XXXII. Toleranz im Mittelalter - Idee und Wirklichkeit


(391) Der Tagungstitel ist Programm! Denn ob es im Mittelalter tatsächlich Toleranz gegeben hat, und zwar in Theorie wie Praxis, ist eine recht umstrittene Frage. Das ist uns nicht erst im Mitgliederkreis des Konstanzer Arbeitskreises anläßlich der Planung dieser Tagung bewußt geworden; damit hatte sich mehr oder weniger auch jeder der Referenten herumzuschlagen. Denn wer die Frage zu beantworten sucht, wie es denn im Mittelalter mit dem modernen, seit der Aufklärung gängigen Toleranzbegriff gestanden habe, demzufolge der religiös, ethnisch, moralisch und sonstwie Andere in seiner Alterität nicht nur zähneknirschend zu ertragen, sondern als konstitutiver Bestandteil der Menschheit auch zu schützen sei, stellt eine Grundfrage an die geistige Verfaßtheit der mittelalterlichen Gesellschaft. Denn der moderne Toleranzbegriff setzt Pluralität der Wertwelten nicht nur als praktische Gegebenheit, sondern als Wert an sich voraus. Wir aber haben gelernt, daß im Mittelalter mit der christlichen Religion, noch dazu autoritär römisch-katholischer Prägung, ein Absolutheitsanspruch in Glaubensdingen bestand, der im religiös Anderen nur die Perversion des Einen Wahren zu sehen imstande war. Das aber setzt zwangsläufig als Sozialhaltung Ablehnung, Abgrenzung, ja Vernichtungswillen voraus, also Intoleranz.

Wir alle wissen, daß sich mühelos Beispiele für die Richtigkeit dieser Deduktion finden lassen. Ich brauche nur zu erinnern an die Kreuzzüge gegen die Moslems, die Scheiterhaufen für die Ketzer, die Pogrome gegen die Juden, und das wären eigentlich nur die markanteren Beispiele, die den Gegenstand aber bei weitem nicht erschöpften. Wenn es dennoch Grund gibt, über Toleranz im Mittelalter zu sprechen, kann das nur zweierlei bedeuten: Entweder verwenden wir einen falschen Toleranzbegriff, oder die mittelalterliche Welt war im Punkte Toleranz doch nicht so negativ festgelegt, wie das unsere Lehrbücher vorgeben. Es gibt indessen noch eine dritte Möglichkeit, daß nämlich im Mittelalter Toleranz der Idee wie der Wirklichkeit nach eine weitaus komplexere Erscheinung war, als wir gemeinhin annehmen.

 

 

I.

(392) Das beginnt bei der Theorie: Dank der grundlegenden Studie von Klaus Schreiner im Lexikon der geschichtlichen Grundbegriffe[1] darf es als nunmehr allgemein bekannte Tatsache gelten, daß das Mittelalter überhaupt einen Toleranzbegriff besaß. Augustin hat ihn als sozialethische Kategorie entwickelt, und die mittelalterliche Theologie, insonderheit die den Kosmos systematisch philosophisch-theologisch beschreibende Scholastik, hat ihn noch differenziert, aber in den Grundzügen nicht eigentlich mehr verändert[2]. Das will eine Menge besagen! Es bedeutet nichts weniger, als daß eine auf der absoluten Geltung ihrer Glaubenswahrheiten beruhende Welt aus sich selbst heraus die Einschränkung ihres Absolutheitsanspruchs begründet. Das ist an sich etwas Ungeheueres! Zwei Ursachen sind möglich: Entweder ist in der christlichen Religion selbst die paradoxe Forderung nach Duldung des ihrer Wahrheit Widersprechenden grundgelegt, oder schon Augustin stand vor der Schwierigkeit, Kriterien für eine Religion entwickeln zu müssen, die sich sozial in einer Lebenswelt befand, in der sie ihren Wahrheitsanspruch de facto nicht absolut verwirklichen konnte.

Doch auch hier spricht man besser nicht von alternativen, sondern von komplementären Konzepten. Am Ursprung der augustinischen Vorstellung von der Toleranz als einer sozialethischen Kategorie steht ja der antike Sprachgebrauch des Wortes im Sinne von ‘patientia’ oder ‘sustinentia’[3], meint also das Aushaltevermögen unter widrigen Umständen, die sozusagen ‘stoische’ Leidensfähigkeit des einzelnen als individuelle Tugend, christlich ausgedrückt mit den Worten des Apostels Paulus: Caritas omnia tolerat[4]. Daraus ließe sich folgern, daß zur Verwirklichung einer wahrhaft christlichen Existenz auch eine gehörige Portion ‘Toleranz’ gehört, freilich nicht im Sinne irenischer Zuneigung, sondern im Erduldenkönnen einer Qual - Herr Wieland sprach vom Zumutungscharakter - gemäß der anthropologischen Grundkonstante menschlicher Existenz als Pilger im Jammertal dieser Erde, heimgesucht von Versuchungen, die alles Heil nur im Stoßseufzer an Gott suchen lassen: „Erlöse uns von dem Bösen[5]!“

Böses also braucht der Christ zum Seligwerden! Im gleichen Sinne hat man das Paulus-Wort Oportet et haereses esse zu verstehen (1. Cor. 11, 19), nicht weil Häresien etwas Gutes seien, sondern weil sie trotz, oder richtiger: wegen ihrer Bosheit quasi als List der Vernunft dem Christen zu seiner wahren Bestimmung verhülfen[6].

