V. Zur Ketzerverfolgung Konrads von Marburg

plus ultra ...!

Hermanno Heimpel

Octogesimum annum complenti.

I n h a 1 t: 1. Wie verlief die Inquisition Konrads von Marburg?, S. 642. - 2. Der Abschnitt De secta Manicheorum im Sammelwerk des Passauer Anonymus als Zeugnis der Inquisition Konrads von Marburg, S. 651. - 3. Konrad von Marburg als Ketzerrichter, S. 665. - Exkurs: War Konrad von Marburg an der Verurteilung des Propstes Heinrich Minnike von Neuwerk in Goslar beteiligt?, S. 690.

Nicht allzu oft fiel das einhellige Urteil der Zeitgenossen wie der Historiker unserer Tage über eine geschichtliche Gestalt so zwiespältig aus wie bei Konrad von Marburg, der sich als Kreuzprediger einen Namen machte, der als Seelenführer der heiligen Elisabeth (und treibende Kraft bei ihrer Heiligsprechung) zu Berühmtheit gelangte und dessen erbarmungslose Ketzmerfolgung von 1231 bis zu seiner Ermordung 1233 ihm den Ruf eines düsteren Fanatikers eintrug[1]. Dieser letzteren Rolle gilt der folgende (642) Beitrag, der keine abschließende Gesamtwürdigung von Konrads Verhalten im Rahmen der Ketzerverfolgung seiner Zeit beabsichtigt, sondern der zum einen die bisher bekannte Quellengrundlage erweitern und zum anderen die rechtliche Seite vom Vorgehen Konrads gegen die Ketzer neu beleuchten soll.

Vorausgeschickt sei jedoch eine knappe Skizze vom Gang der Ereignisse, teils zur leichteren Einordnung der hier im Mittelpunkt stehenden Fragen, vor allem aber, weil die bisherigen Darstellungen in unkritischer Vermengung der verschiedenen Quellenaussagen davon ein reichlich irreführendes Bild entworfen haben.

1. Wie verlief die Inquisition Konrads von Marburg?

Den zeitlichen Rahmen von Konrads Tätigkeit auf dem Felde der Ketzerverfolgung stecken eine Reihe von Papstschreiben ab. Am Anfang steht ein Brief Gregors IX. vom 12. Juni 1227, worin der Papst Konrad befiehlt, in Fortsetzung schon vorausgegangener Ketzersuche weiterhin in Deutschland Ketzer aufzuspüren, um sie von den zuständigen Gerichten aburteilen zu lassen[2]. Dieses Schreiben ist von der Forschung zu Recht als (643) Aufforderung verstanden worden, per denuntiationem als „Synodalzeuge“ Ketzer vor das bischöfliche Sendgericht zu bringen[3]. Einen wesentlichen Schritt weiter führt dann ein Brief Gregors IX. vom 11. Oktober 1231 mit der Übertragung inquisitiorischer Vollmachten an Konrad, die das Recht vor allem zur selbständigen Gerichtsausübung, zur Subdelegierung bestimmter Verfahrensteile, zur Anrufung des „weltlichen Arms“ und zur Verhängung von Exkommunikation und Interdikt gegen die Protektoren von Ketzern beinhalteten[4]. Nicht immer ist in der Forschung erkannt (644) worden, daß Konrad mit diesem Schreiben zum päpstlichen delegierten Richter bestellt wurde, die päpstliche Ketzerinquisition damit in Deutschland, ja überhaupt in Europa, ihren Anfang nahm[5]. Die päpstliche Über(645)tragung inquisitorischer Vollmachten an Konrad ist nicht isoliert zu sehen, denn mit fast denselben Worten hat Gregor IX. wenige Tage später, am 22. November 1231, dem Regensburger Dominikanerprior Burkard und dessen Mitbruder Theodorich dieselben Kompetenzen zugesprochen, unter Verwendung des für die Betrauung mit dem Inquisitorenamt namentlich der Dominikaner dann geradezu klassisch werdenden Briefformulars mit dem Exordium Ille humani generis[6]. Im Oktober 1231 also begann Konrads selbständige Inquisitionstätigkeit als delegierter päpstlicher Richter, und zwar als einer von mehreren[7], deren Inquisitionssprengel im übrigen nicht (646) klar voneinander abgegrenzt erscheinen[8]. Er waltete bis zu seiner Ermordung am 30. Juli 1233 dieses Amtes. In diesen knapp zwei Jahren übte Konrad ein derartiges Schreckensregiment aus, daß der Anteil der neben ihm wirkenden dominikanischen Inquisitoren gänzlich verblaßte und den Zeitgenossen allein als sein Werk erschien, das sie bezeichnenderweise an die Verfolgung rechtgläubiger Christen durch den die Arianer fördernden römischen Kaiser Konstantius II. und an Julian Apostata erinnerte[9].

Über das, was da geschah, berichten hauptsächlich vier Chronisten, deren Zeugnis von sehr unterschiedlichem Quellenwert ist: 1. Die bei weitem beste Quelle ist die anonyme Continuatio IV der Gesta Treverorum, verfaßt ca. 1242, mit ausgewogenem und sachkundigem Urteil, nüchterner Sprache und offenkundig zuverlässiger Berichterstattung[10]; 2. ergänzend dazu treten die um 1254 niedergeschriebenen Annalen der Erfurter Dominikaner, die leider keine zusammenhängende Schilderung, sondern auf die Jahre 1232-1234 verteilte Notizen bieten, diese freilich schnörkel(647)los, sorgsam und treffend[11]; 3. von weitaus minderer Qualität, mit deutlicher Neigung zur Legendenbildung und zum falschen Verknüpfen von Tatsachen ist die bis 1241 reichende Weltchronik des Zisterziensers Alberich von Troisfontaines, deren hauptsächlicher Wert in der Überlieferung eines ungemein wichtigen Zeugnisses besteht: eines Schreibens Erzbischof Siegfrieds III. von Mainz (1230-1249) und des Dominikaners Bernhard, bezeichnet als „ehemaliger Pönitentiar des Papstes“[12] , das unter scharfer Mißbilligung von Konrads prozeßrechtlichem Vorgehen Gregor IX. über die Maßnahmen der Mainzer Synode vom 2. April 1234 unterrichtete, die mit der Ordnung der inquisitorischen Hinterlassenschaft Konrads beschäftigt gewesen war[13]; 4. einen äußerst geringen Quellenwert schließlich besitzt der nur aus späten Überlieferungen rekonstruierte Text einer von 1221 bis 1261 reichenden Wormser Bischofschronik, deren konfuser, ins Moralisierend-Erbauliche gewendeter und mit etlichen nachweislichen Falschinformationen befrachteter Bericht mehr den Wert eines Stimmungsbildes als den einer Fundgrube hieb- und stichfester Nachrichten besitzt[14]. Aus dieser Charakterisierung ergeben sich die Folgerungen für die Verwendung der vier Quellen von selbst: jede Darstellung der Ereignisse muß von der Continuatio IV der Gesta Treverorum ausgehen (künftig: Cont. Trev.), deren Bericht mit den gleichrangigen Nachrichten der Erfurter Dominikaner (künftig: Ann. Erph. OP) und des Briefes Siegfrieds III. von Mainz und des Dominikaners Bernhard (künftig: Ep. Sigfr.) zu verbinden ist; größte Vorsicht jedoch ist gegenüber den anderen Mitteilungen Alberichs und vor allem der Wormser Bischofschronik am Platz.

(648) Danach läßt sich von Oktober 1231 bis Juli 1233 folgender Ablauf der Ereignisse erschließen: Konrad von Marburg, als princeps et caput huius persecutionis von der Cont. Trev. apostrophiert[15], hatte sich – der Anweisung Gregors IX. folgend[16] - zwei Gehilfen zugesellt, die als subdelegati für ihn tätig waren[17] und in dieser Funktion vor allem die Voruntersuchungen geführt haben müssen[18]. Es handelte sich um Konrad Tors, einen Dominikaner[19], und um einen Mann namens Johannes (offenbar ein Laie), der durch das in der Vorstellung eines mittelalterlichen Menschen böse Omen eines fehlenden Auges und einer fehlenden Hand gezeichnet war[20]. (649)Beide machten sich derart verhaßt, daß selbst das Gerücht umlief, sie seien ehemals Ketzer gewesen[21], und daß die Wormser Bischofschronik ihnen sogar die zunächst führende Rolle bei der ganzen Verfolgung zurnaß[22]. Das letztere ist sicher falsch, das erstere kaum richtig[23], aber beide Behauptungen illustrieren den Ruf, den sich diese Gehilfen in Diensten Konrads erworben haben, und die Nachricht der Wormser Bischofschronik erscheint diesmal glaubhaft, daß beide nach Konrads Ermordung auch selbst umkamen: der eine, Konrad Tors, in Straßburg, der andere, Johannes, in Friedberg (Hessen)[24]. Dieses Dreiergespann hat zahllose angebliche oder wirkliche Häretiker auf den Scheiterhaufen gebracht[25], und es machte an keiner sozialen Schranke halt[26]: Unter den ca. 50 Männern, die (650) nach Konrads Tod eine Rehabilitierung der von Konrad ausgesprochenen Verurteilung als geständige Ketzer erreichten, war z. B. kein geringerer als ein Graf von Solms[27]. Eines anderen aber wurde Konrad nicht Herr, und der Prozeß gegen ihn bildete zugleich Peripetie und Anfang vom Ende seiner Inquisitionstätigkeit: das war der Prozeß gegen den mächtigen Grafen Heinrich III. von Sayn († 1247)[28], dem es gelang, seine Sache der Inquisitionsjustiz Konrads zu entziehen und nach den Regeln des ordentlichen deutschrechtlichen Klageverfahrens unter Vorsitz des Königs (Heinrich VII.) vor seinen fürstlichen Standesgenossen (geistlichen wie weltlichen) auszufechten, mit Konrad als Ankläger[29]. Als sich vor diesem Forum die von Konrad ins Feld geführten Zeugenbeweise (die anderswo zum Tode oder entehrenden Geständnis geführt hatten) als wertlos erwiesen, Konrad zudem noch zum Ketzerkreuzzug gegen Leute aufgerufen hatte, die sich seinem Tribunal nicht stellen wollten, war die Empörung so allgemein, daß König Heinrich (VII.) und die Erzbischöfe von Mainz und Trier sich beschwerdeführend an den Papst wandten und Konrad unmittelbar darauf mit seinem Gefährten, dem Franziskaner Gerhard Lutzelkolb[30], ermordet wurde. Im Gegensatz zu dem wenig später (1252) von Katharern umgebrachten Inquisitor Petrus Martyr hat er es auch nie zur Ehre der Altäre gebracht, obwohl es gewisse Ansätze zu einem lokalen Kult gab[31]. (651) Dies in großen Zügen die Geschehnisse nach den bisher bekannten Quellen[32]. Nicht hinsichtlich des Geschehens, wohl aber nach der häresiegeschichtlichen Seite hin läßt sich das Spektrum dieser Zeugnisse erweitern um eine bisher nicht ins Blickfeld getretene Quelle:

2. Der Abschnitt De secta Manicheorum im Sammelwerk des Passauer Anonymus als Zeugnis der Inquisition Konrads von Marburg

Der häreseologische Teil des Sammelwerkes eines um 1260/66 schreibenden unbekannten Geistlichen der Passauer Diözese - daher in der Literatur Passauer Anonymus genannt - gegen Juden, Ketzer und Antichrist[33] enthält unter der Überschrift De secta Manicheorum ein Konglomerat von Textstücken, die sich bei näherem Zusehen wenigstens teilweise dem historischen Zusammenhang der Inquisition Konrads von Marburg zuweisen lassen[34]: 1. einen frei formulierten Auszug aus dem Manichäerkapi(652)tel in Augustins Traktat De haeresibus (c. 46); 2. den Auszug aus dem Verhörsprotokoll eines für kürzere oder längere Zeit in Löwen ansässig gewesenen Katharers namens Burchard (Manichei cuiusdam confessio sive Paterini sive cuiusdam de alta secta); 3. den Bericht über die Katharersekte (error Katerorum de alta vita) auf der Grundlage des Geständnisses eines Ketzers Lepzet, das jener in facie burgensium et populi Coloniensis abgelegt habe; 4. ein ebenfalls ins Sammelwerk des Passauer Anonymus aufgenommenes, aber nur in einer bestimmten, außerhalb der Passauer-Anonymus-Tradition stehenden Überlieferung (Hs. St. Gallen 974) im Kontext des „Manichäer“-Abschnitts befindliches Frageformular zum Zwecke inquisitorischer Ketzerverhöre[35].

Von diesen Textstücken weist vor allem Nr. 3, der Bericht über die Katharersekte nach dem Geständnis des in Köln verhörten Ketzers Lepzet, deutliche Übereinstimmungen mit drei Quellen für die Ketzerverfolgung Konrads von Marburg auf: 1. mit den in der Cont. Trev. Notierten articuli haereticorum; 2. mit bestimmten Nachrichten Alberichs von Troisfontaines, auch mit der von ihm überlieferten Ep. Sigfr.; 3. mit Gregors IX. Schreiben „Vox in Rama“ (1233 Juni 11, 13, 14)[36], das aufgrund von Berichten Erzbischof Siegfrieds III. von Mainz, Bischof Konrads von Hildesheim und Konrads von Marburg[37] das Bild einer dem Teufelskult huldigenden Sekte in Deutschland entwirft.

Besonders das Porträt dieser „luziferianischen“ Sekte in Gregors IX. „Vox in Rama“ gleicht bis in den Wortlaut hinein dem, was der Ketzer (653) Lepzet in Köln über die Katharerriten gestanden haben soll. Das beginnt mit der Schilderung des Szenariums vom Initiations- bzw. Versammlungsritus der Sekte, wo der Novize beim Austritt aus dem Haus des ihn in die Sekte aufnehmenden „Meisters“ zu küssen hat, was immer ihm begegnet, und das sind höchst gräßliche Dinge wie einen schwarzen Mann von schrecklicher Gestalt und bleichem Antlitz sowie eine Kröte; und schließlich haben alle Sektenangehörigen auf dem Höhepunkt der Feier das Hinterteil eines Katers zu küssen, in welcher Gestalt ihnen der Teufel zu erscheinen pflegt, der nach dem Kußakt das Licht löscht und damit das Zeichen gibt zum freien - und zwar widernatürlichen - Geschlechtsverkehr. Die entsprechenden Textpassagen im Geständnis des Ketzers Lepzet und in „Vox in Rama“ lauten[38]:


 

Passauer Anonymus,

De secta Manicheorum

Cum quis sectam Katerorum ingredi desiderat, primo altaria omnium sanctorum cum natibus suis tribus vicibus osculatur renunciando ecclesiasticis sacramentis. Demum ingressus domum magistri erroris illius iubetur osculari quodcumque occurreret ei primum, quando limen domus egreditur. Et statim occurrit ei statura horribilis facie pallidus homo niger, quem osculans procedit; et tunc occurrit ei bufo maximus ad modum urne grossus hyanti ore, quem similiter osculatur. Et sic factus frater secte regreditur in domum magistri sui. Quando autem ritus sui erroris volunt exercere, descendunt in speluncam suam sive cellarium occulte, ubi episcopus eorum vel magister primo omnium suas nates denudat, et infigitur natibus eius argenteum coclear, et facta oblacione sua in illo omnes osculantur eum in posteriora adorantes. Postea stantibus vel consedentibus eis circa columpnam subitus venit cattus maximus ascendendo columpnam ad lumen ibidem fixum, ubi aliquamdiu herens caudam suam quasi ad tergum retorquet, et accedunt omnes etosculantur eum in posteriora. Quo peracto cattus lumen extinguit, et statim singuli se abutuntur invicem, masculi in masculos et femine in feminas turpitudinem operantes. Et ita consumatur misterium iniquitatis. 

Gregor IX.,

„Vox in Rama”

Huius pestis initia talia perferuntur: nam dum novitius in ea quisquam recipitur et perditorum primitus scholas intrat, apparet ei species quedam rane, quam bufonem consueverunt aliqui nominare. Hanc quidam a posterioribus et quidam in ore damnabiliter osculantes, linguam bestie intra ora sua recipiunt er salivam. Hec apparet interdum indebita quantitate, et quandoque in modum anseris vel anatis, plerumque furni etiam quantitatem assumit. Demum novitio procedenti occurrit miri palloris homo, nigerrimos habens oculos, adeo extenuatus et macer, quod consumptis carnibus sola cutis relicta videtur ossibus superducta; hunc novitius osculatur et sentit frigidum sicut glaciem, et post osculum catholice memoria fidei de ipsius corde totaliter evanescit. Ad convivium postmodum discumbentibus, etsurgentibus completo ipso convivio, per quandam statuam, que in scholis huiusmodi esse solet, descendit retrorsum ad modum canis mediocris gattus niger retorta cauda, quem a posterioribus primo novitius, post magister, deinde singuli per

ordinem osculantur, qui tamen digni sunt er perfecti; imperfecti vero, qui se dignos non reputant, pacem recipiunt a magistro, et tunc singulis per loca sua positis, dictisque quibusdam carminibus, ac versus gattum capitibus inclinatis: ,Parce nobis’, dicit magister, et proximo cuique hoc precipit, respondente tertio ac dicente: Scimus magister’;quartus ait: ,Et nos obedire debemus’; et his ita peractis extinguuntur candele, et proceditur ad fetidissimum opus luxurie, nulla discretione habita inter extraneas et propinquas. Quod si forte virilis sexus supersunt aliqui ultra numerum mulierum, traditi in passiones ignominie, in desideriis suis invicem exardentes, masculi in masculos turpitudinem operantur, similiter et femineimmutant naturalem usum in eum, qui est contra naturam, hoc ipsum inter se dampnabiliter facientes.

Daß beide Quellen über denselben (angeblichen) historischen Sachverhalt berichten, ist evident. Da bleibt nicht einmal Raum für die - an sich gut mögliche - Annahme, hier könnte eine ältere gemeinsame Überliefe(655)rung vorliegen, denn zwar setzt die Tradition vom Teufelskult der Ketzer lange schon vor Konrad und seiner Zeit ein[39], aber deren ältere (wie jüngere) Ausprägungen stehen - verglichen mit der fast nahtlosen Übereinstimmung zwischen „Vox in Rama“ und dem Manichäerkapitel des Passauer Anonymus -unserem Beispiel doch deutlich ferner. Wir können also davon ausgehen, in diesen beiden Textzeugen zwei verschiedene Stränge ein und derselben Tradition vor uns zu haben, die in dieser Ausprägung im Umfeld von Konrads Inquisition (und nur dort!) anzusiedeln ist und die das Bild vom Ketzer dieser Zeit in Deutschland in unverwechselbarer Weise bestimmte.

Das wird noch unterstrichen durch parallele Nachrichten bei Alberich von Troisfontaines über ein Götzenbild Luzifers in Köln und das Zeugnis der Ep. Sigfr., deren Autoren sich darüber mokieren, Konrad habe seine Opfer zu dem Geständnis gezwungen, „eine Kröte, einen Kater, einen bleichen Mann und ähnliche Ausgeburten des Unglaubens mit dem Friedenskuß begrüßt zu haben“[40]. Komprimiert findet sich dasselbe in der Cont. Trev.[41], vermehrt um eine weitere höchst eigentümliche Nachricht, die nur hier und im Bericht über Lepzets Geständnis überliefert wird, nämlich die Behauptung, die Ketzer würden gegen Zahlung bestimmter (Buß-?)Taxen die Schranke des Verwandtschaftsverhältnisses bei Eheschluß bzw. Geschlechtsverkehr mit der eigenen Mutter (oder Schwester und Patin) für aufgehoben halten[42]:


 

Passauer Anonymus, De secta Ma nicheorum

Matrimonium dampnant dicentes hoc esse iuratoriam fornicacionem; sed incestum naturalem cum matre propria vel sorore aut commatre dicunt esse mundam fornicacionem, dummodo fiat secundum ritum secte, qui talis est: Si quis predictorum vult abuti propria matre, dabit ei XVIII denarios, sex pro eo quod concepit eum, sex pro eo quod peperit eum, sex pro eo quod nutrivit eum; et sic soluta lege nature licenter abutitur ea, quia nichil ei attinere putatur et omnino liber efficitur ab omni reverencia matris naturali, sicut saccus liber efficitur a frumento quando fuerit excussum. Quodsi sorore voluerit abuti, dabit ei sex denarios; si commatre, dabit ei novem denarios.

Cont. Trev.

... alii matres proprias, redimentes consanguinitatem, que ibi erat, per 18 denarios, in coniugium sumebant

(656) Übereinstimmend verbreiten sich der Bericht über das Geständnis Lepzets, die Cont. Trev. und „Vox in Rama“ auch über den Kern der „luziferianischen“ Lehre: den Mythos vom ungerechten Engelssturz und Wiederaufstieg Luzifers in den Himmel am Ende der Zeiten, den die Gläubigen durch besondere Askese geistlich vorzubereiten hätten. Dabei sei als bemerkenswert festgehalten, daß dieses in allen drei Quellen gemeinsam überlieferte Dogma wenigstens teilweise den Aussagen ganz unterschiedlicher Personen entnommen wurde: in der Cont. Trev. einer in Trier verhörten Frau namens Lucardis, im Passauer Anonymus dem Geständnis des Kölners Lepzet; in „Vox in Rama“ ist kein Gewährsmann angegeben, doch braucht dieser mit den beiden anderen nicht identisch gewesen zu sein[43].


 

Passauer Anonymus, De secta Manicheorum

Credunt autem predicti Katari, quod deus celi quem sancta colit ecclesia sit deus iniustus, eo quod per violenciam iniustam de celo expulerit Luciferum, deum suum, quem vocant supremum patrem suum, qui omnia visibilia creavit, ut dicunt, et corpora humana; quem putant in fine seculi per violenciam regnum suum debere recuperare, ita quod sol et luna simul unum puerum procreabunt, qui erit Antichristus, cuius adiutorio vincet Michaelem, et deus celi et angeli eius firmabit(!) regnum Luciferi. Quidam eciam de predictis hereticis magnas agunt penitencias et asperas in auxilium dei sui, ut suum contra deum nostrum obtineat regnum, sicut predictus Lepzet hereticus de se fuit in iudicio publice confessus, videlicet quod quinque annis portaverat cilicium ad carnem propter Luciferum.

