Ia. Straßburger Beginenverfolgungen im 14. Jahrhundert

Wolfenbuettel311_70.jpg - 108878 Bytes


Inhalt: Einleitung S.56. - 1. Beschreibung der Handschrift Wolfenbüttel 311 Helmst. S. 58. - 2. Die Straßburger Beginenverfolgung unter Bischof Lamprecht von Brunn S. 78. - 3. Die Beginenverfolgung unter Bischof Johann I. von Straßburg 1317/19 S. 92. - 4. Eine Straßburger Inquisition Mitte der sechziger Jahre des 14. Jahrhunderts S. 109. - 5. Eine Beginen-Inquisition 1368/69 S. 114. - 6. Exkurs: Das “häretische" Buch von den neun Felsen und eine deutsche Fassung der verurteilten Lehrsätze Meister Eckharts S. 118. – Textbeilagen S. 126.

Einleitung
Unter den ehemals Flacianischen Handschriften der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek findet sich im Helmstadensis 311 ein Codex, der seit beinahe zwei Jahrhunderten bis in die jüngste Gegenwart der mit der Geschichte der spätmittelalterlichen religiösen Bewegung befaßten Forschung verborgen blieb, für die er außergewöhnlich wichtiges Material bereithält. Vornehmlich auf diese Handschrift hatte Johann Lorenz Mosheim seinen postum von Georg Heinrich Martini herausgegebenen “Kommentar” über die Begarden und Beginen quellenmäßig gestützt; aus ihr hat er zahlreiche Dokumente veröffentlicht, die noch heute von grundlegender Bedeutung für die Geschichte dieser frommen Männer und Frauen sind, wenn auch die Güte seiner Textwiedergabe vielfach zu wünschen übrigläßt[1].
(57)Das in der Handschrift Wolfenbüttel 311 Helmst. gesammelte Material über Beginen und Begarden betrifft in erster Linie Straßburger Verhältnisse des 14. Jahrhunderts, über die zuletzt - schon unter Berücksichtigung dieser Handschrift - Robert Lerner in seiner grundlegenden Studie über die Ketzerei vom Freien Geist gehandelt hat[2]. Insofern ist hier, vor allem was den “häreseologischen” Gehalt des behandelten Stoffes angeht, in vielem wohl bereits das letzte Wort gesprochen. Aber eine sorgfältige Analyse des in der Wolfenbütteler Handschrift überlieferten Materials führte hinsichtlich des Verlaufs der einzelnen Verfolgungen, der beteiligten Personen, dessen, worum es in der Sache überhaupt ging, kurz: hinsichtlich des eigentlich historischen Geschehens, zu Erkenntnissen, die Robert Lerners Darstellung teils ergänzen, teils modifizieren und für die Straßburger Beginen und Begarden - für sich gesehen wie exemplarisch für die gesamte Bewegung - manches bisher zu wenig oder gar nicht Beachtete sehen lehren.
Es kommt mir vor allem darauf an, bei jeder Verfolgung neben dem genauen Verlauf präzise herauszuschälen, wer eigentlich die Initiatoren, welches die Hintergründe und Ursachen, wer überhaupt die Verfolgten (58) waren; dabei wird das besondere Augenmerk dem Wechselverhältnis zwischen Beginenverfolgung und Mendikantenstreitigkeiten gelten. Für alle diese Fragen bestehen in der Forschung nur recht undeutliche und oft auch unzutreffende Vorstellungen; die enge Verknüpfung des Beginen- mit dem Mendikantenproblem blieb sogar bis in die jüngste Zeit hinein beinahe gänzlich unbeachtet[3].

Zum Schluß sollen die einschlägigen Texte - vielfach zum erstenmal - kritisch herausgegeben werden, damit künftige Arbeiten auf diesem Sektor endlich von gesicherten Grundlagen ausgehen können.

1. Beschreibung der Handschrift Wolfenbüttel 311 Helmst.

Anlaß zu dieser Untersuchung war die Wiederentdeckung der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst.; ihre detaillierte Beschreibung soll daher den Ausgangspunkt, ihr Material die Grundlage der Untersuchung bilden[4].

a) Äußeres

Ihre wichtigsten äußeren Daten: Papier, 125 Folien, Blattspiegel 295X205 mm, Halbfranzband 18. Jh.1, ein - (fol. 1r-40v) und zweispaltig (fol. 40va -125rb) zu je etwa 36 bis 58 Zeilen von zahlreichen Händen (ich zähle 15) beschrieben, die dem Schriftcharakter nach der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts angehören. Es finden sich drei Typen von Wasserzeichen: fol. 1-92 Doppelkreis mit Kreuz (A) ähnlich Briquet 3165 und 3187-3189 (Beleg: Siena 1328-1347); fol. 50/63 und 55/58 Kreuz mit X-artigem Zeichen (B) ähnlich Briquet 16036 (Beleg: Babenhausen 1363, eine Variante Köln 1387); fol. 93-125 griechisches Kreuz (C) ähnlich Briquet 5470 (Beleg: Tirol 1357[?])[5]. Die Handschrift be(59)steht aus zehn Lagen unterschiedlichen Umfangs; sie hat teilweise eine alte arabische Foliierung (1-16 und 1-30; = neu fol. 49-64 und 65-94) mit einer Spaltenzählung von a-d auf jedem Blatt. Stellt man Wasserzeichen, Lageneinteilung und Anteil der einzelnen Hände sowie die alte Folienzählung geordnet nach Lagen tabellarisch zusammen, ergibt sich folgende Übersicht, die deutliche Einschnitte erkennen läßt, von denen später noch die Rede sein soll:


 

Lage 1
Lage 2
Lage 3
Lage 4
Lage 5
fol.
1-12
13-24
25-36
37-48
49-64
Lagenumfang
VI
VI
VI
VI
VIII
Wasserzeichen
A
A
A
A
A + B
Hand
a
a
a
a (bis fol. 42va)
b (fol. 42vb-44ra)
c (fol. 44ra-46ra)
d (fol. 46ra-vb)
e
alte Foliierung
-
-
-
-
1-16


 

Lage 6
Lage 7
Lage 8
fol.
65-78
79-92
93-104
Lagenumfang
VII
VII
VI
Wasserzeichen
A
A
C
Hand
f
f(bis fol. 88ra)
g (fol. 88rb-92vb)
h (bis fol. 99rb)
i (fol. 99va-vb)
j (fol. 100ra-101rb)
k (fol. 101va-103ra)
l (ab fol. 103ra)
alte Foliierung
1-14
15-28
29-30 (bricht ab
[neu] fol. 94r)


 

Lage 9
Lage 10
fol.
105-115
116-125
Lagenumfang
VI-1 (zwischen fol. 114/115 ausgeschnitten; kein Text-verlust)
V (+ I?, zwischen fol. 124/125; jetzt verloren: Textverlust)
Wasserzeichen
C
C
Hand
l (bis fol. 115ra)
m (ab fol. 115ra)
m (bis fol 119va)
n (fol. 119va-124vb)
o (fol. 125ra-rb)
alte Foliierung
-
-

b) Inhalt

Erster Teil:

1. fol. 1r-42va: Modus iste est procedendi inquisitorum; ein böhmisches Inquisitorenhandbuch aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Ed.: A. Patschovsky, Die Anfänge einer ständigen Inquisition in Böhmen (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 3, 1974). (60)

2. fol. 42vb-43ra: Sentencia diffinitiva lata contra Meczen de Westhouen, 1365 (handschriftliche Überlieferung: 1366) Juni 6. Ed.: Mosheim, De Beghardis S. 333 f.; unten Beilage Nr. 11 S. 164 f.

3. fol. 43ra-44ra: Nicht ediertes Stück mit der glossenartigen Rubrik Nota sentenciam condempnacionis et degradacionis cardinalis Albi in Romana curia contra Minorem; unten Beilage Nr. 12 S. 165 ff.; zur Sache vgl. unten S. 109 ff.

4. fol. 44ra-46ra: Das Gutachten Alberts d. Gr. über eine Häresie de novo spiritu im Schwäbischen Ries; Überschrift (oberer Rand fol. 44v und 45v): Opiniones hereticorum. inc.: Conventicula facere ... expl.: Ioviniani est heresis. Ed.: W. Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter 1 (1874) S. 461-469; I. v. Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters 2 (1890) S. 395-401; J. de Guibert, Documenta ecclesiastica Christianae perfectionis studium spectantia (1931) S. 116-125 (nach Preger und den Varianten der Hs. Mainz, Stadtbibl. 199 bei H. Haupt, in: ZKG 7, 1885, S. 556-559). Einen Auszug aus dieser Hs. vgl. bei Mosheim, Institutiones historiae ecclesiasticae (Helmstadii 1755) S. 555 Anm. t und u. Eine kritische Ausgabe der Schrift wird von mir im Rahmen der Passauer-Anonymus-Edition, MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters, vorbereitet. - Zur Sache vgl. zuletzt Patschovsky, Der Passauer Anonymus (Schriften der MGH 22, 1968) bes. S. 31 f., 38 ff. (mit Anm. 57 zu dieser Überlieferung).

5. fol. 46ra-rb: Johannes XXII., Konstitution Dignum arbitrantes zugunsten konvertierter Juden, 1320 Juli 22; = Extrav. comm. 5. 2. 2, ed. Friedberg 2, 1290. Regest: G. Mollat, Jean XXII, Lettres communes Nr. 12205.

6. fol. 46rb-va: Constitucio extravagans Bonifa(cii) contra interdictum super debito pecuniario promulgatum; Bonifaz VIII., Konstitution Provide attendentes, 1302 Mai 31; = Extrav. comm. 5. 10. 2, ed. Friedberg 2,1310; besser: G. Digard u. a., Les Registres de Boniface VIII Nr. 5019. Regest: Potthast Nr. 25155.

7. fol. 46va-vb: Item extravagans Bonifa(cii) contra sepulturam exenteratorum; Bonifaz VIII., Konstitution Detestande (Detestandum Hs.) feritatis abusum, 1299 Sept. 27; = Extrav. comm. 3. 6. 1, ed. Friedberg 2, 1272 f.; besser: G. Digard u. a., Les Registres de Boniface VIII Nr. 3409. Regest: Potthast Nr. 24881 (vgl. auch Nr. 24914). fol. 47-48: leer.

Zweiter Teil:

8.fol. 49ra-64vb: Richard FitzRalph, Erzbischof von Armagh (+ 1360), Defensorium curatorium, 1357 November 8. inc.: Nolite iudicare ... expl.: iudicium iudicate. Ed.: Goldast, Monarchia 2 (Francofordiae 1614) S. 1392-1410. - Hierzu und zu den beiden folgenden Traktaten vgl. allgemein zuletzt Katherine Walsh, The “De Vita Evangelica” of Geoffrey Hardeby, 0. E. S. A., (c. 1320 - c. 1385). A study in the mendicant controversies of the fourteenth century, Analecta Augustiniana 33 (1970) S. 151-261 und 34 (1971) S. 5-83; separat: Roma 1972 (danach wird hier zitiert), bes. S. 82, 98 ff. u. 172 ff.

9. fol. 65ra-82r: Roger Conway, Provinzial der englischen Minoriten (+ 1360), Defensio mendicantium gegen FitzRalphs Attacken; laut Explicit unserer Hs. erstmals bekanntgemacht im päpstlichen Konsistorium, Avignon 1359. inc.: Confessio et pulchritudo ... expl.: similia perpetrantibus. Explicit tractatus sive impugnacio magistri Rogerii sacre theologie professoris, tocius regni Anglie ordinis fratrum Minorum ministri dignissimi, contra opinionem per magistrum Richardum sacre theologie professorem, Arthmachanensem archiepiscopum, et contra omnes eius opinionem tenentes; qui fuit editus, compilatus et per eundem magistrum Rogerium publicatus in consistorioque apostolico coram omni cetu (61) cardinalium predicatus, pluribus doctoribus tam theologicis decretalistis quam eciam legistis et omnium facultatum studentibus atque licenciatis ibidem assistentibus. Acta fuerunt hec in curia Romana pro tunc Avinion(e), tempore sanctissimi in Christo patris nostri et domini domini Innocencii divina providencia pape sexti, pontificatus eiusdem anno septimo, videlicet sub anno incarnacionis domini millesimo trecentesimo quinquagesimo nono. Ed.: Goldast, Monarchia 2 (1614) S. 1410-1444 (= 1344 nach der sehr wirren Paginierung dieser Ausgabe).

10. fol. 82va-88ra: Incipit tractatus magistri Bartbolomei de Brisaco contra Arthmacanum; Bartholomäus von Bolsenheim, OP, Provinzial der Teutonia von 1354 bis zu seinem Tode 1362, verfaßte diesen Traktat laut Explicit in unserer Hs. ebenfalls an der Kurie in Avignon, 1360. inc.: Inter plures articulos erro neos ... expl.: est erroneum manifeste. Igitur etc. Expliciunt soluciones et improbaciones conclusionum magistri Richardi Arthmachanensis archiepiscopi, compilate et publicate in curia Romana (Romonana Hs.!) a venerabili et excellenti viro sacre theologie professore (professori Hs.) dignissimo magistro Bartholomeo de Brisaco ordinis fratrum Predicatorum per provinciam Theutonie provincialem, quas predicavit, publicavit, et in presencia domini summi pontificis necnon dominorum cardinalium et quamplarimorum clericorum tam secularium quam religiosorum promulgavit. Hec acta fuerunt in curia Romana antedicta anno ab incarnacione domini millesimo trecentesimo sexagesimo. Ed.: G. Meersseman, La dé'fense des ordres mendiants contre Richard FitzRalph, par Barthélemy de Bolsenheim 0.P. (1357), Arch. Fratr. Praed. 5 (1935) S. 124-173, nach einer von der unseren stark abweichenden Fassung in der Hs. Basel, Univ. Bibl. C V 19; zu unserer Hs. ebd. S. 173.Zu Bartholomäus und seinem Traktat vgl. neben K. Walsh S. 82, 106, 172 ff. noch Th. Kaeppeli, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 1 (1970) S. 145.

11. fol. 88rb-vb: Constitucio domini pape Iohannis 22i, que dicitur Vas electionis, contra Iohannem de Poliaco, 1321 Juli 24; = Extrav. comm. 5. 3. 2, ed. Friedberg 2, 1291 f.; besser: C. Eubel, Bull. Franc. 5 (1898) S. 208 f. Nr. 437. Regest: G. Mollat, Jean XXII, Lettres communes Nr. 13869.

12. fol. 88vb-89va: Quod ministri, custodes et gardiani possunt fratres absolvere participantes excommunicatis cum sibi participantibus; cuius rescriptum est in Argentina sub sigillo cuiusdam cardinalis. Nicht identifiziert. Nach diesem kurzen Stück beginnt eine Reihe meist zu einem regestenartigen Auszug komprimierter Papstschreiben bezüglich und in der Regel zugunsten des Minoritenordens und der franziskanischen Terziaren. Im einzelnen sind dies:

a) Alexander IV., Contigit interdum, 1260 Nov. 26; ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 2 (1761) S. 409 Nr. 582. Regest: Potthast Nr. 17975.

b) Clemens IV., Auszug aus Exigentibus vestre devocionis meritis, 1265 Okt. 23. Als Lagerort wird angegeben: Bulla Argen(tine). Regest: C. Eubel, Bull. Franc. Epitome (1908) S. 124 Nr. 1242.

c) Innocenz IV., Auszug aus Pio vestro collegio, 1244 Juni 20. Als Lagerort wird angegeben: Bulla in Argentina, Constancia et Herbipoli. Ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 1 (1759) S. 344 Nr. 50. Regest: Potthast Nr. 11420.

d) Clemens IV., Auszug aus Meritis vestre devotionis; nicht datiert über liefert. Ed.: M. Bihl, De Tertio Ordine S. Francisci in Provincia Germaniae Superioris sive Argentinensi Syntagma, Arch. Franc. Hist. 14 (1921) S. 140 f. Nr. 2. Regest: C. Eubel, Bull. Franc. Epitome S. 131 Nr. 1304.

e) Clemens IV., Auszug aus Virtute conspicuos, 1265 Juli 21; ed.: C. Eubel, Bull. Franc. Epitome: Suppl. S. 284-288, hier S. 287 f., Nr. 43. Regest: Potthast Nr. 19280; E. Jordan, Les Registres de Clément IV Nr. 133. (62)

f) Alexander IV., Intentos cultui, 1256 Mai 13; ed. M. Bihl, in: Arch. Franc. Hist. 14, 140 Nr. 1 (zum Lagerort vgl. ebd. S. 145 f. und 147 das Zeugnis des Kardinallegaten Johannes Boccamazzi von 1287: sicutvidimus sub sigillo curie Argentinensis).Regest: Sbaralea, Bull. Franc. 2, 419 Nr. 33 der Desiderata; W. R. Thomson, Checklist of Papal Letters relating to the Three Orders of St. Francis.Innocent Ill - Alexander IV, Arch. Franc. Hist. 64 (1971) S. 498 Nr. 2144 (ohne Kenntnis der Edition Bihls!).

g) Clemens IV., In quibus<dam> locis, 1265 Juni 29; ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 3 (1765) S. 15 Nr. 22. Regest: Potthast Nr. 19240; E. Jordan, Les Registres de Clément IV Nr. 1742.

h) Bonifaz VIII., Devocionis vestre, 1296 Juli 28; ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 4 (1768) S. 408 Nr. 87. Regest: Potthast Nr. 24375; G. Digard u. a., Les Registres de Boniface VIII Nr. 1206.

13. fol. 89va-92vb: Quästio, utrum fratres privilegiati possint audire confessiones sine licencia prelatorum inferiorum (so die Marginal-Überschrift fol. 90v); das Gutachten fällt zugunsten der Mendikanten aus. inc.: Queritur, utrum fratres Minores vel Predicatores vel alii religiosi non habentes populum, qui habent privilegia confessiones audiendi et predicandi, possint hec sine licencia inferiorum prelatorum sacerdotum parrochialium ... expl.: quia tales privilegiati non audiuntalienum parrochianum, sed illius, qui dedit privilegium eis. Die Quästio ist mir sonst nicht bekannt.

14. fol. 92vb: Casus spectantes ad episcopum. Es werden sieben Fälle aufgeführt: Mord, Brand, Inzest, Sortileg (= Wahrsagerei u. dgl.), Sakrileg, Meineid, widernatürliche Unzucht; Notorietät ist für alle Fälle Voraussetzung. inc.: Primus de homicidio notorio et enormi ... expl.: Notorium autem dicimus, quod tota communitas proclamavit vel maior pars communitatis. Die Liste ist nicht ediert und offenbar auch nicht bekannt; vgl. zur Sache am besten P. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts 4 (1888) S. 105 f. und 5 (1895) S. 366 mit Anm. 3. 

Es folgt eine Überschrift De precariis; der entsprechende Abschnitt, für den der Rest der Spalte 9vb freigelassen zu sein scheint, ist nicht ausgeführt worden.

15. fol. 93ra-97va: Acht Konstitutionen Alexanders IV. zugunsten der Franziskaner. Es sind dies: 

a) Nimis iniqua, 1258 April 3, an den General-, die Provinzialminister und den gesamten Franziskanerorden. Ed.: A. de Latera, Ad Bullarium Franciscanum Supplementum (Romae 1780) S. 114f. Nr. 33. Regest: Potthast Nr. 17223; Sbaralea, Bull. Franc. 2, 283 Nr.416; Thomson, Checklist Nr. 2580/2581 (mit abwegigen Angaben in Anm. 2 zur Stelle). Das Schreiben ist eine Wiederholung der Ausfertigung von 1256 August 28 (Sbaralea, Bull. Franc. 2, S. 155 f. Nr. 232; Potthast Nr. 16534).

b) Nimisiniqua, 1256 Juli 27, an den gesamten hohen Klerus per imperium et regnum Alamanie constitutis.Ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 2, 149 f. Nr. 223 (Adressaten: Prälaten der Lombardei; sonst textgleich). Regest: Potthast Nr. 16503; Thomson, Checklist Nr. 2216. Beide Regesten beziehen sich auf Sbaralea; daß das Schreiben auch dem deutschen Klerus zuging, war bisher unbekannt.

c) Nimis iniqua, 1256 Juli 29, an die Erzbischöfe von Köln, Magdeburg, die Bischöfe von Basel und Metz. Eine Ausfertigung des Schreibens unter diesem Datum mit diesen Adressaten war bisher unbekannt. Das Stück ist textgleich mit dem an den Erzbischof von Mailand und andere am 27. Juli 1256 expedierten Schreiben; ed.: Sbaralea. Bull. Franc. 2, 150 Nr. 224 (Potthast Nr. 16504; Thomson, Checklist Nr. 2217).

d) Non sine multa, 1257 März 30; ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 2, 209 f. Nr. 319. Regest: Potthast Nr. 16808; Thomson, Checklist Nr. 2396. (63)

e) Cum olim quidam, 1259 März 13; ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 2, 347 Nr. 488, mit dem Datum 1259 Mai 13. Letzteres scheint falsch zu sein; vgl. H. Lippens, Chartularium aliaque documenta saec. XIII, Arch. Franc. Hist. 30 (1937) S. 48 Nr. 63, gegen Thomson, Checklist Nr. 2719 (vgl. auch ebd. Nr. 2720 und 2751). Danach wäre noch Potthast Nr. 17569 zu berichtigen.

f) Remanus pontifex, 1257 Februar 10. Das ist die berühmte Verurteilungsbulle von Wilhelms von St-Amour De periculis novissimorurn temporum. Ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 2 160-162 Nr. 241 (Datum: 1256 Oktober 5) und öfter. Regest: Potthast Nr. 16565; Thomson, Checklist Nr. 2241 (vgl. ebd. Nr. 2131 und 2250). Eine Ausfertigung unter dem Datum unserer Überlieferung war bisher unbekannt.

g) Nec insolitum est, 1254 Dezember 22; ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 2, 2 f. Nr. 2. Regest: Potthast Nr. 15602; Thomson, Checklist Nr. 1837.

h) Quedam ab apostolica sede, 1255 Dezember 12, an den Erzbischof von Köln und den Bischof von Straßburg. Ed.: Sbaralea, Bull. Franc. 2, 74 f. Nr. 105, mit italienischen Adressaten (Bischöfe von Spoleto und Assisi) und falschem Datum (Sept. 12). Regest: Potthast Nr. 16129; Thomson, Checklist Nr. 2046 und 2047; Sbaralea, Bull. Franc. 2, 96 Nr. 139 (an die Bischöfe von Ferrara und Imola). Die Adressaten unserer Überlieferung waren bisher unbekannt.

16. fol. 97vb-99rb. Johannes von Cardaillac, Titularpatriarch von Alexandrien, in partibus Alamanie et Bohemie, Ungarie et nonnullis aliis nuncius et legatus, fällt in einem Konflikt zwischen Weltklerus und Mendikanten im Bereich der Minoritenkustodie Meißen zugunsten der letzteren ein so günstiges Urteil, daß Zweifel entstehen, an illud privilegium aut processus sit fictum (fol. 97vb oberer Rand) oder ob nicht Gregor XI. das Urteil kassiert habe; Breslau 1372 März 1. inc.: Notum ipsarum tenore facimus ... Das Schreiben war bislang unbekannt; zur Sache gibt es reiches, bisher gleichfalls unbeachtetes Material in der Hs. Prag, Univ.-Bibl. V D 10.

17. fol. 99va-vb: Privilegium fratrum Heremitarum Augustinensium; Bonifaz VIII., Inter sollicitudines nostras, 1303 Januar 16. Ed.: Sbaralea, Bull.Franc. 4, 537 f. Nr. 221. Regest: Potthast Nr. 25210; G. Digard, Les Registres de Boniface VIII Nr. 4983.

fol. 100ra sind von der gleichen Hand wie das folgende Stück die - später durchstrichenen -Anfangszeilen eines sonst unbekannten Schreibens des Straßburger Bischofs Berthold von Bucheck (1328-1353) eingetragen, womit dieser die Echtheit eines Schreibens Johanns XXII. bestätigt (recognoscimus per presentes usw.). Da das Fragment unter der gleichen Überschrift steht wie das nachfolgende Stück, dürfte es sich mit einiger Bestimmtheit um das Bruchstück der Bestätigung eben jenes Privilegs Johanns XXII. für den Karmeliterorden handeln.

Der Rest des Recto-Blattes ist leer.

18. fol. 100va-101rb: Privilegium fratrum ordinis beate Marie de monte Carmeli; Johannes XXII., Inter ceteros ordines, 1326 November 21. Ed.: E. Monsignanus, Bullarium Carmelitanum 1 (1715) S. 66 f. Regest: G. Mollat, Jean XXII, Lettres communes Nr. 27104.

19. fol. 101va-103ra: Bulla domini Gregorii undecimi cum processu contra moniales Argentinenses ordinis Predicatorum; Gregor XI., Exhibita nobis, 1374 Februar 28, in der Form ihrer Bekanntmachung durch Johannes de Silvis, Dekan von St-Agricol, Avignon, den Exekutor des Papstschreibens, 1374 Juli 31. Ed.: UB Straßburg 5, 842 f. Nr. 1111 (Text des Papstschreibens) mit S. 843 Anm. 1 (Regest des Rahmentextes). - Zur Sache vgl. unten S. 72 mit Anm. 20.

20. fol. 103ra-rb Der päpstliche Legat Johannes Boccamazzi, Kardinalbischof von Tusculum, verleiht dem Molsheimer Beginenkonvent die Augustin-(64)Regel, 1287 Dezember 8. Unsere Überlieferung beruht auf dem 1374 September 19 ausgestellten Vidimus des Vidimus von 1355 November 6 dieses Schriftstücks. Es war bisher unbekannt. Ed.: Siehe unten Beilage Nr. 20 S. 188; zur Sache vgl. unten S. 85 mit Anm. 53.

21. fol. 103va-107ra: Quellen zur Beginenverfolgung unter dem Straßburger Bischof Lamprecht von Brunn, 1374; siehe unten Beilage Nr. 14-18 S. 171 ff. Ich gebe hier nur kurze Hinweise:

a) fol. 103va-104ra: Publikationsschreiben vom “Prozeß” Bischof Lamprechts, 1374 August 19. Ed.: H. Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 562-564 und öfter; Beilage Nr. 14.

b) fol. 104ra-105ra: Contradictio ordinum mendicancium super premissis. Nicht ediert; Beilage Nr. 15.

c) fol. 105ra-va: Declaracio processus; Entwurf einer Klarstellung des bischöflichen “Prozesses” von seiten der Mendikanten. Nicht ediert; Beilage Nr. 16.

d) fol. 105va-106rb: Interrogatorium gegen die Straßburger Beginen von 1374. Nicht ediert; Beilage Nr. 17.

e) fol. 106rb-107ra: Rundschreiben an den Straßburger Weltklerus, in welcher Form der “Prozeß" gegen die Beginen von den Kanzeln herab zu verkünden sei. Nicht ediert; Beilage Nr. 18.

22. fol. 107ra-111rb: Quellen zur Beginen- und Begardenverfolgung unter dem Straßburger Bischof Johann I. von Zürich, 1317-1319; vgl. unten Beilage Nr. 1-9 S. 127ff.

a) fol. 107ra-108rb: Publikationsschreiben vom “Prozeß” Bischof Johanns von Straßburg, 1317 August 13. Ed.: Mosheim, De Beghardis S. 255-261; danach UB Straßburg 2, 309-313 Nr. 358; unten Beilage Nr. 1.

b) fol. 108rb-va: Tenor concilii Moguntini contra Begbardos et Beginas brot durch got, im Anhang an das vorhergehende “Prozeß"-Schreiben. Ed.: Mosheim, De Beghardis S. 203 f.; vgl. Mansi 25, 325 f.; unten Beilage Nr. 1.

c) fol. 108va-vb: Brief Bischof Johanns I. von Straßburg an seinen Wormser Amtskollegen, in dem er diesen über seine Schritte zur Verfolgung der Begarden und Beginen unterrichtet und um Amtshilfe bittet. Ed.: Mosheim, De Beghardis S. 268 f.; unten Beilage Nr. 2.

d) fol. 108vb-109ra: Bischof Johann I. von Straßburg trifft Maßnahmen zur finanziellen Sicherung seiner Hospitalstiftung in Molsheim, 1318, wohl kurz nach November 4 (= Datum der Stiftungsurkunde, ed. Mone, in: ZGORh 5 [1854] S. 313 f.; vgl. Barth [wie Anm. 1] Sp. 853 f.). Nicht ediert.

e) fol. 109ra-rb: Bischof Johann I. von Straßburg verbietet den Benediktinernonnen von Eschau das Tragen ärgerniserregender Kleidungsstücke, sog. kurczekursate, 1318 Juni 27. Nicht ediert.

f) fol. 109rb-109va: Bischof Johann I. von Straßburg sieht sich gezwungen, den status Beginarum indifferenter zuverbieten, 1319 Januar 18. Ed.: H. Haupt, in: ZKG 7, 560 f.; UB Straßburg 2, 331-333 Nr. 376 (nach Originalausfertigung); unten Beilage Nr. 5.

g) fol. 109vb-110ra: Bischof Johann I. von Straßburg spricht die Mendikanten (Franziskaner und Dominikaner) unter der Bedingung, sich nicht mehr um die Beginen zu kümmern, von dem Vorwurf frei, den status Beginagii zu unterstützen und damit ipso facto exkommuniziert zu sein, 1319 Januar 18. Nicht ediert; unten Beilage Nr. 6.

h) fol. 110ra-rb: Bischof Johann I. von Straßburg erläßt Ausführungsbestimmungen zu seinem Beginen-Verbot vom 18. Januar des gleichen Jahres, 1319 Februar 17. Ed.: H. Haupt, in: ZKG 7, 561 f.; danach UB Straßburg 2, 333 f. Nr. 377; unten Beilage Nr. 7. (65)

i) fol. 110rb-111rb: Bischof Johann I. von Straßburg erklärt, gestützt auf und unter Publikation von Johanns XXII. Erlaß Etsi apostolice sedis von 1319 Februar 23, daß die Dritt-Ordens-Beginen nicht vom Verdikt der Clementinen betroffen seien, 1319 Juni 18. Das Papstschreiben ist wiederholt ediert worden, am besten von C.Eubel, Bull. Franc. 5, 163f. Nr. 354. Regest: G. Mollat - G. de Lesquen, Jean XXII, Lettres communes Nr. 8987. Das umrahmende Schreiben Bischof Johanns war bislang unbekannt; unten Beilage Nr. 9.

