II.  heilige Dionysius, die Universität Paris und der französische Staat*)

 

 

Am 7. Dezember 1422 hielt der Gesandte der Universität Paris, der Theologieprofessor Johannes Stojković von Ragusa[1]), in Santa Maria Maggiore in Rom eine öffentliche Predigt vor Papst Martin V. mit dem programmatischen, dem Propheten Jesaja (16,3) entnommenen Thema: Ini consilium, coge concilium[2]). Die Wahl dieses Themas zeigt den Hauptzweck der Gesandtschaft an[3]): Die Pariser Universität wollte den Papst dazu drängen, den auf dem Konstanzer Konzil am 19. April 1418 gefaßten Beschluß[4]) zu verwirklichen, im Jahre 1423 ein neues Konzil in Pavia einzuberufen mit dem Ziel, der in Konstanz gelungen Reform des Hauptes der Kirche endlich auch die Reform ihrer „Glieder“ folgen zu lassen. Und in der Tat begann am 23. April 1423 das Konzil von Pavia, das später nach Siena verlegt worden ist[5]). Dessen Zustandekommen schrieb Johannes von Ragusa - wenn auch schwerlich zu Recht - allein seiner Intervention zu[6]) . Er war es auch, der den Eröffnungssermon hielt[7]), und er sollte noch auf dem Konzil von Basel eine bedeutende Rolle spielen und als einer der entschiedensten Verfechter der konziliaren Idee in die Geschichte eingehen[8]). Seine konzilspolitische Aktivität im Jahre 1422 (10) ist allso keine bloße Episode geblieben, und in einen größeren Rahmen läßt sich auch die Rolle der Pariser Universität einordnen. Denn es ist mit Recht darauf hingewiesen worden[9]), welch erheblichen Anteil sie an der Diskussion um die Reform der Kirche hatte, daß sie gleichsam Brennpunkt der öffentlichen Meinung war und wie ein weltlicher Potentat für das Zustandekommen der Reformkonzilien warb, die von Universitätsmagistern ja auch weitgehend beherrscht wurden[10]).

                                                                                                               

Diese konzilspolitische Aktivität und das auf deren Erfolgen beruhende Selbstbewußtsein der Pariser Universität muß man vor Augen haben, will man eine Passage in der eingangs genannten Predigt vor Papst Martin V. verstehen, die uns im folgenden näher beschäftigen soll[11]). Denn inmitten der auf die Eröffnung des Konzils gerichteten Mahnungen und Beschwörungen findet sich ein wort- und bilderreicher Lobgesang auf die Universität Paris selbst als dem Paradies auf Erden, deren vier Fakultäten den vier Paradiesesflüssen vergleichbar mit den Tautropfen aller Wissenschaften die Erde bewässerten und deren Doctores wie die Schößlinge am Weinstock des Herrn mit dem Wein der göttlichen Weisheit die Gläubigen trunken machten. Doch Johannes von Ragusa beschränkt sich nicht auf solche Allgemeinheiten. Er will darauf hinaus, daß das „Studium“, die Pflege der Wissenschaften, unerläßliche Grundlage jedes geordneten und funktionierenden Staatswesens sei, namentlich aber des französischen Königreichs. So führt er aus, daß die Reiche der Ägypter und Griechen, der Meder und Perser, des antiken Rom, der Araber und der Chaldäer solange in Blüte standen, wie dort die Wissenschaften gepflegt wurden, und daß Hand in Hand mit der Übertragung der politischen Macht auch die Wissenschaften von den Griechen zu den Römern und von dort (11) zu den Galliern gewandert seien. Denn mit Karls des Großen Hilfe sei ein neues Athen im Frankenreich entstanden, hätten Hrabanus Maurus und Beda, Alkuin und Johannes Scottus Eriugena sowie Johannes Saracenus die „Fundamente“ der Universität Paris gelegt. Mit deren Wohl und Wehe seien daher Ruhm und Größe Frankreichs untrennbar verbunden. Mehr noch: Die Universität Paris als Heimstatt der Wissenschaften sei geradezu das vornehmste Staatssymbol des französischen Königreichs, wichtiger als alle anderen Attribute, die Frankreich über alle anderen Reiche erhöhten. Und diese Attribute werden nun der Reihe nach aufgezählt, so wie sich die französische Königstheorie, die Percy Ernst Schramm einen förmlichen Königsmythos nannte[12]), bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts herausgebildet hatte.

 

Im folgenden sollen diese von Johannes Stojković miteinander verknüpften Traditionen der französischen Staatstheorie einerseits und der Übertragung der Wissenschaften an die Universität Paris andererseits in ihrer Entwicklung und verschiedenartigen Ausprägung betrachtet werden; dabei wird sich zeigen, daß die legendäre Gestalt des hl. Dionysius die Klammer zwischen beiden Traditionen gewesen ist. Orientierungspunkt soll dabei der Serrnon des Johannes von Ragusa vor Martin V. bleiben, wo der französische Staatsmythos und das Selbstverständnis der Pariser Universität in einer bestimmten geschichtlichen Situation als Einheit gesehen wurden.

 

Wie stellt sich also zu Beginn des 15. Jahrhunderts der französische Königs- und Staatsmythos dar[13])? Da ist zunächst die edle blutsmäßige Abkunft der französischen Könige, die nicht nur auf Karl den Großen und Chlodwig, sondern bis auf den Trojanerkönig Priamus zurückgeführt wird[14]); von den Trojanern hatte schon der sog. Fredegar im 7. Jahrhundert den Ursprung der Franken hergeleitet, ein Motiv, das in der Folgezeit zum Allgemeingut mittelalterlicher Universalchronistik wurde[15]). Zur edlen Ab(12)kunft gesellt sich die traditionelle Reinheit des Glaubens, die dem französischen König - und ihm allein! - den förmlichen Titel eines „christianissimus rex“ eintrug, wie ihn die französische Königskanzlei seit Karl V. (1364-1380) ständig verwandte und wie ihn die anderen europäischen Mächte im diplomatischen Schriftverkehr im Laufe des 15. Jahrhunderts akzeptierten[16]). Drittes Attribut ist die priestergleiche Salbung mit einem Öl, das nicht von Menschenhand hergestellt war, sondern das Gott selbst durch einen Engel bei Chlodwigs Taufe zu der vom hl. Remigius vorgenommenen Salbung vom Himmel herabgesandt hatte, das in einer Ampulle in Reims verwahrt wurde und das den Anspruch des Erzbischofs von Reims begründete, allein das Recht zur Krönung des französischen Königs zu besitzen[17]). Bei Hinkmar von Reims ist die Legende vom Himmelsöl erstmals greifbar[18]), seit der Krönung Ludwigs VIII. 1223 wurde der Reimser Anspruch auf Krönung des Königs mit

Diesem Öl nicht mehr bestritten, und die Macht des Mythos war so stark, daß nicht einmal die Zerschlagung der Ampulle während der französischen Revolution genügte, ihr Ansehen zu zerstören: Noch Karl X. wurde 1825 mit einem Chrisma gesalbt, dem ein angeblich aus den Scherben der Ampulle geborgener Öltropfen beigemischt war[19]). Sakralen Charakter haben auch die anderen Staatssymbole: Die Fülle der im Königreich versammelten Reliquien[20]), deren Verbindung mit dem französischen Königsmythos man vor Augen haben muß, will man die Brutalität verstehen, mit der während der französischen Revolution Reliquien zerstört und geschändet wurden. Himmlischer Herkunft sind einer wohl im 13. Jahrhundert entstandenen Tradition zufolge auch die liliengeschmückten Waffen des französischen Königs[21]), vor allem aber die Fahne. Diese nun ist nicht das Lilienbanner, sondern die Oriflamme[22]), jene erstmals um 1100 im altfranzösischen Rolandslied besunge(13)ne Fahne Karls des Großen, die dieser in seinen Kämpfen mit den Sarazenen siegreich geführt haben soll[23]). Spätestens zu Ende des 12. Jahrhunderts ist die Tradition ausgebildet, daß die Oriflamme Karls des Großen identisch sei mit dem Vexillum beati Dionysii[24]), der Fahne des Patrons der berühmten bei Paris gelegenen Abtei St-Denis, die als Grablege der französischen Könige und Aufbewahrungsstätte der Reichsinsignien gleichsam den kultischen Mittelpunkt der französischen Königsidee bildete[25]).

 

Dies war St-Denis nicht von Anfang an gewesen. Königsgrablege war es zwar schon gelegentlich zu Zeiten der Merowinger gewesen und in größerem Umfang dann unter den Karolingern geworden; doch daß sich die Könige Frankreichs in St-Denis bestatten ließen, wurde erst unter den Kapetingern zur Tradition[26]). Den Anspruch auf die Verwahrung der Reichsinsignien konnte das Kloster sogar erst Mitte des 13. Jahrhunderts durchsetzen[27]). Und die Fahne des hl. Dionysius tritt ebenfalls erst verhältnismäßig spät in Erscheinung: Als Kaiser Heinrich V. 1124 Frankreich mit Krieg bedrohte, holte sich König Ludwig VI. in feierlichem Akt aus St-Denis diese Fahne und (14) zog mit ihr dem Kaiser entgegen[28]). Der Macht des Heiligen wurde es zugeschrieben, daß sich der deutsche Kaiser sehr rasch zurückzog. Seither begann Dionysius als der Schutzheilige Frankreichs Geltung zu erlangen[29]), seine Fahne begleitete den französischen König bei seinen Feldzügen[30]), und das Vertrauen in ihre Heilswirkung fing erst dann allmählich an zu verblassen, als im Hundertjährigen Krieg das Panier des hl. Dionysius in der Schlacht von Azincourt 1415 in die Hände der siegreichen Engländer fiel[31]) und sich seit 1418 Paris und St-Denis im Lager der englisch-burgundischen Partei befand, nicht auf der Seite des Dauphins, des späteren Karl VII., des legitimen Erben der französischen Krone, als den ihn die durch die Jungfrau von Or1éans aufgewühlten Zeitgenossen und - mehr noch - die Nachwelt sahen[32]). Seit dem 12. Jahrhundert also und noch zu der Zeit, als Johannes von Ragusa seinen Sermon vor Martin V. hielt, war Dionysius die zentrale Gestalt der französischen Königsidee. Nichts ist dafür bezeichnender als die Form, in der man in England noch in der Spätphase des Hundertjährigen Krieges um 1440 dem Konzept der englisch-französischen Doppelmonarchie sichtbaren Ausdruck verlieh: Im Chor der Westminster-Abtei, wo der englische König und Prätendent auf die französische Krone, der Sieger von Azincourt Heinrich V. im Kreise seiner Vorgänger die letzte Ruhestätte fand, wurde an der Altarwand der von ihm gestifteten und über seinem Grabe errichteten Kapelle mit dem Patrozinium der Verkündigung Mariä unter den Figuren, die die Verkündigungsgruppe flankieren, dem englischen Landespatron St. Georg der hl. Dionysius gegenübergestellt[33]). Dux et protector des Reiches hatte ihn (15) König Ludwig Vl. von Frankreich 1120 genannt[34]); in der zu einem späteren Zeitpunkt entstandenen ausführlichen Version der Chronik Pseudo-Turpins wird auf Karl den Großen der Gedanke zurückgeführt, daß der französische König sein Reich vom hl. Dionysius sogar zu Lehen habe[35]) - ein Gedanke, den eine in St-Denis wohl noch im 12. Jahrhundert auf den Namen Karls des Großen gefälschte Urkunde wiederholte und in dem Brauch versinnbildlicht sehen wollte, daß die Nachfolger Karls jährlich dem hl. Dionysius vier Goldbyzantiner auf ihrem Scheitel darbrachten[36]). Dieser Anspruch des (16) Klosters hat sich in der französischen Königstheorie zwar nicht auf Dauer festgesetzt[37]), er läßt sich aber seit Philipp II. August beobachten und ist vor allem für Ludwig IX. den Heiligen gut bezeugt; denn von ihm wird berichtet, daß er die Gewohnheit hatte, am Festtag des hl. Dionysius in der Form, wie der Unfreie seinem Herrn den Zensus darbringt, entsprechend der Forderung der Karlsfälschung dem Heiligen seinen Kopfzins, den „chevage“, in Form der vier Goldbyzantiner zu übergeben[38]).

