XIV.
Die Wirsberger: Zeugen joachitischer Geisteswelt in Deutschland während des 15.
Jahrhunderts ?
"Der späteste
Versuch einer Sektenbildung auf joachimitischer Grundlage in Deutschland"
- so hat der bedeutende protestantische Kirchengeschichtsschreiber Herman Haupt
in einer der ersten wissenschaftlichen Betrachtungen zum Joachimismus überhaupt
und zu unserem Thema im besonderen die um das Jahr 1466 ins Licht der
Geschichte tretende sog. Wirsberger-Sekte historisch eingeordnet[1]. Sie war erstmals durch
den Egerer Stadtarchivar Heinrich Gradl einer gelehrten Öffentlichkeit
bekanntgemacht worden, der in dem von ihm betreuten Archiv eine Reihe von
Schriftstücken fand und im Auszug mitteilte, die uns von dieser Sekte Kunde
gibt[2]. Haupt hat dieses
Material vermehrt und auf weitere Nachrichten hingewiesen[3]. Ein halbes Jahrhundert
später dann hat Otto Schiff unter Hinzuziehung weiteren, zum Teil erst durch
ihn entdeckten Materials eine erste Gesamtdarstellung geboten[4]. Sie ist noch heute
grundlegend, obwohl inzwischen Ruth Kestenberg-Gladstein die Quellenbasis
erneut hat erweitern können, als ihr der Nachweis gelang, daß für eine wohl
1465 verfaßte Quaestio quodlibetalis des am Erfurter Generalstudium wirkenden
Augustiner-Eremiten-Theologen Johannes von Dorsten das Wirken der Wirsberger
als historischen Hintergrund bildete[5].
Dies
ist der heutige Stand der Forschung. Er ist in vieler Hinsicht unbefriedigend.
Zunächst und am wichtigsten: Die Quellen stehen der Forschung in einer nur als
erbarmungswürdig zu bezeichnenden Form zu Gebote. Denn Gradl hat sein Material,
bestehend aus original oder kopial überlieferter Korrespondenz der wichtigsten
am Geschehen beteiligten Personen - Quellen allererster Ordnung also! - nur in
völlig unzureichenden Auszügen, zum Teil sogar nur in Form bloßer
Inhaltsangaben mitgeteilt. Anderes liegt zwar im Vollabdruck vor[6] oder doch wenigstens -
wie im Falle der Quaestio Dorstens - in umfangreicheren Auszügen; aber der
Vergleich mit der handschriftlichen Überlieferung läßt sämtliche editorischen
Versuche doch - milde ausgedrückt - als recht unvollkommen beurteilen. Wieder
Anderes - wie das von Schiff beigebrachte Material - wurde noch gar nicht
publiziert. Und schließ(226)lich läßt sich dem Bekannten noch manches
bisher Unbeachtete hinzufügen[7]. Eine kritische
Aufarbeitung und komplette Präsentation des einschlägigen Materials ist
folglich unabdingbar, will man über die Wirsberger Abschließendes und der
gelehrten Welt Nachvollziehbares kundtun. Die folgenden Ausführungen sind als
Prolegomena eines solchen Projekts zu verstehen.
Nicht
ganz so katastrophal wie die editorische Situation sind zum Glück die Produkte
des gelehrten Scharfsinns einzustufen, die diesem Gegenstand gewidmet worden
sind: Die Quellennachrichten wurden zumeist richtig referiert und das darüber
Gesagte muß nur verhältnismäßig selten korrigiert werden. Wenig befriedigend
verliefen jedoch die Versuche, über ein bloßes Referat der Quellennachrichten
hinaus eine kritische Analyse des Quellenmaterials nach dessen Aussagewert
bezüglich der Fakten und dessen Aussageform bezüglich der darin sichtbar
werdenden Denkhorizonte hin vorzunehmen, ja ganz schlicht das Einzelphänomen
`Wirsberger' in etwas weitere historische Zusammenhänge einzubetten. Ich hoffe
zeigen zu können, daß erst bei einer solchen Weitung des Blicks zu erkennen
ist, was es mit den Wirsbergern geschichtlich überhaupt auf sich hatte. Dazu
wird nicht zuletzt ein die bisherigen Vorstellungen stark einschränkendes
Urteil über die Bedeutung des eingangs zitierten joachimitischen Charakters der
Bewegung gehören.
I.
Doch
zunächst: Wer waren eigentlich die Wirsberger? Der Name leitet sich von dem bei
Kulmbach in Oberfranken gelegenen Orte Wirsberg her, dem Stammsitz eines seit
1279 quellenmäßig faßbaren Reichsministerialengeschlechts[8], dessen einzelne Zweige
im Laufe der Jahrhunderte in der näheren und weiteren Umgebung, namentlich auch
an verschiedenen Orten des unter dem Namen Regio Egere bekannten
hochmittelalterlichen Reichsgutkomplexes[9] ansässig geworden sind.
Dieses bedeutende Reichsland war ebenso wie große Teile des oberfränkischen
Reichsguts mitsamt den Dienstmannen nach dem Ende der staufischen Dynastie
allmählich in die Hände der benachbarten Territorialfürsten geraten. Das waren
vor allem die wittelsbachischen Pfalzgrafen bei Rhein und Herzoge von Bayern,
die zollerschen Markgrafen von Ansbach-Bayreuth, die wettinischen Markgrafen
von Meißen und späteren Herzoge von Sachsen und - last not least - der König
von Böhmen, der sich mit der der Region den Namen gebenden Reichsstadt Eger und
ihrem Umland den Löwenanteil zu sichern verstand. So kam es, daß die ehemals
reichsministerialischen Wirsberger - je nachdem, (227) wo sie konkret
beheimatet waren - Dienstmannen unterschiedlicher, bisweilen auch mehrerer
Herren wurden[10].
Ein seit
dem beginnenden 15. Jahrhundert als Inhaber des im Dominium Egers gelegenen
Gutes mit dem Namen "zum Höflein" (mundartlich: Höflas) bezeugter
Zweig der Familie[11] stellte nun die
personae dramatis, um die es hier geht. Drei Brüder treten handelnd in Erscheinung[12]: Livin, der offenbar
Älteste, Herr auf Höflas, verheiratet, mit Kindern, die später das Familienerbe
antreten sollten. Sodann Vincenz, Deutschordensritter, wohl Mitglied der
Deutschordenskommende in Eger. Schließlich Janko, der für uns wichtigste Mann,
von dem wir aber am wenigsten wissen. Er stand in Beziehungen zum Egerer
Franziskanerkonvent, und man nahm bisweilen an, er sei Franziskaner, wenn nicht
sogar förmliches Mitglied des Konvents gewesen; das ist mit Sicherheit falsch[13]. Die Stadt Eger hat ihn
jedoch nicht als einen ihrer Bürger betrachtet, für den sie sich verantwortlich
fühlte bzw. für den man sie hätte verantwortlich machen können[14].
Ordnet
man die sozialgeschichtlich belangvollen Komponenten dieses Bildes, so hat man
Mitglieder einer nicht sonderlich begüterten, wenn nicht sogar als ärmlich zu
bezeichnenden niederadligen Familie vor sich: Von drei Brüdern reichte
standesgemäße adlige Lebensführung nur für einen, ein zweiter hatte - immer
noch nobel - im `Spital des deutschen Adels' unterkommen müssen, wie der
Deutsche Orden zu Recht bezeichnet worden ist[15]. Der dritte schließlich
läßt sich sozial nicht recht einordnen; nur soviel ist sicher: eine sozusagen
`bürgerliche' Existenz führte er nicht - ob die familiären Ressourcen dafür
nicht reichten oder ob er das nicht wollte, ist nicht auszumachen. Dem sozialen
`standing' zufolge - bei Livin auch der Persönlichkeit nach - erinnern die
Wirsberger von fern an Sir John Oldcastle und die in ihm verkörperte
Führungselite der frühen englischen Lollarden. Es wird noch zu zeigen sein, daß
das soziale Profil der Namensträger für die mit dem Namen verbundene Sache
Bedeutung besaß.
II.
Mit dem
Vorwurf der Häresie und der Sektenbildung wurden von den drei Brüdern nur zwei
konfrontiert: Livin und Janko. Janko war die treibende Kraft; Livin trat nur
für ihn und seine Taten ein und mußte am Ende mit dem Leben dafür büßen. Jankos
Schicksal bleibt im Dunkeln: er tritt seit Ende 1466 nicht mehr in Erscheinung
und verschwindet einfach aus den Quellen[16]. Was nun hat Janko
getan? Und wofür hat sein Bruder Livin büßen müssen? Das ist schwerer zu
beantworten, als es die Quellenzeugnisse dem Augenschein nach vorspiegeln. (228)
II.
1. Die äußeren Fakten: In einem Brief vom 11. Juni 1466 fordert der in Breslau
residierende päpstliche Legat Rudolf von Rüdesheim, Bischof des salzburgischen
Eigenbistums Lavant, seinen Regensburger Amtskollegen Heinrich IV. von Absberg
auf, gegen die beiden ihm von einem ungenannt bleibenden Adligen denunzierten
Wirsberger-Brüder wegen des Verdachts auf Häresie von amts wegen vorzugehen[17]. Daraufhin läßt der
Regensburger Bischof durch seinen mit der Wahrnehmung der Spiritualien in
seinem Bistum betrauten Weihbischof, den Franziskaner Ulrich Aumayr,
Titularbischof von Hierapolis[18], die Spitzenvertreter
der vier in Regensburg ansässigen Bettelorden am 12. Juli desselben Jahres
vorladen und ihnen eine Liste der den beiden Brüdern zur Last gelegten
Lehrsätze zur Stellungnahme vorlegen[19]. Deren häretischer
Charakter erschien evident.
Die
um ihren Rat befragten Bettelordensgeistlichen Regensburgs, sämtlich
konventualer Prägung, fanden aber neben dem denunzierten Brüderpaar noch einen
anderen Schuldigen: den Egerer Franziskanerkonvent, in dem unter sichtlichen
lokalen wie überlokalen Widerständen, jedoch mit päpstlicher Förderung, ja
Anweisung, in den Jahren 1463 bis 1465 die Observanz eingeführt worden war.
Dabei standen auf Seiten der Observanten die führenden Adelsfamilien in Stadt
und Umland Egers, schützend griff zu ihren Gunsten auch König Georg von
Podiebrad ein, während die Gegenposition etwa in der Gestalt des sächsischen
Provinzialministers Nikolaus Lackmann von denselben Personen und Kreisen
eingenommen wurde, die sich über die Wirsberger-Lehren negativ verbreiteten[20].
Damit
erhielt die Angelegenheit eine neue, nunmehr kirchenpolitische Dimension, und
zwar sowohl auf lokaler wie überlokaler Ebene. Der Häresievorwurf gegen die
Wirsberger fand Verwendung als Kampfmittel im ordensinternen Richtungsstreit,
bezogen speziell auf Eger, aber man kann weitergehen und sagen: auch im
ordensübergreifenden Kampf zwischen reformwilligen und reformunwilligen Kräften
in der Kirche insgesamt. Denn das observanten-feindliche Votum wurde ja nicht
von Franziskanern allein abgegeben, sondern vom Klerus aller vier Bettelorden,
und zeigt damit eine prinzipielle innerkirchliche Position an. Es ist indessen
unklar, in welcher Form dieses Votum eigentlich publik gemacht worden ist, ob
da nur gerüchteweise etwas durchsickerte, ob gezielt Indiskretionen verbreitet
wurden, oder ob es rechtsförmliche Mitteilungen, wenn nicht gar öffentliche
Proklamationen seitens oder namens des Bischofs gab[21]. Wie auch immer: die
Egerer Franziskaner-Observanten kamen um eine Distanzierung von den Wirsbergern
und den ihnen zur Last gelegten Vergehen nicht umhin, (229) und der von
ihnen um ein klärendes Wort gebetene päpstliche Protektor: Rudolf von Rüdesheim
- der die ganze Sache ins Rollen gebracht hatte -, sah sich zu einer
beschwichtigenden Erklärung zu ihren Gunsten veranlaßt[22]. Der Vorwurf hielt sich
dennoch zäh: von der zeitgenössischen mittelalterlichen Chronistik bis in
Darstellungen unserer Tage[23].
Die
Egerer Franziskaner waren aber nicht die einzigen, die sich herausgefordert
fühlten. Protest legte auch die Stadt Eger ein, die als vermeintlicher
Ketzerhort ihren Ruf beschädigt sah. Dies um so mehr, als das
Denunziationsschreiben Rudolfs von Rüdesheim als Anhänger des Wirsberger
Brüderpaares den Egerer Bürger Hans Schönbach namhaft gemacht hatte, dessen
Beruf: das Gewerbe des Gewandschneiders[24], ihn als der
städtischen Führungsschicht zugehörig ausweist[25].
Damit
bekam die Angelegenheit allgemeinpolitische Bedeutung, denn Eger war nicht
irgendeine Stadt: Ihre verfassungsrechtliche Stellung war delikat, damals wie
ja bekanntlich auch noch in jüngerer Zeit. Denn trotz sich als dauerhaft
erweisender Verpfändung an einen Territorialherrn - zuerst (1322) an den König
von Böhmen ad personam, seit 1347 an die Krone Böhmen als Institution - war und
blieb Eger der staatsrechtlichen Form und dem Selbstverständnis seiner Bürger
nach Reichsstadt[26]. Und ihre politische
Position als stockkatholisch im gemischt-konfessionellen Reiche des als
Ketzerkönig geschmähten Georg von Podiebrad war gleichfalls heikel; denn
konsequent durchgehaltene Politik Egers war und blieb es, Loyalität zum
böhmischen König mit Katholizität im Glauben zu verbinden[27].
So
setzten auch von dieser Seite her Distanzierungsbemühungen ein: Eger
protestierte beim Regensburger Bischof gegen den von ihm erhobenen Vorwurf der
Ketzerbegünstigung, schickte Manifeste in alle Welt mit der Klage, welch
Unrecht der Stadt angetan würde. Es scheint sogar zu einer eigenen Demarche
beim Papst, Paul II., gekommen zu sein. Zu ihrer Genugtuung erhielt die Stadt
tröstende Antwort von allen wichtigen Institutionen: den benachbarten Land- und
Reichsstädten, dem Markgrafen Albrecht Achilles von Ansbach-Bayreuth, den
Bischöfen von Bamberg, Würzburg und Eichstätt, dem Erzbischof von Salzburg, und
schließlich auch vom päpstlichen Nuntius Rudolf von Rüdesheim[28].