Cont. Trev.

Nam exusta est ibi (sc. Trier) quedam Lucardis, que sanctissime vite putabatur, que incredibili lamentatione lugebat Luciferum iniuste de celo extrusum, quem volebat replorare denuo in celum.

„Vox in Rama”

Ad hec infelicissimi omnium miserorum gubernantem celestia pollutis labiis blasphemantes asserunt delirando, celorum dominum violenter contra iustitiam et dolose Luciferum in inferos detrusisse. In hunc etiam credunt miseri, et ipsum affirmant celestium conditorem, et adhuc ad suam gloriam precipitato Domino rediturum, per quem cum eodem et non ante ipsum se sperant eternam beatitudinem habituros.

(658) Wäre somit der Bericht über die Katharersekte nach dem Kölner Geständnis des Ketzers Lepzet zweifelsfrei dem historischen Zusammenhang der Inquisition Konrads von Marburg zuzuordnen, so läßt sich das bei den anderen Textstücken des Manichäer-Abschnitts im Sammelwerk des Passauer Anonymus nicht mit der gleichen Bestimmtheit sagen. Dabei mag es als unerheblich dahingestellt bleiben, ob erst der Passauer Anonymus die Auszüge aus Augustins Manichäer-Kapitel in De haeresibus zusammenstellte oder sie in dieser oder ähnlicher Form schon Konrad von Marburg und seinen Gehilfen oder irgendeinem der anderen in Deutschland tätigen Inquisitoren als Orientierungsgrundlage mit zur Verfügung gestanden haben - die Vertrautheit der deutschen Inquisitoren mit Augustins antimanichäischen Schriften wird man ohnehin voraussetzen können, hatte doch schon Ekbert von Schönau anläßlich der Kölner Katharer-Verurteilungen von 1163 in seinen Sermones adversus Catharorum errores ausdrücklich Augustin als Gewährsmann zur Unterrichtung über die Katharer seiner Zeit in Anspruch genommen[44]. Immerhin fällt auf, daß eine vom Geständnis Burchards zu jenem Lepzets überleitende Textpassage[45] in gleicher Weise aus Augustins De haeresibus stammt wie der Vorspann zu Burchards Geständnis, so daß der Schluß sich aufdrängt, auf jeden Fall diese beiden Abschnitte als Texteinheit zu betrachten, die - da in der Hs. St. Gallen 974 außerhalb der Passauer-Anonymus-Tradition überliefert - zeitlich schon vor diesem Sammelwerk hergestellt worden sein muß.

(659) Von historisch sehr viel größerem Interesse als bei den Augustin-Exzerpten wäre es jedoch zu wissen, ob das Geständnis Burchards selbst in den Zussammenhang der Inquisition Konrads von Marburg gehört. Burchard war zumindest zeitweilig mit seinen Eltern in Löwen ansässig, scheint aber an anderem Ort verhört worden zu sein[46]. Seine Aussagen weisen nun leider nur allgemein bekannte Glaubenssätze der Katharer auf wie die Lehre, daß der Teufel diese Welt geschaffen habe, Christus Mensch, nicht Gott sei, die kirchlichen Sakramente nichts gelten, es weder Fegefeuer noch Auferstehung der Toten gebe; desgleichen kennt er den katharischen Brauch der Endura (wie übrigens auch der Kölner Lepzet), also die Sitte der Tötung Sterbender auf deren Wunsch hin[47]. Das alles läßt keine bestimmte historische Einordnung zu, lediglich der Überlieferungszusammenhang zwischen der Confessio Burchards und jener Lepzets, die Tatsache, daß der geographische Rahmen (Köln/Löwen) in beiden Fällen der gleiche ist, sowie schließlich der Umstand, daß hier wie dort Mitglieder derselben Sekte: der Katharer verhört wurden, von deren Existenz in Deutschland, speziell am Niederrhein, wir nach 1233 nichts mehr hören[48], lassen darauf schließen, daß auch das Geständnis Burchards historisch in den Umkreis der Inquisition Konrads von Marburg gehört.

Dies möchte ich aus Gründen des Überlieferungszusammenhangs schließlich gleichfalls für das nur in der St. Galler Hs. 974 auch im Kontext der Geständnisse Lepzets und Burchards tradierte inquisitorische Frageformular für Ketzer (vor allem Waldenser) annehmen, obwohl sich über Allgemeinheiten hinaus inhaltlich keine Bezugspunkte zu anderen zeitgenössischen Berichten feststellen lassen. Aber die Überlieferung der St. Galler Hs. 974 legt doch sehr nahe, damit zu rechnen, daß ein selbständiger Traktat in Gestalt und im Umfang zumindest der oben erörterten Einzelelemente kursierte, der dann in das um 1260/66 fertiggestellte Sammelwerk des Passauer Anonymus integriert wurde, der also folglich älter ist (660) als diese Kompilation und der - da zumindest ein Teil davon (die Confessio Lepzets) ohne jeden Zweifel dem Umkreis der Inquisition Konrads von Marburg zugewiesen werden kann - wohl insgesamt in diesen historischen Zusammenhang einzuordnen ist.

Was bringt nun diese Erweiterung der Quellenbasis an neuen historischen Erkenntnissen? Zunächst einmal wird Gregors IX. Referat der ihm aus Deutschland zugetragenen Nachrichten über dort kursierende Häresien in willkommener Weise bestätigt und ergänzt; selbstverständlich nicht in dem Sinne, als seien alle hier wie dort festgehaltenen Teufelskult-Scheußlichkeiten wirklich geschehen, sondern daß dieses in die Verhörten hineingefragte[49] Lehren-Gerüst das Bild der „öffentlichen Meinung“ von den Ketzern in größerem Umfang bestimmt haben muß, als es der flüchtige Hinweis der Cont. Trev. auf die Luzifer-Verehrung der Lucardis in

Trier, Alberichs von Troisfontaines ähnlich lautende Notizen bezüglich Köln[50] und der Bericht in „Vox in Rama“ erwartenließen.

Hinzu kommt, daß wir nunmehr in wünschenswerter Deutlichkeit sehen, woher diese Legende vom Teufelskult der Ketzer stammt: Da im Geständnis des Ketzers Lepzet expressis verbis dies als error Katerorum bezeichnet wird, kann man beruhigt allen Spekulationen eine Absage erteilen, hier sei eine eigene „Luziferianer“-Sekte am Werk gewesen[51], oder dies sei alles samt und sonders Ausgeburt einer krankhaften Phantasie[52], (661) sondern wir haben hier nichts anderes vor uns als ein - allerdings bis ins Abstruse verzerrtes - Lehrgebäude der Katharersekte[53]. Das heißt, die Behauptung von Teufelsanbetung, von Askese als Beitrag zur Rückführung Luzifers und der gefallenen Engel in den Himmel, von sexual-moralisch verwerflichem Handeln haben ihre Ansatzpunkte in konkreten, gut bezeugten Lehren der Katharer. Auszugehen ist hier von der katharischen Grundüberzeugung, daß diese, die sichtbare Welt vom Teufel geschaffen und jede Menschenseele einer der mit Luzifer vom Himmel gestürzten Engel sei[54]. Von hier aus eröffneten sich dem Katharer zwei Wege: entweder durch Läuterung in Form asketischer Lebensführung entsühnt zu werden (und wieder Aufnahme in den Himmel zu finden), oder dem Unreinen, „Teuflischen“ in sich Raum zu geben - nicht als etwas Erstrebenswertem, sondern aus schicksalhafter Notwendigkeit[55]. Böse blieb also sehr wohl böse für die Katharer, Luzifer als Herr dieser Welt eine finstere Macht - aber man wußte sich einerseits ihm verfallen, andererseits glaubte man (obwohl Teil seines Reiches) an Erlösung. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, mit wie wenigen Handgriffen aus diesem dualistischen Konzept der Weltordnung und der Selbstidentifikation der Katharer mit den gefallenen Engeln in den Augen der „rechtgläubig“-christlichen Gegner unter Zuhilfenahme uralter spätantiker Traditionen von Teufelskult und Satansmesse ein furchterregendes Bild vom Ketzer als Satansdiener entstand[56]. Konrad von Marburg ist keineswegs dessen Erfinder gewesen, es muß vielmehr nach dem Zeugnis Alans von Lille[57] mindestens schon eine Generation vor ihm voll entwickelt vorhanden gewesen sein. Und er ist auch durchaus nicht der einzige gewesen, der dieses Horrorbild für echt hielt, denn nach dem Zeugnis der Cont. Trev. hat sich (662) die angebliche Luzifer-Anbeterin Lucardis in Trier vor dem Sendgericht des Erzbischofs verantworten müssen[58]; das heißt, ihr Geständnis ist mit den Mitteln der ordentlichen Gerichtsbarkeit erzielt worden, geht nicht etwa auf das Konto dubioser Prozeßführung zurück, wie man sie Konrad von Marburg vorwarf.

Sodann haben wir im Bericht auf der Grundlage von Lepzets Geständnis das einzige ausführlichere Zeugnis über Lebensformen und Lehren der Katharer in Deutschland um 1231/33. Setzt man hier einmal die Teufelskultlegenden beiseite und vergleicht das außerdem Mitgeteilte mit den Berichten anderer Quellen des 12./13. Jahrhunderts über die Katharer, so schälen sich einige recht bemerkenswerte Züge dieser deutschen (genauer gesagt wohl nur: niederrheinischen) Katharer heraus. Da ist zunächst - wie oben schon kurz berührt - die Nachricht über den Brauch der Endura, den Amo Borst erst nach 1275 in Italien, nach 1300 in Südfrankreich sicher bezeugt sieht, unter ausdrücklicher Verwerfung des Zeugnisses unserer Quelle[59]. Da aber auch Burchard von diesem Brauch berichtet (dessen Geständnis zwar nur auf Hörensagen beruht, quellenkritisch aber insofern höher zu bewerten ist als Lepzets Aussage, als es keinerlei unglaubwürdige Elemente zu enthalten scheint), der von beiden geschilderte Vorgang zudem in der Substanz mit den von Borst für echt gehaltenen Berichten (663) übereinstimmt, sehe ich keinen Anlaß, Burchards und Lepzets Zeugnis prinzipiell in Zweifel zu ziehen[60]. Das wären dann mit die frühesten Belege für diesen Brauch[61].

Interessant auch die Notiz über die Ordination eines „Bischofs“ der Sekte nicht durch Wahl eines Erwachsenen, sondern durch Bestimmung und Aufzucht entsprechend den vegetarischen Speisevorschriften der Katharer von Geburt an[62]. Das ist ein anderweitig nirgends bezeugter Modus der „Bischofs“-Ordination und entsprechend mit Vorsicht aufzunehmen, steht jedoch durchaus in Einklang mit den hohen Anforderungen an den reinen Lebenswandel der katharischen perfecti und schon gar ihrer „Bischöfe“[63].

Daß die Nachrichten auf der Grundlage von Lepzets Geständnis trotz der Befrachtung mit angeblichen Luziferianismen keineswegs gering zu schätzen sind, zeigt schließlich auch der knappe Bericht über die rituelle Ehrenbezeugung gegenüber einem katharischen Bischof, das sog. Melioramentum, verbunden mit dem Empfang des katharischen Sakraments der Handauflegung nach Apostelvorbild (Act. 8, 18), des sog. Consolamentum[64]. Denn dieser Ritus wird mit nahezu den genau entsprechenden (lateinischen) Wendungen ca. 1260/70 von dem Dominikaner-Inquisitor (664) Anselm von Alexandria geschildert, der als einer der zuverlässigsten Gewährsleute für Geschichte und Lehren der Katharer gilt[65]:


 

Passauer Anonymus, De secta Manicheorum

Porro quando ad locum secretum credentes conveniunt ante prefatum episcopum, procidunt super genua sua adorantes eum et dicunt singuli: „Parce nobis, domine!” Et subiungit unusquisque dicens huiusmodi verba Teutonice: „Niemer ne mueze ich ersterben, ich ne mueze umb iuch erwerben, daz min ende gut werde, unde miner armen sel rat werde.“ At ille singulis manus imponens dicit hec verba ter super unumquemque adorancium: „Du werdest ein guot man; du werdes ein guot man; du werdes ein guot man.“

Anselm von Alexandria, Tractatus de hereticis

Notandum. Primo ille cui debet fieri manus imposicio facit tres genuflexiones coram prelato, dicendo: „Benedicite, benedicite, benedicite: boni christiani, precamini quod deus conducat me ad bonum finem et defendat me a mala morte. Rogo vos per misericordiam dei ut faciatis michi illud bonum quod dominus fecit vobis.” Et prelatus respondet: „Dominus benedicat te.” Ter dicit hoc.

Schließlich wäre noch anzumerken, daß die Confessio Burchards die Katharersekte als eine zahlenmäßig immer kleiner werdende, absterbende (665) Bewegung erkennen läßt: 24 Jahre vor seinem Geständnis will Burchard von seinem Vater in die Sekte eingeführt worden sein, aber während dieser ganzen Zeit will er an Sektengenossen außer Vater und Mutter und einem Zwillingsbruder namens Wilhelm nur noch einen Barbier (rasor) Heinrich zu Gesicht bekommen haben, ja in den letzten zwölf Jahren überhaupt mit keinem Katharer mehr in Berührung gekommen sein, schließlich sogar in Löwen auf Anraten seiner Eltern die Sekte verlassen haben[66]. Da seine Aussagen keine Schönfärberei erkennen lassen, wird man annehmen können, daß in Deutschland spätestens zur Zeit der Verfolgungen Konrads von Marburg die Katharersekte im Verschwinden begriffen war[67]. Konrads Inquisition gab ihr entweder (falls Burchards Confessio zeitlich tatsächlich hier einzuordnen ist) nur noch den Todesstoß, oder (wenn die Confessio später liegt) sie leitete die Phase des Auflösungsprozesses ein.

3. Konrad von Marburg als Ketzerrichter

Das rechtliche Vorgehen Konrads von Marburg hat in der einschlägigen Literatur eine fast einhellig negative Beurteilung erfahren. Man geißelte seine Justiz als „tumultuarisch und parteiisch“ (P. Hinschius[68]), sprach von „sinnlosem Wüten“ anstelle eines „geordneten Verfahrens“ (P. Braun[69]), mit Worten wie „wirr“, „unsinnig“, „willkürlich“ wurde sein Gerichtsverfahren gebrandmarkt (L. Förg[70]), Albert Hauck hielt es für unbezweifelbar, „daß Konrad, Dorso und andere ihre Vollmachten in frevelhafter Weise überschritten“[71], ja ihm erschien „sein Wüten so sinn(666)los, daß man vermuten möchte, die seelische Erregung, in die er durch die Vorstellung der Ketzergefahr versetzt wurde, sei krankhaft ausgeartet“[72]; noch im jüngsten Abriß seiner Biographie von Peter Segl fallen Worte wie „blindwütiger Fanatismus“, gilt sein Gerichtsverfahren als „ungeregelt“[73].

Dies alles halte ich für falsch! Denn diese Urteile sind eher emotional als quellenkritisch begründet, beruhen auf Klischees schon der Aufklärung vom Wesen der Inquisition und vom Charakter der Inquisitoren; sie zielen zudem am Kern des Problems vorbei. Die furchtbare Wirkung seiner Inquisition hatte ihre Ursache vielmehr nicht in der persönlichen Unzulänglichkeit des Menschen Konrad, sondern in der Sache selbst: in der Ketzerinquisition und dem ihr eigentümlichen Recht. Konrad - dies meine These - hat die Regeln des neuen, prozessualisch noch unerprobten Ketzerinquisitionsverfahrens konsequent angewandt, ging dabei wohl bis an die Grenze von dessen prozeßrechtlichen Möglichkeiten, aber nicht darüber hinaus. Die Folgen waren gleichwohl verheerend, und ein Aufschrei der Empörung ging durch das Land, bis hin zur Ermordung Konrads und seiner Gehilfen. Doch was sich da abspielte und von den Chronisten bewegt geschildert wurde: Verurteilung Unschuldiger, Auflösung sozialer Bindungen („der Bruder klagte den Bruder an, die Gattin den Gatten, der Herr den Diener und der Diener den Herrn“[74]) , das war nicht das Werk eines Verrückten, sondern war die zwangsläufige Folge des Wirkens ketzerinquisitorischer Ausnahmegerichtsbarkeit. Daß man damals (und (667) nicht mehr später) hell aufschrie, lag nicht so sehr daran, daß das Verfahren menschenfreundlicher wurde, sondern daß man sich daran gewöhnte; von der Sache her hätte man noch jahrhundertelang Anlaß gehabt aufzuschreien. 1231/33 aber war das Verfahren neu, und ein am ordentlichen (weltlichen wie geistlichen) Prozeßverfahren orientiertes Rechtsbewußtsein erfaßte den Abgrund, der sich da auftat. Wie wenig Unterschiede es zwischen Konrads Vorgehen und dem voll entwickelten Ketzerinquisitionsverfahren gab, war im Grunde schon Paul Hinschius bewußt, wenn er schreibt[75], „daß das Inquisitionsverfahren gegen die Ketzer, wie es sich seit dem 13. Jahrhundert gestaltet hatte, mit seiner Nichtachtung der Vertheidigungsrechte des Angeschuldigten, dem Ausschluß jeder definitiven Freisprechung, der Tendenz, dem Inquisiten durch alle möglichen Mittel, namentlich die Tortur und lange Inhaftierung Geständnisse abzupressen, und der durch keine festen Regeln eingeschränkten Willkür des Inquisitors darauf angelegt war, den Inquisiten unter allen Umständen zum Schuldigen zu stempeln und dem einmal in die Hand der Inquisition gefallenen Angeschuldigten jedes Entrinnen unmöglich zu machen“. Und er fügt in der Anmerkung hinzu: „In der Wirkung lief dasselbe, wenngleich es sich in geordneteren prozessualischen Formen bewegte, im wesentlichen auf das in den Anfängen der Inquisition von Konrad v. Marburg geübte Verfahren ... hinaus.“

Daß zwischen Konrads Verfahren und der späteren Gerichtspraxis der Ketzerinquisition kein wesensmäßiger Unterschied bestand, läßt sich an einem krassen Beispiel zeigen. Konrad muß sich nämlich voll der Tatsache

bewußt gewesen sein, daß unter seinen Opfern Unschuldige gewesen waren, denn anders ist ein offenkundig authentischer Ausspruch von ihm gar nicht zu verstehen: Den ihre Unschuld standhaft Beteuernden (und folglich als angeblich hartnäckige Ketzer zum Scheiterhaufen Verurteilten) soll Konrad „das Martyrium versprochen“ haben[76], also die zweifelhafte Ehre, von Gott gleichsam in Revision des irdischen Urteilsspruches in die Reihen der Blutzeugen für die christliche Wahrheit aufgenommen zu werden. Dies ist beileibe kein Zynismus[77]: Fast dieselben Worte gebraucht (668) noch Ende des 16. Jahrhunderts der trockene Jurist Francisco Peña, der Herausgeber des inquisitorischen Standardwerkes von Nikolaus Eymerici († 1399) in einer seiner kommentierenden Bemerkungen (die Nikolaus’ Werk für die Zwecke des nachmaligen Sanctum Officium aktualisieren sollten), wo er erwägt, was geschehen solle, wenn jemand durch falsche Zeugen der Häresie überführt werde und der Betreffende nach den Regeln des Ketzerinquisitionsverfahrens selbst noch zu Peñas Zeit nur die Wahl zwischen (falschem) Geständnis und dem Scheiterhaufen hatte. Peña empfiehlt, dem ewigen Tod (Folge der Todsünde bei falschem Geständnis) den zeitlichen (auf dem Scheiterhaufen) vorzuziehen; das bedauernswerte Opfer „möge sich erinnern, daß ihm bei geduldiger Hinnahme von Unrecht und Todespein die Märtyrerkrone winke“[78]. Auch dies ist - buchstäblich - todernst gemeint. Konrad von Marburg und Francisco Peña stehen mit diesem Argument in einer gemeinsamen Tradition, die sich auf das Prinzip gründet, eher ein Fehlurteil in Kauf zu nehmen (auch wenn dann ein Unschuldiger zu Tode kommt) als einen Schuldigen der verdienten Strafe entgehen zu lassen.

Doch betrachten wir der Reihe nach, was den Zeitgenossen am rechtlichen Vorgehen Konrads anstößig erschien. Auszugehen ist vom Synodalschreiben Siegfrieds III. von Mainz und des Bernardus Teuto an Gregor IX., in dem die rechtlichen Gravamina klar, wenn auch recht knapp nur formuliert sind[79]: Quod magister Conradus, contra pauperum Lugdunensium astutias zelo fidei armatus, nefandam heresis Manicheorum filiam olim abscon(669)ditam ita putavit ex toto deprehendere, si testes, qui se confitebantur aliquantulum criminis eorum conscios et participes, in illorum absentia reciperentur, et dictis eorum simpliciter crederetur, ita ut accusato talis daretur optio, aut sponte confiteri et vivere, aut innocentiam iurare et statim conburi. Es folgen Beispiele, welche Mißstände (z.B. falsche Zeugnisse) sich als Folgen der von Konrad praktizierten Beweiserhebung ergaben. Dann: Et magister nulli quantumvis alte persone locum dedit legitime defensionis, nec etiam confiteri proprio sacerdoti, sed accusatum oportuit confiteri se hereticum esse, buffonem, cattum, pallidum virum et huiusmodi monstra diffidentie pacis in osculo salutasse. Taliter quidam catholici abiudicati maluerunt innocenter cremari et salvari, quam mentiri de crimine turpissimo, cuius non erant conscii, et suplicium promereri. Quibus ipse magister martirium promittebat. Alii infirmi potius elegerunt mentiri, quam conburi, quibus tamen oportuit scolas nominare ...