 

Daß Dionysius Patron Frankreichs und der besondere geistliche Schutzherr seiner Könige wurde, hatte seinen Grund in der legendären Gestalt des Heiligen selbst. In ihr flossen nicht weniger als drei historische Persönlichkeiten zusammen[39]): (1) Der erste Bischof von Paris, der angeblich auf Geheiß Clemens’ I., des dritten Nachfolgers des hl. Petrus, mit seinen Gefährten Rusticus und Eleutherius Gallien missionierte, auf dem Montmartre das Martyrium erlitt, in St-Denis seine Grabstätte fand und als Apostel Galliens verehrt wurde. (2) Seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts[40]) wurde er identifiziert mit dem Paulus-Schüler und angeblich ersten Bischof von Athen, Dionysius Areopagita. (3) Und dieser wiederum galt dem Mittelalter als

Verfasser mehrerer im 5. Jahrhundert entstandener Schriften[41]) mit neuplato(17)nischer Färbung, die auf das lateinische Christentum vor allem mystischer Prägung eine nachhaltige Wirkung ausübten. Diese Schriften sind außer einigen Briefen namentlich die beiden Werke über die „himmlische“ und die „kirchliche Hierarchie“ sowie die Traktate „De divinis nominibus“ und „De theologia mystica“. Alle diese Werke sind dem lateinischen Mittelalter hauptsächlich durch die in den sechziger Jahren des 9. Jahrhunderts verfertigte Übersetzung des Johannes Scottus Eriugena[42]) bekannt geworden und wurden seit der Mitte des 13. Jahrhunderts handschriftlich vor allem in einem umfangreichen Corpus Dionysiacum verbreitet[43]), das neben den Übersetzungen Eriugenas die gesamte gelehrte Beschäftigung mit dem Werk des Pseudo-Areopagiten bis ins 13. Jahrhundert hinein enthielt. Und zwar den Kommentar Eriugenas zur „Coelestis ierarchia“[44]); die durch Anastasius Bibliothecarius übersetzten Scholien der maßgebenden griechischen Kommentatoren Johannes von Skythopolis und Maximus Confessor[45]); sodann die Widmungsschreiben Eriugenas und Anastasius’ an Karl den Kahlen, mit denen sie ihre Übersetzungen dem König übersandt hatten[46]); des weiteren den Kommentar Hugos von St. Victor zum Werk des Areopagiten[47]) sowie die „Nova translatio“ samt Kommentar des im Umkreis Hugos wirkenden Johannes Saracenus[48]); und schließlich die 1238 entstandene, oft benutzte Exzerptparaphrase des Kanonikers von St. Victor und späteren Abtes von St. Andreas von (18) Vercelli, Thomas Gallus[49]). Daß der Patron von St-Denis mit dem Verfasser dieser Schriften, dem Apostel Galliens und dem Areopagiten gleichzusetzen sei, fand seine gleichsam kanonische Ausprägung in der weitverbreiteten Vita des Abtes von St-Denis und Ratgebers Ludwigs des Frommen, Hilduin[50]), der auch als erster für eine Übersetzung der Werke des Pseudo-Areopagiten ins Latein gesorgt hatte, die freilich schon bald durch die von Karl dem Kahlen angeregte Übersetzung Eriugenas verdrängt worden und in Vergessenheit geraten war[51]). Zweifel an dieser Gleichsetzung waren nicht erlaubt und wurden nicht nur als Sakrileg, sondern fast schon als Hochverrat empfunden. Das mußte z. B. 1121 Abälard erfahren, als er - damals Mönch von St-Denis - gegenüber Mitbrüdern spaßeshalber, wie er sagt, unter Berufung auf Beda die Ansicht zum besten gab, der Athener (und später Pariser) Bischof Dionysius sei gar nicht der in Korinth wirkende Areopagit gewesen[52]). Abälard erregte einen Sturm der Entrüstung und mußte sein Heil in der Flucht aus dem Kloster suchen, dessen nur ein Jahr später, 1122, inthronisierter Abt Suger wie keiner nach Hilduin den Kult des Heiligen gefördert und der für die Verbindung der Dionysius-Verehrung mit dem französischen Staatskult die entscheidenden Impulse gegeben hat[53]). Erst Lorenzo Valla, der ja auch die Legende der konstantinischen Schenkung zerstört hat, konnte in seiner erstmals 1504 im Druck erschienenen „Collatio novi testamenti“ ungefährdet Abälards Zweifel (19) wiederholen[54]); von ihm an datiert die moderne Forschung das Ende der Dionysius-Legende[55]), doch sollte es noch bis ins 19. Jahrhundert dauern, bis man die drei im Mittelalter miteinander verschmolzenen Gestalten wieder säuberlich auseinanderzuhalten wußte[56]).

 

Das Geschichtsbild des Mittelalters aber ist von deren Einheit geprägt, und dies gilt es zu bedenken, wenn wir uns nunmehr der Frage zuwenden, welche Rolle Dionysius Areopagita speziell für das Bewußtsein der Pariser Universität von ihrem eigenen Ursprung spielte. Die Schlüsselworte dafür sind Athen als die Wiege der abendländischen Weisheit und der Gedanke der Translatio studii, also jene eingangs schon aus der Predigt des Johannes von Ragusa referierte Vorstellung, daß im Laufe der Geschichte eine Kulturwanderung

stattgefunden habe von Ost nach West, namentlich von Athen über Rom nach Gallien. Translationstheorien gab es mancherlei Art schon seit der Antike, sie erfreuten sich aber vor allem im 12., 13. und 14. Jahrhundert großer Beliebtheit unter staatstheoretisch philosophierenden Gelehrten. Am bekanntesten ist die Vorstellung der Translatio imperii[57]), d. h. der Übertragung der politischen Weltherrschaft von den Griechen auf die Römer und von diesen durch Karl den Großen auf die Franken und damit später auf die Deutschen. Nicht ganz so verbreitet ist der Gedanke, daß das Mönchtum, die „Religio“, aus dem Orient nach dem Abendland gewandert sei[58]). Gleich zwei Versionen aber gab es für die Ost-West-Wanderung der Kultur[59]): Die Übertragung der Sapientia von (20) den Kulturvölkern des Ostens: den Ägyptern, Chaldäern, Babyloniern auf die Griechen, Römer und schließlich auf die gallischen Franken sowie die demgegenüber etwas vereinfachte Darstellung der Translatio studii von Athen über Rom nach Gallien. Bei Johannes von Ragusa sind beide Versionen nebeneinandergestellt und - wie wir sahen - in Parallele gesetzt zur Translatio imperii: Wo das Wissen ist, sei auch die Macht, ohne Wissen keine Macht; aber auch - und darüber klagt er mit bewegten Worten -: ohne funktionierende staatliche Gewalt müßten die Wissenschaften verkümmern[60]).

 

Daß beide Sphären in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis gesehen wurden, ist leicht gemacht durch den angenommenen Ursprung beider Translationsmodelle: Sie nehmen ihren Ausgang in der Herrschaft Karls des Großen. Schon Alkuin hatte der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß „vielleicht ein neues Athen im Frankenreich vollendet werden möge“, dessen christliche Grundlegung den weltlich ausgerichteten platonischen Akademiebetrieb noch übertreffen würde[61]). Notker Balbulus wußte am Ende des 9. Jahrhunderts bereits zu rühmen, daß Alkuins Lehren in einem solchen Maße Früchte trugen, daß in seiner Zeit die Gallier bzw. Franken den alten Römern oder Griechen (21) glichen[62]). Otto von Freising nahm - in Nachfolge seines Lehrers Hugo von St. Victor - den Gedanken der Kulturwanderung vom Orient über Griechen und Römer zu den Galliern (und wie er hinzufügt: den Spaniern) wieder auf, Johannes de Garlandia spitzt ihn auf Paris zu, ubi viget universale studium[63]), und bei Vincenz von Beauvais ist Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals jene Tradition bezeugt, die mit der Translatio studii von Athen über Rom nach Gallien die Anfänge der Universität Paris gegeben sah[64]). Vier Mönche hätten das Pariser „Studium“ begründet: die angeblichen Beda-Schüler Hrabanus Maurus und Alkuin, Claudius (von Turin) und Johannes Scottus Eriugena. Das ist nahezu dieselbe Personengruppe, die Johannes von Ragusa als die „Fundamente“ der Pariser Universität bezeichnete, nur hat er Claudius von Turin weggelassen, hingegen Johannes Saracenus hinzugefügt.

 

Dieser Umstand lenkt den Blick erneut auf Dionysius Areopagita, denn Johannes Saracenus ist in die mittelalterliche Geistesgeschichte allein dadurch eingegangen, daß er neben einem Kommentar zu Pseudo-Dionysius eine 1167 abgeschlossene zweite Übersetzung der Werke des Areopagiten angefertigt hat; eine Übersetzung, die neben und mit der des Johannes Scottus die wirkungsmächtigste im Mittelalter war[65]). Daß das gelehrte Ansehen allein von zweien der fünf fundamenta studii universitatis Parisiensis vornehmlich auf ihrer Übersetzung bzw. Kommentierung des Pseudo-Areopagiten beruhte, zeigt den Rang, den Dionysius und die ihm zugeschriebenen Werke Johannes von Ragusa zufolge im Geistesleben der Pariser Universität einnahmen. Das (22) könnte man auch noch durch eine Gelehrtenkette unterstrichen sehen, die Johannes von Ragusa als die späteren Leuchten der Pariser Universität anführt[66]). Dies sind Hugo und Richard von St. Victor, Petrus Lombardus, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Bonaventura, Heinrich von Gent, Alexander von Hales, Wilhelm von Paris ( = von Auvergne?), Johannes Duns Scotus, Durandus (von St-Pourçain?), Petrus von Tarantaise, Petrus de Palude und Petrus de Candia, der spätere Papst des Pisaner Konzils Alexander V. Sie alle sind zwar gewiß nicht allein wegen ihrer Beschäftigung mit Pseudo-Dionysius in die mittelalterliche Geistesgeschichte eingegangen; doch ist es bemerkenswert, daß immerhin nicht weniger als drei von ihnen - Hugo von St. Victor, Albert der Große und Thomas von Aquin – maßgebende Kommentare zu den Werken des Pseudo-Areopagiten verfaßt und andere, etwa Richard von St. Victor, Bonaventura und Alexander von Hales, in erheblichem Maße Gebrauch von seinen Schriften gemacht haben[67]). Wie vertraut das Corpus Dionysiacum Johannes von Ragusa selbst war, zeigen allein schon die literarischen Vorlagen seiner Sermone vor Martin V. und auf dem Konzil von Pavia-Siena[68]). Sie sind neben Zitaten aus Pseudo-Dionysius selbst zum großen Teil dem Kommentar Hugos von St. Victor und den Dedikationsschreiben Eriugenas und des Anastasius Bibliothecarius an König Karl den Kahlen entnommen, die - wie schon erwähnt[69]) - Bestandteil des wichtigsten handschriftlichen Überlieferungsträgers der Werke des Pseudo-Dionysius im Mittelalter waren. (23)

 

Für den Gesandten der Pariser Universität an Martin V. ist Dionysius Areopagita also wie kein anderer der geistige Repräsentant seiner alma mater gewesen. Lebendig war aber sogar die Tradition, daß er gleichsam ihr geistiger Spitzenahn war, indem schon er - und nicht erst Karl der Große - den Schatz der griechischen Weisheit von Athen nach Paris verpflanzte, um diese Stadt zur Mutter der wissenschaftlichen Studien zu machen[70]). Wilhelm von Nangis, der unter König Philipp III. (1270-1285) schreibende Biograph Ludwigs IX. des Heiligen und Mönch in St-Denis, war anscheinend der erste, der diese Verbindung zwischen dem Patron seines Klosters, dem in dessen angeblichen Schriften enthaltenen Schatz griechischer Weisheit und den Anfängen der Pariser Universität herstellte[71]). Er fand Nachfolger außerhalb seines Klosters: Den ca. 1300 im Umkreis der Universität wirkenden Magister artium und Bakkalar der Theologie Thomas Hibernicus (oder von Palmerston), der in einem seiner der Sorbonne vermachten Werke mit dem an Pseudo-Dionysius angelehnten Titel „De tribus hierarchiis“ anscheinend Gebrauch vom Corpus Dionysiacum gemacht hat und der in einem anderen mit dem bezeichnenden Incipit aus den Sprüchen Salomonis (9,1): Sapientia aedificavit sibi domum, die Theorie Wilhelms von Nangis noch erweiterte um die Vorstellung, daß die Stadt Paris auch topographisch und ständisch-sozial ganz analog der Stadt Athen gegliedert sei; nämlich in drei Teile, deren einer von den Kaufleuten, Handwerkern und dem niederen Volk, deren anderer von den Repräsentanten der politischen Macht und deren dritter von den Repräsentanten des Geistes: den Philosophen und ihren Schülern bzw. den Professoren und ihren Studenten (24) bewohnt sei[72]). Noch bemerkenswerter ist, daß der 1361 als Bischof von Meaux gestorbene Motettenkomponist und Dichter, der frühere Sekretär König Philipps Vl. von Valois, Philipp von Vitry, in einem seiner Gedichte mit dem Titel „Le Chapel des trois fleurs de lis“ gleichfalls Dionysius Areopagita als den geistigen Vater der in Frankreich, und das heißt zu seiner Zeit immer: an der Universität Paris blühenden Wissenschaften bezeichnete[73]). Das Symbol der Lilie im Titel seines Gedichtes deutet aber noch etwas anderes an, und zwar die Verbindung von Dionysiuskult, Wissenschaftspflege an der Universität Paris und französischer Staatsidee. Alle drei Autoren: Wilhelm von Nangis, Thomas Hibernicus und Philipp von Vitry sahen in der Lilie, dem Wappenzeichen der französischen Könige, drei den Ruhm Frankreichs begründende Werte symbolisiert, die Dionysius verdankt würden; nämlich Weisheit, militärische Stärke und christlichen Glauben - in der Sprache der Quellen: sapientia, militia, fides bzw. science, chevalerie, foy[74]). Unzertrennlich sei diese Dreiheit: „Denn der Glaube wird“ - so sagt Wilhelm von Nangis – „geleitet und regiert von der Weisheit, geschützt durch ritterliche Stärke (militia)“. Und er fährt fort: „Solange diese drei im Königreich Frankreich gleich und stark einander gegenseitig stützen, wird das Reich Bestand haben. Werden sie aber von ihm (25) getrennt und losgerissen, dann wird es wie jedes andere in sich gespaltene Reich veröden und einstürzen“ (vgl. Luc. 11,17)[75]).