23. fol. 111rb-112rb: Forma que sequitur habent equalem per omnia iste tres domus, scilicet ad Turrim dicte, et de Offemburg et de Innenheim, site apud fratres Predicatores Argent(inenses), in constitucionibus suis et sigillis [folgt in!] instrumentorum ipsorum et in data (!) annorum domini, excepto quod cuiuslibet domorum istarum proprie persone singulariter nominantur; pars pro toto wird die Regel des Innenheirner Beginenkonvents wiedergegeben, 1276 April 14. Ed.: Mosheim, De Beghardis S. 158-161 (sehr fehlerhaft nach dieser Hs.); vgl. UB Straßburg 3, 29 Nr. 79, ebd. 27 f. Nr. 78. der Regeltext des Konvents ad Turrim nach dem Original.

24. fol. 112rb-114rb: Incipit vita et regula fratrum et sororum de penitencia sancti Francisci; die sog. Caro-Regel, die Nikolaus IV. mit Supra montem 1289 August 18 publizierte. Ed.: wiederholt, am besten C. Eubel, Bull. Franc. Epitome: Suppl. S. 302-305 Nr. 51; ergänzend dazu vgl. G. G. Meersseman, Dossier de l’ ordre de la Pénitence au XIIIe siècle (SpiciIegium Friburgense 7, 1961) S. 75 Nr. 50.

25. fol. 114rb-vb: Bürgermeister (Hartman Rot) und Rat von Basel an meister unde dem rat von Oberehnheim bezüglich eines Hostienfrevels, den der Sohn des Oberehnheimer Stadtschreibers begangen hatte, 1374 Oktober 6. Nicht ediert.

26. fol. 114vb-115ra: Bischof Lamprecht von Straßburg bestellt Heinrich von Sachsen zum Generalvikar in spiritualibus, 1374 September 16. Nicht ediert; unten Beilage Nr. 19.

27. fol. 115ra-va: Urban V., (Sane) Ne in vinea domini, gegen Einkaufssummen in Klöster und Konvente, 1369 April 4. = Extrav. comm. 5. 1 (de simonia). 1; ed. Friedberg 2, 1287 f. Regest: P. Lecacheux - G. Mollat, Lettres secrètes et curiales du pape Urbain V Nr. 2933.

28. fol. 115va-118va: Philipp Cabassole, Kardinalpresbyter von SS. Marcellin und Petrus, Protektor des Klarissenordens, veranlaßt eine Generalvisitation des Ordens, 1370 Mai 19 (Inter sollicitudines ceteras). Ed.: L. Wadding, Annales Minorum 8 (21733) S. 597-603. Zur Sache vgl. B. Bughetti, Acta officialia de regimine Clarissarum durante saeculo XIV, Arch. Franc. Hist. 13 (1920) S. 94.

29. fol. 118va-119va: Der Straßburger bischöfliche Offizial Reinbold Vener von Schwäbisch Gmünd läßt auf Wunsch von vier discreti viri: Heinrich von Koblenz, Dietrich von Brüssel, Otto von Neuweiler und Hugo von Zabern Gregors XI. Schreiben Exiniuncto nobis von 1374 April 7 an die Erzbischöfe von Köln, Trier, Mainz und deren Suffragane transsumieren, in dem die Adressaten beauftragt werden, in ihren Diözesen sorgfältige Untersuchungen über nonnullepersone pauperes utriusque sexus, que humiliter et honeste in paupertate et castitate vivunt, anzustellen, die schlechten zu korrigieren, die guten gewähren zu lassen und ihn, den Papst, zu informieren; das Transsumt datiert von 1374 Dezember 30. Ed.: Mosheim, De Beghardis S. 394-398; danach P. Fredericq, Corpus documentorum haereticae pravitatis Neerlandicae 1 (1889) S.228-231 Nr. 220; unten Beilage Nr. 21.

30. fol. 119va-120ra: Johannes XXII., Racio recta, mit dem Grundsatz der Unterscheidung rechter und schlechter Beginen. = Extrav. comm. 3. 9. un.; ed. Friedberg 2, 1279 f.; Fredericq 2, 72-74 Nr. 44. Die Datierungen schwanken, (66) es scheint verschiedene Ausfertigungen gegeben zu haben. Unsere Hs. überliefert 1321 April 15; Fredericq, der aus einer Brüsseler Hs. schöpft (Bibl. royale 2670-82 fol. 228rv), 1318 August 13; Friedberg gibt kein Datum an, in I. H. Boehmers Ausgabe (Bd. 2 [1747] Sp. 1173 f.) steht 1325.

31. fol. 120ra-va: Johannes XXII., Sancta Romana, gegen die Fraticellen, 1317 Dezember 30. = Extrav. Ioann. XXII 7. un.; ed. Friedberg 2, 1213. Beste Edition bei C. Eubel, Bull. Franc. 5, 134 f. Nr. 297.

32. fol. 120va-123rb: Die drei berühmten Bullen Johanns XXII. im sog. franziskanischen Armutsstreit:

a) fol. 120va-vb: Quia nonnumquam, 1322 März 26. = Extrav. Ioann. XXII 14. 2; ed. Friedberg 2, 1224. Beste Edition bei C. Eubel, Bull. Franc. 5, 224 f. Nr. 464.

b) fol. 120vb-123ra: Ad conditorem canonum, 1322 Dezember 8 (in der endgültigen Fassung). = Extrav. Ioann. XXII. 14. 3; ed. Friedberg 2, 1225-1229. Beste Edition bei C. Eubel, Bull. Franc. 5, 233-246 Nr. 486. Regest: G. Mollat, Jean XXII, Lettres communes Nr. 18088.

c) fol. 123ra-rb: Cum inter nonnullos, 1323 November 12. = Extrav. Ioann. XXII. 14. 4; ed. Friedberg 2, 1229 f. Beste Edition bei C. Eubel, Bull. Franc. 5, 256-259 Nr. 518.

33. fol. 123rb-124vb: Johannes XXII., Gloriosam ecclesiam, gegen die Franziskaner-Spiritualen, 1318 Januar 23. Ed.: C. Eubel, Bull. Franc. 5, 137-142 Nr. 302. Regest: G. Mollat, Jean XXII, Lettres communes Nr. 6216. 

Die Überlieferung ist am Schluß unvollständig, da zwischen fol. 124/125 zumindest ein Blatt fehlt; sie bricht ab mit moderamina indulte potestatis exercens, ut in corpore (= Eubel S. 140 b).

34. fol. 125ra-rb: Johann XXII., In agro dominico, das ist die Sentenz, in der 28 Lehrsätze Meister Eckharts verurteilt wurden, von 1329 März 27, hier in deutscher Fassung, zu Beginn unvollständig (Satz 1-11 fehlen). Ed. (im Auszug): aus dieser Hs. Mosheim, Institutiones historiae ecclesiasticae (Helmstadii 1755) S. 552 ff. Anm. p und s; unten Beilage Nr. 22 S. 195 ff. Zur Sache siehe unten S. 118 ff. 

fol. 125v ist leer.

Inhaltlicher Aufbau und äußere Beschaffenheit der Handschrift lassen deutlich zwei Komplexe erkennen: 1) fol. 1-48. Kern dieses ersten Teils der Handschrift ist ein böhmisches Inquisitorenhandbuch aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, das ich in anderem Zusammenhang bereits ausführlich besprochen und auch herausgegeben habe[6]. Das Handbuch umfaßt vier Sexternen, geschrieben von einer einzigen Hand auf Papier mit ein und demselben Wasserzeichen (A). Auf den Schluß der vierten Lage sind sodann von drei weiteren Händen Textstücke eingetragen worden, die sich zunächst noch dem Generalthema Inquisition zuordnen lassen - Verurteilungssentenz der Metza von Westhofen in Straßburg, das Formular einer weiteren Verurteilungssentenz eines Klerikers, die wahrscheinlich in innerem Zusammenhang mit den voraufgehenden Sentenzen stehende Determinatio Alberts d. Gr. über die (freigeistige) Ketzerei im Schwäbischen Ries -, dann aber mit den Dekretalen Jo(67)hanns XXII. und Bonifaz' VIII. zugunsten konvertierter Juden, mit dem Verbot des Interdikts in Geldsachen und dem Verbot gewisser Usancen bezüglich der Präparierung von Leichen für längere Transporte mehr Sammelsuriumcharakter haben; die letzten zwei Folien der Lage und damit des gesamten ersten Komplexes der Handsdirift sind leer.

2) Der zweite Teil (fol. 49-125 = Schluß der Hs.) ist - auf einen Generalnenner gebracht - ein außergewöhnlich umfangreiches, vorzüglich informierendes Dossier zum Problem der Stellung der Bettelorden innerhalb der mittelalterlichen Welt, d. h. vornehmlich in seinem Verhältnis zum Pfarrklerus. Das Material - Traktate, Gutachten, päpstliche Verfügungen (ganz oder im Auszug); ein Sonderabschnitt mit Dokumenten aus dem bischöflich Straßburger Archiv[7] betrifft das Problem Beginen- Bettelorden - ist locker geordnet, verrät keinen straffen Aufbau, enthält - wenn auch nur sehr wenige - Stücke, die sich nicht recht dem Gesamtthema subsumieren lassen[8], doch ist der (68) Charakter einer einheitlichen Anlage, konzentriert auf e i n e n Gegenstand, das Mendikantenproblem in all seinen Aspekten, unverkennbar.

Der Text beginnt mit einem stark angeschmutzten und abgegriffenen Blatt, das offenkundig einmal den Anfang eines eigenen Faszikels gebildet hat. An Papier wurde nach Ausweis der Wasserzeichen jedoch großenteils dasselbe verwendet wie für die ersten vier Lagen, woraus zwingend hervorgeht, daß der gesamte erste Teil der Handschrift mit dem böhmischen Inquisitorenhandbuch derselben "Schreib-Provenienz" (um diese Beziehung ganz vorsichtig auszudrücken)[9] zuzuordnen ist wie der zweite mit seinen inhaltlich und räumlich ganz anders bestimmten Materialien. Nicht weniger als 11 Hände lassen sich auf den Folien 49-125 unterscheiden, die sich auf sechs Lagen unterschiedlicher Stärke verteilen, zum Teil so, daß eine Hand mit einer Lage und einem Textstück schließt, danach etwas Neues kommt, so daß sich die Annahme einer weiteren Zäsur innerhalb des zweiten Teils der Handschrift aufdrängt.

Am deutlichsten ausgeprägt sind solche Einschnitte zwischen fol. 64/65 und 92/93: Die mit acht Doppelblättern ungewöhnlich starke Lage 5, die die Folien 49-64 umfaßt, enthält nur ein einziges Textstück, das sog. Defensorium curatorum des Erzbischofs von Armagh Richard FitzRalph, ist von einer einzigen Hand geschrieben und hat eine selbständige von 1-16 reichende alte Folienzählung. Mit fol. 65 beginnt die inhaltlich zum Defensorium curatorum korrespondierende Defensio mendicantium Roger Conways mit einer neuen Lage, einer neuen Hand und neu einsetzender alter Foliierung (von gleicher Hand und gleicher Art - also auch mit Spaltenzählung - wie bei Lage 5), aber auf Papier mit demselben Wasserzeichen (A), das für die vorhergehenden Lagen Verwendung fand.

Noch schärfer ist der Einschnitt zwischen Lage 7 und 8 = fol. 92/93: Ein mit Überschrift angekündigter Abschnitt De precariis ist fol. 92vb nicht mehr ausgeführt worden, der Rest der Spalte blieb leer. Mit fol. 93 beginnt eine neue Hand auf neuer Lage mit neuem Wasserzeichen (C). Das diese Zäsur überbrückende Element ist die von ein und derselben Hand angebrachte alte Foliierung, die - fol. 49 beginnend und fol. 65 neu ansetzend - erst fol. 94r endet; zumindest als diese angebracht (69) wurde, gehörten die Lagen 7 und 8 zum selben Faszikel und bildete somit der zweite Teil unserer Handschrift auch formal eine Einheit. Da sie inhaltlich ohnehin gegeben ist, läßt der äußere Befund den Schluß zu, daß zum zweiten Teil der Handschrift für den gleichen Auftraggeber zum gleichen Thernenkreis gleichzeitig verschiedene Schreiber auf verschiedenen Lagen Material zusammentrugen, die dann der Auftraggeber zusammenfügte und deren Blätter er teilweise durchnumerierte.

Ein Auftraggeber und damit ein planvolles Entstehen der Sammlung ist unbedingt anzunehmen. Das zeigt die einheitliche Thernatik in der Auswahl der einzelnen Textstücke, trotz manchem disparat scheinenden Einzelstück. Darauf weist aber rein äußerlich auch die Tatsache, daß der gesamte Kodex von ein und derselben Hand sehr stark glossiert worden ist. Diese Glossatoren-Hand[10], erkennbar an einem zierlichen, zur Isolierung der einzelnen Buchstaben neigenden offenen und dabei doch festen Duktus - an Einzelheiten auffallend ein doppelstöckiges a mit häufig charakteristisch gequetschtem oberen Bauch und einem g, dessen unterer Bogen ebenfalls merkwürdig eng verkrümmt an die Mittellinie gezogen ist -, hat auch die alte Foliierung angebracht; sie ist ebenso in Glossen des ersten Teils der Handschrift, also auf den ersten 48 Folien mit dem böhmischen Inquisitorenhandbuch nachweisbar. Sie ist - rein äußerlich gesehen - das einheitsstiftende Element der gesamten Handschrift. Im Glossator wird man den ersten Besitzer der Handschrift sehen müssen, der sie für seine Zwecke zur bequemeren Benutzung herrichtete, die Texte mit schlagwortartigen Überschriften und mit Kommentaren versah, die ihn als gründlichen Kenner der Mendikantenmaterie verraten, aber auch als jemanden, der mit ihren Problemen ständig, gewissermaßen von Berufs wegen zu tun hatte[11]. Nichts liegt daher näher, als (70) in ihm nicht nur den zufälligen ersten Besitzer, sondern den Auftraggeber zumindest des zweiten Teils der Handschrift zu erblicken.

Wer war er? Er muß in Straßburg sein Hauptwirkungsfeld gehabt haben. Das zeigt die Sentenz der Metza von Westhofen, die in Straßburg verurteilt wurde, sowie der bisweilen mit Straßburg angegebene Lagerort päpstlicher Verfügungen[12]; vor allem aber das fol. 101va-115raniedergelegte Material, das so gut wie ausschließlich Straßburger Verhältnisse betrifft.

Zeitlich liegen die Straßburger Textstücke von offenkundig primär lokal und zeitgeschichtlichem Interesse für den Auftraggeber der Sammlung zwischen 1365/66 Juni 6 (Datum der Verurteilungssentenz der Metza von Westhofen) und 1374 Dezember 30 (Datum des Vidimus des Straßburger Offizials Reinbold Vener von Gregors XI. Schreiben Ex iniuncto nobis von 1374 April 7), dem jüngsten Schriftstück des gesamten Materials. Der Glossator, dessen Hand man nach rein paläographischen Kriterien viel eher der Jahrhundertmitte als dem Ausgang des 14. Jahrhunderts zurechnen würde, dürfte kaum wesentlich nach dem Datum des jüngsten Schriftstücks seine Notizen gemacht haben, ein Zeitansatz, der paläographisch ohne weiteres mit dem “Alter” der Schreiberhände der Sammlung in Einklang steht. Man wird also die gesamte Handschrift zwischen 1366 (das ist Terminus ad quem für den ersten Teil bis fol. 48) und 1374(Terminus ad quem für den zweiten Teil, der in diesem Zeitraum auch sukzessive entstanden sein kann) zu datieren haben, ein Zeitpunkt, vor dem der Glossator vielleicht, kurz nach dem er sicherlich, lange nach dem er höchstwahrscheinlich nicht mehr tätig war.

Da der Glossator seinen Namen nicht verrät, hieße es eigentlich hasardieren, wollte man ihn mit einer bestimmten Persönlichkeit im Straßburg der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Verbindung bringen. Immerhin gibt es einige Indizien, die in eine ganz bestimmte (71) Richtung weisen: Der Glossator war mit Gewißheit kein Mendikant, trotz seinem Interesse für die Bettelorden; sonst hätte er - um nur ein Beispiel zu nennen - die Regel der drei bedeutendsten, den Dominikanern unterstehenden Straßburger Beginenkonvente Innenheim, Offenburg und “zum Turm” kaum mit den Kommentaren falsa religio und trufa versehen[13]. Er war ihnen aber auch nicht feindlich gesinnt, wie seine gewöhnlich höchst sachlichen Bemerkungen zeigen, die ihn wohl als einen Weltkleriker ausweisen, aber als einen, der sein Material nicht als Arsenal gegen die Mendikanten versteht - sprechend sein skeptischer Kommentar zu FitzRalphs bewegter Klage, Tausende seiner Pfarrschäflein würden mit Hilfe der (exemten) Mendikanten ein Interdikt unterlaufen und sich von ihnen absolvieren lassen: Forte illa larga absolucio religiosorum turpiter est alibi quam ibi[14] –, sondern sich erstaunlich vorurteilsfrei über das gesamte Für und Wider der höchst komplizierten und widersprüchlichen Mendikanten-Gesetzgebung unterrichtet. Er muß ein Mann in bedeutender Stellung gewesen sein, denn seine Glossen zeigen ihn in vertrautem Umgang mit den Spitzen des Straßburger hohen Klerus[15] und verraten Kenntnisse und Informationen von Arcana der bischöflichen Kurie, die nicht jedermann zugänglich gewesen sein konnten[16]; davon zeugen auch manche Stücke seiner Materialsammlung[17]. Zudem darf man vermuten, daß einige Schriftstücke der Sammlung allein oder doch in erster Linie aufgrund ihres persönlichen Bezugs zu ihm aufgenommen wurden. Diese Annahme drängt sich besonders in zwei Fällen auf: Bei dem einen handelt es sich um ein (deutsches) Schreiben der Stadt Basel über einen Hostienfrevel - ein ganz aus dem Rahmen fallendes Stück, dessen Vorhandensein in der Sammlung sich aber leicht erklären ließe durch die Basler Beziehungen vom Adressaten des zweiten, unmittelbar anschließenden Schriftstücks[18]. In diesem bestellt der Straß(72)burger Bischof Lamprecht von Brunn am 16. September 1374 den in Straßburger Urkunden zwischen 1350 und 1389 nachweisbaren Arzt (physicus) und Basler Domkanoniker Heinrich von Sachsen zu seinem Generalvikar in spiritualibus - ein Schreiben von wahrscheinlich politisch erheblicher (es wird später noch darauf zurückzukommen sein), innerhalb des Kontextes aber von so wenig grundsätzlicher Bedeutung, daß man geneigt ist, allein in der Person des Empfängers den Grund für die Aufnahme des Stückes in die Sammlung zu vermuten[19].

Heinrich von Sachsen der Auftraggeber und Glossator der Sammlung? Widersprechen würde nichts, aber für einen positiven Beweis ist die Argumentationsgrundlage naturgemäß recht schmal. Zunächst einmal würde diese Annahme die Aufnahme wenigstens eines weiteren Schriftstücks besser erklären als mit dem bloßen Generalnenner der Sammlung “Mendikanten-Dossier”. Gemeint ist ein Dokument, das den langwierigen Prozeß der Straßburger Dominikanernonnen von St. Marx, St. Nikolaus und St. Katharina gegen die Ordensleitung ihrer Provinz an der Kurie betraf, ein Prozeß, mit dem Heinrich von Sachsen, wie wir wissen, persönlich befaßt war[20]. Vor allem aber paßt zum Bild der Persönlich(73)keit unseres Glossators, daß Heinrich von Sachsen schon einmal, vor 1366 Januar 26, sede pastore vacante vom Straßburger Domkapitel zum Generalvikar des Bistums ernannt worden war (in die unmittelbare zeitliche Umgebung fällt der Prozeß gegen Metza von Westhofen!), und daß derselbe Mann, der doch offenbar das Vertrauen des Straßburger Weltklerus besaß, am 3. Oktober 1373 als iudex quatuor ordinum mendicantium - also als eine Art Protektor der Bettelmönche[21] in einem Konflikt zwischen Straßburgs Mendikanten und Pfarrklerus zugunsten der ersteren eingriff[22]. Heinrich von Sachsen also ist genau in jenem Zeitraum in höchst verantwortlicher Stellung in Straßburg tätig, der in unserer Dokumentensammlung zeitgenössisch-aktuell gefärbtes lokalgeschichtliches Kolorit trägt. Bei einem Mann seiner Position würde es auch nicht verwundern, daß er - wie die äußere Beschaffenheit der Sammlung verrät - mehrere Schreiber gleichzeitig für sich arbeiten lassen konnte, daß er Zugang zum bischöflichen Archiv hatte, vertrauliche Schriftstücke der bischöflichen Kurie kannte. Öffentlicher Rang, persönliches Ansehen bei Weltklerus und Mendikanten, “private” Bezugspunkte (74) zur Sammlung, Zeitpunkt seiner politischen Wirksamkeitdas alles paßt nahtlos zu diesem Mann.

Daß er und kein anderer der Gesuchte ist, zeigt die Besitzgeschichte der Handschrift. Der älteste diesbezügliche Vermerk auf fol. 1r am oberen Rand - Iste liber est Nicolai Glusen in Asmersl(ev)en - weistsie als Eigentum des wenig bekannten, aber bedeutenden “ersten anhaltischen Bibliophilen” Nikolaus Glusen aus, der nicht weniger als 309 - vor allem naturwissenschaftliche und theologische -Handschriften in seinen Besitz gebracht und zum weitaus überwiegenden Teil dem Benediktinerkloster Nienburg an der Saale vererbt hatte, die bei der Aufhebung des Klosters im Zuge der Einführung der Reformation mit der gesamten Nienburger Bibliothek in alle Winde zerstreut wurden[23]. Über den Umfang seiner Büchersammlung und ihren Verbleib in Nienburg sind wir durch zwei Kataloge unterrichtet, deren einen Nikolaus Glusen selbst 1401 in Quedlinburg anlegte, wohin er sich zu Ende seines Lebens zurückgezogen zu haben scheint, und deren anderer 1473 in Nienburg aufgezeichnet wurde; unsere Handschrift ist in Glusens Katalog als Nr. 9 der Juridica, im Nienburger Verzeichnis von 1473 unter der Signatur H XIIII beschrieben worden[24]. Sie muß noch vor der endgültigen (75) Aufhebung Nienburgs (1562) während des langdauernden Prozesses der Säkularisation des Klosters in die Hände des Flacius Illyricus gelangt sein, dessen eigenhändigen Namenszug sie fol. lr am unteren Rand trägt und der sie schon in der ersten Auflage seines Catalogus testium veritatis (Basel 1556) als in seinem Besitz befindlich erwähnt[25]. Mit der übrigen flacianischen Bibliothek kam die Handschrift 1597 in den Besitz der Wolfenbütteler Herzoge, wurde Stiftungsgut von deren Helmstedter Universitätsgründung (1614) und gelangte 1809 mit dem gesamten Handschriften-Fonds der Helmstedter Universitätsbibliothek wieder nach Wolfenbüttel[26]. (76)

Der für uns wichtige Bezugspunkt in der Besitzgeschichte der Handschrift ist die Person des Nikolaus Glusen. Der in Diensten Erzbischof Albrechts IV. von Magdeburg stehende Kleriker mit dem Magistergrad - die Zusammensetzung der Sammlung läßt auf einen Physikus schließen -, spätestens seit 1388 Prior der Kloster Nienburg gehörigen sog. Kaldenkerke in dem noch zu Lebzeiten Glusens wüst werdenden Ort Asmersleven bei Badeborn (Kreis Ballenstedt), war in Bernburg in Sachsen beheimatet, wo ihm zusammen mit seinem Bruder Hans eine Reederei gehörte[27]. Aus derselben Stadt stammt Hinricus Labus alias dictus de Saxonia, canonicus ecclesie Bastliensis, also unser Heinrich von Sachsen, auch er ein physicus. Glieder beider Familien sind einvernehmlich handelnd in Bernburg urkundlich nachweisbar; es gibt sogar Anhaltspunkte für ein Verwandtschaftsverhältnis – Neffe-Onkel – zwischen Nikolaus und Heinrich. Für enge Beziehungen zwischen beiden zeugt aber vor allem die Tatsache, daß sich im Handschriftenverzeichnis Glusens von Heinrich verfaßte Werke z. T. in mehrfacher Abschrift finden, Heinrich als einziger Autor mit vollem Namen unter Beifügung seiner Würde als Basler Domkanoniker - wie oben zitiert – genannt wird, Nikolaus Glusen Aufzeichnungen bestimmter Einkünfte" (copie quorundam reddituum) Heinrichs besaß, "die er nur von diesem erhalten haben kann"[28]. Gleiche Herkunft, eventuelle verwandtschaftliche (77) Beziehung, auffallende Hervorhebung, ja schon die bloße Nennung von Werken Heinrichs im Handschriftenkatalog Glusens lassen zwingend darauf schließen, daß die in Glusens Besitz befindlich gewesene Handschrift mit Straßburger Materialien, die schon für sich betrachtet Heinrich von Sachsen als Erstbesitzer erkennen ließ, von diesem und keinem anderen an Nikolaus Glusen gelangt ist[29].

Nach Glusens Beschreibung muß die Handschrift spätestens zur Zeit der Niederschrift des Katalogs ihre heutige Gestalt gehabt haben, d. h. nicht mehr wie ursprünglich in zwei Faszikeln aufbewahrt worden sein; das Zusammenbinden der beiden Teile könnte recht gut Heinrich von Sachsen selbst nodi besorgt haben. Sodann geben die Einträge in Glusens und im Nienburger Verzeichnis - wenn auch höchst unvollkommen -Aufschluß über die heute zwischen fol. 124/125 fehlenden Partien: Dies sind neben dem Schluß von Gloriosam ecclesiam und dem Beginn der Eckhart-Sätze Textstücke „gegen die Minoriten“ mit einer Regelerklärung, „gegen vom Teufel Besessene“ (= De cons. D. 5 c. 11 ?), „gegen Wahrsager“ (sortilegi; = C. 26 q. 5 c. 10 ?), und ein „Privileg für Begarden und Beginen“, von dem man gern Näheres wüßte[30]. Der Textverlust der Handschrift ist demnach erst nach 1473 eingetreten, ver-mutlich bei irgendeinem Bindevorgang, bei dem das zwischen fol. 124 und 125 befindlich gewesene Einzel- oder Doppelblatt (viel mehr wird es wohl nicht gewesen sein) verloren gegangen ist. Zu Mosheims Zeiten muß das bereits geschehen gewesen sein, denn er vermochte die deutschen Eckhartsätze am Schluß der Handschrift bereits nicht mehr zu identifizieren, veröffentlichte von ihnen auch nur das, was heute noch vorhanden ist.

Soviel zu Form, Inhalt und Herkunft der Handschrift. Der Reichtum des dort vereinigten Materials, die Bedeutung ihres Auftraggebers und Glossators machen sie zu einer Quelle ersten Ranges für die folgende Untersuchung. (78)

2. Die Straßburger Beginenverfolgung unter Bischof

Lamprecht von Brunn 1374

Die historisch belangreichsten Textstücke des Mendikanten-Dossiers sind Dokumente zur Straßburger Beginenverfolgung. BeginenQuellen in einem MendikantenDossier – das mag auf den ersten Blick überraschen; aber der überlieferungszusammenhang spiegelt – wie noch zu zeigen sein wird – exakt den historischen Sachzusammenhang. Die Dokumente umfassen den Zeitraum vom Pontifikat Bischof Johanns I. (1306–1328) bis zu dem Lamprechts von Brunn (1371–1375), also beinahe das gesamte 14. Jahrhundert. Die Verfolgung unter Lamprecht von Brunn hatte der Glossator unserer Handschrift, Heinrich von Sachsen, als Zeitgenosse miterlebt und zum Schluß wahrscheinlich sogar mitgestaltet. Sie soll zum Ausgangspunkt der Darstellung gewählt werden, weil ihr Verlauf am wenigsten bekannt ist, vor allem aber weil sich aus ihrer Analyse die wichtigste Fragestellung dieser Untersuchung ergibt: Das Problem der Beziehung zwischen Beginenverfolgung und Mendikantenstreitigkeiten.

Johann Lorenz Mosheim hat die Verfolgung unter Lamprecht von Brunn als erster aufgrund des Materials unserer Handschrift darstellen wollen, doch kam ihm der Tod zuvor; Robert Lerner, den ich auf die Handschrift hingewiesen hatte, gab einen kurzen Abriß der Verfolgung, verzichtete jedoch bewußt darauf, alle einschlägigen Dokumente heranzuziehen und auf ihre Hintergründe näher einzugehen[31].

(1) Das erste und wichtigste, zudem einzig datierte Dokument hatten bereits Hermann Haupt und Ignaz von Döllinger der Forschung aus überlieferungen außerhalb der Wolfenbütteler Handschrift zugänglich gemacht[32]: Am 19. Aug. 1374 veröffentlichte Lamprecht von Brunn[33], (79) seit 1371 April 28 Bischof von Straßburg, einen „Prozeß“ gegen pro-phane multitudinis mulieres, que vulgariter eciam Begine et quedam eciam ex eis soreres seu swestriones vel aliis nominibus appellantur[34]Er wirft ihnen vor, den auf dem Konzil von Vienne (1311/12) verworfenen status Beginarum - gekennzeichnet durch das Fehlen einer approbierten Regel und dadurch klarer ObödienzVerhältnisse – zu bekleiden[35], sich von anderen Laien durch besondere Tracht zu unter(80)scheiden – ein Merkmal approblerter Orden[36] –, Konventikel zu bilden, in konventartigen Gemeinschaften zusammenzuleben, ohne Not zu betteln, sich gegenseitig oder den von ihnen selbst gewählten Oberen (sie werden hier wie anderswo marthe genannt)[37] die Sünden zu beichten und von diesen – statt von Pfarrern – Buße in oracionibus et plagis, quas disciplinas vocant, zu empfangen – claves ecclesie sibi fallaciter usurpantes –, und schließlich, last not least, ohne Erlaubnis des zuständigen Pfarrpriesters oder ohne dazu besonders privilegiert zu sein dampnabili temeritate sich von Mendikanten die Eucharistie spenden zu lassen. Den Beschuldigten wird – gerechnet vom Tag der dritten kanonischen Mahnung an, die an den drei folgenden Sonn- und Feiertagen zu ergehen hätte – eine Frist von sechs Tagen gesetzt, binnen welcher sie ihre Unsitten abzustellen hätten, und von vierzehn Tagen, sich von der ipso facto bestehenden Exkommunikation zu lösen; andernfalls drohe ihnen eine Inquisition.

