XXXV. Der italienische Humanismus auf dem Konstanzer Konzil (1414-1418)

 

(5) Wer im weiten Felde der Geschichte nach dem Augenblicke sucht, zu dem Konstanz weltgeschichtliche Bedeutung besaß, der sieht sich auf die Zeit des Konstanzer Konzils verwiesen. Und wer die Suche unter den besonderen Aspekt der Verbindung zwischen Konstanz und Italien stellt, der wird sein Augenmerk auf Renaissance und Humanismus richten. In den vier Jahren von 1414 bis 1418 war Konstanz das erste und bisher einzige Mal in seiner Geschichte Drehscheibe der abendländischen Welt, versammelte sich in seinen Mauern, was Rang und Namen in Europa hatte, und mehr als jemals sonst verlieh Italien der Stadt Glanz. Dies durch nichts anderes als eine Schar erlauchter Geister, die jene Ideale menschlicher Bildung und Gesinnung verkörperten, die man mit dem Begriff des Humanismus verbindet.

 Doch neben Personen von Geist entsandte Italien nach Konstanz Personen, die die Aura der Macht umgab. Der römische König und spätere Kaiser Sigismund steht an der Spitze der illustren Besucher - Italiener gewissermaßen von Berufs wegen! König von Ungarn war er, König von Böhmen sollte er - nicht gerade zu seinem Glück! -später auch noch werden, aber seine vornehmste Herrscherwürde gründete sich zweifellos auf das Imperium Romanum, und das hieß gemäß der seit Friedrich II. Tradition gewordenen Herrscherideologie: Sigismund amtierte in Konstanz in der Nachfolge des Kaisers Augustus - unbestreitbar eines Italieners. Sichtbar wurde das aller Welt bei seinem feierlichen Einzug in Konstanz an Heiligabend 1414[1], als er im Münster bei der Weihnachtsmette höchstpersönlich die Worte (6) des Weihnachtsevangeliums las: Exiit edictum a Caesare Augusto ...! König Sigismund hatte wie kein anderer am Zustandekommen des Konstanzer Konzils Anteil gehabt, er hat ihm und dessen Agenda den Stempel seines politischen Willens aufgedrückt - und vor allem: er hat durch seine fast permanente Gegenwart Konstanz für vier Jahre zur gar nicht einmal heimlichen Hauptstadt seines, des Römischen Reiches gemacht. Dieses Reich war damals noch nicht auf die kümmerliche titularische Größe eines „Römischen Reiches„ bloß „deutscher Nation„ zusammengeschrumpft, sondern meinte noch das ganze universale Reich des christlichen Weltenherrschers. Konstanz war also, dank römisch-imperialer Herrschernähe, für vier Jahre ein regelrechtes zweites Rom, Mittelpunkt der westlichen Hemisphäre.

Dies aber auch deshalb, weil sich neben dem Kaiser ein Papst in Konstanz aufhielt, um genau zu sein, waren es sogar am Ende deren zwei: einer, der das Konzil einberufen hatte und den das Konzil absetzte, und einen, den es der Christenheit als „papa indubitatus“ am Ende gab. Die bête noire war bekanntlich Johannes XXIII., die Transfiguration des Papsttums zu erneuerter Lichtengel-Qualität vollzog sich mit Martin V. aus dem römischen Adelsgeschlecht der Colonna, der als Wiederbegründer des Kirchenstaates, ja als Wiederbegründer der Römischen Kirche in die Geschichte eingegangen ist.

Johannes XXIII. steht nicht ohne Grund in üblem Ansehen, aber seine schlechte Presse hat er doch nicht ganz verdient. Er war als Papst wie als Mensch nicht schlechter als die meisten seiner Vorgänger oder Nachfolger. Für unser Thema hatten sein Papat wie sein Besuch in Konstanz jedenfalls schlechthin konstitutive Bedeutung. Denn der italienische Humanismus hatte seine Hauptwirkungsstätte neben dem Florenz der Medici an der päpstlichen Kurie. In Konstanz hielt er daher Einzug im Gefolge keines anderen als des verfemten Papstes Johannes XXIII.! Ihn begleitete die meist noch jugendliche Garde jener Männer, die dem Humanismus der italienischen Renaissance damals das Gesicht gaben.