 

Dieses Menetekel muß Johannes von Ragusa vor Augen gehabt haben, als er im Dezember 1422 seine Predigt vortrug, denn in ähnlich trostlosem Zustand wie damals befand sich Frankreich kaum je in seiner Geschichte[76]). Das halbe Königreich war in den Händen der Engländer und der mit ihnen verbündeten burgundischen Partei. Im Vertrag von Troyes hatte am 21. Mai 1420 Karl Vl. von Frankreich auf Betreiben seiner Gattin Isabella von Bayern und des Herzogs von Burgund, Philipps des Guten, den Engländer Heinrich V. zum Erben seiner Krone eingesetzt, unter Übergehung der Rechte des Dauphins, des späteren Karl VII., den der Mord am burgundischen Herzog Johann ohne Furcht kompromittiert hatte. Aber nur drei Monate vor dem Sermon Johanns von Ragusa war am 31. August der mächtige englische König gestorben, wenig später, schon am 21. Oktober folgte ihm Karl Vl. ins Grab und jetzt standen als Prätendenten auf die Krone Frankreichs der noch nicht einjährige Heinrich Vl. von England und der Dauphin Karl (VII.) einander gegenüber; der eine im Besitz von Paris und Reims und damit Herr über dieStaatssymbole Frankreichs, aber noch zu jung, um gekrönt und in die Herrschaft eingewiesen werden zu können; der andere vom Heer zum König ausgerufen, verlacht von den Gegnern als „König von Bourges“ – dem langjährigen Zentrum seines Machtbereichs - und erst sieben Jahre später nach der Einnahme von Reims versehen mit dem wichtigsten Attribut der französischen Königssymbolik, dem Himmelsöl, mit dem er zum rechtmäßigen König von Frankreich gesalbt und am rechten Ort gekrönt wurde. Noch länger - bis 1437 - sollte es dauern, bis er im Besitz von Paris und St-Denis war und damit über die anderen Heiltümer der französischen Krone verfügen konnte und bis er mit der Universität Paris - um in der Bilderwelt des Johannes von (26) Ragusa zu bleiben - den Sitz der Weisheit und damit das wichtigste Element seiner Herrschaft besaß. Als Johannes von Ragusa seinen Sermon hielt, war diese Entwicklung noch völlig offen, war die Universität erst am 19. November 1422 auf Heinrich Vl. als den künftigen König Frankreichs eingeschworen worden[77]). Man wird kaum fehlgehen in der Annahme, daß Johannes von Ragusa mit der Betonung der konstitutiven Bedeutung der Universität für die Krone Frankreichs auch für den Kronkandidaten der Universität, den Engländer Heinrich VI., an der päpstlichen Kurie werben wollte.

 

Doch wichtiger als dieser zeitbedingte und gebundene Hintergrund seines Ruhmesliedes auf die Universität Paris war ihm die unauflösliche Verbindung des Geschickes dieser Universität mit dem Schicksal Frankreichs, ihre Definition als eines, ja des bestimmenden Faktors für die Existenz des Reiches. Dieser nationalfranzösische Aspekt im Selbstverständnis der Pariser Universität ist nicht von allen mittelalterlichen Zeitgenossen geteilt worden, zumal nicht außerhalb Frankreichs. Tholomeus von Lucca z. B. berichtet in seiner 1313-1316 entstandenen „Historia ecclesiastica“ gleichfalls von der Übertragung des „Studium“ durch Alkuin nach Paris[78]), doch für den Italiener ist wichtig, daß Karl der Große dies im Zusammenhang mit der Liturgiereform im Frankenreich gemäß dem römischen Ritus veranlaßt hat; Athen ist für Tholomeus unwichtig, wird gar nicht einmal erwähnt. Daß Rom, die eigentlich bloße Zwischenstation auf dem Translationsweg von Athen nach Paris, für Karl den Großen der Ausgangspunkt, die unmittelbare Quelle der Wissenschaft war, ist das für Tholomeus Ausschlaggebende. Noch anders sieht sein (27) Zeitgenosse, der Kölner Kanoniker Alexander von Roes in seinem 1281 verfaßten „Memoriale de paerogativa Romani imperii“ Sinn und Bedeutung des Pariser Studium[79]). Auch er kennt den Gedanken der Translatio studii durch Karl den Großen von Rom nach Paris, aber er gibt ihm eine ganz eigene Prägung. Schlüsselerlebnis dafür war dem deutschen Kanoniker die Wahl des Franzosenpapstes Martin IV. 1281. Der sich hierin manifestierende Machtanspruch Frankreichs hatte Alexander zutiefst erschreckt und sein Weltbild in Unordnung gebracht. Dieses Weltbild wie das der gesamten mittelalterlichen Welt war bestimmt von der gelasianischen Zwei-Gewalten-Lehre[80]), jener Vorstellung also, daß zwei Gewalten die Welt beherrschten, Sacerdotium und Regnum; die geistliche symbolisiert durch den römischen Papst, die weltliche verkörpert im Kaiser. Die Wahl Martins IV. empfand der deutsche Kanoniker als Usurpation einer zu diesem Weltamt nicht berufenen Nation. Doch den Herrschaftsanspruch Frankreichs einfach beiseitezuschieben, getraute er sich nicht; aber er fand einen Ausweg. Er entwickelte eine Drei-Gewalten-Theorie, indem er neben Sacerdotium und Regnum als dritte Potenz das Studium stellte und den Franzosen den Prinzipat darin zugestand. Es ist hier nicht der Ort, Herkunft und Entwicklung dieser Drei-Gewalten-Lehre, ihre Anwendung auf die mittelalterliche Ständelehre und ihre Bedeutung für das erwachende Nationalgefühl in Frankreich, Italien und Deutschland zu verfolgen[81]). Hier sei davon nur festgehalten, daß für Alexander von Roes – wie übrigens auch für Tholomeus von Lucca - die Pariser Universität als Zentrum der Wissenschaften voll anerkannt, anders aber als bei Johannes von Ragusa, Wilhelm von Nangis und dessen Nachfolgern daraus kein Herrschaftsanspruch im politischen Bereich abgeleitet wurde. Vielmehr sah Alexander von Roes das Erbe Karls des Großen unter seine Nachkommen aufgeteilt: Das von ihm ins Frankenreich übertragene Imperium fand im „deutschen“ Reich seine Fortsetzung, das Studium in Frankreich an der Pariser Universität.

 

Überraschend ist für den modernen Historiker bei beiden Modellen das Bewußtsein der Zeitgenossen, daß eine erst so spät, erst um 1200 als Universität sich konstituierende Institution schon ein halbes Jahrhundert später ihre Anfänge auf Karl den Großen oder gar auf Dionysius Areopagita (28) zurückführte[82]); eine Legende, die noch in der monumentalen Universitätsgeschichte du Boulays aus den Jahren 1665-1673 wirksam war, deren bezeichnender Titel lautet: „Historia Universitatis Parisiensis, ipsius fundationem, nationes ... a Carolo M. ad nostra tempora ... complectens“. In dem modernen Standardwerk der europäischen Universitätsgeschichte von Rashdall-Powicke-Emden hat diese Legendengläubigkeit du Boulay das Urteil eingetragen, daß „er vielleicht der dümmste Mensch war, der je ein brauchbares Buch schrieb“[83]). Hier aber scheint mir ein modernes Mißverständnis vorzuliegen: Alle aus kleinen Anfängen erwachsenen europäischen Universitäten haben solche Ursprungslegenden entwickelt. Oxford, wo eine Schule sich erst seit dem 12. Jahrhundert nachweisen läßt, führte seine Gründung auf König Alfred den Großen zurück[84]); Bologna, dessen Rechtsschule sich bis in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts zurückverfolgen läßt, fabrizierte sogar im 13. Jahrhundert eine Urkunde, die den Gründungsakt ins Jahr 423 legte, in die Regierung des als Rechtskodifikator berühmten Kaisers Theodosius II.[85]). Erst bei den jüngeren, den gleichsam vom Reißbrett aus erfolgten Universitätsgründungen wie Prag oder Wien hat es solche Legenden nicht mehr gegeben. In ihnen drücken sich Anciennitätsanspruch, Legitimitätsstreben, aber ebenso auch das Bewußtsein aus, daß die dem modernen Historiker als konstitutiv erscheinenden Rechtsakte für die sie bewirkenden Zeitgenossen nur Durchgangsstadien eines sehr viel länger währenden Prozesses waren, dessen konkrete Anfänge sich in graue Vorzeit verloren. Für die Pariser Universität gingen diese Anfänge einerseits auf Karl den Großen zurück, als dessen legitime Nachfolger Frankreichs Könige sich fühlten: unter seiner Regierung habe sich nicht nur die Übertragung der politischen, sondern mit der Begründung des Studium Parisiense auch die Übertragung der geistigen (29) Weltherrschaft auf das Frankenreich vollzogen. Vorbereitet aber hat diese doppelte Translation - nach dem Geschichtsverständnis der Pariser Universität - Dionysius Areopagita: als Repräsentant des griechischen Geistes und als Symbolfigur des französischen Staates.

 

Exkurs: Zur Datierung der Dionysius-Vita Post beatam et gloriosam (BHL 2178)

 

In der anonymen Vita Post beatam et gloriosam (BHL 2178) wird erstmals die Identifikation des Areopagiten mit dem Pariser Bischof Dionysius vorgenommen. Wann geschah das?

 

Überlieferungskritisch darf die Einordnung der anonymen Vita zwischen der Vita Pseudo-Fortunats (BHL 2171)[86]) und der um 835 verfaßten, für die Folgezeit maßgebenden Vita Hilduins (BHL 2175) heute als gesichert gelten[87]). Umstritten ist jedoch der Zeitansatz. Henri Moretus Plantin[88]) stellte die Entstehung dieser Vita unter anderem in den Zusammenhang mit einem Schreiben Papst Pauls I. an König Pippin, abgefaßt zwischen 758 und 763, das von der Übersendung einer Reihe griechischer Werke an den königlichen Hof unterrichtete, unter denen sich auch die Schriften des Pseudo-Areopagiten befanden[89]). Dem hat Loenertz entschieden widersprochen[90]) und selbst die These aufgestellt, die Vita müsse zwischen 817 und 834 entstanden sein, und zwar wahrscheinlich im Zusammenhang der ersten Gesandtschaft des Kaisers Michael II. an den fränkischen Hof im Jahre 824[91]). Seine Auffassung hat sich trotz Moretus Plantins Protest[92]) - allgemein durchgesetzt. So hat sie Heinz Löwe im 3. Heft des Wattenbach-Levison übernommen[93]), desgleichen Matthias Zender[94]) und František Graus[95]), um nur einige der wichtigsten Namen zu nennen. Man wird dem Versuch von Loenertz, die Argumente Moretus Plantins für seinen Datierungsansatz zu entkräften[96]), nicht jede Beweiskraft absprechen mögen; so erscheint namentlich sein Nachweis gelungen. daß das von Paul I. gegründete römische Kloster St. Dionysius nicht dem Pariser Bischof, sondern dem ersten Papst dieses Namens geweiht war[97]), womit aus Moretus Plantins Beweiskette ein nicht unbedeutendes (30) Glied herausgebrochen wäre[98]). Die von Loenertz vorgebrachten Begründungen für seine eigene These erwiesen sich bei näherem Zusehen jedoch als unhaltbar.