Der Prozeß nahm eine, wohl nicht die Beteiligten, aber den modernen Historiker überraschende Wendung, der bislang nur auf das eben skizzierte Dokument angewiesen war; denn hier ist im wesentlichen allein von Beginen im Sinn der ClementinenKonstitution Cum de quibusdam mulieribus die Rede[38], und nur indirekt läßt sich daraus, daß die unerlaubte Sakramentenspendung von Mendikanten vorgenommen worden sein sollte, schließen, daß die Bettelorden zumindest mitbetroffen waren. (81) Ober deren überaus heftige Reaktion und den dadurch bedingten weiteren Verlauf des Prozesses unterrichten vier Schriftstücke, die erst durch die Wiederentdeckung der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst. bekannt geworden sind.

(2) In einer „Protestnote“[39], ausgefertigt von den religiosi mendicancium ordinum von Stadt und Diözese Straßburg – also nicht von einem einzelnen Orden, sondern von einer Art Interessengemeinschaft aller Bettelorden, wie sie um diese Zeit im Oberrheingebiet auch andernorts zu beobachten ist[40] –, wird rundweg bestritten, daß der Prozeß irgendwie substantiell begründet sei, und es wird bewegte Klage geführt, daß die Bettelorden und die unter ihrem Schutz stehenden Frauen unter den Folgen des Prozesses schwer zu leiden hätten.

Im einzelnen wird Anstoß genommen, 1. daß der Personenkreis der Beschuldigten nicht scharf genug umrissen wird, so daß ohne Unterschied ehrbare, von jedem Vorwurf, jeder Schuld und jedem Verdacht freie Frauen, das sind Drittordensangehörige et plures alie vulgari vocabulo Beginarurn nuncupate, sub constituctone concilii Viennensis minime comprehense, vom Gottesdienst und den Sakramenten ausgeschlossen würden, genau wie schuldige – falls es überhaupt schuldige Frauen im Sinne des Prozesses gebe, wovon den Bettelorden nichts bekannt sei; 2. daß infolge der unterschiedslosen Diskriminierung der Beginen den Bettelorden, die sie schützten, unterstellt werde, sie begünstigten die im „Prozeß“ angeprangerten Exzesse und seien ipso facto selbst exkommuniziert. 3. Der im Prozeß expressis verbis erhobene Vorwurf, Mendikanten hätten an nicht Privilegierte bzw. ohne Sondererlaubnis des Ortsgeistlichen Sakramente ausgeteilt, wird kategorisch zurückgewiesen. 4. Schließlich wird darauf aufmerksam gemacht - was uns unten noch beschäftigen wird[41] -, daß eine nondum lapsis sex annis, d. h. also etwa zwischen August 1368 und August 1369 stattgefundene Visitation durch einen (päpstlichen) Inquisitor und bischöfliche Kommissare in derselben Angelegenheit die Unschuld der Beklagten festgestellt habe. Die Form des Verfahrens wird als unkanonisch gegeißelt, da der processus absque omni accusacione, denunciacione et inquisicione vorgenommen worden sei; entschlossen kündigen die Orden ihre Bereitschaft an, ihre eigene und die Sache der ihnen schutzbefohlenen Frauen in einem korrekten Ver(82)fahren zu vertreten. Die Bettelorden beantragen, den Prozeß zu widerrufen.

(3) Wie sich die Mendikanten einen Widerruf des bischöflichen processus vorstellten, zeigt der Entwurf einer „Klarstellung“, die Heinrich von Sachsen mit Quidam advocatus fratrum ista proposuit glossierte[42]. Sie sah vor, daß 1. die im Prozeß erhobenen Vorwürfe nicht den Beginen schlechthin und insgesamt gelten sollten, sondern nur denen, auf die sie konkret und nachweislich zuträfen. 2. Nur namentlich Exkommunizierte seien von den heiligen Handlungen auszuschließen; solche Personen müßten jedoch - soweit sie sich nicht von selbst schuldig fühlten - erst per inquisicionem festgestellt werden. 3. Personen mit approbierter Regel -dazu zählen incluse mit der Augustin wie der Franziskusregel „und ähnliche“, d. h. förmliche Drittordensangehörige und Beginen gewissermaßen mit „privater“ Regel wie die den Dominikanern unterstehenden Konvente Innenheim, Offenburg und „zum Turm“[43] - seien von vornherein vom Prozeß nicht betroffen. 4. Der an die Mendikanten gerichtete Vorwurf unerlaubter Sakramentenspendung ziele nicht auf einen konkreten Mißstand, sondern sei rein als Eventualität zu verstehen; die Sakramentenspendung an Drittordensangehörige sei davon ausdrücklich nicht betroffen.

Eine solche „Richtigstellung" hätte in der Tat die vollständige Kapitulation des Bischofs bedeutet. Daß es zu ihr nicht kam, oder richtiger: nicht in dem von den Mendikanten erstrebten Umfang kam, zeigen die letzten beiden hier noch zu betrachtenden Schriftstücke.

(4) Das eine ist ein inquisitorisches Frageformular für Beginen[44], das einzige, das wir kennen, wie Robert Lerner zu Recht feststellte, der es auch im einzelnen schon beschrieb[45], so daß ich mich hier kurz auf das Wichtigste beschränken kann. Das Formular gliedert sich, grob gesehen, in drei große Komplexe von Einzelfragen: a) Die Fragen 1-10 sind überwiegend an die Dekretale Cum de quibusdam mulieribus angelehnt; thematisch betreffen sie in erster Linie das Problem der Obödienz: Gehören die Befragten einem approbierten Regelverband an oder nicht? Zu wem stehen sie in einem geistlichen Schutz- und Gehorsamsverhältnis? b) Frage 11 beinhaltet nichts anderes als die in Frageform umgesetzten „Exzesse“ und „Irrtümer“, die in der Clementinen Dekretale Ad nostrum den Begarden und Beginen zur Lastgelegt (83) wurden[46]. c) Ahnlich wiederholen (und ergänzen) die restlichen Fragen (12-20) die im Prozeß Bischof Lamprechts erhobenen Vorwürfe. Nur die letzte Frage nach einem Buch mit dem Titel dz buoch von den nùn feilsen bietet über den Prozeß hinausgehendes Material; es wird darauf noch ausführlich zurückzukommen sein[47]

(5) Dem anderen Schriftstück, einem Rundschreiben an den Pfarrklerus[48], gab Heinrich von Sachsen verschiedene überschriften: Quid debeant plebani in cancellis suis de statu Beginarum pronunciare et de domini episcopi processu recitare bzw. Quid sit faciendum plebanis pro excusacione mendicancium. Die einleitenden Worte: Item domini mei plebani, ante publicacionem processus domini episcopi finito sermone dicatis, verraten, daß der Absender nicht der Bischof selbst, aber doch eine autoritative Person war; man wird kaum in der Annahme fehl gehen, daß es sich um den Vikar des Bischofs handelt.

Es ist wie alle nach dem „Prozeß“ behandelten Schriftstücke undatiert, erlaubt aber eine ziemlich präzise zeitliche Einreihung. Es setzt inhaltlich, wie gleich noch zu zeigen sein wird, die Demarche der Mendikanten voraus, ist aber eine Anweisung für den Modus der Publikation des bischöflichen „Prozesses“, für die, wie wir sahen[49], die drei auf den 19. August folgenden Sonn- und Feiertage vorgesehen waren. Da der gemeinsame Protest der Bettelorden frühestens nach der erstmaligen Verkündung des „Prozesses“ mit den entsprechenden Konsequenzen für die Beginen erfolgte, wird das erläuternde Rundschreiben an den Pfarrklerus zeitlich vor einem der beiden folgenden Sonntage, also vor dem 27. August bzw. 3. September 1374 anzusetzen sein. In der relativen Chronologie der hier besprochenen Schriftstücke ist der mendikantenfreundliche Entwurf der „Klarstellung“ zwischen den Protest der Orden und das Rundschreiben einzureiben. Vom Frageformular läßt sich nur sagen, daß es in die unmittelbare zeitliche Umgebung all dieser Schriftstücke gehört, sicherlich aber nicht vor dem processus selbst formuliert wurde (auf dessen mandata es eingangs verweist), sondern eher sogar kurz vor Ablauf der den Beginen gesetzten Sechs- bzw. 14-Tages-Frist in Erwartung einer Inquisition; am nächsten liegt freilich, es entsprechend seiner Einreihung in der Wolfenbütteler Handschrift vor dem Rund(84)schreiben anzusetzen. Alle hier behandelten mit dem Prozeß direkt in Verbindung stehenden Dokumente sind also im Zeitraum zwischen dem 19. August und den ersten Septembertagen 1374 entstanden, und zwar - mit Ausnahme allenfalls des Interrogatoriums - in der Reihenfolge, in der sie in der Wolfenbütteler Handschrift überliefert sind.

Seinem Inhalt nach ist das Rundschreiben ein seltsam zwiespältiges Produkt, in dem der Absender Verhaltensmaßregeln gibt, daß und wie die Pfarrer ihren Pfarrkindern einerseits zu erklären hätten, warum und mit welchen Kautelen überhaupt gegen Beginen vorgegangen werde, warum das andererseits - wenn die Beschuldigten wirklich so übel, wie behauptet, lebten - nicht schon längst geschehen sei. Die Antwort auf die letztere Frage ist entwaffnend: Pfarrer und Bischöfe seien ahnungslos gewesen. Nicht einmal die Mendikanten hätten etwas von defectus und errores gewußt (das schreiben sie ja in ihrer „Protestnote“)[50], und wenn es denen schon verborgen geblieben sei, multo maius dominus episcopus et nos ignoramus, quia pauci legerunt constitucionem pape super illo puncto.

Schon dieser eine Satz verrät, zu welchem Kompromiß Bischof und Mendikanten gelangt waren: Die Mendikanten bestehen nicht mehr auf der vollen Rücknahme des Prozesses „mangels Masse“, wie sie so laut stark verkündet hatten, aber auf der Grundlage ihres Einspruchs wird die Aussage des Prozesses auf die Personen eingeschränkt, die nicht unter dem direkten Schutz der Bettelorden stehen, genauer gesagt: die nicht Drittordensangehörige sind; undeutlich bleibt, ob dazu auch Angehörige von Konventen mit „privater“ Regel gehörten, wie Innenheim, Offenburg und „zum Turm“. Ausdrücklich wird deshalb „denen von der dritten Regel“ das Recht auf Sakramentenempfang und Beichte bei den Mendikanten bestätigt - auch ohne besondere pfarreiliche Erlaubnis. Und ganz entsprechend dem Entwurf der „Klarstellung“ wird dem Bischof als Motiv für sein drastisches Vorgehen unterstellt, er habe nicht die frommen (devotas) Beginen, sondern nur die errantes et oves morbide, que inficiunt alias per suam malam doctrinam treffen wollen, nur die Guten von den Schlechten zu scheiden sei seine Absicht gewesen. Das heißt konkret, daß der Bischof vom generellen Verbot des Beginenstandes mit Berufung auf die Dekretale Cum de quibusdam mulieribus abging und es entsprechend den späteren modifizierenden und präzisierenden Erlassen Johanns XXII. zum Beginenproblem[51], auf die sich (85) die Bettelorden in ihrem Protest beriefen, allein auf die häretischen und die störrischen (inobedientes) Beginen einengte, die sich nicht – wie „fast alle“ - der Korrektur des bischöflichen Vikars in Gehorsam unterworfen hätten, ja die sogar geflohen wären, um nicht gehorchen zu müssen.

Dieser Personenkreis wird nur noch sehr klein gewesen sein. Er betraf de facto nicht einmal häretische Beginen - das hat Robert Lerner richtig beobachtet[52] -, denn von Häresien ist im „Prozeß“ Bischof Lamprechts mit keinem Wort die Rede, vielmehr geht es um die Obödienz, d. h. um die Tatsache, daß sich zahlreiche Frauen der geistlichen Aufsicht des Pfarrklerus entzogen hatten; die Vorwürfe gipfelten in der Usurpation der claves ecclesie. Denselben Tenor verraten das Interrogatorium, wo kaum ohne Grund die ersten sechs Fragen auf die geistliche Aufsicht, die Obödienz zielen, und das Rundschreiben. Doch während der „Prozeß“ stillschweigend die Drittordensangehörigen miteinbezieht und dadurch überhaupt seine Brisanz erhält, werden die Terziaren im Rundschreiben ausdrücklich ausgenommen. Es geht am Ende also nur noch um die „freien“ Beginen ohne feste Obödienz.

Die Dokumente belegen, daß es solche Frauen noch 1374 gegeben hat - und die Mendikanten sehen sich gezwungen, für die ihnen unterstehenden „beginenverdächtigen“ Frauenkonvente Belege von deren Regelzugehörigkeit zu erbringen[53] -, aber sie sind zu dieser Zeit in Straßburg (86) nur noch eine verschwindende Minderheit. Durch Untersuchungen von Dayton Phillips wissen wir, welch enge Beziehungen zwischen dem Straßburger Beginenwesen als ganzem und den Bettelorden - d. h. konkret: den Dorninikanern und besonders den Franziskanern - bestanden, so daß man geradezu von einer untrennbaren Einheit beider sprechen kann[54]. Nach 1317/19 - der ersten Verfolgungswelle -, als die Beginenkonvente in Straßburg (weniger anderswo)[55] förmlich aus dem Boden schossen - Dayton Phillips zählt nicht weniger als 34 Konvente (von insgesamt 85), die allein zwischen 1320 und 1350 entstanden (vorher waren es nur 20)[56] - befolgte die weitaus überwiegende Zahl der „Samnungen frommer Frauen“ eine Drittordensregel oder war zumindest mittels statutenmäßig verankerter geistlicher Aufsicht einem der beiden großen Bettelorden affiliiert. Allein die erdrückende Zahl der Konvente, die nachweislich den Bettelorden unterstanden - die Zahl der allein oder in kleinen Gruppen zusammenlebenden Einzelbeginen, vor 1317/19 die Regel, war nach diesem Zeitpunkt nur noch sehr gering, doch auch hier kann Dayton Phillips in vielen Fällen enge Beziehungen zu den Mendikanten nachweisen[57] - genügt, um die Wechselbeziehung zwischen Bettelorden und Beginenstandzu belegen. Erst wenn man sich klarmacht, wie eng Beginen und Bettelmönche in Straßburg miteinander (87) verbunden waren, wird die Reaktion der Mendikanten auf den Generalangriff gegen die Beginen überhaupt verständlich.

Dann verwundert es auch nicht, daß die ganze Aktion sichtlich im Sande verlief; denn was weiter geschah, erfahren wir nicht. Da die Terziaren nicht mehr betroffen waren, die „freien“ Beginen nach Ausweis des Rundschreibens sich zumeist unterwarfen und andere flohen, kann das Schweigen der Quellen über den Erfolg der so unglücklich begonnenen Unternehmung wohl nur bedeuten, daß sie sich als Schlag ins Wasser erwies und recht schnell abgebrochen wurde.

________

Wie kam es zu diesem Prozeß? Wo liegen seine Ursachen? Wer war die treibende Kraft? Um mit der letzten Frage zu beginnen: War es der Bischof selbst? Für seine wenig mendikantenfreundliche Haltung ließe sich als Argument lediglich ein Schreiben Gregors XI. vom 6. Mai 1371 beibringen[58], das den Dominikanern den unerlaubten Verkehr mit den Nonnen ihres Ordens untersagte und im Zusammenhang steht mit einem Straßburg jahrelang beschäftigenden Skandal um die (Dominikaner-)Nonnen von St. Marx, St. Nikolaus und St. Katharina[59], die ihren dominikanischen Beichtvätern schwere sittliche Verfehlungen vorgeworfen hatten und sich aus dem Ordensverband lösen wollten, im Prozeß an der Kurie dann aber doch unterlagen; dieses Schreiben wird kaum ohne Kenntnis, wenn nicht gar mit Zutun Lamprechts entstanden sein, der nur wenige Tage zuvor, am 28. April 1371, der Stadt Straßburg seine Ernennung zu ihrem Bischof aus Avignon mitgeteilt und sich nachweislich auch noch. am 29. April dort aufgehalten hatte[60]. Hinzu kommt, daß man ihm als engem Berater Karls IV., an dessen berühmten Ketzerdekreten aus dem Jahre 1369 er - wie seine Unterschrift zeigt - beteiligt war[61], kaum Beginenfreundlichkeit unterstellen mag. Aber spätestens seit dem 28. April 1374, als er von Gregor XI. mit dem Bamberger Bistum providiert wurde, dürfte er andere Sorgen gehabt haben, als in seinem Straßburger Sprengel, der ihm erst am 27. August 1374 – zehn Tage nach Publikation des Beginenprozesses - vom Papst zur Administration übertragen wurde, innere Wirren auszulösen, wenn er auch offenbar nichts unternommen hat, sie zu verhindern. Die Annahme hat viel für sich, daß die in unserem Mendikanten-Dossier überlieferte Be(88)stellung Heinrichs von Sachsen - der nachweislich das Vertrauen des hohen Straßburger Klerus wie der Mendikanten besaß - zum Generalvikar in spiritualibus[62] die Wogen der Erregung glätten sollte und das Ende der Beginenverfolgung des Jahres 1374 ankündigte.

Wenn nicht der Bischof selbst der Initiator, vielmehr spätestens seit Ernennung des maßvollen Heinrich von Sachsen sogar auf Ausgleich bedacht war, wer dann? Die Frage ist wiederholt gestellt worden und eine der Antworten war: Der bischöfliche Offizial Reinbold Vener von Schwäbisch Gmünd[63]. Als Beleg dafür dient ein in seinem Namen am 30. Dezember 1374 ausgestelltes Vidimus eines Schreibens Gregors XI. vom 7. April des gleichen Jahres[64], das mit dem Beginenprozeß wohl in der Tat in Zusammenhang steht - aber anders, als man bisher meinte[65]. In diesem Schreiben nämlich, gerichtet an die Erzbischöfe von Köln, Trier, Mainz und deren Suffragane (also auch an den Straßburger Bischof), nimmt der Papst die ehrbaren und frommen Beginen und Begarden in Schutz - Namen werden vermieden; es heißt nur persone pauperes utriusque sexus, que humiliter et honeste in paupertate et castitate vivunt[66]-, befiehlt jedoch ausdrücklich den Adressaten, Untersuchungen zu veranlassen, die die Trennung der Rechten von den Schlechten erlaubten; letztere solle man korrigieren, erstere gewähren lassen, ihn selbst informieren. Das sind ziemlich genau die Gesichtspunkte, nach denen die Mendikanten den „Prozeß“ Lamprechts geführt wissen wollten und nach denen er auch schließlich durchgeführt wurde. Es ist anzunehmen, daß das Schreiben schon vor dem 19. August zur Kenntnis des Straßburger Bischofs gelangte, dieser weisungsgemäß eine Untersuchung anordnete, zu deren Durchführung der damit betraute Mann aber dann die falschen Maßnahmen ergriff. Demzufolge hätte dieses eigentlich zugunsten der Beginen ausgestellte Papstschreiben in Straßburg (89) deren erneute Verfolgung ausgelöst. Die Vidimierung des päpstlichen Schreibens auf Wunsch von vier als pauperes bezeichneten Männern, Vertretern also der gleichfalls persone pauperes genannten Beginen und Begarden, ist jedoch am 30. Dezember 1374 schon nichts mehr als allenfalls ein demonstrativer Akt, durch bischöfliche Justizorgane öffentlich jene Richtlinien feststellen zu lassen, die der Bischof selbst in dem unter seinem Namen publizierten „Prozeß“ anfangs so gröblich mißachtet hatte. Für den bischöflichen Offizial allein aus diesem Akt der Vidimierung, der zu seinen normalen Amtspflichten gehörte[67], irgendeine Beteiligung am Beginen-„Prozeß“ abzuleiten, ist verfehlt; und weitere Zeugnisse gibt es nicht, die in diese Richtung weisen.

Anders steht es mit einer Bemerkung in einer Handschrift der Staatsbibliothek München, Clm 14216, die den „Prozeß“ Bischof Lamprechts folgendermaßen einführt[68]: „Beseelt von diesen und anderen apostolischen Erlassen, erwirkte der Herr Martin, Priester aus Böhmen, - da er kraft apostolischer Autorität in bestimmten Teilen Deutschlands zum Ketzerinquisitor bestellt und vom Herrn Lamprecht, Bischof von Straßburg, zur Ausübung seines Amtes nach Straßburg berufen worden war und ebendort entdeckt hatte, daß sich zahlreiche Ketzer unter jenen, die sich der dritten Regel des hl. Franz zu unterstehen rühmten, verbargen und ihre Nichtswürdigkeiten tarnten – daß das folgende „Privileg“ in der genannten Diözese verkündet und von allen strikt beachtet werde“.

An der Seriosität der einführenden Worte könnten Zweifel insofern geweckt werden, als sich der Hinweis auf vorausgehende „apostolische Erlasse“ neben Johanns XXII. gegen die Fraticellen gerichteter Bulle (90)Sancta Romana nur auf zwei Verfügungen Bonifaz' IX. von 1394 Januar 7 und 1396 Januar 31 beziehen kann[69], die mit der zwanzig Jahre zuvor stattfindenden Beginenverfolgung in Straßburg sicher nichts zu tun haben.

Man muß diese Worte aber nicht auf die Goldwaage legen, denn es hat tatsächlich in Straßburg einen Martin gegeben, auf den die Beschreibung im Clm 14216 zutreffen könnte: In einer Glosse zu einem – soviel ich weiß, bisher unbekannten - Schreiben des päpstlichen Legaten für Deutschland, Böhmen und Ungarn Johannes von Cardaillac, Titularpatriarch von Alexandrien, ausgestellt in Breslau 1372 März 1, in dem ein Streit zwischen Mendikanten und Pfarrklerus im Bereich der Minoritenkustodie Meißen in überaus vorteilhafter Weise zugunsten der ersteren entschieden wurde[70], teilt Heinrich von Sachsen mit: Nota, Gregorius undecimus retractavit omnes processus istius domini Iohannis patriarche, et precipue, ubi concessit fratribus, quod possent audire confessiones in ecclesiis parrochialibus sicut alii sacerdotes seculares, ut retulit michi dominus Martinus quondam vicarius domini episcopi Lamperti Argent(inensis). Beide Nachrichten stützen sich gegenseitig: Ein päpstlicher Inquisitor, vom Straßburger Bischof zu dessen Stellvertreter berufen und mit der Abhaltung einer vom Papst angeordneten Inquisition betraut, der - nach beiden Zeugnissen alles andere als ein Mendikantenfreund - dann der Untersuchung jene Wendung gab, die sie zu einer förmlichen Beginenverfolgung werden ließ - das könnte gut stimmen. Auch seine böhmische Herkunft bzw. Heimat scheint glaubhaft, würde sie doch nicht nur die Kenntnis eines im böhmischen Herrschaftsbereich entschiedenen Konfliktes in Straßburg, sondern vor allem auch die Abschrift des böhmischen Inquisitorenhandbuchs in unserer Handschrift erklären: Beides könnte der böhmische Priester und Inquisitor Martin, als bischöflicher Vikar nach Straßburg berufen, recht gut dorthin vermittelt haben, und zwar an Heinrich von Sachsen, den Auftraggeber und Glossator unserer Handschrift, der nach eigenem Bekunden mit Martin in persönlichem Kontakt stand und dessen Nachfolge im Vikariat antrat[71]. (91)

Jener böhmische Priester und Vikar Lamprechts dürfte außerdem identisch sein mit dem späteren berüchtigten Begarden- und Waldenserverfolger Martin von Prag (wie auch allgemein angenommen wird)[72]. Von ihm wissen wir, daß er Altarpriester der Prager Teynkirche war, der Hauptpfarrei Prags; vor allem aber ist noch 1399 seine Verbindung mit Bischof Lamprecht bezeugt, der ihn auch an seiner Bamberger Wirkungsstätte mit Inquisitionen betraute[73].

Wäre demnach mit dem böhmischen Priester und bischöflichen Vikar Martin von Prag die treibende Kraft der Straßburger Beginenverfolgung von 1374 namhaft gemacht, so ist zu fragen, ob der dadurch provozierte Konflikt mit den Mendikanten, gegen die dieser Schlag mittelbar gerichtet war, allein auf den leichtsinnigen Einfall eines Landfremden zurück zuführen ist, oder ob er nicht vielmehr in Straßburg Tradition hatte, sich auch als ein erneuter Ausbruch in die Kette lang schwelender Zwistigkeiten zwischen Mendikanten und Pfarrklerus einordnen läßt, wie sie auch andernorts zu beobachten sind. In der Tat ist das Verhältnis zwischen Bettelmönchen und Säkularklerus in Straßburg von Anfang an notorisch schlecht gewesen[74]. Der in den Dokumenten zur (92) Beginenverfolgung 1374 zutage tretende Eifer des Pfarrklerus, die Gelegenheit zu nutzen, ja die Voraussetzungen durch ständige Hetze zu schaffen, um die verhaßten Nebenbuhler in der cura animarum bei den „freien“ Beginen und den Drittordensangehörigen aus dem Rennen zu werfen, läßt sich, wie zu zeigen sein wird, schon früher im Zusammenhang mit der ersten Beginenverfolgung 1317/19 in Straßburg beobachten.

Hier sind zweifellos die tieferen Ursachen des Konfliktes von 1374 zu suchen, doch ist zu betonen, daß der auslösende Faktor nicht eine zur Entladung drängende Spannung zwischen Pfarrklerus und Mendikanten war - deren Zerwürfnis bleibt im Hintergrund -, sondern eine päpstliche Verfügung, die ein Zelot mißbrauchte. Sein Vorhaben scheiterte daran, daß sich das Beginenwesen in Straßburg unter dem Schutz der Franziskaner und Dominikaner zu einer lebensfähigen, zwar stets gefährdeten und vom Säkularklerus argwöhnisch beobachteten, aber notgedrungen geduldeten und auch rechtlich sanktionierten Institution entwickelt hatte, die imstande war, auch einem harten Sturm zu trotzen. Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen in die Zeit der ersten Verfolgung 1317/19 zurück, die nunmehr untersucht werden soll.

3. Die Beginenverfolgung unter Bischof Johann I. von Straßburg 

1317/19

Zu der sich über die Jahre 1317-19 erstreckenden ersten Straßburger Beginenverfolgung gibt es eine Fülle von Dokumenten, die fast alle im Mendikanten-Dossier Heinrichs von Sachsen - manchmal allein dort - überliefert und zum Teil daraus schon von Johann Lorenz Mosheim veröffentlicht worden sind[75]; manches, das Mosheim einem Abschnitt seines Werkes vorbehalten hatte, zu dem er nicht mehr kam[76], gab Herman Haupt aus einer anderen Handschrift heraus[77], ein Dokument ist sogar (93) im Original erhalten und von Wilhelm Wiegand im zweiten Band des Straßburger Urkundenbuches ediert worden[78]. Mit Ausnahme des letztgenannten Stückes sind die Editionen nicht kritisch; soweit sie allein auf Mosheim beruhen, sogar sehr fehlerhaft[79]; einige, allerdings nur wenige Texte blieben bis heute unbekannt[80]. Es wird deshalb im Anhang das gesamte einschlägige Material kritisch neu herausgegeben. Viel ist über diese Straßburger Beginenverfolgung geschrieben worden[81], dennoch ist bisher weder ihr Verlauf gründlich genug untersucht und zutreffend oder auch nur vollständig geschildert, noch sind die Ursachen und das, worum es den Beteiligten und worum es in der Sache eigentlich ging, befriedigend geklärt worden. (94)

Die Dokumente lassen klar drei Phasen der Verfolgung erkennen, die man deutlich voneinander scheiden muß. Die erste betrifft den processus Bischof Johanns von Straßburg[82] von 1317 August 13. Zu ihm gibt es drei Dokumente: Die Hauptquelle ist das Publikationsschreiben des (95) Prozesses selbst, das als einziges datiert ist[83]; damit eng zusammen hängt eine Artikelserie von Irrtümern, die im Hinblick auf den theologisch-dogmatischen Aspekt zusätzliches Material bereitstellt, aber auch als Verständnishilfe gleichgerichteter Aussagen im Publikationsschreiben von großem Wert ist[84]; das dritte schließlich ist ein undatiertes Schreiben Bischof Johanns an seinen Wormser Kollegen, das diesen über seine Schritte unterrichtet und ihn um Amtshilfe ersucht[85].

Das Schreiben an den Wormser Bischof trägt kein Datum. Mosheim gibt dafür 1318 Juni 26 an und läßt es an Bischof Emmerich von Schöneck (1307-1318) adressiert sein. Der war um diese Zeit schon tot († 1318 Februar 10), und da Mosheim mit Bestimmtheit keine andere Überlieferung des Schreibens kannte als die der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst.[86], dürfte ihm ein Fehler unterlaufen sein, und zwar – wie (96) Robert Lerner ansprechend vermutet87wohl eine Verwechslung mit dem Datum des zweiten im Mendikanten-Dossier folgenden Schriftstücks, das in der Tat als Zeitpunkt der Ausstellung den Juni 1318 nennt, freilich Vo, nicht VI kln. Iulii.