Doch
bei den papierenen Protesten blieb die Stadt nicht stehen. Sie tat auch alles
in ihrer Macht Stehende, ihre Worte durch Taten zu untermauern: Ihren Bürger
Hans Schönbach veranlaßte sie, sich in persona beim Regensburger Bischof von
den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen[29], und als die Wirsberger
nicht daran dachten, ein gleiches (230) zu tun, wollte Eger mit ihnen
nichts mehr zu tun haben. Derart im Stich gelassen, erhoffte Livin von Wirsberg
(von Janko ist hierbei bezeichnenderweise nicht die Rede) Schutz von einem
Mächtigeren: vom König selbst, seinem Lehnsherrn[30].
Damit
hatte der Fall die höchste politische Ebene erreicht. Der König gewährte den
erbetenen Schutz und beauftragte die Stadt mit dessen Wahrnehmung[31]. Da hatte er freilich
die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der Stadt war es ernst mit ihrem
Willen, sich aus der Sache herauszuhalten, und in aller Form forderte sie Livin
auf, das Stadtgebiet zu meiden[32]. Nun stand der König
vor der Wahl: Konflikt mit Eger oder Durchsetzung des Schutzanspruchs seines
Dienstmannes. Mit Schreiben vom 16. Dezember 1466 entschied sich der König für
Eger[33]. Das war sieben Tage,
bevor der Papst ihn nach mehr als einjährigem Prozeß als Ketzer verurteilte und
seine Untertanen von ihrem Treueid entband, zwei Monate, bevor die nach wie vor
gut-katholische Stadt Eger in ihren Mauern die Hochzeit von König Georgs
jüngstem Sohn Heinrich, Herzog von Münsterberg, mit Ursula, der Tochter des
Markgrafen Albrecht Achilles von Ansbach-Bayreuth sah[34].
II.
2. Man sieht: Livin war in die Mühlen der hohen Politik geraten. Auch der in
Regensburg gegen ihn und seinen Bruder Janko ins Werk gesetzte Häresieprozeß
verlief von Anfang an mehr nach den Regeln der politischen Arithmetik als jenen
der kanonisch-rechtlichen Prozeßordnung. Schon bei dem Denunziationsschreiben
Rudolfs von Rüdesheim muß man beachten, daß der Legat zu diesem Zeitpunkt in
der Hauptsache damit beschäftigt war, von Breslau aus den Kampf gegen Georg von
Podiebrad zu organisieren[35], so daß die zeitliche
Koinzidenz zwischen der Aufforderung zu amtskirchlichem Vorgehen gegen einen
`böhmischen' Ketzer und den Aktivitäten zur Vernichtung des böhmischen
`Ketzerkönigs' einen politischen Zusammenhang nahelegt. Dies um so mehr, als
auch die Reaktion des Regensburger Bischofs bei der Wahl des Zeitpunkts
offensichtlich politischen Rücksichten folgte. Denn eine Denunziation gegen die
Wirsberger hatte schon seit den Zeiten von Heinrichs von Absberg Vorgänger
bereitgelegen[36], aber erst die
Aufforderung des päpstlichen Legaten führte zu konkreten prozessualen Maßnahmen
seitens der Regensburger Bischofskurie. Und ähnlich politisch überlegt
erscheint das weitere Vorgehen. Denn der Häresie-Erklärung der dem Regensburger
Bischof vorliegenden Lehrsätze der Wirsberger vom 12. Juli 1466 war mitnichten,
wie üblich, sogleich die kanonische Ladung an die Propagatoren dieser Lehren
gefolgt, sich zu verantworten. Damit ließ sich der Bischof Zeit, bis er Livin
einerseits in Distanz zu der (231) Stadt Eger wußte und andererseits im
Schutze des `Ketzerkönigs': am 5. Dezember 1466 erfolgte die erste kanonische
Ladung[37] - sechs Monate nach
Rudolfs von Rüdesheim Denunziation, fünf Monate nach der Häresie-Erklärung der
inkriminierten Lehren, drei bis vier Monate nach Klärung des Verhältnisses mit
Eger[38], drei Monate nach König
Georgs Schutzerklärung für Livin und etwa zeitgleich mit dem an ihn ergangenen
Verbot, Eger zu betreten.
Für
Pfingsten 1467 scheint eine zweite Vorladung erfolgt zu sein, auf die Livin
offenbar ebensowenig reagierte wie auf die erste[39]. Aus nicht erkennbaren
Gründen muß er sich dann nach der Mitte des Jahres 1467 auf Oberpfälzer Gebiet
begeben haben: Dort jedenfalls geriet er in Kemnath in die Hände des
Pfalzgrafen[40], wurde nach Regensburg
überstellt und anscheinend am 10. Januar 1468 vor allem Volk im Regensburger
Dom als bußfälliger Ketzer zu ewigem Kerker verurteilt[41]. Ort der Haft war die
dem Hochstift Regensburg gehörige Burg Hohenburg bei Parsberg in der Oberpfalz,
wo Livin bereits um die Jahreswende 1468/69 starb[42].
II.
3. Auch hier fördert es die Erkenntnis, den Ablauf der Ereignisse auf der
Wirsberger-Bühne mit bestimmten Geschehnissen auf der Ebene der hohen Politik
zeitlich in Parallele zu setzen[43]: Im April 1467 bricht
der offene Konflikt zwischen König Georg und dem von Zdenek von Sternberg
geführten sog. böhmischen Herrenbund aus. Schon der Monat Mai 1467 sieht die
ersten schweren Kämpfe zwischen König und Rebellen, die mit spektakulären
Erfolgen der Rebellen bei der Belagerung von Münsterberg beginnen, woraufhin
vom König ihm bis dahin treu gebliebene Territorien und Gefolgsleute abfallen,
vor allem in den Lausitzen und in Mähren. Das ist die Zeit, zu der Livin nach
Regensburg vorgeladen wurde. König Georg gelang es zwar nach einigen Mühen, die
Lage wieder zu stabilisieren, aber im Reich und namentlich im Herrschaftsgebiet
der bayerischen Herzoge wurde mit Erfolg das Kreuz gegen den böhmischen
Ketzer-König gepredigt, wurde (wenn auch nur mit geringem Erfolg) auf
Reichstagen in Nürnberg und Regensburg vom Papst wie inzwischen auch vom Kaiser
versucht, eine deutsche Fürstenallianz gegen ihn in Stellung zu bringen. Das
ist die Zeit, in der Livin in pfälzische Gefangenschaft geraten sein muß. Die
Jahreswende 1467/68 sah den offenen Bruch zwischen König Georg und dem Kaiser,
Friedrich III., gefolgt von einer militärischen Kampagne des Böhmenkönigs in
Niederösterreich und dem für die weitere Auseinandersetzung entscheidenden
politischen Ereignis: dem Eingreifen des Ungarnkönigs Matthias Corvinus auf
seiten der Gegner Georgs von Podiebrad. In die(232)sen Zeitraum fällt
die öffentliche Verurteilung Livins als Ketzer, anscheinend in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem Regensburger Reichstag vom 4. Januar 1468. Man kann sich
schwer dem Eindruck entziehen, daß das Procedere gegen den Wirsberger auf
propagandistische Wirkung zielte und somit Teil der psychologischen
Kriegsführung gegen den Böhmenkönig war.
II.
4. Daß hier der Sack geschlagen wurde und der Esel gemeint war, empfand Livin
von Wirsberg selbst sehr früh schon: In einem ausführlichen Rechtfertigungsschreiben
vom 17. August 1466 verwahrt er sich energisch dagegen, daß man seinen Bruder
Janko mit aller Gewalt unter die pehaym gedrüngen, d.h. zu einem
Hussiten gestempelt habe[44]; und daß der Pfalzgraf
Livin als unglaubigen beheimen hat ergreifen und dem Regensburger
Bischof überstellen lassen, berichtet letzterer sogar selbst[45]. Daß spätere
`katholische' Chronisten die Wirsberger bisweilen als Hussiten apostrophierten,
ist aus dieser Sicht betrachtet nur konsequent[46]. Dies um so mehr, als
selbst dem Böhmenkönig wohlgewogene Zeitgenossen, wie dessen - notabene
`katholischer' - Sekretär Jobst von Einsiedel in den Wirsbergern die verruchten
taboritischen `Pikarten' wiederauferstanden sah, d.h. den chiliastischen Flügel
des Taboritentums, den der große Zizka 1421 liquidiert hatte[47].
Der
förmliche Hussitenvorwurf ist indessen nur die gröbste Form der Diffamierung.
Daß der Böhmenkönig nicht nur einem Glauben huldige, den in Form der Basler
Kompaktaten immerhin ein veritables und zum Zeitpunkt von deren Abschluß auch
in päpstlichen Augen noch ganz legitim tagendes ökumenisches Konzil gebilligt
hatte und dessen Häresie-Charakter folglich auch einem `Katholiken' hätte
zweifelhaft erscheinen können und in der Tat erschien, sondern daß er in seinem
Machtbereich eine jedermann erkennbare Häresie dulde - das ist die eigentliche
Botschaft, die der Regensburger Bischof als Handlanger des päpstlichen Legaten
der Reichsöffentlichkeit zu vermitteln suchte. Zugleich war solcherart Nachweis
evidenter Häresie von Egerer Bürgern sowie manifester Häresiebegünstigung durch
den Herrn der Stadt ein nicht ungeeignetes Mittel, Pressionen auszuüben und je
nach Bedarf die politische Loyalität der Stadt zum König zu diskreditieren oder
umgekehrt auf die Probe zu stellen. Die Reaktionen der Stadt sind nur vor
diesem politischen Hintergrund zu verstehen.
Ordnet
man jene Personen, die den Prozeß in Gang brachten oder ihn führten oder ihn
mittels Ergreifung zumindest eines der beiden Hauptschuldigen zu einem aller
Welt vorzeigbaren Ergebnis verhalfen, ihren politischen Positionen im Kampf um
Böhmen zu, dann wird man (233) rasch gewahr, daß man hier ausnahmslos
engagierte Gegner des Böhmenkönigs vor sich hat. Somit lassen das Timing, die
beteiligten Personen und Institutionen in ihren persönlichen Bindungen und
politischen Absichten für das Häresie-Verfahren gegen die Wirsberger einen
politischen Hintergrund erkennen, ja man könnte sogar pointiert von einem
politischen Prozeß sprechen.
Wenn
aber der Prozeß gegen die Wirsberger Teil der gegen den Böhmenkönig geführten
Kampagne gewesen ist, dann muß man sich fragen, ob nicht auch die ihnen zur
Last gelegten Häresien mehr ein Produkt polemischer Propaganda als tatsächlich
verkündeter Lehre waren.
III.
Welches
ist der eigentliche Inhalt der Vorwürfe: ihr häresiologischer Kern sozusagen?
Da muß man Schein und Sein deutlich auseinanderhalten. Für Livin von Wirsberg
war es ganz unbegreiflich, wie man ihm und seinem Bruder Janko Häresien hat
vorwerfen können, wo sie doch nur die bekannten Jeremiaden von der Verderbtheit
der Welt von sich gegeben und die in ihrer Zeit weder seltene noch unbedingt
mit dem Ketzervorwurf verpönte eschatologische Naherwartung von einem innerhalb
von fünf Jahren eintretenden Jüngsten Gericht zum Ausdruck gebracht hatten[48]. Wo hätte da ein Irrtum
liegen sollen oder gar eine Häresie, wo doch alles in der Heiligen Schrift zu
finden sei und Janko bzw. der, der sie in diesem Sinne deutete, alles von
gotes offenbarung hab? Verunglimpfungen der Kirche? Nie habe Janko
ein böses Wort über die frum ordenlich gotforchtig pristerschafft geäußert,
im Gegenteil: daß sie mer und hoher geeret werde, sei sein ganzes
Bestreben gewesen. Aufruhr und Gefahr für die öffentliche Ordnung? Gott
bewahre! Nie habe er über diese Dinge mit pofel noch unordenlichen lewten gesprochen,
sondern die Schriften, an denen man Anstoß nahm, habe er schon seit zehn Jahren
an alle möglichen gelehrten Kollegien geschickt mit der Bitte um Prüfung: seien
sie von Gott, so wolle er sie verkünden, wo nicht, so sollten sie widerlegt
werden. Und Livin kann es nicht fassen, wie er Maria, die lieben werden
muter gotes, und got Ihesum unnsern lieben hrn iren sun uneren und nit glauben
sölt.
Noch
klarer liest sich das Lehrprogramm der Wirsberger in den Worten des
Deutschordensbruders Vincenz[49]. Er habe von seinem
Bruder Livin nichts als das Folgende vernommen: dy örden würden czustört, dy
pristerschaft gereformirt, der adel verwandelt und wyder in die stet kumen, und
die werlt wer schyr in eym glauben kumen, und der jüngst tag sey nicht weyt -
des underwant er sich awß der schrifft czu pewern, und wer etlichen menschen
durch stym geoffenwart von got. (234)
Ob
in Livins oder in Vincenz' Worten: Das ist ein etwas exaltiertes,
eschatologisch hochgestimmtes Kirchenreformprogramm, wobei `Kirche' den orbis
christianus als ganzen meint. Nicht mehr, nicht weniger. An den Worten Livins
und Vincenz' mag manches Apologie sein. Aber die Wirsberger-Brüder dürften von
dem hier entworfenen Bild ihres Glaubensgebäudes kaum etwas wesentlich anderes
als Wirklichkeit wahrgenommen haben.
Aber
haben sie denn dieses Bild selbst entworfen? Sind sie überhaupt die Autoren der
ihnen zur Last gelegten Häresien? Haben sie die Bücher, in denen man ihre
Lehren fand, eigentlich selbst verfaßt? Und falls nicht: Haben sie sie
vielleicht gar nicht richtig verstanden? Das könnte man meinen, denn Livin
selbst beruft sich auf Janko, von dem er alles übernommen haben will, und
dieser - so läßt er durchblicken - habe gleichsam nur den Briefträger für einen
geheimnisvollen Unbekannten gespielt, den eigentlichen Spiritus rector der von
ihnen verbreiteten Ideen[50]; und Jobst von
Einsiedel weiß als brandneues Gerücht zu berichten, ein entlaufener Mönch, der
einer Nonne ein Kind gemacht und ihr erzählt habe, das sei der kommende
Jesus/Messias, habe all diese schrecklichen Dinge in die Welt gesetzt; und
dieser ihr neuer Gott müsse den Wirsbergern wohl die Schriftsätze verfaßt
haben, mit denen sie sich an die Öffentlichkeit wendeten, denn weder Livin noch
Janko könnten viel Latein[51].
Dazu
ist zu sagen: Jobst von Einsiedel gibt nur Klatsch und Tratsch wieder, und
Livin beruft sich lediglich auf das, was er von seinem Bruder Janko gehört
haben will bzw. wie er ihn verstand. Von einer originären Information kann man
also weder hier noch dort sprechen. Es wird noch zu zeigen sein, daß sich
bestimmte Teile ihrer Lehren als Reflex eben jenes sozialen Milieus bestimmen
lassen, dem sie entstammten[52]. Ich sehe daher - im
Gegensatz zur herrschenden Meinung[53] - keinen zwingenden
Anlaß, das, was die Wirsberger - und hier vor allem Janko - in Wort und Schrift
in Umlauf gebracht haben, nicht auch für ihr ureigenes Werk zu halten. Dies um
so weniger, als ihr Werk nach Form und Inhalt keineswegs isoliert gewesen ist
in seiner Zeit und damit zwangsläufig Elemente enthält, die die Wirsberger von
anderen übernommen und nicht selbst erfunden haben.