 

1. Grundlage seiner Argumentation ist die Behauptung, das Jahr 817 sei Terminus post quem der Vita, da sie Toulouse als in Aquitanien liegend bezeichne[99]); unter Berufung auf Léon Levillain[100]) meint Loenertz, erst mit der Einfügung der Grafschaft Toulouse in das aquitanische Unterkönigtum im Jahre 817 habe man von Toulouse als einem Teil Aquitaniens sprechen können. Dies ist falsch, ja geradezu unverständlich. Nicht nur, daß bereits Karl der Große 778-781 im Unterkönigtum seines Sohnes Ludwig des Frommen die Grafschaftverfassung einführte und Toulouse als Sitz eines Grafen dieses Königreichs bestimmte[101]): Eugen Ewig hat darüber hinaus gezeigt, daß die spätantike Verwaltungsbezeichnung Aquitanien nach längerer Pause sich bereits im letzten Viertel des 7. Jahrhunderts wieder durchsetzte und zwar mit dem nunmehrigen Mittelpunkt Toulouse als ehemaligem westgotischen und fränkischen Königssitz[102]). Es kann also keine Rede davon sein, daß Toulouse mit der geographischen Bezeichnung Aquitanien erst in der ersten oder gar der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts verbunden wurde.

 

2. Loenertz’ Erwägungen, die Vita Post beatam et gloriosam ließe sich am ehesten mit der Gesandtschaft Kaiser Michaels 824 in Verbindung bringen, scheitern schon daran, daß der als ältester Textzeuge geltende ehemals Reichenauer Cod. Karlsruhe, Aug. CCXXXIII paläographisch an den Anfang des 9. Jahrhunderts zu setzen ist[103]) und bereits in dem auf 821/22 datierten Reichenauer Bibliothekskatalog erwähnt wird[104]). Die Datierung des Katalogs ist zwar (31) nicht über jeden Zweifel erhaben[105]), auch bestritt Max Buchner[106]) die erstmals von Camilla Weltsch-Weishut[107]) vorgenommene Identifikation des Katalogeintrags von 821/22 mit der genannten Reichenauer Handschrift, doch sind seine Einwände von Moretus Plantin zu Recht als unbegründet zurückgewiesen worden[108]).

 

3. Daß die anonymeVita während der Amtszeit des Abtes Hilduin (814-840) entstanden sein soll, läßt sich nicht vereinbaren mit der Tatsache, daß Hilduin eine durch Homoioteleuton an entscheidender Stelle (bei der behaupteten Konsekration Dionys’ durch Clemens I.) korrumpierte Fassung für authentisch hielt[109]) und von dieser Vita in einer Weise spricht, als sei sie schon lange vor seiner Zeit entstanden[110]).

 

Es ist nicht einzusehen, weshalb Hilduin hier mala fide gesprochen haben sollte. Vielmehr wird man nicht umhin können, den Zeitansatz Moretus Plantins erneut prüfend in Erwägung zu ziehen und die Entstehung dieser anonymen Vita mit den 758/63 an den fränkischen Hof gesandten Schriften des Pseudo-Areopagiten in Zusammenhang zu bringen, die in eine Zeit unerhörten Aufschwungs des Klosters unter Abt Fulrad (750-784) fällt[111]).

 

 



* Mit Anmerkungen versehener, leicht überarbeiteter Text der Probevorlesung, die am 20. Februar 1978 im Rahmen des Habilitationsverfahren an der Universität München gehalten wurde. - Für kritische Ratschläge danke ich meinen Kollegen bei den Monumenta Germaniae Historica sowie den Herren Professoren Bernhard Bischoff, Arno Borst und František Graus.

[1] Vgl. zu ihm Aloysius Krchňák, De vita et operibus loannis de Ragusio ( = Lateranum, N.S. 26 Nr. 3-4, Roma 1960).

[2] Der Sermon ist von Alexander Patschovsky herausgegeben in Walter Brandmüller, Das Konzil von Pavia-Siena 1423-1424, 2 Bde. ( = Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 16/I u. II, Münster 1968 u. 1974), hier Bd. 2, 89-124.

[3] Zum Folgenden vgl. Brandmü1ler 1, 49ff.; Krchňák S. 9ff.

[4] Vgl. Conciliorum Oecumenicorum Deereta. Hrsg. von Giuseppe Alberigo u.a. (Bologna 31973) 450.

[5] Dazu Brandmüller 1,86ff.

[6] Johannes de Ragusio, Initium et prosecutio Basiliensis concilii. Hrsg, von František Palacký, Monumenta conciliorum generalium seculi decimi quinti 1 (Wien 1857) 8. Dazu Brandmüller 1,51.

[7] Er hat das Herrenwort „Fiet unum ovile et unus pastor“ (Ioh. 10,16) aus dem Gleichnis vom guten Hirten zum Thema; gleichfalls von Patschovsky in Brandmüllers Quellenband herausgegeben (2, 125-157).

[8] Vgl. das Urteil von František Palacký im Vorwort seiner Anm.6 zitierten Ausgabe (Monumenta conciliorum 1, X).

[9] Rashdall - Powicke - Emden (wie Anm. 83) Bd. 1, 572f.

[10] Daß diese Magister je nach Funktion recht verschiedene Positionen bei den Konzilsdebatten einnehmen konnten, betont Klaus Wriedt, Personengeschichtliche Probleme universitärer Magisterkollegien. Zeitschrift für historische Forschung 2 (1975) 19-30, bes. 28ff. Dem Verfasser danke ich für Einsichtnahme in seine noch ungedruckte Habilitationsschrift („Die deutschen Universitäten in den Auseinandersetzungen des Schismas und der Reformkonzile [1379-1449]. Kirchenpolitische Ziele und korporative Interessen“, Kiel 1972), wo er die These näher begründet, daß die deutschen Universitäten als Korporationen eine im Vergleich zur Pariser Universität nur sehr geringe Bedeutung für das Konzilsgeschehen hatten und die deutschen Universitätsmagister weniger als Gesandte ihrer alma mater, sondern eher in anderer Funktion, etwa als Beauftragte ihrer Landesherren, Einfluß ausübten.

[11] Vgl. den Text (wie Anm. 2) S.99-107. Paris - das moderne Paradies: diese Verbindungslinie zieht schon Gregor IX. 1229 in einem Schreiben, in dem er den Auszug der Pariser Magister und Studenten nach Toulouse beklagt; ein Bild, das seit 1254 in fast genau denselben Wendungen, wie sie Johannes von Ragusa benutzt, in den Sprachgebrauch von Universitätsschriftstücken eingeht (Denifle - Chatelain, Chartularium Universitatis Parisiensis 1 [Paris 1899] 128 u. 252 Nr.71 u. 230). Im Sermo "Vivat rex" von 1405 hat Jean Gerson daraus dann eine förmliche Konzeption der Translatio studii gemacht: Die Weisheit begann mit Adam im Paradies und findet den Endpunkt ihrer Wanderungen schließlich in Paris (Jean Gerson, Oeuvres complètes 7, ed. Palémon Glorieux [Paris 1968] 1138 Nr.398). Vgl. zu diesem Problemkreis George H. Williams, Wilderness and Paradise in Christian Thought. The Biblical Experience of the Desert in the History of Christianity and the Paradise Theme in the Theological Idea of' the University (New York 1962), hier bes. 158-183.

 

[12] Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. zum 16. Jahrhundert (Weimar 1939; Darmstadt 21960) Bd. 1, 177ff. Zustimmend Marc Bloch,in: Annales d’ histoire sociale 2 (1940) 144f.

[13] Grundlegend für das Folgende das in der vorigen Anmerkung zitierte Werk von Schramm. Dazu Marc Bloch, Les rois thaumaturges. Étude sur le caractère surnaturel attribué à la puissance royale particulièrement en France et en Angleterre ( = Publications de la Faculté des Lettres de l'Université de Strasbourg 19, Strasbourg - Paris 1924). - Die einzelnen Elemente der Königssymbolik sind in der von Johannes von Ragusa eingehaltenen Reihenfolge angeführt (wie Anm. 2, S. 102-104); dorther sind auch die Belege entnommen.

[14] Zur Trojanersage Arno Borst, Der Turmbau von Babel 2,1 (Stuttgart 1958) 459ff.; František Graus, Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter (Köln-Wien 1975) 81ff. An älterer Literatur vgl. Maria Klippel, Die Darstellung der fränkischen Trojanersage in Geschichtsschreibung und Dichtung vom Mittelalter bis zur Renaissance in Frankreich (Diss. phil., Marburg 1936)? dazu Anneliese Grau, Der Gedanke der Herkunft in der deutschen Geschichtsschreibung des Mittelalters (Trojasage und Verwandtes) (Diss. phil., Leipzig 1938).

[15] Fredegar II,4-6 u.III, 2ff., ed. Krusch, MGH SS rer.Merov. 2,45ff. u. 93ff.; die Sage findet sich auch (und von Fredegar unabhängig) im nicht viel jüngeren Liber historiae Francorum c. 1ff., ed. Krusch, ebd. 241ff. An späteren Chronisten seien Sigebert von Gembloux (MGH SS 6,300) und Vincenz von Beauvais genannt (Spec. hist. 16,3; Ausgabe Douai 1624, 619).

[16] Schramm 21, 241f.

[17] Schramm 21, 145ff.; Bloch 224ff.

[18] Vita s. Remigii (BHL 7155) c. 15, ed. Krusch, MGH 88 Merov. 3,296f.

[19] Schramm 21,150; vgl. auch Blech 402ff.

[20] Über St-Denis als Aufbewahrungsstätte von „Heiltümern“ der Nation vgl. Schramm 21, 134.

[21] Der Legende nach gehen sie auf Chlodwig zurück; Bloch 229ff. (mit Angabe der älteren Literatur), Schramm 21, 239f. Beide kennen die Legende nur aus Quellen des 14.Jahrhunderts. Demgegenüber glaubt Émile Roy, Philippe le Bel et la 1égende des trois fleurs de lis, in: Mélanges de philologie et d'histoire offerts à M. Antoine Thomas (Paris 1927) 383-388, Zeugnisse beibringen zu können, die auf eine Entstehung im 13. Jahrhundert, zur Zeit Ludwigs IX. des Heiligen (1226-1270), hinweisen. Belege sind ihm der Roman de la belle Helaine, überliefert in Handschriften des 15. Jahrhunderts, vielleicht aber schon im 13. Jahrhundert entstanden, sowie eine Urkunde Philipps des Schönen, die arma Clodovei regis (im Gegensatz zu arma nostra franca communia) erwähnt, womit nach Roy das Lilienwappen gemeint wäre. Offenbar zustimmend zu dieser These B1och, in: Annales d'histoire sociale 2 (1940) 145 Anm. 5.

[22] Bei Johannes von Ragusa ist das nicht ganz klar, denn er spricht vom vexillum crucis; vgl. jedoch den Sermon (wie Anm. 2) 104 Anm. 59. - Zur Oriflamme und ihrer Geschichte vgl. Schramm 21, 139f., 204f., 240; Bloch 235f. Dazu Carl Erdmann, Kaiserfahne und Blutfahne (SB der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1932, 28) 889-896; Laura Hibbard-Loomis, L'oriflamme de France et le cri „Munjoie“ au XIIe siècle. Le Moyen Age 65 (1959) 469-499. Besonders für die spätere Geschichte vgl. Philippe Contamine, L'oriflamme de Saint-Denis aux XIVe et XVe siècles (Nancy 1975; = Annales de l'Est 5e série 25 [1973] 179-244).

[23] Chanson de Roland v. 3093-95.

[24] Erdmann, Kaiserfahne 893 sieht im Bericht des Gervasius von Canterbury (nach 1210) über die Kämpfe Philipps II. August mit dem Grafen von Flandern im Jahre 1184 das erste sichere Zeugnis für die Gleichsetzung beider Fahnen (vgl. ed. Stubbs, Rer. Brit. Ser. [73], 1, 1879, 309; =MGH SS 27, 302). Siehe auch Hibbard-Loomis 481, 491.

[25] Ausführlich dazu Schramm 21, 131ff. mit weiterführenden Angaben.