 

I.

(7) Beginnen will ich meine Skizze mit einem Mann, der in Konstanz auch sein Grab fand und damit sehr real zu einem Teil der Stadt geworden ist! Gemeint ist, was auf den ersten Blick erstaunen mag, ein Grieche aus Byzanz, Manuel Chrysoloras[2]. Er fand die letzte Ruhe im Chor der ehemaligen Dominikanerkirche, das heißt im innersten Sakralraum jenes Orts, welcher der italienischen Nation der körperschaftlich in „Nationen“ gegliederten Konzilsversammlung als Tagungsstätte diente. Bedeutend als Mann der Kirche wie als Humanist, schien Manuel Chrysoloras seinen Freunden der rechte Mann zu sein für einen Papst, der nicht nur das seit 1378 andauernde Große Abendländische Schisma, sondern der auch das viel ältere, seit 1054 schon bestehende Schisma zwischen der römischen und der griechischen Kirche werde überwinden können. Dazu schienen diesen Mann seine griechische Herkunft zu prädestinieren wie seine diplomatische Erfahrung im Dienst des Basileus (Manuels II.), auch seine gelehrte Bildung, die ihn als Freund des bedeutenden Theologen Demetrios Kydones - dem man nachsagte, daß er sein Latein an des Thomas von Aquin „Summa contra gentiles“ erlernt hätte[3] - mit der abendländischen Tradition hatte vertraut werden lassen. Die hohe Wertschätzung für Manuel Chrysoloras ergab sich aber vor allem aus der Tasache, daß ihm die Herzen der Wortführer des neuen humanistischen Bildungsideals zugeflogen waren, die in ihm einen der ihren sahen. Denn zwischen Ost und West pendelnd, hatte er sich von Coluccio Salutati, dem Staatskanzler von Florenz, verpflichten lassen, dort griechische Sprache und Literatur zu lehren; mit ihm nahm die Wiederansiedlung des (8) Griechischen im Kanon abendländisch-humanistischer Bildung ihren Anfang. Ein Leonardo Bruni und Pier Paolo Vergerio zählten zu seinen Schülern, für sie verfaßte er seine „Fragen der griechischen Sprache“ (¸ñùôÞìáôá ôyò eëëçíéêyò ãëþóóçò), d.h. die erste griechische Elementargrammatik in Italien. Als einen „göttergleichen Mann„ (homo prope divinus) von „überwältigender ‘Humanität’“ - incredibili humanitate - rühmt ihn der ihm freundschaftlich verbunden gewesene Cencio Rustici in einem Brief aus Konstanz, mit dem er Manuels Sohn Johannes zum Tod des Vaters kondolierte[4]. ‘Humanitas’ - das ist die zentrale Kategorie im Wertekanon der italienischen Humanisten!

Diesem Mann also erwies die „italienische Konzilsnation“ die Ehre, im Kirchenchor ihrer Tagungsstätte begraben zu werden, und sie stiftete ihm eine noch heute erhaltene, in der sog. Bischofsstube des heutigen Inselhotels eingemauerte Grabplatte, auf der sich die schönen, vom Geist des Humanismus durchdrungenen Worte finden[5]: 

            Vor diesem Altar ruht der Ritter Manuel Chrysoloras aus Konstantinopel, aus altem römischem Adelsgeschlecht, das im Gefolge Kaiser Konstantins <aus Rom> ausgewandert war: Ein exzellenter Mann, gelehrt und klug, der zur Zeit des Konstanzer Konzils verstarb. So hoch war sein Ansehen, daß er von allen als würdig des höchsten geistlichen Amtes erachtet wurde. Man bestattete ihn am 15. April 1415.