Heimlichkeit
jedenfalls war ihre Sache nicht: Nicht nur an gelehrte Kollegien hat Janko
offenbar seine Schreiben gesandt[54] - als solche lassen
sich Erfurt, Leipzig und Wien namhaft machen[55] -, sondern auch an
Fürsten und Städte des Reiches, ja sogar an den Kaiser[56]. Weil diese Sache das
ganze Reich anginge, sollten sie alle urteilen[57].
Einige
taten das auch: Der dem Konventualen-Lager zugehörige, in Freiberg in Sachsen
residierende Provinzialminister der sächsischen Or(235)densprovinz der
Franziskaner, Nikolaus Lackmann[58], schickte ihm
jedenfalls mit Datum 27. Mai 1466 - also gut 14 Tage vor Rudolfs von Rüdesheim
Denunziationsschreiben - eine im eigenen und im Namen "aller anderen
Doktoren und Definitoren des Ordens und Kapitels zu Freiberg" abgefaßte
Antwort[59]. Nicht weniger als 72 stucke
die do sind wider den heyligen gelawben will er in Jankos Schriftwerk
gefunden haben - welche, sagt er nicht -, und er droht ihm mit Denunziation bei
dem für ihn zuständigen Bischof, falls ihm dergleichen nochmals vor Augen
komme.
Die
zweite uns bekannte Reaktion war die eingangs erwähnte Quaestio quodlibetalis
des Erfurter Augustiner-Eremiten Johannes von Dorsten vom Jahre 1465[60]; auch sie liegt also
zeitlich vor Rudolfs Denunziationsschreiben. Dem abstrakten Charakter der
Quaestio entsprechend wird kein Name genannt; daß die Wirsberger und ihre Lehre
überhaupt Gegenstand der Betrachtung waren, muß man aus der Übereinstimmung der
ihnen im späteren Prozeß wie in der Quaestio zur Last gelegten Glaubensartikel
schließen. Die Übereinstimmung ist indessen so nahtlos, daß Zweifel an der
Sachidentität ausgeschlossen werden können. Sie sind jedoch nicht von
vornherein ganz abwegig, denn die bei Johannes von Dorsten begegnende
Qualifizierung der wirsbergischen Häresie als joachimitisch ist - zumindest in
der von ihm vorgenommenen Akzentuierung - derart isoliert in seiner Zeit, daß
man sich ernsthaft fragen muß, ob Dorsten, die Wirsberger und die
prozeßführenden Prälaten überhaupt dieselbe Sache meinten, für die oder um die
sie stritten.
Dorsten
faßte die Wirsberger-Häresie in zehn Punkte zusammen[61], die er mit dem Etikett
`joachimitisch' meinte versehen zu können. Der erste und in der Tat charakteristisch
joachimitische Punkt ist die chiliastische Erwartung einer Letztzeit vor dem
Jüngsten Gericht, die analog den drei Personen der Trinität sowie dem Alten,
Neuen und einem zu postulierenden geisterleuchteten Dritten Testament als die
letzte von drei Zeiten vorgestellt wurde. Diesem Markenzeichen des genuinen
Joachimismus ordnete Dorsten alle weiteren von ihm namhaft gemachten
Glaubensirrtümer zu. Sie lassen sich - wie gesagt - samt und sonders auch in
den sonstigen Wirsberger-Materialien auffinden; nur haben sie mit Joachim, ja
selbst mit der späteren joachitischen Tradition, nur noch in einem recht vagen
Sinne etwas zu tun[62].
Das
gilt schon für die zentrale Gestalt der Letztzeit. Dies ist nicht etwa Jesus
Christus als der Gegenspieler und Überwinder des Antichrist entsprechend der
gängigen eschatologischen Tradition, sondern eine Art alter ego Christi mit den
realutopischen Zügen eines eher jüdischen als christlichen Messias: Als Unctus
Salvatoris wird er bezeichnet – eine (236) Analogiebildung zu `christus
domini', eine gemeinhin Jesus Christus reservierte Metapher, die hier aber für
dessen Double in Anspruch genommen wird, denn Jesus Christus habe als Sohn
Gottes die Salbung nicht nötig gehabt[63]. Dieser Unctus
Salvatoris sei spirituell geboren von der Jungfrau Maria, mit der vollen
Einsicht in Gottes Offenbarung, ja in das ganze Geheimnis der Trinität begabt,
allein imstande, die Welt zu erlösen bzw. jene 144.000, die gemäß
alttestamentlicher Prophetie am Ende übrigbleiben würden. Alle messianischen Schriftstellen
des Alten und des Neuen Testaments - darunter auch das Vaterunser[64] - würden auf das Kommen
dieses Unctus Salvatoris gedeutet, des kaisergleichen menschlichen
Stellvertreters von Gottes Sohn[65], dem - eine weitere
Analogiebildung - ein zweiter Johannes voraufgehen würde, ein Iohannes de
Oriente cecus natus, dem der geheimnisvolle Unctus die Augen geöffnet habe
und der dessen Vorläufer und Propheten spiele. "Man nimmt an" - so
Rudolf von Rüdesheim -, daß der Wirsberger Janko (eine tschechische Koseform
des Namens Johannes) sich selbst in dieser Rolle sah[66].
Die
Analogiebildung des doppelten Christus zum doppelten Antichrist, ja selbst die
Vorläufergestalt eines `Johannes' ist keine Erfindung der Wirsberger. Sie läßt
sich seit dem endenden 14. Jh. im deutschen Kulturbereich noch wenigstens
zweimal nachweisen: 1393 bei dem als Ketzer in Heidelberg zu ewigem Kerker
verurteilten Franziskaner Friedrich von Braunschweig und 1445 bei dem von den
letzten Basler Konzilsvätern als Ketzer verurteilten und verbrannten Laien
Nikolaus von Buldesdorf. Ich habe anderswo zu zeigen versucht, daß all diese
Fälle geistesgeschichtlich in die von Joachim begründete, von Petrus Johannis
Olivi umgeformte und von Jean de Roquetaillade chiliastisch aktualisierte
eschatologische Tradition einzuordnen und deren soziale Trägerschichten im
spiritualistisch-reformerischen Flügel der Franziskaner zu suchen sind[67]. Daß im Egerer
Observantenkonvent der Franziskaner die Spiritus rectores der Wirsberger
vermutet wurden, ist daher so abwegig nicht, solange man den möglichen Einfluß
auf die unbestimmte Form einer bloßen geistigen Anregung begrenzt.
Aber
über das Dreierschema der vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Weltenzeiten
sowie dem in der joachitischen Tradition erst ganz spät entwickelten Konzept
eines zweiten Messias[68] hinaus vermag ich
typisch Joachimisches oder auch nur Joachitisches bei den Wirsbergern nicht zu
erkennen. Denn der Rest ihrer `Glaubensartikel' ist zeitkritische Dutzendware:
Der Antichrist sei in der Welt, und er wird identifiziert mit dem Papst;
Prälaten und sonstiger Klerus seien die membra Antichristi, `Babylon', oder die
Große Hure der Apokalypse. Das (237) ist die übliche Kirchen-, d.h.
Klerus-Kritik, von der nur die Bettelorden ausgenommen werden (übrigens alle,
nicht etwa nur die Franziskaner!). Konsequenz aus der Verderbnis des Klerus:
Die von ihm verhängten geistlichen Zensuren, aber auch die von ihm gewährten
Gnaden sowie die von ihm gespendeten Sakramente seien kraftlos. Das sind
weitreichende Folgerungen, und sie ließen sich ebenfalls in eine lange
kirchengeschichtliche Tradition einreihen; aber man würde, wollte man sie
dogmatisch fachgerecht etikettieren, wohl besser `donatistisch' dazu sagen,
jedenfalls sicherlich nicht `joachitisch'.
Ähnlich
ein anderes Element: Wer die Schrift abweichend vom üblichen Schema deutet und
sich gar auf göttliche Erleuchtung dabei beruft, muß zwangsläufig zu einem
kritischen Verständnis der exgetischen Tradition gelangen. Sie wird von den
Wirsbergern offenbar in der Tat in Bausch und Bogen abgelehnt, und zwar sogar
in recht drastischer Form: Die als heilig apostrophierten Kirchenväter hätten
wohl dem Wein zu fleißig zugesprochen und ihre Alkohol-Delirien als divinae
inspirationes ausgegeben[69]. Das ist grob, ließe
sich der Sache nach jedoch gleichfalls mühelos in Traditionen einreihen - von
den Taboriten z.B. wird Ähnliches berichtet[70] und Wyclifs wie der
Hussiten Sola-scriptura-Doktrin stellte die kirchliche Überlieferung
prinzipiell zur Disposition[71] -, nur hat das alles
mit Joachimismus nicht das geringste zu tun.
IV.
Wie
dann wäre das Verhältnis der Wirsberger und ihrer Lehren zu Joachim und der von
ihm ausgehenden Tradition zu bestimmen? Um diese Frage zu beantworten, muß man
sich erst einmal klar zu werden suchen, was die Wirsberger in der Substanz
überhaupt wollten. Das ist an sich ziemlich leicht zu erkennen: Sie wollten die
Reform einer als heillos zerrüttet empfundenen Welt. Die sog. Häresie der
Wirsberger ist folglich nichts anderes als eine religiös artikulierte Gesellschaftsutopie.
Als
solche ist sie weder der Form noch den Zielen nach eine in ihrer Zeit isolierte
Erscheinung. Die Nachrichten über wandernde Propheten chiliastischer Couleur
sind im 15. Jh. Legion. Meist werden uns von den beunruhigten Zeitgenossen nur
pauschale Angaben gemacht, hin und wieder ein - meist nichtssagender - Name
genannt, gelegentlich Bruchstücke eines Programms skizziert[72]. All diese Zeugnisse
lehren in der Hauptsache eines: Daß das Phänomen weltverbessernder Prediger
chiliastischer Prägung relativ weit verbreitet war, und zwar dergestalt, daß
die Akteure untereinander keinerlei direkte Verbindungen besaßen, alle zusammen
aber als das Produkt gleichartiger sozialer, mentaler und ideeller
Rahmenbedingungen zu bewerten sind, die jeweils für sich und (238) alle
miteinander zu weitgehend übereinstimmenden Antworten auf gleichermaßen als
problematisch empfundene Zustände ihrer Zeit fanden.
Innerhalb
dieses weiten Rahmens, wo alles miteinander zusammenhängt und man doch kaum je
etwas unmittelbar voneinander ableiten kann, läßt sich, wie mir scheint, in
einem Punkt eine nähere Zuordnung treffen, wo also bestimmte Ideen mit
bestimmten Trägerschichten über längere Zeiträume hinweg kontinuierlich
miteinander verbunden waren. Gemeint ist der radikal-reformerische, häufig als
`spiritualistisch' apostrophierte Flügel der Franziskaner. Denn zu ihm lassen
sich von nahezu allen leidlich gut bezeugten chiliastischen Reform-Programmen
Verbindungslinien herstellen, und umgekehrt ist der dort nie ganz erloschene Joachimismus
für den spätmittelalterlichen Chiliasmus in mehr oder minder großem Umfang
stets charakteristisch gewesen[73].
Es
wäre aber wohl ein Fehler zu meinen, man hätte bei den Franziskanern in die
Schule gehen oder gar selbst ein Franziskaner sein müssen, um im 15. Jh. ein
Reformprogramm mit chiliastischen Zügen konzipieren zu können. Gewisse
joachitische Elemente - wie etwa die endzeitliche Messias-Gestalt - hatten sich
längst derart innerhalb einer breitere Schichten erfassenden Reformdiskussion
verselbständigt, daß man nicht mehr notwendig auf franziskanisches Milieu oder
gar auf geschlossene joachitische Sektenzirkel rekurrieren muß, will man in
bestimmten Reformprogrammen die Herkunft joachitisch-chiliastischer Elemente
näher bestimmen. Paradebeispiel dafür kann die bekannte, im Umkreis des Basler
Konzils entstandene Reformatio Sigismundi dienen, wo in den Gestalten eines
Friedrich von Lantnewen bzw. des der apokryphen Esdras-Prophetie[74] entlehnten `Sacer
Pusillus' dieselbe endzeitliche Messias-Vorstellung Ausdruck fand wie bei den
Wirsbergern in ihrem Unctus Salvatoris[75]. Und auch die letzte
große reformerische Konzeption des Mittelalters: das "Buch der 100 Kapitel
und 40 Statuten" des sog. Oberrheinischen Revolutionärs, kennt den
Friedenskaiser mit dem mythischen Namen Friedrich als den von der Apokalypse
geweissagten endzeitlichen Reformator: der wirt im namen gottes das wesen
Bell zerbrechen und die priester totschlahen und das gantz erdrich under sich
bringen - ein hirten, ein schoffstall, ein glouben durch die gantz weld machen[76].
Man
wird kaum fehlgehen in der Annahme, daß sich derartige Sätze auch in den
Schriften fanden, die Janko von Wirsberg in alle Welt gehen ließ[77]. Zertrümmern des
Schlechten, Aufbau des wahren Guten, was immer man sich darunter konkret
vorgestellt haben mag - das ist bei allen Unterschieden im einzelnen der
Grundzug sämtlicher Reformprogramme jener Zeit. Sie suchten und fanden im
übrigen ein recht un(239)terschiedliches Echo. Nikolaus von Buldesdorf
machte das Basler Konzil zum Forum für die Verkündigung seiner Ideen und auch
Janko von Wirsberg suchte an die `Häupter der Christenheit', wie er sich
ausdrückte, seine Sache zu bringen, da er von deren Richtigkeit wie Wichtigkeit
durchdrungen war. Die Reformatio Sigismundi war mit 16 Handschriften und acht
Drucken aus der Zeit vor dem Bauernkrieg relativ weit verbreitet, wurde aber
nur anonym überliefert[78]; über den Autor - der
gewußt haben mag, weshalb er seinen Namen verschwieg - gibt es manche
Hypothesen, aber keine hat bislang überzeugen können[79]. Der Oberrheinische
Revolutionär hinterließ sein Werk ohne Verfasserangabe in nur einer
Handschrift. Wenn die jüngst von Klaus Lauterbach vorgenommene Zuschreibung der
Schrift an den als Sekretär der Hofkanzlei Kaiser Friedrichs III. und Maximilians
I. tätigen Mathias Wurm von Geudertheim der Überprüfung standhält[80], wäre zumindest in
einem Fall der soziale Ort bestimmt, an dem Reform des Reichs, der Kirche, ja
der Welt im 15. Jh. theoretisch artikuliert worden ist[81].