Was ist damit im einzelnen gemeint? Der zunächst inkriminierte Punkt ist die Beweiserhebung. Sie fand statt „in Abwesenheit“ der Betroffenen, d. h. in einem Vorverfahren, nicht im Hauptprozeß. Zugelassen waren als

Zeugen Tatbeteiligte, die bei einem ordentlichen Gerichtsverfahren (gleich ob Akkusations- oder Inquisitionsprozeß) nicht zeugnisfähig waren[80]. Ihnen wurde simpliciter geglaubt, was nicht heißt, daß ihr Zeugnis einfach für bare Münze genommen wurde, sondern daß keine prozeßtechnischen Einreden gegen die Person der Zeugen (sog. exceptiones) zugelassen wurden[81]. Den Angeklagten blieb nur die Wahl zwischen Geständnis der Schuld (dann mußten sie noch Mitwisser nennen) oder Leugnung mit Todesfolge. Die Möglichkeit, dem zuständigen Priester das Vergehen der Häresie zu beichten - und damit ohne öffentliches Aufsehen nach empfangener Buße Absolution zu erlangen - war verwehrt (daß noch in dieser Zeit kein geringerer als ein Erzbischof die Behandlung des Häresiedelikts allein vor dem sog. forum internum der priesterlichen Bußgewalt statt vor dem forum externum der richterlichen Strafgewalt für praktikabel hielt -späterhin ist das ganz ausgeschlossen - sei nur am Rande als bemerkenswert festgehalten[82]. In summa: keiner auch noch so hochgestellten Person war Gelegenheit zu einer „rechtmäßigen Verteidigung“ gegeben. 

(670) Was verstand man - über das hier schon Erörterte hinaus - genau unter einer legitima defensio? Die in ihrer rechtsterminologischen Wortwahl ungemein prägnante Cont. Trev. gibt darauf eine Antwort. Sie charakterisiert das Verfahren Konrads und seiner Helfer[83] folgendermaßen[84]: ut nullius, qui tantum propalatus esset, excusatio vel recusatio, nullius exceptio vel testimonium admitteretur, nec defendendi locus daretur, sed nec inducie deliberationis darentur; sed in continenti oportebat eum vel reum se confiteri et in penitentiam recalvarivel crimen negare et cremari (folgen ähnliche Klagen über die Folgen dieser prozessualischen Praxis wie in der Ep. Sigfr.[85]). In diesem Satz hat jedes Wort seine festumrissene Bedeutung in der juristischen Begriffssprache: Excusatio - das meint Eingeständnis des Sachverhalts bei entschuldigender Erklärung, wobei als Hauptgründe von Rechts wegen zulässig waren Geistesverwirrung (mentis alienatio) wie Zornesausbruch (furor) und Trunkenheit, Zwang (coactio), Täuschung (deceptio)[86]; recusatio – die Zurückweisung, nicht etwa der Beschuldigung, sondern des Richters wegen des Verdachts der Befangenheit (z.B. aufgrund persönlicher Bezie(671)hung zu einem Zeugen oder Ankläger)[87]; exceptio die prozeßtechnische Einrede schlechthin, insbesondere aber, um das Zeugnis des Prozeßgegners oder (im inquisitorischen Verfahren) des Belastungszeugen mit dem Vorbringen formaler Gründe zunichte zu machen, etwa durch den Nachweis von dessen Infamie[88]; testimonium - das eigene Entlastungszeugnis, sei es

durch Beibringen von Entlastungszeugen, die zur Sache aussagen, sei es durch das Angebot des Reinigungseides mit Eideshelfern[89]; defendendi locus - der Akzent liegt hier (vor allem im Zusammenhang mit den folgenden inducie deliberationis) auf locus, und gemeint ist die Verweigerung der rechtmäßigen Fristen zum Aufbau der eigenen Verteidigung, nachdem man vom genauen Gegenstand der Anklage in Kenntnis gesetzt worden war (solche Fristen konnten im ordentlichen Gerichtsverfahren oft Mona(672)te betragen)[90]; inducie deliberationis - eine „Besinnungspause“, nicht im allgemeinen Sinn, sondern das ist die rechtmäßig dem Angeklagten zustehende Frist, um (unter Beratung mit Freunden) Klarheit über den Entschluß zu gewinnen, ob man sich schuldig bekennen oder den Prozeß aufnehmen solle in der Absicht, die Anschuldigung zu widerlegen[91]; in continenti - „unverzüglich“, d.h. der Angeklagte hatte nur die Möglichkeit, sich zur Sache selbst zu äußern, ohne irgendeine prozeßtechnische oder unterbrechende formale Einrede vorbringen zu können[92].

Woran da Maß genommen wurde[93], ist ganz eindeutig das ordentliche römisch-kanonische Prozeßverfahren, sei es per accusationem, sei es per inquisitionem, zu dessen integralen Bestandteilen die Gegenüberstellung von Ankläger/Zeugen und Angeklagtem, Prozeßeinreden und Fristen gehörten, denn nur so war in den Augen der Zeitgenossen ein für den An(673)geklagten faires, zur Wahrheitsfindung geeignetes Verfahren garantiert[94]. Verglichen damit hätte jeder Ketzerprozeß in seiner seit der Mitte des 13. Jahrhunderts voll ausgebildeten Form als Willkür empfunden werden müssen, denn auch dort findet sich nahezu jeder der von den Quellen speziell Konrad von Marburg angelasteten Verfahrensverstöße[95]. Denn Häresie galt - lange schon vor Konrads Ketzerprozessen - als crimen exceptum, wie z.B. auch das Majestätsverbrechen[96], und so wurde für den Ketzerprozeß ein Ausnahmerecht entwickelt. Die Etappen dieser Entwicklung sind gegenwärtig noch nicht klar zu überblicken, denn die theoretische Literatur zum modus procedendi inquisitorum setzt erst im Jahrzehnt nach (674) Konrads Prozessen ein[97], die zeitgenössische Literatur zum allgemeinen Prozeßrecht ist für die Zeit vor Konrad nur selten hilfreich (zudem teilweise immer noch unediert)[98], und wie Verfahren in praxi abliefen, ist nicht einmal für das ordentliche Gerichtsverfahren hinreichend geklärt und läßt sich allgemein erst für die Zeit nach Konrad im Detail beobachten[99].

Zur Auswahl standen bei der strafrechtlichen Ketzerverfolgung zur Zeit Konrads grundsätzlich zwei Verfahren: Der Akkusationsprozeß, wo ein Ankläger in aller Offenheit in den Schranken des Gerichts Beschuldigungen gegen jemanden erhob und den Beweis führen mußte mit der ipso facto verbundenen Talionsverpflichtung, im Falle des prozessualen Unterliegens also jene Strafe auf sich zu nehmen, die dem Prozeßgegner zugedacht war[100]. Die andere Möglichkeit war das Inquisitionsverfahren, wo nach voraufgegangener Denunziation oder bei publica fama ein Offizialprozeß, d.h. ein Verfahren von Amts wegen, in Gang gesetzt wurde, ohne (675) daß der Anzeige Erstattende ein persönliches Prozeßrisiko einging[101]. Charakteristisch ist für diese Prozeßform die Notwendigkeit eines Vorverfah(676)rens, wo in Abwesenheit des Beschuldigten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe durch Zeugeneinvernahme überprüft wurden, wobei sich die Eigentümlichkeit ergab, daß zumeist schon in diesem Stadium des Prozesses die Würfel fielen, ob das Verfahren aus Mangel an verwertbaren Zeugnissen eingestellt wurde oder aufgrund überführender Beweise vorentschieden war - noch bevor die eigentliche Hauptverhandlung eröffnet und der Beschuldigte zur Sache gehört worden war[102]. Kam es dann zum Prozeß, standen dem Angeklagten im ordentlichen Inquisitionsverfahren alle prozeßtechnischen Möglichkeiten offen, deren Mißachtung bei Konrads Verfahren die Cont. Trev. festgestellt hatte[103].

Konrads modus procedendi nun war offenkundig das Inquisitionsverfahren, wie es für alle späteren Ketzerprozesse zur Regel wurde. Das geht schon aus der Zweiteilung seiner Prozeßführung in Beweisaufnahme (Zeugenverhör in Abwesenheit der Beschuldigten) und Urteilsfällung (in Gegenwart des Angeklagten) deutlich hervor. Aber mit dem ordentlichen Inquisitionsverfahren hatte die von ihm erstmals praktizierte[104] Ketzerinquisition nur bedingt etwas zu tun. Die Unterschiede beginnen schon im Vorfeld der Untersuchungen bei den von ihm zugelassenen Zeugen, denn zeugnisfähig waren üblicherweise nur angesehene Männer mit einwandfreiem Ruf[105]. Konrad aber ließ Tatbeteiligte zu, die nach dem Urteil etwa (677) des 1210/15 verfaßten Prozeßordo „Si quis vult“ selbst bei crimina excepta abzulehnen waren[106], geschweige denn im Normalverfahren. Aber schon der berühmte Bologneser Kanonist Tancred hat in seinem ca. 1216 verfaßten Ordo iudiciarius bei crimina excepta das Zeugnis von criminosi et infames für zulässig erklärt[107] - eine Praxis, die sich durchsetzen sollte[108] -, und bezeichnenderweise hat die im Traktat „Si quis vult“ als Beleg herangezogene Dekretale „Veniens“ Alexanders III. spätestens in der Glossa ordinaria des Bernhardus de Botone die genau entgegengesetzte Deutung erfahren: Für Bernhard war nicht anders als für Konrad von Marburg ein Tatbeteiligter (socius criminis) bei crimina excepta sehr wohl zeugnisfähig[109]. Aber die Umkehrung des Verhältnisses von Norm und Ausnahme ging im Häresieprozeß noch weiter: Bis in die Abschwörformeln hinein, die der sich reuig gebende Ketzer zu leisten gezwungen war, ist die De(678)nunziation der ehemaligen Sektengenossen und ihrer Helfer fester und unabdingbarer Bestandteil dieses Verfahrens geworden[110]. Konrad war der erste, bei dem man das beobachtete und entsprechend einem auf Augenmaß bedachten Rechtsverständnis tadelte; aber nach allem, was wir von Rechtstheorie und Gerichtspraxis wissen, dürfte es auch nach Konrad keinen Ketzerprozeß gegeben haben, der den Verrat der Mitbeteiligten dem geständigen Angeklagten nicht zur Pflicht gemacht und auf der Grundlage dieser Zeugnisse nicht zur Eröffnung weiterer Prozesse geführt hätte[111].

Der auffallendste Punkt bei Konrads Prozeßführung aber ist die von ihm gewählte summarische Form des Verfahrens. War sie unrechtmäßig? Das ist für die Zeit Konrads schwer zu entscheiden, denn mit Innocenz III. begann überhaupt erst die im Römischen Recht vorgebildete Idee eines summarischen Procedere auch im kanonischen Recht nennenswert Fuß zu fassen[112], und erst nach 1231/33 setzten päpstliche Verfügungen (679) und synodale Beschlüsse ein, die speziell beim Verfahren gegen Ketzer bestimmte Teile der Prozeßordnung vereinfachten[113], wobei es während des ganzen 13. Jahrhunderts höchst strittig blieb, wie weit im einzelnen die Vereinfachung eines solchen Verfahrens gehen dürfe. Hier hat erst Clemens V. eine autoritative Entscheidung zu treffen gesucht (an der in den einschlägigen Kommentaren dann weiter herumgedeutet wurde), indem er klipp und klar feststellte, daß bei summarischen Verfahren unter anderem Prozeßeinreden und -fristen nach Kräften zu vermeiden seien[114]. Auch diese Entscheidung ließ noch Spiel, wie weit der Richter als Herr des Verfahrens im Einzelfall gehen konnte, aber die Auffassung, daß im Ketzerprozeß überhaupt summarisch, nicht unter voller Wahrung des ordentlichen Rechts- und Gerichtsganges zu verfahren sei - wie sie wahrscheinlich Innocenz IV. erstmals päpstlicherseits formuliert und zuvor schon Konrad von Marburg praktiziert hatte - fand doch hier eine bis ins einzelne gehende Bestätigung.

Freilich erst lange nach Konrads Prozessen, und es stellt sich erneut die Frage, ob er zu seiner Zeit die Norm überschritt, auch wenn die spätere Rechtsentwicklung im Einklang mit seinem Procedere war. Sah der Strafprozeß seiner Zeit überhaupt ein so drastisch verkürztes Verfahren vor, gleich in welchem Fall? Man findet eigentlich nur eine Möglichkeit: die (680) Notorietät eines Verbrechens. Lag die Tatsache offen zutage, daß jemand ein bestimmtes Verbrechen begangen hatte (und es gab festumrissene Kriterien, wann ein Verbrechen als offenbar zu betrachten war), dann bedurfte es überhaupt keines rechtsförmlichen Verfahrens mehr, sondern ohne Anklageerhebung und ohne Zeugeneinvernahme zur Sache wurde ein sog. deklaratorisches Urteil gefällt[115]. Hier kam es also, streng genommen, nicht einmal mehr zu einem summarischen Verfahren, sondern das Urteil folgte aus der Tatsachenfeststellung.

Im Grunde um denselben Sachverhalt - wenn auch in der juristischen Literatur damit nicht gleichgesetzt -geht es beim Häresieverdacht, genauer: beim zwingenden Häresieverdacht. Auszugehen ist vom Endpunkt der rechtstheoretischen Diskussion, wie sie ihren Niederschlag im 1376 publizierten Handbuch des aragonesischen Inquisitors Nikolaus Eymerici gefunden hat, der - nach säuberlicher Scheidung der drei Fallgruppen suspicio levis, vehemens und violenta - für suspicio violenta klipp und klar feststellt, daß sie zur Verurteilung ausreiche, ohne daß noch die Möglichkeit eines Gegenbeweises offenstehe[116]; Eymerich beruft sich hier auf zwei Stellen in (681) den Dekretalen Gregors IX., die uns in die Zeit Konrads von Marburg zurückführen und deren eine tatsächlich schon in ihrer Rubrik ganz allgemein (also nicht speziell für den Ketzerprozeß) den Grundsatz ausspricht, daß suspicio violenta zur Urteilsfällung genüge[117].

Nun wird man stets schwanken können, wann ein Verdacht „violenter“ (dann konnte ohne Umschweife verurteilt werden) und wann nur „vehementer“ begründet war (dann genügte der „kurze“ Prozeß nicht). Und diese rechtsdefinitorische Unsicherheit bedeutete im konkreten Einzelfall einen relativ breiten Ermessensspielraum für den Richter: Alles - auch ein extrem abgekürztes prozessuales Vorgehen - hing von seiner subjektiven Beweiswürdigung ab. Sucht man also nach möglichen Vorbildern, die Konrad zu seiner summarischen Verfahrensweise angeregt haben könnten, so wird man hierfür wohl das richterliche Vorgehen seiner Zeit bei Notorietät eines Verbrechens und bei zwingendem Verdacht auf ein solches in Anspruch nehmen können.

Aber man braucht vielleicht gar nicht auf diese Extreme des kanonischen Prozeßrechts zu verweisen. Im Grunde genügt zur Erklärung für Konrads Vorgehen der wenig später (1243) formulierte Grundsatz des Konzils von Narbonne, daß jemand als Ketzer zu betrachten (und damit (682) entsprechend zu bestrafen) sei, wer diesen Tatbestand leugnet, obwohl seine Schuld mittels Zeugen oder eines anderen Beweises feststehe[118]. Damit wird die Beweiserhebung zum Angelpunkt für die Rechtmäßigkeit eines Ketzerprozesses. Hier aber kann man Konrad keinen Formfehler nachweisen, hier waren vielmehr die fürchterlichen Folgen seiner Prozedur gleichsam systembedingt.

Hingewiesen sei schließlich noch auf ein weiteres mögliches Analogon, an dem sich Konrad orientiert haben könnte: auf das Verfahren gegen Majestätsverbrecher, wie es z.B. gerade zu Beginn von Konrads Inquisitionstätigkeit Kaiser Friedrich II. (der Ketzer und Majestätsverbrecher auf eine Stufe stellte) in den 1231 erlassenen Konstitutionen von Melfi geregelt hat[119]. Diese Annahme liegt um so näher, als das im Römischen Recht behandelte Delikt des Majestätsverbrechens seit Innocenz’ III. Dekretale „Vergentis“ im kanonischen Recht mit dem Häresieverbrechen in eins gesetzt wurde und die für das Majestätsverbrechen vorgesehenen Rechtsfolgen auf das Häresiedelikt Anwendung fanden[120]. Diese Gleichsetzung betraf sowohl wesentliche Punkte des Verfahrens (Zulässigkeit (683) des Offizial-, also des per denuntiationem oder durch pubfica fama zustandegekommenen Inquisitionsprozesses; Zulässigkeit auch infamer Zeugen) als auch vor allem die Strafen (Güterkonfiskation; Infamie; Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter; Erbunfähigkeit der Nachkommen; Todesstrafe)[121]. Warum also sollte nicht auch Konrads summarisches Procedere hier vorgebildet sein? Die Antwort muß lauten, daß sich über die schon angeführten Übernahmen hinaus gerade im Punkt des summarischen Vorgehens für die Zeit Konrads keine direkte Parallele ausmachen läßt (auch nicht in den Konstitutionen von Melfi). Dennoch kann man eine gewisse analoge Entwicklung in der Form der Verfolgung beider Delikte nicht leugnen. Denn beim Majestätsverbrechen wie beim Häresiedelikt ist die Tendenz zu beobachten, das Verfahren nach den rigorosen Maßstäben der Verfolgung notorischer Verbrechen ablaufen zu lassen; so z.B. bei dem Prozeß Karls von Anjou gegen Konradin 1268[122]. Und 1313 hat Kaiser Heinrich VII. im Zusammenhang mit seinem Prozeß gegen König Robert von Neapel gesetzlich festgelegt, daß auch im Majestätsverbrecherprozeß summarie et de plano sine strepitu et figura iudicii vorzugehen sei[123], genau wie es die fast gleichzeitig zum Abschluß gelangte kanonischrechtliche Entwicklung des summarischen Prozesses vorsah. Drakonisches Strafmaß und Bereitschaft zur Vereinfachung des ordentlichen Prozeßganges lassen sich also für den Majestätsverbrecherprozeß, wie er sich im Laufe des 13. Jahrhunderts herausgebildet hat, durchgehend feststellen. Man wird daher zwar nicht davon ausgehen können, daß sich Konrad von Marburg bis ins Detail hinein (etwa bei der Nichtgewährung von Fristen) von dieser Prozeßform anregen ließ, doch in der grundsätzlichen Bereitschaft zur Minimalisierung des prozeßrechtlichen Schutzes für Häresieverdächtige konnte er sich - zumal mit Blick auf die von Friedrich II. in Sizilien praktizierte Form der ununterschiedenen Bekämpfung von Ketzern, Rebellen und Majestätsverbrechern - auf das Verfahren seiner Zeit gegen Majestätsverbrecher berufen.

(684)Gab es überhaupt einen Unterschied zwischen der von uns erschlossenen Verfahrensweise Konrads und seinen möglichen zeitgenössischen Vorbildern, vor allem aber dem später quellenmäßig deutlicher faßbaren ketzerinquisitorischen modus procedendi? Nicht in der Substanz und im Endergebnis, wohl aber in der Form. Dies betrifft den Fall, wo ein (nach dem Stand der Vorermittlungen notabene überführter) Angeklagter standhaft das ihm zur Last gelegte Häresieverbrechen leugnete. Konrad pflegte solche Leute unverzüglich auf den Scheiterhaufen zu schicken. Die Folgezeit war geduldiger, barmherziger war sie nicht: sie wartete auf sein Geständnis, das es unter allen Umständen zu erzielen galt. Dazu bediente man sich einerseits seit 1252, nach Innocenz’ IV. Konstitution „Ad extirpanda“, der Folter (die Konrad noch fremd war)[124]. Zum anderen kerkerte man den Beschuldigten unter harten Bedingungen ein, befragte ihn wie die Belastungszeugen immer wieder, bis entweder das Geständnis vorlag oder die Zeugen von ihrer Aussage abrückten. Gelang dies nicht: blieb der Angeklagte standhaft und blieben die Zeugen bei ihrer Aussage, so kam der Angeklagte nicht etwa frei oder wurde zum Reinigungseid zugelassen, sondern er wurde (weil er ohnehin als überführt galt) verbrannt - ganz wie bei Konrad[125]. Gleich unentrinnbar ging der durch „rechtmäßig“ zustandegekommenen Zeugenbeweis vorab überführte Angeklagte bei Konrad wie bei der späteren Ketzerinquisition seinem Schicksal im Hauptprozeß entgegen: der Alternative Geständnis oder Tod; der Unterschied lag allein im Zeitpunkt, wann das Urteil gesprochen wurde.