(9) Die unangemessene Ritter-Bezeichnung (miles; Vergerio schreibt antikisierend eques) und die fiktive Auswanderung seiner ‘adligen’ Vorfahren mit Kaiser Konstantin dem Großen nach Byzanz/Konstantinopel, der im Jahre 330 zum zweiten Rom erhobenen neuen Hauptstadt des Imperiums, machten den Griechen Manuel Chrysoloras landsmannschaftlich zu einem verkappten Römer und sozial zu einem ebenbürtigen Partner der hohen konziliaren Geistlichkeit. Dieser Grenzgänger zwischen orthodoxem Osten und katholischem Westen, zwischen Griechenland und Italien, erschien als die Verkörperung der Hoffnung auf Union all dessen, was die Christenheit an Trennendem erlebt und noch vor Augen hatte. Daß er, der Vermittler, auf einem Allgemeinen Konzil starb, hat daher Symbolwert. Daß er dort im Schoß der italienischen Nation starb und begraben wurde aber war mehr als ein Symbol - es hatte programmatische Bedeutung im Sinne der neuen Geistesart des Humanismus! Denn Manuel Chrysoloras war nicht nur dessen Exponent, sondern er gehörte zu dessen Wegbereitern - und Konstanz ist ein Zeuge dafür! Hier und nirgends sonst wurde die Rede des Aelius Aristides auf Dionysos aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt, und zwar von Cencio Rustici, dessen Kondolenzbrief zum Tode Manuels schon zu erwähnen war. Im Vorwort seiner Übersetzung beruft sich Cencio bei Erläuterung seiner Übersetzungsgrundsätze ausdrücklich auf seinen Lehrer Manuel Chrysoloras[6].

 

II.

Der zweite große Humanist, der hier zu nennen wäre, ist Leonardo Bruni, eine der zentralen Gestalten des Florentiner Humanismus. Er hielt sich nur kurze Zeit in Konstanz auf, bis zum Sturz Papst Johannes’ XXIII., in dessen Entourage er zum Konzil gekommen war und das er eilends verließ, als sein Herr und Meister zu flüchten suchte. Die Zeit reichte immerhin für (10) einen Stimmungsbericht aus Konstanz. Er trägt höchst ambivalente Züge, denn dem Humanisten Bruni begegnete die so hoch geschätzte römische Vergangenheit in Konstanz in Gestalt einer Tradition, deren Lebendigkeit ihn ebenso beeindruckte wie er sie verächtlich fand. Im Mauerwerk der Mauritius-Rotunde des Münsters erblickte er nämlich einen Stein, den Bischof Konrad im 10. Jh. als Spolie aus dem ehemaligen römischen Kastell Oberwinterthur nach Konstanz hatte schaffen und in das an das Hl. Grab erinnernde Mauritiusheiligtum einmauern lassen. Dort fand sich eine Inschrift eingemeißelt, die den Namen eines Kaisers Constantius trug, des Heros eponymos quasi der Stadt. Die Inschrift konnte zwar niemand in Konstanz lesen, die Tafel galt indessen als Gegenstand besonderer religiöser Verehrung, obwohl sie heidnischen Ursprungs war und eher in eine christenverfolgende als den christlichen Glauben befördernde Tradition zu stellen wäre. An ihr rieben sich, wie Leonardo naserümpfend berichtet, Frauen „und die übrige ungebildete Menge“ die Hände, um sich danach über das Gesicht zu fahren, so daß sie schon fast alle Buchstaben auf der Tafel gelöscht hätten[7]. Das empfand Leonardo Bruni wohl als Begegnung mit der Antike, aber in Form nur von Mummenschanz!

 

III.

(11) Der dritte namhafte Humanist in Konstanz war Poggio Bracciolini. Von ihm wird und muß hier viel die Rede sein, denn sein Aufenthalt auf dem Konstanzer Konzil hat Furore gemacht! An ihm läßt sich am besten erläutern, was unter dem Aspekt der Beziehung des italienischen Humanismus zu Konstanz in den Jahren 1414-1418 epochale Bedeutung erlangt hat.