[26] Vgl. Alain Erlande-Brandenburg, Le roi est mort. Étude sur les funérailles, les sépultures et les tombeaux des rois de France jusqu’à la fin du XIIIe siècle ( = Bibliothèque de la Soeiété française d’Archéologie 7, Genève 1975) bes. 68-86, sowie Karl Heinrich Krüger, Königsgrabkirchen der Franken, Angelsachsen und Langobarden bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts. Ein historischer Katalog ( = Münstersche Mittelalter-Schriften 4, München 1971) 171-189, 475ff. Es ist zu betonen, daß St-Denis als Königsgrablege in merowingischer und karolingischer Zeit nur einer unter mehreren praecipua loca sanctorum im Frankenreich war (s. Krüger 442ff., Erlande-Brandenburg 68-73) und erst unter den Kapetingern St-Denis im Regelfall Königsgrablege wurde (berühmte Ausnahmen: Philipp I., † 1108, begraben in Fleury; Ludwig VII., † 1180, begraben im Zisterzienserkloster Barbeau; Ludwig XI., † 1483, begraben in Notre-Dame de Cléry). Wie wenig festgelegt noch im 11. Jahrhundert die Tradition von St-Denis als der zentralen Grabstätte der fränkischen Könige war, zeigt die Rivalität des Klosters St. Emmeram in Regensburg, das damals der Abtei St-Denis sogar den Besitz der Dionysius-Reliquien streitig machte. Hierzu eingehend Andreas Kraus, Die Translatio S. Dionysii Areopagitae von St. Emmeram in Regensburg (SB der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1972,4) Wie weit freilich in St. Emmeram hinsichtlich der Königsgräber Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften, zeigt Alois Schmid, Die Herrschergräber in St. Emmeram zu Regensburg. Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (= DA) 32 (1976) 333-369. Doch auch in St-Denis behauptete man, Gräber von Merowingerkönigen zu besitzen, die dort anscheinend nie bestattet worden sind (vgl. Krüger 178-181).

[27] Schramm 21, 133f.

[28] Hierzu vgl. neben der Anm. 22 genannten Literatur besonders Robert Barroux, L’Abbé Suger et la vassalité du Vexin en 1124. Le Moyen Age 64 (1958) 1-26. Zu den Vorgängen auch Walther Kienast, Deutschland und Frankreich in der Kaiserzeit (900-1270) (Stuttgart 21974) Teil 1, 190ff. Siehe auch Laetitia Boehm, Gedanken zum Frankreich-Bewußtsein im frühen 12. Jahrhundert. Historisches Jahrbuch 74 (1954) 681-687.

[29] Vgl. besonders Graus. Lebendige Vergangenheit 148ff.

[30] Belegt im einzelnen von Contamine, L’oriflamme (wie Anm. 22). Es ist jedoch zu betonen, daß die Bedeutung der Oriflamme wesentlich auf ihrer Verbindung zum Karlsmythos beruht (dieser Zusammenhang am deutlichsten bei Schramm 21, 131ff.) und daß Dionysius als eigentlicher Schlachtenhelfer kaum in Erscheinung tritt; dies einschränkend gegenüber seinen Ausführungen in „Lebendige Vergangenheit“ 153: František Graus, Der Heilige als Schlachtenhelfer - Zur Nationalisierung einer Wundererzählung in der mittelalterlichen Chronistik, in: Festschrift für Helmut Beumann zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Kurt-Ulrich Jäschke und Reinhard Wenskus (Sigmaringen 1977) 330-348, hier 339.

[31] Vgl. Contamine, L’oriflamme 58ff.

[32] Zu den geschichtlichen Ereignissen vgl. die unten S. 25 Anm. 76 angegebene Literatur. Zur Stelle genügt der Hinweis (auch hinsichtlich der historischen Wertung) auf die im Rahmen der von Gustave G1otz herausgegebenen Histoire Générale erschienene Histoire du Moyen Age, Bd.7,1: La France et l’Angleterre en conflit, bearb. von Joseph Calmette und Eugène Déprez (Paris 1937) 344ff., 368ff., 411ff.

[33]Auf das Programm dieser Skulpturenreihe als Ausdruck der englischen Staatssymbolik machen Calmette - Déprez 328f. aufmerksam unter Hinweis auf James Charles Wall, The Tombs of the Kings of England (London 1891) 300. Vgl. dazu: Royal Commission on Historical Monuments (Engfand). An Inventory of the Historical Monuments in London, Bd. 1 : Westminster Abbey (London 1924) 4 und 71-73 mit Tafel 132  über die Chantry Chapel Heinrichs V. und die Skulpturenreihe mit dem hl. Dionysius; letztere ist auch  abgebildet auf Tafel 18 des einschlägigen Aufsatzes von John Hope, The Funeral, Monument, and Chantry Chapel of King Henry the Fifth. Archaeologia 65 (1914) 129-186, bes. 153ff. zur Kapelle und S. 170 zum Figurenprogramm der Altarwand. Zusammenfassend: The History of the King’s Works. Hrsg. von H. M. Colvin, Bd. 1 : The Middle Ages (London 1963) 488f. – Herrn Dr. Timothy Reuter (Exeter) danke ich für Rat und Hilfe, in dieser Angelegenheit.

Zur Georgsverehrung allgemein Sigrid Braunfels-Esche, Sankt Georg. Legende, Verehrung, Symbol (München 1976), hier bes. 93ff. über die Georgsverehrung in England.

[34] Jules Tardif, Monuments historiques, in: Inventaires et documents, publiés par ordre de l’empereur (Paris 1866) 213 Nr.379: ... quoniam jure et consuetudine regum Francorum demigrantium insignia regni ipsi sancto martyri tanquam duci et protectori suo referuntur, coronam patris nostri ei reddidimus ... Es handelt sieh um jene Urkunde, mit der Ludwig Vl. dem Kloster St-Denis die Krone seines Vaters aushändigte und damit dem Anspruch des Klosters auf Verwahrung der Reichsinsignien stattgab; dazu Schramm 21, 132 (der allerdings zu Unrecht „suo“ auf Ludwig Vl. bezieht).

[35] Pseudo-Turpin, Historia Karoli Magni et Rotholandi c. 30. Eine kritische Edition der wichtigen Quelle steht bekanntlich immer noch aus, und im höchsten Grade unbefriedigend ist der Stand der quellenkritischen Diskussion. Von den bisherigen, jeweils nur einen Teil der Überlieferung berücksichtigenden Ausgaben ist am brauchbarsten Christopher Meredith-Jones, Historia Karoli Magni et Rotholandi ou Chronique du Pseudo-Turpin. Textes revus et publiés d’après 49 manuscrits (Paris 1936), hier 216/17-220/21 , sowie Adalbert Hämel, Der Pseudo-Turpin von Compostela. Aus dem Nachlaß hrsg. von André de Mandach (SB der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1965,1), hier 88f. - Die für uns einschlägige Textpassage findet sich nur in der ausführlichen Fassung (A6 u. Calixtinus bei Meredith-Jones, siehe auch Häme1), nicht in der kürzeren Version, repräsentiert durch die Hs. Paris, BN lat. 17656 (ed. H. M. Smyser, The Pseudo-Turpin [ = The Mediaeval Academy of America. Publication 30, Cambridge/Mass. 1937]). Welche dieser beiden Fassungen die ältere ist, ob, wann, wie und wo speziell c. 30 entstanden ist: darüber gehen die Ansichten weit auseinander. Die ältere Diskussion referiert knapp Schramm 21, 142 mit Anm. 1 u. 2 in Bd. 22, 92f. und 22, 15f. Dazu André de Mandach, Naissance et développement de la Chanson de Geste en Europe, I: La Geste de Charlemagne et de Roland, II: Chronique de Turpin, Texte anglo-normand inédit de Willem de Briande (Arundel 220) (= Publications romanes et françaises 69 u. 77, Genf 1961 u. 1963), hier 1, 56ff., 77ff., bes. 85f., resümierend 2, 13f. De Mandach vertritt die These, c. 30 sei nebst anderen Kapiteln in der Umgebung Papst Calixts II. (1119-1124) in die bereits um 1100 in Spanien entstandene Urfassung Pseudo-Turpins eingeführt worden - eine bloße Spekulation, die der kritisch-philologischen Grundlage ermangelt. Als gesichert kann lediglich gelten, daß die unten genannte Karlsfälschung von c. 30 Pseudo-Turpins abhängt, nicht umgekehrt (so überzeugend Meredith-Jones 323-333 im Kommentar zu c. 30). Wann jedoch c. 30 entstand - dessen auf St-Denis weisender Interpolationscharakter m. E. evident ist, dafür gibt es bisher keine verläßlichen, den möglichen Entstehungszeitraum (12. Jhdt.) präzise eingrenzenden Anhaltspunkte.

[36] DD Karl der Große Nr. 286. Zur zeitlichen Bestimmung (zwischen 1156 und 1248, vielleicht vor 1162) siehe C. Van de Kieft, Deux diplômes faux de Charlemagne pour Saint-Denis, du XIIe siècle. Le Moyen Âge 64 (1958) 401-436. Zum Problem der Lehnsabhängigkeit des Königs vgl. trotz der kritischen Einwände Van de Kiefts Barroux (wie oben Anm. 28).

[37] Vgl. hierzu und zu den weitergehenden Ansprüchen des Klosters (etwa auch der legitime Krönungsort zu sein) Schramm 21, 131ff., 142ff., zuletzt mit Blick auf Aachen und die Heiligsprechung Karls des Großen 1165 Erich Meuthen, Karl der Große - Barbarossa - Aachen. Zur Interpretation des Karlsprivilegs für Aachen, in: Karl der Große 4: Das Nachleben. Hrsg. von Wolfgang Braunfels und Percy Ernst Schramm (Düsseldorf 1967) 54-76, hier bes. 57 u. 61; ders., Barbarossa und Aachen. Rheinische Vierteljahrsblätter 39 (1975) 28-59, hier bes. 40; dazu Jürgen Petersohn, Saint-Denis -  Westminster - Aachen.Die Karls-Translatio von 1165 und ihre Vorbilder. DA 31 (1975) 420-454, hier bes. 436ff.

[38] Guillaume de Saint-Pathus, Vie de Saint Louis, ed. Henri-François Delaborde ( = Collection de textes [27], Paris 1899) 44; Gesta sancti Ludovici Noni (Ivos, Mönches von St-Denis), ed. Bouquet 20,51f. Dazu Schramm 21, 143 mit Anm. 4 in Bd. 22, 95. - Zu Philipp II. August (1180-1223) vgl. B1och, in: Annales d’histoire sociale 2 (1940) 145 Anm. 5 mit Hinweis auf François Le B1anc, Traité historique des monnoyes de France (Amsterdam - Paris 1692) 158, der dort aus dem Registerband JJ 8 der Archives nationales fol. 10 zitiert: Dominus rex quando ivit ad sanctum Dionysium 4 Bysant.

[39] Grundlegend zur Entwicklung und geschichtlichen Einordnung der Dionysius-Viten sind die Arbeiten von Henri Moretus Plantin, Les Passions de saint Denys, in: Mélanges offerts au R. P. Ferdinand Cavallera (Toulouse l948) 215-230; ders., Les Passions de saint Lucien et leurs dérivés céphalophoriques ( = Bibliothéque de la Faculté de Philosophie et Lettres de Namur 15, Namur-Löwen-Paris 1953) bes. 20-28; Raymond J. Loenertz, La 1égende parisienne de S. Denys l’Aréopagite. Sa genése et son premier témoin. Analecta Bollandiana 69 (1951) 217-237. Mit Vorsicht zu benutzen ist Max Buchner, Quellenfälschungen aus dem Gebiete der Geschichte 3: Die Areopagitika des Abtes Hilduin von St. Denis und ihr kirchenpolitischer Hintergrund (Paderborn 1939; zuvor erschienen in: Historisches Jahrbuch 56-59, 1936-1939).

[40] Diese Identifikation wird erstmals in der anonymen Vita Post beatam et gloriosam (BHL 2178) vorgenommen. Zu ihrer Datierung siehe den Exkurs unten S. 29ff.

[41] Eine kritische Ausgabe existiert weder von der griechischen Originalfassung noch von den diversen im abendländischen Bereich wirksam gewesenen lateinischen Übersetzungen. Die Schriften sind zu benutzen in der von Philippe Chevallier besorgten synoptischen Ausgabe von zwölf mittelalterlichen und neuzeitlichen Fassungen des griechischen und lateinischen Textes, erschienen (ohne Nennung des Herausgebers) unter  dem Titel „Dionysiaca“, 2 Bde. (s. 1. [Brügge] 1937 [und 1950]). Zu Werk und Wirkung vgl. am besten die Übersicht im Doctionnaire de Spiritualité 3 (Paris 1957) col. 244-429. Zu den Übersetzungen vgl. zu der im folgenden genannten Literatur auch Martin Grabmann, Die mittelalterlichen lateinischen Übersetzungen der Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita, in: Mittelalterliches Geistesleben 1 (München 1926) 449-468.