Das historisch Bemerkenswerte am Protest der Zeitgenossen gegen das Vorgehen Konrads ist ihr waches Bewußtsein für die Ungeheuerlichkeit des hier zur Anwendung kommenden Prozeßrechts. Als iudicium enorme et inauditum wird es zu Recht gekennzeichnet[126]. Als solches erwies es sich im Prozeß gegen den Grafen Heinrich III. von Sayn, dessen nähere Be(685)trachtung sich lohnt, zumal auch hier sich in der Literatur manches Irrige findet[127]. Konrad hat den Grafen vor sein Gericht zitiert[128], dem es jedoch gelang, das Tribunal Konrads zu vermeiden und den Prozeß in Form eines normalen deutschrechtlichen Klageverfahrens mit Konrad als Ankläger vor seinen fürstlichen Standesgenossen unter Vorsitz des Königs, Heinrichs (VII.), auf dem Hoftag zu Mainz (25. Juli 1233) zu führen[129]. Hier nun mißlang Konrad die Überführung des Grafen, denn die von ihm zum Beweis aufgebotenen Zeugen widerriefen entweder ihre früheren Aussagen, oder sie wurden als mutmaßliche Todfeinde qualifiziert und waren damit zeugnisunfähig[130]. Umgekehrt erbot sich der Graf zum Reinigungseid mit Eideshelfern, doch auf Wunsch des Königs wurde das Ver(686)fahren vertagt, wurde dem Grafen zu einem späteren Zeitpunkt Frist gegeben, die nötigen Eideshelfer zum Reinigungseid beizubringen, und vorderhand wurde ihm vom Erzbischof von Trier (Dietrich II. von Wied, † 1242) vor aller Öffentlichkeit bestätigt, daß er als rechtgläubig und nicht überführt zu gelten habe[131]. Als Grund der Vertagung gibt die Cont. Trev. an, der König habe die Sache „weiteruntersuchen“ wollen[132], tatsächlich aber ging es offenbar um mehr. Denn auf dem Mainzer Hoftag vom 25. Juli 1233 sollten noch andere, nicht näher bezeichnete, aber anscheinend hochstehende Personen sich vor Gericht bezüglich des Häresieverdachts verantworten, waren aber nicht erschienen, und Konrad hielt keine geringere Maßnahme für angebracht, als gegen sie einen Ketzerkreuzzug zu verkünden[133]. Dies geschah entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, die Konrad vergeblichl beschworen, ut moderatius et discretius in tanto negotio se gereret[134]. Die im Verfahren gegen den Grafen von Sayn offen zutage getretene Mangelhaftigkeit von Konrads prozessualer Beweiserhebung, sein starrsinniges, alle Mäßigungsappelle selbst des Episkopats ignorierendes Vorgehen gegen wirkliche oder vermeintliche Ketzer veranlaßten jedenfalls König und Reichsfürsten, den Speyrer Domscholaster Konrad[135] an die päpstliche Kurie zu senden und hinsichtlich der Anstoß erregenden Form von Konrads Procedere gegen die Ketzer das päpstliche Votum einzuholen[136]. Die Quellen wissen zu berichten, der Papst habe sich zunächst von Kon(687)rads Vorgehen distanziert und dessen Prozesse kassiert, auf die Nachricht von Konrads Ermordung hin seine Haltung aber wieder revidiert[137]. Das ist nun zwar alles ganz unglaubhaft, denn es gibt keine einzige mißbilligende Äußerung der päpstlichen Kurie gegenüber Konrad[138] und Gregors IX. gesamte Ketzerpolitik steht in vollem Einklang mit Konrads rigorosem Vorgehen[139], aber der Eindruck einer Änderung der päpstlichen Haltung muß in Deutschland verbreitet gewesen sein. Als entscheidend für das nun rasch kommende Ende der Ketzerverfolgung in Deutschland aber erwies sich, daß mit Konrads Ermordung unmittelbar nach dem Mainzer Hoftag die eigentlich treibende Kraft beseitigt war. Als man daher am 2. Februar 1234 erneut zu einem Hoftag in Frankfurt zusammenkam[140], konnten sich die ex parte domini pape agierenden Verfechter von Konrads unbeugsamer Haltung - namentlich werden der auch als päpstlicher Kapellan und Pönitentiar bezeugte Bischof Konrad von Hildesheim und der (nicht näher bezeichnete) Dominikaner Otto genannt[141] - nicht mehr durchsetzen, ja sie mußten es sogar hinnehmen, daß der König in einer auf diesem Hoftag erlassenen Konstitution eigens auf die auch bei der Ketzerverfolgung nötige iudicii equitas hinwies[142]. Dort wurde auch der Prozeß Graf Heinrichs III. von Sayn entschieden: Unter Aufbietung einer (688) eindrucksvollen Zahl geistlicher und weltlicher Eideshelfer[143] konnte er im Königsgericht den Reinigungseid leisten (wonach er auf Bitten Bischof Konrads von Hildesheim gegenüber denen, die ihn - wie der Ausgang des Verfahrens gezeigt hatte - fälschlich beschuldigt hatten, großmütig auf Genugtuung verzichtete[144]), und ähnlich gelang dem von Konrad von Marburg wegen Häresie (aufgrund eigenen Geständnisses) schon verurteilten Grafen von Solms und seinen Leuten die Wiederaufnahme ihres Prozesses, da sie glaubwürdig versicherten, sie hätten nur aus Todesangst das ihnen vorgeworfene Häresiedelikt gestanden; und da auch hier legitimi accusatores im Sinne des ordentlichen Gerichtsverfahrens fehlten, (689) mußten sie zum Reinigungseid zugelassen werden[145]. Der abschließende Akt ihrer Rehabilitierung fand anscheinend vor einem Mainzer Synodalgericht am 2. April 1234 statt[146], und entsprechend dem kanonischen Recht wurden jene, die sich ursprünglich vor Konrad von Marburg fälschlich der Ketzerei für schuldig erklärt hatten, mit einer siebenjährigen Buße belegt[147]; die falschen Zeugen/Ankläger wurden dem Papst zur Bestrafung übersandt[148].

Mit Konrads Tod und der Ordnung gleichsam seiner prozessualen Hinterlassenschaft fand eine Ketzerverfolgung ihr Ende, die ihresgleichen suchte und für die es für mehr als ein Jahrhundert in Deutschland nichts (690) Vergleichbares mehr geben sollte[149]. Man empfand dieses Ende allgemein als Erlösung[150]. Für den Historiker bleibt festzuhalten, daß sich die Zeitgenossen in ihrem Rechtsempfinden von der Unerhörtheit dieses Verfahrens verletzt sahen, dessen Besonderheit jedoch nur in seiner Neuheit, nicht in rechtsformaler Irregularität bestand, und das spätere Generationen klaglos hinnehmen sollten, obwohl es nach seiner Etablierung nicht weniger als bei seiner Einführung grundlegende Rechtsgüter unberücksichtigt ließ. Wird man also Konrad von dem Vorwurf rechtlosen bzw. das Recht beugenden Vorgehens freisprechen müssen, so tritt doch um so klarer mit der Furchtbarkeit der Sache selbst, der er sich verschwor, seine schroffe, keinen Kompromiß duldende Haltung bei der Ketzerverfolgung hervor. Als iudex sine misericordia geißelt ihn von pastoraler Warte aus der Verfasser der Wormser Bischofschronik[151], als einen Richter also, der das im Jakobusbrief (2, 13) dem Richter zur Pflicht gemachte christliche Gebot der Barmherzigkeit mißachtete.

Exkurs: War Konrad von Marburg an der Verurteilung des Propstes Heinrich Minnike von Neuwerk in Goslar beteiligt?

Könnte man der Cronica S. Petri Erfordensis moderna Glauben schenken (und dazu entschloß sich beinahe die gesamte moderne wissenschaftliche Literatur), so wäre Konrad von Marburg schon mehrere Jahre vor 1227 mit einem Ketzerprozeß beschäftigt gewesen, der in Norddeutsch(691)land einige Aufregung verursacht haben muß: mit dem Prozeß gegen den (prämonstratensischen) Propst des Zisterzienserinnenklosters Neuwerk in Goslar, dessen Worte und Handeln - worauf hier nicht näher eingegangen sei - ihn bei seinem zuständigen Bischof Konrad von Hildesheim in den Verdacht der Häresie geraten ließen, der ihn, wie urkundliche Zeugnisse seit 1223 belegen, mehrmals von synodalen Versammlungen zu disziplinieren suchte, ihn einkerkerte und schließlich im Oktober 1224 vom Kardinallegaten Konrad von Urach als Ketzer verurteilen und degradieren ließ[152]. Darüber hinaus aber weiß die Cronica moderna des Erfurter Petersklosters zum Jahre 1222 folgendes zu berichten[153]: Hoc eciam anno IIII. Kal. Aprilis Heinricus Minnikinus prepositus Novi-operis Goslariensis in Hildensheim a Cuonrado, eiusdem loci episcopo et Cuonrado predicatore de Margburc examinatus ac sepius commonitus, seculari iudicio pro heresi est crematus.

Diese Nachricht ist mit Bestimmtheit falsch. Dafür gibt es drei Gründe: 1. Die Notiz liegt relativ spät: Dieser Teil der Chronik wurde erst nach 1276, mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen, verfaßt[154]. 2. Die Nachricht steht völlig isoliert: Weder wissen von einer Beteiligung Konrads von Marburg die maßgebenden urkundlichen Quellen der Jahre 1223/24, noch - und das ist hier besonders wichtig - die mutmaßliche Vorlage für diesen Teil der Cronica moderna, die sog. Cronica minor eines Erfurter Franziskaners in Gestalt einer auch erst 1272 fertiggestellten Rezension[155]. 3. Die Nachricht widerspricht den Tatsachen, denn die erfreulich reichen urkundlichen Zeugnisse weisen auf Konrad von Hildesheim und Konrad von Urach als die für die Verurteilung Heinrich Minnikes entscheidenden Personen hin (neben den hohen Prälaten synodaler Versammlungen), hingegen bleibt für eine besondere Beteiligung Konrads von Marburg keinerlei Raum. Fazit: Die Cronica moderna amplifizierte den ihr vorliegenden Bericht der Cronica minor durch eigene Mutma(692)ßungen, sei es, daß sie Konrad von Marburg mit dem gleichnamigen Kardinallegaten verwechselte[156], sei es, daß sie lediglich den Ruf widerspiegelt, den Konrad noch ein halbes Jahrhundert nach dem Ende seiner Inquisitionstätigkeit hatte.

Aber an der Nachricht ist noch mehr falsch: Die Behauptung, 1222 sei Heinrich Minnike verbrannt worden. Dies wird schon von der Cronica minor überliefert, von der Cronica moderna um den Zusatz seculari iudicio (stilistisch ungeschickt) erweitert. Das Datum hat viel Rätselraten hervorgerufen, denn nach Ausweis der urkundlichen Quellen ist Heinrich Minnike erst im Oktober 1224 endgültig als Ketzer verurteilt worden[157]; das Datum 29. März (1222) könnte allenfalls auf den Beginn seines Leidensweges hinweisen[158]. Aber es ist sogar im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß Heinrich Minnike überhaupt auf den Scheiterhaufen gestellt worden ist. Denn zu dieser frühen Zeit, als Friedrichs II. Bestimmung, Ketzer seien mit dem Verbrennungstode zu bestrafen, gerade erst für die Lombardei vorlag[159], wird man ihre generelle Anwendung in Deutschland noch nicht voraussetzen können[160], zumal in der hier entscheidenden Quelle, der Publikation des Urteils Konrads von Urach über Heinrich Minnike[161], wohl von der Verdammung Heinrichs als Ketzer, auch von seiner Degradation als Kleriker, nichts aber von der (später üblich gewordenen) ominösen Überlassung an den weltlichen Arm mitgeteilt wird. Die Annahme liegt daher am nächsten, daß Heinrich Minnike dorthin zurückkehrte, woher man ihn dem Legaten vorführte: in den Kerker (693) Konrads von Hildesheim. Ein anderes Urteil hatte der Hildesheimer Bischof als Klageführer von dem Legaten auch gar nicht erbeten[162].

Wie es zu der Behauptung kam, Heinrich sei verbrannt worden, und zwar 1222, läßt sich unschwer erklären: Dem Kompilator der Cronica minor (Fassung 1272) lag eine Nachricht nach Art der 1227/30 niedergeschriebenen Chronik des Klosters Lauterberg bei Halle vor, die (gleichfalls zum Jahre 1222) mitteilt[163]: Heinricus prepositus de Goslaria, cognomine Minnekke, a Conrado Hildenesheimensi episcopo de heresi Manicheorum convictus depositus et in custodia diutina detentus est; abgesehen von der Qualifizierung von Heinrichs Häresie als „manichäisch“ (die eine Schlußfolgerung des Chronisten ist), steht hier jedes Wort mit den urkundlichen Zeugnissen in Einklang, d. h. es findet sich etwas von Kerker, nichts von Verbrennung. Für einen 1272 schreibenden Chronisten aber war es nach den Ketzerverfolgungen Konrads von Marburg und nach dem allgemeinen Gang der Ketzerinquisition in Europa vollkommen selbstverständlich, daß Verurteilung wegen Ketzerei nur Tod durch Verbrennen bedeuten konnte, nichts sonst. So kam es - guten Glaubens! - zur Behauptung der Verbrennung Heinrich Minnikes in der Cronica minor, und der (als Interpolation mühelos erkennbaren) verschlimmbessernden Ergänzung der Cronica moderna, das weltliche Gericht habe dies veranlaßt.



[1] Den leichtesten Einstieg zur Biographie Konrads findet man bei Peter Segl, in: NDB 12 (1980) S. 544-546. An Spezialliteratur nenne ich: Balthasar Kaltner, Konrad von Marburg und die Inquisition in Deutschland (1882); Paul Braun, Der Beichtvater der heiligen Elisabeth und deutsche Inquisitor Konrad von Marburg (†1233), Beiträge zur hessischen Kirchengeschichte 4 (1911) S. 248-300 u. 331-364. Dazu Ludwig Förg, Die Ketzerverfolgung in Deutschland unter Gregor IX. Ihre Herkunft, ihre Bedeutung und ihre rechtlichen Grundlagen (Historische Studien 218, 1932), hier bes. S. 71ff. zu Konrad von Marburg. Es gibt noch zahlreiche weitere biographische Versuche, eine wirklich brauchbare Arbeit aber fehlt.

Zu Einzelfragen von Konrads Vita, namentlich seiner Ordenszugehörigkeit, vgl. Karl Hermann May, Zur Geschichte Konrads von Marburg, Hessisches Jb. für LG 1 (1951) S. 87-109, dessen Eintreten für Zugehörigkeit Konrads zum Prämonstratenserorden, in der Hauptsache aufgrund eines späten Zeugnisses aus dem 15.Jahrhundert, mich nicht überzeugt (mit guten Gründen ablehnend zuletzt auch W. M. Grauwen, Was de inquisiteur Koenraad van Marburg [† 1233] een premonstratenzer?, Analecta Praemonstratensia 52, 1976, S. 212-224). - Zur frühen Tätigkeit als Kreuzprediger zuletzt Paul B. Pixton, Die Anwerbung des Heeres Christi: Prediger des Fünften Kreuzzuges in Deutschland, DA 34 (1978) S. 166-191, bes. S. 174f., 178. - Den Anteil Konrads am Heiligsprechungsverfahren Elisabeths arbeitet umsichtig Matthias Werner heraus: Die Heilige Elisabeth und die Anfänge des Deutschen Ordens in Marburg, in: Marburger Geschichte. Rückblick auf die Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen. Hg. vom Magistrat der Stadt Marburg (1979) S. 121-164. - Grundlegend zum Verhältnis Konrads zu Elisabeth nach Wilhelm Maurer, Zum Verständnis der heiligen Elisabeth von Thüringen, ZKG 65 (1933/54) S. 16-64, jetzt Matthias Werner, Die heilige Elisabeth und Konrad von Marburg, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige (1981) S. 45-69.

Dankbar gedenke ich der vielen kritischen Ratschläge, die insbesondere den rechtshistorischen Partien dieses Aufsatzes zugute gekommen sind. Sie wurden mir zuteil von meinen Kollegen bei den Monumenta Germaniae Historica sowie namentlich von Prof. Peter Landau, Prof. Knut Wolfgang Nörr, Dr. Armin Wolf, Prof. Reinhard Elze, Dr. Martin Bertram, für den ketzergeschichtlichen Abschnitt von Herrn cand. phil. Gerhard Rottenwöhrer, der eine Arbeit über die katharischen Riten vorbereitet.

[2] Potthast 7931. Text in MGH Epp. saec. XIII 1, 277 Nr. 362. Zu der immer wieder behaupteten früheren Beteiligung am Prozeß gegen den Propst Heinrich Minnike von Neuwerk in den Jahren 1222-1224 siehe unten S. 690ff.. Als späte wirre Spiegelungen von Konrads Ketzerverfolgung der Jahre 1231/33 sind die Notizen der bis 1295 reichenden Annales breves Wormatienses zum Jahre 1214 (MGH SS 17, 75) und der bis 1291 geführten Annales Thuringici breves zum Jahr 1216 (MGH SS 24, 41) zu betrachten, die schon für diese Jahre von Ketzerverbrennungen Konrads etwas wissen wollen; Braun S. 264 hat gemeint, diese Nachrichten wenigstens teilweise ernstnehmen zu sollen, doch ist seine Argumentation ganz unkritisch.
[3] So schon Förg S. 73, undeutlich Ka1tner S. 105f., Braun S. 332.
[4] Aus heute unbekannter Überlieferung hg. von Johann Philipp Kuchenbecker, Analecta Hassiaca 3 (Marburg 1730) S. 73-75 (Potthast-; BFW 6878). Der Tenor lautet (ich halte mich nicht exakt an Kuchenbeckers Orthographie und Zeichensetzung): Ut igitur ad huiusmodi vulpeculas capiendas ... insistere liberius valeas, te a cognitionibus causarum habere volumus excusatum, et prudentiam tuam rogamus ..., quatenus coadiutoribus tibi, quos ad hoc videris idoneos, undecunque volueris advocatis ad exstirpandam de partibus illis haereticam pravitatem, advocato etiam ad hoc si necesse fuerit brachio saeculari, des diligens studium et operam efficacem in receptatores, defensores, et fautores eorum excommunicationis et in terram eorum interdicti sententias promulgando, et alias contra eos, prout expedire videris, procedendo. Si vero aliqui haeretica labe penitus abiurata ad ecclesiasticam redire voluerint unitatem, ipsis iuxta formam ecclesiae beneficium absolutionis impendas et iniungas eis, quae talibus consuevit iniungi, provisurus attentius, ne ... moliantur gravius vineam domini demoliri. Unde statuta sedis apostolicae, quae super his duximus promulganda, per fratrem Hugonem praedicatorem verbi dei in Teutonia destinata inspicere poteris et ab eorum insidiis secundum sapientiam tibi datam a domino praecavere. Ad haec, ut super praemissis officium tibi commissum liberius et efficacius valeas exercere, omnibus qui ad praedicationem tuam accesserunt in singulis civitatibus XX dies, illis vero qui ad impugnandum haereticos nec non fautores receptatores et defensores eorum in munitionibus et castellis vel aliis ( = alias) contra ecclesiam rebellantes tibi ex animo consilium et auxilium praestiterunt ( = praestiterint) vel favorem de omnipotentis dei misericordia et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius auctoritate confisi tres annos de iniuncta sibi poenitentia relaxamus. Et si qui ex his pro prosecutione huius negotii forte decesserint, eis omnium peccatorum de quibus corde contriti fuerint plenam veniam indulgemus. Ne vero aliquid tibi desit ad iam dictum negotium prosequendum, ut contradictores et rebelles per censuras (erg. ecclesiasticas) appellatione remota compescere valeas, auctoritate praesentium tibi liberam concedimus facultatem.

In diesem Schriftstück hat eine, in anderen päpstlichen Schreiben ähnlichen Zusammenhangs nicht wiederkehrende Phrase unterschiedliche Deutungen erfahren: die oben zitierten Anfangsworte Ut igitur -excusatum. Was ist damit gemeint, daß Konrad zur leichteren Bewältigung seiner ketzerinquisitorischen Aufgaben von den cognitiones causarum freigestellt sein sollte? Nach Ka1tner S. 137 erklärt diese Phrase, „warum er ( = Konrad) sich mit dem Verhör der Parteien so wenig beschäftigte“, deutet sie also als Lizenz zu seinem von den Zeitgenossen gerügten Verfahren; ähnliche, auf das Verfahren bezügliche Deutungen weist Karl Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 4 (3/41913) S. 619 Anm.4 zurück und argumentierte seinerseits: „Konrad war als päpstlicher Kommissär benützt worden, vgl. Ep. pont. I S. 389 Nr. 484, und der Papst teilte ihm mit, das solle fernerhin nicht mehr geschehen, damit er sich ganz der Inquisition widmen könne.“ Diese Auffassung fand allgemeine Zustimmung; vgl. Braun S. 334, Förg S. 74.Ich teile sie nicht. Denn zum einen geht Haucks Hinweis auf MGH Epp. saec. XIII 1, 389 Nr. 484 von 1232 Okt. 14 ins Leere, denn die dort übertragene Schutzaufgabe für Elisabeths Marburger Hospital betrifft nicht irgendeine lästige päpstliche Kommission, sondern die von Konrad vor und nach Elisabeths Tod (19. 11. 1231) mit größter Umsicht und Energie betriebene Sicherung von Elisabeths Hospitalgründung (vgl. dazu ausführlich Werner wie Anm. 1), von der er sich auch nicht durch seine Inquisitionsaufgaben abhalten ließ; zudem zeigt schon ein Blick auf das Datum des Schreibens, daß es allenfalls als Argument dafür herhalten könnte, daß solche Kommissionsaufgaben offenbar nicht gemeint waren, wenn sie mitten in der Ketzerkampagne übertragen wurden. Nun ist der Ausdruck cognitio causae hier in der Tat nicht leicht deutbar. Auszugehen ist aber von seiner Grundbedeutung im Rechtsleben, denn hier bezeichnet er den Prozeßablauf, die prozessuale Untersuchung in der Gesamtheit ihrer Verfahrensteile (vgl. zu diesem Sprachgebrauch vielleicht am besten Johannes Fasolus mit seinem bald nach 1272 entstandenen Traktat De summariis cognitionibus, ed. L. Wahrmund, Quellen zur Geschichte des römisch-kanonischen Processes im Mittelalter 4, 5 [1928], bes. S. 1ff.; wenig deutlich die Beispiele im Mittellateinischen Wörterbuch 2 [1968-] Sp. 796). Der Begriff ist also keineswegs auf irgendwelche Kommissionsaufgaben zu beziehen, wohl gar - wie man nach Hauck eigentlich annehmen müßte – auf die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit, von der wir in dieser Zeit in Deutschland sehr wenig und im Hinblick auf Konrad außerhalb der Ketzerinquisition gar nichts wissen. Nicht also von anderen als Konrads Inquisitionsprozessen ist die Rede (man würde dann eigentlich auch ein aliis vor cognitionibus erwarten), sondern von diesen selbst. Doch so wenig mir an dieser Tatsache Zweifel angebracht erscheinen, so unsicher ist eine genauere Bestimmung, was der Papst mit Konrads „Freistellung vom prozessualen Vorgehen“ gemeint haben könnte: Gewiß nicht die Lizenz zur schrankenlosen Willkür; im Zusammenhang mit der im Textzusammenhang dann folgenden Aufforderung zur Beiziehung von Gehilfen neige ich dazu, darin die Erlaubnis zur Subdelegierung von ganzen Prozessen oder Verfahrensteilen zu sehen, wie sie ja auch im Wirken des Dominikaners Tors und des Laien Johannes (siehe unten S. 648f.) historisch bezeugt ist.