Poggio war als „scriptor apostolicus“, also als berufsmäßiger Schreiber der päpstlichen Kanzlei - eine hochgeachtete Position! -, nach Konstanz gelangt, und beim Schreiben zugezogene Beschwerden an der Hand gaben ihm Veranlassung, im Frühjahr 1416 die warmen Quellen von Baden-Baden aufzusuchen. Von dort schrieb er an den Freund Niccolò Niccoli einen Brief, der vor allem wegen seiner anzüglichen Schilderung Baden-Badener Badefreuden Berühmtheit erlangt hat. Ich nenne ihn aus anderem Grund. Denn Poggio teilt dort auch mit, daß er in Konstanz bei einem konvertierten Juden Hebräisch-Studien aufgenommen hätte. Damit wäre wohl die philologische Trias des humanistischen Bildungsideals in seiner Person komplett gewesen, hätte er von Hebräisch-Lehrer und hebräisch-sprachiger Literatur eine bessere Meinung bekommen, als er sie gegenüber seinem Florentiner Freunde zum Ausdruck brachte: Den Hebräisch-Lehrer nennt er einen Leichtfuß, dumm und wankelmütig. Die Konversion des Mannes hatte auf Poggio einen denkbar ungünstigen Eindruck gemacht. Für die hebräische Literatur hat er nur Worte wie „roh, unkultiviert, bäurisch“ übrig, gerade wert, um Witze (facetiae!) darüber zu reißen[8]. Das läßt auf eher oberflächliche Vertrautheit mit hebräisch-sprachigem Schrifttum schließen. Immerhin, daß ein italienischer Humanist erst nach (12) Konstanz kommen mußte, um Hebräisch zu lernen, verdient vermerkt zu werden!

Berühmt geworden ist Poggios Konstanzer Aufenthalt aber natürlich vor allen Dingen wegen seiner Funde klassischer Autoren in Bibliotheken des Bodenseeraums, aber auch an weiter entfernten Orten wie etwa im burgundischen Cluny, im elsässischen Murbach oder im hessischen Fulda, wohin ihn seit dem Frühjahr 1415 förmliche Suchkampagnen führten. Mit der Novelle „Plautus im Nonnenkloster“ hat C. F. Meyer diesen Aspekt der Verbindung italienischer Humanisten mit Konstanz und seinem Konzil literarisch unsterblich gemacht, auch wenn er es dabei mit der historischen Treue nicht allzu genau nahm. (Der Fund der Plautus-Komödien geht bekanntlich auf Nikolaus von Kues zurück, ist auf 1425 zu datieren - also lange nach dem Konzil von Konstanz - und trug sich in Köln zu[9]).

Es ist aber auch sensationell, was Poggio an längst verloren geglaubten oder nur in lückenhafter Gestalt bekannten Werken der Antike wiederfand[10]! Am meisten Aufsehen erregte angesichts der hohen Wertschätzung rhetorisch geschliffener Rede im Humanistenlager ohne Frage der seit Petrarca schmerzlich vermißte vollständige Text von Quintilians „Institutio oratoria“ in St. Gallen[11], die Poggio dort zusammen mit Teilen der „Argonautica“ des Valerius Flaccus fand (I-III, zur Hälfte IV), zu (13) schweigen von neuen Überlieferungen an sich schon bekannt gewesener Werke wie Vitruvs „De architectura“, Priscians Kommentar zu Versen von Vergils Aeneis, oder der Schrift „De opificio hominis“ von Laktanz[12]. Schätze wie neue Cicero-Briefe, Cicero-Reden oder Cicero-Kommentare[13] tat er auf; den Humanisten gänzlich unbekannte Werke fand er wie „De rerum natura“ des Lukrez, die 5 Bücher über Astronomie des M. Manilius oder die „Silvae“ des Statius und nicht als geringstes, aus der Sicht des Historikers, das Geschichtswerk des Ammianus Marcellinus[14]. Das ist ein ganz beträchtlicher Teil des uns bekannten antiken Bildungskanons! Für die Such- und Findaktionen der Humanisten erlangte Konstanz dadurch fundamentale Bedeutung!

Bezüglich der St. Galler Funde sind wir über Details unterrichtet. Einesteils durch Poggio selbst, andernteils durch Schilderungen seines schon erwähnten Freundes Cencio Rustici, der ihn dorthin begleitet hatte[15]. Man fand die kostbaren Bücher dort im finsteren Gewölbe eines Turmes aufbewahrt, den Poggio nicht einmal einem Kapitalverbrecher als Aufenthaltsort gewünscht hätte. Der Quintilian war halb vermodert und ganz verstaubt. In den engen Kerkern von Barbaren, die der Sprache ihrer Schätze gar nicht mächtig wären[16], müßten solche Autoren wie Gefangene schmachten - dies ein ständiger Refrain in den Humanisten-(14)briefen der Zeit[17]! Man kann es nachempfinden, wenn da ein Humanist von Ehre und Gewissen auf Befreiung sann: Die gefundenen Werke wurden nach Konstanz ausgeliehen, den Quintilian, die Argonautica und den Kommentar des Q. Asconius Pedianus zu Ciceros Reden schrieb Poggio eigenhändig ab, seine Gefährten taten es ihm nach, und triumphierend sandten sie Nachrichten über ihre Schatzfunde an die Freunde daheim in Italien, wenn nicht sogar Abschriften der Werke selbst, so daß sich die sensationelle Kunde wie ein Lauffeuer verbreitete.