Die irrige Datierung des Schreibens an den Wormser Bischof hat bis heute den Blick dafür verstellt, daß es sich bei dieser ersten Phase der Beginenverfolgung um eine zeitlich eng begrenzte Aktion gehandelt hat und nicht das geringste dafür spricht, daß sie sich bis in die Mitte des Jahres 1318 erstreckte88. Die Bezeichnung „Beginen“-Verfolgung für diese erste Phase ist allerdings ungenau. Contra Begehardos wird der processus Bischof Johanns in der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst. überschrieben, und damit ist in der Tat der Personenkreis benannt, gegen den sich die Maßnahmen des Bischofs primär richteten89. Zwar werden auch swestriones genannt (Varianten: swestrines, swesters) und der Bischof spricht von sequaces utriusque sexus, aber unverkennbar sind in erster Linie die Begarden gemeint, und die Rechtsgrundlage, auf die sich der Bischof beruft, ist das Mainzer Konzil von 1310, in dem ebenfalls hauptsächlich von Begarden die Rede ist und nur gleichsam en passant Beginen als deren weibliche Gefolgschaft mitbehandelt und mitverurteilt werden90.

Wer sind diese Begarden und ihr weiblicher Anhang91? Begehardi und swestriones mit dem Attribut „Brot durch Gott“ - ihr Bettelruf – sind Fremdbezeichnungen, so nennt sie der vulgus; sie selbst bezeichnen sich als „Kinder (pueri) bzw. Brüder und Schwestern von der Sekte des freien Geistes und der freiwilligen Armut“. Den Begriff „Sekte“ darf man nicht zu eng verstehen - wie früher des öfteren geschehen92 , er bedeutet (97) einfach „Gruppe von Gesinnungsgenossen“ im Unterschied zu anderen93. „Freier Geist“ kennzeichnet das spekulativ-dogmatische, „freiwillige Armut“ das ethisch-rigoristische Element der Bewegung. Letzteres haben sie mit den Fraticellen gemeinsam, aber darauf sei hier nur am Rande verwiesen. Wie bei den Fraticellen94 sind unter ihnen Religiose, also Mitglieder approbierter Orden, aber auch Verheiratete; sie haben keinen einheitlichen, aber doch einen von anderen unterschiedenen modus vivendi mit eigenen Zeremonien, Konventikeln, besonderer Kleidung. Eigentümlich ist - wie schon gesagt - ihr Ruf „Brot durch Gott“, mit dem sie Almosen zu erbetteln pflegen, nicht etwa demütig und bescheiden in Winkeln und Hausfluren, sondern diesen Bettelruf ließen sie ganz offen laut in den Straßen ertönen. Sie haben eigene Schriften und Gesänge, denen das besondere Augenmerk des Prozesses gilt, denn sie stecken voller Irrtümer. Auf der dogmatischen Seite liegt denn auch das Schwergewicht des „Prozesses“, der als eines der wichtigsten Dokumente zur sog. Häresie des freien Geistes die gebührende Beachtung gefunden hat. Die einzelnen Punkte sind oft und scharfsinnig analysiert worden95, so daß ich mich hier auf die Hauptlinien beschränken kann.

Voraussetzung aller Irrtümer im einzelnen ist die Grundsehnsucht und das Grunderlebnis der Mystik: die Vereinigung der individuellen Seele mit Gott. Die konsequente - wenn auch keineswegs notwendige und auch nicht überall von Mystikern gezogene - Folgerung daraus ist die Identität Gottes mit der Welt oder dem Seienden (deus sit formaliter omne quod est) - also Pantheismus -, die Grenze zwischen Gott und Mensch ist damit aufgehoben, man kann den Menschen und seine Handlungen ebensogut göttlich nennen - im moralischen Bereich heißt das: er ist sündlos (impeccabilis) -, wie der Mensch Gottes (als des „radikal Anderen“) nicht bedarf. Ist Gott Alles, so ist der Weg nicht weit zur Leugnung der Trinität, vor allem der „besonderen“ Göttlichkeit Christi, und schon gar kein Raum bleibt mehr für die gnadenvermittelnde Rolle (98) der Kirche und ihre vielfältigen Einrichtungen und Dogmen, die nur noch zu Hohn und Spott herausfordern, und es verwundert nicht, dass jemand, der Gott naturaliter zu „erleben“ meint, den Zugang zu ihm über das Studium der Evangelien nicht sonderlich attraktiv findet.

Das sind zweifellos alles sehr radikale Konsequenzen aus dem mystischen Erlebnis, und es gingen auch keineswegs alle Mystiker so weit in ihren Folgerungen, aber sie liegen tendenziell gewissermaßen in der „Natur der Sache“; und daß um Rechtgläubigkeit so heiß bemühte Mystiker wie Eckhart und Ruysbroeck in ihrem Versuch einer Synthese von überkommener Dogmatik und den neu geöffneten Horizonten des Gotteserlebnisses und der Gotteserkenntnis sehr rasch an die Grenze des Erlaubten stießen und mit der Inquisition Bekanntschaft machen mußten, ist ein sicheres Indiz, wie fließend und unscharf die Grenze zwischen rechtgläubiger und häretischer Mystik selbst im günstigsten Fall, bei den ketzerischer Neigungen am wenigsten verdächtigen Persönlichkeiten war. Wenn daher Robert Lerner in seinem grundlegend wichtigen Buch über die „Häresie vom Freien Geist“ vor allem am Beispiel der hennegauischen Mystikerin Marguerite Porete - die selbst als Ketzerin verbrannt wurde und deren Schrift Miroir des simples ames96, aufgrund derer sie verurteilt wurde, dennoch anonym in französischen, italienischen und englischen mystischen Kreisen (seltsamerweise fand sich bisher keine deutsche Übersetzung) weit verbreitet war und keinerlei Anstoß erregte – nachweist97, wie harmlos im Kontext gelesen freigeistige „Glaubensartikel“ klingen, die im Theologenjargon dogmatisch geschulter Inquisitoren Schlimmstes ahnen lassen, dann hat er zweifellos etwas Richtiges gesehen und die Vorstellungen mittelalterlicher Inquisitoren und ihnen allzu unkritisch folgender moderner Gelehrter von der Frei-Geist-Häresie vielfach als Chimären entlarvt. Doch geht er zu weit, wenn er meint, auch die im „Prozeß“ Bischof Johanns von Straßburg sich spiegelnden radikalen Konsequenzen mystischen Gedankengutes weitgehend auf den oft verteufelten, in Wirklichkeit aber doch „harmlosen“ Grenzbereich zwischen orthodoxer und häretischer Mystik reduzieren zu müssen98.Es gibt (99) im „Prozeß“ Bischof Johanns (und auch in anderen Quellen) genug Aussagen, die nicht schablonenhaft sind und doch extreme Positionen gegenüber der kirchlichen Autorität und im dogmatischen Bereich erkennen lassen. Stilistischer Gleichklang in den dogmatischen Formulierungen der Verhörsprotokolle ist da nicht immer ein Gegenargument, zwingt zunächst nur zur Vorsicht bei der historischen Wertung, ist aber noch kein Indiz für inhaltsleere Topik, sondern kann ebensogut Identität in der Sache bedeuten. In Straßburg jedenfalls sehe ich keinen Grund, der Versicherung des Bischofs zu mißtrauen, daß die von ihm aufgezeichneten Irrtümer auf tatsächlichen Aussagen der von ihm Verhörten sowie auf „glaubwürdigen Zeugenaussagen“ beruhen, wenn man auch berücksichtigen muß, daß diese Aussagen den verfremdenden Filter sprachlicher Umformulierung und dogmatisch festgelegter Komprimierung passiert haben.

Demgemäß wäre die erste Phase der Straßburger Beginenverfolgung von 1317/19 als eine Verfolgung radikal-mystischer Begarden und ihres weiblichen Anhangs zu bewerten, deren Häresie die extreme Ausprägung der in Straßburg zu dieser Zeit - ca. 1313-22 hält sich Eckhart dort auf99 - ihren ersten Höhepunkt erlebenden Mystik war100.Ursache der Verfolgung waren die innerkirchlichen Verhältnisse in Straßburg selbst (also kein Anstoß von außen), die zu Denunziationen beim Bischof und dessen Einschreiten führten. Betroffen waren nur die als Häretiker abgestempelten Begarden und ihre weibliche Gefolgschaft; ausdrücklich ausgenommen wurden die Terziaren und jene „ehrbaren Beginen sowie alle in Ver(100)bindung mit approbierten Orden stehenden Personen, die sich nach deren Anweisung” richteten. Die Aktion verlief blutig101; zwar schworen viele ab und andere flohen aus Straßburg, manche aber blieben standhaft, und Bischof Johann ließ sie nach seinen eigenen Worten dem weltlichen Gericht übergeben, was ihr Todesurteil bedeutete. Der Erfolg war dauerhaft; zwar gab es in den 60er Jahren des 14. Jahrhunderts nochmals eine Verfolgung in Straßburg, die an die hier beschriebene anknüpfte – es wird noch darauf zurückzukommen sein102 -, aber von Begarden ist künftig in Straßburg expressis verbis nicht mehr die Rede, und ebensowenig lassen sich die ihnen zur Last gelegten Irrtümer späterhin noch nachweisen. Die häretisch-freigeistige Variante der semireligiosen Laienbewegung muß damit noch nicht vollständig beseitigt gewesen sein – der Argwohn, sie existiere, erlischt während des ganzen Jahrhunderts nicht103 -, aber sie entfaltete in Straßburg mit Sicherheit nicht entfernt mehr die Bedeutung, die sie 1317 hatte. Zeitlich scheint die Aktion nur von kurzer Dauer gewesen zu sein; das Schreiben Johanns an den Wormser Bischof, das das Ende der Verfolgung in Straßburg anzeigt, steht auch in seinen Formulierungen dem „Prozeß“ Bischof Johanns so nahe, daß man das nuper, mit dem die Aktion im Brief an den Wormser Bischof zeitlich markiert wurde, nicht auf einen allzu langen Zeitraum beziehen sollte. Der Wormser Bischofsstuhl stand nach dem Tode Emme(101)richs von Schöneck am 10. Februar 1318bis zum 5. Juni des gleichen Jahres leer104; man wird den Todestag Emmeridis als Terminus ante quem für das Schreiben Johanns an den Wormser Bischof bezeichnen können. Die erste Phase der Straßburger Beginenverfolgung dürfte demnach noch vor Ende des Jahres 1317 abgeschlossen gewesen sein.

Die zweite und dritte Phase sind gekennzeichnet durch Wirren, die in Straßburg - der deutschen Hochburg der Beginen nächst Köln – die Publikation der Clementinen am 25. Oktober 1317105auslöste, mit ihren harten Bestimmungen bezüglich der freigeistig-häretischen Begarden und deren weiblicher Gefolgschaft in der Bulle Ad nostrum wie gegen den Beginenstand als solchen mit der Dekretale Cum de quibusdam mulieribus, wie auch - und die Gleichzeitigkeit dieser restriktiven Gesetzgebung war ebenso folgenschwer wie sie nicht zufällig war - hinsichtlich der Mendikanten, deren im 13.Jahrhundert errungene Privilegien in Aufnahme der Bulle Super cathedram Bonifaz’ VIII. von 1300mit dem Dekret Dudum kräftig beschnitten wurden106. Bis zur Mitte des Jahres 1318ließ man sich am Ober- und Mittelrhein mit der Verkündung der neuen Gesetze Zeit, wieuns zweiZirkularschreiben bezeugen: Am 7.Juni 1318gab der Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt dem Klerus seines Sprengels unter anderem auch ihm wichtig scheinende Bestimmungen des neuen Gesetzbuches bekannt107, am 22. Juli folgte der Straßburger Bischof mit einem Rundschreiben108. Die Unterschiede sind bemerkenswert und lohnen den Vergleich: Von dem brisanten Inhalt der Clementinen verkündete Peter von Aspelt nur die harten Bestimmungen über die Beginen, während er dem Pfarrklerus bezüglich der Mendikanten lediglich einschärfte, diese freundlich zu behandeln und keinesfalls contra iustitiam zu bedrücken. Im Gegensatz dazu bestand das Rundschreiben Bischof Johanns von Straßburg fast ausschließlich in detaillierten Ausführungsbestimmungen zur Mendikantengesetzgebung - kein Wort findet sich dort über Beginen. Welche Reaktionen Peter von (102) Aspelt im Bereich der Mainzer Erzdiözese mit seinem Beginenverbot auslöste, ist nicht bekannt; sie werden keine sehr weiten Kreise gezogen haben, denn zumindest in Mainz und Umgebung selbst zeigten die Untersuchungen Eva Gertrud Neumanns109, daß die Beginenbewegung dort - verglichen mit Köln und Straßburg - von recht bescheidenem Umfang war.

Anders in Straßburg: Zwar zeigt ein Schreiben Bischof Gerhards von Konstanz (1307-1318 Aug. 19) vom 16. Juni 1318, das er als iudex et conservator iurium et privilegiorum fratrum Minorum per Alamaniam an seine Amtskollegen und den Klerus von Konstanz, Basel und Straßburg richtete und worin er mahnte, die Franziskaner in audiendis secularium confessionibus et predicacionibus nicht zu belästigen110, daß das spätere Rundschreiben Bischof Johanns vom 22. Juli lediglich ein klärendes Wort in bereits spannungsgeladener Atmosphäre war, aber die Klarheit war für die Bettelorden doch so schmerzlich - vor allem wohl in finanzieller Hinsicht -, daß sie zunächst versuchten, die Dekretale Dudum Clemens’ V. in einem ihnen günstigeren Sinne auszulegen, als der Pfarrklerus hinzunehmen gewillt war. Jedenfalls kam es schon am 5. August 1318 zu einem eindrucksvollen Bündnis des gesamten Weltklerus zuzüglich der Mönchsklöster in der Straßburger Diözese gegen die Dominikaner und Franziskaner, die „die Konstitutionen Clemens’ V.“ excogitatis interpretationibus ac fraudibus exquisitis non tam improvide quam temere infringere moliuntur111. Das Schreiben läßt unschwer erraten, daß die Spannung zwischen Weltklerus und Mendikanten zur Siedehitze gestiegen war und die mit den Bettelorden durch so vielfältige Bande verknüpften Beginen geradezu zwangsläufig berühren mußte.

In diese Zeit hat man mit guten Gründen einen Briefwechsel zwischen Bischof Johann von Straßburg und Papst Johannes XXII. datiert, von dem uns nur das Antwortschreiben des Papstes erhalten ist112. Daraus geht hervor, daß Bischof Johann um eine authentische Interpretation der Dekretale Cum de quibusdam mulieribus bat, die in den umliegenden (103) Diözesen - wie die Mainzer Synode vom 7. Juni 1318 bestätigt – als Aufforderung zur generellen Aufhebung des Beginenstandes verstanden worden war. Das aber hatte nach Ansicht des Bischofs Ungerechtigkeiten gegenüber jenen Frauen im Gefolge, deren „lobenswerter Stand“ Frauen höchster und niedriger Herkunft in excessiva copia - es wird die enorme Zahl von zweihunderttausend genannt - vereine, die ein Leben in Keuschheit, gehorsam den kirchlichen Oberen, teils allein im eigenen oder elterlichen Heim, teils gemeinsam mit Gesinnungsgenossen führten. So nötig es sei, jene bettelnden, die kirchliche Autorität in Frage stellenden häretischen Beginen und deren Lehrmeister, die Begarden, zu verfolgen - der Bischof hat offenkundig von seinen eigenen Maßnahmen berichtet113 -, so wenig könne man die guten und frommen Beginen mit ihnen auf eine Stufe stellen. Der Papst pflichtet dem Bischof rückhaltlos bei, folgt der Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Beginen - eine grundsätzliche Entscheidung, die er in allgemeinverbindlicher Form in der Bulle Racio recta vom 13. August 1318 bekannt gab114.

Die vollinhaltlichen Übereinstimmungen zwischen Lecte coram nobis, dem persönlichen Schreiben an den Straßburger Bischof, und Racio recta machen es sicher, daß das persönliche Schreiben entweder zum gleichen Zeitpunkt oder unmittelbar vor Racio recta expediert wurde. Den anfragenden Brief Bischof Johanns wird man daher ungefähr mit der Mainzer Synode, also dem 7. Juni 1318 in Verbindung bringen können, als die Maßnahmen gegen die Beginen in den Nachbardiözesen anliefen. Als er am 22. Juli die Clementinen in Auswahl publizierte, lag ihm jedenfalls die päpstliche Interpretation von Cum de quibusdam mulieribus noch nicht vor, sonst hätte er schwerlich diesen Punkt ausgeklammert115.

Konkret hatte die päpstliche Stellungnahme zur Folge, daß während (104) der zweiten Phase der Beginenverfolgung im Jahre 1318in Straßburg gar nicht verfolgt wurde. Lecte coram nobis läßt klar erkennen, daß Bischof Johann vor Eintreffen der päpstlichen Antwort gegen die „guten“ Beginen nichts unternommen hatte - danach hatte er erst recht keinen Anlaß; und gegen die „schlechten“ Beginen war er schon 1317vorgegangen.

Doch diese Generallinie konnte der auf Ausgleich bedachte Bischof - er war sicher nicht ohne Grund neben dem Erzbischof von Mainz und dem Bischof von Regensburg (Nikolaus von Ybbs) am 27.November 1318zum Konservator der Rechte der Minoriten vom Papst eingesetzt

worden116 - nicht lange durchhalten. In die Auseinandersetzungen zwischen Pfarrklerus und Mendikanten mußten die Beginen zwangsläufig hineingezogen werden, da sie fast ausnahmslos, wie die Untersuchungen von Dayton Phillips zeigten, in loserer oder festerer Form unter der Obhut der Bettelorden standen, und das bedeutete konkret, daß die Beginen bei ihnen beichteten, die Sakramente empfingen, ihnen Schenkungen machten, zu ihren Gunsten Testamente ausstellten und sich bei ihnen begraben ließen. Da dies in excessiva copia geschah, wie Bischof Johann schrieb, konnten die Pfarrpriester schwerlich leichten Herzens ihre Kirchen immer leerer, ihren Einfluß und ihre Einnahmen ständig geringer werden sehen. Zu Beginn des Jahres 1319jedenfalls müssen die Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen eine derartige Heftigkeit erreicht haben, daß sich der Bischof zur Wiedererlangung des Friedens in seiner Diözese gezwungen sah, zwischen Mendikanten und Pfarrklerus einen Kompromiß zu schließen, dessen Kosten die Beginen zu tragen hatten. Damit begann die dritte Phase der Straßburger Beginenverfolgung.

In zwei am gleichen Tage, dem 18.Januar 1319,ausgestellten Schreiben verbot Bischof Johann einerseits den status Beginagii117,und zwar - entgegen Lecte coram nobis und Racio recta - indifferenter, und gebot den Beginen, das ihren Stand kennzeichnende Gewand abzulegen und „ihre Pfarrkirchen, deren Besuch sie aufgrund oder unter dem Vorwand dieses Status eingestellt hätten, wieder aufzusuchen und sich darin den anderen Frauen anzugleichen“ - deutlicher läßt sich wohl nicht sagen, wo hier die Wurzel des Konfliktes lag. Andererseits jedoch ließ der Bischof am gleichen Tag bekannt machen118, daß die Mendikanten (105) - von denen er erwartet, daß sie den status Beginagii nicht weiter begünstigen, also die Beginen aus ihrer Obhut entlassen - nicht als fautores eines verbotenen Standes zu betrachten seien, wie ihnen vielfach vorgeworfen werde und weshalb sie von vielen Gläubigen als ipso facto Exkommunizierte gemieden würden.

Dieser grundsätzlichen Entscheidung folgten einen Monat später, am 17. Februar 1319,noch zwei ergänzende Schreiben: In dem einen erläßt der Bischof (milde) Ausführungsbestimmungen zum Beginenverbot119, und zwar präzise Vorschriften bezüglich der Kleider, von denen sich manche Beginen nur schwer trennen konnten - zumal es wohl vielfach ihre einzigen waren. Im anderen Schreiben120 gibt er bekannt, daß er den Dominikanern und Franziskanern zugestanden habe, ausgewählten und ihm präsentierten Ordensmitgliedern Beichthören, Bußeverhängen und Absolvieren in seinem Kirchenvolke zu gestatten - mit anderen Worten: auf „privater“, individueller Ebene wurden die Beziehungen zwischen frommen Frauen und Bettelmönchen wieder zugelassen; nur eben einen förmlichen Stand sollten diese Frauen nicht bilden.

Doch auf dieses Basis blieb der Kompromiß nicht lange bestehen. Denn unter das Gebot der unterschiedslosen Aufhebung des Beginenstandes waren auch die Drittordensangehörigen gefallen - und sie wehrten sich, vielmehr: sie wurden von den Bettelorden nicht aufgegeben. Aufgrund ähnlicher genereller Verbote in anderen Diözesen - Bischof Johanns Maßnahmen vom 19. Januar werden, wenn sie überhaupt zu diesem Zeitpunkt an der Kurie schon bekannt waren, schwerlich eine so rasche Reaktion hervorgerufen haben - hatten die Bettelorden am 23. Februar 1319mit der Bulle Etsi apostolice sedis121vonJohannes XXII. eine autoritative Erklärung erwirkt, daß Drittordensangehörige von der Clementine Cum de quibusdam mulieribus nicht betroffen seien. Als daher dem Kardinal Vitalis du Four - seinerzeit der einzige Minorit in diesem Gremium -, die jüngste Entwicklung in Straßburg bekannt wurde, legte er unter Hinweis auf Etsi apostolice sedis energischen Protest ein122, so daß sich Bischof Johann am 18. Juni 1319veranlaßt sah, (106) seine Maßnahmen teilweise zurückzunehmen und mit der Verkündigung des Päpstlichen Schreibens die Drittordens-Beginen ausdrücklich vom Beginenverbot auszunehmen123.

Dies ist das letzte Dokument im Straßburger Beginenstreit 1317-19124. Seine drei Phasen lassen erkennen, daß zunächst Umtriebe (107) radikal-mystischer Begarden mit deutlich häretischem, die kirchliche Autorität leugnendem und sie damit herausforderndem Gebaren Bischof Johann zum Einschreiten veranlaßten. Unter ihren Gefolgsleuten finden sich auch Beginen, aber sie spielen sichtlich keine Führungsrolle; soweit sie in diesem ersten Verfolgungsakt betroffen sind, handelt es sich um häretische, unbotmäßige, vereinfachend gesagt: „schlechte“ Beginen, unterschieden von den „guten“. Im zweiten Akt vermag der Straßburger Bischof in Klarstellung der undeutlichen Bestimmungen in der Dekretale Cum de quibusdam mulieribus diese seine Unterscheidung zwischen „rechten“ Beginen, die man gewähren lassen, und „schlechten“, die man verfolgen soll, allgemein rechtsverbindlich sanktionieren zu lassen. Die inneren Wirren in seinem Bistum, hervorgerufen durch die Auseinandersetzungen zwischen Pfarrklerus und Mendikanten, zwingen den Bischof schließlich, den Beginenstand doch generell aufzuheben, nicht mehr zwischen guten und schlechten, und noch nicht zwischen „freien“ und regulierten Beginen zu differenzieren. Letztere Unterscheidung verstehen die Mendikanten durchzudrücken, und bei diesem Stand der Dinge bleibt es in der Zukunft.

Dayton Phillips hat gezeigt, daß in den nächsten Jahrzehnten bei explosionsartiger Vermehrung der Beginenkonvente, die fast ausnahmslos nachweislich dem Dritten Orden (meist des Hl. Franz) angehören, die Zahl der „freien“, nicht in Konventen lebenden und nicht regulierten Beginen abrupt abnimmt125. War das Beginenwesen vor der Verfolgung 1317/19 den Mendikanten zum guten Teil, wenn nicht überwiegend, nur locker verbunden, so brachte die Zeit nach der Verfolgung keineswegs den vom Weltklerus erhofften Aderlaß für die Bettelmönche, vielmehr organisierte sich das Beginenwesen im Dritten Orden der Mendikanten, legalisierte sich damit und verband sich den Bettelorden noch engerals (108) zuvor126. Angriffe auf den Beginenstand schlechthin waren deshalb in späterer Zeit - etwa in der Verfolgung von 1374 - primär ein Angriff auf die Terziaren127 und damit stets mittelbar auf die Bettelmönche, die auch entsprechend reagierten.

Doch mit dieser grundsätzlichen Entscheidung, die die Entwicklung des Beginentums in Straßburg dauerhaft prägte, hörten weder dort noch anderswo die Konflikte zwischen Bettelmönchen und Weltklerikern und damit die Diskussion um die Erlaubtheit des Beginenstandes auf, noch war mit der Verfolgung extremer mystischer Spekulationen die Mystik zum Verstummen gebracht und blieben die ihr innewohnenden Kräfte für die Dauer unterdrückt128. Lenkte die heftige Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst, in die auch Straßburg mit einander widerstreitendenKräftegruppierungen hineingezogen wurde, bis zur Jahrhundertmitte die Aufmerksamkeit der Beteiligten vom Beginenproblem ab, so läßt sichseit dem Regierungsantritt Karls IV. und seit dem Pontifikat des Reformpapstes Urban V. an der Zahl der päpstlichen, dann auch der kaiserlichen Erlasse, an der Bestellung von Inquisitoren und der wieder wachsenden Zahl von Inquisitionen und Visitationen eine zu(109)nehmende Aktualität des Ketzer wie des Beginenproblems ablesen129. Straßburg bildet da keine Ausnahme.

4. Eine Straßburger Inquisition Mitte der sechziger Jahre des 14. Jahrhunderts

Die Nachrichten über Inquisitionen in der Jahrhundertmitte sind freilich im höchsten Grade dürftig. Johann Lorenz Mosheim veröffentlichte aus dem ersten Teil der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst. die Verdammungssentenz einer Mecza de Westhouen130. Ihre Inquisitoren waren der Straßburger bischöfliche Vikar Tristram, Bakkalar beider Rechte, von dem wir leider sonst gar nichts wissen, und der Dominikaner Heinrich de Agro - 1361 Oktober 17 als Prior des Wormser Predigerkonvents bezeugt131 -, der päpstliche Inquisitor für die Kirchenprovinz Mainz und die Diözesen Bamberg und Basel. Was Metza konkret vorgeworfen wurde, läßt die überaus formelhafte und - wie wir noch sehen werden - für einen ganz anderen Fall stilisierte Sentenz nicht erkennen. Immerhin wird soviel mitgeteilt, daß sie als Rückfällige verdammt und dem weltlichen Arm zur Bestrafung übergeben wurde, was den Verbrennungstod bedeutete. Derjenige, der über sie schon einmal ein Urteil gefällt haben sollte, war Iohannes, bone memorie episcopus Argentinensis. Die Sentenz ist laut Überlieferung auf den 6. Juni 1366 datiert, und zu diesem Zeitpunkt gab es in Straßburg bereits zwei verstorbene Bischöfe namens Johannes132, so daß es keineswegs sicher ist - wie bisher ohne weiteres vielfach angenommen133 -, daß mit jenem Johann der erste seines Namens gemeint ist, die Verdammungssentenz daher auf die Verfolgung 1317/19 anspielt.

Nun ist dieses Datum allerdings nicht über jeden Zweifel erhaben. Ein zweites Schriftstück - in der Wolfenbütteler Handschrift von gleicher Hand wie die Verdammungssentenz Metzas von Westhofen geschrieben (110) und daran unmittelbar anschließend134blieb bisher unbeachtet, obwohl es in denselben historischen Zusammenhang gehört. Das allerdings ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Das Schriftstück ist überschrieben: Nota sentenciam condempnacionis et degradacionis cardinalis Albi in Romana curia contra Minorem, und es handelt sich in der Tat weitgehend Wort für Wort um das Formular einer Sentenz, die im Jahre 1354 der Kardinalbischof von Tusculum, Guillaume Court, den man seines (weißen) Zisterziensergewandes wegen auch Cardinalis Albus nannte135, über den Franziskanerspiritualen Johannes von Castiglione (d’Orcia) gefällt hatte136. Von diesem Formular weichen in unserer Wolfenbütteler Handschrift nur fünf Dinge ab: 1. Der Name des Verurteilten wird im allgemeinen durch N. ersetzt, einmal steht Johannes - wie in der Sentenz von 1354 - einmal aber auch Nicolaus. 2. Titel und Name des Inquisitors lauten frater N. inquisitor etc. deputatus, nicht wie in der Vorlage Guilelmus episcopus cardinalis et commissarius prefatus. 3. Statt der Bezeichnung marescallus für den Vertreter der weltlichen Gewalt, dem der Verurteilte zu übergeben sei (eine Bezeichnung, die für Avignon ganz korrekt ist), steht in unserer Wolfenbütteler Handschrift schultetus (was z. B. für Straßburg zuträfe). 4. Das Datum der Sentenz lautet nicht anno a nativitate domini MoCCCo LIII1to, sondern anno domini MoCCCoLXVo, VIa die mensis Iunii - bis auf die Jahreszahl genau die Datierungsformel der Verurteilungssentenz Metzas. 5. Das Protokoll ist zwar stark verkürzt, läßt aber dennoch klar erkennen, dass nicht das originale Formular die Sentenz des Kardinalbischofs, sondern das - damit zusammenhängende, aber leicht abgewandelte – Formular der in der Wolfenbütteler Handschrift voraufgehenden Sentenz gegen Metza von Westhofen zu ergänzen ist; in diesem Protokoll aber sind als (111) Inquisitoren nicht Guillaume Court, sondern Heinrich de Agro und Tristram genannt. Es ist auch anzumerken, daß die Sentenz gegen Metza insgesamt im Formular deutlich abhängig ist von der Sentenz des Cardinalis Albus gegen den Mitverurteilten des Johannes von Castiglione, den Terziaren Franciscus von Arquata (del Tronto?)137.