[5] Dagegen hat sich mit unzureichender Begründung vor llem Förg S. 71ff. usgesprochen. Klarheit in die prozessualen Anfänge des Ketzerinquisitionsverfahrens bringt nunmehr eine bei Kurt Reindel (Regensburg) entstandene Dissertation: Lothar Ko1mer, „Ad capiendas vulpeculas“. Ketzerbekämpfung in Südfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens (Beihefte der Francia 19, 1982); der Freundlichkeit des Verfassers danke ich die Einsicht in das Manuskript. Seinen Erkenntnissen (auch zu Konrad von Marburg) will ich hier tunlichst nicht vorgreifen. Hingewiesen sei jedoch in diesem Zusammenhang auf Yves Dossat, Les crises de l’inquisition toulousaine au XIIIe siècle (1233-1273) (1959), der bes. S. 113ff. der deutschen Inquisition zur Zeit Konrads von Marburg bahnbrechende Bedeutung für die Etablierung des päpstlichen Ketzerinquisitionsverfahrens insgesamt zuschreibt.

Es ist anzumerken, daß sowohl die Continuatio IV der Gesta Treverorum (MGH SS 24, S. 400, 42: Conradus ... auctoritate apostolica fretus) wie die Annalen der Erfurter Dominikaner (Monumenta Erphesfurtensia, MGH SS rer. Germ. 1899, S. 82, 22: innumerabiles heretici per magistrum Cunradum de Marburc auctoritate apostolica examinati ac per sententiam secularem damnati combusti sunt igne) in klaren Worten die päpstliche Weisung als Rechtsgrundlage für das inquisitorische Vorgehen Konrads namhaft machen.

[6] Nach dem Original im Bayerischen Hauptstaatsarchiv hg. von L. Förg S. 94-96. - Über die Lebensumstände der beiden Dominikaner scheint sonst weiter nichts bekannt zu sein, doch ist der Regensburger Dominikanerkonvent von der Forschung bisher recht stiefmütterlich behandelt worden; am besten hierzu Marianne Popp, Die Dominikaner im Bistum Regensburg, in: Klöster und Orden im Bistum Regensburg. Beiträge zu ihrer Geschichte, hg. von Georg Schwaiger und Paul Mai (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 12, 1978) S. 227-308, hier bes. S. 231.
[7] Außer Konrad von Marburg sowie Burkhard und Theodorich werden mit Schreiben vom 27. November 1231 Prior und Subprior des Dominikanerkonvents Friesach mit inquisitorischen Befugnissen betraut (BFW 6881); vgl. Förg S. 58. Ein gutes Jahr später (1232 Dezember 2) die Dominikaner in Straßburg; UB der Stadt Straßburg 1, bearb. von Wilhelm Wiegand (1879) S. 179ff. Nr. 230. Wohl zu Recht nimmt Julius Ficker, Die gesetzliche Einführung der Todesstrafe für Ketzerei, MIÖG 1 (1880) S. 177-226, hier S. 213, an, daß der Kreis der von Gregor IX. für Deutschland eingesetzten Inquisitoren noch größer war; im gleichen Sinne auch Heribert Christian Scheeben, Beiträge zur Geschichte Jordans von Sachsen (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 35, 1938) S. 143ff.
[8] Es läßt sich demgemäß der territoriale Rahmen von Konrads Inquisitionstätigkeit nur schwer bestimmen. Auf keinen Fall ist es jedoch zulässig, alle Nachrichten von Ketzerverfolgung im Zeitraum 1231/33 von vornherein auf Konrads Prozesse zu beziehen. Sicher verbürgt erscheinen Ketzerprozesse Konrads an folgenden Orten: Erfurt, 1232 Mai 5, Verbrennung von vier Ketzern in Konrads Gegenwart; Annalen der Erfurter Dominikaner zu 1232, Monumenta Erphesfurtensia, MGH SS rer. Germ. (1899) S. 82. Dies ist auch schon der präziseste Hinweis. Sonst heißt es nur: circa Renum nonnulli et alibi innumerabiles heretici per magistrum Cunradum de Marburc auctoritate apostolica examinati ac per sententiam secularem damnati combusti sunt igne (ebd.); oder: orta est persecutio hereticorum per totam Alemanniam ... eratque princeps et caput huius persecutionis magister Conradus de Marb?rch; Cont. Trev., MGH SS 24, 400. Ähnlich allgemein die Annales s. Pantaleonis (vgl. das Zitat unten Anm. 26). Nimmt man hinzu, daß zu den namentlich von Konrad Verfolgten ein Graf von Sayn und ein Graf von Solms gehörten, daß apud Moguntiam drei Ketzer ergriffen wurden, die fälschlich unschuldige Rechtgläubige angezeigt hatten (Cont. Trev., MGH SS 24, S. 401, 8ff.; vgl. auch Ep. Sigfr. MGH SS 23, S. 931, 31ff.), dann dürfte das Mittelrheingebiet als Wirkungskreis Konrads feststehen, d. h. unter Einschluß Erfurts das gesamte Gebiet der Mainzer Erzdiözese. Es läßt sich freilich weder ausschließen noch bestätigen, daß er auch außerhalb dieses Gebietes als Inquisitor tätig wurde, daß etwa der unten zu besprechende Prozeß dess katharers Lepzet in Köln vor Konrads Tribunal stattfand.
[9] Con t. Trev., MGH SS 24, 402: Exhinc (nämlich nach Konrads Tod) procellosa illa persecutio cessavit, et periculosissima tempora, quibus a diebus Constantii imperatoris heretici et Iuliani apostate nulla alia fuere similia, sereniori ceperunt spirare clementia.
[10] Herausgegeben von G. Waitz, MGH SS 24, 400-402. Dazu W. Wattenbach - F.J. Schmale, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vom Tode Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnum 1 (1976) S. 351.
[11] Herausgegeben von Oswald Ho1der-Egger, Monumenta Erphesfurtensia saec. XII, XIII, XIV (MGH SS rer. Germ., 1899) S. 82-87. Dazu Wattenbach-Schmale 1, 408f.
[12] In der Literatur bezeichnet als Bernardus Teuto; vgl. Thomas Kaeppeli, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 1 (1970) S. 233 sowie Scheeben (wie Anm. 7) S. 154f. mit weiterführenden Angaben. – Zu Siegfried III. von Mainz vgl. Georg Wilhelm Sante, Siegfried III. von Eppstein, Erzbischof von Mainz, 1230 bis 1249, in: Nassauische Lebensbilder 1, hg. von R. Vaupel (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 10, 1, 1940) S. 17-32.
[13] Herausgegeben von Paul Scheffer-Boichorst, MGH SS 23, 931f. Zur Charakterisierung W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 2 (61894) S. 461ff., eine erschöpfende Untersuchung von Alberichs Arbeitsweise steht aus.
[14] Beste Edition von Heinrich Boos, Monumenta Wormatiensia. Annalen und Chroniken (Quellen zur Geschichte der Stadt Worms 3, 1893) S. 167-170. Zu dieser und der mißlungenen Ausgabe von G. H . Pertz, MGH SS 17, 38-40 vgl. Wattenbach 2 (61894) S.401 und Wattenbach-Schmale 1, 129f., mit Anm. 2.
[15]Cont. Trev., MGH SS 24, S. 400, 36.
[16] Vgl. oben Anm. 4.
[17] Dieser Terminus steht nicht in den Quellen. Dort heißt es eher unbestimmt: coadiutor (vgl. Anm. 4, Gregor IX.), minister (Cont. Trev., MGH SS 24, S. 400, 37), vielleicht auch socius, falls diese Bezeichnung für den mit Konrad ermordeten Franziskaner Gerhard Lutzelkolb mehr als den persönlichen Begleiter meint (siehe unten Anm. 20).
[18] Vgl. zum Aufgabenkreis dieser Gehilfen Camillo Henner, Beiträge zur Organisation und Competenz der päpstlichen Ketzergerichte (1890) S. 93ff.
[19]Cont. Trev., MGH SS 24, S. 400, 36f: ... et ministri eius Conradus quidam cognomento Tors et Iohannes carens uno oculo et una manu; qui duo ex hereticis conversi fuisse ferebantur. Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 167, 28ff., ed. Pertz, MGH SS 17, 38f.: Venit namque quidam frater dictus Conradus Dorso, et erat laicus totalis et de ordine Predicatorum, et adduxit secum quendam secularem nomine Iohannem, qui erat luscus et mancus et vere totus nequam.-Die Zugehörigkeit des Konrad Tors zum Dominikanerorden ist von C. Scheeben (wie Anm. 7) S. 145 Anm. 18 aufgrund des wenig vertrauenswürdigen Zeugnisses der Wormser Bischofschronik in Zweifel gezogen worden (daß er als Dominikaner laicus totalis gewesen sein könne, schließt Scheeben gänzlich aus); doch ihm entging die Mitteilung der Ann. Erph. OP S. 86, den Tod Konrads von Marburg habe quidam ordinis Predicatorum Torso agnomine Papst Gregor IX. gemeldet: zweifellos derselbe wie Konrad Tors, für dessen Ordenszugehörigkeit der Erfurter Dominikaner der denkbar sicherste Gewährsmann ist. - Im übrigen sei angemerkt, daß eine bestimmte Fassung der sog. Disputatio inter catholicum et Paterinum haereticum dem „Bruder Tors“ zugeschrieben wird; vgl. A. Patschovsky, (wie Anm. 33) S. 103f. mit Anm. 83 u. 84.
[20] Siehe Anm. 19. Zur Bedeutung der Krüppelhaftigkeit, namentlich der Einäugigkeit als böses Omen vgl. Hanns Bächto1d-Stäub1i, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1 (1927) Sp. 686f. s. v. Auge § 11 (böser Blick), 2 (1929/30) Sp. 694f s. v. Einäugigkeit, 5 (1932/33) Sp. 636f s. v. Krüppel. Bekanntlich machte Krüppelhaftigkeit auch unfähig zum Empfang der kirchlichen Weihen; vgl. Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland (Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland) 1 (1869) S. 14ff. (Irregularität ex defectu corporis). - Es ist nicht auszuschließen, daß der zusammen mit Konrad umgekommene Franziskaner Gerhard Lutzelkolb, den die Quellen socius suus nennen (Cont. Trev., MGH SS 24, S. 402, 29; Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 169, 31, ed. Pertz, MGH SS 17, S. 40, 8), zum Kreise dieser Inquisitionshelfer mit Subdelegiertenfunktion gehörte; vgl. Henner (wie Anm. 18) S. 95, vor allem aber die Ausführungen S. 103 ff., die diese Annahme freilich recht wenig wahrscheinlich machen.
[21]Cont. Trev. (wie Anm. 19).
[22] Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 167f., ed. Pertz, MGH SS 17, 38f.
[23] Ein Musterbeispiel unkritischer Quellenbenutzung ist hier P. Braun (wie Anm. 1) S. 336f., der ungeachtet der ganz unterschiedlichen Akzentuierung hinsichtlich der Anteile Konrads und seiner Gehilfen in der Cont. Trev. und der Wormser Bischofschronik (die Ann. Erph. OP erwähnen überhaupt nichts von Gehilfen Konrads) beide Berichte vermengt. Nicht viel besser zuvor Ka1tner S. 138ff. - Daß Konrad Tors und Johannes tatsächlich frühere Ketzer waren, wird schon von der Cont. Trev. nur als Ondit berichtet (siehe oben Anm. 19), der einzigen Quelle, die derartiges mitteilt.
[24] Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 169, 33 f., ed. Pertz, MGH SS 17, S.40,11.
[25] Vgl. das Zitat aus den Ann. Erph. OP oben Anm. 8. Cont. Trev., MGH SS 24, S. 400, 36: ... exusti sunt plurimi per continuum triennium.
[26] Das notierten schon mit Erstauenen (und teilweise mit Mißbilligung) die Zeitgenossen. Cont. Trev., MGH SS 24, S. 400, 42f.: quique (= Conradus) auctoritate apostiloca fretus et animi constantia preditus, ita animosus factus est, ut neminem timeret, tantique esset ei rex vel episcopus quanti pauper laicus. Ep. Sigfr., MGH SS 23, S. 931, 38ff.: Et borum accusatio paulatim cepit ascendere a rusticis ad burgenses honorabiles et eorum uxores, et tandem ad milites et eorum uxores, inde ad castellanos et nobiles et in fine ad comites prope et longe positos. Dieselbe Dramaturgie breit ausgebaut dann in der Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 167f., ed. Pertz, MGH SS 17, 38f.Die Unterschiedslosigkeit, mit der Konrad Personen aller Stände ergriff, betonen die Annales s. Pantaleonis, ed. Waitz, Chronica regia Colon., MGH SS rer. Germ. (1880) S. 264: Nam et propter veras hereses et propter fictas multi nobiles et ignobiles, clerici, monachi, incluse, burgenses, rustici a quodam fratre Cunrado ignis supplicio per diversa Teutonie loca, si fas est dici, nimis precipiti sententia sunt addicti.
[27] Ann. Erph. OP, Monumenta Erphesfurtensia, MGH SS rer. Germ. (1899) S. 84, 86f.; zur Identifikation des namentlich nicht genannten Grafen von Solms vgl. Friedrich Uh1horn, Geschichte der Grafen von Solms im Mittelalter (Beiträge zur deutschen Familiengeschichte 12, 1931) S. 24f., wonach es in der in Frage stehenden Zeit zwei Grafen Solms gab: Heinrich (I.) und Marquard (II.). Es mag für die unterschiedliche Behandlung Heinrichs von Sayn und des Grafen von Solms von Interesse sein zu wissen, daß die ursprünglich nur edelfreien Herren von Solms erst seit 1223 als Grafen nachweisbar sind (Uh1horn a.a.O.).
[28] Vgl. Walther Möller, Stamm-Tafeln westdeutscher Adels-Geschlechter im Mittelalter 2 (1933) S. 158-161 mit Tafel 58; Frank Baron Freytag von Loringhoven, Europäische Stammtafeln 4 (1957) Tafel 1 a.
[29]Dazu ausführlicher unten S. 684ff.
[30] Den Beinamen überliefert nur die Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 169, 30, ed. Pertz, MGH SS 17, S. 40, 8 (Gerhardus Lutzelkolbo).
[31] Schon kurz nach seinem Tod rief man ihn zugleich mit der heiligen Elisabeth um Beistand an; vgl. die Sammlung der 1235 jan. 1 datierten Mirakelberichte am Grabe Elisabeths, hg. von Albert Huyskens, Quellenstudien zur Geschichte der hl. Elisabeth, Landgräfin von Thüringen (1908) SX. 29f. Nr. 21 u. 23, und den hübschen Bericht vom Streit zweier Heilungsuchender, welcher der beiden präsumptiven Heiligen, Konrad oder Elisabeth, mehr vermöchte, bei Richer, Gesta Senoniensis ecclesiae, MGH SS 25, 321f. Spätere Quellen haben ihn dann mit dem ca. 1257 gestorbenen Franziskanerprovinzial gleichen Namens verwechselt, der tatsächlich als Seliger verehrt wurde; vgl. Bibliotheca Sanctorum 4 (1964) Sp. 204.
[32] Ich lasse bewußt spätere Quellen (z. B. Johannes Rothe, Trithemius u.a.m.) beiseite, weil ihnen offensichtlich nicht der geringste originäre Zeugniswert beizumessen ist und es an dieser Stelle zu weit führen würde, die Haltlosigkeit der angeblichen zusätzlichen Informationen all dieser Quellen (in Auseinandersetzung mit der ihnen oft blind folgenden Literatur) im einzelnen nachzuweisen.

Ausdrücklich genannt sei jedoch noch der, freilich äußerst knappe, Bericht in den um 1237 verfertigten Annales s. Pantaleonis ( = Cont. IV der Chronica regia Coloniensis) ed. G. Waitz, MGH SS rer. Germ. (1880) S. 264f., die aber leider nichts von Belang über das in den oben genannten Hauptquellen Mitgeteilte hinaus enthalten. Zu diesen Annalen vgl. Wattenbach - Schma1e 1, 109ff.