 

IV.

Man mag die bitterbösen, von Arroganz und Selbstgefälligkeit nicht freien Äußerungen Poggios und seiner humanistischen Gefährten über den mangelhaften Bildungsstand der Besitzer jener ihnen so teuren Geistesschätze übertrieben finden, aber die Begegnung der Humanisten mit dem Bildungsdurchschnitt ihres Konstanzer Gastortes muß ein wahrer Kulturschock gewesen sein. Man kann das nachvollziehen, hält man sich den Bildungsstand eines St. Galler oder Reichenauer Mönches oder Abtes aus dieser Zeit vor Augen, von denen wir wissen, daß sie von geistlicher Lebensart recht weit entfernt waren und deren Bibliotheken - soweit noch vorhanden - mehr aus alten denn aus neuen Büchern bestand[18]. Eine Bibliothek aber, die nicht ergänzt wird, (15) läßt erkennen, daß sie auch nicht benutzt wird! Doch selbst wenn man sie hätte benutzen wollen, war das technisch nicht immer möglich. Denn die Fähigkeit, alte, zumal vorkarolingische Schriften zu lesen, war im 15. Jh. genauso selten anzutreffen wie heute. Die berühmten Funde eines Poggio aber betrafen in der Regel gerade solche wirklich sehr alten Handschriften, und benutzbar waren sie nur für den, dessen philologische Gewandtheit und imaginatives Einfühlungsvermögen in den Text sich messen konnten mit der sprachlichen Fertigkeit der Verfasser dieser Texte selbst. Ein Poggio besaß diese Fähigkeit, und seine emendierende Hand ist vielfach nachgewiesen in Originalüberlieferungen wie Abschriften damals aufgefundener Texte. Aber wie muß er gelitten haben bei Lektüre der Kopieerzeugnisse seines ‘deutschen’, aus Konstanz stammenden Schreibers, den er auf seine Hss.-Kampagnen des Jahres 1417 mitgenommen hatte! Den Silius Italicus, des Statius „Silvae“ und das „Astronomicum“ des M. Manilius hatte er von diesem Berufsschreiber seines Gastlandes kopieren lassen. „Der diese Werke abschrieb“, so klagt er seinem Freund Francesco Barbaro, war „über die Maßen dumm“ (ignorantissimus omnium viventium fuit), und Fehlerzahl wie Fehlerart der nachweisbar von der Feder dieses Konstanzer Schreibers herrührenden Abschriften sind derart grotesk, sind derart bar jeden Textverständnisses, daß man aus dem sprachlichen Unvermögen des Kopisten schon wieder Kapital schlagen kann, denn bestimmte Fehlerformen lassen auf bestimmte Schriftformen der Vorlage schließen - etwa auf bestimmte Merkmale der in frühkarolingischer Zeit in Deutschland vielfach begegnenden angelsächsischen Schrift - und geben damit sichere Anhaltspunkte für Textemendationen[19].

 

V.