(393) Damit ist eine Grundaussage für den christlichen Toleranzbegriff getroffen, zumindest bezüglich seiner Geltung in Spätantike und Mittelalter: sein Bezugsgegenstand ist nicht eine mögliche, oder - relational betrachtet - tatsächliche andere Wahrheit im Unterschied zur eigenen, eine also unter mehreren, wie es das pluralistische Konzept der Moderne vorsieht, sondern per definitionem eine Unwahrheit, etwas als böse und falsch Erkanntes, das der einen einzigen eigenen Glaubenswahrheit fundamental entgegengesetzt ist - und das doch Existenzberechtigung, ja Existenznotwendigkeit besitzt.

Ein schwieriges Paradox, wie man sieht! Dennoch ist es noch verhältnismäßig einfach, Toleranz als individuelle wie kollektive christliche Tugend im Sinne eines notwendigen Exerzierfeldes der Nächstenliebe abstrakt theoretisch zu begründen. Denn der Glaubensfeind wäre durchaus integraler Bestandteil des Systems. Wirklich schwierig wird es erst, sucht man aus der Perspektive eines absoluten Wahrheitsanspruchs der eigenen oder der Gruppen-Existenz heraus Toleranz in der praktischen Wirklichkeit zu begründen, das heißt zu definieren, wieweit man denn dem Anderen als dem per definitionem Bösen tatsächlich Spielraum zugestehen könne, ohne das eigene existentielle Fundament ernstlich zu beschädigen oder gar zur Disposition zu stellen. An sich ein Ding der Unmöglichkeit! Erst aus dieser Perspektive heraus aber gewinnt Toleranz die Qualität einer sozialethischen Kategorie: Etwas leben lassen, das nicht dem eigenen System zugehört, ja diesem feind ist, es nicht stabilisiert oder gar erst ermöglicht, sondern tendenziell nihiliert.

Dergleichen Überlegungen stellt man nun in aller Regel nicht aus schierer Lust am Theoretisieren an. Konkreter Anlaß für Augustin, sein Konzept von Toleranz als sozialethischer Kategorie zu entwickeln, war das Ausscheren der Donatisten aus dem gemeinchristlichen Verbund. Soviel ich sehe, sind sämtliche Äußerungen Augustins, die man in diesem Zusammenhang anführt, in der Auseinandersetzung mit den Donatisten gefallen.

Das verleiht ihnen ein nicht unerhebliches Maß an Ambivalenz. Sein berühmtes Postulat, um der christlichen Einheit willen auch die Schlechten (mali) zu ertragen, ist zunächst einmal nur ein Appell an die Donatisten, nicht etwa an die eigenen Leute[7]. Und sein Wort von der ‘friedhaften Toleranz’ (tolerantia pacifica), die nach apostolischem Gebot (Eph. 4, 2-3) Christen um der kirchlichen Einheit willen untereinander zu üben hätten, ist Teil einer Argumentation, die die kaiserliche Donatistenverfolgung in Nordafrika zu rechtfertigen sucht. Die Donatisten sollten sich nicht beklagen, wenn gegen sie aufgrund ihrer Radikalisierung hart vorgegangen würde, denn sie sollten für sich nicht eine Toleranz reklamieren, die sie selbst nicht geübt hätten, als sie sich schismatisch von der Kirche lösten[8].

(394) Der Toleranzappell an andere ist eine bequeme Sache. Wo liegt bei Augustin die Grenze für die eigene Seite? Wieweit ist er bereit - um seine Worte zu gebrauchen - um der ‘katholischen Einheit’ der Christenheit willen andere Meinungen zu ertragen? Die Grenze ist für Augustin dort erreicht, wo die Maßstäbe für Gut und Böse, Richtig und Falsch verloren zu gehen drohen. Wo die Bösen die Guten ‘kontaminierten’, gäbe es keine Kirche mehr, deren Einheit es zu bewahren gälte; wo die Bösen die Guten aber nicht ‘kontaminierten’ gäbe es keinen Grund zur Trennung, das heißt zur Intoleranz[9]. Auch das ist gegen die Donatisten gesagt. Es zeigt aber klar Augustins eigene Toleranz-Grenze. Er drückt sie an anderer Stelle in den unnachahmlichen Worten aus: „Liebe den Sünder, nicht insoweit er Sünder, sondern insoweit er Mensch ist!“ Ein wunderbares Wort! Menschsein wiegt schwerer als Sündigsein. Das könnte in jeder Präambel eines Toleranz-Ediktes stehen. Doch Augustin verdirbt die Pointe, wenn er fortfährt: „Gleich wie Du den Kranken liebst, verfolge das Fieber, denn wenn Du das Fieber schonst, dann liebst Du nicht den Kranken[10].“ Von dort ist es dann nur noch ein Schritt zur berüchtigten Rechtfertigung der Donatisten-Verfolgung unter dem Herrenwort (Luc. 14, 23): Cogite (oder compelle) intrare! „Wenn die, die man in Häresien und Schismen findet, zum Eintritt genötigt werden, dann sollen sie sich nicht beklagen, daß man sie zwingt, sondern sie mögen strebend sich um das bemühen, zu dem man sie zwingt[11].“ Duldung anderer Meinungen? Nur insoweit, als sie nicht an die Substanz von Glaubenswahrheiten gehen, sie also letztlich müßiges Interpretationsspiel sind[12].