[33] Dazu Alexander Patschovsky, Der Passauer Anonymus. Ein Sammelwerk über Ketzer, Juden, Antichrist aus der Mitte des 13. Jahrhunderts (Schriften der MGH 22, 1968). Eine kritische Edition des häreseologischen Teils des Sammelwerkes wird von mir im Rahmen der MGH vorbereitet. Die folgenden Zitate aus dem Passauer Anonymus beruhen auf dem vorläufigen Text dieser Ausgabe.
[34] Zu der etwas komplizierten Überlieferung dieses Textstücks vgl. Patschovsky, Passauer Anonymus S. 71ff., 94 ff. Den Zusammenhang mit der Inquisition Konrads von Marburg hatte ich damals nicht voll erkannt; vgl. ebd. S. 97 Anm. 61. Der Text ist am besten bei Ignaz von Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters 2 (1890) S. 369-373 zu vergleichen.
[35] Von diesem Frageformular edierte Döllinger, Sektengeschichte 2, 373 nur die Anfangsworte, obwohl die seiner Edition zugrunde liegende St. Galler Hs. 974 den vollen Text enthält. Vgl. zu diesem Abschnitt außerdem Patschovsky, Passauer Anonymus S. 66f.
[36] Potthast 9229-9230. Text in: MGH Epp. saec. XIII 1, 432ff. Nr. 537.
[37] Der Bezug auf vorangegangene Berichte wird direkt ausgesprochen. In der an den Erzbischof von Mainz, den Bischof von Hildesheim und Konrad von Marburg adressierten Fassung (Potthast 9230) heißt es (ebd. S. 432, 41): Sicut enim littere vestre grandi merore plene et immenso dolore non vacue nobis exhibite continebant, inter diversas beresum species, que peccatis exigentibus Alemanniam infecerunt, una, sicut detestabilior ceteris sic et generalior universis, que non solum referentibus sed etiam audientibus est horrori, in nobilibus membtis ecclesie ac valde potentibus iam erupit, folgt die Schilderung dieser schrecklichen Ketzerspezies. Um jeden Zweifel auszuschließen: Das vage vestre wird in der an die Bischöfe der Mainzer Kirchenprovinz adressierten Fassung (Potthast 9231) mit Namen und Titeln der drei Adressaten von Potthast 9230 ausgedrückt (ich zitiere nach der Überlieferung in der Hs. Basel, Univ.-Bibl. B X 14 fol. 174vb-177vb): ... venerabilium fratrum nostrorum archiepiscopi Maguntini et episcopi Hyldensemensis et dilecti filii magistri Conradi de Marburch predicatoris verbi dei ...
[38] MGH Epp. saec. XIII 1, 433; vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 370f.
[39] Vgl. dazu vorderhand mit weiterführenden Angaben A. Patschovsky, Waldenserverfolgung in Schweidnitz 1315, DA 36 (1980) S. 149ff. Siehe auch unten S. 661f. vor allem mit Anm. 57.
[40] MGH SS 23, S. 931, 14ff.: Et ultra Coloniam fuit quedam synagoga hereticorum, ubi responsa dabat ymago Luciferi, sed ubi catholicus clericus advenit et pixidem cum corpore Domini de sinu suo protulerit, pestifera ymago corruit. Ebd. S. 931, 42f.: ... accusatum oportuit confiteri se hereticum esse, buffonem, cattum, pallidum virum et huiusmodi monstra diffidentie pacis in osculo salutasse.
[41] Cont. Trev., MGH SS 24, S. 401, 26f.: alii pallidum hominem vel etiam cattum osculabantur, et adhuc peiora faciebant.
[42] Cont. Trev., MGH SS 24, S. 401, 25f.; vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2,372.
[43] Cont. Trev., MGH SS 24, S. 401, 15ff. mit Anm. 2; „Vox in Rama“, MGH Epp. saec. XIII 1, S. 433, 39ff.; vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 371. - Hinzuweisen wäre noch auf eine ähnliche Parallelität in der Schilderung der Mißachtung gegenüber der Eucharistie; Lepzet: Corpus autem Christi omnino nichil aliud esse credunt quam sicut alium panem. Si tamen aliquis eorum aliquando simulacionis vel fictionis causa a sacerdote catholico acceperit corpus Christi, nequaquam comedit illud, sed domum rediens comburit illud. Prohibitum est enim in secta, ne quis audeat corpus Christi manducare, sicut predictus Lepzet de se confitebatur, quod LXX (!) annis ter in anno a sacerdote corpus Christi acceperat simulate, et domum rediensigne cremavit; vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 371f. „Vox in Rama” (MGH Epp. saec. XIII 1, S.433, 37 f.): Corpus etiam Domini singulis annis in pascha de manu recipiunt sacerdotis, et illud ad domus suas in ore portantes in latrinam proiciunt in contumeliam Redemptoris.
[44] Ekbert von Schönau, Sermones adversus Catharorum errores, Migne, PL 195, 17f. (sermo I 3-5); vgl. dazu Arno Borst, Die Katharer (Schriften der MGH 12, 1953) S. 6f., sowie Raoul Manselli, Ecberto di Schönau e l’eresia catara in Germania alla metà del secolo XII, in: ders., Studi sulle eresie del secolo XII (Studi storici 5, 21975) S. 191-210.
[45] Gemeint ist die folgende Textpassage: ... quot vices computare non potest. Manichei dicunt hominem peccatum vitare non posse. Manichei in homine duas naturas esse contendunt: unam bonam ex deo, alteram malam ex gente tenebrarum, que numquam bona fuit nec bonum velle potest (bei Döllinger, Sektengeschichte 2, 370 fehlt diese Passage); vgl. dazu Augustin, De haeresibus XLVI 2, 7, 19, ed. R. Vander Plaetse - C. Beukers (CC 46, 1969) S. 313f., 319. Der Nachweis, daß diese gemeinsam von der Passauer-Anonymus-Tradition wie von der Hs. St. Gallen 974 überlieferte Textpartie in gleicher Weise von Augustin abhängt wie der Vorspann zu Burchards Geständnis, ist überlieferungskritisch insofern von Bedeutung, als die St. Galler Hs. 974 diesen Vorspann nicht enthält und man daher zweifeln könnte, ob er mit den anderen Textabschnitten schon vor der Übernahme in das Sammelwerk des Passauer Anonymus eine Texteinheit bildete.
[46] Item ad suggestionem patris et matris deseruit sectam; et hec fuit in Lovanio, et ibi pater suus et mater fuerunt confessi; vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 370. Das ibi verrät, daß die Aussage an einem anderen Ort als Löwen gemacht wurde.
[47] Item dicit, quod credidit secundum doctrinam illorum, quod dyabolus omnia visibilia creaverit. Item dicit, quod Iesus Christus fuerit homo et non deus; et hoc credidit. Item dicit, quod Christus conceptus fuerit de semine virili; et hoc credidit ... Item de baptismo dicit, quod nesciat. Item de confirmacione et oleo dicit, quod nullius sit virtutisusw. Item negant purgatorium. Item resurrectionem carnis negant; vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 370. Zur Sache Borst, Katharer S. 151ff., 162ff., 171f., 216ff. – Zur Endura ausführlicher unten S. 662f. mit Anm. 60.
[48] Borst, Katharer S. 123f., 135ff.; dazu Patschovsky, Passauer Anonymus S. 97f.
[49] Vgl. dazu den lehrreichen Aufsatz von Herbert Grundmann, Ketzerverhöre des Spätmittelalters als quellenkritisches Problem, DA 21 (1965) S. 519-575 (Nachdruck in: Ders., Ausgewählte Aufsätze 1[Schriften der MGH 25, 1, 1976] S. 364-416), bes. den einleitenden Abschnitt S. 519ff.(364ff.).
[50] Neben der oben Anm. 39 zitierten Passage vgl. MGH SS 23, 932 mit der phantastischen Entstehungsgeschichte der infidelitas illa de cultu Luciferi im niederrheinischen Raum vermittels der teuflischen Zauberkünste eines magister Toletanus.
[51] Vgl. etwa Ka1tner (wie Anm. 1) S. 58ff. Als „Abart der Katharer“ (mithin als eigene Sekte) werden Luziferianer noch gedeutet bei Karl Bihlmeyer - Hermann Tüchle, Kirchengeschichte 2 (181968) S. 324. Man vergleiche auch die freilich ziemlich wirre Darstellung bei Jeffrey Burton Russell, Witchcraft in the Middle Ages (1972) S. 141f., 159ff., der immerhin erstmals die Verwandtschaft zwischen „Vox in Rama“ und dem Bericht Lepzets erkannte, letzteren aber den noch ins späte 13. Jahrhundert setzte (S. 161 mit Anm. 41 auf S. 324).
[52] Dagegen zu Recht Dietrich Kurze, Zur Ketzergeschichte der Mark Brandenburg und Pommerns vornehmlich im 14. Jahrhundert. Luziferianer, Putzkeller und Waldenser, Jb. für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 16/17 (1968) S. 50-94, hier S. 52ff.
[53] Daß ein Zusammenhang zwischen den dualistischen Lehren der Katharer und den Berichten über angeblichen Teufelskult von Ketzern bestand, hat man im übrigen schon seit langem gesehen; ich nenne nur Joseph Hansen, Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozeß im Mittelalter und die Entstehung der großen Hexenverfolgung (Historische Bibliothek 12, 1900) bes. S. 227ff.
[54] Vgl. Borst, Katharer S. 143ff., 151ff.
[55] Vgl. Borst, Katharer S. 167ff., 174ff.
[56] Vgl. die knappen Bemerkungen von Herbert Grundmann, Der Typus des Ketzers in mittelalterlicher Anschauung (1927; benutzt in: Ders., Gesammelte Aufsätze 1, 1976, S. 313-327) S. 324f. Das Thema lohnt eine eigene Beschäftigung.
[57] Man vergleiche nur dessen Etymologie des Namens Katharer, De fide catholica contra haereticos sui temporis 163, Migne, PL 210, 366 A: ... Unde, ut fertur, in conciliabulis suis immundissima agunt, Hi dicuntur Cathari, id est diffluentes per vitia, a catha, quod est fluxus; vel cathari, quasi casti, quia se castos et iustos faciunt. Vel Cathari dicuntur a cato, quia, ut dicitur, osculantur posteriora catti, in cuius specie, ut dicunt, apparet eis Lucifer. Zu nennen wäre hier auch Walter Map, De nugis curialium 130 (dieser Teil des Werkes entstand ca. 1185), ed. Montague Rhodes James (Anecdota Oxoniensia, Mediaeval and Modern Series 14, 1914) S. 57: ... Publicani vel Paterini ... Resipuerunt autem multi, reversique ad fidem enarrant quod circa primam noctis vigiliam, clausis eorum ianuis, hostiis, et fenestris, expectantes in singulis sinagogis suis singule sedeant in silencio familie, descenditque per funem appensum in medio mire magnitudinis murelegus niger, quem cum viderint luminibus extinctis ymnos non decantant, non distincte dicunt, sed ruminant assertis dentibus, acceduntque ubi dominum suum viderint palpantes, inventumque deosculantur quisque secundum quod ampliore fervet insania humilius, quidam pedes, plurimi sub cauda, plerique pudenda, et quasi a loco fetoris accepta licencia pruriginis, quisque sibi proximum aut proximam arripit, commiscenturque quantum quisque ludibrium extendere prevalet. Vgl. zum Ganzen Hansen (wie Anm. 53) S. 228f.
[58] Im Bericht der Cont. Trev., MGH SS 24, S. 401, 15ff., bleibt es undeutlich, vor welchem Gerichtsforum Lucardis sich hat verantworten müssen; daß es das bischöfliche Sendgericht war, geht jedoch klar aus der ebd. Anm. 2 zitierten Überlieferung einer heute verschollenen Handschrift des Benediktinerklosters Tholey hervor.
[59] Borst, Katharer S. 197 Anm. 22 (Borst zitiert unsere Quelle nach der sog. Pseudo-Rainer-Fassung).
[60] Der Text lautet nach Burchard: Item dicit, quod pater suus dixerit ei, quod, cum aliquis infirmatur, si vult fieri martyr, ponitur ei cussinus super os et suffocatur; sed numquam vidit; nach Lepzet: Quando autem in extremo vite periculo aliquem recipere volunt, dant ei opcionem, utrum velit in regno celorum esse consors martyrum vel confessorum. Si eligerit statum martyrum, manutergio ad hoc specialiter deputato - quod Teutonice vocatur vordherdoch - strangulant ipsum hostio super se clauso. Si statum confessorum elegerit, tunc post manus imposicionem nichil dant ei ad usum vel ad esum nisi puram aquam ad bibendum, et ita fame ipsum perimunt; vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 370, 373.
[61] Vgl. die von Borst (wie Anm. 59) angegebenen Quellenstellen, sowie ausführlicher Raoul Manselli, Un’abiura del XII secolo e l’eresia catara (1955), wieder abgedruckt in: Studi sulle eresie del secolo XII (Studi storici 5, 21975) S. 173-190, bes. S. 183-188 mit S. 190, der den wohl frühesten bisher bekannten Hinweis auf die katharische Endura in einem Abschwörformular noch des 12. Jahrhunderts in einer Handschrift aus dem Kloster Moissac gefunden hat.
[62] Episcopus autem secte eorum sic dedicatur: Puerulum ab utero matris egressum antequam gustet lac matrinum accipiunt nutrientes eum lacte amigdalinopenidis († perudis andere Hss.) et demum esu piscium. Cavent autem, ne umquam gustet carnes neque lacticinia nec aliquid quod de coitu nascitur. Demum cum ad annum discrecionis pervenerit, ipso iure episcopus est secte; vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 372.
[63]Dazu Borst, Katharer S. 174ff.
[64] Dazu Borst, Katharer S. 192ff. (Consolamentum), 198f (Melioramentum).
[65]Vgl. Borst, Katharer S. 23. Der Text aus Anselms De hereticis bei Antoine Dondaine, La hiérarchie cathare en Italie, II: Le Tractatus de hereticis d’Anselme d’Alexandrie O.P., Arch. Fratr. Praed. 20 (1950) S. 234-324, hier S. 314; zum Text des Passauer Anonymus vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 373. Siehe auch oben S. 654 das Zitat aus „Vox in Rama“.

Hinzuweisen wäre in diesem Zusammenhang auch auf die Beschreibung der Zeremonie des Melioramentum (diesmal ohne Consolamentum) bei Bernard Gui, Practica inquisitionis heretice pravitatis, ed. G. Mollat (Les classiques de l’histoire de France au moyen âge 8, 1926) S. 20 mit Anm. 2: Item docent credentibus suis quod exibeant eis reverentiam, quam vocant melioramentum, nos autem vocamus adorationem, videlicet flectendo genua et inclinando se profunde coram ipsis super aliquam banquam vel usque ad terram, iunctis manibus, tribus vicibus inclinando et surgendo et dicendo, qualibet vice. „Benedicite”, et in fine concludendo: „Boni christiani, benedictionem Dei et vestram; orate Dominum pro nobis quod Deus custodiat a mala morte et perducat nos ad bonum finem, vel ad manus fiaelium christianorum.” Et hereticus respondet. „A Deo et a nobis habeatis eam (scilicet benedictionem); et Deus vos benedicat et a mala morte eripiat animam vestram et ad bonum finem vos perducat.”

[66] Vgl. Döllinger, Sektengeschichte 2, 369f.
[67] Ganz Ähnliches beobachtete Lorenzo Paolini, L’eresia a Bologna fra XIII e XIV secolo, I: L’eresia catara alla fine del Duecento (Studi storici 93-96, 1975) S. 1ff., für die Katharerbewegung in Bologna irn späten 13. Jahrhundert.
[68] Hinschius (wie Anm. 20) 5 (1895) S. 454.
[69] Braun (wie Anm. 1) S.344.
[70] Förg (wie Anm. 1) S. 75, 77.
[71] Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 4 (3/41913) S. 918, mit der denkwürdigen Begründung ebd. Anm. 1: „Sein gesetzwidriges Verfahren bestand 1. darin, daß er die Beklagten ‚comburi fecit’ ...; das war Sache des weltlichen Richters; 2. darin, daß er sie vor die Wahl stellte aut sponte confiteri et vivere aut innocentiam iurare er statim comburi ... Dies verstieß gegen die Verpflichtung zur examinatio.“ Zu 1: Hauck verkennt den Automatisrnus von Verurteilung als Ketzer durch ein geistliches Gericht und Verbrennung nach Überantwortung an den „weltlichen Arm“; die Quellen berichten von nichts anderem, teilweise sogar in säuberlicher Scheidung der Anteile von geistlicher und weltlicher Sphäre bei Konrads Verurteilungen (vgl. etwa oben Anm. 5 das Zitat aus den Ann. Erph. OP). Zu 2: Hauck übersieht die Eigentümlichkeit des Inquisitionsverfahrens, daß die eigentliche examinatio der Sache (mittels Zeugen) in den Voruntersuchungen stattfindet (dazu unten S. 669, 675f.).
[72] Hauck, ebd. S. 917.
[73] P. Seg1 (wie Anm. 1). - Eine andere Auffassung vertraten nur Kaltner S. 142 („daß dieses Inquisitionsverfahren den Gesetzen großentheils entsprach ...“) und Benrath, Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 10 (1901) S. 747-751, hier S. 750f., der Gregor IX. und damit dem Papsttum die Hauptverantwortung beimißt, deren gefügiges Werkzeug Konrad lediglich gewesen sei. In der Substanz werden die folgenden Seiten in gewissem Sinne Kaltners flüchtige Bemerkung zu verifizieren suchen, freilich sicherlich anders, als er es meinte, denn daß sich in den Klagen schon der Zeitgenossen über Konrads Verfahrensweise der Zusammenprall zweier Rechtsvorstellungen widerspiegelt, war Kaltner in keiner Weise bewußt.
[74] Ep. Sigfr., MGH SS 23, S. 931, 50: Et sic frater fratrem, uxor virum, domnus servum et servus domnum accusavit.
[75] Hinschius 5, 491f. mit Anm. 1.
[76] Ep. Sigfr., vgl. das Zitat unten S. 669.
[77] Wie ich ihn bei dem berühmt-berüchtigten Ausspruch gegeben sehe, den man dem Abt Arnaud-Amaury von Citeaux in den Mund legt, der bei der Eroberung von Béziers 1209 auf die Frage, wie man Katharer von Katholiken unterscheiden könne, geantwortet haben soll: „Schlagt sie tot, Gott kennt die Seinen!“ (Caedite eos. Novit enim Dominus qui sunt eius); Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum V 21, ed. J. Strange (1851) 1, 302. Vgl. auch Borst, Katharer S. 118 mit Anm. 32.
[78] Directorium inquisitorum F. Nicolai Eymerid Ordinis Praed. cum commentariis Francisci Pegñae (Rom 1587) S. 527 CD: „Quare in hoc casu, quamvis huic negativo durissimum videatur innocentem mori, et propterea fortassis credat sibi licere ad mortem evitandam crimina obiecta fateri: nullo tamen modo id est permittendum. Quam ob rem eorum theologorum et confessariorum, qui negativum talem consolantur et ad supplicium comitantur, munus erit eum inducere, ut veritatem prodat, sed caveat omnino, ne sibi crimen, quod non commisit, imponat, ut temporalem mortem evitet; memineritque se, si patienter eam iniuriam et supplicium toleret, velut martyrem esse coronandum.“ Ähnlich ebd. S. 525 C: „Nec quisquam dicat, iniuste se hac ratione condemnari, nec conqueratur de iudicibus Ecclesiasticis vel de iudicio Ecclesi? ita statuentis, que de occultis non iudicat: sed si fortassis per iniquos testes est convictus, ferat id ?quo animo ac laetetur, quod pro veritate mortem patiatur.“ Diese extreme Position fehlt in dem sonst instruktiven Buch von Rosalio Castillo Lara, Coacción ecclesiástica y Sacro Romano Imperio (Institutum Historicum Juris Canonici. Studia er textus historiae juris Canonici 1, 1956), vgl. hier bes. S. 10ff.
[79] Ep. Sigfr., MGH SS 23, S. 931, 25ff.
[80] Vgl. unten S. 676ff. mit Anm. 106 und 109.
[81] Zur Bedeutung von „simpliciter“ im Sinne von „summarie“ vgl. die Beispiele bei Lefebvre (wie Anm. 112) S. 170. Zu den exceptiones siehe unten S. 671 mit Anm. 88.
[82] Es ist von C. Henner (wie Anm. 18) S. 235ff. richtig beobachtet worden, daß es bei der Einführung der organisierten Ketzerinquisition Unsicherheiten bei der Berücksichtigung der priesterlichen Fähigkeit zur Lossprechung von der Sünde der Ketzerei gegeben hat. Die erste definitive Klärung der hier gegebenen Proble me erfolgte auf der Synode von Tarragona 1242; von diesem Zeitpunkt an setzte sich sehr rasch die Rechtspraxis durch, daß der Priester nicht mehr in eigener Machtvollkommenheit die Absolution vom Häresiedelikt erteilen konnte, sondern ein solches Beichtkind an den zuständigen Bischof zu verweisen hatte. Vgl. dazu Henner a.a.O., auch Hinschius (wie Anm. 20) 5, 482 mit Anm. 1. - Grundsätzlich zur kanonistischen Diskussion, wann eine schuldhafte Handlung als „verborgen“ vor das forum internum und wann vor das forum externum gehöre, Stephan Kuttner, Ecclesia de occultis non iudicat, in: Acta Congressus Iuridici Internationalis ... Romae 12-17 Novembris 1934, Bd. 3 (1936) S. 225-246.
[83] Es ist auffallend, daß die Cont. Trev. die Verantwortung für die Mängel von Konrads Verfahren keineswegs auf diesen allein beschränkt (MGH SS 24, S. 400, 43ff.): Cooperabantur autem ei (= Konrad) et ministris suis prefatis (= Konrad Tors und Johannes) predicatores (nicht Predicatores) per singulas civitates; tantusque fuit omnium zelus ... (folgt der oben zitierte Text).
[84]MGH SS 24, S. 400, 45-401, 2.
[85] Namentlich wird auch die den Geständigen erwachsende Pflicht hervorgehoben, „Tatbeteiligte“ zu verraten (MGH SS 24, S. 401, 2f.): Insuper qui sic tonsoratus esset, oportebat eum complices suos prodere, alioquin item debebat cremari.
[86] Vgl. diese und noch andere rechtlich belangvolle „Entschuldigungs“-Gründe bei Raymund von Peñafort in dessen zwischen ca. 1220-1234 entstandener Summa de casibus poenitentiae III § 4 (in der Ausgabe Rom 1603 S. 375), dessen Ausführungen so sehr Allgemeingut waren, daß sie etwa auch in das Dictionarium Iuris tam Civilis quam Canonici des Albericus de Rosate († 1360) s.v. poena aufgenommen wurden (im Nachdruck Turin 1971 der Ausgabe Venedig 1573 S. 578b).
[87] Eingehend dazu Linda Fow1er, Recusatio iudicis in civilian and canonist thought, Studia Gratiana 15 (1972) S. 717-785. Unter den einschlägigen Quellen der Zeit Konrads von Marburg genüge hier der Hinweis auf Tancreds ca. 1216 verfaßten Ordo iudiciarius, pars 2 tit. 6: De recusationibus iudicum, hg. Von Friedrich Bergmann, Pillii, Tancredi, Gratiae fibri de iudiciorum ordine (Götringen 1842) S. 146ff.
[88] Zur Prozeßeinrede hat sich eine ganze Literatur entwickelt. Vgl. zuletzt hierzu Hans Hoehne, Pilii Medicinensis Summula de reorum exceptionibus „Precibus et instantia“, Ius Commune 9 (1980) S. 139-209, bes. S. 161ff. sowie S. 170ff. mit der Edition der ca. 1190 in Modena entstandenen frühesten systematischen Behandlung der sog. deklinatorischen Einreden, wo also ein Sachurteil durch die Behauptung formaler Mängel bezüglich der Prozeßvoraussetzungen abgewehrt werden konnte. Verwiesen sei weiterhin auf Tancred, Ordo iudiciarius, pars 2 tit. 5: De exceptionibus et replicationibus, ed. F. Bergmann S. 139ff.; dazu Guilelmus Duranti, Speculum iudiciale lib. II partic. I, Abschnitt De exceptionibus et replicationibus, Ausgabe Basel 1563 S. 477ff.
[89] Vgl. zur Sache Rudolf Ruth, Zeugen und Eideshelfer in den deutschen Rechtsquellen des Mittelalters, I. Teil: Klagen wegen strafbarer Handlungen (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 133, 1922), bes. S. 225ff., 242ff. Aus der kanonistischen Rechtsliteratur der Zeit seien zur Frage der Entlastungszeugen nur genannt Tancred, Ordo iudiciarius, bes. pars 2 tit. 12: Quibus testibus fides adhibeatur et quanta, ed. F. Bergmann S. 245ff. Im gleichen Sinne Guilelmus Duranti, Speculum iudiciale lib. I partic. IV, Abschnitt De teste, bes. S. 317ff. Zur Frage der purgatio canonica siehe Tancred, Ordo iudiciarius, pars 2 tit. 7: De criminibus, ed. F. Bergmann S. 161f.; Guilelmus Duranti, Spec. iud. lib. III partic. I, Abschnitt De abolitione er purgatione, S. 52f. Dazu auch Friedrich August Biener, Beiträge zu der Geschichte des Inquisitionsprocesses und der Geschworenengerichte (Leipzig 1827) S. 26ff. sowie Karl Hildenbrand, Die Purgatio canonica und vulgaris (München 1841) S. 140ff.
[90] In diesem prägnanten Sinn Gratians Dekret C. 3 q. 9 c. 6 (ed. Friedberg 1, 530):Habetur quoque in decretis sanctorum Patrum sancitum, non fore canonicum quemquam sacerdotum iudicare vel dampnare ante quam accusatores canonice examinatos presentes habeat locumque defendendi accipiat, id est inducias ecclesiasticas ad abluenda crimina etc. (vgl. auch c. 8); dazu die Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus ad. v. inducias: Arg. sententiam non valere nisi praecesserint legitimae induciae (Ausgabe Lyon 1618 Sp756). Zu Form und Dauer solch „rechtmäßiger Fristen“ vgl. Tancred, Ordo iudiciarius, pars 2 tit. 17: De dilationibus, ed. F. Bergmann s. 180 ff.
[91] Zu den rechtmäßigen Fristen sehr ausführlich die ca. 1169 entstandene Summa ‚Elegantius in iure divino’seu Coloniensis VI 1ff., ed. G. Fransen - St. Kuttner, Bd. 2 (Monumenta Iuris Canonici 1, 2, 1978) S. 105ff.Vgl. Auch Tancred (wie Anm. 90) S. 181. Dazu X 2.8.2 mit der Glosse des Bernhardus de Botone ad v. Plene potuit (Ausgabe Lyon 1618 Sp. 591f.). An Literatur vgl. Jacobi (wie Anm. 100) S. 271ff.
[92] Zur rechtstechnischen Bedeutung des aus dem Römischen Recht herrührenden Begriffs incontinenti vgl. im Bereich des Kirchenrechts die Glossierung der Dekretalen X 1.6.42 ad v. Mox, X 2.21.7 ad v. Incontinenti, X 2.37.42 ad v. Incontinenti, und zwar vor allem in der Glossa ordinaria des Bernhardus de Botone (Ausgabe Lyon 1618 Sp. 180, 763, 934) sowie im 1271 vollendeten Kommentar des Hostiensis (Ausgabe Venedig 1581 fol. 66 n. 35, 109 n. 3, 181). Nützlich auch die Zusammenstellung bei Albericus de Rosate, Dictionarium Iuris s.v. Incontinenti (S. 345a).
[93] Die Ann. Erph. OP bringen keine weiterführenden Elemente, unterstreichen jedoch die bisherigen Feststellungen; vgl. Monumenta Erphesfurtensia, MGH SS rer. Germ. (1899) S. 85, 24ff.: Siquidemplerisque per Teutoniam prelatis ac clericis seu etiam laicis magistri Cunradi visitandi hereticos seu examinandi forma displicuerat, videlicet ut aliquis infamatus ab heresi publico examini presentaretur et confessus errorem ac reverti volens tonderetur, suam vero innocentiam fide iuratoria defendens, postea convictus pro heretico cremaretur.