(16) Ein Italiener aus der auch damals noch nicht überwältigend großen Schar der humanistischen Bildungselite nahm Konstanz also wahr als kulturelle Einöde, die Bewohner des Landes als Barbaren. Fremdheit, ‘Alterität’, nicht Vertrautheit, ‘Identität’ war der erste und blieb für diese Italiener vielfach auch der letzte Eindruck von Konstanz und seiner Bevölkerung. Wenn man mit den Autochthonen nichts anzufangen wußte, blieb nur der Weg der Zirkelbildung im Lager der Gleichgesinnten aus der Fremde. Einer der in diesem Rahmen geistigen Austausch quasi institutionalisierte, war Benedetto da Piglio, der im Gefolge des Kardinals Stefaneschi von Bologna nach Konstanz gekommen war. Als Papst Johannes XXIII. aus Konstanz floh, suchte auch Kardinal Stefaneschi das Weite, und mit ihm Benedetto da Piglio. Das Verlassen des Konzils versuchten der König und seine Leute jedoch zu unterbinden, und wie den Papst der König, so fing den Kardinal und dessen Gefolge der Graf von Neuchâtel am Genfer See, und da der Kardinal wortbrüchig aus der zunächst verhängten Ehrenhaft entwich, hielt sich der Graf an dem Gefolge schadlos und steckte so auch Benedetto in den Kerker. Daraus befreite ihn erst nach längerer Zeit die Intervention König Sigismunds, so daß er, wenn schon nicht in seine Heimat Italien, doch wenigstens nach Konstanz zurückkehren konnte. Dort verfaßte er Gedichte, unter anderem eine Ekloge auf seinen Retter König Sigismund, worin Konstanz als gleichsam verwunschene Stadt in einer Waldwildnis figuriert[20]. Doch was für die geistige Existenz eines Humanisten im Exil bezeichnender ist: in Konstanz hat er Vorlesungen über die erbauliche Anekdoten- und Sprüchesammlung des Valerius Maximus gehalten - (17) ein beliebter Lesestoff in Humanistenkreisen! -, auch über Seneca und Lucan las er. Sein Publikum, so läßt die Vorrede in seine Lucan-Vorlesung erkennen, ist nicht das Konstanzer Bürgertum gewesen, sondern waren hochgestellte Teilnehmer am Konzil[21]. Die Erfahrung der Andersartigkeit gegenüber der einheimischen Bevölkerung wird also auszugleichen gesucht durch Gedankenaustausch mit anderen Schicksalsgenossen, die derselbe Anlaß: eben das Konzil, nach Konstanz geführt hatte. Die gebildete Schicht der Konzilsteilnehmer tritt uns als nationenübergreifende Geisteselite entgegen, jedoch nur als ghettoartig geschlossener Zirkel. Konstanz lieferte dafür den Rahmen, aber mehr auch nicht.

 

VI.

Wie die Konstanzer Rahmen-Funktion für die Vermittlung humanistischen Wissens sonst noch aussehen konnte, sei beispielhaft an dem Besitzeintrag einer Reimser Handschrift vor Augen geführt[22]: „Ich, Wilhelm, Kardinal von S. Marco vermache dieses Werk, das ich viele Jahre lang gesucht, endlich in Florenz ge-(18)funden und hier“ -  d.h. in Konstanz - „habe abschreiben lassen, der Reimser Kirche. Ich bitte darum, gut darauf zu achten; denn ich glaube, dies ist das erste Exemplar des Werks in Frankreich.“ Die Rede ist von der „Geographie“ (Ãåùãñáößáò FÕöÞãçóéò) des Claudius Ptolemaeus, deren das europäische Weltbild und die europäische Kartographie revolutionierende lateinische Rezeption im Augenblick der Abschrift dieser Reimser Handschrift noch keine zehn Jahre zuvor eingesetzt hatte[23]. Der Donator ist Guillaume Fillastre d. Ä., langjähriger Dekan des Reimser Domkapitels, den Johannes XXIII. 1411 zum Kardinal erhoben hatte und der als Mitglied von dessen Obödienz nach Konstanz gekommen war. Ein französischer Prälat im Gefolge eines italienischen Papstes, der ein für die damalige Geisteswelt bahnbrechendes antikes Werk aus Italien nach Konstanz kommen und dort abschreiben läßt und diese Abschrift als den ersten Textzeugen des Werkes am Ende nach Frankreich vermittelt - ich glaube nicht, daß es ein besseres Beispiel gibt, an dem sich aufzeigen ließe, was es mit der Drehscheibenfunktion von Konstanz zur Zeit des Konzils aus Sicht der Verbreitung antik-humanistischen Schrifttums auf sich haben konnte[24]!