(395) Die Grenzen von Augustins Toleranzbegriff sind also recht eng; die möglichen Konsequenzen aus dessen Anwendung fragwürdig. Dennoch gilt es festzuhalten, daß hier zum erstenmal überhaupt theoretisch ins Auge gefaßt worden ist, daß man einen Menschen einer anderen Meinung wegen, und sei sie noch so verkehrt, ja verdammenswert, nicht unter allen Umständen vernichten müsse. Daß es vielmehr gelte, sich im Sinne einer Güterabwägung auf dem schmalen Grat zwischen Gewährenlassen und Zwang zu bewegen, stets das eine im Auge: den letztlichen Nutzen für die gute Sache. Toleranz als praktische Tugend ist in diesem Sinn nichts anderes als die Anwendung des Opportunitätsprinzips.

In diesem Sinne ist der Toleranzbegriff im Laufe des Mittelalters weiter differenziert worden, am klarsten vielleicht bei Thomas von Aquin[13], der nicht zufällig von mehreren Referenten zitiert wurde. Ausgehend von der Tatsache, daß dem Glauben nur der Unglaube (infidelitas) gegenüberstehen könne, unterscheidet Thomas drei Sorten des Unglaubens, je nach der Erkenntnisfähigkeit von dessen Adepten: Das Heidentum (wozu er auch die Moslems zählt), die Juden und die Ketzer. Die Heiden seien Ungläubige, weil sie es nicht besser wüßten; die Juden, weil sie es nicht besser verstünden; die Ketzer, weil sie es nicht besser wollten. Daraus folgt die Abstufung ihrer Sündhaftigkeit: Die einen könnten nichts für ihren Unglauben, die anderen wenig, die dritten viel. Entsprechend ist der Grad ihrer Duldung: Heiden und Juden dürfe man nicht zum Glauben zwingen, denn den hätten sie nie empfangen, und für Annahme des Glaubens sei Freiheit schließlich ein konstitutives Element. Das heißt: Glaubenszwang wäre intolerabel! „Gut gebrüllt, Löwe!“, ist man versucht zu sagen. Aber Thomas hält für seine menschenfreundliche Folgerung doch eine Einschränkung parat. Zwang dürfe nämlich schon ein wenig sein, si facultas adsit, um eine Behinderung der Glaubensausübung zu unterbinden - dazu zählt z.B. auch die Mission -, oder Blasphemien, oder offene Verfolgung zu verhindern; und deswegen würden die Gläubigen auch oft Krieg gegen die Ungläubigen führen. Die Applikation dieser Toleranz-Doktrin läßt also Kreuzzug ebenso wie sizilische Toleranz-Verhältnisse der Frühzeit Rogers II. zu! Kompromißlos schlecht geht es allein den Ketzern: Wer sich einmal zum wahren Glauben bekannte, ist darauf festzunageln, ob er will oder nicht, und koste es sein Leben! Als Thomas diese Zeilen schrieb, war der Albigenser-Kreuzzug beendet und die Inquisition als Sondergerichtsbarkeit in all ihrer Furchtbarkeit installiert. Thomas rechtfertigt ihre Existenz, lapidar, ohne Wenn und Aber. Es gab in der Tat keinen praktisch-politischen Grund zu Konzessionen. Erst in der Hussitenzeit, und vollends dann im Zeitalter der Reformation, sollte das anders werden.

 

II.

(396) Damit ist der Rahmen des christlich-theologischen mittelalterlichen Toleranz-Konzepts der Theorie nach abgesteckt. Es ist zutiefst ambivalent. Im Wesen der Ambivalenz aber liegen eben seine zwei Seiten. Das Konzept kann zur Begründung dienen für das Abschlachten des Andersgläubigen, es kann aber auch hergenommen werden, um die Bewahrung von dessen Existenz zu rechtfertigen, oder auch ohne alle Rechfertigung diese Existenz ganz einfach hinzunehmen, ohne als Christ Gewissensbisse empfinden zu müssen. Daß das eine, die Vernichtung, geschah, vieltausendfach, wissen wir, und dies setzten wir bei der Planung dieser Tagung einfach voraus. Was wir hier aber vornehmlich untersuchen wollten, sind die Bedingungen, unter denen Toleranz gedieh - der Idee wie der Wirklichkeit nach. Wir haben uns dabei zum einen Themen ausgesucht, denen man einfach nicht ausweichen kann, wenn man von Toleranz im Mittelalter spricht. Das sind - immer pars pro toto stehend - Themen, die das Verhältnis der lateinischen Christenheit zu den Moslems, den Juden, den Ketzern und schließlich zu den Griechen zum Gegenstand haben. Zum anderen aber sind das Themen, bei denen wir Komplexität der Verhältnisse voraussetzen durften, und damit Entscheidungsalternativen innerhalb des oben skizzierten konzeptuellen Rahmens der mittelalterlichen Toleranz-Idee.