Noch knapper und gleichfalls in diesem Sinne die Annales s. Pantaleonis, ed. G. Waitz, Chronica regia Coloniensis, MGH SS rer. Germ. (1880) S. 264 f.: ... multi ... a quodam fratre Cunrado ignis supplicio ... nimis precipiti sententia sunt addicti. Nam eodem die quo quis accusatus est, seu iuste seu iniuste, nullius appellationis, nullius defensionis sibi refugio proficiente, est dampnatus et flammis crudelibus iniectus. Als neues Element könnte man lediglich die Appellation betrachten, die Gregor IX. gerade damals beim Häresiedelikt für grundsätzlich unzulässig erklärte (vgl. Hinschius 5, 467f.), übrigens in einem seiner Ketzergesetze, die er im Zusammenhang seiner Initiative zur Ketzerverfolgung des Jahres 1231 sowohl Konrad von Marburg wie anderen deutschen Prälaten übersandt hat; siehe den Text oben S. 643 Anm. 4 sowie Gregors IX. Dekretale „Excommunicamus“ vom Februar 1231 (vgl. die Edition bei Selge [wie Anm. 118] S. 42): Item proclamationes aut appellationes huiusmodi personarum minime audiantur.

[94] Vgl. Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts 2 (21962) S. 355ff. Siehe auch unten mit Anm. 100, 101, 103. Den dortigen Angaben zu Quellen und Literatur wäre noch die erst kürzlich entdeckte und publizierte Summula de criminibus Tancreds aus dem Jahre 1216 hinzuzufügen: Richard M. Fraher, Tancred’s ‚Summula de criminibus’: A new text and key to the Ordo iudiciarius, Bulletin of Medieval Canon Law n.s. 9 (1979) S. 23-35 (Text S. 29ff.).

Die Erwartungen der Zeitgenossen hinsichtlich eines ordentlichen Prozeßverfahrens faßt sehr schön die Summa Coloniensis V 6 zusammen (ed. Fransen - Kuttner 2, 52ff.).

Zur Einführung des römisch-kanonischen Verfahrensrechts in Deutschland seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts vgl. auch Helmut Coing, Römisches Recht in Deutschland (Ius Romanum Medii Aevi 5, 6, 1964) S. 79ff.

[95] Vgl. nur oben S. 667 das Zitat aus Hinschius. Dazu auch Biener (wie Anm. 89) S. 60ff. und vor allem Henry Charles Lea, Geschichte der Inquisition im Mittelalter. Autorisierte Übersetzung bearb. von Heinz Wieck und Max Rache1, hg. von Joseph Hansen, Bd. 1 (1905) S. 445ff.
[96] Vgl. schon Tancred, Ordo iudiciarius, pars 2 tit. 7: De criminibus, ed. F. Bergmann S. 159f.: Crimina vero excepta sunt haec: crimen laesae maiestatis, crimen perduellionis, haereseos, simoniae, sacrilegii, et secundum quosdam crimen fraudati census. Siehe im übrigen Hinschius 5, 483; Landau (wie unten Anm. 105) S. 44ff.
[97] Vgl. die vorzügliche Übersicht über diese Literaturgattung bei Antoine Dondaine, Le manuel de l’inquisiteur, Arch. Fratr. Praed. 17 (1947) S. 85-194.
[98] Zusammengestellt von Knut Wolfgang Nörr, Die Literatur zum gemeinen Zivilprozeß, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. von H. Coing, Bd. 1: Mittelalter (1100-1500) (1973) S. 383-397.
[99] Vgl. die bezüglich der Quellengrundlage freilich wenig durchsichtige Arbeit von Hans Jörg Budischin, Der gelehrte Zivilprozeß in der Praxis geistlicher Gerichte des 13. und 14. Jahrhunderts im deutschen Raum (Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen 103, 1974); dazu ein instruktives Einzelbeispiel: Michael Wettenge1, Der Streit um die Vogtei Kelkheim 1275-1276. Ein kanonischer Prozeß (Rechtshistorische Reihe 14, 1981). Hinsichtlich der Ketzerinquisitionsprozesse wird die Anm. 5 angekündigte Arbeit von Lothar Ko1mer Grund legen.
[100] Zum Akkusationsprozeß, d.h. dem vor Innocenz III. liegenden kirchlichen Prozeßverfahren schlechthin, vgl. Erwin Jacobi, Der Prozeß im Decretum Gratiani und bei den ältesten Dekretisten, ZRG Kan. 3 (1913) S. 223-343, bes. S. 264ff., sowie P 1 ö c h 1 (wie Anm. 94) 2, 359 und den Artikel „Accusatio“ von A. Biers, in: Dict. de Droit Can. 1 (1935) Sp. 151-155. Zu den typischen Eigenheiten von Akkusationsprozeß wie Inquisitionsprozeß vgl. auch Walter Ullmann, Some medieval principles of criminal procedure, The Juridical Review 59 (1947) S. 1-28 (nachgedruckt als Nr. XI in: ders., Jurisprudence in the Middle Ages. Collected Studies [1980]).An Quellen seien genannt: Tancred, Ordo iudiciarius, pars 2 tit. 7: De criminibus, und tit. 8: De libello accusationis in causis criminalibus, ed. F. Bergmann S. 157ff., 162 ff.; Guilelmus Duranti, Speculum iudiciale lib. III partic. I, Abschnitt De accusatione, Ausgabe Basel 1563 S. 3ff. - Zur Talionsstrafe vgl. B. H. D. Hermesdorf, Poena talionis (1965) bes. S. 8ff.
[101] Allgemein dazu B i e n e r (wie Anm. 88), bes. S. 42ff.; Hinschius 5, 351ff.; Plöchl 2, 359ff.; Landau (wie Anm. 105) S. 14ff.; dazu Fritz Zechbauer, Das mittelalterliche Strafrecht Siziliens nach Friedrichs II. Constitutiones Regni Siciliae und den sizilischen Stadtrechten. Mit einem Excurse über Herkunft und Wesen des sizilischen Inquisitionsverfahrens (Berliner Juristische Beiträge 12, 1908) bes. S. 196ff. mit den Ausführungen über die inquisitio specialis des sizilischen Rechtes und ihr Verhältnis zum kanonischen Inquisitionsverfahren sowie S. 211ff. über das inquisitorische Beweisverfahren, wo Zechbauer zeigen kann, daß die Eigentümlichkeiten des von Innocenz III. entwickelten kanonischen Inquisitionsprozesses erstmals von Friedrich II. als weltliches Recht rezipiert worden sind.

An Quellen zu den Grundsätzen des kanonischen Inquisitionsverfahrens genügt hier der Hinweis zu Text und Glossenliteratur (namentlich Johannes Teutonicus) des maßgebenden c. „Qualiter et quando“ des 4. Laterankonzils 1215, das den Inquisitionsprozeß ins Kirchenrecht einführte, ed. Antonius García y García,Constitutiones Concilii quarti Lateranensis una cum Commentariis glossatorum (Monumenta Iuris Canonici, series A: Corpus Glossatorum 2, 1981) S. 54ff., 197 ff., 298 ff.

Zum Problem der Rezeption dieses Verfahrens im deutschen Recht Eberhard Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption. Studien zur Geschichte des Strafverfahrens in Deutschland vom 13. bis 16. Jahrhundert, in: Festschrift der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Heinrich Siber zum 10. April 1940, Bd. 1 (Leipziger rechtswissenschaftliche Studien 124, 1, 1941) S. 97-181, dessen These eines vernachlässigenswerten Einflusses des kanonischen Prozesses für die allmähliche Einführung des Inquisitionsverfahrens in Deutschland mich freilich in keiner Weise überzeugt. Seine These modifiziert die ältere Auffassung von Richard Schmidt, Die Herkunft des Inquisitionsprocesses, in: Festschrift der Albrecht-Ludwigs-Universität in Freiburg zum fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs Friedrich (1902) S. 63-118, dem zufolge die Wiege des Inquisitionsprozesses nicht das kanonische, sondern das weltliche Recht gewesen sein soll (vgl. dagegen schon Zechbauer a.a.O.). Eberhard Schmidts Ansicht ist heute herrschend ( vgl. den Artikel „Inquisitionsprozeß“ von H. Schlosser im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2 [1972-1978] Sp. 378-382), dabei dürfte sie in wesentlichem Maße nur dadurch mit verursacht sein, daß E. Schmidt regional begrenzte, die geistliche Gerichtspraxis im Detail aufzeigende Studien der Art gefehlt haben, wie sie Othmar Hageneder, Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich. Von den Anfängen bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 10, 1967), für Österreich vorgelegt hat. Für uns besonders von Interesse sind dabei Hageneders Ausführungen S. 255ff. zum Eindringen des Inquisitionsverfahrens in die geistliche Gerichtspraxis erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts. Dies zeigt, daß zur Zeit Konrads von Marburg selbst das ordentliche Inquisitionsverfahren in Deutschland noch nicht das Regelverfahren war (es begann sich bekanntlich mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts von den Rheinlanden her durchzusetzen; vgl. Coing wie Anm. 94).

[102] Diese Eigentümlichkeit des später ja auch für das weltliche Recht rezipierten Inquisitionsverfahrens hebt zu Recht hervor Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (31965) S. 99f. § 79.
[103] Vgl. etwa Biener S. 48ff. Das wird auch sehr deutlich ausgesprochen im Tractatus de maleficiis des Albertus Gandinus († 1310), hg. von Hermann Kantorowicz, Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik 2 (1926) S. 39 (im Kontext des hier allgemein heranzuziehenden Abschnitts Quomodo de maleficiis cognoscatur per inquisitionem): Et si quidem inquirat contra aliquam specialem personam, tunc servandus est ordo traditus Extra de accusationibus c. qualiter et quando (X 5.1.24), et tunc debet facere citari illam nominatam personam et eidem debet exhibere articulos seu capitula, super quibus inquirit, et nomina testium eidem sunt edenda, et exceptiones et replicationes eidem salve sunt, tam contra personas testium quam contra eorum dicta, ut eis testibus falsa dicendi materia amputetur, ut dicto c. qualiter et quando et c. olim (X 5.1.26).
[104] Noch vor dem in Frankreich wirkenden und auf ähnlichen Widerstand wie Konrad stoßenden Robert le Bougre, auf den ich hier nicht weiter eingehen will; zu ihm immer noch maßgebend Ch. H. Haskins, Robert le Bougre and the Beginnings of the Inquisition in Northern France, American Historical Review 7 (1902), ergänzter Nachdruck in: Studies in Mediaeval Culture (1929) S. 193-244. Siehe im übrigen oben S. 644f. mit Anm. 5.
[105] Aus der zahllosen Literatur zum Beweisrecht und zur Zeugenqualität genügt in diesem Zusammenhang der Hinweis auf Tancred, Ordo iudiciarius, pars 2 tit. 6: De testibus, ed. F. Bergmann S. 222ff., sowie Guilelmus Duranti, Speculum iudiciale lib. I partic. IV, Abschnitt De teste, Ausgabe Basel 1563 S. 266ff., bes. S. 271 bei Nr. 28, 29. Vgl. auch die Belege bei Peter Landau, Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs von Gratian bis zur Glossa ordinaria (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 5, 1966) S. 10ff.
[106] Hg. von Ludwig Wahrmund, Quellen zur Geschichte des römisch-kanonischen Processes im Mittelalter 4, 4 (1926) S. 53: Socii autem criminis non admittuntur ad testimonium, ut IV. q. III, § item in criminali, ver. liberi. . ., etiam in exceptis criminibus, ut Extra I, de testibus, veniens. Zum Traktat, den man früher dem Bologneser Dekretisten Damasus zuschrieb, vgl. Nörr (wie Anm. 98) S. 389; dazu Stephan Kuttner, Repertorium der Kanonistik (1140-1234) (Studi e Testi 71, 1937) S. 428 Anm. 3.
[107] Tancred (wie Anm. 96): Infames vero et criminosi ab omnium accusatione secundum canones repelluntur ... nisi crimina sint excepta, vel nisi suam suorumque iniuriam prosequantur; in his enim casibus criminosi et infames accusantes non repelluntur ... Crimina vero excepta sunt haec: crimen laesae maiestatis, crimen perduellionis, haereseos, simoniae, sacrilegii, et secundum quosdam crimen fraudati census. In his nempe criminibus laici contra laicos indifferenter admittuntur tam ad accusandum, quam ad testificandum, nec repelluntur ratione criminis vel infamiae, nisi sint conspiratores vel inimici capitales, quoniam tales in nullo casu audiuntur nec contra laicos nec contra clericos ...
[108] Ausführlich dazu Landau (wie Anm. 105) S. 104ff. Speziell zur Zeugenqualität beim Ketzerinquisitionsverfahren Hinschius 5, 483; Lea-Hansen (wie Anm. 95) 1, 480ff. An Quellen vgl. allgemein Guilelmus Duranti, Speculum iudiciale lib. III partic. I, Abschnitt De inquisitione, Ausgabe Basel 1563 S. 27 bei Nr. 20: Et scias, quod ubi inquiritur de crimine excepto, viles tunc excipiuntur.
[109] Vgl. die Glosse zu X 2.20.10 ad v. Confesso (Ausgabe Lyon 1618 Sp. 709): Sic ergo patet, quod socius criminis non admittitur in testimonium in eodem crimine ... fallit tamen, quia quandoque admittitur socius:ut 6. q. 1 c. si quis et 79. dist. c. si quis Papa. Solvi consuevit, quod socii criminis et muneris non admittuntur, ut hic: sed criminis tantum admittuntur in exceptis criminibus, ut ibi; sic et quandoque ad detegendum conspirationem socii et iurati ad testimonium admittuntur.
[110] Man vergleiche nur das Abschwörformular in dem ältesten bisher bekannten Inquisitoren-Handbuch, der Konsultation des Tarragoneser Erzbischofs Petrus de Albalate von 1242, ed. C. Douais, L’inquisition (1906) S. 280ff.; das Formular fand Eingang in spätere Inquisitoren-Handbücher, z.B. in die zwischen 1278 und 1298 entstandene Doctrina de modo procedendi contra hereticos, ed. E. Martène - U. Durand, Thesaurus novus anecdotorum 5 (1717) Sp. 1799ff., und von dort in ein Prager Inquisitoren-Handbuch der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, ed. A. Patschovsky, Die Anfänge einer ständigen Inquisition in Böhmen (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 3, 1975) S. 109 Nr. 12.
[111] Es ist bezeichnend für das völlige Unverständnis gegenüber diesem Sachverhalt, wenn Förg (wie Anm. 1)seine Qualifizierung von Konrads Verfahren als „wirr“ mit der Feststellung begründet (S. 75): „Es war unsinnig, wie ein Prozeß aus dem anderen entstand.“ So etwas kann man, wenn man will, unsinnig nennen -nur hatte dieser „Unsinn“ Methode, kennzeichnete er das Ketzerinquisitionsverfahren als ganzes, war keine Spezialität Konrads von Marburg.
[112]Hier und zum folgenden grundlegend Charles Lefebvre, Les origines romaines de la procédure sommaire aux XII et XIII s., Ephemerides Iuris Canonici 12 (1956) S. 149-197. Weitere Angaben bei Nörr (wie Anm. 98) S. 396f.; siehe auch Plöchl (wie Anm. 94) 2, 358f. sowie zum summarischen Prozeß im Römischen Recht selbst die ältere Arbeit von Hugo Krüger, Das summatim cognoscere und das klassische Recht, ZRG Rom. 45 (1925) S. 39-86.

Wie ungewohnt jeder Gedanke an ein abgekürztes Verfahren gewesen sein muß und wie ganz selbstverständlich sich gegen eine solche als unrecht empfundene Prozeßführung Protest und Widerstand regten, zeigen die neueren Untersuchungen zum mittelalterlichen Verständnis vom Recht selbst, das in der Frühzeit keine objektive Rechtsnorm, sondern Charakteristikum einer Verfahrensweise war, das prozessualen, nicht materiellen Charakter hatte und erst seit dem 12. Jahrhundert von dem noch heute gültigen Verständnis vom Recht als objektiver Norm abgelöst wurde; dazu mit weiteren Hinweisen Karl Kroeschell, „Rechtsfindung“. Die mittelalterlichen Grundlagen einer modernen Vorstellung, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag Bd. 3 (1972) S. 498-517, bes. s. 511 ff.

[113] So m. W. zuerst das Konzil von Valence 1248, c. 11 (Mansi 23, 773), das den strepitus advocatorum, das „Getöse der Anwälte“, im Ketzerprozeß untersagte (ebenso c. 23 des Konzils von Albi 1255; Mansi 23, 838), danach Alexander IV. in einem Schreiben vom 9. November 1256 (Potthast 16611), ed. Martène - Durand, Thes. 5, 1816 C mit der Anordnung, summarie, absque iudicii et advocatorum strepitu vorzugehen. Förmliche Aufnahme ins kanonische Recht erhielt die Bestimmung, den Häresieprozeß summarisch zu führen, erst durch Bonifaz VIII. im c. „Statuta“ des Titels „De haereticis“ (VIo 5.2.20, ed. Friedberg 2, 1078). Bonifaz beruft sich hier auf Verfügungen seiner Vorgänger Innocenz (IV.), Alexander (IV.) und Clemens (IV.); die oben angeführte älteste uns erhaltene päpstliche Verlautbarung in dieser Sache dürfte daher nicht die erste gewesen sein.

[114] Das bekannte c. „Saepe“ im Titel „De verborum significatione“, Clem. 5.11.2 (Friedberg 2, 1200). Eindrucksvoll schon die Glossa ordinaria hierzu (Johannes Andreae), in der Ausgabe Lyon 1618 Sp. 331-342. Vgl. im übrigen die Anm. 112 zitierte Literatur. Dazu speziell: Stephan Kuttner, The date of the constitution “Saepe”, the Vatican manuscripts, and the Roman edition of the Clementines, in: Mélanges Eugène Tisserant 4 (Studi e Testi 234, 1964) S. 427-452.
[115] Zur Notorietät vgl. allgemein Jacobi (wie Anm. 100) S. 318ff., Zechbauer (wie Anm. 101) bes. S. 242ff. Vgl. im übrigen Tancred, Ordo iudiciarius, pars 2 tit. 7: De criminibus, ed. F. Bergmann S. 151f. Der hier interessierende Kernsatz lautet: De notoriis ... quoniam in eis nec accusatione nec testibus opus est, imo sine ipsis possunt puniri notoria crimina ... Sed quaeri potest, qualiter sciet iudex crimen alicuius esse notorium? Respondeo, per facti evidentiam, si est illius loci habitator, vel si ei probatum fuerit per duos (nicht mehr!) testes, quod crimen sit notorium, et quando omnes commissum crimen proclamant. Dann treten auch automatisch die Rechtsfolgen der kanonischen Infamie in Kraft: Landau (wie Anm. 105) S. 50ff.

Noch sehr viel später, 1474, wird der Oberelsässer Landvogt Herzog Karls des Kühnen, Peter von Hagenbach, den „kurzen Prozeß“, den er vier Thanner Bürgern gemacht hat, mit gerichtlichen Beweises nicht bedürftiger Notorietät von deren „Rebellion“ zu rechtfertigen suchen: ähnlich wie bei Konrad von Marburg ein Zusammenstoß von neuem „Staat“ und altem Recht; zu dieser geschichtlichen Einordnung und zum Ablauf sowie zu den prozessualen Elementen des Verfahrens gegen Peter von Hagenbach, das die spätmittelalterliche Gerichtspraxis bis ins einzelne erkennen läßt, eingehend Hermann Heimpe1, Das Verfahren gegen Peter von Hagenbach zu Breisach (1474). Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafprozesses, ZGORh 94 (1942) S. 321-357, bers. S. 334; ders., Mittelalter und Nürnberger Prozeß, in: Festschrift Edmund E. Stengel zum 70. Geburtstag (1952) S. 443-452, bes. S. 451 mit Anm. 5. Vgl. auch Hildburg Brauer - Gramm, Der Landvogt Peter von Hagenbach (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 27, 1957) bes. S. 302ff.