[42] Grundlegend zu ihm Maïeul Cappuyns, Jean Scot Érigène, sa vie, son œuvre, sa pensée ( = Universitas Catholica Lovaniensis. Dissertationes ad gradum magistri in Facultate Theologica consequendum conscriptae, Series 2 Tomus 26, Paris 1933); zur Übersetzung des Pseudo-Dionysius bes. S. 150ff. Hierzu vor allem Gabriël Théry, Scot Érigène traducteur de Denys. Bulletin Du Cange - Archivum Latinitatis Medii Aevi 6 (1931) 185-278. Zu einzelnen Aspekten von Eriugenas Werk und Umwelt vgl. den Sammelband „Jean Scot Érigène et l’histoire de la philosophie. Laon, 7-12 juillet 1975“ ( = Colloques internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique 561, Paris 1977).

[43] Hyacinthe-François Dondaine, Le Corpus dionysien de l’Université de Paris au XIIIe siècle (Rom 1953). Vgl. auch Jeanne Barbet, Le traitement des „Expositiones in ierarchiam caelestem“ de Jean Scot par le compilateur du Corpus dionysien du XIIIe siècle, in: Jean Scot Érigène (1977) 125-134.

[44] Kritisch herausgegeben von Jeanne Barbet, Iohannis Scoti Eriugenae Expositiones in ierarchiam coelestem (CC cont. med. 31, Turnhout 1975).

[45] Migne PG 4, 16-432, 528-576.

[46] Herausgegeben von Ernst Dümmler, MGH Epp. 6,158-161 Nr. 14 bzw. Ernst Perels und Gerhard Laehr, MGH Epp. 7, 430-434 Nr. 13.

[47] Migne PL 175, 923-1154, zur handschriftlichen Verbreitung vgl. Rudolf Goy, Die Überlieferung der Werke Hugos von St. Viktor. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte des Mittelalters ( = Monographien zur Geschichte des Mittelalters 14, Stuttgart 1976) 181-196, 518.

[48] Den Text der Nova translatio vgl. in Chevalliers Dionysiaca; der Kommentar ist noch

unveröffentlicht. Grundlegend zu Person und Werk des Johannes Saracenus sind die Studien

vorGabriii1 Th~ry: ExistetiluncommentairedeJeanSarrazinsurla4<Hi6rarchiee61este»du PseudoDenys?. Revue des seieneesphilosophiques etth~ologiques 11 (1922) 7281; der s.,

Jean Sarrazin, "tradueteur" de Scot Prigene, in: Studia Mediaevalia in honorem ...

Raymundi Josephi Martin ... LXXum natalem diern agentis (Brügge s. d. [19481) 359381 ;

d ers., Documentg eoneernant Jean Sarrazin. reviseur de la tradttetion ~rig~nienne du Corpus

dionysiacuin. Archives d'Histoire Doctrinale et Litteraire du Moyen Age 2526 (19501951)

4587 (dort 45f. Edition vom Prolog des Kommentars).

[49] Herausgegeben in Chevalliers Dionysiaca 1, 671-717 und 2, 1041-1066. Zu Person und Werk vgl. aus der umfangreichen Literatur besonders Gabriël Théry, Thomas Gallus. Aperçu biographique. Archives d’Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Age 14 (1939) 141-208. Ergänzt wurde seither vor allem die Werksliste; siehe zuletzt James Walsh, The ‚Expositions’ of Thomas Gallus on the Pseudo-Dionysian Letters. Ebd. 38 (1963) 199-220; zu früheren Funden vgl. Dondaine (wie Anm. 43) 31f. mit Anm. 29.

[50] BHL 2175.

[51] Fund und kritische Edition dieser Übersetzung, verbunden mit einer minutiösen Analyse des Textes werden Théry verdankt: Études dionysiennes 1 u. 2: Hilduin, traducteur de Denys ( = Études de philosophie médiévale 16 u. 19, Paris 1932 u. 1937). Die ebd. 20 Anm. 2 angekündigte Neuausgabe von Hilduins Dionysius-Vita im Rahmen von Bd. 3 der Études dionysiennes ist nicht mehr zur Ausführung gekommen.

[52] Abälard, Historia calamitatum, ed. J. T. Muckle, Mediaeval Studies 12 (1950) 197ff.

[53] Vgl. zu ihm neben der Anm. 28 genannten Literatur die Biographie von Otto Cartellieri, Abt Suger von Saint-Denis, 1081-1151 ( = Historische Studien 11, Berlin 1898), bes. 71ff.; Hubert Glaser, Beati Dionysii qualiscumque abbas. Studien zu Selbstbewußtsein und Geschichtsbild des Abtes Suger von Saint-Denis (Diss. phil., München 1957): ders., Sugers Vorstellung von der geordneten Welt. Historisches Jahrbuch 80 (1960) 93-125. Obwohl ohne Nachweise, vgl. die vorzügliche Einleitung zu Edition. Übersetzung und Kommentar dreier Suger-Schriften von Erwin Panofsky, Abbot Suger on the Abbey Church of St.-Denis and Its Art Treasures (Princeton/New Jersey 1946) 1-37.

[54] Zu Act. 17,22-23, ed. Alessandro Perosa (s. l. [Florenz] 1970) 167; in der von Erasmus besorgten Editio princeps, Paris 1505, fol. 25v. - Die Zweifel am Dionysius-Bild der Hilduin-Vita waren allerdings auch nach  Abälard nicht ganz verstummt, wie man sie schon vor ihm gelegentlich beobachten kann. Vgl. die Vies des saints et des bienheureux selon l’ordre du calendrier avec l’historique des fêtes, par les RR. PP. Bénédictins de Paris 10 (Paris 1952) 279 mit Hinweis auf die Martyrologien des 9. Jahrhunderts von Florus von Lyon, Ado mid Usuard, sowie Borst (wie Anm. 82) 14, der auf Petrus Comestor verweist (hier Historia Scholastica, Act. c. 89, Migne PL 198, 1703).

[55] Vgl. etwa Hermann Ley, Patristische Literatur als Quelle für die Geschichte von Aufklärung und Atheismus. Zur paradoxen Funktion des Corpus Areopagiticum. in: Das Korpus der griechischen christlichen Schriftsteller. Historie, Gegenwart, Zukunft. Eine Aufsatzsammlung. Hrsg. von Johannes Irmscher und Kurt Treu (Berlin 1977) 77-89, hier 77.

[56] Es genügt hier der Hinweis auf den einleitenden Beitragvon René Roques zur Erforschung des pseudo-areopagitischen Werkes im Rahmen des umfangreichen Dionysius-Areopagita-Artikels im Dictionnaire de Spiritualité 3 (1957) col. 245ff.

[57] Hierzu maßgebend Werner Goez, Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Tübingen 1958).

[58] So insbesondere Otto von Freising, Chronica VII 35, ed. Adolf Hofmeister, MGH SS rer. Germ. in usum scholarum [45] (21912) 372; dazu Goez (wie Anm. 57) 118f. und vor allem 378-381 (Exkurs I: „Translatio religionis“) über die Herkunft des Motivs und seine Verbindung mit dem Gedanken der Übertragung des Gottesreichs von den Juden auf die Heiden-Christen.

[59] Hierzu eingehend Herbert Grundmann, Sacerdotium - Regnum - Studium. Zur Wertung der Wissenschaft im 13. Jahrhundert. Archiv für Kulturgeschichte 34,1 (1951) 5-21 (Nachdruck in: Ausgewählte Aufsätze 3 [ = Schriften der MGH 25,3, Stuttgart 1978] 275-291); Franz Josef Worstbrock, Translatio artium. Über die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie. Archiv für Kulturgeschichte 47 (1965) 1-22; A.G. Jongkees, Translatio Studii: les avatars d’un thème médiéval, in: Miscellanea Mediaevalia in memoriam Jan Frederik Niermeyer (Groningen 1967) 41-51. Von der sonstigen Literatur sind nach wie vor unentbehrlich die Bemerkungen und Belege von Étienne Gilson, Humanisme médiéval et Renaissance (1930), nachgedruckt in: ders., Les idées et Les lettres (Paris 1932) 183ff., dazu ders., La philosophie au moyen âge (Paris 21944) 194, der als erster auf diesen Problemkreis aufmerksam machte. Über die Nachwirkung des Themas im Frankreich Franz’ I. vgl. Franco Simone, Il Rinascimento Francese ( = Biblioteca di Studi Francesi 1, Torino 1961) 317-322. Der freundlichen Vermittlung von Prof. Bernhard Bischoff verdanke ich die Einsicht in das Manuskript der Arbeit von David Louis Gassman, Translatio studii: A Study of Intellectual History in the Thirteenth Century (Ph. D. Thesis, Cornell University 1973), der man für die Drucklegung vor allem eine erhebliche Straffung wünscht.

[60] Vgl. den Text des Sermons (wie Anm. 2) 99-102 u. 106f. - Es braucht kaum betont zu werden, daß Johannes von Ragusa auch diesen Zusammenhang nicht als erster sah. Die Tradition vom Wechselverhältnis politisch-militärischer und geistiger Macht ist für das geistige Leben Frankreichs von Chrétien de Troyes geprägt worden, in dessen Cligés (entstanden 1171-1176/7) es im Prolog heißt (ed. Alexandre Micha, Les romans de Chrétien de Troyes édités d’après la copie de Guiot [Bibl. nat. fr. 794] 2 [ = Les classiques français du moyen âge 84, Paris 1957] S. 2 vv. 28-33: = ed. W. Foerster [2Halle 1901] S. 1f. vv. 30-35):

 

                  Ce nos ont nostre livre apris

                  Qu'an (Que ed. Foerster) Grece ot de chevalerie

                  Le premier los et de clergie.

                  Puis vint chevalerie a Rome

                  Et de la clergie la some,

                  Qui or est an France venue.

 

[61] Alkuin in einem Brief an Karl den Großen. ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. 4,279 Nr. 170: ... forsan Athenae nova perficeretur in Francia, immo multo excellentior. Quia haec Christi domini nobilitata magisterio omnem achademicae exercitationis superat sapientiam. Illa, tantummodo Platonicis erudita disciplinis, septenis informata claruit artibus; haec etiam insuper septiformi sancti Spiritus plenitudine ditata omnem saecularis sapientiae excellit dignitatem.

[62] Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni 12, ed. Hans F. Haefele, MGH SS N.S. 12 (1959) 3: Cuius in tantum doctrina fructificavit, ut moderni Galli sive Franci antiquis Romanis et Atheniensibus ęquarentur.

[63] Otto von Freising, Chronica 1 prol., ed. Adolf Hofmeister MGH SS rer. Germ, in usum scholarum [45] (21912) 8: Hinc (sc. Ägypten) trans1atam esse scientiam ad Grecos, deinde ad Romanos, postremo ad Gallos et Hyspanos diligens inquisitor rerum inveniet. Et notandum, quod omnis humana potentia seu scientia ab oriente cepit et in occidente terminatur, ut per hoc rerum volubilitas ac defectas ostendatur. Vgl. damit Hugo von St. Victor, Didascalicon III 2, ed. Charles Henry Buttimer ( =  The Catholic University of America. Studies in Medieva1 and Renaissance Latin 10, Washington 1939) 52: Aegyptus mater est artium, inde in Graeciam, deinde in Italiam venerunt. Von einer Weiterwanderung nach Gallien erwähnt er nichts. - Johannes de Garlandia, Epithalamium Beatae Virginis, Prolog, ed. Antonio Saiani, Quadrivium 6 (1964) 33f. [ = ed. L. J. Paetow, Morale Scolarium of John of Garland (Berkeley 1927) 100f.]. Der ganze Prolog des zwischen 1229 und 1258 entstandenen Werkes beschäftigt sich mit dem philosophie motus circularis, doch wird die Ankunft der Philosophie in Gallien – ähnlich Otto von Freising – nicht auf die Zeit Karls des Großen eingeengt (iam ita gradatim transalpinavit in Galliam philosophica <erg. Speculacio> Parisius ... ).