So fragmentarisch das alles angesichts der Vielgestaltigkeit des Themas ist, meine ich doch, daß das Spektrum schon der hier zum Vortrag gekommenen Beispiele hinreichend zeigt, welche Facetten Toleranz und Toleranzbegriff im Mittelalter hatten. Das läßt sich schon daran ablesen, welche Vielfalt attributiver Bestimmungen getroffen wurden, von den Referenten wie in der Diskussion: Es war von pragmatischer (Walsh) oder funktionaler Toleranz die Rede (Menzel), von erzwungener Toleranz (Šmahel), informeller Toleranz (Schwinges), und - besonders hübsch - Toleranz als Ignoranz (Möhring). Es sind zum lateinischen Wort tolerantia Synonyma genannt oder zur Beachtung eingefordert worden wie patientia, sufferentia usw. Hier scheint mir der erste Punkt zu liegen, wo wir uns verständigen müssen, was begrifflich für die in Frage stehende Sache zulässig ist oder nicht. Der Sprachgebrauch von patientia und sufferentia hat m.W. stets die individuelle Leidensfähigkeit des einzelnen zum Bedeutungsinhalt; soviel ich sehe, hat allein das Wort Toleranz die Bedeutung auch einer sozialethischen Kategorie angenommen. Wenn man Begriffe und nicht bloß Sachverhalte zum Gegenstand der Betrachtung macht, wird man, glaube ich, dort - aber auch nur dort - fündig werden.

Von den attributiven Einengungen ist „Toleranz als Ignoranz“ natürlich ein Aperçu, nicht mehr, nicht weniger. Denn für Toleranz  als Tugendakt ist das Moment der Bewußtheit unabdingbar. Alle anderen Attribute aber sind zulässige Nuancierungen. Sie sind begriffliche Differenzierungen verschiedener Typen von Toleranz mit einem jeweiligen fundamentum in re in der historischen Wirklichkeit. Am wenigstens griffig ist dabei der Begriff der pragmatischen Toleranz, der für jedes unserer Fallbeispiele hergenommen werden konnte, den ich aber dennoch für zulässig halte, weil er zutreffend den fundamen-(397)talen Sachverhalt wiedergibt, daß kontingente historische Wirklichkeiten die Matrix des Begriffs in seiner jeweiligen Applikation bildeten. Mehr noch: daß kontingente historische Wirklichkeiten eines toleranzgeprägten Miteinanders auf die Begriffsformung Einfluß hatten. Die Wirklichkeit ist Hebamme der Theorie!

Was ich meine, wird sofort einsichtig, wenn ich als ersten Spezialfall der pragmatischen Toleranz die erzwungene Toleranz ins Visier nehme. Das ist eine sehr glückliche Begriffsprägung von F. Šmahel, den er am hussitischen Material entwickelte. In die gleiche Linie möchte ich auch den von W. Hartmann behandelten Investiturstreit stellen. Beide Fallbeispiele weisen auf eine der möglichen Grundbedingungen für Toleranz hin: den hinreichenden Leidensdruck intoleranter  Verhältnisse. Wenn der kompromißlose Schlagabtausch - im wörtlichen Sinne! - auf absoluter Geltung ihrer Positionen bedachter Gruppen zur Erschöpfung und zu Pattsituationen führen, man via facti nicht zum Erfolg gelangen kann, dann schlägt die Stunde der Toleranz. Die realen Verhältnisse erzwingen sie, keine Theorie!

Wie geht das vor sich? Der erste Schritt ist die Einsicht, daß es Wichtigeres gibt als die Durchsetzung jener Prinzipien, derentwegen man aufeinander einschlug. Das ist nichts anderes als der Prozeß einer Hierarchisierung der Werte, eine Differenzierung in Substantialien und Akzidentien der eigenen Position. Herr Goez wies in der Diskussion darauf hin, daß exakt dieses Phänomen abseits einer direkten Toleranzdiskussion in der Zeit des Investiturstreits zu beobachten ist, und die von W. Hartmann angezogenen Quellen lassen dies offenbar in gleich indirekter Weise im Traktat Algers von Lüttich erkennen, wo die Rechtskategorie der misericordia - das Pendant zur theologischen Tugendkategorie caritas - die rechtsethische Handhabe bietet, um die Verfehlungen der Gegenseite nicht in jedem Fall mit dem vollen rigor iustitiae verfolgen zu müssen, den die eigene Rechts- und Moralposition eigentlich erfordern würde. Hier wird also in einer von den Fakten erzwungenen Toleranz nicht nur ein praktischer Modus vivendi zwischen Parteien mit unvereinbaren Grundsatzpositionen  gefunden, sondern begleitend dazu, wenn nicht sogar als innere Voraussetzung, werden die Toleranzgrenzen der eigenen Position differenziert und damit neu abgesteckt.

Ganz Ähnliches passiert in Böhmen. Die Vier Prager Artikel sind, dogmatisch gesehen, so etwas wie die heiligen Kühe der Böhmen, die sie sich unter keinen Umstanden schlachten lassen; sie sind ein Schibboleth. Konkret geht es dabei, auf den ersten Blick gesehen, um dogmatisch völlig harmlose Dinge: Freie Predigt von Gottes Wort, Säkularisierung des Kirchengutes, Bestrafung der Todsünder, schließlich die Kelchkommunion. Und deswegen ein Jahrhundert grausamer Kriege?, so möchte man fragen. Die Frage wäre indessen falsch gestellt, denn diese Forderungen zielen auf Kirchenkonzepte, die in der Tat mit den hussitischen Positionen unvereinbar sind. Das Ergebnis, das man findet, ist Sanktionierung eines faktisch erreichten Status quo. Das Gesicht wird gewahrt mittels eines Formelkompromisses, der aber doch mehr ist als bloß das: Wenn die Kelchfrage zum Beispiel dergestalt kompromißfähig wird, daß sie auf die Ebene bloß ritueller Unterschiede (398) geschoben wird, dann zeigt sich, daß hier ein der Investiturstreitdebatte ganz ähnlicher theoretischer Differenzierungsprozeß vorausgegangen war, der die Grenzen von Toleranzfähigkeit in diesem Punkt hat neu bestimmen lassen.