Der Überlieferungszusammenhang in unserer Handschrift, die gemeinsame Abhängigkeit von Formularen der gleichen Vorlage läßt die Abweichungen der zweiten Sentenz unserer Handschrift vom Originaltext mit großer Sicherheit als Merkmale einer selbständigen Ausfertigung beurteilen, die das Formular der Sentenz des Kardinalbischofs einem ganz anderen Fall anzupassen suchte. Dem Schreiber dieser Partien der Wolfenbütteler Handschrift muß der Formularzusammenhang noch erkennbar gewesen sein, anders wären weder die Überschrift noch das Schwanken in der Wiedergabedes Namens des Delinquenten erklärlich. Die Überlieferungsform dieser Sentenz kann man als Stilübung, eher noch als Konzept, stets aber bezogen auf einen konkreten Fall an anderem Ort zu anderer Zeit mit anderen Personen - urteilendenwie verurteilten - als in der Vorlage einstufen.

Versuchen wir die Mosaiksteine der Abweichungen vom Formularmuster zusammenzufügen, ergibt sich folgendes Bild: Ein Priester, vielleicht wie Johannes von Castiglione ein Minorit - eventuell mit dem Namen Nikolaus, aber das ist sehr unsicher138 -, wurde in Straßburg wahrscheinlich von den gleichen Inquisitoren wie Metza von Westhofen, sicherlich aber von einem Ordensgeistlichen (frater!),das heißt damals: einem Dominikanerinquisitor (der Metza verurteilende und für die Straßburger Diözese in jenen Jahren zuständige päpstliche Inquisitor war der diesem Orden angehörige Heinrich de Agro) genau am gleichen (112) Tage wie Metza, einem 6.Juni, aber - so die Überlieferung - ein Jahr vor ihr, 1365,verurteilt und dem (Straßburger) Schultheißen und damit dem Tode überantwortet.

Der enge Zusammenhang beider Verurteilungen läßt natürlich erwarten, daß Metza wie der (Minoriten-?)Priester nicht nur zufällig am gleichen Tage, sondern auch im gleichen Jahre im Verlauf derselben Inquisition deren Opfer wurden. Eines der beiden Daten dürfte daher sehr wahrscheinlich falsch überliefert sein. Doch welches? Aus den geschichtlichen. Verhältnissen Straßburgs, den Hintergründen der Inquisition, ließen sich für beide Daten Argumente beibringen, doch sind sie von unterschiedlichem Gewicht: Am 14.September 1365war Bischof Johann II. von Lichtenberg gestorben, ein Mann, der sich durch seine vielfältigen Mühen um das geistliche Wohl seiner Diözese großes Ansehen erworben hatte139; ihm wären Maßnahmen zur Reinhaltung seines Sprengels von Ketzerei durchaus zuzutrauen. Auch läßt die Person des Dominikanerinquisitors darauf schließen, daß die Inquisition auf ein päpstliches Schreiben von 1364Oktober 11 zurückzuführen ist140, in dem neben Johann Schadland, dem ersten Generalinquisitor für Deutschland141, damals Bischof von Hildesheim, auch dem Straßburger Bischof Johann II. befohlen wurde, unter anderen Inquisitoren Heinrich de Agro einen Sprengel für seine Tätigkeit zuzuweisen. Der Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen: der Bestellung Heinrichs de Agro zum Inquisitor eines bestimmten Bezirks durch Bischof Johann II. von Straßburg einerseits, und der Abhaltung einer Inquisition durch denselben Inquisitor im Sprengel desselben Bischofs unter Hinzuziehung eines Mannes, der als vicarius domini Iohannis episcopi bezeichnet wird, andererseits, ist so offenkundig, daß man das Datum 1365auf jeden Fall für verbürgt halten kann. Doch bleibt hinsichtlich des Datums 1366zubedenken, daß Johannes Schadland am 20. August 1365Bischof von Worms wurde und den am Ort befindlichen Mitbruder und Prior Heinrich de Agro nach Straßburg geschickt haben könnte, wo seit dem 23.Dezember 1365mit (113) Johann III. von Luxemburg ein Nachfolger für Bischof Johann II. im Amt war, dessen Vikar der Bakkalar beider Rechte Tristram theoretisch ebenfalls hätte sein können. Diesen Bischof freilich, der den Zeitgenossen wegen seiner Einfalt und Eßgier zum Gespött wurde142, mit einer geistlichen Initiative wie einer Inquisition in Verbindung zu bringen – wie das gelegentlich geschehen ist143 -, nur weil er ein Verwandter des eifrigen Ketzerverfolgers Karl IV. war, noch dazu bevor er überhaupt einen Fuß in seinen Sprengel gesetzt hatte144, erscheint abwegig. Wägt man die drei theoretischen Möglichkeiten: Dauer der Inquisition von Juni 1365 bis Juni 1366, Begrenzung auf den Juni 1366 oder auf den Juni 1365, gegeneinander ab, so dürften die besseren Argumente wohl für die letztgenannte sprechen. Dann aber ist der in der Sentenz Metzas genannte verstorbene Bischof Johann in der Tat kein anderer als Johann I., und die Inquisition, auf die damit angespielt wird, die des Jahres 1317 gegen häretische Begarden und Beginen. Metza wäre dann eine von jenen Beschuldigten gewesen, die - wie Johann I. an seinen Wormser Amtskollegen schrieb - abgeschworen hatte.

Man wird sie mit Mosheim als Begine, und zwar wohl als freigeistig-häretische Begine im Sinne des Prozeßschreibens Bischof Johanns I. bezeichnen müssen, obwohl - wie Robert Lerner zu Recht bernerkt145 - Mosheim (entgegen seiner Edition des Schriftstücks) den Begriff in der Sentenz nicht fand. Aber den Bezug auf die freigeistig-mystischen swestriones des Prozeßschreibens von 1317 stützt auch die Überlieferung der Wolfenbütteler Handschrift, wo unmittelbar auf die beiden Sentenzen folgend die Determinatio Alberts d. Gr. - das früheste Dokument der (114) Frei-Geist-Häresie - eingetragen worden ist146. Zudem findet sich unter den Schriftstücken zur Beginenverfolgung unter Bischof Lamprecht folgender Hinweis auf die Inquisition von 1365147: Item sunt nonnulle ex personis pretactis, que ante octo vel decem annos (= 1364/66) fuerunt in aliquibus erroribus, de quibus nunc agitur, et abstraxerunt se ab eis non eundo in habitu conformi usw. Daraus wird evident, daß wir mit den Verurteilungssentenzen Metzas und des (Minoriten-?)Priesters nur die „Spitze des Eisbergs“ der Inquisition von 1365 vor uns haben, daß der Personenkreis der Verfolgten derselbe ist, wie er 1317-19 gewesen war und 1374 sein wird: Beginen, was immer der Begriff jeweils präzise meinen mag. Soweit sie als häretisch bezeichnet werden, ist auch der Zusammenhang mit Begarden gegeben, unter denen sich - wie schon Bischof Johann I. mitteilt148 - auch religiosi, (Bettel-)Mönche also, die die Ordensgelübde abgelegt haben, befanden; dieser Kategorie wird man den 1365 verurteilten Priester recht gut zurechnen können. Neben dem Vorwurf häretischer Lehren stand aber wieder das harmlose Kleiderproblem, das Tragen eines uniformen Habits der Frauen, die keinem approbierten Orden - also auch nicht dem Dritten Orden – angehörten und deshalb eigentlich nicht dazu befugt waren.

Fragt man nach den Initiatoren und dem unmittelbaren Anlaß dieser Verfolgung, dann weist nichts auf eine krisenhafte Zuspitzung des Konflikts Mendikanten-Pfarrklerus als Ursache hin; man kann trotz der schließlichen Verurteilungen auch nicht erkennen, daß das Umsichgreifen von Häresien in Straßburg ein so bedrohliches Ausmaß angenommen hatte, daß sich der gewiß nicht nachlässige Bischof Johann II. von selbst

zum Einschreiten genötigt sah. Das erste Dokument in diesem Zusammenhang war das Schreiben Urbans V. von 1364 Oktober 11; nichts widerspricht, daß bei der Verfolgung 1365 die Kurie die Initiative hatte.

5. Eine Beginen-Inquisition 1368/69

Nur kurz sei noch auf eine Inquisition hingewiesen, von der wir durch das Dokumentenmaterial der Verfolgung von 1374 ganz beiläufig Kenntnis erhalten. Am Schluß ihrer „Protestnote“ weisen die Bettelorden darauf hin149, daß ein inqiuisitor heretice pravitatis dictas (115) mulieres, de quibus premissum est, nondum lapsis sex annis (d. h. zwischen August 1368 und August 1369)una cum commissariis predecessoris paternitatis vestre predicte visitavit super excessibus et erroribus in dicto processu expressis et aliis, eciam invenit eas innocentes; et sustinuerunt eas manere in statu quo sunt. Die Inquisition fällt in den Pontifikat Johanns III. von Luxemburg, der als ihr Initiator von vornherein ebensowenig zu vermuten ist wie bei der voraufgehenden. Der Hinweis, dass ein inqiuisitor heretice pravitatis im Unterschied zu bischöflichen Kommissaren beteiligt war, läßt erwarten, daß der Anstoß zu dieser Inquisition auch diesmal nicht von Straßburg aus erfolgte - das negative Ergebnis der Untersuchung bestätigt das -, sondern daß sie Teil einer größer angelegten systematischen inquisitorischen Überprüfung war, die von der Kurie ausging.

In der Tat gibt es aus dem Jahre 1368 Initiativen Urbans V., die das auslösende Moment für die Straßburger Inquisition gewesen sein dürften. Am 15. April 1368 forderte der Papst in zwei gleichlautenden Schreiben alle geistlichen und weltlichen Herrschaftsträger in Deutschland auf, Ludwig de Caliga einerseits und Heinrich de Agro andererseits bei der Verfolgung von „Ketzern oder der Ketzerei Verdächtigen beiderlei Geschlechts“, namentlich. aber von Begarden, jede Hilfe zu gewähren150. Es ist anzunehmen, daß Heinrich de Agro aufgrund dieses Schreibens seinen inzwischen drei Jahre zurückliegenden Besuch in Straßburg als Inquisitor wiederholt hat.

_________

Damit wäre der Bogen geschlagen zur Beginenverfolgung von 1374, die am Anfang der Untersuchung stand und die die letzte Verfolgung der frommen Frauen in Straßburg war, über die uns das Mendikanten-Dossier der Wolfenbütteler Handschrift unterrichtet - sie war keineswegs die letzte Beginenverfolgung in Straßburg151 -, und über die hinaus diese Studie nicht geführt werden soll.

(116)Faßt man ihre wichtigsten Beobachtungen zusammen, so läßt sich feststellen, daß die Anstöße zu den Verfolgungen sehr unterschiedlichen Triebkräften entsprangen und seitens der Betroffenen sehr verschiedenartigen Personenkreisen galten, die man mit den Begriffen „Beginen“ und „Begarden“ zwar zutreffend, aber nicht sehr genau erfaßt.

Uns begegnete der Typ der häretischen, mit dogmatisch-freigeistigen Irrtümern belasteten Beginen und Begarden, die gleichzeitig die kirchlichen Autoritäten in Frage stellten und ablehnten. Diese Verbindung von (117) freigeistiger Häresie und antikirchlicher Insubordination - das sei ausdrücklich unterstrichen - ist in Straßburg wie auch anderswo keineswegs, wie Robert Lerner zu Recht betont152, stets und überall gegeben, wenn man gegen Beginen und Begarden mit drakonischen inquisitorischen Maßnahmen vorging.

Der andere Typ der verfolgten Begine - und das dürfte die weitaus überwiegende Zahl sein - sind jene frommen Frauen, die, sei es aufgrund eines privaten Gelöbnisses oder als regulierte Terziarin, zwischen Laien und Mönchs bzw. Nonnenorden einen eigenen Stand zu bilden suchten, und zwar in enger Anlehnung an die Bettelorden. Wenn gegen diese Frauen vorgegangen wurde, kann man stets den Pfarrklerus, Spannungen zwischen ihm und den Mendikanten als Ursache und treibende Kraft vermuten, waren die Betroffenen und Angegriffenen immer auch die Bettelmönche.

Die Initiative zur Verfolgung dieser Männer und Frauen lag zu Beginn des 14. Jahrhunderts beim Ortsbischof, und das dürfte kein Zufall gewesen sein, denn alles spricht dafür, daß der rheinische Episkopat -erkennbar seit der Kölner Synode von 1306 unter Heinrich von Virneburg (der später auch die Inquisition gegen Eckhart veranlaßte) und dem Mainzer Konzil von 1310die radikalmystische Frei-Geist-Häresie mit ihren antikirchlichen Tendenzen als ernstzunehmende Gefahr kennengelernt hatte und zum Handeln entschlossen war, daß auch er es war, der die Bestimmungen des Vienneser Konzils gegen Beginen und Begarden inspiriert hatte153. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts jedoch, genauer: seit dem Pontifikat Urbans V. ist die Kurie die treibende Kraft, während der Diözesanbischof lediglich Hilfestellung leistet. Mit Martin von Prag schließlich lernen wir einen Typ des Inquisitors kennen, der am (118) Ende des 14. und im 15. Jahrhundert vielfach zu beobachten ist: den Typ des auf eigene Initiative und auf eigene Faust handelnden Ketzerjägers, dessen Aktivität allerdings nie isoliert von seinem Wirkungsbereich betrachtet werden darf154.

Die Untersuchung hofft, am Beispiel Straßburgs ein differenziertes Bild von Verfolgern und Verfolgten, von Ursachen der Verfolgungen und deren Ziel entworfen zu haben, das es erlaubt, von so komplexen Erscheinungen wie mittelalterlicher Inquisition und Häresie einige wesentliche Züge sichtbar werden zu lassen.

6. Exkurs:Das „häretische“ Buch von den neun Felsen und eine deutsche Fassung der verurteilten Lehrsätze Meister Eckharts

Johann Lorenz Mosheim fand unter dem Beginen-Material der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst. an zwei Stellen Hinweise auf die Existenz eines unter den Straßburger Beginen offenbar kursierenden deutschen Buches mit dem Titel De novem rupibus, in der Volkssprache: dz buoch von den nùn feilsen, in dem vieles „mit dem katholischen Glauben nicht Übereinstimmende stehen“ sollte. Die erste, eben zitierte Erwähnung findet sich am Schluß des Interrogatoriums der Beginenverfolgung von 1374155; der Verfasser der Frageliste hatte offenbar nur vom Hörensagen davon Kenntnis. Der zweite Hinweis begegnete Mosheim in Form einer Marginalglosse zu einem der inkriminierten freigeistigen Lehrpunkte im Prozeßschreiben Bischof Johanns I. vom 17. August 1317156. (119) Mosheim hat diese Marginalie von der Hand Heinrichs von Sachsen, des Glossators der gesamten Handschrift, irrtümlich für einen Bestandteil des Textes gehalten und in seine Edition des Schreibens hineingenommen, ohne den Zusatzcharakter der handschriftlichen Überlieferung kenntlich zu machen157.

Das erwies sich als folgenschwerer Irrtum, denn seither geistert das angeblich verlorene freigeistig-häretische Neunfelsenbuch durch die Literatur, für dessen Verfasser noch Alcantara Mens - Mosheim folgend - den in Köln 1326 verbrannten „Freigeist“ Walther hielt158; wo man die Verfasserfrage offenließ, nahm man in jedem Fall an, daß das Werk um 1317 bereits existiert haben mußte und folglich nicht identisch sein konnte mit einer der seit 1352 umlaufenden Fassungen eines Neunfelsenbuches, deren eine dem bekannten Straßburger Mystiker Rulman Merswin zugeschrieben wird159.

Erst Robert Lerner hat160 - in Kenntnis der handschriftlichen Überlieferung - den falschen zeitlichen Ansatz korrigiert, fiel aber einem nicht minder gravierenden Trugschluß zum Opfer, der ebenfalls auf Mosheim zurückgeht. Dieser nämlich hatte geglaubt, ein Fragment jenes ketzerischen Neunfelsenbuches gefunden zu haben, und hatte, was er davon kannte, auszugsweise in seinen „Institutiones historiae ecclesiasticae“ veröffentlicht161. Man bemerkte jedoch sehr bald, daß sein Fund nichts anderes war als eine deutsche Version der in der Bulle In agro dominico 1329 März 27 verurteilten Lehrsätze Meister Eckharts, und hielt seine Identifikation mit dem Neunfelsenbuch zu Recht allgemein für eine Verwechslung162; eine Verwechslung übrigens, die Mosheim so wenig bemerkte, daß er eine eigene lateinische Rückübersetzung der (120) deutschen Sätze anfertigte, ohne daß ihm wenigstens dabei die Übereinstimmung mit der ihm wohlbekannten Bulle In agro dominico auffiel163. Anders Robert Lerner: Er nimmt die Beteuerung Mosheims ernst, aus dem ketzerischen Neunfelsenbuch zu zitieren, und folgert konsequent, daß die verurteilten Eckhart’schen Irrtümer als Vorlage für freigeistig mystisches Schrifttum in der Eckhart-Nachfolge hergenommen wurden164.

Mosheim schöpfte jedoch seine Kenntnis aus keiner anderen Quelle als aus der uns wohlbekannten Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst., ein Umstand, der Robert Lerner entgangen war. Auf dem letzten Folio der Handschrift - fol. 125rb - finden sich die deutschen Sätze als Fragment, so wie sie Mosheim, wenn auch in anderer Reihenfolge, in den „Institutiones“ publiziert hat165. Das Fragment umfaßt die Sätze 12-28 der Bulle In agro dominico166; es fehlen die ersten elf Sätze, die - mit dem Rest der fol. 124vb mitten im Satz abbrechenden Bulle Gloriosam ecclesiam und einigen anderen Textstücken vermutlich beim Neubinden der Handschrift zu einem Zeitpunkt, bevor Mosheim sie kennenlernte, verloren gegangen sind167.

Man wüßte gern, mit welchen Bemerkungen oder gar Quellenangaben dieser deutsche Text der Eckhart-Sätze eingeführt oder glossiert worden war, denn der Text ist ein Unikum. Er ist zweifellos die deutsche Übersetzung des lateinischen Bullentextes, nicht etwa - was man aufgrund der ja vielfach aus deutschen Schriften Eckharts ausgezogenen Irrtümer zunächst auch meinen könnte - eine Irrtumsliste aus einem früheren, gar dem Anfangs-Stadium des Eckhart-Prozesses168.Doch diese Möglichkeit sei nur erwogen, um sie sogleich zu verwerfen; denn zum einen (121) wissen wir, daß erst in der allerletzten Phase des Prozesses in Avignon der Kanon der Irrtümer in der Reihenfolge zusammengestellt wurde, in der sie die Verurteilungsbulle aufführt169, zum anderen sind in der Wolfenbütteler Handschrift auch die aus lateinischen Werken Eckharts exzerpierten Irrtümer deutsch wiedergegeben, also keineswegs im „Urtext“. In einem Deutsch übrigens, das sich im allgemeinen sehr eng an die lateinische Vorlage anlehnt und sie nur selten paraphrasiert oder gar erweitert. Einige Korrekturen und (sehr wenige) Fehler verraten darüber hinaus, daß die Überlieferung der Wolfenbütteler Handschrift nicht etwa original ist, sondern eine Abschrift170.

Die Anordnung der Irrtümer weist eine Schwierigkeit auf: Die Bulle In agro dominico hat eine Zählung 1-26+2 (die letzten Irrtümer leugnete Eckhart, gelehrt zu haben), wobei die Sätze 1-13 und die beiden letzten, also insgesamt fünfzehn, als zweifelsfrei häretisch, die anderen elf (also die Sätze 14-26) für sich genommen zwar auch als falsch und häresieverdächtig, aber im Textzusammenhang und mit Kommentar versehen als vertretbar beurteilt worden waren. Demgegenüber liegt in unserem Fragment die Zäsur zwischen „häretischen“ und bloß „falschen“ Lehrsätzen nach dem 15. Artikel - die restlichen elf werden mit eigener Zählung unter der Rubrik Articuli falsi angefügt -, der Bullentext ist vom Übersetzer also mißverstanden worden.

Welches waren Sinn und Zweck der Übersetzung? Sollte sie radikalen Frei-Geist-Mystikern zur Erbauung oder gar zum Ansporn dienen, gewissermaßen als originalhäretische Eckhart-Lehren, versehen mit dem Gütesiegel päpstlicher Verdammung? Wohl kaum. Eher wird man an die Gegenpartei, den orthodoxen Klerus denken müssen, der - zumindest in der Kölner Erzdiözese - von der Kanzel herab die Verurteilungsbulle Eckharts zu verkünden hatte171. Lateinisch tat er das vor Laienpublikum sicher nicht. Was also liegt näher, als daß für Laien, speziell für die geistlich „gefährdeten“ Beginen, überhaupt für den früheren (122) Anhang Eckharts, besonders unter den Frauen (Nonnen wie Laien), eine Übersetzung der verurteilten Irrtümer Eckharts angefertigt wurde, die man zumindest anläßlich der päpstlicherseits angeordneten offiziellen Urteilsverkündung unters Volk brachte und für deren Verbreitung man - wie die Überlieferung in unserer Handschrift bezeugt - auch sonst sorgte. Diese Annahme wird auch durch den sprachlichen Befund bestätigt, der für unsere Überlieferung Spuren einer mitteldeutschen Vorlage zweifelsfrei erkennen läßt172.

Der deutsche Text der Bulle ist nicht die einzige Besonderheit ihrer Überlieferung in der Wolfenbütteler Handschrift. Am seitlichen Rande findet sich eine Zählung der Lehrsätze von der Hand - wie ich meine -Heinrichs von Sachsen folgender Art: Zu Lehrsatz Nr. 12: 22us in ordine libri; zuNr. 13: 23usin ordine libri; zu Nr. 14: 27usin ordine libri usw.für alle Artikel. Welches ist der Bezugspunkt jener Zählung, welches der dort genannte liber? Wiedergegeben ist nichts anderes als die Artikelzählung jener zwei bisher bekannt gewordenen Voten im Eckhart-prozeß in Avignon, deren eines - das auch erhalten ist - eine Theologenkommission, deren anderes kein geringerer als Jacques Fournier, der spätere Benedikt XII. abgab173. Beide Gutachten sind ihrer Natur nach vertraulich, nicht für weitere Verbreitung bestimmt; das erstere ist denn auch nur einmal, und zwar im Original überliefert. Das letztere hat sich bisher noch nicht gefunden, doch läßt es sich zum Gutteil aus zwei Werken des Augustinereremiten Johannes Hiltalingen von Basel (t 1392)174 rekonstruieren. Wie er zur Kenntnis des Gutachtens kam, (123) verrät er nicht - immerhin war er 1357Lektor in Avignon -, aber man hat zu Recht, wie ich glaube, angenommen, daß ihm eine eigene Kopie davon zur Verfügung stand175. Eines von beiden Gutachten muß auch dem Glossator Heinrich von Sachsen zugänglich gewesen sein; es liegt nahe, dabei an das Exemplar Hiltalingens zu denken, der es zumindest während seines Provinzialats über die rheinisch-schwäbische Provinz 1371-1377in Straßburg an Heinrich von Sachsen vermittelt haben könnte. Ist diese Vermutung richtig, so hätten wir in den Zahlen-Glossen Heinrichs von Sachsen zu den Eckhart-Sätzen eine weitere Spur des verschollenen Votums Jacques Fourniers vor uns.

Sind die deutschen Eckhart-Sätze damit endgültig, wie ich hoffe, aus der Diskussion um das „freigeistig-häretische“ Neunfelsenbuch ausgeschieden, so bleibt aufgrund der jetzt gesicherten Quellenlage zu prüfen, ob nicht doch, wie immer bestritten wurde, eine der bisher bekannten Fassungen des Neunfelsenbuches in Frage käme. Die - wie seit Philipp Strauchs Forschungen feststeht176 - ältere Kurzfassung entstand 1352; die jüngere, mit Rulman Merswins Namen verbundene Langfassung wurde erst nach dessen Tode 1382bekannt, wenn nicht erst sogar danach abgefaßt177. Terminus ante quem des im Interrogatorium genannten Neunfelsenbuches ist 1374; das ist das Datum ad quod für die Glosse Heinrichs von Sachsen. Aus diesen Daten ist klar zu ersehen, daß Rulman Merswins Langfassung nicht das in der Wolfenbütteler Handschrift erwähnte Neunfelsenbuch sein kann, wohl aber die ältere Kurzfassung. Um aber die Identität beider Werke positiv nachzuweisen, bleibt nur der - seltsamerweise nie beschrittene - Weg, dem Hinweis der Marginalglosse Heinrichs von Sachsen zu folgen und ihn an dem bekannten Neunfelsenbuch nachzuprüfen.

Der ketzerische Lehrsatz, zu dem die Marginalie in nona rupe notiert wurde, lautet178. Item quod sunt eciam immutabiles, quod de nullo (124) gaudent et de nullo turbantur; unde se ipsos nollent a quacumque morte solo verbo, si possent, liberare.

Ich stelle dem einige Leseproben aus der Kurzfassung des Neunfelsenbuches gegenüber, die den Zustand jener Menschen beschreiben, die nach allen Irrungen, Wirrungen und Läuterungen der niedrigeren Stufen menschlichen Daseins auf dem „neunten Felsen“ angekommen sind179:

(Cgm 759 fol. 140va-141rb; = Diepenbrock 4557, 19-558, 5) Der mensch sprach: Liep meins, hänt dis menschen enkain begern ichtes? Die antwurt sprach: Sy enhänt kain begerung, denn das die ere gottes volpracht werd, und nit anders. Sy hant sich got als gar gelaussen, was er mit in und mit allen dingen tuot, das gewelt in ze grund wol; gitt er in, sy lausent es guot sein; nympt er in, sy laussent es guot sein; und ständ also in allen dingen unangenomen. Sy schinent mer suess denn saur, wann sy mynnent das cruecz.

Der mensch sprach: Hänt sy noch kain vorcht? Die antwurt sprach: Sy enfuerchtent noch hell, noch fegfiuer, noch vinde, noch tod, noch leben. In ist alle vorcht ab gevallen, än das sy duncket, das sy dem pild Christi nicht nach volgen, als sy gern taetten und schuldig seint. . . . Unde seint der welt ze grund tod, und ist auch sy in ze grund tod, und seint auch alliu vernuefftigiu werck in in erstorben, die siu mit aigenschafft und mit allen weisen ye geuebten oder ye besessen hetten ... Sy hant sich selber verlorn ze grund und alle creature mit in selber und alles, das ye geschaffen wart, es sey in zeit oder in ewikait.

(Cgm 838 fol. 119v; = Diepenbrock 4556, 6ff.) Der menscb sprach: Was maint das, daz dise menschen auservenig ze sehen so kranck scheinent, und inwendig so klar als die engel? Die antwurt sprach: Es ist nit wunder, ob sy kranck worden sind von dem klymen aller diser velsen. Wisse, das in in ain tropff bluotes noch marckes nit beliben ist, es sey als verdorret und verdorben. Da von sind sy kranck.(125)

Es dürfte wohl kein Zweifel bestehen, daß der Glossator Heinrich von Sachsen keinen anderen als den hier beschriebenen Zustand menschlichen Daseins vor Augen hatte, und damit kein anderes als dieses Neunfelsenbuch. Damit muß zwar nicht unbedingt auch jenes im Interrogatorium genannte gemeint sein, das angeblich einiges dogmatisch Verdächtige enthalten sollte, während ein derartiger Vorwurf gegen das uns bekannte Neunfelsenbuch bislang nicht bekannt wurde. Aber dieser Umstand verliert alles Anstößige, hält man sich etwa die Überlieferungsgeschichte des Miroir des simples ames der Marguerite Porete vor Augen, ein Buch, dessentwegen die Verfasserin den Scheiterhaufen bestieg, und das - offenbar ohne jede „Reinigung“ - sich größter Beliebtheit in mystischen Kreisen erfreute180. Vergegenwärtigt man sich weiterhin die generellen Verbote deutscher religiöser Bücher in päpstlichen und kaiserlichen Edikten181, dann wird klar, wie eng offiziell die Grenzen volkssprachlich-mystischen Schrifttums gezogen waren und wie rasch ein an sich unverdächtiges deutsches Buch in den Geruch der Häresie geraten konnte. Die Aufführung des Neunfelsenbuches in einer inquisitorischen „Fahndungsliste“ ist also keineswegs ein Indiz für das Vorhandensein eines zweiten, häretischen Werkes, sondern ein Beleg dafür, daß das uns bekannte ebenfalls ins Zwielicht geraten ist und damit das Schicksal anderer berühmter Werke der volkssprachlich-mystischen Literatur teilte.