Es
sieht so aus, als ließe sich auch von hier aus eine Brücke zu den Wirsbergern
schlagen. Die Wirsberger stammen sozial aus dem den städtischen Oberschichten
verbundenen Niederadel, d.h. aus derselben Schicht, wie sie als sozialer
Herkunftsort für die Verfasser der beiden eben genannten spätmittelalterlichen
Reformschriften postuliert werden muß, wenn nicht sogar nachgewiesen werden
kann. Wenigstens zwei der ihnen zugeschriebenen Lehrpunkte zeigen einen
schichtenspezifischen sozialen Hintergrund.
Der
eine besagt, daß Fürsten und Prälaten - sprich: die herrschende Schicht des
hohen Adels - in der Endzeit umgebracht würden[82]. Das ginge so vor sich[83]: Die Fürsten führten
Soldritter in den Krieg, denen sie hernach die Löhnung verweigerten; diese
würden daraufhin im Aufruhr gegen die Fürsten losschlagen und diese umbringen.
Und "ihre Leichen werden unbestattet bleiben", heißt es zum Schluß in
deutlicher Reminiszenz an das traditionelle Antichrist-Szenarium.
Der
zweite Lehrpunkt lautet in den Worten Vincenz' von Wirsberg: der adel [würde]
verwandelt und wyder in die stet kumen[84]. Das klingt recht
enigmatisch, läuft aber im Prinzip auf dasselbe hinaus wie der den Praktiker
des Kriegshandwerks der Zeit verratende erste Lehrpunkt: Abschaffung der
ständischen Gliederung der Gesellschaft, was in den Augen der Wirsberger in
praxi Liquidation des herrschenden Hochadels bedeutete. Dies hat in zweifacher
Hinsicht einen konkreten sozialgeschichtlichen Hintergrund.
1.
Der Kleinadel bildete in der Stadt wie auf dem Land eine auch durch Konnubium
vielfach verbundene homogene Schicht – ungeach(240)tet eines sich seit
dem 15. Jh. verstärkenden Prozesses des Auseinandertretens von Stadt- und
Landadel. Der im Dominium Egers ansässige Livin von Wirsberg ist selbst das
beste Beispiel für das enge Band zwischen Stadt und Landadel.
2.
Gerade in Böhmen erreichte damals der soziale Gegensatz zwischen der Schicht
des Hochadels auf der einen, des mit den Städten verbundenen Niederadels auf
der anderen Seite eine den Zeitgenossen bewußte ungewöhnliche Schärfe. Ich
verweise nur auf das bekannte Memorandum des aus der südböhmischen
Magnatenfamilie der Rosenberger stammenden Bischofs Jost von Breslau vom Jahre
1465, abgefaßt am Vorabend des vom böhmischen Herrenbund inszenierten
Aufstands, in dem die Frontlinien keineswegs nur zwischen Hochadel und König
verliefen, sondern vor allem zwischen Hochadel und dem den König stützenden
Niederadel und seinesgleichen[85] in Stadt und Land. Der
Bischof Jost von Breslau schreibt[86], es gäbe Leute, die
meinten, "es sollen die Barone nur allein, ohne die Ritterschaft, und die
Ritterschaft wieder ohne die Barone sich hinstellen, dann werde man sehen, ob
diese oder jene dem Lande bessere Dienste zu erweisen im Stande sind".
Entmachtung des Hochadels und Etablierung des Kleinadels und der Städte als die
eine neue politische Ordnung konstituierenden Kräfte - das stand als eine
mögliche soziale Wirklichkeit damals den Zeitgenossen konkret vor Augen, und
zwar keineswegs nur in Böhmen[87]. Vor diesem
sozialpolitischen Hintergrund werden die beim ersten Hinhören erratisch
klingenden Aussagen der Wirsberger überhaupt erst verständlich, und nur von
dieser Dimension her erhalten sie ihr wahres historisches Relief[88].
V.
Wenn
sich die Lehren der Wirsberger nicht so sehr als joachitisch inspiriertes
Theoriengebäude, sondern eher als sozialpolitisch konkret zu verortendes
Reformprogramm im chiliastischen Gewande verstehen läßt und damit als eine von
vielen Stimmen in einem großen nach Reform schreienden Chor, dann stellt sich
die Frage nach dem Sekten-Charakter dieser `Häresie'.
Man
kann sich der Antwort nähern, wenn man sich einmal fragt: Wieviele Wirsberger
gab es denn nun eigentlich? Zwei? drei? ein Dutzend? oder noch mehr? Die
Berichterstatter machen keine genauen Angaben, aber viele Anhänger sollen die
Wirsberger schon gehabt haben, ja man überschlägt sich förmlich im Ausmalen
ihrer Gefährlichkeit: Hochadel, Niederadel und andere sollen zu ihrem Anhang
gezählt haben, dazu ein veritabler Bischof, dem unser Gewährsmann grimmig (241)
wünscht, er wäre besser ins Grab gesunken[89]. Ähnlich aufgeregt ein
anderer: Adlige und Nichtadlige in großer Zahl, darüberhinaus Städte und ganze
Länder hätten sie zu ihrer Häresie verführt[90]. Und die Wirsberger
scheinen sich auch selbst gebrüstet zu haben, zu ihrem Anhang würden zahlreiche
weltliche und geistliche Fürsten und Leute aus dem Ordensstand, besonders der
Bettelorden, zählen[91], insgesamt eine solche
Menge in den verschiedensten Teilen Deutschlands, daß, wären sie vereint, sie
jedem beliebigen großen Fürsten widerstehen könnten[92].
Prüft
man das nach, so kommt man als hartem Kern von Jankos und Livins Anhang gerade
auf den Egerer Bürger Hans Schönbach; und der konnte sich auch noch vor dem
Regensburger Bischof vom Verdacht der Häresie reinigen. 1486 will ein Benutzer
von Dorstens Quaestio - mit großer Sicherheit dessen Schüler Johannes von Paltz
- ausgemacht haben, daß Livins von Wirsberg Häresie nach Erfurt
"gekrochen" sei[93]. Also doch eine
verschworene Gemeinde, gar Sektenkontinuität über 20 Jahre hinweg? Eine solche
Deutung hieße das Zeugnis mißverstehen: Es besagt nicht mehr, als daß
joachitisch getönte Reform-Programme nach Wirsberger-Art in Erfurt auch noch
1486 im Schwange waren - und das kann den, der meinen vorigen Ausführungen
gefolgt ist, nicht mehr überraschen. Phänomenologische Übereinstimmungen
stiften aber noch keine historische Kontinuität. Daß es damit bei den
Wirsbergern schlecht bestellt ist, hat schon die bisherige Forschung verblüfft:
Nach Livins Tod ist nichts mehr an historischer Wirkung spürbar. Wäre es anders,
müßte das jeden verwundern, der das Selbstzeugnis Livins von Wirsberg
ernstnimmt, Jankos Sache sei unter kain pofell noch unfursichtige lewt
bisher ny gekommen[94].
Wo
also blieb der Anhang? Verlief er sich? oder war er eine bloße Chimäre? ein
Resultat von Aufschneiderei hier, absichtsvoll gepflegter oder auch tatsächlich
vorhandener Ketzerhysterie dort? Die Antwort ist, wie mir scheint, sehr
einfach: Es ist eine Frage der Definition des angeblichen Anhangs, d.h. der
Sekten-Struktur. Kurz gesagt: Die Wirsberger haben nie eine Sekte im Sinne
einer irgendwie organisierten Anhängerschaft gebildet. Sie hatten Ideen, sie
sprachen darüber, und man hörte ihnen zu - manche zustimmend, vielleicht sogar
begeistert (wie offensichtlich jener Egerer Bürger Hans Schönbach), andere
reserviert, wenn nicht ablehnend. Vor allem: die Wirsberger konnten sicher
sein, daß ihr Reformanliegen auf breiteste Resonanz in allen Schichten rechnen
konnte. Mehr haben sie, wie ich meine, nie sagen wollen mit ihrem kühnen
Ausspruch, der dem päpstlichen Legaten denunziert wurde und mit dem er ihre
Gefährlichkeit und damit Verfolgungsnotwendigkeit unterstrich: "wenn
alle" - ich ergänze: Reformwillige - "beieinander wä(242)ren,
könnte ihnen kein Fürst widerstehen, so groß er auch sei". Mit dieser Einschätzung
könnten sie sogar recht gehabt haben. Freilich: die Reformwilligen standen
nicht beieinander, und mit Livins Tod und Jankos Verschwinden war ein neuer Ruf
nach Reform wirkungslos verhallt.
VI.
Aber
doch nicht ganz! Nicht daß ihre Ideen irgendetwas Neues in Bewegung gesetzt
hätten, aber der Wirbel, den sie verursacht hatten, war doch recht
beträchtlich. Indes: das Quellen-Abbild ihrer angeblichen Häresie hat nur noch
sehr entfernt, und manchmal auch rein gar nichts, mit dem zu tun, was die Wirsberger
in Wirklichkeit gelehrt hatten und worum es ihnen in Wahrheit gegangen war. Was
also präsentiert sich da im Spiegel der Quellen als `wirsbergisch'?
Das
ist gar nicht so leicht zu sagen, denn vieles, was die Wirsberger lehrten, wird
gar nicht unter ihrem Namen tradiert, und was unter ihrem Namen tradiert wird
oder sich doch ihrem Falle zuordnen läßt, kann vielfach nur mit Vorbehalt als
für sie typisch gelten. Zunächst einmal sind alle Quellen generell dadurch
charakterisiert, daß sie die Wirsberger-Lehren nur in ganz selektiver Form
aufzeichneten. Notiert wurde - ich frage nicht, wie zuverlässig -, was als
häresieverdächtig Aufmerksamkeit erregt hatte bzw. gebrandmarkt werden sollte.
In Bezug darauf, was die Wirsberger an Unanstößigem verbreitet hatten, treten
ihre Lehren hingegen überhaupt nicht in Erscheinung. Die Wirsberger als
Spiegelbild ihrer Quellen - das ist in jedem Fall ein Zerrbild, nicht so sehr
durch das, was berichtet wird, sondern durch das, was in den Berichten fehlt.
Was
nun nahmen die Berichterstatter wahr von den Wirsbergern und was vermittelten
sie ihren Lesern? Da gibt es große Unterschiede, bedingt zum einen einfach
dadurch, daß der Wirsberger-Name bei Skizzierung von Wirsberger-Lehren gar
nicht immer genannt wird, vor allem aber deswegen, weil der geistige Horizont
der Berichterstatter differierte. So ist zum Beispiel das aus den
Wirsberger-Lehren in Dorstens Quaestio als charakteristisch herausgeschälte
joachitische Element von den Verfassern und Propagatoren der anderen Quellen und
deren Lesern keinesfalls als typisch wirsbergisch empfunden worden. Als
zeitgenössisches Angriffsobjekt von Dorstens Quaestio die Wirsberger
wiederzuerkennen, wird überdies dadurch erschwert, daß Dorsten keine Namen
nannte. Natürlich war er sich bewußt, wessen Lehren er aufs Korn nahm, sein
Schüler Johannes von Paltz - der mutmaßliche Autor der Quaestio von 1486 -
offenbar auch. Der unbefangene Leser von Dorstens Quaestio aber konnte diesen
Zusammenhang nicht ahnen; (243) ihn hat erst die moderne Forschung
wieder herstellen können. Dorstens Botschaft war: Joachim redivivus -
nichts von Janko und Livin.
Die
zeitgenössische Vorstellung von den Wirsbergern eher prägend war der
Denunziationsbrief Rudolfs von Lavant, der in einer Reihe von Überlieferungen
erhalten blieb, und zwar in einer Streuung, die an gezielte Propagierung denken
läßt[95]. In grobem Umriß wird
hier das Bild einer gefährlich weit verbreiteten, klerus-, kirchen-,
fürsten-feindlichen, auf Umsturz der Verhältnisse zielenden, im Machtbereich
des böhmischen Ketzerkönigs agierenden chiliastisch inspirierten Sekte unter
Führung des Wirsberger-Brüderpaares entworfen. Ein verzerrtes, aber in sich
stimmiges Bild, an dessen Authentizität auch noch ein Otto Schiff nicht
zweifelte[96].
Der
Eindruck wird vertieft und näher ausgeführt in jener den Regensburger
Bettelordens-Geistlichen vorgelegten Artikelserie, die für uns als
Vergleichsbasis zu allen anderen Materialien als die wichtigste Quelle gelten
muß. Weit verbreitet war die Liste indessen nicht: Nur Glaßbergers
Franziskaner-Chronik hat sie uns bewahrt[97]. Mit ihr hängt eine in
zwei Handschriften überlieferte, in 16 Punkte gegliederte Artikel-Serie eng
zusammen, die vieles Übereinstimmende, manches Ergänzende bietet und sich als
die Liste jener Irrtümer gibt, die Livin tatsächlich vor dem Regensburger
Bischof 1468 abgeschworen habe[98].
Das
also konnten die Zeitgenossen - auch wenn nicht alles in gleichem Maße der
Information zugänglich war - als wirsbergisch dem Namen und der Sache nach
wahrnehmen. Es entsprach im Tenor im wesentlichen alles dem von Rudolf von
Rüdesheim entworfenen Bild.
Zwei
weitere Quellen nun, in ihren Aussagen seltsam miteinander verschränkt und doch
mit sehr unterschiedlichen Informationen versehen, komplizieren die Sache:
Beides sind Listen häresieverdächtiger oder förmlich als häretisch
qualifizierter Lehrpunkte. Keine von beiden nennt die Wirsberger beim Namen.
Die eine, mit 35 oft enigmatisch knappen Lehrsätzen ausführlichere Liste führt
sie mit den Worten ein: Novellorum hereticorum figmenta sew errores[99]. Diese Liste war es, auf
die Otto Schiff 1931 erstmals aufmerksam machte[100], ohne doch ihren Inhalt
je zu publizieren. Der Liste folgt der Denunziationsbrief Rudolfs von Rüdesheim[101], vor allem aber ist der
Text der eindeutig als wirsbergisch zu identifizierenden Figmenta
eingerahmt von dem Gutachten eines Regensburger Kartäuser-Mönches über einen
vollkommen anderen Fall, der dennoch gewisse Berührungspunkte mit den
Wirsbergern aufweist[102]: Die Sache spielt 1466,
die Zeit stimmt also überein; Ort des Geschehens ist hier wie auch dort
Regensburg. Sonst aber überwiegen die Differenzen: Der bislang noch gar nicht
ins Blickfeld der (244) Forschung getretene Fall betrifft einen
priestergleich auftretenden, von sieben Männern und sechs Frauen begleiteten
Mann namens Heinrich, der Lehren verkündete, die man mit den Begriffen der
damaligen Zeit als `freigeistig' charakterisieren könnte (obwohl der Begriff
nicht fällt[103]).