Die historisch-praktische Erfahrung von Ausgegrenztwerden kann im Einzelfall auch zu einer differenzierten Haltung gegenüber anderen schon früher ausgegrenzten Einzelnen oder Gruppen führen. Jakobell von Mies bezüglich der Waldenser war im böhmischen Fall das wichtigste Beispiel. Ich sehe das Phänomen nicht ganz isoliert. Zum einen kenne ich es von Waldensern, die zum Beispiel die Schwertmission in Preußen und Kreuzzüge generell ablehnten[14]. Und ein vom Basler Konzil verurteilter und auf dessen Veranlassung verbrannter Ketzer, Nikolaus von Buldesdorf, war nicht von dem Gedanken abzubringen, daß Johannes Hus zu Unrecht in Konstanz verbrannt worden war. So gehe man mit niemandem, auch nicht mit Ketzern um[15]! Auch hier gilt, was Herr Müller-Mertens im Zusammenhang mit Herrn Schwinges’ Vortrag sagte: Solche Fälle mögen vereinzelt sein, aber sie haben ihren historischen Ort in einer bestimmten Zeit. Ihr historisches Gewicht bestimmt sich danach, was daraus wird: Ob das Haltungen sind, die gänzlich verschwinden, oder sie sich irgendwann einmal durchsetzen.

Das böhmische Beispiel wie der Investiturstreit lehren vor allem eines: Wie Kompromisse, die pro loco et tempore  geschlossen wurden, durch die schiere Macht der Gewohnheit von einer Zumutung zu einer Selbstverständlichkeit wurden. Die Kuttenberger Regelung von 1485 steht insofern in direkter zeitlicher Kontinuität zum konfessionellen Ausgleich der Reformationszeit. Die böhmische Regelung nimmt den Kompromiß der Reformationszeit nicht bloß vorweg, sie ist Teil dieses Prozesses selbst. Von ihm aber wissen wir, daß er in der Anerkennung einer Pluralität der Konfessionen eine der Grundbedingungen für den modernen Toleranzbegriff geworden ist.

Das läßt nach weiteren Grundbedingungen fragen. Eine davon ist die schiere Tatsache einer Pluralität der Ethnien und Religionen. Sie ging im ungarischen Beispiel so weit, daß der Toleranzbegriff, streng genommen, nicht mehr anwendbar erscheint: Wo die Vielheit der Völker und Religionen und ihr friedlich-schiedliches Miteinander tagtäglich erfahrbare Wirklichkeit waren, hebt sich der Toleranzbegriff auf. Wo eine Alterität nicht als die eigene Identität infrage stellend empfunden wird, stellt sie keine Zumutung dar, die man überwinden müßte. Pluralismus der Ethnien nun ist der Normalfall aller kompositen Großreichsgebilde. Insofern ist Ungarn nur ein besonders vielgestaltiges Beispiel, das aber (399) doch in der mittelalterlichen Staatenfamilie keine Ausnahme bildet. Daß die schiere Tatsache des Pluralismus grosso modo selbst in einem Kolonialreich wie dem Königreich Jerusalem zu halbwegs gedeihlichen Formen eines sozialen Miteinanders führen konnte, scheint mir bezeichnend. Dieses Reich ist ja nicht von innen her, sondern durch äußere Einwirkungen zerbrochen. Das Niveau der pragmatischen Toleranz war niedrig: Duldung des Kultus der Religionen und Konfessionen, keine gegenseitige Akzeptanz. Für ein politisches  Existenzminimum aber reichte das.

Warum nun ging bei prinzipiell ganz ähnlichen Voraussetzungen wie in Ungarn oder in Jerusalem im Königreich Sizilien das Experiment schief? Walter Koller sprach von strukturellen Veränderungen als Hauptursache. Dazu wird man wohl vor allem das Fehlen eines kontinuierlich wirksamen Faktors politischer Potenz zählen müssen, sei es König, sei es Adel oder sonst eine politische Gruppe. Die ethnisch-religiösen Konflikte mit der Tendenz zur Polarisierung der Kräfte und Eliminierung der Gegner entzündeten sich ja stets bei Schwächemomenten der Herrscher oder Rebellionen der normannischen Barone. Ganz anders Ungarn: Die Standesqualität rangierte vor ethnischer Herkunft oder religiöser Zugehörigkeit. Membrum sacrae coronae zu sein, war entscheidendes Merkmal der politisch-sozialen Identität. Das erwies sich in Ungarn, praeter propter auch in Palästina, als tragfähig. So etwas fehlte in Sizilien, und da nutzten auf die Dauer alle großköniglichen Toleranz-Versuche nichts.