[1] Johann Lorenz Mosheim, De Beghardis et Beguinabus commentarius, [aus dem Nachlaß] hg. von G. H. Martini (Lipsiae 1790). - Die im folgenden wiederholt und stark gekürzt genannte Literatur sei hier kurz verzeichnet: Carl Schmidt, Über die Secten zu Straßburg im Mittelalter, Zs. für die historische Theologie 10, 3 (1840) S. 31-73. - Ders., Die Straßburger Beginenhäuser im Mittelalter, Alsatia. Beiträge zur elsässischen Geschichte, Sage, Sitte und Sprache Jg. 1858-1861, S. 149-248, ist überholt durch Dayton Phillips, Beguines in medieval Strasburg. A study of the social aspect of beguine life (1941). - Herman Haupt, Beiträge zur Geschichte der Sekte vom freien Geiste und des Beghardentums, ZKG 7 (1885) S. 503-576, bes. S. 521-527. - Robert E. Lerner, The Heresy of the Free Spirit in the Later Middle Ages (1972). - Jean-Claude Schmitt, L' Église et les clercs face aux béguines et aux béghards du Rhin supérieur du XIVe au XVe siècle; die als thèse der école des Chartes unter Leitung von Jacques le Goff entstandene und 1971 abgeschlossene Arbeit (vgl. BECh 129, 1971, S. 531) hat mir der Autor liebenswürdigerweise hier in München zugänglich gemacht, wofür ihm auch an dieser Stelle gedankt sei. Die Arbeit - ein Beitrag zum Thema “Mentalitätsgeschichte” - geht in ihrer gegenwärtigen Gestalt nur am Rande auf die Straßburger Verhältnisse ein, so daß hier auf eine ins Detail gehende Bezugnahme um so eher verzichtet werden kann, als die Publikation des Werkes in erheblich veränderter Form im Rahmen der Collections de la Vle section de l' École Pratique des Hauts Études (Sciences économiques et sociales) in Kürze vorgesehen ist. - Von der allgemeinen Straßburger Literatur, die leider recht dürftig ist, wird häufiger zu nennen sein: Luzian Pfleger, Kirchengeschichte der Stadt Straßburg im Mittelalter (Forschungen zur Kirchengeschichte des Elsaß 6, 1941). - Wilhelm Kothe, Kirchliche Zustände Straßburgs im vierzehnten Jahrhundert. Ein Beitrag zur Stadt und Kulturgeschichte des Mittelalters (1903; = Phil. Diss. Breslau 1902). – Von unschätzbarem Wert für diese wie für jede Arbeit über Straßburger spätmittelalterliche Verhältnisse ist die monumentale Ausgabe des “Urkundenbuchs der Stadt Straßburg”, 7 Bde., hg. v. W. Wiegand, A. Schulte, G. Wolfram, H. Witte, J. Fritz(Urkunden und Akten der Stadt Straßburg, 1. Abt. 1-7, 1879-1900). - Überaus wichtig: Médard Barth, Handbuch der elsässischen Kirchen im Mittelalter (Archives de l´ Église d' Alsace 27-29 [= N. S. 11-13], 1960-1962/63; = Étuudes générales [Forschungen zur Kirchengeschichte des Elsaß] N. S. 4).
[2] R. Lerner S. 85 ff.
[3] Für Straßburg beobachtete zuerst D. Phillips (bes. S. III, 14 u. 219 ff.) das enge Verhältnis beider Problemkreise, hat dann aber seinen Plan nicht mehr verwirklicht, in einer historisch-darstellenden Arbeit diese Beobachtungen aus seiner wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Studie zu verwerten. - Eher en passant ist das Problem für Basel behandelt worden: Clément Schmitt, Le conflit des Franciscains avec le clergé séculier à Bâle sous l' évêque Gérard de Wippingen (1318-1324), Arch. Franc. Hist. 54 (1961) S. 216-225, und BrigitteDegler-Spengler, Die Beginen in Basel, Basler Zs. für Gesch. und Altertumskunde 69 (1969) S. 5-83 und 70 (1970) S. 29-118 (separat mit eigener Seitenzählung ersch. Basel 1970; danach hier zitiert), bes. S. 26ff. - Ein eigenes Kapitel widmete J.-Cl. Schmitt dieser Frage (Kap. I, B, 2: Béguines, Tertiaires, Mineurs, Mskr. S. 129 ff.).
[4] Vgl. bisher die Beschreibung von Otto von Heinemann, Die Handschriften der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Erste Abteilung: Die Helmstedter Handschriften 1 (1884) S. 256 ff. Nr. 345; dazu A. Patschovsky, Der Passauer Anonymus (Schriften der MGH 22, 1968) S. 115 Anm. 10.
[5] Herrn Dr. Hartmut Boockmann (Göttingen) danke ich sehr herzlich für die Mühe, mich über die nicht ganz leicht identifizierbaren Wasserzeichen der Handschrift unterrichtet zu haben, auf die ich bei meinen früheren Besuchen in Wolfenbüttel nicht geachtet hatte.
[6] Siehe oben S. 59.
[7] Daß die Beginen-Dokumente auf Materialien des Straßburger bischöflichen Archivs beruhen, legen besonders die Textstücke Nr. 22a-i (oben S. 64f.) nahe. Es sind sämtlich bischöfliche Schreiben aus einer zur Zeit der Anlage der Handschrift weit zurückliegenden Epoche, adressiert an unterschiedliche Empfänger, chronologisch aber eng beieinanderliegend und zumeist aufeinander folgend, teilweise - wie Nr. 22 c, das Schreiben an den Wormser Bischof - mit verkürztem Protokoll und Eschatokoll, wie man es von Registern gewohnt ist. Zwei der Stücke - Nr. 22 d und e, betreffend die Hospitalgründung Bischof Johanns in Molsheim und die Kleiderverordnung für die Eschauer Nonnen - passen nicht zum Kontext, haben mit dem Beginen- und Mendikantenproblem nicht das geringste zu tun, fügen sich aber ziemlich genau in die chronologische Abfolge der Dokumente aus dem Pontifikat Bischof Johanns I. Es ist daher an zunehmen, daß sie deswegen abgeschrieben wurden, weil sie auch in der Vorlage in der Umgebung der anderen Schriftstücke standen - und diese Vorlage könnte eigentlich nur eine Sammlung von Urkundenabschriften des Ausstellers, d. h. des Straßburger Bischofs gewesen sein, und zwar ein bischöfliches Auslaufregister. Bisher ist nur ein Briefbuch Bischof Johanns I. in der Hs. Wien, cvp 410 bekannt geworden (beschrieben und im Auszug ediert von J. Chmel, Die Handschriften der k. k. Hofbibliothek in Wien 2 [1841] S. 312 ff.; weitere Hinweise dazu bei A. Schulte, in: UB Straßburg 3, 404ff., Rosenkränzer [wie Anm.82] S. 101ff., S.Herzberg-Fränkel, in: MIÖG 16 [1895] S. 468ff. u. 476ff.), aber noch kein eigentliches Register, das freilich zu Beginn des 14.Jahrhunderts keine Sondererscheinung mehr wäre; vgl. zum Problem der Registerführung mit weiterführender Literatur zuletzt Helmut Bansa, Zum Problem des Zusammenhangs von Formular und Registereintrag, DA 29 (1973) S. 529-550.
[8] Bei vier Stücken erscheint die Zuordnung zum Mendikanten-Thema nicht recht möglich: Zwei befinden sich im Kontext von Nr. 22 (d und e), den mutmaßlichen Auszügen aus dem Register Bischof Johanns I.; von ihnen war oben Anm. 7 bereits die Rede. Die anderen beiden sind Nr. 25 und 26; über sie wird unten S. 71 f. noch zu sprechen sein.
[9] Verwendung gleicher Wasserzeichen spricht natürlich vor allem für ein und dasselbe “Schreibbüro” an einem bestimmten Ort - nach Lage der Dinge also für Straßburg (siehe unten S. 70). Doch wäre immerhin zu erwägen, daß auch der Auftraggeber der Sammlung (zu ihm siehe unten S. 69 ff.) das Papier gestellt haben könnte und das Material an verschiedenen Orten abschreiben ließ.
[10] Vgl. die Schriftproben Tafel I und II.
[11] Ich notiere hier einige Glossen mit dem Charakter persönlicher Stellungnahmen, die in groben Umrissen die geistige Physiognomie des Mannes erkennen lassen; fol. 62vb: FitzRalph bestreitet die Existenzberechtigung des Bettels unter Hinweis auf die oft aufgestellte These, quod Christus fuit faber (und sich seinen Lebensunterhalt durch seiner Hände Arbeit verdiente); dazu der Glossator. sed ego non credo istud verum.
fol. 85rb: Zur Auffassung des Bartholomäus von Bolsenheim, 0. P., Marc. 11, 11 Iesus introivit in Ierusalem in templum, et circumspectis omnibus usw. bedeute, Jesus schaue sich nach einem Quartiergeber um, notiert der Glossator: Alii dicunt, quod ideo circumspexit, utrum aliquis vellet credere verbis suis et converti, quod melius videtur esse dictum.
Verraten diese beiden Beispiele Kenntnis und selbständiges, auch selbstbewußtes, kühl abwägendes Urteil in theologischen Fragen, so zeigen die nächsten Beispiele den ebenso nüchtern urteilenden Kenner des Mendikanten- und Beginenproblems:
fol. 97vb wird zum überaus mendikantenfreundlichen Urteil des päpstlichen Legaten Johannes von Cardaillac (Nr. 16) notiert: Dubium, an illud privilegium (über der Zeile: aut processus) sit fictum, ut quidam dicunt, anno domini 13 <72> super enormibus, que prelati et plebani quidam inferunt fratribus Minor<ibus> in articulis, que secuntur, et sunt numero 9. Vgl. dazu noch die unten S. 90 zitierte Glosse.

fol. 119rnotiert der Glossator zum Vidimus von Gregors Xl. Schreiben Ex iniuncto nobis (Nr. 29): Gregorius Xlus de Begardis et Beginis, ut dicunt; sed nulla fit mencio de eisdem in bulla (was richtig ist; siehe unten S. 88).

fol. 119v zu Johanns XXII. Bulle Racio recta: Non approbat statum istarum secundarum Beginarum, sed permittit ordinariis inquisicionern super eas (der Begriff inquisicio fehlt in der Bulle, trifft aber den Kern der Sache).