Die
Umrahmung der Figmenta mit diesem Gutachten des Regensburger
Kartäuser-Mönchs wäre in unserem Zusammenhang nun nicht des Aufhebens wert,
wenn nicht schon bei dieser Überlieferung Unsicherheit bestünde, wo die genaue
Grenze zwischen den Figmenta und den Nachrichten über den `Freigeist'
Heinrich zu ziehen wäre. Auf den ersten Blick ist diese Grenze jedenfalls nicht
ohne weiteres erkennbar, und das hat bereits Otto Schiff zu unrichtigen Angaben
veranlaßt[104]. Man steht aber nahezu
hilflos vor der zweiten Artikel-Serie, die sich - wie gesagt - mit jener der
Figmenta in eigentümlicher Weise verschränkt und sie doch zugleich ergänzt[105]. Aber ergänzt wird
nicht nur sie: Denn nahezu ununterscheidbar vermengt sie sich mit den dem
Freigeist Heinrich zugeordneten Irrtümern[106]. Nur sorgfältigste
Analyse unter Heranziehung des gesamten heute bekannten Materials hat mir nach
langen Überlegungen eine diskutable Scheidung der Bestandteile erlaubt[107]. Ein mittelalterlicher
Leser hatte dazu keine Chance. Seinen Augen bot sich ein Monstrum von Häresie
dar, das in dieser Gestalt nichts mit den Vorstellungen ihrer Erfinder, aber
auch nicht einmal etwas mit jenen ihrer Richter zu tun hatte[108]. Was war diese Häresie
dann? Ein Stück fiktiver Wirklichkeit, die aber in ihrer Fiktionalität nicht
minder wirklich und somit als Teil der Vorstellung mittelalterlicher Menschen
von Häresie nicht minder wirksam war als die angeblich abgebildete Wirklichkeit
fiktiv.
VII.
Ich
komme zum Schluß! Wer waren die Wirsberger? Keine in der Wolle gefärbten
Joachiten, Anführer einer gefährlich aufrührerischen Sekte. Sie waren vielmehr
Stimmen im Chor eines Rufs nach Reform der Kirche, und das meinte: Reform der
Welt in all ihren gesellschaftlichen Bezügen, Reform verstanden als Läuterung
vor dem drohenden Hintergrund der Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag. Die
Wirsberger hatten das persönliche Pech, in einer Region zu leben, die der
Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen um den politischen Weg Böhmens
unter seinem als Ketzer geschmähten König Georg von Podiebrad war. Joachim von
Fiore und dessen Nachfahren konnten für Reformmodelle dieser Zeit in mehr oder
minder großem Umfang den ideellen Artikulationsrahmen bereitstellen, lieferten
im Falle der Wirsberger aber wohl nicht viel mehr als das eine oder andere
Stichwort. Ihr Oeuvre, das wir vornehmlich nur in den Spiegelungen einer von
Haus aus verzerrenden Berichterstattung zu erkennen vermögen[109], ist vom sozialen
Status ihrer Propagatoren wie von ihrem konkreten Reformbegriff her wohl eher
in die Nachbarschaft von Reformschriften wie der Reformatio Sigismundi oder der
des Oberrheinischen Revolutionärs zu stellen als in die Nähe der Schriften
eines Joachim, Olivi oder Jean de Roquetaillade. Die Wirsberger sind mithin
Zeugen für die Lebendigkeit der Ideen Joachims von Fiore in Deutschland noch im
15. Jh., freilich nur in einem eher unbestimmten Sinn. Sie sind aber vor allem
Zeugen für die hochgestimmte Sehnsucht nach und der tiefsitzenden Angst vor
einem wirklich in die Tiefe gehenden Wandel der Welt.
Der
vorliegende Aufsatz war abgeschlossen, die darauf beruhende Vortragsfassung in
San Giovanni zu Gehör gebracht, als Frau Dr. Ruth Schmolinsky mich darauf
aufmerksam machte, daß sich ihrer Kenntnis nach in der ehemals
Wallerstein-Öttingen'schen Hs. II, 1 2o 85, heute aufbewahrt in der
Universitätsbibliothek Augsburg, die Überlieferung einer Wirsberger-Schrift
befinden müsse. Die Nachprüfung erbrachte ein sensationelles Ergebnis: Die
genannte Hs. enthält tatsächlich auf den Folien 190r-214r
Wirsberger-Materialien, und zwar einen an "<Johannes> von
Orient" gerichteten Brief sowie - offensichtlich vom selben Verfasser -
ein umfangreiches Sendschreiben an die Stadt Nürnberg. Der Autor ist anonym. Es
handelt sich jedoch ohne Frage entweder um Janko von Wirsberg - wie ich nach
wie vor geneigt bin anzunehmen - oder um jenen geheimnisvollen `Unbekannten',
von dem die Quellen als dem Spiritus rector der Bewegung munkeln (siehe oben S.
###). Die Identifikation dieses Materials als wirsbergisch ist Herrn Dr. Günter
Hägele von der Universitätsbibliothek Augsburg zu verdanken, der seinen Fund
demnächst im Deutschen Archiv annoncieren wird und mit dem gemeinsam ich eine
diese Quelle erschließende Publikation plane.
Der
Fund wirft eine Fülle von Problemen auf. Nicht das geringste wird der Versuch
einer Klärung der Frage sein, ob es sich hier nicht um Texte aus der Feder
eines Autors mit pathologischen Zügen handelt. Die hier sich äußernde
eschatologisch gestimmte Erregtheit nimmt jedenfalls derart formsprengende
Ausmaße an, daß diese Frage ernsthaft zu prüfen sein wird. Doch was immer die
Untersuchungen ergeben werden, eines läßt sich jetzt schon mit Sicherheit
sagen: Das oben Darge(246)legte bedarf keiner Revision. Allenfalls
könnte sich eine Modifizierung insofern nahelegen, als die Vermutung
reformerischer Phantasie, die mich die Wirsberger in die Nähe der Reformatio
Sigismundi und des Oberrheinischen Revolutionärs rücken ließ, durch das neue
Material nicht bestätigt wird. Freilich wird sie dadurch auch nicht widerlegt,
und so möchte ich vorderhand auch an dieser - wie ich hoffe, an den Quellen
gezeigt zu haben: nicht unbegründeten -
Annahme festhalten. (246-257 Anmerkungen)
[1] Herman
Haupt, Zur Geschichte des Joachimismus, ZKG 7 (1885) S. 372-425, hier S. 423.
[2] Heinrich
Gradl, Die Irrlehre der Wirsberger, Mittheilungen des Vereines für Geschichte
der Deutschen in Böhmen 19 (1880) S. 270-279.
[3] Haupt
(wie Anm. 1) S. 423-425.
[4] Otto
Schiff, Die Wirsberger. Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären
Apokalyptik im 15. Jahrhundert, Historische Vierteljahrschrift 26 (1931) S.
776-786. Neu ist sein Hinweis auf die in der Hs. München, Staatsbibliothek, Clm
18930 fol. 84r-v überlieferten Novellorum hereticorum errores sew
figmenta, auf die unten S. 243f. näher einzugehen sein wird.
[5] Diese
Quaestio hat die bezeichnende Fragestellung: Utrum tertius mundi status quem
Ioachim abbas ymaginatur et hereticorum conventiculum minatur, catholice
venturus astruatur priusquam (Variante: postquam) annus domini
millesimus CCCCLXXI compleatur. Ruth Kestenberg-Gladstein,
The "Third Reich". A fifteenth-century polemic against Joachism, and
its background, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 18 (1955) S.
245-295; ebd. S.
266-282 die mit Hilfe von J.B. Trapp verfertigte Teiledition der Quaestio
Dorstens nach den beiden heute bekannten Überlieferungen in den Hss. Gießen,
Univ.-Bibl. 696 fol. 216r-218v sowie 25r-32v
und Trier, Stadtbibl., Hs. 2064/2252 fol. 61r-76r, unter
Heranziehung einer 1486 zu datierenden Erfurter Quaestio determinata contra
triplicem errorem, deren anonymer Verfasser von Dorstens Quaestio ausgiebig
Gebrauch gemacht hat. Es handelt sich dabei mit großer Sicherheit um den
Dorsten-Schüler Johannes von Paltz, unter dessen Werken die Erfurter Quaestio
nach den genannten Frühdrucken von Albert Czogalla jetzt kritisch herausgegeben
worden ist (wie unten Anm. 93). Zur Diskussion der Quaestio Dorstens eingehend
Kestenberg-Gladstein S. 260ff. bes. mit Anm. 169 (Datierung) und 192
(Überlieferung in der Gießener Hs.). Dazu mit weiterführenden Angaben Adolar
Zumkeller, Manuskripte von Werken der Autoren des Augustiner-Eremitenordens in
mitteleuropäischen Bibliotheken (Cassiciacum 20, Würzburg 1966) S. 225 Nr. 476
(Dorsten) und 257 Nr. 555a (Paltz); siehe auch den Artikel Johannes von
Dorsten, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 4 (1983)
Sp. 577-580 (Katharina Colberg) sowie Johannes von Paltz, ebd. Sp. 698-706
(Berndt Hamm), dazu unten S. 259-271 die Ausführungen von Paul Zimdars-Swartz.
[6] Das
Denunziationsschreiben Rudolfs von Lavant wurde gleich dreimal gedruckt: Johann
George Schelhorn, Acta historico-ecclesiastica saeculi XV. et XVI., Teil 1 (Ulm
1738) S. 66-69 Nr. 10; Ignaz von Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte des
Mittelalters 2 (München 1890) S. 625f. Nr. 55; Nikolaus
Glaßberger, Chronica (Analecta Franciscana 2, Quaracchi 1887) S. 422f. Ebd. S. 423-425
Abdruck der nur in Glaßbergers Chronik überlieferten Liste der vom Regensburger
Bischof den Bettelordens-Oberen seiner Stadt vorgelegten wirsbergischen
Lehrsätze. Die 1468 verurteilten Glaubenssätze Livins von Wirsberg publizierte
Gerhard Ritter, Zur Geschichte des häretischen Pantheismus in Deutschland im
15. Jahrhundert. Mitteilungen aus einer vatikanischen Handschrift, ZKG 43
(1924) S. 150-159, hier S. 158f. - Zu den Quellen und zur Überlieferung vgl.
unten S. 243.
[7] Siehe
unten S. 241 mit Anm. 90, S. 244 mit Anm. 105; siehe auch S. 245f.
[8] Vgl.
Heribert Sturm, Districtus Egranus. Eine ursprünglich bayerische Region (Historischer
Atlas von Bayern, Teil Altbayern, Reihe II Heft 2, München 1981) S. 192.
[9] Zu
dessen Geschichte vgl. Sturm (wie Anm. 8) S. 1ff.; dazu ders., Eger. Geschichte
einer Reichsstadt, 2 Bde. (Augsburg 1951/52), hier Bd. 1, S. 20ff. (Karte S.
95).
[10] Wirsberger
saßen in der alten regio Egere zeitweise in Fuchsmühl bei Tirschenreuth
(1488-1497), auf Altenteich (1507-1596) und Wildstein (1531-1596) nahe Eger,
ein Konrad von Wirsberg ist 1488 als Lehnsmann des Markgrafen von Ansbach-Bayreuth
in der Amtsfunktion eines Hauptmanns "auf dem Gebirg" bezeugt, d.h.
als Inhaber "eines burggräflich-nürnbergisch bzw.
markgräflich-brandenburgisch gewordenen Ämter im ehemals egrischen
Fichtelgebirge"; so H. Sturm, Tirschenreuth (Historischer Atlas von
Bayern, Teil Altbayern, Heft 21, München 1970) S. 195; siehe auch dens.,
Kemnath (ebd. Heft 40, München 1975) S. 92 (Fuchsmühl); ders., Districtus
Egranus S. 192ff. (Altenstein/Wildstein).
[11] Zu
Höflasgut Sturm, Districtus S. 261; zu dessen Sprachform Ernst Schwarz, Die
Ortsnamen der Sudetenländer als Geschichtsquelle (Handbuch der sudetendeutschen
Kulturgeschichte 1, München 21961) S. 187. Die Daten zu den
Wirsbergern im Egerer Raum vgl. K. Siegl (wie unten Anm. 28) S. 100 Anm. 1, sowie
bei Frantisek Kubu, Cheb v dobe husitské [mit Resümee: Eger in der
Hussitenzeit], in: Soudce smluveny v Chebu. Sborník príspevku prednesenych na
symposiu k 550. vyrocí, kveten 1982 Cheb (Olmütz 1983) S. 105-129, hier S.
120f. Ihnen sind drei Eintragungen in der Hs. 2099 des Prager Stadtarchivs vom
26. Juli 1460 sowie vom 9. und 16. März 1462 hinzuzufügen, die Livin von
Wirsberg als Gläubiger eines Janko von Mies bezeugen; Archiv cesky 26 (1909) S.
302-304 Nr. 2-4 [ich verdanke Frantisek Smahel den Hinweis darauf].
[12] Über
ihr Alter läßt sich insofern ungefähre Aussagen machen, als ihr Vater, mit
Namen (wie der offenbar älteste Sohn) Livin, 1437 August 2 als tot bezeugt ist
und in diesem Jahr seine Kinder noch minderjährig waren; vgl. Heinrich Gradl,
Die Chroniken der Stadt Eger (Deutsche Chroniken aus Böhmen 3, Prag 1884) S. 28
Nr. 31*. In dem hier in Frage stehenden Zeitraum war also keiner der Brüder
älter als 50 und jünger als 30 Jahre; mit ca. 40-45 Jahren - der eine mehr an
der oberen, der andere mehr an der unteren Grenze - wird man 1466/69 für alle
drei das Alter taxieren dürfen.
[13] Gradl,
ebd. Anm. 3, entscheidet sich trotz mancher Bedenken für Ordenszugehörigkeit
Jankos, ebenso Haupt S. 423, anders Schiff S. 778 ("Laie und ohne gelehrte
Bildung") und Kestenberg-Gladstein S. 256 mit Anm. 121. In modernen
Überblicksdarstellungen wie Karl Hausberger, Geschichte des Bistums Regensburg
1 (Regensburg 1989) S. 218, ist er wieder Minorit. Daß er kein Angehöriger des
Franziskanerordens war, läßt sich mit Bestimmtheit dem an Janko gerichteten
Brief des Ordensprovinzials der Saxonia, Nikolaus Lackmann, entnehmen (vgl.
Gradl S. 272): Die dort gewählte Anrede: In got liber besunder guter freund,
kann nicht einem Ordensmitglied gelten, und die Drohung, ihn dem (für Eger
zuständigen) Bischof zu denunzieren (und nicht etwa: ihn disziplinarisch in
eigener Person oder vor einem Ordenskapitel zu belangen), noch viel weniger.