Es mag paradox klingen, aber in eine Tagung über die Entwicklung des Toleranzbegriffs im Mittelalter gehören die Juden eigentlich nicht hinein. Denn das Konzept der Tolerierung des jüdischen Volkes war - grundgelegt in den paulinischen Briefen und ausgeformt in der Patristik von Augustin und Gregor d. Gr. - derart fest etabliert in der christlichen Tradition, daß es keiner weiteren Begründung für Toleranz gegenüber den Juden bedurfte. Erklärungsbedürftig war immer nur die Intoleranz. Wenn Klaus Lohrmann daher aufweisen konnte, daß mit Innocenz III. wieder ein Begründungsbedarf für Toleranz gegenüber Juden bestand, so ist das ein Indikator für Veränderungen der Geschäftsgrundlage im Verhältnis Juden/Christen. Das ist nun eine ungemein komplexe Angelegenheit, die sich nur bedingt am Wandel des herrscherlichen Schutzverhältnisses aufweisen läßt. Aber charakteristisch für das Ganze ist dieser Teilaspekt wohl doch. Zumindest insofern, als sich daran ablesen läßt, daß, wenn trotz aller dogmatisch unumstößlichen Toleranzfähigkeit der Juden diese im Laufe des Mittelalters aus all ihren europäischen Hauptsiedelgebieten vertrieben, also nicht geduldet wurden, daß hier neben einem Wandel der geistigen Einstellung ein Druck praktisch-politischer Verhältnisse am Werk war, der das Prinzip des Pragmatismus nicht in Richtung auf Toleranz, sondern auf Intoleranz lenkte.

Zu unserem Thema sperrig verhält sich im Grunde auch das Thema der Griechenunion. K. Walsh hat es bezeichnenderweise unter einen Toleranzbegriff gestellt, der nicht bloß formal auf „das Unangetastetsein fremder Dogmen und Kultpraxis“ gerichtet, sondern „um eine inhaltliche Verständigung und eine kompromißbereite Annäherung an die (400) Positionen des anderen“ bemüht ist (s. 300f.). Wer zu einer Union kommen will, muß auch in der Tat diese Tugend besitzen. Nur ist das Wesen einer Union die Aufhebung, die Überwindung von Gegensätzen; Toleranz aber ist per definitionem der Versuch, Modi zu finden, um mit Gegensätzen zu leben. Union zielt im dialektischen Sinne auf Aufhebung der Toleranz. Insofern bildet dieser Beitrag einen Grenzfall unserer Thematik. Es ist bezeichnend, daß Thomas von Aquin die Griechen nicht unter die infideles zählt; an ihnen braucht er seinen Begriff der Toleranz nicht zu entwickeln. Man könnte freilich sagen, einer praktizierten Toleranz könnte am Ende nichts Besseres passieren, als sich selbst überflüssig zu machen. Und K. Walsh zeigte den Weg dahin, der noch ganz im Spektrum toleranter Umgangsformen blieb. Ihr Schlüsselbegriff war die Dialogfähigkeit.

Dieser Begriff ließe sich auch als das Hauptcharakteristikum der von Herrn Schwinges beigebrachten Beispiele Wilhelm von Tyrus und Rodrigo Ximenes von Toledo anführen; er selbst gebrauchte dafür den Ausdruck informelle Toleranz. Ich halte es nicht für nötig, die von ihm als Konditionen für Toleranz herausgearbeiteten Kategorien nochmals zu wiederholen, möchte nur Bestimmtes, mir besonders wichtig Scheinendes hervorheben.
-        (1) Das ist zum einen der Gedanke, daß Toleranz im Sinne einer Akzeptanz sich viel leichter an individuellen Personen als an Kollektivgebilden festmachen läßt. Das Kollektiv unterliegt stets stärker der Stereotypisierung - und die ist meist negativ - als der Einzelne. Geht die allgemeine Entwicklung nun hinsichtlich des Menschenbildes von Gruppenidentitäten zur personellen Identität, so hat Toleranz eine größere Chance.
-        (2) Der zweite wichtige Gedanke ist das Moment landesgeschichtlicher Identität. Es gibt da eine Parallele zur adligen Standesqualität à la Ungarn.
Right or wrong - my country, so ist man versucht zu formulieren. Der Clou besteht darin, daß eine Ausgrenzungskategorie - z.B. die Religion - austariert wird durch eine Identitätskategorie. Das kann der Stand, das kann das Land sein. Toleranz ist immer dann um so eher möglich, je weniger ein Gegensatz Absolutheitscharakter erhält, die Beziehungen zu einem einzelnen Menschen oder zu einer Gruppe nur noch unter dem Blickwinkel dieses Gegensatzes definiert werden. Es ist dies auch eine Form der Erfahrung der Endlichkeit und Begrenztheit der eigenen Existenz, die Herr Wieland als anthropologische Voraussetzung für Fähigkeit zur Toleranz nannte; es erfährt sich ein Mensch in seinem Verhältnis zu einem anderen als nicht nur in einer Hinsicht festgelegt. In dieselbe Richtung wirkt übrigens auch die von Walter Koller erwähnte Erfahrung eines gemeinsamen Ehrenkodex verschiedener Religionen oder Konfessionen, wie im Verhältnis Christen und Sarazenen. Beispiele dieser Art ließen sich mühelos auch von außerhalb Sizilien beibringen. Man braucht sich ja nur einmal die französische und deutsche Ritterepik des 12./13. Jahrhunderts  daraufhin anzusehen, oder den Respekt zu beachten, der auf theologischem Gebiet arabischen Philosophen entgegengebracht wird. Die Bedeutung solcher Faktoren als Grundbedingungen für Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von Toleranz läßt sich auch im negativen Falle ablesen. Walter Koller erwähnte das Beispiel der Griechen; im (401) Falle der Juden tritt eine ähnliche Verdunklung des Bildes bis hin zur Dämonisierung seit dem 12./13. Jahrhundert ein. Bei Ketzern ist das per definitionem von vornherein der Fall.