[12] Oben S. 60 u. 61 Nr. 2 u. 12.
[13] fol. 111r und 111v (zu Nr. 23).
[14] fol. 51rb.
[15] Vgl. das Zitat unten S. 90 (ut retulit michi dominus Martinus quondam vicarius domini episcopi Lamperti Argentinensis).
[16] Das zeigt etwa die Überschrift zu Nr. 21 c, einem Verhandlungspapier zwischen Mendikanten und Bischof, das niemals publiziert worden sein dürfte (siehe unten S. 82): Quidam advocatus fratrum ista proposuit; das konnte nur jemand wissen, der in die Schriftsätze dieser Verhandlungen Einblick hatte. In die gleiche Richtung weisen auch die Überschriften zu Nr. 21 e, siehe unten S. 83 und 185.
[17] Das gilt besonders für das in der vorigen Anmerkung erwähnte Stück Nr. 21 c, wird aber allein schon durch die Tatsache evident, daß manches auf Materialien des bischöflichen Archivs beruhen muß (siehe oben Anm. 8).
[18] Vgl. oben S. 65 Nr. 25 und 26.
[19] Über Heinrich von Sachsen gibt es bislang nur die kurzen Notizen bei Georg Wolfram, Heinricus de Saxonia de oppido Bernburg in Straßburger Urkunden, Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 4 (1886) S. 643-646, Ernest Wickersheimer, La Peste Noire à Strasbourg et le «Régime» des cinq médecins strasbourgeois, in: Proceedings of the Third International Congress of the History of Medicine, London July 17th to 22nd 1922 (1923) S. 54-60, hier S. 58, und besonders ders., Henri de Saxe et le «De Secretis Mulierum», ebd. S. 253-258, hier S. 257 f., dazu ders., Henri de Saxe, in: Dictionnaire biographique des médecins en France au moyen âge (1936) 1, 286, sowie die wenigen Bemerkungen in der unten S. 74 Anm. 23 zitierten Arbeit von K. Müller S. 35 f.Zur Ernennung zum Generalvikar durch Bischof Lamprecht vgl. unten S. 87f. 
[20] Nr. 19; zur Sache vgl. Kothe S. 72 und 101, mit freilich höchst unzureichenden Angaben. Ausführlicher C. Schmidt, Notice sur le couvent et l' église des Dominicains de Strasbourg, Bulletin d'Alsace 9 (1876) S. 161-224 (= Separatdruck Strasbourg 1876, mit eigener Seitenzählung, nach der im folgenden zitiert wird), hier S. 48 ff. - Heinrich von Sachsen ist in einem in Regensburg am 18. September 1374 ausgestellten Notariatsinstrument vom Dominikanerprovinzial der Teutonia, Ulrich Wintner (1372-1384; siehe Paulus vonLoe, Statistisches über die Ordensprovinz Teutonia [Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 1, 1907] S. 15 Nr. 34), gemeinsam mit Otto, Abt von Neuweiler - nach Kenntnis des Provinzials noch vicariusin spiritualibus et temporalibus generalis (vgl. dagegen unten S. 90) - und dem namentlich nicht genannten Dekan von Jung-St. Peter (Heinrich Kopp; er wird unter anderen vom Exekutor des in unserer Handschrift überlieferten Schreibens [Nr. 19], Johannes de Silvis, zum Subexekutor ernannt; vgl. auch UB Straßburg 5, 885 Nr. 1210) zum Subexekutor des Schreibens Romani pontificis providencia Gregors XI. von 1371 Mai 6 gemacht worden, in dem “allen geistlichen, auch Ordens, und weltlichen Personen" (gemeint sind, ohne daß das ausdrücklich gesagt wurde, die Dominikaner) der Verkehr mit den Dominikanerinnen untersagt wurde (das Schreiben hatte Otto in seiner Eigenschaft als Generalvikar - also genau unter dem Titel, den ihm Ulrich Wintner beilegt - 1372 Febr. 1 bekannt machen lassen; UB Straßburg 5, 772f. Nr. 999). Vgl. das Regest des Schreibens (auf dessen Original ich hier zurückgreife) UB Straßburg 5, 857 Nr. 1150. Das Regest ist allzu knapp geraten; so verdient vor allem Aufmerksamkeit, daß sich unter den Zeugen auch der Straßburger magister studencium domus Predicatorum Rugerus dictus Rot befindet. Heinrich von Sachsen wird als dominus et magister, canonicus Basiliensis bezeichnet.
[21] Die Institution eines conservator et iudex ist kanonisch zum erstenmal von Innozenz IV. geregelt worden, dessen Bestimmung in den Liber Sextus (1.14.1) aufgenommen wurde (das Begriffspaar iudex vel conservator ebd. c. 2 [Alexander IV.]), sie gehört also in den größeren Umkreis der päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit. Aufgabe eines solchen, zugunsten eines Klosters oder auch ganzer Orden bestellten iudex oder conservator war es, “auf Verlangen des Impetranten gegen alle geistlichen und weltlichen Bedrücker, die er nominierte, ein summarisches Gerichtsverfahren" einzuleiten, “um sie entweder zur Rückgabe entfremdeter Besitzungen und Rechte zu zwingen oder sie zu veranlassen, ihre Angriffe auf kirchliche Institutionen einzustellen”; so definierte jüngst Othmar Hageneder, Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 10, 1967) S. 73, dieses Amt. Vgl. zur Sache im übrigen immer noch P. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts 1 (1869) S. 179f. Zu beachten auch: PeterHerde, Audientia litterarum contradictarum, 2 Bde. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 31/32, 1970), hier Bd. 1 S. 181 ff., bes. S. 413.
[22] Vgl. UB Straßburg 5, 549 Nr. 704 und 5, 827f, Nr. 1091.
[23] Zu Nikolaus Glusen und dem Schicksal seiner Handschriftensammlung vgl. die knappe, aber vorzüglich informierende kleine Studie von Kurt Müller, Nikolaus Gluse, der erste anhaltische Bibliophile, Anhaltische Geschichtsblätter H. 14 (1938) S. 3441.Gegen Müller behalte ich die in den Quellen allein als Genitiv und Dativ überlieferte Namensform Glusen bei (Variante ist Glusow, in: Urkundenbuch der Stadt Magdeburg 1 [1892] Nr. 705); eine Nominativform Gluse ist nirgends belegt und daher nicht zu begründen - was Müller auch nicht versucht.
[24] Beide Kataloge sind in der früher Nienburger, heute Weimarer Hs. Q 47 überliefert. Das Nienburger Verzeichnis ist von Franz Paul Schmidt, Der Katalog der Klosterbibliothek Nienburg a. S., in: Thüringische Studien. Festschrift zur Feier des 250jährigen Bestehens der Thüringischen Landesbibliothek Altenburg, hg. v. dems. (1936) S. 3179, ziemlich fehlerhaft (mit noch weniger passenden Texterläuterungen) herausgegeben worden; dort S. 32 erstmals auch das irrige Datum 1415 für die Abfassung des Glusenschen Verzeichnisses (an den beiden letzten Ziffern der arabischen Zahl scheint freilich nachträglich gebessert worden zu sein, so daß auch die Lesung 1401 nicht über jeden Zweifel erhaben ist). Dieses selbst blieb bis heute unediert. Ich gebe im folgenden die Beschreibung unserer Handschrift in beiden Verzeichnissen nach einer mir von der Thüringischen Landesbibliothek in Weimar freundlicherweise überlassenen Kopie ihrer Hs. Q 47, beim Nienburger Katalogeintrag unter stillschweigender Verbesserung der Fehler Schmidts; in Klammern ist meine Numerierung der Textstücke oben S. 59 ff. hinzugefügt.
fol. 161v führt Glusen unter seinen libri in iure als Nr. 9 an: Formularius super de inquisicione de beretica pravitate (= 1); et modus degradandi clericos (= 3); note domini Ardmakani contra fratres mendicantes (= 8); et Rog(erii) Minoris contra dominum Ardmakanum (= 9); et fratris Bartholomei Predi catoris (= 10); et quorundam privilegiorum fratrum mendicancium (= 11-12; 15-18); contra moniales, Beghehardos et Beginas (= 19-22); regula tercii ordinis sancti Francisci (= 24); papa contra symoniam claustralium decretum (= 27); declaracio regule Clarissarum (= 28); contra fraterculos Cicilie (= 33); contra fratres Minores, et declaracio regule eorum; contra energumenos seu obsessos; contra sortilegos; privilegium Beghardinorum et Beginarum; quesita magistri Echardi (= 34)Omnia in uno volumine papir(io); et incipit Primo p<re>mitto quedam.
fol. 292 v a-b (vgl. Schmidt S. 59 f.): H XIIII, Formularius super inquisicione de heretica pravitate (= 1). Sentencia diffinit<iv>a lata contra Metzen de Westhouen (= 2). Degradacio qualiter debet fieri (= 3). Opiniones hereticorum (= 4). (folgt durchstrichen: domini Ardmakani. magistri Rogerii.) Sermo magistri Richardi Arthmachanensis archiepiscopi contra fratres mendicantes (= 8). Inpugnacio sive sermo magistri Rogerii ministri ordinis fratrum Minorum contra Richardum (= 9). Tractatus magistri Bartholornei de Brisaco contra magistrum Richardum Arthinachanensem (!) archiepiscopum (= 10). Note quorundam privilegiorum mendicancium (= 11-12; 15-18). Contra moniales, Begardos et Beginas (= 19-22). Regula tercii ordinis sancti Francisci (= 24). (folgt durchstrichen. Contra symoniam claustralium [=27].) Declaracio regule Clarissarum (= 28). De Beginis permissis in ecclesia (= 30). Contra fraticelles Lumbardie (= 31). Ad conditorem canonum (= 32 b). Contra errores fraterculorum Cicilie (= 33). Declaracio regule fratrurn Minorum. Contra energuminos, scilicet ad expellendum spiritum immundum. Contra symoniam claustralium (= 27). Contra sortilegia. Begardorum privilegium et Beginarum.
[25] Catalogus testium veritatis ('Basileae 1556) S. 720. "Habeo inquisitionem in Boemia et Polonia contra Valdenses sub rege loanne circa 1330 Dornini annum factam" usw.; das bezieht sich auf das böhmische Inquisitorenhandbuch unserer Handschrift (= Nr. 1), wobei das „habeo“ durchaus eng im Sinne von „besitzen“ zu verstehen ist; vgl. dazu mein oben S. 59 zu Nr. 1 zitiertes Buch, bes. S. 1 ff. - Über den Zeitpunkt der Säkularisation des Klosters, über den man in der einschlägigen Literatur verschiedene Daten lesen kann, vgl. arn besten Wolf Heino Struck, Unveröffentlichte Urkunden um das ehemalige Kloster Nienburg, Sachsen und Anhalt 17 (1941-43) S. 360-402, hier S. 362 f. mit Anm. 14.
[26] Vgl. dazu O. v. Heinemann, Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Büchersammlungen (1894) S. 16ff. Eine monographische Darstellung über die flacianische Bibliothek, die - besonders mit Blick auf das Werk ihres Besitzers - ungemein lohnend wäre, bereitet der jetzige Leiter der Wolfenbütteler Handschriftenabteilung, Herr Dr. Wolfgang Milde vor, dem ich für manche wertvolle Auskunft sehr zu Dank verpflichtet bin.
[27] Vgl. hier und zum Folgenden K. Mü1ler (wie Anm. 23). bes. S. 35 ff.
[28] K. Müller S. 36. - Der Katalog Glusens führt folgende Werke Heinrichs von Sachsen an: 1) Eine Apologia contra magistrum Bernbardum, gleich in drei medizinischen Handschriften: Nr. 36, 69, 79. Mit dem "Magister Bernhard« könnte vielleicht der bekannte Medizinprofessor in Montpellier, Bernhard von Gordon († um 1320) gemeint sein, dessen Modus medendi nebst einer Anzahl anderer Werke Glusens Katalog der MedizinHss. Nr. 28 und 53 anführt; zu denken wäre aber auch an Zeitgenossen Heinrichs, etwa an Bernhard von Rostock, den Straßburger ArztKollegen und Mitverfasser eines Pest-Regimen mit dem Titel Schatz der wijscheit und der kunst verborgenlich, den E. Wickersheimer (wie Anm. 19) S. 57 f. herausgab (ebd. S. 59 zu Bernhard von Rostock), auch K. Sudhoff, Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des "schwarzen Todes« 1348, in: Archiv für Geschichte der Medizin 16 (1925) S. 1218 (vgl. dazu noch die Kontroverse der beiden Forscher in: Janus 28 [1924] S. 369-379 einerseits, und in: Arch. f. Gesch. der Medizin 16 [1925] S. 187f. andererseits). Wogegen sich Heinrichs Apologie richtet, ist nicht auszumachen.
2) Ein Liber de mortalitatibus seu de pestilencia in der Medizin-Hs. Nr. 90, also einer jener zahllosen im Gefolge des Schwarzen Todes 1348 ff. entstandenen Pest-Traktate, der sicherlich mit dem erwähnten von Heinrich mitverfaßten Schatz der wiischeit der fünf Straßburger Arzte zusammenhängt.
3)Eine Disputacio contra Iudeos, quam compilavit Hinricus Labus . . . a principio Genesis usque ad finem tocius biblie, inc.. Harane raby, in der theologischen Hs. 46. Auch diese Schrift könnte im Zusammenhang mit dem Schwarzen Tod stehen, mit dem bekanntlich eine Welle der Judenverfolgung einherging.
Die copie quorandam reddituum Heinrichs von Sachsen sind am Schluß von Glusens Katalog fol. 165 r als Nr. 5 der Handschriften ohne besondere Thematik vermerkt worden.
[29] Es wird zu prüfen sein, ob nicht noch andere Alsatica der Wolfenbütteler Bibliothek diesen Weg zu ihrem heutigen Lagerort genommen haben.
[30] Vgl. oben Anm. 24.
[31]Mosheim, De Beghardis S. 399; Lerner S. 96-101.
[32] H. Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 562-564 aus der Hs. Colmar, Bibl. de la Ville 474 (alt 29), und I. v. Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters 2 (1890) S. 378381 nach Clm 14216.
[33] Der ehrgeizige und bedeutende Kirchenfürst und enge Berater Karls IV. und seines Sohnes Wenzel, dessen Kanzler er im Jahre 1384 kurze Zeit war [vgl. IvanHlavácek, Das Urkunden und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 13761419 (Schriften der MGH 23, 1970) S. 181 ff.], verdiente eine ausführlichere Biographie, als sie in den Abrissen seines Lebenslaufes und in den Studien zu seiner Laufbahn und zu seinem Wirken bisher vorliegen. Grundlegend, wenn auch vielfach überholt und nicht sehr zuverlässig, ist die Arbeit von Ludwig Angerer, Lambert von Brunn, ein Beitrag zur Geschichte Kaiser Karls IV. und König Wenzels (Programm zum Jahresbericht der königl. Realschule Hof, 1892/931894/95, 3 Teile); dazu der gedrängte vorzügliche überblick bei Erich Freiherr von Guttenberg, Das Bistum Bamberg 1 (Germania Sacra II, 1, 1, 1937) S. 228-240; Lamprechts kirchliche Reformtätigkeit in Barnberg (freilich ohne Beachtung seiner Maßnahmen zur Unterdrückung von Häresien [siehe etwa unten S. 91 mit Anm. 73]) behandelte jüngst Peter Johanek, Zur kirchlichen Reformtätigkeit Bischof Lamprechts von Brunn, 102. Bericht des Historischen Vereins Bamberg (1966) S. 235-256. - Gebürtiger Elsässer aus niederadligem Geschlecht, Benediktinermönch in Neuweiler, 1359 als Abt von Gengenbach bezeugt, mit Verbindungen zum Habsburger Rudolf IV., als dessen consiliarius er 1359 bezeichnet wird, päpstlicher Kaplan, 1363-71 Kollektor des päpstlichenZehnts in den Erzdiözesen Magdeburg, Mainz, Salzburg, Trier, verfügt Lamprecht von Brunn (andere Schreibweisen sind Lambert, Lampert für den Vor-, Burn, Born für den Nachnamen; letzterer ist zu beziehen auf Ober- und Niederbronn im Elsaß. In der Literatur ist die Schreibung so buntscheckig wie in den Quellen; ich halte mich an die seit v. Guttenberg bevorzugte) über ebenso enge Beziehungen zur Kurie wie zum Kaiser, in dessen Umgebung er seit Mitte 1364 nachweisbar ist (Böhmer - Huber, Reg. Imp. 8, 330 Nr. 4053) und von dem er 1367 heimlicher rat genannt wird (Böhmer - Huber Nr. 4483-85; vgl. UB Straßburg 5, 585 Nr. 749. Kanzler Karls IV" wie gelegentlich angenommen wird [vgl. etwa Lerner S. 97 Anm, 28], war er nie; vgl. die Aufstellungen bei Böhmer - Huber S. XLV f. und Ergänzungsheft 1 S. VIII.). Gestützt auf diese Verbindungen macht er Karriere als Kirchenfürst, ist 1363/64 Elekt von Brixen [vgl. Kassian Hald, Die Besetzung des Bistums Brixen in der Zeit von 1250 - 1376 (Publikationen des österreichischen Historischen Instituts in Rom 2, 1912) S. 5257], 1364 - 1371 Bischof von Speyer, 1371 - 1374 Bischof von Straßburg (das er auch noch nach seiner Provision mit dem Bistum Bamberg am 28. April 1374 zu behalten sucht und das er 1374 August 27 vom Papst zur Administration übertragen erhält, aber nicht halten kann, und auf das er 1375 Juli 5 endgültig verzichten muß), 1374 - 1399 Bischof von Bamberg (resigniert 1399 Januar 13; † Juli 17 des gleichen Jahres). – Die Daten zeigen, daß Lamprechts Straßburger Bischofszeit nur eine kurze Episode in seinem Leben war, eine für die Beginen und Mendikanten der Stadt allerdings recht ereignisreiche.
[34] Vgl. den Text unten S. 173 Beilage Nr. 14.
[35] Gemeint ist damit die Konstitution Cum de quibusdam mulieribus, Conciliorum Oecumenicorum Decreta, ed. J. A1berigo u.a. (31973) S. 374 Nr. 16 (= in Clem. 3.11.1; Friedberg 2, 1169), nicht etwa, wie Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 522, schreibt, die gegen die Fraticellen gerichtete Bulle Sancta Romana (vgl. oben S. 66 Nr. 31). Später, zu Ende des 14. Jahrhunderts, wurde allerdings die ursprünglich verschiedene Stoßrichtung beider Erlasse nicht mehr beachtet, sondern - wie schon das Formular vom Prozeßschreiben Bischof Larnprechts zeigt (vgl. unten S. 172ff.) - Sancta Romana diente mit als Rechtsgrundlage zur Beginen und Begardenverfolgung. Das wird ausdrücklich in einem Kommentar zur Bulle in der „deutschen Version“ von Eymerichs Directorium inquisitorum festgestellt (vgl. dazu unten S. 129 in der Vorbemerkung zu Beilage Nr. 1; ich folge dem Text des Vat. Pal. lat. 680 fol. 14r): Propter istam extravagantem Iobannis XXII – scilicet Sancta Romana, statim posita<m> – sepe divisim hactenus sunt et jugati seu dispersi ab inquisitoribus Argentine, Colonie et Aquisgrani ac aliis locis et partibus diversis (ali>quibus Begbardi et Begine, qui se nominant pauperes fratres et pauperes sorores seu pauperes voluntarios seu fraterculos de paupere vita, detrahentes communiter clero, religiosis, et aliis ecclesiasticis statibus, semper superponentes se omnibus per ypocriticam ipsorum paupertatem, et in multis non ecclesiastice sencientes, docentes, atque viventes, qui tamen semper se recollegerunt, pronunc maxime se defendunt dicentes se confirmatos seu approbatos sic (folgt Gregors XI. Ex iniuncto nobis, unten Beilage Nr. 21 S. 193 ff.).
[36] Vgl. die Artikel Costume ecclésiastique und Costume religieux von J. Deshusses, in: Dict. de droit canonique 4 (1949) Sp. 701 - 709 u. 720 - 725; vgl. auch unten das Rundschreiben an den Pfarrklerus, das fünfte hier zu besprechende Schriftstück, Beilage Nr. 18 S. 186 Z. 16 f.
[37] Der Begriff martba fehlt im Prozeß« selbst, findet sich aber im damit zusammenhängenden Inquisitorium, unten Beilage Nr. 17 S. 184 Frage Nr. 16, siehe auch Lerner S. 100. Weitere Beispiele für den Begriff martha vgl. etwa bei Ernest W. McDonnell, The Beguines and Beghards in medieval culture. With special emphasis on the Belgian scene (1954) S. 437 mit Anm. 49.
[38] Siehe oben Anm. 35.
[39] Beilage Nr. 15 S. 176 ff.
[40] Vgl. etwa den Zusammenschluß der Freiburger Mendikantenkonvente 1378 April 19; Max Straganz, Zur Geschichte der Minderbrüder im Gebiete des Oberrheins, Freiburger Diöcesan-Archiv 28, N. F. 1 (1900) S. 351 Nr. 110.
[41] Vgl. unten S. 114 f.
[42] Beilage Nr. 16 S. 180 ff.
[43] Zu ihrer Regel vgl. oben S. 65 Nr. 23; siehe audi D. Phillips S. 70.
[44] Beilage Nr. 17 S. 182 ff.
[45]Lerner S.99ff.
[46]Zu Cum de quibusdam mulieribus siehe oben Anm. 35. Ad nostrum: Conciliorum Oecumenicorum decreta (³1973) S. 383 f. Nr. 28 (= in Clem. 5.3.3; Friedberg 2, 1183f.).
[47] Unten S. 118 ff.
[48]Beilage Nr. 18 S. 185 ff.
[49] Siehe oben S. 80.
[50] Beilage Nr. 18 S. 185 Z. l0ff.
[51] Zu ihnen vgl. unten S. 102 ff.
[52]Lerner S. 101.
[53] Beleg dafür ist das 1374 Sept. 19 vom iudex curie, also dem bischöflichen Offizial Reinbold Vener vidimierte Schreiben des Kardinallegaten Johannes Boccamazzi von 1287 Dez. 8 (unten Beilage Nr. 20 S. 188 ff.), in dem dieser dem Dominikanerprovinzial der Teutonia (Hermann von Minden; v. Loë [wie Anm. 26] S. 14 Nr. 15) aufträgt, der magistra und den sorores in Molsheim Argentinensis dyocesis die Augustin-Regel zu gewähren und sie in den Ordensverband aufzunehmen.
Das Schreiben hat seine Schwierigkeiten: 1. ist nicht ganz klar, ob der Konvent nunmehr dem zweiten oder dem dritten Orden der Dominikaner angehört. Unter den Nonnen-Konventen des Ordens ist jedoch ein Molsheimer Kloster unbekannt (vgl. Hieronymus Wilms, Das älteste Verzeichnis der deutschen Dominikanerinnenklöster [Quellen und Forschungen z. Gesch. d. Dominikanerordens in Deutschland 24, 1928]). Man wird daher annehmen dürfen, daß es sich wie in der „Klarstellung“, Beilage Nr. 16 S. 181 Z. 15 f., um incluse deordine beati Augustini handelt, also um Terziarinnen mit der Augustin-Regel, die dem Dominikanerorden unterstehen.
2. Eine weitere Schwierigkeit bereitet die Überschrift Heinrichs von Sachsen: Privilegium fratrum Predicatorum super Beginas ad Turrim in Argentina apud Predicatores residentes. Die Überschrift ist unverständlich, will man nicht annehmen, die Beginen des Konvents „zum Turm“ hätten die Regel des Molsheim-Konvents übernommen. Die spärlichen Nachrichten über die „Samenunge von Mollesheim“ vgl. bei M. Barth, Handbuch der elsässischen Kirchen Sp. 853; die „Samnung“ ist dort ebenfalls als Beginenkonvent aufgeführt, nicht als Dominikanerinnenkloster.
Nicht ganz von der Hand zu weisen ist allerdings die Möglichkeit, daß es sich in unserem Schreiben gar nicht um den Beginenkonvent in Molsheim handelt, sondern um die Mollesheim samenung in Straßburg, die ebenso wie die reichen Beginenkonvente Innenheim, Offenburg und „zum Turm“ den Dominikanern unterstanden; dazu D. Phillips S. 84.
[54]Vgl. bes. Phillips S. 208 ff. u. 219 ff .
[55] Vgl. für Basel B. Degler – Spengler (wie Anm. 2) S.28ff., wo die Entwicklung noch parallel verlief. Deutlich gebremst aber ist das Wachstum der Bewegung seit den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts in Köln; Johannes Asen, Die Beginen in Köln, Annalen des Hist. Ver. f. d. Niederrhein 111 (1927) S.81-180, hier bes. S.90ff. und die tabellarische Zusammenstellung S. 94. Ahnlich verzeichnet Eva Gertrud Neumann, Rheinisches Beginen- und Begardenwesen. Ein Mainzer Beitrag zur religiösen Bewegung am Rhein (Mainzer Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 4, 1960) S. 23 ff., 37 ff. und bes. S. 48 „einen merklichen Rückgang gegenüber der ersten Blüteperiode“ von vor 1318 im Mainzer Bereich. Nur bedingt vergleichbar sind die norddeutschen Verhältnisse, wie sie sich in der Studie von Günter Peters, Norddeutsches Beginen- und Begardenwesen im Mittelalter, Niedersächsisches Jb. f. LG 41/42 (1969/70) S. 50-118, hier bes. S. 59 u. 61ff., darstellen, denn die allein herangezogenen gedruckten Materialien sind dürftig und geben ein widersprüchliches Bild.
[56]Phillips S. 226; vgl. dazu die Tabellen S. 67f., 88f., 122ff., 139f.
[57]Phillips passim, bes. S. 89 f. u. 122 ff.
[58] UB Straßburg 5, 746 f. Nr. 962.
[59] Siehe oben Anm. 20.
[60] Vgl. UB Straßburg 5, 745 f. Nr. 960 und 961.
[61] Darauf machte erstmals R. Lerner S. 97 f. mit Anm. 29 aufmerksam; dort auch die Nachweise.
[62] Unten Beilage Nr. 19 S. 187 f.
[63]Lerner S. 99 Anm. 37, der in ihm “the motive force in the proceedings against the beguines” vermutet. Zu Reinbold Vener vgl. bis zum Erscheinen seiner umfassenden Arbeit über die Familie der Vener Hermann Heimpel, Stadtadel und Gelehrsamkeit. Die Vener von Schwäbisch Gmünd und Straßburg 1162-1447, in: Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum 65. Geburtstag dargebracht von Schülern und Freunden, hg. v. j. Fleckenstein u. K. Schmid (1968) S. 417-435, hier S. 422ff.
[64]Unten Beilage Nr. 21 S. 190 ff.
[65]Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 526, und ihm folgend McDonnell (wie Anm. 37) S. 569, betonen einseitig den beginenfreundlichen Charakter des Papstschreibens und sehen erst mit dem Akt der Vidimierung die Wende zum Besseren in der Beginenverfolgung des Jahres 1374 gegeben.
[66] Daß das nicht zufällig ist, hat Haupt, in : ZKG 7, 526 zutreffend beobachtet.
[67] Über den im Vergleich zu anderen bischöflichen Hofgerichten enormen Kompetenzumfang des Straßburger Offizialats unterrichtet am raschesten Aloys Schulte in seiner ausgezeichneten kurzen Übersicht im UB Straßburg 3, XXVII-XXXI. Der Offizial hatte (und das ist in einer städtischen Metropole dieser Zeit singulär) die förmliche Monopolstellung auf dem Sektor des Notariatswesens; „Am Endjahr unseres Bandes (d.i. 1332) ist das bischöfliche Hofgericht fast die einzige Urkundungsbehörde im ganzen Gebiete des Bistums Straßburg“, schreibt A.Schulte, ebd. S. XXVII. - Umfassend behandelt den Gegenstand jetzt in seiner leider ungedruckten und nur maschinenschriftlich vervielfältigten Dissertation am Institut de Droit Canonique der Universität Straßburg Pierre Levresse, L'officialité épiscopale de Strasbourg. Depuis ses origines à son transfert à Molsheim (1248-1597) (Strasbourg 1972); zur Aufgabe der Vidimierung ebd. S. 330.
[68] Vgl. unten Beilage Nr. 14 S. 172 Variante a. - Der Text ist, wenn auch fehlerhaft, schon von Dölinger, Beiträge zur Sektengeschichte 2 (1890) S. 378, publiziert worden; er findet sich im Clm 14216 fol. 178ra. Vgl. auch Lerner S. 101.
[69] Zu Sancta Romana siehe oben S. 66 Nr. 31; zu den Verfügungen Ex iniuncto und Sedis apostolice Bonifaz' IX. vgl. Mosheim, De Beghardis S. 653 ff. u. 409 f.
[70] Siehe oben S. 63 Nr. 16. Die Glosse findet sich in der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst. fol. 98r, oberer Rand.
[71] Zu diesem Amt und seinen Inhabern vgl. Levresse (wie Anm. 67) S. 153 ff .; ebd. S. 156 zu Heinrich von Sachsen und seinem ersten Vikariat 1366. Martin blieb Levresse unbekannt, und auch ich habe in den Straßburger Archiven vergeblich nach einer weiteren Spur seiner Vikariatstätigkeit gefahndet.
[72] Vgl.Lerner S. 101 mit Anm. 44. Ebenso schon H. Haupt, Waldenserthum und Inquisition im südöstlichen Deutschland (1890; = Deutsche Zs. f. Geschichtswissenschaft 1 [1889] S. 285-330 u. 3 [1890] S. 337-411) S. 58 mit Anm. 1. Vgl. zum Problem der Identität des Prager Altarpriesters mit dem durch die Verfasserschaft eines deutschen „Gewissensspiegels“ bekannten Martin von Amberg den Artikel „Martin von Amberg“ von Jos. Klapper, in: Stammler - Langosch, Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 3 (1943) Sp. 277-280, mit Nachtrag ebd. Bd. 5 (1955) Sp. 669.
[73] Vgl. die (dürftigen) Auszüge aus dem Inquisitionsmaterial der Inquisitoren Petrus Zwicker und Martin, die Augustin Neumann, ?eské sekty ve století XIV. a XV. [Böhmische Sekten im 14. und 15. Jahrhundert] (Knihovna cyrilometod?jského tiskového spolku, svazek 8, 1920) S. 6*f. unter den Beilagen seiner Arbeit herausgab (sie beruhen auf Angaben zu einer unter der Signatur Nr. 99 beschriebenen, heute leider verschollenen Handschrift der Brünner Pfarrbibliothek St. Jakob in dem 1802 angelegten Mauri Simonis Catalogus criticus manuscriptorum ecclesie parochialis Sti. Iacobi Brunae, heute aufbewahrt im Archiv m?sta Brna unter der Nr. 7246 [= alt Cerr. II 351]); Martin nennt sich dort altarista in ecclesia beate Marie Virginis ante Letam Curiam, Maioris civitatis Pragensis, inquisitor haeretice pravitatis a reverendissimis in Christo patribus, domino Alberto et Lamberto, moderno et antiquo episcopis bambergensibus per civitatem et dioecesim Bambergensem etc., anno Domini 1399 nono mensis junii” usw. (das Zitat nach dem Original, unter stillschweigender Verbesserung der Fehler Neumanns). Zu Martins späterer Tätigkeit vgl. am besten Lerner S. 146 ff. und Haupt, Waldenserthum passim.
[74] Vgl. dazu allgemeinPfleger S. 92 ff., Kothe S. 94 ff. Zum Problem ebenfalls C. Schmidt, Histoire du chapitre de Saint Thomas de Strasbourg (1860) S. 153 ff., und ders. (wie Anm. 20) S. 21 ff.; nicht sehr tiefgehend die populär gehaltene Darstellung von Konrad Eubel, Geschichte der oberdeutschen (Straßburger) Minoriten-Provinz 1 (1886) S. 22 ff.
[75] Vgl. Beilagen Nr. 1 und 2, S. 127ff. und 143 f., das Publikationsschreiben des „Prozesses“ Bischof Johanns I. von Straßburg und dessen Brief an seinen Wormser Amtskollegen.
[76] Vgl. Mosheim, De Beghardis S. 254.
[77] Beilagen Nr. 5 und 7, S. 153 f. und 156 ff., also die Verordnungen Bischof Johanns über die Aufhebung des Beginenstandes von 1319 Jan. 18 und seine ergänzenden Bestimmungen vom 17. Febr. des gleichen Jahres bezüglich der Beginentracht. Haupt benutzte die Colmarer Hs. 474 (alt 29).
[78] UB Straßburg 2, 331 ff. Nr. 276; unten Beilage Nr. 5 S. 153 f., also das zu vor von Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 560 f. veröffentlichte Stück über die Aufhebung des Beginenstandes.
[79] Das gilt besonders für das wichtige Publikationsschreiben des „Prozesses“ Bischof Johanns, das von
Wiegand, UB Straßburg 2, 309 ff. Nr. 358 aus Mosheim, De Beghardis S. 255 ff. abgedruckt worden ist. Eine Blütenlese der schlimmsten Fehler vgl. bei Lerner S. 86 ff. in den Fußnoten.
[80] Beilagen Nr. 6 und 9, S. 155 f. und 160 f.
[81] Ich beschränke mich auf die wichtigste Literatur: Grundlegend Mosheim, De Beghardis S. 253-269, der aber nur die erste Phase der Verfolgung beschrieb; er hat zu Recht betont, daß in dieser Phase die (häretischen) Begarden, nicht eigentlich die Beginen Gegenstand der Verfolgung durch den Straßburger Bischof waren. - Ihm gegenüber brachte C. Schmidt, Die Secten zu Straßburg S. 60 ff. kaum Fortschritte. Erst H. Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 521 ff., belebte die Diskussion durch neue Funde, aber auch durch überaus pointierte Urteile, die in dem Ausruf gipfelten (S. 521): „Welche Inkonsequenz, welche Beschränktheit, aber auch welchen Mangel an Gewissenhaftigkeit der kirchlichen Behörden enthüllen uns diese Verordnungen!“, womit er die Erlasse Bischof Johanns I. ebenso meinte wie die entsprechenden päpstlichen Verfügungen. Haupts Verdikt hat nachhaltig gewirkt, denn es ist in der Tat für den, der nicht sehr genau den gesamten historischen Kontext all dieser päpstlichen und bischöflichen Anordnungen im Auge behält, schwer, darin anderes als Wirrsal und Leichtfertigkeit zu erblicken. Daß jedoch Haupts Urteil falsch ist, besonders dem Straßburger Bischof Unrecht tut, soll in den folgenden Ausführungen gezeigt werden. - Nach Haupt sammelte vor allem McDonnell (wie Anm. 37) S. 524 ff. u. 531 ff. sehr fleißig, freilich in der Analyse nicht sehr kritisch, möglichst viele mit den Maßnahmen Bischof Johanns zusammenhängende Schriftstücke, wobei er auch das Problem der Bettelorden mit einbezog. - Wichtige Überblicke und Hinweise gab Herbert Grundmann, Ketzergeschichte des Mittelalters, in: Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, hg. v. K. D. Schmidt u. E. Wolf, Bd. 2, Lieferung G (1. Teil) (1963; 2. [unveränderte] Auflage 1967) S. 53 f. (vgl. auch seinen Artikel „Ketzerverhöre des Spätmittelalters als quellenkritisches Problem“, DA 21 [1965] S. 530-535), der vor allem die Rolle des Straßburger Bischofs sehr viel besser würdigen lehrte, als sie etwa noch Alcantara Mens, Oorsprong en betekenis van de Nederlandse Begijnen en Begardenbeweging. Vergelijkende studie: XIIde-XIIIdeeeuw (Verhandelingen van de Koninkl. Vlaamse Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België. Klasse der Letteren, Jg. 9, 7 = Universiteit te Leuven. Publicaties op het gebied der Geschiedenis en der Philologie, R. 3, 30, 1947) S. 379, etwas arg simplifizierend charakterisierte: „Deze bisschop was de Begijnen niet gunstig gestemd“; er war es durchaus. - Ohne wesentliche neue Gesichtspunkte, die über McDonnell hinausgehen, mit manchen schwerwiegenden Irrtümern im einzelnen (so bedeutet etwa die Unterstellung “What was perhaps most striking about Strasbourg was the outright identification there of the Beguines [!] with the heresy of the Free Spirit” [S. 336] einen Schritt zurück hinter Mosheim, der klar das Beginenproblem vom Problem der häretischen Begarden und ihres weiblichen Anhangs geschieden hatte) Gordon Leff , Heresy in the Later Middle Ages. The Relation of Heterodoxy to Dissent c. 1250-1450 (1967) 1, 336 ff. u. 363 ff. - Die zweifellos beste und zuverlässigste bisher vorliegende Darstellung lieferte R. Lerner S. 85-95; er beschränkte sich jedoch, ähnlich wie Mosheim, auf die umnittelbaren Auswirkungen des processus Bischof Johanns von 1317 August 13, beachtete also nicht den sich erst in der dritten Phase der Verfolgung, wie wir sehen werden, zeigenden Zusammenhang des Beginen- mit dem Mendikantenproblem, wie er überhaupt seine Untersuchung vornehmlich auf den Aussagewert der Dokumente für Gestalt und Inhalt der Frei-Geist-Häresie konzentrierte, eher also die geistesgeschichtliche als die eigentlich geschichtliche Seite behandelte.
[82] Johann I., Bischof von Straßburg, mit dem die Herkunft bezeichnenden Beinamen „von Zürich“, nicht „von Dürbheim“ (und schon gar nicht „von Ochsenstein“, wie in älteren Darstellungen, etwa bei Mosheim, aber auch noch bei Schmidt zu lesen ist), wie man seit Johannes Bernnoulli, Propst Johann von Zürich, König Albrechts I. Kanzler, Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 42 (1917) S. 281-334, eigentlich wissen müßte, aber in der gesamten einschlägigen „häreseologischen“ Literatur bis zum heutigen Tage nicht zur Kenntnis genommen hat, was zu solch seltsamen Unstimmigkeiten führte, daß H. Grundmann in seinen Anm. 81 zitierten „Ketzerschriften“ „von Dürbheim“ schrieb, in seinem einschlägigen Artikel im Gebhardt, Handbuch der Geschichte 1 (81954; 91970) S. 4108 bzw. 5009, dagegen unter Hinweis auf Bernoulli „von Zürich“. - Mit Bernoullis Artikel ist die Dissertation von Nikolaus Rosenkränzer, Bischof Johann I. von Straßburg, genannt von Dürbheim (1881), hinsichtlich der Herkunft und Abkunft des Bischofs überholt. Rosenkränzer stützte sich vor allem auf die Straßburger Lokalchronistik, die bemüht war, Johann nicht ganz so obscurissimo loco natus erscheinen zu lassen, wie es nach Bernoullis besonders auf päpstlichen Dispensschreiben wegen unehelicher Geburt beruhenden Untersuchungen offensichtlich der Fall war. Vgl. zu Johanns von Zürich Straßburger Bischofsjahren auch Ernst Hauviller, Analecta Argentinensia. Vatikanische Akten und Regesten zur Geschichte des Bistums Straßburg im XIV. Jahrhundert (Johann XXII, 1316-1334) und Beiträge zur Reichs- und Bistumsgeschichte, Bd. 1 (1900) S. LIIff., dessen höchst verdienstliches Werk leider nicht über den Pontifikat Johanns XXII. hinausgedieh.
[83] Unten Beilage Nr. 1 S. 127ff.; erstmals ediert von Mosheim, De Beghardis S. 255-261.
[84] Unten Beilage Nr. 3 S. 144ff.; erstmals ediert von C. Schmidt, Actenstücke, besonders zur Geschichte der Waldenser, Zs. für die historische Theologie 22 (1852) S. 247f.
[85] Unten Beilage Nr. 2 S. 143 f.; erstmals ediert von Mosheim, De Beghardis S. 268 f.
