkunde und des kulturkundlichen Unterrichts. In: Die Neueren Sprachen, Beiheft 15, 1928, S. 1.

Pädagogisches Lexikon. Herausgegeben von H.-H. Groothoff und M. Stallmann, Stuttgart 1961.

Paul, H.: Prinzipien der Sprachgeschichte. Halle 1880, 18983.

Paulsen, F.: Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. 2 Bände, Leipzig 19193.

Platz, H.: Kulturkunde und Geistesgeschichte. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 1928, S. 591.

Ploetz, K.: Cours gradué de langue française en six parties à l'usage des écoles. Auch unter dem Titel Französisches Elementarbuch erschienen, Berlin 1849 ff.1, 192048.

Ploetz, K.: Übungen zur Erlernung der französischen Syntax. 18744.

Ploetz, K.: Zweck und Methode der französischen Unterrichtsbücher 18926.

Reble, A.: Geschichte der Pädagogik. Stuttgart 19605.

Reble, A.: Herders Menschenbild und Bildungsidee. In: Die Sammlung 1954, S. 303.

Rein, W. (Hrsg.): Encyklopädisches Handbuch der Pädagogik. 10 Bände, Jena 1904 ff.

Richert, H.: Die deutsche Bildungseinheit und die höhere Schule. Tübingen 1920.

Richter, J.: Das Erziehungswesen am Hofe der Wettiner Albertinischer (Haupt-)Linie. Monumenta Germaniae Paedagogica LII, Berlin 1913.

Richter, J.: Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Schulen Preußens. Berlin 1924.

Roeder, F.: Englischer Kulturunterricht. Leipzig/Berlin, 1924.

Rousseau, J.-J.: Emile ou de l'Education, Nouvelle Edition, avec une bibliographie, des notes, et un index analytique par François et Pierre Richard. Paris 1957.

Rübmann, O.: Erweiterung der Ziele des neusprachlichen Lektüreunterrichts. In: Deutsches Philologenblatt 25 (1917), S. 525.

Schäfer, P.: Wirtschaftsbetonte englische Kulturkunde. In: Neuphilologische Monatsschrift 1930, S. 332.

Schewe, K.: Das Kulturmandat des Neusprachlers. In: Neuphilologische Monatsschrift 1930, S. 573.

Schleiermacher, F.: Pädagogische Schriften. Herausgegeben von E. Weniger unter Mitwirkung von Th. Schulze, 2 Bände, Düsseldorf, München 1957.

Schmeding, O.: Die Entwicklung des realistischen höheren Schulwesens in Preußen bis zum Jahre 1933. Köln 1956.

Schmidt, B.: Der französische Unterricht und seine Stellung in der Pädagogik des 17. Jahrhunderts. Hallische Pädagogische Studien 13, Osterwieck 1931.

Schmidt, F.: Geschichte der Erziehung der Bayerischen Wittelsbacher von den frühesten Zeiten bis 1750. Monumenta Germaniae Paedagogica XIV, Berlin 1892.

Schmidt, F.: Geschichte der Erziehung der Pfälzischen Wittelsbacher. Monumenta Germaniae Paedagogica XIX, Berlin 1899.

Schmieder, C. C.: Über Einrichtung höherer Bürgerschulen. Halle 1809.

Schmitz, B.: Encyklopädie des philologischen Studiums der neueren Sprachen. Greifswald 1859.

Schön, E.: Kulturkunde. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und vom Recht der Jugendbildung 1926, S. 174.

Schön, E.: Sinn und Form einer Kulturkunde im französischen Unterricht. Leipzig/Berlin 1925.

Schön, E.: Von Werten der französischen Kultur in der deutschen Schule. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 1928.

Schöndörffer, J. H.: Ein Hofmeister nach Frankreich. Oder Merckwürdige Nachrichten Was die Teutschen in Franckreich sehen und lernen können. Nürnberg 1673.

Schöningh, Th.: Zum Kampfe gegen den neusprachlichen Unterricht. In: Die Neueren Sprachen 27 (1919/20), S. 56.

Schroer, A.: Wortbedeutung und Nationalcharakter. In: Neuphilologische Monatsschrift 1930, S. 129.

Schücking, L. L.: Der neusprachliche Unterricht und der Krieg. In: Zeitschrift für die Reform der höheren Schulen 1915, S. 33.

Schücking, L. L.: Die Kulturkunde und die Universität. In: Die Neueren Sprachen 1927, S. 1.

Schuster, G.: Zur Erziehung der Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth. In: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 1911, S. 69.

Schuster, G. und Wagner, F.: Die Jugend und Erziehung der Kurfürsten von Brandenburg und Könige von Preußen. Monumenta Germaniae Paedagogica XXXIV, Berlin 1906.

Schwab(e), G.: Über die Allgemeinheit der französischen Sprache und die wahrscheinliche Dauer derselben. Preisschrift der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1787.

Schwabe, E.: Pläne und Versuche, um in Kursachsen eine Ritterakademie zu errichten. In: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, 17. Jahrg., Berlin 1907, S. 89.