Janko selbst nennt sich in dem einzigen erhaltenen in seinem Namen ausgefertigten
Schreiben Jencko von Wirßperg, ohne jeden Zusatz (wie z.B. `frater'),
der auf eine Ordenszugehörigkeit schließen ließe.
[14] So
dürfte die von Gradl S. 274f. zitierte und besprochene Stelle im Manifest der
Stadt Eger von 1466 August 11 zu deuten sein, Janko sei weder stat noch
lannde verwantt.
[15] Zu
diesem seit Beginn des 15. Jh. in der ordenseigenen Propaganda begegnenden
Ausdruck vgl. Hartmut Boockmann, Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner
Geschichte (München 1981) S. 195 und 230 (weiterführende Hinweise S. 282 unter
Nr. 113).
[16] Von
ihm ist zuletzt in dem Vorladungsschreiben des Regensburger Bischofs Heinrich
von Absberg vom 5. Dezember 1466 die Rede; Gradl S. 277.
[17] Zu
den Druckorten des Briefes oben Anm. 6; zur Überlieferung unten S. 243 mit Anm.
95. Zur Biographie Rudolfs von Rüdesheim - Typus des gelehrten geistlichen Rats
`bürgerlicher' Herkunft, der Karriere im Fürstendienst machte und von dort
geistliche Spitzenpositionen errang (1460: Propst des Stiftes St. Viktor in
Mainz, 1463 Bischof von Lavant, 1465 päpstlicher Legat, 1468 Bischof von
Breslau, + 1482) vgl. bislang Ludwig Petry, Rudolf von Rüdesheim, Bischof von
Lavant und Breslau. Ein Forschungsanliegen der vergleichenden Landesgeschichte,
MIÖG 78 (1970) S. 347-357; ders., Das erste Jahr der Breslauer Legation Rudolfs
von Rüdesheim 1465/66, in: Beiträge zur schlesischen Kirchengeschichte.
Gedenkschrift für Kurt Engelbert (Köln-Wien 1969) S. 255-265 [beide Aufsätze
sind benutzt im Nachdruck: Ludwig Petry, Dem Osten zugewandt. Gesammelte
Aufsätze zur schlesischen und ostdeutschen Geschichte. Festgabe zum 75.
Geburtstag (Sigmaringen 1983) S. 263-273 und 274-284]. Zuletzt mit Hinweisen
auf die einschlägige polnische Literatur Jan Drabina, Dzialanosc dyplomatyczna
legata apostolskiego Rudolfa z Rüdesheim na Slasku, [deutsche Zus.:
Diplomatische Tätigkeit des päpstlichen Legaten Rudolf von Rüdesheim in
Schlesien], in: Acta Universitatis Wratislaviensis Nr. 195, Historia 23
(Breslau 1974) S. 205-229. - Wie Petry zu Recht bemerkt, verdiente Rudolf eine
monographische Behandlung. Dabei würde wohl auch der von ihm gegen die
Wirsberger entfachten Kampagne Aufmerksamkeit geschenkt werden müssen, die als
Teil seiner `diplomatischen Tätigkeit' bislang ganz unbeachtet blieb.
[18] Er
ist in dieser Position von 1456 bis 1468 bezeugt; vgl. Ferdinand Janner,
Geschichte der Bischöfe von Regensburg 3 (Regensburg 1886) S. 528.
[19] Zum
Vorgang und zum Text der Artikel Glaßberger, Chronica S. 423-425. Schiff S. 780
mit Anm. 12 spricht von "Verhör" und daß die Ordensmänner "jede
Schuld bestritten"; dabei kann er sich auf Glaßberger S. 425 stützen, der
behauptet, die `Prälaten' der Regensburger Bettelorden, omnes irreformati,
hätten zu ihrer Entschuldigung den Häresieverdacht auf den Egerer Konvent der
observant gewordenen Franziskaner gelenkt. Das kann nicht gut stimmen. Denn die
Sitzung vom 12. Juli 1466 kann in dem mit der Denunziation anlaufenden
kanonischen Prozeßverfahren nur die Aufgabe gehabt haben, die eingegangenen
Vorwürfe auf ihr rechtliches Gewicht hin zu überprüfen; die Regensburger
Bettelordensoberen fungierten daher als Gutachter im Häresieprozeß während der
Ermittlungsphase und saßen in keiner Weise auf irgendeiner Anklagebank, so daß
sie es nötig gehabt hätten, einen gegen sie erhobenen Verdacht auf andere zu
lenken. Ein solcher Verdacht wäre geradezu absurd gewesen: Rudolfs
Denunziationsschreiben erhob ihn nicht, die Regensburger waren fern vom Schuß,
zudem Konventuale, und der das bischöfliche Verfahren konkret leitende
Weihbischof Ulrich Aumayr war selbst Franziskaner. Glaßbergers Bericht ist
daher am besten zu verstehen, wenn man ihn umdreht: Weil die Regensburger
Bettelordensgeistlichen die Egerer Franziskaner in Verdacht gebracht haben,
schmäht der Chronist sie als die eigentlich Schuldigen.
[20] Zu
den Auseinandersetzungen im Zuge der Einführung der Observanz in der
Franziskaner-Provinz Sachsen, zu der Eger gehörte, vgl. Ferdinand Doelle, Die
Observanzbewegung in der sächsischen Franziskanerprovinz (Mittel- und
Ostdeutschland) bis zum Generalkapitel von Parma 1529
(Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 30/31, Münster i. W. 1918); dort
S. 23ff. die Daten zu Eger.
[21] Der
den Ruf des Egerer Franziskanerkonvents wiederherstellende Brief Rudolfs von
Rüdesheim vom 28. August 1466, überliefert bei Glaßberger S. 425f., bezieht
sich nur auf Gerüchte angeblich unklarer Herkunft, er habe die Stadt Eger und
dessen observanten Franziskanerkonvent dem Regensburger Bischof im Zusammenhang
mit dem Fall der Wirsberger namentlich als häresieverdächtig denunziert; davon,
sagt der Bischof, könne keine Rede sein. Das würde bedeuten, daß weder
ordensintern noch von seiten des Regensburger Bischofs eine förmliche
Aufforderung an den Egerer Franziskanerkonvent erging, sich zu rechtfertigen.
Wir werden sehen, daß es lange Zeit auch kein förmliches Vorladungsschreiben an
die unstreitig betroffenen Wirsberger-Brüder gab; ein bei einem
Ketzer-Inquisitionsverfahren ziemlich ungewöhnlicher und von Livin zu Recht
gerügter Vorgang.
[22] Siehe
die vorige Anmerkung.
[23] Melker Annalen ad a. 1466,
ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 9 (1851) S. 521 [Zeitstellung für diesen
Abschnitt: vor 1481]: ... in civitate dicta Egra orta est heresis pessima et
stultissima ex ordine fratrum minorum, id est sancti Francisci, qui dicti sunt
de observancia... Basler Chroniken Bd. 5, ed. August Bernoulli (Leipzig 1895)
S. 439 zu 1466 [Nachtragsteil der Jahresberichte 1465-1473 zur Chronik des
Heinrich von Beinheim (+ 1460)]: Anno 1466 was ufferstanden ein ketzerey by
Behem, und sunderlich in der stat Egra unde den armen Barfuossen.
Das böse Gerücht nehmen Gradl und Haupt, die Janko für einen Franziskaner
halten, nicht weniger ernst als Schiff und Kestenberg-Gladstein, die ihm die
Zugehörigkeit zum Franziskaner-Orden absprachen; siehe unten Anm. 53. In
manchen modernen Überblicksdarstellungen (z.B. H. Sturm, Eger [wie Anm. 9] Bd.
1, 111; 2, 221) neigt man dazu, in den Franziskaner-Observanten Egers überhaupt
die eigentlichen Verursacher der Wirsberger-Häresie zu sehen. Inwieweit das
tatsächlich zutreffen könnte, siehe unten S. ###. Zwischen einer hypothetischen
Möglichkeit und einer historischen Tatsache besteht aber auch dann immer noch
ein gewisser Unterschied.
[24] pannicida;
das ist kein "Tuchhändler" (Schiff S. 779).
[25] Schönbachs
- beginnend anscheinend mit jenem Hans - figurieren seit 1440 unter den Egerer
Patrizier-Geschlechtern; siehe Gradl, Chroniken (wie Anm. 12) S. 62 Nr. 101, S.
417 Nr. 1274; 1481-1489 scheint unser Hans Schönbach Mitglied des äußeren Rates
gewesen zu sein.
[26] Zur
staatsrechtlichen Beziehung Egers zu Böhmen seit seiner Verpfändung an König
Johann von Luxemburg siehe H. Sturm, Eger Bd. 1, S. 103ff.
[27] Zu
Egers Neutralitätskurs vgl. H. Sturm, Eger Bd. 1, S. 110ff., sowie Frederick G.
Heymann, George of Bohemia, King of Heretics (Princeton, N.J. 1965) S. 448 mit
Anm. 21.
[28] Zu
all diesen Schriftstücken Gradl S. 274ff. und vor allem Karl Siegl, Zeugnisse
für die Rechtgläubigkeit der Stadt Eger vor Verhängung des Interdikts im J.
1467, Mitteilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen 42
(1904) S. 393-420, mit Abdruck bzw. umfangreichen Auszügen der einschlägigen
Schriftstücke S. 403-417. - Das die Initiativen Egers auslösende Element
scheinen Verhandlungen gewesen zu sein, die der Doctor decretorum Johann
Goldner, Domkanoniker und damals auch schon Generalvikar (vgl. Janner [wie Anm.
18] Bd. 3, S. 535, 562 Anm. 3, 588), im Auftrag des Regensburger Bischofs wohl
Anfang August 1466 in Eger mit dem Rat der Stadt führte, den heiligen
cristenlichen glauben hoch berurend (so der die Verhandlungen ankündigende
Brief Bischof Heinrichs von Regensburg vom 31. Juli 1466); vgl. Siegl S. 402.
Daß dabei, wenn auch vielleicht nicht ausschließlich, die
Wirsberger-Angelegenheit zur Sprache kam, darf als sicher gelten. Denn
unmittelbar danach, am 11. August 1466, setzt die Flut der Rechtfertigungsschreiben
Egers ein.
[29] Schreiben
Egers vom 12. September 1466, Gradl S.
276.
[30] Er
scheint sich deswegen direkt an den Hof des Königs nach Prag begeben zu haben,
Gradl S. 276.
[31] Brief
Georgs von Podiebrad an Eger vom 17. September 1466,
Gradl S. 276.
[32] Dies
berichtet Livin selbst in einem Beschwerdebrief an die Stadt Eger vom 8.
Dezember 1466, Gradl S. 277: ...wi ich ewre stat meyden sal etc.
[33] Brief
Georgs von Podiebrad an Eger, Gradl S. 278.
[34] Heymann
S. 445.
[35] Zur
Rolle Breslaus in diesem Kampf Alfred A. Strnad, Die Breslauer Bürgerschaft und
das Königtum Georg Podebrads, Zs. für Ostforschung 14 (1965) S. 401-435,
601-640.
[36] Das
erfahren wir aus Bischof Heinrichs von Absberg Schreiben an Markgraf Albrecht
Achilles von Ansbach-Bayreuth vom 12. Mai 1469, ed. C. T. Gemeiner,
Regensburgische Chronik 3 (Regensburg 1821) S. 452. - Heinrich von Absberg war
nach dem Ableben seines als bloßen Administrators fungierenden Vorgängers, des
jugendlichen Wittelsbacher-Prinzen Pfalzgraf Ruprecht von Neumarkt-Mosbach
(1457-1465), am 10. Oktober 1465 erst am 3. November dieses Jahres zum Bischof
gewählt worden (päpstliche Bestätigung: 3. Januar 1466; Weihe 25. November
1466; Belehnung: 18. März 1467; er ist also über einen ziemlich langen Zeitraum
hinweg als Amtsperson nur bedingt handlungsfähig gewesen).
[37] Gradl
S. 277. Zuvor waren die Wirsberger nur in allgemeiner Form öffentlich mit dem
gegen sie bestehenden Häresievorwurf konfrontiert worden, und zwar anscheinend
sogar nur indirekt mittels der durch den Regensburger Generalvikar Johann
Goldner erfolgten Unterrichtung Egers Anfang August 1466. Hierauf dürfte sich
Livins Bemerkung in einem auf den 20. August 1466 datierten Begleitschreiben zu
dem an Eger übersandten Exemplar seines öffentlichen Rechtfertigungsschreibens
vom 17. August beziehen, er reagiere von des gerufftes wegen, als der
pischoff auf mich aüfgeprayt mit etlich den seinen hat (Eger, Stadtarchiv,
Fasc. 460; Gradl hat dieses Stück gekannt, aber nicht notiert). Dies ist das
erste Zeugnis einer Reaktion Livins auf den Regensburger Prozeß.
[38] Das
muß vor Bischof Heinrichs Brief an Eger vom 5. September 1466 geschehen sein,
in welchem der Bischof die erfolgte Absolution von Hans Schönbach mitteilt;
Gradl S. 475f.
[39] Carl
Theodor Gemeiner, Regensburgische Chronik 3 (Regensburg 1821) S. 413f. Anm. 781
mit Berufung auf einen Eintrag im Regensburger Ratsprotokoll, Livin sei
"wegen seiner verirrten Sekte um Pfingsten zu Verhören nach Regensburg
getaget worden". Das bedeutet wohl nicht, daß das Ladungsschreiben
"um Pfingsten" erging, sondern daß Livin zu diesem Termin in
Regensburg hätte erscheinen sollen; es ist daher möglich, daß es gar kein
zweites Ladungsschreiben gab, sondern sich der Pfingsttermin bereits im
Vorladungsschreiben vom 5. Dezember 1466 fand, von dem wir nur durch ein
Begleitschreiben für den Boten an den Egerer Rat Kenntnis haben, in welchem
sich naturgemäß keine näheren Angaben zum Inhalt des Schriftstücks finden.
[40] Quellen:
Matthias von Kemnath, Chronik Pfalzgraf Friedrichs I., ed. C. Hofmann (Quellen
und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 2, München 1862) S.
111: Liuin wart zu Kemnat gefangen und gene Regensburg geantwortt; die
sog. Excerpta Saxonica, Misnica et Thuringiaca ex monachi
Pirnensis seu, vero nomine, Johannis Lindneri sivi Tillani onomastico
autographo, ed. I.
B. Mencken, Scriptores rerum Germanicarum praecipue Saxonicarum 2 (Leipzig
1728) Sp. 1521: ... wart von Kempnith vnderm phalczgrafen kegen Regensburg
gefancklich bracht; Brief Bischof Heinrichs von Regensburg vom 12. Juni
1469 an Markgraf Albrecht Achilles von Ansbach-Bayreuth: ... der Hochgeborn
Fürst unser gn. Herr Pfalzgraf ihn als unglaubigen beheimen und uns als seinem
Bischof und Obersten überantworten hat lassen. - Der mit Namen im dunkeln
bleibende Pfalzgraf dürfte wohl eher Friedrich I. gewesen sein als Otto II. von
Mosbach, doch besteht darüber keine einhellige Meinung in der Forschung; die
Argumente bei Schiff S. 782 Anm. 15.