[64] Vincenz von Beauvais, Speculum historiale 23, 173 (Ausgabe Douai 1624. 960): hoc itaque monasterium (sc. B. Martini Turonensis) ... donante Carolo suscepit regendum Alcuinus scientia vitaque praeclarus, quia sapientiae studium de Roma Parisios transtulit, quod illuc quondam a Graecia trans1atum fuerat a Romanis. Fueruntque Parisiis fundatores huius studii quatuor monachi Bedae discipuli Rabanus et Alcuinus, Claudius et Ioannes Scotus. (Vincenz’ Quellenangabe „ex chronicis“ ist nicht auf Helinand von Froidmont zu beziehen, wie Grundmann, Arch. f. Kulturgesch. 34, 14 mit Anm. 19 und, ihm folgend, Jongkees 45 mit Arm. 29 angeben).

[65] Vgl. die oben Anm. 48 angegebene Literatur.

[66] Vgl. den Text (wie Anm. 2) 105. - Eine vergleichbare (wenn auch naturgemäß sehr viel kürzere) Gelehrtenkette gibt Vincenz von Beauvais in der sog. Apologia Actoris, dem „Generalprolog“ zu seinem Gesamtwerk, dem Speculum Maius. Er führt dort nach den Kirchenvätern (Pseudo-Dionysius bis Isidor) als Autoritäten, denen er zu folgen beabsichtigte, an (Apol. Act. c. 12, Ausgabe Douai 1624 des Speculum naturale 10; verbesserter Text von Anna-Dorothee v. den Brincken, Geschichtsbetrachtung bei Vincenz von Beauvais. Die Apologia Actoris zum Speculum Maius. DA 34[1978] 483f.): Medium vero locum tenent doctores ceteri, prudentes quidem et catholici, sed non canonizati, ut Ysichius ( = Hesychios von Jerusalem), Beda presbiter et Alcuinus Karoli magister, Rabanus et Strabus eiusdem discipulus, Haimo (von Auxerre) et Ivo Carnotensis, Richardus et Hugo Parisiensis aliique plurimi.

[67] Vgl. die Nachweise im Dictionnaire de Spiritualité 3 (1957) col. 324-329 (Gervais Dumeige über Richard von St. Victor), col. 343-356 (Joseph Turbessi über Albert den Großen und Thomas von Aquin), ebd. Bd. 1 (1937) col. 1835-1838 (Ephrem Longpré über Bonaventura). Dazu besonders H.F. Dondaine, L’objet et le ‘medium’ de la vision béatifique chez les théologiens du XIIIe siècle. Recherches de Théologie ancienne et médiévale 19 (1952) 60-130 (79ff. speziell über Alexander von Hales). Siehe auch Joseph Ratzinger, DieGeschichtstheologie des heiligen Bonaventura (München-Zürich 1959), bes. S. 89ff.

[68] Vgl. den Text der Sermone „Ini consilium, coge concilium“, „Fiet unum ovile“ sowie des von Alfred Gawlik herausgegebenen Sermons „Reformabit corpus“ (1423 Oktober 31) in dem Anm.2 zitierten Quellenband Walter Brandmüllers zum Konzil von Siena, bes. 105f., 126-128, 132f., 158-161, 164. Für das Interesse des Johannes von Ragusa am Werk des Pseudo-Areopagiten zeugt auch die Tatsache, daß sich unter seinen griechischen Handschriften, die er zumeist während seines Aufenthaltes in Konstantinopel 1435-1437 erworben hatte, auch zwei Bände mit Dionysii opera befanden; vgl. André Vernet, Les manuscrits grecs de Jean de Raguse († 1443). Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 61 (1961) 75-108, hier 92f. Nr. 37 und 38 (freundlicher Hinweis von Prof. Bernhard Bischoff).

[69] Siehe oben 17.

[70] Zum Folgenden Grundmann, Sacerdotium - Regnum - Studium. Arch. f. Kulturgesch. 34, 13ff.; Worstbrock, ebd. 47, 17; Jongkees 49f.

[71] Im Zusammenhang mit dem Bericht über die Auseinandersetzungen zwischen der Universität und der Bürgerschaft in Paris in den Jahren 1229-1231 teilt Wilhelm von Nangis in den Gesta Ludovici IX ad a. 1230 das Folgende mit (ed. Daunou-Naudet, Recueil des Historiens des Gaules et de la France 20 [Paris 1840] 318/20): Eodem anno magna dissensio Parisius inter clericos et burgenses fuit orta. Nam burgenses quosdam de clericis occiderunt, ei ideo clerici Parisius recedentes per diversas mundi provincias dispersi sunt. Videns autem rex Franciae Ludovicus, quod studium literarum ei philosophiae, per quod thesaurus scientiae, qui cunctis aliis praeeminet et praevalet, acquiritur, recessisset Parisius, quod primo venerat ab Athenis Romam et a Roma cum militiae titulo in Galliam, graviter coepit dolere ... Si enim tam pretiosissimus thesaurus sapientiae salutaris, quod olim de Graecia sequendo Dionysium Areopagitam Parisius ad partes Gallicanas devenerat cum fide et militiae titulo, de regno Franciae tolleretur, maneret utique liliatum signum regis Franciae, quod trini floris folio depictum est, in una parte sui mirabiliter deformatum. Vgl. dazu den Parallelbericht in Wilhelms Chronik, ebd. 546. Siehe auch das Zitat unten 25 Anm. 75. Schwach angedeutet findet sich die Kulturmission des hl. Dionysius schon bei Johannes de Garlandia in dessen Parisiana poetria (entstanden ca. 1220, überarbeitet zwischen 1231 und 1235) c. 3, ed. Traugott Lawler (New Haven - London 1974) S.52/54 [ = ed. Giovanni Mari, Romanische Forschungen 13 (1902) 905]. Es heißt dort, Dionysius habe in Athen, dem caput philosophie, der fons trivii, certa quadruviique via, „studiert“ und dann in Gallien gepredigt und dort das Martyrium erlitten. Die Betonung der in Athen empfangenen Bildung suggeriert, daß Dionysius sie auch nach Gallien vermittelt habe; direkt ausgesprochen wird das freilich nicht.

[72] Seine Schriften sind nicht ediert, Person und Werk verdienten eine eingehende Untersuchung. Vgl. zu ihm am besten die knappe Übersicht von Palémon Glorieux, in: Dictionnaire de Théologie Catholique 15 (Paris 1946) col. 778 und ders., La faculté des arts et ses maîtres au XIIIe siècle ( = Études de philosophie médiévale 59, Paris 1971) 371f. Nr. 448. Zu den oben genannten Werken vgl. die zum Teil ausführlichen Exzerpte in französischer Übersetzung im Artikel von B. Hauréau, in: Histoire littéraire de la France 30 (Paris 1888) 398-408, hier bes. 404ff.

[73] Arthur Piaget, Le Chapel des fleurs de lis par Philippe de Vitri. Romania 27 (1898) 55-92; dort 72-92 die kritische Edition des Chapel des trois fleurs de lis. Für unseren Zusammenhang einschlägig sind besonders die Verse 19ff. und 1023ff. ( = Strophe 4 und 156-159):

 

(4)       Les fleurs par qui France a puissance                                    Envoyer ou regne de France

             Sont appellees, sanz doubtance,                                             La noble foy et la creance

             Science, Foy, Chevalerie                                                1034         Sanz quii nulz ne puet a Dieu plaire.

             Ces .iii. fleurs font une aliance                                     (158)   Ces .iii. sains, ces .iii. fleurs de France,

             Entr’eulx semblable a l’ordennancé                                       Nous font une signifiance

24          De la souvraine jerarchie. …                                                      Que la souvraine trinité

(156)   Et Jhesucrist, le roi de grace,                                                     A singuliere affection

             De ces .iii. belles fleurs dus face                                             A la françoise region,

            Les .iii. tressains martirs d’Athenes                             1040        Par une especialité,

            Qui ces fleurs en France aporterent                             (159)    Pour ce que Dieu et sainte eglise

             Et l’ennoblirent et douerent                                                        Mieulz serviz y sont, et justise

1028       De si precieuses estrenes.                                                           Mieulz faite qu’en autre païs.

(157)  Diex qui est treble en unité                                                         Et tant comme ce durera

             Si voult par une trinité                                                                 France en grant pouoir regnera;

             De saint Denys, Rust, Eleuthere,                                  1046        Ses anemis seront haïs. .

 

Zu seiner musikgeschichtlichen Bedeutung vgl. den Artikel von Heinrich Besse1er, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart 13 (Kassel u. a. 1966) Sp. 1843-1846; dort auch die nötigen Hinweise zu seinem dichterischen Werk, soweit es bis heute wieder bekanntgeworden ist.

[74] Hierzu besonders Grundmann (wie Anm. 70).

[75] Wilhelm von Nangis, Gesta Ludovici IX ad a. 1230 (Recueil 20, 320): Nam fides gubernatur et regitur sapientia, ac demum militia defensatur. Quamdiu enim praedicta tria fuerint in regno Franciae pariter et ordinate sibi invicem cohaerentia, stabit regnum. Si autem de eodem separata fuerint vel avulsa, omne illud in seipsum desolabitur atque cadet.

[76] Zum Folgenden sei aus der umfangreichen Literatur vor allem auf die Biographien der bedeutendsten Akteure verwiesen: G. Du Fresne de Beaucourt, Histoire de Charles VII, 6 Bde. (Paris 1881-1891), hier bes. Bd. 1 und 2 (1881-1882), die die Jahre 1403 bis 1435 behandeln; Philippe Erlanger, Charles VII et son mystère (Paris 1945; 21973), bes. 280ff. (sehr populär); Malcolm G.A. Vale, Charles VII (London 1974), bes. 31ff.; James Hamilton Wylie und William Templeton Waugh, The Reign of Henry the Fifth, 3 Bde. (Cambridge 1914-1929), bes. Bd. 3, der den Zeitraum 1415-1422 behandelt; populär gehalten sind die              Darstellungen von J. D. Griffith Davies, Henry V (London 1935), bes. 239ff., und Ernest       F. Jacob, Henry V and the Invasion of France (London 1947; 21963); Heidrun Kimm,     Isabeau de Bavière, reine de France 1370-1435 ( = Miscellanea Bavarica Monacensia 13, München 1969), bes. 243ff.; Richard Vaughan, Philip the Good (London 1970), bes. 1ff.; populär, aber gut: Paul Bonenfant. Philippe-Le-Bon (Brüssel 31955), bes.S.33ff.

Dazu vgl. an allgemeinen Darstellungen neben dem Anm. 32 zitierten Bd. 7,1 der Histoire du Moyen Age von Calmette und Déprez (hier bes. 325ff.) die Studie von Paul Bonenfant, Du meurtre de Montereau au traité de Troyes (Académie Royale de Belgique. Classe des Lettres et des Sciences morales et politiques, Mémoires 52,4, Brüssel 1958).

[77] Vgl. das Chartularium Universitatis Parisiensis. Hrsg. von Henricus Denifle und Aemilius Chatelain, Bd. 4 (Paris 1897) 410 Nr. 2200 (Regest). Zur Haltung der Universität Paris gegenüber dem Vertrag von Troyes 1420 Mai 21 vgl. ebd. NNr. 2155 und 2160. - Es braucht hier nicht näher ausgeführt zu werden, wie die innerfranzösischen Auseinandersetzungen zwischen Burgundern und Armagnaken seit dem Mord an Ludwig von Orléans 1407 auch innerhalb der Universität zu Flügelbildungen führten. Dazu und zu der ungewöhnlichen Bedeutung der Universität im politischen Leben Frankreichs vgl. die knappen Bemerkungen bei Rashdall – Powicke - Emden (wie Anm. 83) Bd. 1, 543ff.

[78] Tholomeus von Lucca, Historia ecclesiastica XV 6, ed. L. A. Muratori, Rerum Italicarum scriptores 11 (Mediolani 1727) col. 989f. Er berichtet nach Ademar von Chabannes, Chronicon II 8 (ed. J. Chavanon [ = Collection de textes, Paris 1897] 81f.) die hübsche Geschichte, daß Karl der Große anläßlich der Rückführung Papst Leos III. nach Rom (799) und der Kaiserkrönung im Jahre 800 Zeuge eines Wettstreits seiner fränkischen Cantores mit denen des Papstes wurde, den er mit der Frage entschied, ubi esset purior aqua: in fonte vel in rivis? Daraufhin habe Karl römische Cantores mit sich ins Frankenreich genommen, die namentlich an neugegründeten liturgischen Schulen in Metz, Soissons und Orléans den gregorianischen Gesang einführten. Dann fährt Tholomeus fort: I sto etiam eodem tempore dicta gesta tradunt, quod memoratus imperator transtulit studium de Roma Parisios per Alcuinum philosophum. Bei Ademar hatte es hinsichtlich der Translationstheorie eher unbestimmt geheißen: Et domnus rex Karolus iterum a Roma artis grammatice et computatorie magistros secum adduxit in Franciam et ubique studium litterarum expandere jussit. Ante ipsum enim domnum regem Karolum in Gallia nullum studium fuit liberalium arcium.- Zur Historia ecclesiastica, ihrer Überlieferung und Datierung vgl. Ludwig Schmugge, Zur Überlieferung der Historia Ecclesiastica nova des Tholomeus von Lucca. DA 32 (1976) 495-545 (ergänzend dazu: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 57 [1977] 347-353).