Schwedtke, K. und Salewsky, R.: Die bildende Kunst im neusprachlichen Unterricht. Braunschweig 1929.

Sievers, E.: Grundzüge der Lautphysiologie zur Einführung in das Studium der indogermanischen Sprachen. Leipzig 1876.

Spengler, O.: Der Untergang des Abendlandes. 1918 ff.

Spranger, E.: Denkschrift über die Errichtung der Auslandsstudien an den deutschen Universitäten. In: Internationale Monatsschrift 11 (1917), Heft 9.

Spranger, E.: Der gegenwärtige Stand der Geisteswissenschaften und die Schule. Leipzig/Berlin 1922.

Spranger, E.: Wilhelm v. Humboldt und die Humanitätsidee. Berlin 19302.

Spranger, E.: Wilhelm v. Humboldt und die Reform des Bildungswesens. Berlin 1910.

Steinbrecher, W.: Der Humor Daudets und Gottfried Kellers. In: Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht 1926, S. 295 und S. 425.

Steinthal, H.: Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871.

Stengel, E.: Chronologisches Verzeichnis französischer Grammatiken vom Ende des 14. zum Ausgange des 18. Jahrhunderts nebst Angabe der bisher ermittelten Fundorte derselben. Oppeln 1890.

Steuerwald, K.: Wesen und Bedeutung der neusprachlichen Reform. Langensalza 1932.

Streuber, A.: Beiträge zur Geschichte des französischen Unterrichts im 16. bis 18. Jahrhundert. Berlin 1914.

Tappert, W.: Wie stehen wir zu unserem neusprachlichen Fachstudium? In: Die Neueren Sprachen 25 (1918), S. 129.

Thiersch, F.: Über gelehrte Schulen mit besonderer Rücksicht auf Bayern. 2 Bände, Stuttgart/Tübingen 1826.

Trapp, E. Ch.: Über den Unterricht in Sprachen. In: Allgemeine Revision (s. d.), Elfter Teil, 1788.

v. Sallwürk, E.: Die Leitmotive der Reform des Unterrichts der neueren Fremdsprachen. In: Lehrproben und Lehrgänge aus der Praxis der Gymnasien und Realschulen, Heft 19, Halle 1889.

Viëtor, W.: Der Sprachunterricht muß umkehren. Heilbronn 1882. Der Verfasser hatte diese Schrift unter dem Pseudonym Quousque Tandem veröffentlicht.

Voßler, K.: Vom Bildungswert der romanischen Sprachen. In: Die Neueren Sprachen 1922, S. 226.

Walter, M.: Die Reform des neusprachlichen Unterrichts auf Schule und Universität. Marburg 1901.

Walter, M.: Zur Methodik des neusprachlichen Unterrichts. Marburg 19173.

Wechssler, E.: Deutsche und französische Kultur. Marburg 1918.

Wechssler, E.: Die Franzosen und wir. Jena 1916.

Wechssler, E.: Esprit und Geist. Bielefel/Leipzig 1927.

Wechssler, E.: Französische Geistesart und ihre Formen. In: Internationale Monatsschrift 1917, Heft 10/11.

Wechssler, E.: Französische Volksart. In: Deutsche Politik 1916, Heft 6.

Wechssler, E.: Vergleichende Betrachtung der Grundlagen deutscher und französischer Kultur an Schule und Universität. Als Protokoll wiedergegeben in: Bericht über die XVIII. Tagung des Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verbandes (A. D. N. V.) in Nürnberg vom 6.-9. Juni 1922, Berlin 1925.

Weinstock, H.: Sprachunterricht und Kulturkunde. In: Die Erziehung 1927, S. 139.

Wendt, G.: Die Reformmethode in den oberen Klassen der Realanstalten. In: Bericht über die Verhandlungen des 8. Allgemeinen Deutschen Neuphilologentages, Hannover 1898.

Wendt, O.: Der neusprachliche Unterricht im Lichte der neuen Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Schulen. Langensalza 1894.

Wendt, O.: Enzyklopädie des französischen Unterrichts. Hannover 1909.

Weniger, E.: Didaktik als Bildungslehre. Teil II. Didaktische Voraussetzungen der Methode in der Schule. Weinheim 1960.

Weniger, E.: Die Eigenständigkeit der Erziehung in Theorie und Praxis. Weinheim 1953.

Wichmann, H.: Die Musik in der französischen Kulturkunde. In: Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht 1930, S. 249.

Wichmann, O: Eigengesetz und bildender Wert der Lehrfächer. Untersuchungen über die Beziehung von allgemeiner Pädagogik und Fachwissenschaft. Halle 1930.

Wiese, L.: Verordnungen und Gesetze für die höheren Schulen in Preußen. 2 Bände, Berlin 18752, 18863.

Wolf, F. A.: Über Erziehung, Schule, Universität. Herausgegeben von H. Körte, Quedlinburg 1835.

Wundt, W.: Grundriß der Psychologie. Leipzig 1886.