[41] Zum
Datum Schiff S. 782 mit Anm. 15. Einziges Zeugnis ist der chronologisch
reichlich unklare Bericht in der bis 1519 reichenden sog. Anonymi farrago historica, ed. A. F. Oefele, Rerum Boicarum scriptores 2
(Augsburg 1763) S. 515. Der Anonymus stellt das Ereignis zum Jahr 1466 und läßt
es dort im Monat März am Sonntag infra Octavam Epiphaniae geschehen. Die
Jahresangabe müßte nicht unbedingt irritieren, denn zu 1466 stellen andere
Chronisten die Wirsberger-Sache ebenfalls, d.h. sie subsumieren nach gängiger
annalistischer Praxis einen zeitlich gestreckten Vorgang unter dessen
Anfangsjahr; vgl. Matthias von Kemnath (wie Anm. 40), ebenso Laurentius
Hochwart, Episcoporum Ratisponensium catalogus III, ed. A. F. Oefele, Rerum
Boicarum scriptores 1 (Augsburg 1763) S. 223. Ein Fehler hingegen liegt fraglos
entweder bei der Monats- oder bei der Tagesangabe vor; ich folge Schiff in der
Übernahme der Tagesangabe, die aber eben auf 1468 (und nicht auf 1466) zu
beziehen und folglich wie oben angegeben aufzulösen ist (Schiff: 6. Januar).
Die Alternative könnte sein, das März-Datum auf den Zeitpunkt der Verurteilung
zu beziehen und den Sonntag in der Epiphanie-Oktav mit Livins Todestag in
Verbindung zu bringen. Das wäre dann der 8. Januar 1469, ein Datum, das gut mit
dem Brief Vincenz' von Wirsberg harmonieren würde, der uns am 22. Januar 1469
Kunde von Livins Tod gibt; Gradl S. 278f.
[42] Zum
Haftort am bestimmtesten die Anonymi farrago (in carcere turris Hohenburg
Norici) und, fast gleichlautend, Hochwart. Zum Todesdatum siehe die vorige
Anmerkung.
[43] Zum
Folgenden vgl. Heymann S. 454ff. sowie Otakar Odlozilík, The Hussite King. Bohemia in European Affairs, 1440-1471 (New Brunswick,
N.J. 1965) S. 190ff.
[44] Gradl
S. 274.
[45] Siehe
oben Anm. 40.
[46] Vgl. etwa Johannes Staindl,
Chronicon generale, ed. A.F. Oefele, Rerum Boicarum Scriptores 1 (Augsburg
1763) S. 538: Lewinus Wirsperger Haereticus Hussita captus ...
[47] Brief
Jobsts von Einsiedel an den Egerer Patrizier und damaligen Bürgermeister seiner
Vaterstadt, Caspar Juncker von Seeberg, der jenem mit der Bitte um Beurteilung
eine Wirsberger-Schrift zugesandt hatte, vom 17. September 1466, ed. Franz
Kürschner, Jobst von Einsiedel und seine Correspondenz mit der Stadt Eger aus
dem Archive der Stadt Eger, Archiv für österreichische Geschichte 39 (1868) S.
245-292, hier S. 281f.; zu den Junckers - einem der führenden Egerer
Geschlechter - und speziell zu Caspar Junckers Bürgermeister-Position vgl. H.
Gradl, Chroniken (wie Anm. 12) S. 396ff. Nr. 1225 sowie H. Sturm, Eger Bd. 2,
S. 389. - Zum chiliastischen Flügel der Taboriten und seinem Ende vgl. etwa
Howard Kaminsky, A History of the Hussite Revolution (Berkeley - Los Angeles
1967) S. 336ff. und 418ff., sowie jetzt Frantisek Smahel u.a., Dejiny Tábora 1,
1: Do roku 1421 (o.O. 1988) S. 282ff. und 287ff. Zur Bedeutung der sog. Pikarden siehe Robert Lerner, The Heresy of the Free
Spirit in the Later Middle Ages (Berkeley-Los Angeles 1972) S. 119ff.
[48] Hier
und zum Folgenden grundlegend sind Livins Brief an die Stadt Eger vom 17.
August 1466 sowie sein undatiertes, vermutlich zeitgleiches Manifest an die
Christenheit; Gradl S. 273, 274. - Sprechend für den Tenor der von ihnen
verbreiteten Schriften ist das Incipit "Voce terroris" eines ihrer
Werke, belegt in einem Postskript zu Rudolfs von Rüdesheim
Denunziationsschreiben in der Hs. Paris, BN lat. 5178 fol. 54r; vgl.
Döllinger, Sektengeschichte 2, 626. - Ich danke meinem Monumenta-Kollegen
Herbert Schneider für die Überprüfung dieser Angabe.
[49] Gradl S. 278f.
[50] Livin an Eger, 15. August 1466
(Gradl S. 274): ... und der selbig der ausschreybt gibt in der heyligen
schrifft mancherley für, wy er solchs von gotes offenbarung hab, mit anczeigung
czu erkennen; das klingt ganz so, als sei das ein ganz anderer als Janko,
dessen Lehren Livin zuvor resümiert hatte. Weiter: darczu so pin ich sofil
untericht, das er (= Janko) der ding nicht erdacht hat, ner sofil, das
er darczu angeczegen und ersucht worden ist in mos als da czu lanck wer, das er
dy sach an redlich ent bringe.
[51] Jobst
(wie Anm. 47) S. 283.
[52] Siehe
unten S. 239f.
[53] Schiff
S. 778, 781; Kestenberg-Gladstein S. 256. Schiff hält Jobsts entlaufenen Mönch
für den Autor der Schriften und den von den Wirsbergern verkündeten `Messias',
Kestenberg-Gladstein weiß es noch genauer: sie läßt ihn "wahrscheinlich"
aus dem Egerer Franziskanerkonvent entsprungen sein. An dieser
quellenanalytisch halsbrecherischen Verbindung ist Schiff nicht ganz
unschuldig, denn mit dem Hinweis auf die wohl tatsächlich anzunehmende
Verbindung Jankos zu den Egerer Franziskanern und auf die Behauptung der Melker
Annalen sowie der Basler Chroniken, für die Wirsberger-Ketzerei sei der
oberservante Egerer Franziskanerkonvent die Brutstätte gewesen (vgl. das Zitat
oben Anm. 23), insinuiert er in der Tat Kestenberg-Gladsteins Kombination.
Anders noch Gradl, der von Jankos Schriften sprach, als sei jener deren Autor.
- Ausgesprochen oder unausgesprochen liegt allen Überlegungen zu Jankos Stand,
Bildung und Autorschaft die - von Jobst von Einsiedel vermeintlich bestätigte -
Vorstellung zugrunde, ein kleiner Adliger im Laienstande sei zu ungebildet
gewesen, als daß er derartige Werke hätte verfassen können. Generell würde eine
solche Unterstellung in Deutschland noch für das 13. Jh. zutreffen, mit
fortschreitender Zeit stimmte sie schon für das 14. Jh. kaum noch, und für das
15. Jh. - der Hoch-Zeit der gelehrten Räte im Laienstand! - wäre sie schlicht
abwegig.
Im übrigen ist die mangelhafte
Lateinkenntnis des Autors der Johannes von Dorsten vorliegenden - notabene
volkssprachlichen! - Schrift(en) notorisch, wie eine Randglosse der Gießener
Hs. 696 fol. 26v belegt (Kestenberg-Gladstein S. 275; ich verbessere
meist stillschweigend ihren Text): Verissime sic facit hic auctor erroris
novi, qui ex veteri et novo testamento adducit auctoritates quas in vulgari
exponit ad propositum suum, licet eas non intelligat. Unde illud Ieremie
(1, 14): "Ab Aquilone pandetur malum", exponit sic:
"Von dem Adler wrt komen all argk", non faciens differentiam inter
aquilonem et aquilam; per aquilam autem vulgariter (Kestenberg-Gladstein:
ait Wr. [= Wirsberger!]) intelligitur Romanum imperium. Wer also mit
dem Argument höherer Bildung für die Verfasserfrage operiert, müßte sich durch
dieses Zeugnis widerlegt sehen.
[54] Brief
Jankos vom 27. Juli 1466, Livins Manifest; Gradl S. 273.
[55] Artikel-Serie
der Hs. Wien, cvp 4764, Nr. 8: Item articuli huius heresiarche dicuntur esse
presentati pluribus universitatibus Erfordernsis, Lipcensis, et Wyennensis,
ymmo eciam imperatori. Für Erfurt ist die Quaestio Dorstens der Beleg für
die Richtigkeit dieser Angabe.
[56] Brief
Jankos vom 27. Juli 1466, Gradl S. 273; oben Anm. 55. Dorsten beruft sich
wiederholt auf ein `scriptum' bzw. `registrum', missum per eos ad Cesarem
(den Kestenberg-Gladstein S. 290 Anm. 121 irrig mit Georg von Podiebrad
identifiziert).
[57] Brief
Jankos an Eger vom 27. Juli 1466, Gradl S. 273.
[58] Zu
ihm Leonhard Lemmens, Die Provinzialminister der alten sächsischen Provinz, in:
Beiträge zur Geschichte der sächsischen Franziskanerprovinz vom Heiligen Kreuze
2 (1909) S. 1-12, hier S. 8, sowie vor allem Ludger Meier, De schola
Franciscana Erfordiensi saeculi XV, Antonianum 5 (1930), bes. S. 157-202.
[59] Gradl
S. 272.
[60] Siehe
oben S. 225 mit Anm. 5.
[61] Kestenberg-Gladstein
S. 274ff.
[62] Ich
verzichte im folgenden auf Einzelbelege und verweise auf die von mir geplante
kritische Ausgabe der relevanten Quellen. Das meiste auch bei Glaßberger,
Chronik S. 422ff.
[63] So
die von Glaßberger überlieferte Regensburger Artikel-Serie (S. 424 [Nr. 12]);
vgl. Dorsten, ed. Kestenberg-Gladstein S. 276f. Nr. 7.
[64] So
Dorsten, Artikel Nr. 2.
[65] ... et regnabit super
totum mundum sicut Caesar imperator et deus; Glaßberger S. 423. Figmenta Nr. 1 (wie unten Anm. 99): Hic regnabit pro
imperatore similis filio hominis a deo missus.
[66] Et est quidam, qui se
appellat Iohannem de Oriente, qui debet esse precursor illius Uncti. Presumitur, quod dictus Iohannes de Wirßperck sit ille.
[67] A. Patschovsky, Eresie
escatologiche tardomedievali nel "Regnum Teutonicum", in: L'attesa
della fine dei tempi nel Medioevo, a cura di Ovidio Capitani e Jürgen Miethke
(Annali dell'Istituto storico italo-germanico, Quaderno 28, Bologna 1990) S.
221-244.
[68] Er
begegnet nach meiner Kenntnis erstmals bei Jean de Roquetaillade unter der
Bezeichnung `reparator'; vgl. Patschovsky (wie Anm. 67) S. 229f.
[69] Vgl.
etwa die Artikelserie bei Glaßberger S. 424 (Nr. 11); Dorsten, ed.
Kestenberg-Gladstein S. 275 Nr. 5.
[70] Vgl.
etwa Lorenz von Brezova, Hussitische Chronik, ed. J. Emler, Fontes rerum
Bohemicarum 5 (Prag 1893) S. 412f.
[71] Vgl.
A. Patschovsky, Ekklesiologie bei Hus, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im
Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hg. von H. Boockmann, B. Moeller, K.
Stackmann (Abh. der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, philol.-hist.
Kl., 3. Folge 179, Göttingen 1989) S. 370-399, hier S. 394ff.
[72] So
etwa bei Friedrich von Braunschweig und Nikolaus von Buldesdorf, siehe oben S.
236 mit Anm. 67. Das sind aber nur die markantesten Fälle. Dazu (ohne Anspruch
auf Vollständigkeit) eine kleine Auswahl der weniger bekannten:
- Im Zusammenhang mit Dorstens Quaestio
wird ein Franziskaner Johannes de Castro Coronato namhaft gemacht, gesandt vom
König von Zypern, um Geld gegen die Türken im Abendlande locker zu machen, der,
in Erfurt ergriffen und der erzbischöflichen Kurie nach Mainz gefangen
überstellt, dort als Ketzer verurteilt und hingerichtet wurde; vgl.
Kestenberg-Gladstein S. 264 und 278 mit Anm. 205-208.
- Im selben Zusammenhang findet sich
als Randglosse der Gießener Hs. 696 fol. 216r die Notiz: Nota
questionem istam composuit doct(or) Io(hannes) Dorsten
et dedit cuidam lectori, qui hereticum convincit coram imperatore Federico III
ex ea; et fuit combustus hereticus, lector factus episcopus. Vgl.
Kestenberg-Gladstein S. 267. Näheres über den Fall scheint sonst nicht bekannt
zu sein, auch ist der Lektor noch nicht identifiziert. A. Czogalla (wie Anm.
93) S. 101 Anm. 353 scheint den Fall mit jenem Livins von Wirsberg
gleichzusetzen; einer solchen Auffassung könnte ich mich nicht anschließen.
- Robert Lerner machte mich auf den
1389 verfaßten Traktat des im kanonischen Recht wohlbewanderten
Franziskaner-Lektors Dietrich von Arnevelde aufmerksam, überliefert in der Hs.
Ba 5 fol. 21ra-61vb der Erzbischöflichen Akademischen
Bibliothek in Paderborn. Der Traktat hat die bezeichnende Überschrift: Incipit
`Silencium' contra prophetias prophetarum Saxonie de futuris contingentibus, de
novo Christo, de vita et obitu Antichristi, de conversione Iudeorum et
gentilium et multis aliis eveniendis. Darin ist in Anspielung auf die jüdische
Messias-Vorstellung von `fabulae Iudaeorum' die Rede sowie von deliramentis
fratris Iohannis de Rupescissa et Heleri et quorundam aliorum. Jean de
Roquetaillade ist eine Schlüsselfigur der chiliastisch getönten Literatur, ein
Mann namens Heller aber trat bislang quellenmäßig nirgendwo in Erscheinung.
Unter den `alii' vermutet Lerner wohl zu Recht auch jemanden wie Friedrich von
Braunschweig; aber der Plural wird ernstzunehmen sein.
[73] Dies
bemühe ich micht in dem Anm. 67 zitierten Aufsatz nachzuweisen.
[74] 4.
Esdr. 16, 53.