[79] Alexanders Schriften sind herausgegeben von Herbert Grundmann und Hermann Heimpe1, MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters 1,1 (Stuttgart 1958); das Memoriale ebd. 91-148. Zu Alexander und seiner Geschichtsauffassung neben dem Anm. 59 zitierten Aufsatz (Sacerdotium - Regnum - Studium) eingehend Grundmann, Über die Schriften des Alexander von Roes. DA 8 (1950) 154-237 (Nachdruck in: Ausgewählte Aufsätze 3 [ = Schriften der MGH 25,3, Stuttgart 1978] 196-274). Auf seinen Ausführungen beruht das Folgende.

[80] Dazu Joseph Lecler, L’argument des deux glaives (Luc XXII, 38). Recherches de science religieuse 21 (1931) 299-339 und 22 (1932) 151-177, 280-303; Wilhelm Levison, Die mittelalterliche Lehre von den beiden Schwertern. DA 9 (1952) 14-42.

[81] Dazu ausführlich Grundmann, Sacerdotium - Regnum - Studium.

[82] Arno Borst, Geschichte an mittelalterlichen Universitäten (= Konstanzer Universitätsreden 17, Konstanz1969) wertete die wechselnde Wirkung dieser und anderer Gründungslegenden auf das Geschichtsbewußtsein der Zeitgenossen als Indikator für deren Bereitschaft, mit Gregors VII. bekanntem Ausspruch ernst zu machen: „Jesus hat gesagt: Ich bin die Wahrheit; er hat nicht gesagt: Ich bin die Gewohnheit“ (ep.67 der Edition von H. E. J. Cowdrey, TheEpistolae vagantes [!] of Pope Gregory VII [Oxford 1972] 151; dazu G. B. Ladner, in: Studi Gregoriani 5 [1956] 225ff.). Vgl. auch Herbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie derWissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse 103, 2, Berlin 1957; Nachdruck in: Ausgewählte Aufsätze 3 [ = Schriften der MGH 25,3, Stuttgart 1978] 292-342) hier bes. 61 ff.

[83] Hastings Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages. A New Edition in Three Volumes. Hrsg. von F. M. Powicke und A. B. Emden (Oxford 1936), hier Bd. 1 269.

[84] Gegen diese Legende energisch Stellung zu nehmen, sah sich noch Heinrich Denifle veranlaßt: Die Universitäten des Mittelalters bis 1400, Bd.1: DieEntstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400 (Berlin 1885) 237ff. Vgl. auch Rashdall – Powicke – Emden 3,5ff., sowie Alfred B. Cobban, The medieval universities: their development and organisation (London 1975) 96ff.

[85] Vgl. Gina Fasoli - Giovanni Battista Pighi, I1 privilegio teodosiano. Edizione critiea e commento, in: Studi e memorie per la storia dell’ Università di Bologna, N.S. 2 (Bologna 1961) 55-94 (Text 60-64).Dazu Borst (wie Anm.82) 22ff. Siehe auch Rashdall - Powicke - Emden 1, 142f.; Cobban 50f.

[86] Das Entstehungsdatum ist auch hier umstritten und abhängig vom dornenreichen Datierungsproblem der Vita Genofevae (BHL 3335; ed. Krusch. MGH SS rer. Merov. 3, 204-238). Zur Diskussion am besten Wilhelm Levison, in: Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger 1 (Weimar 1952) 113 Anm. 254 und 123 mit Anm. 287. Levison sprach sich für das 8. Jahrhundert als Entstehungszeit aus; dagegen Moretus Plantin, Mélanges Cavallera 217 und vor allem Loenertz, Anal. Boll. 69, 217ff., in Nachfolge von Levillain (wie unten Anm. 100) 9ff., die alle für 475-520 als Entstehungszeitraum eintraten (ihnen schloß sich stillschweigend Heinz Löwe, in: Wattenbach-Levison 3 [Weimar 1957] 319 an).

[87] Dies das übereinstimmende Ergebnis der oben Anm. 39 genannten Arbeiten von Moretus Plantin und Loenertz, mit dem ältere anderslautende Einordnungsvorschläge hinfällig wurden.

[88] Moretus Plantin, Mélanges Cavallera, bes. 226ff.

[89] MGH Epp. 3, 529 Nr. 24; ausführlich dazu Théry (wie Anm. 51) 1ff.

[90] Loenertz, Anal. Boll. 69. bes. 234ff.

[91] Ebd. 228-234.

[92] Moretus Plantin, Les Passions de saint Lucien 27f.

[93] Wattenbach-Levison 3 (1957) 319f. mit Anm. 90.

[94] Matthias Zender, Die Verehrung des Hl. Dionysius von Paris in Kirche und Volk, in: Landschaft und Geschichte. Festschrift für Franz Petri zu seinem 65. Geburtstag am 22. Februar 1968. Hrsg. von Georg Droege u. a. (Bonn 1970) 528-551, hier 530.

[95] Graus, Lebendige Vergangenheit 150 mit Anm. 28.

[96] Loenertz, Anal. Boll. 69, 234ff.

[97] Dazu speziell Loenertz, Un prétendu sanctuaire romain de saint Denys de Paris. Analecta Bollandiana 66 (1948) 118-133.

[98] Vgl. Moretus Plantin, Mélanges Cavallera 227.

[99] Loenertz, Anal. Boll. 69, 223, 225, 228ff.

[100] Léon Levillain, Études sur l’abbaye de Saint-Denis à l’époque mérovingienne.Bibliothèque de l’École des Chartes 82 (1921) 5-116, hier 56.

[101] Vgl. Léonce Auzias, l’Aquitaine carolingienne (778-987) ( = Bibliothèque méridionale, 2e série 28, Toulouse-Paris 1937) bes. 17. Ebd. 79ff. zur territorialen Eingrenzung des Unterkönigtums Aquitanien und dessen Übertragung an Kaiser Ludwigs des Frommen Sohn            Pippin (I.) im Zusammenhang mit der Ordinatio imperii von 817. Vgl. auch Eugen Ewig, L’Aquitaine et les pays rhénans au haut moyen âge (1958; zitiert nach dem Wiederabdruck in:           ders., Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften [1952-1973]. Hrsg. Von Hartmut Atsma l [ = Beihefte der Francia 3/1, Zürich-München 1976) 553-572, hier 568ff.

[102] Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein im Frankenreich des 7. Jahrhunderts (1958; zitiert nach: ders., Spätantikes und fränkisches Gallien 1,1976) 231-273, hier 238-241. Siehe auch ders., Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts (1964; zitiert nach: ders., Spätantikes und fränkisches Gallien 1, 1976) 323-361, hier 325 mit Anm. 9, 347 Anm. 155, 357.

[103] Vgl. Bernhard Bischoff, Wendepunkt in der Geschichte der lateinischen Exegese im Frühmittelalter (1954; zitiert nach dem Wiederabdruck in: ders., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte 1, Stuttgart 1966) 266 (Der Datierungsansatz „Anfang“ des 9. Jahrhunderts ist nach freundlicher Auskunft von Prof. Bischoff sehr eng zu fassen und nicht über das erste Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts auszudehnen.) Siehe auch die Beschreibung von Alfred Holder, Die Handschriften der großherzoglich badischen Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe 5: Die Reichenauer Handschriften 1 (Leipzig 1906) 531-533.

[104] Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz Bd.1: Die Bistümer Konstanz und Chur, bearb. von Paul Lehmann (München 1918) 251: Item passiones Dyonisii, Rustici et Eleutherii et brevis expositio in epistolas VII canonicas in codice I. Vgl. auch den zwischen 835 und 842 entstandenen Katalog der von und für Reginbert geschriebenen und erworbenen Bücher, ebd. 260: In XVI. libello est explanatio brevis super VII epistolas canonicas et passio sanctorum Dyonisii, Rustici et Eleutherii martyrum et homelia pertinens ad solemnitatem eorum (die Homilie ist von anderer Hand als der Haupttext; s. Ho1der 533). - Vgl. auch ebd. 223 die Bemerkungen von Paul Lehmann über die engen Beziehungen der Reichenau zu Frankreich, namentlich zu St-Denis.

[105] Hinzu kommt das Problem der Überlieferung: Das Original des Katalogs ist verloren und nur nach einem neuzeitlichen Druck sowie einer Handschrift des 9. Jahrhunderts rekonstruierbar. Diese beiden Textzeugen weisen jedoch erhebliche Unterschiede auf, und so ist es auch in unserem Fall nicht sicher, ob der Katalogeintrag bezüglich der Dionysius-Vita nicht Nachtrag ist; vgl. die Vorbemerkung von Lehmann 240ff. sowie ebd. 250 Variante zu Z. 34.

[106] Buchner, Areopagitka (wie Anm. 39) 109f.

[107] C. Weltsch-Weishut, Der Einfluß der „Vita S. Dionysii Areopagitae“ des Abtes, Hilduin von St. Denis auf die hagiographische Literatur (Diss. phil., München 1922) Exkurs 5 ff.

[108] Moretus Plantin, Mélanges Cavallera 223. - Die Identität der Katalogeinträge von 821/22 und 835/42 mit dem Inhalt der Hs. Karlsruhe, Aug. CCXXXIII ergibt sich nicht nur bezüglich der Dionysius-Vita, sondern vor allem auch hinsichtlich der mitüberlieferten bzw. -erwähnten Kommentare zu den Katholischen Briefen. Kommentare zu diesen Briefen sind im frühen Mittelalter verhältnismäßig selten (vgl. Bischoff 212); für den in der genannten Reichenauer Handschrift überlieferten Kommentar z. B. ist diese Handschrift der einzige bekannte Textzeuge (Bischoff 266). Bei dieser Überlieferungslage wird man schwerlich mit Buchner während der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in der Reichenau neben der heute Karlsruher Hs. Aug. CCXXXIII die Existenz noch einer zweiten Handschrift annehmen können, die mit jener die gleiche Kombination von Dionysius-Vita und Briefkommentaren aufgewiesen, sich von ihr aber hinsichtlich der Vita-Fassung unterschieden haben soll. Vielmehr verbürgt die unikale Überlieferung der Kommentare zu den katholischen Briefen die Richtigkeit der von Weltsch-Weishut vorgenommenen Identifikation.

[109] AA SS Okt. 4, 792 § 4: Sed cum jam Dominus omnipotens beatissimi viri Dionisii vitam disponeret in exemplo omnibus declarare, contigit Philippum Hispaniae episcopum emigrare de mundo; tum beatus C1emens sanctum Dionysium episcopum ornavit et potestatem, quam a beato Petro acceperat, ei tradidit ... (die gesperrten Worte fehlen in einer Handschriften-Klasse). Vgl. dazu den Brief Hilduins an Ludwig den Frommen, mit dem er ihm seine eigene Dionysius-Vita übersandte, MGH Epp. 5, 332 Z. 31ff.: Quod autem dicunt in passione istius beati Dionysii scriptum haberi, quia eum sanctus Clemens episcopus ordinaverit et Gallias miserit, procul dubio sciant, quia aut predictam passionem ex veris et emendatioribus exemplaribus non susceperunt aut scriptorum vitio depravatam legerunt, quoniam non ibi scribitur eum episcopum a beato Clemente consecratum, sed apostolum totius Galliae fuisse ordinatum ... Zur Sache vgl. Loenertz, Anal. Boll. 69, 226f. und 229f.

[110] Er nennt diese Vita einen libellus antiquissimus passionis eiusdem (sc. beati Dionysii); dessen Identität mit der anonymen Vita Post beatam et gloriosam wies iNloretus Plantin, Mélanges Cavallera 225f. zwingend nach; vgl. auch Loenertz, Anal. Boll. 69, 228-231.

[111] Zu Fulrad vgl. Josef Fleckenstein, Fulrad von Saint-Denis und der fränkische Ausgriff in den süddeutschen Raum, in: Studien und Vorarbeiten zur Geschichte des großfränkischen und frühdeutschen Adels. Hrsg. von Gerd Tellenbach ( = Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 4, Freiburg i. Br. 1957) 9-39; ders., Die HofkapelIe der deutschen Könige 1 ( = Schriften der MGH 16/1, Stuttgart 1959) 45ff.