 

III.

Damit komme ich am Schluß an den Anfang der Vortragsserie, von dem Feld der pragmatischen Toleranz nochmals zur Theorie. Von Herrn Wielands vielen Gedanken, von denen manches schon zuvor anzuführen war, will ich nur zwei nennen:
          1. Der Gedanke der Entwicklung des Konzepts einer beatitudo oder felicitas imperfecta als ein das Schwarz-Weiß-Schema von fidelitas und infidelitas auflösende Kategorie, wie sie selbst ein Hardliner der Toleranz-Theorie wie Thomas von Aquin entwickelte. Das Wirkprinzip ist ganz dasselbe wie Herrn Schwinges’ Territorial-Identität oder Walter Kollers Werte-Identität: Man findet eine Ebene, wo man den anderen nicht verdammen muß - und dies kann, bei aller Unverrückbarkeit der prinzipiellen Positionen, die Brücke sein zur Duldung.
          2. Das Moment des Geschichtlichen bei der Wahrheitsbestimmung. Hat man eine dogmatische Position einmal in ihrer geschichtlichen Bedingtheit erkannt - wie z. B. die Kelchkommunion -, so ist ein absoluter Geltungsanspruch nicht mehr aufrechtzuerhalten. Im Extremfall führt das zu striktem Relativismus des Wahrheitsbegriffs und damit zur Indifferenz. In unserem Fall schaffen solche Einsichten Freiräume, zwischen gewachsenen und grundsätzlichen Positionen unterscheiden zu können. Das ist die Voraussetzung, um verhärtete Fronten im Sinne einer zumindest erzwungenen Toleranz aufzubrechen.

Ganz zum Schluß ein Gedanke, der sich aus Klaus Lohrmanns Vortrag ergab: Er erwähnte die Arenga der Barbarossa-Urkunde für die Regensburger Juden und zitierte daraus das römisch-rechtlich fundierte Prinzip der Aequitas, der Epikeia, das Nikolaus von Kues zum sozialethischen Grundprinzip in seiner Concordantia Catholica erheben sollte. Er sagte zu Recht, daß der Herrscher hier eine Toleranzfundierung außerhalb der christlich-theologischen Definition geliefert habe. Das ist eine eminent  wichtige Beobachtung. Wir sind viel zu sehr gewohnt, den Toleranz-Begriff allein aus der christlich-theologischen Perspektive zu sehen. Dabei wissen wir alle, daß mit der Rezeption des römischen Rechts im juristischen und der Aristoteles-Rezeption im philosophisch-theologischen Bereich eine fundamentale Veränderung in der Geisteswelt des Mittelalters eingetreten ist. Das Kaiserrecht des römischen Rechts hat als praktische Wirklichkeit eine Ökumene an Völkern und Religionen als Matrix: Toleranz ist bis hin zur Selbstaufhebung wie in unserem ungarischen Fall die conditio sine qua non, die sozialethische Grundkategorie für die Existenz eines solchen Reiches. Und ein philosophischer Denkansatz, dessen eine Konsequenz die Lehre einer doppelten Wahrheit sein kann, wirkt in die gleiche pluralistische (402) Richtung. Ich behaupte: ohne die mittelalterliche Antikenrezeption in Recht und Philosophie kein moderner Toleranzbegriff!

Wieweit war das schon im Mittelalter selbst tatsächlich wirksam? Wir haben mehr davon kennengelernt, als das mancher - mich eingeschlossen! - zu Beginn der Beschäftigung mit diesem Thema erwartet hatte. Der Übergang vom Toleranzkonzept eines Augustin und Thomas geschah langsam und läßt sich nicht mit festen Zäsuren versehen. Aber daß das moderne Toleranzkonzept spätestens seit dem 12. Jahrhundert wirksam war, scheint mir keine Frage. Es war wirksam in nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich unterschiedlicher Weise; Alfred Haverkamp und Walter Koller haben mit Blick auf die Mittelmeerwelt darauf hingewiesen. Es war wirksam in einer Weise, wie sie Joachim von Fiore in seinem 3-Zeitalter-Schema formulierte: Eine Ära kenne drei Perioden, führt er aus: initiatio, fructificatio, perfectio. Für den pluralistischen Toleranzbegriff der Moderne ist das Mittelalter gewiß erst die Zeit der initiatio - die aber ist sie! Die Toleranzvorstellung der Moderne ist in ihren Grundelementen mittelalterlich!

 



[1]           Klaus Schreiner, Toleranz, in: Geschichtliche Grundbegriffe 6, Stuttgart 1990, S. 445-605. In Würdigung der Beiträge dieser Tagung hat er seine Sicht von Toleranz im Mittelalter oben S. 335-389 nochmals zur Darstellung gebracht.