[86] Daran könnte man freilich irre werden, liest man die bestimmte Erklärung Mosheims, ebd. S. 269: „Tales epistolas ad alios etiam plures episcopos, quod scriptor codicis, ex quo hanc sumsimus, in fine eius adnotandum duxit, mittebat.“ In der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst. findet sich weder am Ende der Epistel noch auch der Handschrift irgendein Hinweis, auf den sich Mosheims Angaben beziehen könnten, so daß man geneigt wäre, an eine zweite Überlieferung zu glauben, zu der er Zugang hatte und die heute verschollen wäre. Nun ist das Schreiben in der Tat noch mehrfach, unter anderem auch in weiteren Wolfenbütteler Handschriften überliefert (vgl. unten S. 127ff. u. 143 die Vorbemerkungen zu Nr. 1 und 2), aber es trägt auch dort kein Datum, und die ganze Form der Aufzeichnung in beiden Überlieferungen läßt darauf schließen, daß es in der uns bekannten Gestalt auf einen Registereintrag zurückgeht, der ebensowenig das Datum wie den Namen des Adressaten nannte. Falls daher nicht beim letzten Bindevorgang der Hs. 311 Helmst. Notizen auf dem früheren Einband verloren gingen, den Mosheim vor sich hatte, wird man seinen Mitteilungen mit Zweifeln begegnen müssen. Denn daß sich Mosheim seine Informationen gelegentlich buchstäblich aus den Fingern sog, mag die Tatsache illustrieren, daß er die Determinatio Alberts d. Gr., die er anonym in der Wolfenbütteler Hs. 311 Helmst. fand (siehe oben S. 60 Nr. 4) und aus der er in seinen Institutiones hist. eccl. (1755) S. 555 Anm. t und u zitierte, bedenkenlos mit den Worten einführte: „Sunt in manibus meis Octoginta novem sententiae Bechardorum, quos vulgus Schwestrones, ipsi vero se de secta liberi spiritus et voluntariae paupertatis vocant, cum confutatione, in fine huius saeculi ab Inquisitore quodam Wormatiae conscriptae.“ Hier stimmt weder die „Sentenzen“-Zahl (die Handschrift zählt 101), noch kann man den Anschein, den die kursiv gedruckten Worte erwecken, daß es sich um eine handschriftlich überlieferte Überschrift handelt, anders als irreführend bezeichnen (es ist weitgehend wörtlich eine Phrase aus Bischof Johanns I. „Prozeß“-Publikationsschreiben; siehe unten S. 134 Z. 21ff.), und die Angaben zum Verfasser und zum Ort der Entstehung sind frei erfunden.
87Lerner S. 95 Anm. 22.
88 Selbst die Darstellung R. Lerners, dem die Haltlosigkeit der Mosheim’schen Datierung bewußt war, ist ganz von der Schwierigkeit geprägt, die Verfolgung der Straßburger häretischen Begarden und Beginen noch für einen Zeitpunkt annehmen zu müssen, als der Bischof seine Position gegenüber den Beginen in Rücksprache mit dem Papst bereits generell überprüfte. Die Vorwürfe der Inkonsequenz und Widersprüchlichkeit im Verhalten des Bischofs (vgl. oben Anm. 81) sind zum Gutteil durch diesen falschen Datierungsansatz verursacht worden.
89 So schon Mosheim, De Beghardis S. 254; vgl. oben Anm. 81.
90 Vgl. unten Beilage Nr. 1 S. 141f.
91 Vgl. zum Folgenden besonders Grundmann (wie Anm. 8 1).
92 Man vgl. etwa G. E. Frieß, Patarener, Begharden und Waldenser in Österreich während des Mittelalters, Österr. Vierteljahresschrift für kath. Theologie11 (1872) bes. S. 222ff., wo er im Sinne einer Sektenkontinuität über „Neu-Manichäer (Begharden)“ handelt. Ähnliches hat noch 1947 A. Mens (wie Anm. 8 1)bes. S. 148ff. nachzuweisen gesucht.
93 Zum Problem des Begriffs vgl. den Artikel „Sekten, II.Kirchengeschichtlich“ von K.Schäferdiek, in: Die Religion in Gesch. u. Gegenwart 5 (31961) Sp. 1658ff.; dazu H. Pétré, Haeresis, schisma et leur synonymes latins, Revue des Études latines 15 (1937) S. 316-325. Zur Sache hier und im folgenden Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter (21961)bes. S. 376ff., 415ff.
94 Vgl. Johannes’ XXII. Bulle Sancta Romana, ed. C. Eube1, Bull. Franc. 5, 135Nr. 297.
95 Vgl. besonders Grundmann (wie Anm. 81), und Lerner S. 86 ff.
96 Herausgegeben von Romana Guarnieri, Il movimento del Libero Spirito, Archivio Italiano per la Storia della Pietà 4 (1965) S. 501-636.
97LernerS. 68ff.
98 In diese Richtung zielt vor allem der Versuch (S. 89f.), durch Nachweis inhaltlicher und stilistischer Übereinstimmungen zwischen den (angeblichen) Lehrsätzen der Straßburger Begarden von 1317 und den allgemein der Ketzerei im Schwäbischen Ries zugeordneten sog. 29 articuli de heresi novi Spiritus die ersteren ihres konkreten historischen Gewichts zu entkleiden und sie weitgehend als bloße mechanisch tradierte und abgefragte Formeln in Inquisitoren-Handbüchern zu werten. Methodisch ist dieses Verfahren völlig legitim, angesichts der von Grundmann, Ketzerverhöre (wie Anm. 81) beigebrachten Beispiele sogar dringend geboten. Aber das Instrumentarium des Stilvergleichs kann sehr rasch zu falschen Ergebnissen führen, wenn man zum einen die festgelegte Begriffswelt der Theologen, ihren „Jargon“, nicht genügend in Rechnung stellt, der für dieselben Dinge auch immer wieder dieselben Worte und Wendungen gebrauchen ließ, ohne daß man sie deshalb irgendwo abgeschrieben haben müßte; zum anderen ist es keineswegs überraschend, wenn von bestimmten Grundpositionen her - die in den 70er Jahren des 13. Jahrhunderts hinsichtlich des mystischen Gedankengutes durchaus dieselben waren wie zu Beginn des 14. Jahrhunderts -zu bestimmten Fragen (die sich, auf die fides catholica konzentriert, zwangsläufig auch stets ähnelten) ziemlich übereinstimmende Antworten gegeben wurdenund mehr als solch grobe Übereinstimmungen kann R. Lerner nicht nachweisen (im Unterschied etwa zu H. Grundmann in dem oben genannten Artikel).
99 Vgl. Josef Koch, Kritische Studien zum Leben Meister Eckharts, Archivum Fratrum Praedicatorum 29 (1959) S. 5-51, 30 (1960) S. 5-52, hier Arch. Fratr. Praed. 29, 38ff.
100 Vgl. Pfleger S. 135ff.
101 Das wurde zuerst von C. Schmidt, Die Secten zu Straßburg S. 61, und ihm folgend von Lerner S. 95f. mit Anm. 22 bezweifelt, mit Hinweis auf die (1870 verbrannten) Collectanea in usum chronici Argentinensis des Straßburger Architekten Daniel Specklin ( 1589), der zu 1317 offenbar nur von Bann und Gefängnis als Strafen für die Verfolgten berichtete, nichts aber von Verbrennungen. Das Schweigen Specklins (es wird nicht einmal deutlich, ob er Verbrennungen regelrecht abstritt) besagt nichts. Hingegen steht im Brief Bischof Johanns an seinen Wormser Kollegen ausdrücklich, daß er die verstockten Ketzer tamquam alienatos a fide dem weltlichen Gericht übergeben habe, und das heißt in der Folgewirkung zu dieser Zeit nichts anderes als Tod durch Verbrennen.
102 Vgl. unten S. 109ff.
103 Das beweist allein schon das Interrogatorium, das im Zusammenhang der Verfolgung Lamprechts von Brunn entstand (Beilage Nr. 17) und gewissermaßen vorsorglich immer noch nach den acht Bestimmungsmerkmalen der freigeistigen Häresie in der Bulle Ad nostrum unter den Verhörten forschte. -Vgl. auch die Synodalstatuten der Bischöfe Berthold II. von Bucheck (1341 Juni 11; 1345 Juli 19) und Johann II. von Lichtenberg (1354 November 18), hg. von Max Sdralek, Die Straßburger Diöcesansynoden (Straßburger theologische Studien 2, 1, 1894) S. 134, 147, 162ff. (dazu ebd. S. 44ff.). Statut Nr. 53 lautet dort übereinstimmend: Begehardos quoque et beginas se disputacionibus et erroribus involventes et in vita et habitu ab aliis hominibus sub ficte sanctitatis excellencia discrepantes, quas Viennense concilium dampnat et reprobat, reprobamus.
104 Vgl. die Daten bei C. Eubel, Hierarchia catholica medii aevi 1 (21913) S. 534.
105 Vgl. das Prooemiurn, Friedberg 2, 1131/32.
106 Beste gegenwärtige Edition der Dekrete: Conciliorum oecumenicorum decreta, hg. v. J. Alberigo u. a. (31973) S. 365ff., 374, 383f., Nr. 10, 16, 28.
107 Vgl. den Text bei Schannat-Hartzheim, Concilia Germaniae 4 (1761) S. 597-599, bes. S. 599 (= Mansi 25, 635-638, bes. Sp. 638), ebenso ebd. S. 265-267, bes. S. 266 (nach der Abschrift Schannats).
108 Herausgegeben von S. A. Würdtwein, Nova subsidia diplomatica ad selecta juris 13 (Heidelbergae 1789) S. 301-310; vgl. auch Lerner S. 94 mit Anm. 18, der erstmals auf dieses Schreiben aufmerksam machte.
109 In ihrer Anm. 55 zitierten Arbeit; ergänzend dazu Wolf-Heino Struck, Von Beginen und Begarden im Mittelrheingebiet, Nassauische Annalen 72 (1961) S. 184-198, in seiner ausführlichen Rezension der Arbeit von Eva Neumann.
110 Regest bei Max Straganz, Zur Geschichte der Minderbrüder im Gebiete des Oberrheins, Freiburger Diöcesan-Ardiiv 28 (= N. F. 1) (1900) S. 330f. Nr. 28.
111 UB Straßburg 2, 324-326 Nr. 370.
112 Unten Beilage Nr. 4 S. 148ff.; bisher maßgebend die Edition bei Baluze-Mollat, Vitae paparum Avenionensium 3 (21921) S.353-356; zur Datierung vgl. Lerner S. 94 Anm. 19.
113 Vgl. die z. T. sogar wörtlichen Entsprechungen zwischen dem Publikationsschreiben Bischof Johanns und Lecte coram nobis, bes. S. 149 Z. 30ff. und S. 134 Z. 21ff.
114 Die Datierung ruht auf etwas schwachen Füßen, nämlich allein auf der Überlieferung der bei Fredericq 2, 72-74 (siehe oben S. 65f. zu Nr. 30) benutzten Brüsseler Handschrift, Bibl. royale 2670-82 fol. 228r-v. Es besteht allerdings kein Anlaß, an der Angabe der Brüsseler Hs. zu zweifeln, trotz der vielfach (auch in unserer Wolfenbütteler Hs.) abweichenden Datierung ins Jahr 1321. - Es sei eigens darauf hingewiesen, daß der Straßburger Bischof der Motor, nicht - wie seit Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 521ff., immer wieder behauptet (anders schon Grundmann, Ketzergeschichte [wie Anm. 81] S. 53) - das Opfer der neuen gesetzgeberischen Entwicklung war; vgl. dazu auch unten S. 106f. Anm. 124.
115 Zum gleichen Schluß kommt R. Lerner S. 94.
116 C. Eubel, Bull. Franc. 5, 160 Nr. 346.
117 Unten Beilage Nr. 5 S. 153f.; zuvor ediert von Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 560f. und W.Wiegand, UB Straßburg 2, 331ff. Nr. 376.
118 Unten Beilage Nr. 6 S. 155f.; das Schreiben war bislang unbekannt.
119 Unten Beilage Nr. 7 S. 156ff.; zuvor ediert von Haupt, in: ZKG 7 (1885) S. 561f., danach UB Straßburg 2, 333f. Nr. 377.
120 Unten Beilage Nr. 8 S. 158f.; bisher nur als Regest bekannt, UBStraßburg 2, 334 Nr. 378.
121 C. Eubel, Bull. Franc. 5, 163f. Nr. 354.
122 Den Text seines Schreibens veröffentlichte Aloys Schulte, Ein Formelbuch der Minoriten von Schaffhausen aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, ZGORh 40 (= N. F. 1) (1886) S. 213f. Nr. 13, danach Michael Bihl, De Tertio Ordine S. Francisci in Provincia Germaniae Superioris sive Argentinensis Syntagma, Archivum Franciscanum Historicum 14 (1921) S.176-178. - Schultes Quelle überliefert keinen Absender und kein Datum. Hinsichtlich der Zuweisung an Vitalis du Four folge ich Bihl, ebd. S. 174f., der ein ähnlich geartetes Schreiben des Kardinals aus dieser Zeit namhaft machen kann. In der Datierung kann man jetzt über Bihl hinausgelangen: Terminus post quem ist der 23. Februar 1319, das Datum von Etsi apostolice sedis, worauf der Kardinal Bezug nimmt; Terminus ante quem der 18. Juni des gleichen Jahres, das Datum der Publizierung des Papstschreibens durch Bischof Johann (siehe die folgende Anm.), das zur Zeit der Ausstellung des Kardinalsbriefes in Straßburg noch nicht bekannt sein konnte.
123 Unten Beilage Nr. 9 S. 160f.; das Publikationsschreiben des Straßburger Bischofs war bislang nicht bekannt.
124 Man könnte allenfalls noch das von C. Eubel, Bull. Franc. 7 (1904) S. 188 Anm., und danach von M. Bihl, in: Arch. Franc. Hist. 14 (1921) S. 181 herausgegebene Schreiben Bischof Johanns I. von 1321 Dezember 14 hier heranziehen, in dem der Bischof ausdrücklich feststellt, daß er keine Ketzer unter Drittordensangehörigen des hl. Franz gefunden habe. Das ist sicherlich nichts anderes als eine Art „Unbedenklichkeitsbescheinigung“, deren die Mendikanten und die Terziaren in den auch nach der grundsätzlichen Entscheidung vom 23. Februar bzw. 18. Juni 1319 nicht abreißenden Auseinandersetzungen mit dem Pfarrklerus bedurften; anders als Bihl a. a. O. vermag ich darin ein Zeugnis für die Wiederaufnahme der Inquisition und d. h. der Beginenverfolgung zwischen 1319 und 1321 jedoch nicht zu sehen.
Ein Widerhall nicht nur der Straßburger Beginenverfolgungen ist in einem Schreiben des Weihbischofs Johannes von Konstanz vom 8. Oktober 1319 zu spüren (hg. von A. Schulte, in: ZGORh 40 [1886] S. 214f. Nr. 14 [dort noch Hinweise auf ähnliche Schreiben], danach M. Bihl, in: Arch. Franc. Hist. 14 [1921] S. 179f.), in dem vor einem Mann gewarnt wird, der mit gefälschten Schreiben, angeblich auch auf den Namen Bischof Johanns von Straßburg, herumziehe, in quibus contineri dicitur, quod summus pontifex omnes begginas indifferenter, cuiuscunque status seu condicionis existerent, quasi declarando seu interpretando primam constitucionem de begginis in concilio Viennensi editam, sub certis penis appositis secundario iusserit aboleri. Der Vorgang spiegelt deutlich die Reaktion auf die beginenfreundliche ergänzende Gesetzgebung des Papstes, die den eigentlichen Spannungsherd, den, wenn man so will sozialen Kern des Beginenproblems, nämlich die spürbare Verödung der (Stadt-) Pfarren eher förderte als einen Ausgleich der widerstreitenden Kräfte herbeiführte. Im Zusammenhang mit dieser Betrugsaffäre wird nachdrücklich die maßgebende Rolle des Straßburger Bischofs in den Auseinandersetzungen um die Beginen hervorgehoben, der gloriosus in omnibus existat in curia tam in conspectu summi pontificis quam omnium cardinalium et fame penitus illibate et specialiter in pretacto negocio de begginis a tota curia commendatur, tamquam qui solus veritatem sequutus ceteris oberrantibus granum a paleis, bonas a malis prvdenti discrecione prouide separauit. Damit wird zweifellos auf die Impetrierung der päpstlichen Deklarationsschreiben Lecte coram nobis und Racio recta aus der Mitte des Jahres 1318 durch den Straßburger Bischof angespielt, in denen - wie oben ausführlich dargetan - genau jene grundsätzliche Unterscheidung zwischen „rechten“ und „schlechten“ Beginen getroffen wurde. - In diesem Urteil eine Reaktion der Kurie auf bischöfliches Wohlverhalten bezüglich der Durchsetzung des zugunsten der Terziaren ausgestellten Schreibens Etsi apostolice sedis vom 23. Februar 1319 zu sehen, wie Bihl, in: Arch. Franc. Hist. 14(1921) S. 179 und McDonnell (wie Anm. 37) S. 534behaupten (der Bihl auch in der falschen Einreihung von Lecte coram nobis in den Zusammenhang des Jahres 1319 folgt), halte ich für verfehlt. Beiden Autoren (wovon allerdings McDonnell recht unselbständig ist) muß man vorwerfen, nicht genügend zwischen Terziaren und (freien) Beginen zu unterscheiden, was zu dieser Zeit noch dringend geboten ist. Im Schreiben des Konstanzer Weihbischofs jedenfalls ist mit keinem Wort von Terziaren die Rede.
125 Vgl. Phillips S. 226 u. 229ff.
126 Das ist eines der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchungen von D. Phillips, vgl. bes. S. 219ff.
127 In den Dokumenten des Jahres 1374 muß man die Terziaren als das primäre Angriffsziel noch durch Indizien erschließen; aber schon der wohl zu Anfang des 15. Jahrhunderts schreibende Kommentator des „Prozeß“-Schreibens Bischof Lamprechts im Clm 14216 spricht ausdrücklich davon, daß Martin von Prag Terziaren in Straßburg verfolgte, nicht Beginen; und im großen Basler Beginensturm zu Beginn des 15.Jahrhunderts (dazu B. Degler-Spengler [wie Anm.3] S.32ff.) werden nicht nur die mit den Franziskanern verbundenen Terziarenkonvente an einem bestimmten Ort konkret aufgehoben, sondern im Zusammenhang damit entstehen Rechtsgutachten, die eine grundsätzliche Diskussion erkennen lassen, ob denn nicht die Drittorden (insbesondere des hl. Franz) - Regel hin, Regel her - wegen ihrer engen Verflechtung mit dem Beginentum wie dieses überhaupt generell zu verbieten seien. Ich nenne nur die bislang gänzlich unbeachtet gebliebenen Traktate De secularium religionibus (hier bes. die Kapitel 3 u. 7) und De paupertate perfecta secularium des mit Johannes Mülberg, dem Hauptverfolger der Basler Beginen, befreundeten Johannes Nider; beide sind ungedruckt, einen ersten, wenn auch nicht vollständigen, so doch für diesen Ort vorzüglichen Überblick über Literatur und Handschriften gibt der von Gustav Meyer und Max Burckhardt bearbeitete Basler Handschriftenkatalog: Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Basel. Beschreibendes Verzeichnis. Abteilung B: Theologische Pergamenthandschriften Bd. 1 (1960) S. 245f. zur Hs. B III 15.
128 Belege für die Jahre 1320 und 1321 vgl. bei Bihl, in: Arch. Franc. Hist. 14 (1921) S. 180-182. Sprechend auch die Schilderung dieser bewegten Jahre im Chronicon Provinciae Argentinensis O.F.M. circa an. 1310-27 a quodam Fratre Minore Basileae conscriptum (1206-1325), hg. v. L. Lemmens, Arch. Franc. Hist. 4 (1911), hier S. 682ff.
129 Vgl. am besten Lerner S. 131ff.
130Mosheim, De Beghardis S. 333f.; unten Beilage Nr. 11 S. 164f. Metza ist bekanntlich eine gerade im Straßburgischen sehr gebräuchliche Kurzform für Mechthild; Westhofen liegt im Kreis Molsheim (vgl. Barth, Handbuch der elsässischen Kirchen Sp. 1728ff.).
131 UB Straßburg 7, 300 Nr. 1020; worauf die Herkunftsbezeichnung zu beziehen ist, weiß ich nicht.
132 Johann L von Zürich (1306-1328) und der am 14. September 1365 verstorbene Johann II. von Lichtenberg (1354-1365); vgl. Pfleger S. 106ff.
133Lerner S. 96, vorher schon Mosheim, De Beghardis S. 333, McDonnell (wie Anm. 37) S. 561.
134 Siehe oben S. 60 Nr. 3; unten Beilage Nr. 12 S. 165ff.
135 Vgl. zu ihm am besten die Übersicht bei Baluze-Mollat, Vitae paparum Avenionensium 2 (21927) S. 320ff.
136 Über diesen Prozeß waren wir bisher nur höchst dürftig und ungenau durch Nicolaus Eymericus, Directorium inquisitorum, pars 2, quaest. 38 (ed. Franciscus Pegna [Venetiis 1607] S.328), sowie durch ein Bruchstück der Überlieferung in der Wiener Hs. cvp 1578 unterrichtet, das I. v. Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters 2 (1890) S. 686-688 herausgegeben hat. Ich habe die Prozeßmaterie - neben dem Minoritenpriester Johannes von Castiglione stand der Laienbruder Franciscus von Arquata vor dem Tribunal des Kardinals (beide übrigens Italiener, die auf einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela in Montpellier gefaßt wurden) - in mehreren Überlieferungen ganz oder auszugsweise wiedergefunden, deren wichtigste die Wolfenbütteler Hs. 1006 Helmst. (auch sie aus dem Besitz des Flacius) und die Hs. Prag, Univ.-Bibl. IV B 15 sind; Untersuchung und Edition der Quelle plane ich in einem eigenen Beitrag.
137 Die Sentenzen gegen Johannes von Castiglione und gegen Franciscus von Arquata stimmen im Formular weitgehend überein; vgl. im übrigen unten S. 164f. und 165ff.,wo die Übereinstimmungen der Sentenzen unserer Wolfenbütteler Hs. mit ihren jeweiligen Vorlagen kursiv gekennzeichnet sind.
138 Nicolaus Eymericus a. a. O. gibt in seinem sehr wirren Bericht an, Guillaume Court habe zwei Verhöre abgehalten, eins zur Zeit Clemens’ VI. (1342-1352),und hier seien duo fratres Minores, quorum unus vocabatur frater Petrus (!) Castilionis, et alter frater Nicho (so Pegna, Nicholaus Baluze-Mollat a. a. O.), verurteilt und verbrannt worden, das andere zur Zeit Innocenz’ VI. (1352-1362); die Verurteilten werden hier mit frater Mauritius und Ioannes de Narbona angegeben. Es wäre daher eventuell denkbar, daß das Formular der Verurteilungs- und Degradationssentenz für Johannes von Castiglione auch in einem (älteren oder jüngeren) Verfahren gegen einen Nicho oder Nicholaus Anwendung fand, der nichts mit dem in Straßburg Verurteilten zu tun hatte, sich aber in der Formularvorlage von dessen Sentenz fand.
139 Zu seinem Bild im Urteil der Zeitgenossen vgl. Königshofen, in: Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert Bd. 9: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Straßburg, Bd. 2 (1871) S. 673ff.
140 Unten Beilage Nr. 10 S. 161ff.; zuvor nur bekannt als Regest in Paul Kehr - Gustav Schmidt, Päbstliche Urkunden und Regesten aus den Jahren 1353-1378, die Gebiete der heutigen Provinz Sachsen und deren Umlande betreffend (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 22, 1889) S. 173f. Nr. 632; vgl. auch die flankierenden Papstschreiben, ebd. Nr. 634, 635 (beide Okt. 17), 637 (Okt. 22; Abdruck des vollen Textes).
141 Vgl. zu ihm McDonnell (wie Anm. 37) S. 558ff., Lerner S. 131f.
142 Vgl. Königshofen, Chroniken der deutschen Städte 9 (1871) S.675f.; siehe auch Pfleger S. 108f., dazu ders., Die rechtlichen Beziehungen der Diözese Straßburg zur Mainzer Metropolitankirche, Archiv für Elsässische Kirchengeschichte 10 (1935) S. 1-78, hier S. 26f.
143McDonnell (wie Anm. 37) S. 560.
144 Königshofen, Chronik (wie Anm. 132) S. 675: ... und wart an das bistum erlichen enpfangen 14 tage vor sünigihten (= Juni 11) nach gotz gebürte 1366 jor. Nach Lerner S. 97 wäre das Autodafé „of a defenseless old woman” als Begrüßung für den Protegé des Ketzerverfolgers Karl IV. auf diesen Termin gelegt worden. - Zu beachten wäre übrigens außerdem noch, daß als Generalvikar für die Zeit des Übergangs zwischen dem Tod Johanns II. und dem Regierungsantritt Johanns III. neben Heinrich von Sachsen, der noch am 26. Januar 1366, mehr als einen Monat nach der Providierung Johanns von Luxemburg mit dem Straßburger Bistum (1365 Dez. 23; s. Eubel, Hierarchia catholica 21, 105), in dieser Funktion amtiert (s. UB Straßburg 5, 549 Nr. 704), schwerlich noch Raum für einen zweiten Vikar Tristram bliebe, der hingegen als Vertrauensmann Johanns II. recht gut der Vorgänger Heinrichs von Sachsen gewesen sein kann.
145Lerner S. 96.
146 Vgl. oben S. 60 Nr. 4.
147 Unten Beilage Nr. 18 S. 186.
148 Vgl. das „Prozeß“-Schreiben, unten Beilage Nr. 1 S. 134 Z. 25f.
149 Unten Beilage Nr. 15 S. 179f.; dazu auch Lerner S. 97 mit Anm. 26.
150 Unten Beilage Nr. 13 S. 169ff .; Regest bei Kehr - Schmidt (wie Anm. 140) S. 224 Nr. 815a. Nach der für Ludwig de Caliga ausgestellten Fassung hg. v. Mosheim, De Beghardis S. 336f., danach (ohne die korrigierenden Lesarten Martinis aus der Wolfenbütteler Hs. 315 Helmst. [der Quelle Mosheims!] zu beachten) Fredericq (wie oben S. 65 Nr. 29) 1, 207f. Nr. 209. Vgl. dazu auch McDonnell S. 561f. mit Anm.27.
151 Die reichlich dürftigen Nachrichten zu den letzten Straßburger Beginenverfolgungen seien hier kurz referiert: Zunächst erfahren wir vom Kommentator des „Prozeß“-Schreibens Bischof Lamprechts im Clm 14216 fol. 179rb in einer von Döllinger nicht beachteten Notiz: Dominus quoque Fridericus episcopus Argentinensis, prefati domini Lamperti successor, consimiles processus contra ipsas Beginas fulminavit. Daß der unruhige Kirchenfürst - Friedrich II. von Blankenheim (1375-1393;1423 als Bischof von Utrecht) regierte sein Straßburger Bistum mit sehr wenig Geschick (vgl. Pfleger S. 110) – auch diese Belastung nicht scheute, wird durch eine beiläufige Bemerkung des Dominikaners Johannes Mülberg in seinem im Zusammenhang des Basler Beginenstreites 1405 Juni 25 öffentlich vorgetragenen Rechtsgutachten mit dem Titel Materia contra Beghardos, Beginas, Lollhardos et swestriones gestützt, wo er ausführt (ich zitiere nach der Hs. Basel, Univ.-Bibl. A IX 21 fol. 106r-v; Parallelüberlieferungen: Clm 14265 fol. 248va-b; Leipzig, Univ.-Bibl. 1549 fol. 216r): Item episcopi Argentinenses Johannes, Lampertus, Fridericus in suis executoriis processibus contra Beginas expresse asserunt eas per constituciones iuris communis fore excommunicatas et absolucione indigere, quam (quas Hs. Basel) et promittunt se eisdem inpensuros, si ad obedienciam ecclesie redire velint; patent hec eosdem processus legenti. Auf beide Zeugnisse machte erstmals R. Lerner S. 99 mit Anm. 38 aufmerksam.
In die Zeit und in den Zusammenhang des Basler Beginenstreites gehört auch die letzte Straßburger Beginenverfolgung, von der wir Kenntnis haben. Der Ende des 16. Jahrhunderts schreibende Basler Chronist Christian Wurstisen berichtet in seiner „Baszler Chronick“ (Basel 1580) S. 205 zum Jahre 1404, offenbar nach älteren Dokumenten, die bisher nicht wieder zutage traten: „Der Pfaffen kampff vber den Beginen staht, so durch widerwertiges predigen zuo Basel jhe lenger jhe mehr angangen, biß das grosse zweyung darauß entstanden, gabe dem Raht zuo Straßburg anlaß, ihre Juristen vnd Gelehrten zuoberueffen, mit beger, jhnen dieser sach halb bericht zuoertheilen. Diese antworteten nach fleissiger erwegung des handels, dieser Staht were verworffen, vnd solchen Leuten in Geistlichen Rechten das bettlen verbotten. Darauff sie mit offnem Edict gebothen, das forthin (vnangesehen S. Francisci dritte Regel) keine mehr Begharts oder Beginen kleidung tragen, sonder sich anderen Christen gleichfoermig halten, vnd des Bettels gentzlich abstehn sollte: welches dann diesem Gesindlein durchs gantze Landt etwas schreckens bracht.“ Offenbar flohen daraufhin einige der Betroffenen nach Mainz, wo eine persecutio Lollhardorum et Beginarum im Jahre 1406 auch quam plures mulieres de Argentina aufstöberte (Chronicon Moguntinum, ed. C. Hegel, MGH Scr. rer. Germ. [20] 1885, S. 82). Das Bemerkenswerte an dieser Verfolgung ist die Beteiligung, ja die Federführung des Rates, von dem in den früheren Straßburger Prozessen nichts zu hören war, der aber auch in der gleichzeitigen Basler Verfolgung eine führende Rolle spielte. Auf sie wäre bei einer monographischen Behandlung des Basler Beginenstreites, für den es immer noch keine befriedigende Darstellung gibt, das besondere Augenmerk zu richten. - Vgl. im übrigen zu dieser Straßburger Verfolgung, deren Quellen schon Mosheim, De Beghardis S. 455ff. zusammenstellte und besprach, R. Lerner S. 103ff.
152 Vgl. etwa Lerner S. 49 zu einem freilich unglücklichen Beispiel, der Inquisition von Metzer Begarden 1337 (nicht 1334), bei der auch „Freigeister“ verhört wurden, was Döllingers (Sektengeschichte 2, 403ff.) unvollständige und überaus fehlerhalte Wiedergabe des Verhörsberichts jedoch nicht erkennen läßt.
153 So schon Ewald Müller, Das Konzil von Vienne 1311-1312. Seine Quellen und seine Geschichte (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 12, 1934) S. 581; im gleichen Sinn Joseph Lecler, Vienne (Histoire des conciles occuméniques 8, 1964) S. 127. Etwas anders setzt R. Lerner S. 78ff. die Akzente, der den Fall der Marguerite Porete (verbrannt Paris 1310) als ausschlaggebend ansieht.Die Statuten der Kölner Synode von 1306 Febr. 21 (mir ist unerfindlich, weshalb J. Asen [wie Anm. 55] S. 105 Anm. 2 für 1307 eintritt, Datum einer zweiten Synode unter dem gleichen Erzbischof; vgl. auch Hefele - Leclercq, Histoire des conciles 6, 1 [21914] S. 599) vgl. bei Schannat - Hartzheim, Conc. Germ. 4 (1761) S. 100ff. Die Statuten des Mainzer Konzils 1310 Mai 11-13 ebd. S.174-224, das Begarden kapitel S. 200f.
154 Vom Drängen aller deutschen Inquisitoren, etwas gegen die Beginen und Begarden zu unternehmen, weiß Bonifaz IX. in seiner Bulle Sedis apostolice providencia zuberichten, ed. Mosheim, De Beghardis S. 409f. (danach Fredericq, Corpus 1, 256f. Nr. 241; beide mit falschem Datum 1396 statt 1395 Jan. 31); eine Baseler Hs. (Univ.Bibl. A VI 6 fol. 10ra), auf die mich R. Lerner aufmerksam machte, nennt speziell den Dominikanerinquisitor Eylard Schönefeld (zu ihm vgl. T. Kaeppeli, Scr. Ord. Praed. Medii Aevi 1 [1970] S. 376ff.; zu seiner Tätigkeit zuletzt Lerner S. 149ff.) als Impetranten: Et quia eciam occasione dicti privilegii Gregorii Ex iniuncto (vgl. oben S. 65 Nr. 29), concedentis vivere in paupertate, que competit statui seculari, quidam (Hs. quidem) utriusque sexus attemptant et attemptabant illam, que est tantum religiosorum, Bonifacius IXus illud per aliam extrava(gantem) revocavit, que incipit Appostolice sedis, ad peticionem magistri Eylardi heretice pravitatis inquisitoris et quorundam aliorum inquisitorum Alamanie et dominorum. Berühmte Beispiele werden später Heinrich Institoris und Jacob Sprenger sein, die Verfasser des Malleus Maleficarum; dazu jüngst J. B. Russell, Witchcraft in the Middle Ages (1972) S. 230ff.
155 Siehe unten Beilage Nr. 17 S. 184.
156 Hs. Wolfenbüttel 311 Helmst. fol. 170rb; unten Beilage Nr. 1 S. 135 Variante j.
157Mosheim, De Beghardis S.256.
158Mens (wie Anm. 81) S. 117 mit Anm. 47; Mosheim, De Beghardis S. 274. Zu Walther vgl. am besten Lerner S. 30f.
159 Vgl. Philipp Strauch, Zur Gottesfreund-Frage. I. Das Neunfelsenbuch, Zs. für deutsche Philologie 34 (1902) S. 235ff., zur Frage des Zusammenhangs des angeblich häretischen mit dem Rulman Merswin zugeschriebenen Neunfelsenbuch ebd. S. 285f.
160 Über das Neunfelsenbuch handelt R. Lerner ausführlich S. 208ff.
161Mosheim, Institutiones historiae ecclesiasticae (Helmstadii 1755) S. 551-554 Anm. n, p und s. Daß Mosheim einen nur unvollständigen Text vor sich hatte, bezeugt er auch in seinem „Versuch einer unpartheiischen und gründlichen Ketzergeschichte“ (Helmstedt 1746) S. 377: „Sie hatten ein deutsches mystisches Buch unter sich, welches das Buch von den neun Felsen hieß: Daraus wurden alle Irrthümer gezogen, die man ihnen vorrükkete. Ich habe einen Auszug aus diesem Buche : und wünsche es ganz zu sehen.“
162 Vgl. Strauch a.a.O.
163Mosheim, Institutiones S. 552ff. Anm. p u. s; daß ihm die Bulle In agro dominico bekannt war, geht aus Mosheim, De Beghardis S. 281f. u. 284ff.hervor.
164LernerS. 209 f. mit Anm. 30: “Thus it may be concluded that this book was written after the condemnation of Meister Eckhart by someone in Strassburg who might have remembered the master himself and who definitly used the text of In agro Dominico as a source of instruction.”
165 Unten Beilage Nr. 22 S. 195ff.
166 Maßgebend die Edition von M.-H. Laurent, Autour du procès de Maitre Eckhart. Les documents des Archives Vaticanes, Divus Thomas. Commentarium de philosophia et theologica, 3. ser. Jg. 13Bd. 39 (Piacenza 1936) S. 331-348 u. 430-447, hier S. 435ff.
167 Siehe auch oben S. 59die Tabelle und S. 66 Nr. 33/34; zu den verlorenen Partien vgl. oben S. 77.
168 Über Quellen und Stadien des Eckhart-Prozesses unterrichtet überaus umsichtig J. Koch, in: Arch. Fratr. Praed. 30 (1960) S. 16ff . - In Glusens Katalogeintrag werden die Sätze als quesita magistri Echardi bezeichnet; siehe oben S. 75Anm. 24.
169 J. Koch, ebd. S. 41.
170 Man vgl. unten Beilage Nr. 22 S. 195ff. die Varianten und die Gegenüberstellung des deutschen Textes und seiner lateinischen Vorlage.
171 Vgl. bei Laurent (wie Anm. 166) S. 445 das Begleitschreiben Johanns XXII. an den Kölner Erzbischof vom 15. April 1329, mit dem die Verurteilungsbulle Eckharts nach Köln geschickt wurde: Quocirca fraternitati tue per apostolica scripta mandamus, quatenus tenorem predictum, postquam eum diligenter inspexeris, per te vel per alium seu alios in tuis civitate, diocesi et provincia publices et facias solempniter publicari, ut per publicationem huiusmodi simplicium corda, qui faciliter seducuntur, et maxime illi, quibus idem Ekardus, dum vixit, predictos articulos predicavit, erroribus contentis in eis minime imbuantur.
172 Dafür spricht vor allem das Schwanken der Schreibweise von ursprünglich vader (mitteldt.) und vatter (oberdt.) (unten S. 197 Z. 3 mit Variante k), ebenso die Bevorzugung von i statt e in unbetonten Nebensilben, wie virnuft (S. 197 Z. 14), gottis (S.196 Z. 9). In dieselbe Richtung weist die mangelnde Diphthongierung (nut, nucz, S. 196 Z. 8 u. 11 u. ö.), doch könnte es sich hier um ein bloßes Graphem handeln; „verdächtig“ mitteldeutsch klingt auch dode (S. 196 Z. 16), doch gibt es hier einen Nachweis im Alemannischen.Ich danke Herrn Dr. Ulrich Montag (Staatsbibliothek München) sehr herzlich für diese Expertise.
173 Zu den beiden Gutachten vgl. J. Koch, in: Arch. Fratr. Praed. 30 (1960) S. 19ff.; die verschiedenen Artikelzählungen vgl. am bequemsten in der Übersicht ebd. S. 52.
174 Vgl. zu ihm Adolar Zumkeller, Manuskripte von Werken der Autoren des Augustiner-Eremitenordens in mitteleuropäischen Bibliotheken (Cassiciacum 20, 1966) S. 242f. Nr. 504ff., sowie Adalbero Kunzelmann, Geschichte der deutschen Augustiner-Eremiten, 2. Teil: Die rheinisch-schwäbische Provinz bis zum Ende des Mittelalters (Cassiciacum 26, 1970) S. 206-213. Grundlegend sind die Arbeiten von Damasus Trapp, Hiltalinger’s Augustinian Quotations, Augustiniana 4 (1954) S. 412-449, sowie ders., Augustinian Theology of the 14th Century, ebd. 6 (1956) S. 146-272, hier S. 242ff.
175 J. Koch, in: Arch. Fratr. Praed. 30 (1960) S. 20.
176 Ph. Strauch wie Anm. 159.
177 So die These von KarlRieder, Der Gottesfreund vom Oberland. Eine Erfindung des Straßburger Johanniterbruders Nikolaus von Löwen (1905); vgl. dazu jedoch die Stellungnahme von Strauch in seinem Artikel „Rulman Merswin“, in: Herzog-Hauck, Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 17 (1906) S. 203-227, hier S. 226f. Die Frage ist seither offen; siehe den Artikel Rulman Merswin von E. Krebs, in: Stammler - Langosch, Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 3 (1943) Sp. 355-368, Nachtrag ebd. 5 (1955) Sp. 682.
178 Siehe unten Beilage Nr. 1 Z. 40ff. Vgl. dazu die etwas ausführlicheren parallelen Angaben in Beilage Nr. 3 S. 146 Z. 7ff.: Item dicunt, quod carent omni mutabilitate, in tantum, quod de nullo, quod eis de quibuscunque aliis - propinquis vel extraneis - posset accidere, perturbantur. Si enim deberent suspendi personaliter vel qualitercunque tribulari corporaliter, nollent se - ut dicunt - per minimum verbum liberare.
179 Eine kritische Ausgabe der Kurzfassung des Neunfelsenbuches fehlt. Den einzigen gedruckten, wenn auch fehlerhaften und modernisierten Text bietet Melchior Diepenbrock, Heinrich Susos, genannt Amandus, Leben und Schriften (41884) S. 505-571. Ich ziehe es daher vor, ohne eine kritische Ausgabe bieten zu wollen und zu können, nach zwei Münchener Handschriften aus dem alemannischen Raum (beide stammen aus St. Ulrich und Afra, Augsburg) zu zitieren, Cgm 759 und 838, den beiden wichtigsten der von Ph. Strauch, in: Zs. f. dt. Philol. 34 (1902) S. 236ff. beschriebenen. Daß ich mich nicht auf eine beschränke, hat den einfachen Grund, daß die ältere Handschrift, Cgm 759 von 1446 (Strauchs ebd. S. 237 geäußerte Zweifel bezüglich der Datierung sind unberechtigt; eine Verschreibung für 1346 ist sicher nicht gegeben), gerade an einer für unseren Zusammenhang wichtigen Stelle eine größere Textlücke aufweist. Die Fundstellen in Diepenbrocks Ausgabe werden mit angegeben. Man vgl. auch Rulman Merswins (?) Langfassung, in der Ausgabe von Ph. Strauch, Schriften aus der Gottesfreundliteratur, 3. Heft: Merswins Neun-Felsen-Buch (Das sog. Autograph) (Altdeutsche Textbibliothek 27, 1929) S. 126ff., wo sich alle von uns im folgenden angeführten Stellen ebenfalls finden.
180 Vgl. Lerner S. 68ff., auch oben S. 98 mit Anm. 96.
181 Vgl. Gregors XI. Schreiben Ad apostolatus nostri, 1376 April 22 (ed. Mosheim, De Beghardis S. 378f., danach Fredericq, Corpus 1, 236f. Nr. 224), sowie Karls IV. drakonische Anordnung von 1369 Juni 17 (ed. Mosheim, De Beghardis S. 368-375; Böhmer - Huber Nr. 7287).