[116] Nikolaus Eymerici, Directorium inquisitorum II qu. 55 Nr. 16, ed. Peña (wie Anm. 78) S. 378 b: ... violenta enim suspicio ad condemnandum sufficit, et probationem in contrarium non admittit, ut habetur extra de praesumpt. c. Litteras. et cap. Afferte. (= X 2.23.2 u. 14). Eymerich ist hier die Hauptquelle für Hinschius 5, 487 und über diesen für Heinrich Flatten, Der Häresieverdacht im Codex Iuris Canonici(Kanonistische Studien und Texte 21, 1963) S. 45ff.
[117] Vgl. Anm. 116. Die Rubrik von X 2.23.2 („Afferte“) lautet (Friedberg 2, 353): Ex violenta praesumptione fertur diffinitiva. Et est casus notabilis. Auch im speziellen Zusammenhang der päpstlichen und konziliaren Ketzergesetzgebung werden seit Lucius’ III. Dekretale „Ad abolendam“ und der Konstitution „Excommunicamus“ des 4. Lateranum die möglichen automatischen Rechtsfolgen des Häresieverdachts behandelt. „Ad abolendam“ (X 5.7.9; Friedberg 2, 781): Qui vero inventi fuerint sola suspicione notabiles, nisi ad arbitrium episcopi iuxta considerationem suspicionis qualitatemque personae propriam innocentiam congrua purgatione monstraverint, simili sententiae subiacebunt (zuvor war von der Überlassung an den “weltlichen Arm“ die Rede). „Excommunicamus“ (c. 3 des 4. Lateranum = X 5.7.13), ed. García y García (wie Anm. 101) S. 47f.: Qui autem inventi fuerint sola suspicione notabiles, nisi iuxta considerationem suspicionis qualitatemque persone propriam innocentiam congrua purgatione monstraverint, anathematis gladio feriantur, et usque ad satisfactionem condignam ab omnibus evitentur, ita quod si per annum in excommunicatione perstiterint, ex tunc velut heretici condempnentur. Vgl. dazu auch ebd. S. 189 die wichtige Glosse des Johannes Teutonicus ad v. ex tunc velut heretici condempnentur. Hier führt also die Verweigerung der kanonischen Reinigung sofort („Ad abolendam“) oder bei vorausgegangener Exkommunikation nach einem Jahr („Excommunicamus“) automatisch schon bei einem einfachen Verdacht zur Verurteilung. Zur Sache vgl. immer noch K. Hi1denbrand (wie Anm. 89) bes. S. 123ff.
[118] Das Konzil von Narbonne 1243 c. 26, Mansi 23, 363, auch bei K.-V. Selge, Texte zur Inquisition (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 4, 1967) S. 66f.: Si quis tamen culpam suam, ex qua possit credens vel haereticus iudicari, de qua plene per testes seu aliam probationem constat, pertinaciter negare non metuit: quamdiu in huiusmodi negatione persistit, licet alias conversionem praetendat, haereticus absque dubio est censendus: evidenter namque impoenitens est, qui peccatum nec vult etiam confiteri.
[119] Vgl. Christoph Ulrich Schminck, Crimen laesae maiestatis. Das politische Strafrecht Siziliens nach den Assisen von Ariano (1140) und den Konstitutionen von Melfi (1231) (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.F. 14, 1970).
[120] Vgl. den Text der Dekretale (X 5.7.10) im 2. Band des Registers Innocenz’ III., hg. von Othmar Hageneder (1979) S. 3-5 Nr. 1, hier bes. S. 5 Z. 8ff., dazu ausführlich ders., Studien zur Dekretale „Vergentis“ (X. V, 7, 10), ZRG Kan. 49 (1963) S. 138-173 sowie ders., Der Häresiebegriff bei den Juristen des 12. und 13. Jahrhunderts, in: The concept of heresy in the Middle Ages (11th - 13th c.) (Mediaevalia Lovaniensia ser. 1, studia 4, 1976) S. 42-103, hier S. 88ff.; siehe auch Walter Ullmann, The significance of Innocent III’s decretal “Vergentis”, in: Études d’histoire du droit canonique, dédiées à Gabriel Le Bras 1 (1965) S. 729-741, sowie Henri Maisonneuve, Le droit romain et la doctrine inquisitoriale, ebd. Bd. 2, S. 931-942.

Von Innocenz III. her fand dann bekanntlich die Gleichsetzung Ketzer/Majestätsverbrecher Eingang in die Gesetzgebung Friedrichs II.; vgl. speziell Giovanni de Vergottini, Studi sulla legislazione imperiale di Federigo II in Italia, Le leggi del 1220 (1952); Hermann Dilcher, Die sizilische Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II. Quellen der Constitutionen von Melfi und ihrer Novellen (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. Bd. 3, 1975) bes. S. 68f.

[121] Hinschius 5, 482f., 680ff.; Hageneder, ZRG Kan. 49, 143ff.; ders., Häresiebegriff a.a.O.; Ullmann S.738ff.; Maisonneuve, ebd. S. 935ff.; Schminck S. 91ff., 104ff.; Dilcher S. 69ff.
[122] Giuseppe de1 Giudice, Il giudizio e la condanna di Corradino (1876) S. 56ff.; Hans Martin Schaller, Zur Verurteilung Konradins, QFIAB 37 (1957) S. 311-327, bes. S. 323ff.
[123] MGH Const. 4, 965 Z. 33f. Nr. 929; vgl. Lefebvre (wie Anm. 112) S. 150 Anm. 6. Ausführlicher Adolf Dieckmann, Weltkaisertum und „Districtus imperii“ bei Kaiser Heinrich VII. (Diss. Phil. Göttingen 1956, masch.) S. 94ff.
[124] Potthast 14592, 14603. Zur Sache Hinschius 5, 485. Siehe auch Nikolaus Eymerici, Directorium inquisitorum III Nr. 151-160, ed. Peña (wie Anm. 78) S. 480ff. Zu Bedeutung und Funktion von Folter und dabei erzieltem Geständnis John H. Langbein, Torture and the law of proof (1977), zuletzt Gerd K1einheyer, Zur Rolle des Geständnisses in Strafverfahren des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, hg. von G. Kleinheyer und P. Mikat (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N.F. 34, 1979) S. 367-384.
[125] Vgl. Nikolaus Eymerici, Directorium inquisitorum III Nr. 207-210, ebd. S. 521ff.; Hinschius 5, 484f.
[126] Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 170, 10, ed. Pertz, MGH SS 17, S. 40, 20.
[127] Hauptquellen sind die oben S. 646f. besprochenen Ann. Erph. OP und die Cont. Trev. Wirr und voller Fehler ist die Wormser Bischofschronik.
[128] Cont. Trev., MGH SS 24, S. 402, 17: ... litteras citatorias sibi a magistro Conrado transmissas cum equanimitate suscepit.
[129] Quellen zur Sache: Cont. Trev., ebd. S. 402, 19ff.; Ann. Erph. OP (Mon. Erph. S. 84). Cont. Trev.: Factus est conventus episcoporum ac principum cum rege Henrico apud Moguntiam in festo sancti Iacobi, ubi, comite conparente, et magistro Conrado in causa deficiente, accusatoribus et testibus resilientibus, aliis se coactos vel circumventos in comitem mala dixisse se fatentibus, aliis de odioso presumptive notatis, rex alium diem ad ventilandam altius causam edici voluit. Ann. Erph. OP: Anno Domini MCCXXXIII VIII. Kal. A ugusti rex et Moguntinus et magister Cunradus de Marburc Moguntie conventum episcoporum et comitum atque clericorum fecerunt pro quibusdam infamatis ab heresi. Inter quos comes de Seine accusatus inducias expurgationis ulteriores obtinuit. Super reliquos vero, qui non comparuerant nec se legitime excusaverant, predictus Cunradus de Marburc ibidem populum cruce signavit

Die Quellen zeigen eindeutig, daß kein anderes als das Königsgericht zum Prozeßforum für die Sache des Grafen von Sayn geworden war (daß es sich nicht etwa um ein Sendverfahren handelte, legt neben der Federführung des Königs die Beteiligung von Laienfürsten nahe). DMi Zuständigkeit des Hof- oder Königsgerichts ergibt sich aus der Standesqualität des Angeklagten, der überdies Anspruch darauf hatte, nur von seinen Standesgenossen gerichtet zu werden. Vgl. Otto Frank1in, Das Reichshofgericht im Mittelalter, 2 Bde. (1867-1869), hier Bd. 2, S. 34, 134ff. (ohne Wert sind die Bemerkungen zu unserem Prozeß ebd. 1, 111f); Heinrich Brunner - Claudius Freiherr von Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte 2 (21928) S. 181ff.(bes. S. 191), 687ff. Zum iudicium parium gibt es keine brauchbare Darstellung; vgl. den Artikel „iudidum parium“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2 (1972-1978) Sp. 465-467 (W. Sellert).

Die Form des Verfahrens ist die beim Hofgericht allgemein übliche, d. h. Erhebung der Klage durch eine Partei (hier Konrad), Abweisung der Klage mittels Reinigungseid des Angeklagten, wobei (was nicht die Regel, aber möglich war) der Kläger (nicht der Angeklagte) die Beweispflicht hatte. Zu diesen Verfahrenspunkten Franklin Bd. 2, S. 211ff., 241ff., 248f.; Brunner-Schwerin 22, S. 454ff., 498ff., 512ff.

[130] Vgl. das Zitat Anm. 129.
[131] Cont. Trev., ebd. Z. 22ff.: ... rex alium diem ad ventilandam altius causam edici voluit. Comite autem instantius petente, ut ad finem cause tenderetur, archiepiscopus Treverensis dixit ad comitem precise: ‘Dominus meus rex vult, quod causa ista differatur’; et adpopulum: ‘Denuncio vobis, quod comes Seynensis hinc recedit pro homine catholico et inconvicto.’
[132]Siehe Anm. 131.
[133] So die Ann. Erph. OP (siehe oben Anm. 129) und die Ep. Sigfr. (siehe Anm. 134).
[134]Ep. Sigfr., MGH SS 23, S. 932, 2ff.
[135] Er ist vermutlich identisch mit dem 1224 bezeugten Speyrer Domscholaster Cuno; vgl. Urkunden zur Geschichte der Stadt Speyer, hg. von Heinrich Hilgard - Villard (1885) S. 35, 9 u. 36, 9 Nr. 35, 36. Mehr weiß man nicht von ihm; vgl. Franz Xaver Remling, Geschichte der Bischöfe zu Speyer 1 (1852) S. 464 mit Bezug auf die oben geschilderten Vorgänge (bei denen er freilich den Mainzer mit dem späteren Frankfurter Hoftag verwechselt).
[136] Quelle: Ann. Erph. OP S. 85f. Die Cont. Trev. schweigt hier. Eine nur konfuse Spiegelung dieser Vorgänge überliefert die Wormser Bischofschronik (ed. Boos S. 169f., ed. Pertz, MGH SS 17, 39f.), die den Grafen von Sayn mit großem klerikalen Gefolge zur Appellation nach Rom ziehen läßt (eine nach allem, was sich über diesen Prozeß eruieren läßt, geradezu unsinnige Behauptung).
[137] Ann. Erph. OP ebd. Die Wormser Bischofschronik a.a.O. will ihren Lesern weismachen, Gregor habe sich in Seufzern und Klagen über Konrads Prozesse ergangen und Freude über dessen Tod empfunden.
[138] Man vergleiche nur die geradezu hymnischen Würdigungen, die Gregor IX. Konrad nach dessen Tod angedeihen läßt (ecclesie paraninphus, minister luminis; MGH Epp. saec. XIII 1, S. 454, 9 Nr. 560; ähnlich auch ebd. S. 455, 22 Nr. 561: preco precipuus summi regis).
[139] Dazu etwa Henri Maisonneuve, Études sur les origines de l’inquisition (L’Église et l’état au moyen âge 7, 21960) S. 243ff. (freilich höchst unbefriedigend ebd. S. 257ff. zur Verfolgung Konrads von Marburg).
[140] Hierzu Ann. Erph. OP S. 85f.; Cont. Trev., MGH SS 24, 402 Z. 41ff.
[141] Zu Bischof Konrad II. von Hildesheim (1221-1246; † 1249) vgl. NDB 12 (1980) S. 505 (Joseph König); dazu Reinhard Elze, Die päpstliche Kapelle im 12. und 13. Jahrhundert, ZRG Kan. 36 (1950) S. 180.Über den Dominikaner Otto ist weiter nichts in Erfahrung zu bringen.
[142]MGH Const. 2, 428 Nr. 319 (ed. L. Weiland) nach der einzigen seinerzeit bekannten Überlieferung in der Chronik Alberichs von Troisfontaines (ed. Scheffer - Boichorst, MGH SS 23, 934); den vollständigen Text der Konstitution fand G. Morin, La constitution de Francfort, 11 février 1234. Texte intégral, d’après le manuscrit Zurich C 88/292, Revue bénédictine 35 (1923) S. 102-105. Das ist für unseren Zusammenhang von Bedeutung, denn die Ketzerbestimmung ist bei Alberich durch Gleichschlußlücke entstellt. Der Text hat zu lauten: ... Ad hec universis iudiciariam potestatem habentibus auctoritate regia precipimus, quatinus ad reprimendam hereticorum perfidiam toto nisu solerter intendant ac ina iustia prosecutioneb iudicii non obstante prece vel precio odio vel amore omnibus iudicii preferant equitatem. Et ut in iudicando diligentie formam omnibus preferamus ...

a) iniuste Hs.Zürich, Alberich Hs. 2, Scheffer-Boichorst, Weiland. b) persecutione Alberich Hs. 1,persecutioni Scheffer-Boichorst, Weiland.

Wie man sieht, ist die Überlieferung leider an wichtiger Stelle gestört, und das hat in den einschlägigen Editionen zu falschen Textentscheidungen geführt, mit daraus folgenden Fehlinterpretationen bis in die Handbücher hinein; vgl. nur H. Grundmann, in: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 1 (91970) S. 452: „... wurde ‚unrechte Ketzerverfolgung’ statt gerechtem Gericht ... untersagt.“ Es geht aber gar nicht um eine solche Gegenüberstellung, sondern um die Mahnung, bei der Abhaltung gerechten Gerichts das Prinzip der aequitas einzuhalten. Das ist allemal eine „diplomatische Ohrfeige“ für die in Frankfurt versammelten Nachlaßverwalter Konrads von Marburg gewesen.

[143] Die Cont. Trev., MGH SS 24, S. 402, 40ff., spricht nur allgemein davon, daß pro fide et innocentia comitis sacramenta prestantibus episcopis, prelatis, abbatibus, Maioribus et Minoribus fratribus, clericis et monachis, principibus quoque laicis et baronibus universis comes gloriosissime expurgatus est. Die Ann. Erph. OP S. 86f. berichten genauer: comes de Seyne se cum VIII episcopis et XII grisei ordinis abbatibus ac totidem Minoribus fratribus et tribus Predicatoribus ac etiam nigrorum abbatibus et clericis seu nobilibus laicis personis non paucis publice et confidenter expurgavit.
[144] So jedenfalls deute ich den Bericht der Cont. Trev., MGH SS 24, S. 402, 42ff.: Tunc Conrado episcopo Hildenshemensi, qui ex parte domini pape ibi aderat, comitem rogante pro amore Dei omnipotentis et pro reverentia regis presentis atque episcoporum et principum ac totius illius conventus, ac pro hoc, quod Deus ipsum gloriosissime absolverat ab infamia sibi inpacta, infamatoribus suis lacrimans et cordi suo vim magnam faciens indulsit (sc. der Graf von Sayn). Um eigentliche Talion (vgl. oben Anm. 100 die Arbeit von Hermesdorf) dürfte es sich dabei nicht gehandelt haben, da das deutsche Recht diese nicht kannte, wohl aber drohten dem falschen Ankläger eine Reihe möglicher Bußen (etwa wegen Lebensgefährdung, Ehrverletzung, Meineid), die der zu Unrecht Beschuldigte einklagen konnte; darauf scheint der Graf von Sayn verzichtet zu haben. Vgl. Brunner - Schwerin (wie Anm. 129) 22, 865-872, zur Möglichkeit des Bußverzichts auch Richard Schröder – Eberhard Frh. v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (71932) S. 839f
[145] Ann. Erph. OP S. 86f.
[146] So das Zeugnis der Ep. Sigfr., MGH SS 23, S. 932, 5ff.: Tandem congregati apud Frankenvort cum archiepiscopis et episcopis usque ad 25 et multis imperii principibus, aeinde dominica Letare Ierusalem apud Moguntiam examinavimus comitem Seynensem et alios, de quibus habita est questio, et restituimus eos fame et possessionibus. Mendacibus pro periurio iniuncta est penitentia septennalis; eos qui innocentes accusaverant ad pedes domini pape transmisimus; qui magistrum Conradum occiderant, excommunicati sunt; de pueris scolaribus, qui cum aliis ad ignem cucurrerunt, inquisitio, si sint irregulares; de innocenter mortuis queritur consilium pape. Der Bericht läßt undeutlich, welche der hier geschilderten Vorgänge auf den Hoftag von Frankfurt und welche auf die Synode von Mainz fallen. Da nach dem übereinstimmenden Zeugnis der Cont. Trev. und der Ann. Erph. OP der Graf von Sayn sich auf dem Hoftag in Frankfurt hat reinigen können und dies ein solches Aufsehen erregte, daß hier ein Irrtum ausgeschlossen erscheint, möchte ich den Bericht der Ep. Sigfr. dahingehend deuten, daß auf der Synode in Mainz nur der abschließende Akt im neuaufgerollten Prozeß gegen den Grafen von Solms und seinen Anhang stattfand (d. h. hinter Moguntiam wäre ein Komma zu setzen). Im übrigen sind zur Überlieferungstreue gerade von diesem Schlußabschnitt der Ep. Sigfr. Zweifel angebracht; siehe unten Anm. 148.
[147] Siehe Anm. 146. Zum Strafmaß vgl. Albert Michael Koeniger, Die Sendgerichte in Deutschland 1 (Veröffentlichungen aus dem Kirchenhistorischen Seminar München 3. Reihe 2,1, 1907) S. 177.
[148] Siehe Anm. 146. Gregor IX. schildert die Vorgänge freilich etwas anders in einem Brief von 1235 Juli 26 u. 31 (Potthast 9977 u. 9978), ed. MGH Epp. saec. XIII 1, 544ff. Nr. 647. Er erwähnt nichts davon, daß ihm falsche Zeugen/Ankläger zur Bestrafung übersandt worden seien, sondern die Mörder Konrads von Marburg (denen er übrigens als Buße auferlegt, zur Verstärkung der christlichen Truppen ins Heilige Land zu ziehen; zu diesem Zug der Orientpolitik Gregors Peter Segl, „Stabit Constantinopoli“. Inquisition und päpstliche Orientpolitik unter Gregor IX., DA 32, 1976, S. 209-220). Dies weckt doch leichte Zweifel an der Zuverlässigkeit der Wiedergabe der Ep. Sigfr. durch Alberich von Troisfontaines, besonders in den Schlußpartien des Schreibens, deren eher summarisch referierenden Charakter schon Scheffer - Boichorst, ebd. S. 932 Anm. 9 beobachtete.
[149] Erst Mitte des 14. Jahrhunderts begegnen in Deutschland (zuvor schon seit 1318 in Böhmen) wieder päpstliche Inquisitoren. Zu Böhmen vgl. Patschovsky (wie Anm. 110) bes. S. 46ff. zu ganz ähnlichen Reaktionen wie bei Konrad gegen das bis zu diesem Zeitpunkt im Lande unbekannt gewesene Ketzerinquisitionsverfahren; zu „Deutschland“ am besten Robert Lerner, The Heresy of the Free Spirit in the Later Middle Ages (1972) S. 131ff. Lediglich Österreich sah seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in ziemlich kontinuierlicher Folge Inquisitionen; vgl. Herman Haupt, Waldenserthum und Inquisition im südöstlichen Deutschland (1890).
[150] Vgl. nur das Zitat oben Anm. 9 aus der Cont. Trev. Noch deutlicher die Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 170, 9f., ed. Pertz, MGH SS 17, S. 40, 20: Et sic divino auxilio liberata est Theutonia ab isto iudicio enormi et inaudito.
[151] Wormser Bischofschronik, ed. Boos S. 168, 23, ed. Pertz, MGH SS 17, S. 39, 25. - Zum mittelalterlichen Verständnis von Gerechtigkeit und den sich daraus herleitenden Ansprüchen an den gerechten Richter vgl. den schönen Aufsatz von Stephan Kuttner, A forgotten definition of justice, Studia Gratiana 20 (= Mélanges G. Fransen 2) (1976) S. 73-109, bes. S. 94ff.
[152] Zur Sache am ausführlichsten Paul Braun, Der Ketzerprozeß des Propstes Minnike von Neuwerk in Goslar, Zs. des Vereins für KG in der Provinz Sachsen 6 (1909) S. 212-218. Die zur Rekonstruktion der Ereignisse maßgebenden urkundlichen Quellen sind herausgegeben im UB der Stadt Goslar 1 (1893) Nr. 421, 425, 427, 435, 436, 437, 439.
[153] Hg. von O. Holder-Egger, Monumenta Erphesfurtensia, SS rer. Germ. (1899) S. 225f.
[154] Vgl. Holder-Egger, ebd. S. 126; siehe auch Wattenbach - Schmale 1, 407f.
[155] Hg. von Holder-Egger, ebd. S. 651: Anno Domini MOCCXXII. Heinricus prepositus Minnico pro heresi crematus est in Hildesheim. Zum Verhältnis beider Chroniken zueinander vgl. Holder-Egger S. 126, 512; Wattenbach - Schmale 1,408ff.
[156] So schon Josef Beck, Konrad von Marburg, Inquisitor in Deutschland (Diss. phil.Breslau 1871) S. 10f.
[157] UB Stadt Goslar 1 Nr. 436, 439.
[158] So wohl richtig P. Braun (wie Anm. 147) S. 214 mit Anm. 6.
[159] MGH Const. 2, 26 f. Nr. 100 von März 1224.
[160] Anders Julius Ficker, Die gesetzliche Einführung der Todesstrafe für Ketzerei, MIÖG 1 (1880) S. 177-26, hier S. 180f.,198, der die Ansicht vertritt, die Verbrennungsstrafe für Ketzer habe ihren Ursprung in Deutschland gehabt und von dorther sei die Anregung zu Friedrichs II. reichsgesetzlichen Bestimmungen erfolgt. Wesentlich zurückhaltender Julien Havet, L’hérésie er le bras séulier au moyen age jusqu’au treizième siècle, BECh 41 (1880) S. 488-517, 570-607, 670, hier bes. S. 516f., der sowohl richtig zwischen Volksjustiz und rechtsförmlichen Akten scheidet wie er zutreffend die graduelle Zunahme von Ketzerverbrennungen nördlich der Alpen beobachtete, ohne daß dort eine rechtliche Grundlage für diese Todesstrafe existierte. Vgl. im übrigen auch Kurt-Victor Se1ge, Die Ketzerpolitik Friedrichs II., in: Probleme um Friedrich II. (Vorträge und Forschungen 16, 1974) S. 309-343, bes. S. 321ff.
[161] UB Stadt Goslar 1, 445 Nr. 439.
[162] UB Stadt Goslar 1, 443 Nr. 436.
[163] MGH SS 23, 199 Z. 28ff. Zur Entstehungszeit vgl. Wattenbach - Schmale 1,401f.