[2]           Schreiner, Toleranz  (wie Anm. 1), S. 452ff.; oben S. 335ff.

[3]           Sermo Lambot 4, Migne, PL, Suppl. 2 (1960) Sp. 759.

[4]           1. Cor. 13, 7; vgl. Augustin, Epistula ad Catholicos de secta Donatistarum (Ep. 5, 9), ed. Petschenig, CSEL 52 (1909) S. 241 Z. 16; Sermo 4, 20, ed. Lambot, CC 41 (1961) S. 35 Z. 465.

[5]           Sermo Lambot 4, Migne, PL, Suppl. 2, Sp. 761.

[6]           Ich erinnere an den bekannten Aufsatz von Herbert Grundmann, Oportet et haereses esse.Das Problem der Ketzerei im Spiegel der mittelalterlichen Bibelexegese (1963), Nachdruck in: Ders., Ausgewählte Aufsätze 1 (Schriften der MGH 25, 1), Stuttgart 1976, S. 328-363.

[7]           Ad Catholicos de secta Donatistarum (Ep. 5, 9), ed. Petschenig, CSEL 52, 241; bei Schreiner, Toleranz  S. 452 bleibt das undeutlich.

[8]           Ep. 44, 11, ed. Goldbacher, CSEL 34, 2 (1898) S. 119 Z. 2ff. Augustin redet hier keineswegs der eventuellen Duldung eines Schismas das Wort, wie K. Schreiner, Toleranz S. 452 meint. Es ist auch mißverständlich zu sagen, Friedensliebe verpflichte laut Augustin, die im Schisma befindlichen Bösen zu tolerieren (ebd.). Augustin hat an der von Schreiner in diesem Zusammenhang zitierten Stelle ganz anderes im Auge (Contra litteras Petiliani I 28 § 30, ed. Petschenig, CSEL 52, 23 Z. 2-5): ... si nomen pacis ad tolerandos in schismate malos in qualemcumque umbram defensionis assumitur, procul dubio cum horrendo scelere et sine ulla defensione per unitatem orbis terrarum vera pax ipsa violatur. Der springende Punkt ist hier die ‘defensio’, die Rechtfertigung. ‘Böse’ bleibt ‘böse’ für Augustin, eine Rechtfertigung läßt sich aus seiner Duldung nicht ableiten. Mehr will er an dieser Stelle nicht sagen.

[9]           Augustin, De baptismo VII 54 § 103, ed. Petschenig, CSEL 51 (1908) S. 375 Z. 1ff.: ... quantum sit catholica unitas diligenda, ut in eo quod aliter sapiebant, donec deus id quoque revelaret, tolerarent potius diversa sentientes quam se ab eis nefario schismate separarent; ubi Donatistarum prorsus ora clauduntuzr, etiamsi de Maximianistis nihil dicamus. Si enim mali bonos in unitate contaminant, nullam iam ecclesiam cui sociaretur vel ipse Cyprianus invenit. Si autem mali bonos in unitate non maculant, nullam causam separationis sacrilegus Donatista proponit.

[10]          Sermo 4, 20, ed. Lambot, CC 41, 34f.: Dilige peccatorem, non in quantum peccator est, sed in quantum homo est. Quomodo si diligis aegrum, persequeris febrem; nam si parcis febri, non diligis aegrum.

[11]          Ep. 185, 24, ed. Goldbacher, CSEL 57 (1911) S. 23 Z. 16-21: Quapropter si potestate, quam per religionem ac fidem regum tempore, quo debuit, divino munere accepit ecclesia, hi, qui inveniuntur in viis et in saepibus, id est in haeresibus et schismatibus, coguntur intrare, non quia coguntur reprehendant, sed quo coguntur adtendant.

[12]          An verschiedenen möglichen Deutungen des geteerten Schiffsbodens der Arche Noe hat Augustin das erläutert: Ad Catholicos de secta Donatistarum (Ep. 5, 9), ed. Petschenig, CSEL 52, 240f.

[13]          Einschlägig ist die Summa theologiae, 2a 2ae, qu. 10, art. 5-12; qu. 11, art. 3 (Editio Leonina Bd. 8, Rom 1895, S. 84-95 und 100). Das Folgende bezieht sich in der Hauptsache auf qu. 10, art. 5 und 8, sowie auf qu. 11, art. 3 (S. 84, 89, 100).

[14]          Vgl. den Waldenser-Traktat des Passauer Anonymus, ed. Patschovsky, in: A. Patschovsky/K.-V. Selge, Quellen zur Geschichte der Waldenser (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 18) Gütersloh 1973, S. 81.

[15]          Siehe Patschovsky, Nikolaus von Buldesdorf. Zu einer Ketzerverbrennung auf dem Basler Konzil im Jahre 1446, in: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, hg. von J. Helmrath und H. Müller, Bd. 1 (München 1994) S. 269-290, hier S. 287 Z. 7: In concilio Constanciensi non potuerunt secundum doctrinam euuangelicam occidere magistrum Iohannem Huss, etiam si fuisset hereticus, quoniam Christus dixit (Luc. 6,37): „Nolite condempnare, et non condempnabimini!“, Et (Matth. 13, 30): Sinite utraque crescere usque ad messem!“