[75] Reformation
Kaiser Siegmunds, ed. Heinrich Koller, MGH Staatsschriften des späteren
Mittelalters 6 (Stuttgart 1964) S. 326ff., 332ff.
[76] Ich
zitiere nach der mangelhaften Ausgabe von Annelore Franke/Gerhard Zschäbitz
(Leipziger Übersetzungen und Abhandlungen zum Mittelalter Reihe A Bd. 4, Berlin
1967) S. 374ff., 495. Vgl. zur Sache Klaus H. Lauterbach,
Geschichtsverständnis, Zeitdidaxe und Reformgedanke an der Wende zum 16. Jh.
Das oberrheinische "Buchli der hundert capiteln" im Kontext des
spätmittelalterlichen Reformbiblizismus (München 1985), bes. S. 198ff. mit
Ausführungen zum Chiliasmus des Werkes, die sich in vielem mit dem oben
Gesagten berühren. Der Verfasser bereitet eine kritische Edition des Werkes im
Rahmen der Monumenta Germaniae Historica vor.
[77] Die
einzelnen Elemente dieses Satzes lassen sich Punkt für Punkt in den den
Wirsbergern zugeschriebenen Glaubenslehren auffinden.
[78] Vgl.
die Einleitung zur Edition Kollers, S. 33ff.; dazu Hartmut Boockmann, Zu den
Wirkungen der "Reform Kaiser Siegmunds", DA 35 (1979) S. 514-541,
hier bes. S. 516 mit Anm. 7.
[79] Die
Identifikationsversuche bei Koller S. 8; siehe auch Tilman Struve, Reform oder
Revolution? Das Ringen um eine Neuordnung in Reich und Kirche im Lichte der
"Reformatio Sigismundi" und ihrer Überlieferung, ZGORh 126 (1978) S.
73-129, hier S. 74f. mit Anm. 5.
[80] Lauterbach
(wie Anm. 76) S. 284ff. Dazu ders., Der "Oberrheinische Revolutionär"
und Mathias Wurm von Geudertheim. Neue Untersuchungen zur Verfasserfrage, DA 45
(1989) S. 109-172.
[81] Für
die Reformatio Sigismundi hat Koller S. 4ff. das Jahr 1439 als Datum und das
Basel der Konzilszeit als Ort der Fertigstellung bestimmen können. Der
Verfasser bleibt, ihm zufolge, "in der Masse der auf dem Basler Konzil
anwesenden Männer, besonders etwa der Juristen, Kanzleibeamten und Schreiber
verborgen" (S. 7). Nicht einmal die Frage, ob der Verfasser Kleriker oder
Laie gewesen sei, lasse sich klären (S. 8).
[82] Das
bedeutet keineswegs, daß die Wirsberger ähnlich den Taboriten Gewaltanwendung
gepredigt oder in eigener Person geplant hätten, wie Schiff S. 784f. meint. Daß
der Umbruch zur neuen Welt gewaltsam vor sich gehe, war selbstverständlich ihre
Grundüberzeugung - aber das Zeichen dazu würden nicht sie, sondern der Unctus
Salvatoris geben. Ihre Mission sollte expressis verbis friedlich sein: ... sequaces
illius secte non debent contendere cum
contradicentibus. Unde dicunt: Quicumque noluerint recipere fidem, dimittatur
in suo errore (Glaßberger S. 425 [Nr. 23]; ähnlich die Figmenta Nr. 29
sowie das Postskript zum Denunziationsschreiben Rudolfs von Rüdesheim in der
Hs. Paris, BN lat. 5178, ed. Döllinger, Sektengeschichte 2, 626). Das
hört sich sehr viel anders an als bei den Taboriten.
[83] Vgl.
Glaßberger S. 425 (Nr. 27): Quod principes et prelati in brevi
interficientur, dicentes quod principes conducunt milites in bellum quibus
postea negabunt stipendia; qui insurgentes invadent pricipes et interficient;
qui sic interfecti insepulti manebunt (vgl. Apoc. 11, 7-10 über das
Schicksal der traditionell auf Elias und Henoch gedeuteten Blutzeugen).
[84] Gradl
S. 278; Figmenta Nr. 11: Omnis nobilitas revertetur ad civitates.
[85] Darunter
verstehe ich die städtische Führungsschicht auch unterhalb der Stadtadelsebene
im engeren Sinn.
[86] Vgl.
dazu Heymann S. 393f., Odlozilík S. 166; der Text des tschechischsprachigen Dokuments
findet sich überliefert im sog. `Handbuch' (`Manualník') des jüngeren Wenzel
Koranda, hg. von Josef Truhlár, Manualník M. Vácslava Korandy (Prag 1888), hier
S. 203-205 Nr. 58; eine deutsche Übersetzung bei Franz Palacky, Geschichte von
Böhmen 4, 2 (Prag 1860) S. 340-342.
[87] Daß
mit dem in diesen Reformschriften als politische Trägerschicht der neuen
Ordnung beschworenen `gemeinen Mann' bzw. den `Kleinen' keineswegs die
wirklichen Unterschichten gemeint gewesen sind, sondern die kleinen Herrschaftsträger
als der politische populus minutus sozusagen, betont zu Recht Franz Irsigler,
Die "Kleinen" in der sogenannten Reformatio Sigismundi, Saeculum 27
(1976) S. 248-255.
[88] Eine
Einordnung in sozialrevolutionäre Strömungen von den Taboriten bis zum Pauker
von Niklashausen versucht auch Schiff S. 785f., aber das von ihm entworfene
melodramatische Bild ist eher verworren als in sich schlüssig, beruht
insbesondere im Gewaltmotiv auf falschen Prämissen.
[89] Artikel-Serie
der Hs. Wien, cvp 4764 Nr. 7: Item illius secte sunt viri
notabiles: nobiles, milites et alii, et fuit quidam episcopus. Utinam
salubriter persolvisset debitum generale humane nature sive universe carnis!
[90] Articuli heretice
pravitatis, que noviter suborta est anno domini MoCCCCoLXVIo,
et nobiles et ignobiles in magno numero, civitates insuper et terras multas in
heresim duxerunt. Quos articulos dominus Rodolphus episcopus Lauentinus (=
Rudolf von Rüdesheim) scripsit ad Magunciam domino abbati sancti Iacobi. So die
Überschrift der Hs. Trier, Stadtbibl., 1207/505 fol. 43r, die sich
zwar auf eine Kurzfasssung der unten S. ### bezüglich ihres Zusammenhangs mit
den Wirsbergern noch zu besprechenden Ketzerartikel des `Freigeists' Heinrich
bezieht, die aber gerade im Punkte der Gefährlichkeit der annoncierten Sekte
einen Reflex auf die Wirsberger-Häresie, um nicht zu sagen:
Wirsberger-Hysterie, darstellt und zugleich ein Zeugnis ist für die von Rudolf
von Lavant entfaltete Propaganda-Tätigkeit.
[91] Rudolf
von Lavant an die Egerer Franziskaner, Glaßberger S. 426: qui quoque (die
Wirsberger), ut referebat (der adlige Denunziant), se plurimos et
principes seculares et prelatos ecclesiasticos atque personas religiosas,
potissimum in ordinibus Mendicantium, ... sue impietatis participes et
consectatores habere gloriantur. Das ist zwar eine parteiische Quelle, aber
auch Jankos Worte: dergleich mer den eyn hoch gelarter und geistlicher in
grossen Colegia ..., dopey ich ... personlich gewest pyn ... an mich
pegert das ich dy sach an dy hohen haubet prengen sul (Gradl S. 273),
lassen Renommiergehabe ahnen. In diesem Sinne möchte ich auch einen etwas
enigmatischen Artikel der Figmenta deuten (Nr. 20): Ubi requiri debet iste
Unctus queratur Gurcensis, Maydburgensis, Schawmburgensis. Schiff S. 780
Anm. 11: "Sie glauben also, daß der Bischof von Gurk, die Grafen von
Maidberg und Schaunberg - sämtlich österreichische Herren - ihre Anhänger
seien". Daß mit Gurcensis der Bischof von Gurk gemeint ist, glaube
ich auch; die anderen Identifikationen aber erscheinen mir fragwürdig. Denn Maydburgensis
wird üblicherweise mit Magdeburg aufgelöst, und mit Schawmburgensis
könnte man auch an den damaligen Bischof von Bamberg, Georg von Schaumberg,
denken. Drei Bischöfe - das könnte eine Sequenz "hoher Häupter" sein,
wie sie Janko als Auditorium vorgeschwebt haben mag. Die Frage bedarf
jedenfalls noch weiterer Prüfung.
[92] Rudolf
von Lavant, Denunziationsschreiben vom 11. Juni 1466 (vgl. Glaßberger S. 422,
gerade hier sehr fehlerhaft): Audivi a quodam magno nobili, quod dictus
Leuinus confessus ei fuerit, quod tanta sit multitudo in huiusmodi secta in
diversis partibus Alemannie, quod si simul omnes essent constituti, possent
resistere cuicumque magno principi. Dazu zu stellen ist die ähnlich
klingende Aussage der Hs. Wien, cvp 4764 fol. 192v
(Artikel Nr. 2): ... quod si collecti essent, expugnarent fortissimum
principem Wauarie (= Bayern). Zur textkritischen Problematik gerade dieses
Artikels, durch den mitten hindurch die Trennlinie zwischen Lehrsätzen des
`Freigeists' Heinrich und der Wirsberger verläuft, unten S. 244.
[93] Johannes
von Paltz, Quaestio determinata contra triplicem errorem, hg. von Albert
Czogalla, in: Johannes von Paltz, Werke, Bd. 3: Opuscula (Spätmittelalter und
Reformation. Texte und Untersuchungen, hg. von Heiko A. Oberman, Bd. 4, 1989)
S. 37-138, hier S. 101: Posui autem istud correlarium ad confusionem
duplicis erroris, quorum unus dicit ad litteram nullum Antichristum existimandum.
Qui error ex Bohemia serpsit etiam usque ad partes istas
per quendam Levinum Wirsberger, postea in Ratispona per imperatorem
condempnatum ad perpetuos carceres anno 1467. Siehe auch
Kestenberg-Gladstein S. 267 Anm. 1.
[94] Siehe
oben S. 233 mit Anm. 48.
[95] Mir
wurden bislang 8 Überlieferungen bekannt: Colmar, Bibl. de la Ville, Ms 45 fol.
171r; München, Staatsbibl., Clm 177796 [früher St. Mang,
Stadtamhof/Regensburg] fol. 167v-168r, Clm 18930 [früher
Tegernsee] fol. 85r-v; Paris, BN lat. 5178 fol. 53v-54r;
Wien, ÖNB, cvp 4764 [Herkunft: Böhmen?] fol. 191r-192v.
Dazu kommt die einzige Überlieferung der Glaßberger'schen Chronik in der Hs.
München, Franziskaner-Konvent St. Anna, Hs. 8o Cmm 7 (vgl. die
Einleitung der Chronik S. Xf.) sowie die heute noch nicht identifizierte
Vorlage Schelhorns, wohl aus der Memminger Stadtbibliothek, deren Leiter
Schelhorn war (vgl. die Angaben über die Herkunft seines Materials in der
Vorrede seiner Acta Bl. 3v und 4v). Erschließen läßt sich
sodann eine Überlieferung in St. Jakob in Mainz, auf welche die Hs. Trier,
Stadtbibl., 1207/505 zurückgeht (siehe oben Anm. 90) sowie in Basel, auf die in
der Basler Chronik (siehe oben Anm. 23) Bezug genommen ist. Daß es noch weitere
Überlieferungen gab (z.B. in Regensburg und in Eger), steht außer Frage.
[96] Vgl.
seine zusammenfassende Wertung S. 785f.
[97] Glaßberger,
Chronik S. 423-425.
[98] Publiziert
von G. Ritter, ZKG 43 (1924) S. 158f. nach der Hs. Vatikan, Pal. lat. 870 fol.
157r. Eine bessere Überlieferung bietet die Hs. Bamberg, Staatl.
Bibliothek, I. H. Msc. Theol. 20 fol. 68r. Dort die Überschrift: Item
fertur quot isti sunt articuli heresis ipsius Liuini de Wirsperg anno domini
etc. LXVIII ab ipso per questionacionem examinati.
[99] Überliefert
in der Hs. München, Staatsbibl., Clm 18930 [früher Tegernsee] fol. 84r-v.
[100] Schiff
S. 783 mit Anm. 17.
[101] Fol.
85r-v.
[102] Der
Text beginnt fol. 82r. Überschrift: Articuli subsequentes contra
fidem, quos quidam seminarunt in diosesi Ratisponensi, fuerunt ipsi presuli
eiusdem diocesis oblati anno Christi 1466, quos quidam Cartusiensis
improbavit sicuti post quemlibet articulum patebit.
[103] Der
Zentralbegriff ist nicht `libertas spiritus', sondern `contemplatio'.
[104] Es
ist unrichtig, daß der die Lehren jenes Heinrich widerlegende Kartäuser-Mönch
auch für die Figmenta verantwortlich ist, und die am Schluß der
Gesamtaufzeichnung folgende Angabe, 20 Artikel seien unbeachtet geblieben,
beziehen sich auf die Lehrsätze Heinrichs und nicht der Wirsberger.
[105] Überlieferungsort
ist die Hs. Wien, ÖNB, cvp 4764 fol. 193r-v; ihre Kenntnis verdanke
ich Robert Lerner.
[106] Das
geht soweit, daß sich die Vorlagen mitten im Satz vermengen. Artikel 2: Item
ille heresiarcha met octavus et sex hiis sorores (das ist Heinrich mit
seinem Gefolge) multum populum pervertit, quod si collecti essent,
expugnarent fortissimum principem Wauarie - das kann sich unmöglich auf
Heinrich beziehen, ist aber mit sehr ähnlichen Worten von den Wirsbergern
behauptet worden.
[107] Die
Scheidung läßt sich blockartig vornehmen: Von den insgesamt 17 Artikeln der
Liste sind der erste und die letzten vier auf Heinrich zu beziehen, der
Mittelteil (Artikel 3-13) geschlossen auf die Wirsberger; Artikel 2 ist ein
Mixtum compositum (siehe die vorige Anmerkung).
[108] Die
Schwierigkeit, die Nachrichten über beide Fälle auseinanderzuhalten, muß
bereits in der Vorlage des cvp 4764 angelegt gewesen sein, dessen
Kopist/Redaktor die Vermengung offensichtlich guten Glaubens vornahm.
[109] Auch
Livins und Jankos Briefe sind, wiewohl Selbstzeugnisse, als apologetisch mit
diesem Verdikt zu belegen. Da muß man gar keine beschönigende Tendenz
unterstellen: Zum Nachweis perspektivischer Verzerrung genügt die Tatsache, daß
sie auf bestimmte Vorwürfe reagieren und keineswegs eine objektive
Zusammenfassung ihrer Überzeugungen bieten. - Vgl. jedoch unten das Postskript.