Die Bedeutung der geschilderten Vorgänge ist dennoch nur schwer einzuschätzen. Paul Lehmann war in einem die Diskussion bestimmenden Beitrag schon 1921 zu einer recht skeptischen Einschätzung gelangt[25]. Ungeachtet der ja unbestreitba-(19)ren persönlichen Begegnungen, der Handschriften-Funde und Lehraktivitäten, fand er die Ausbeute an Handschriften mit typisch humanistischen Inhalten in mittel-, nord- und ost-europäischen Bibliotheken, die nachweislich auf Konstanz und das Konzil zurückgehen, doch überaus bescheiden. Der Durchbruch der Humanismus-Rezeption nördlich der Alpen erfolgte in der Tat erst sehr viel später, Mitte des 15. Jhs.[26], und wenn ein Konzil daran maßgebenden Anteil hatte, dann das Basler, nicht so sehr das Konstanzer[27]. Den Konstanzer Anteil an der Humanismus-Rezeption nördlich der Alpen sollte man dennoch nicht geringschätzen. Wir stehen mit dem Konstanzer Konzil ganz sichtlich erst an deren Anfang; da darf man nicht auf große Quantitäten hoffen, sondern muß für jeden einzelnen Nachweis dankbar sein. Diese der Zahl nach nicht allzu vielen Nachweise indizieren zwar noch keinen Durchbruch auf breiter Front, aber sie zeigen, daß in Konstanz erstmals in weithin sichtbarer Weise ein Tor aufgestoßen wurde, das humanistischen Geist außerhalb Italiens gelangen ließ.

Man kann sogar noch weitergehen. Peter Lebrecht Schmidt hat am Beispiel der Schicksale einer in Konstanz im Auftrag des ermländischen Bischofs Johannes Abeczier angefertigten Cicero-Handschrift zeigen können, wie über die bloße Entdeckung und Sammlung von Texten der klassischen Antike hinaus in der Vermittlung der damit verbundenen Bildungsinhalte und Bildungsideale die Drehscheibenfunktion von Konstanz in Erscheinung tritt. Der Kopierauftrag nicht nur dieses Ciceronianus, sondern die ganze Physiognomie der sicher oder wahrscheinlich im Besitz dieses Bischofs befindlich gewesenen Bücher lassen Schmidt von Johannes Abeczier mit vollem Recht behaupten, „daß er, der sich den humanistischen Einflüssen in Konstanz (20) nicht entzog, zu einem ihrer ersten Repräsentanten im deutschen Nordosten wurde“[28].

 

VII.

Umgekehrt bot Konstanz den italienischen Humanisten einen Rahmen, in dem sie ihren Herzensanliegen vier Jahre lange frönen konnten. Muße dazu hatten sie genug, wie sie beteuerten! Wie sie mit ihrer Situation als Quasi-Exulanten fertigwurden, trug, wie wir sahen, sicherlich zum Teil ghettohafte Züge - Gelehrte exklusiv unter sich! Aber manchmal kam es doch zu einer Art Symbiose zwischen humanistischem Geist und Konstanzer Natur. Ein schönes Beispiel dafür ist der Brief, den Benedetto da Piglio am 14. Februar 1415, also schon bald nach seiner Ankunft und lange vor seinen humanistischen Vorlesungen, an seinen Bruder sandte mit einer Huldigung an Konstanz nach Art eines „Städtelobs“[29]. Es ist bezeichnend, daß von ihm und Leonardo Bruni - diesen der Stadt innerlich so fernstehenden italienischen Humanisten! - die ersten Beschreibungen von Konstanz stammen.

Doch was fand Benedetto mitteilenswert an ihr? „Konstanz ist eine kleine Stadt“, so führt er aus, „und kann doch wunderbarerweise viele Menschen beherbergen. Ihre Maße entsprechen in der Länge zwei Bogenschüssen (bona balista), in der Breite halb soviel.“ Das ist keine sehr präzise Angabe, aber an ihr will Benedetto demonstrieren, wie winzig klein die Stadt ist, und er kann es gar nicht fassen, wieviele Menschen dort doch Platz finden. Italien möge da nur ja ganz stille sein, denn dort gäbe es schwerlich eine Stadt, die Belastungen, wie sie ein ökumenisches Konzil mit sich brächte, gewachsen wäre. Der See wird gerühmt mit seinem (21) glasklaren, sauberen Wasser. Viele verschiedene und wohlschmeckende Fische schwimmen darin, der Rhein fließe hindurch, einen Hafen gebe es. Er habe drei Anlegestege, die jeweils ein Hafenbecken bildeten und eigene Tore hätten, deren mittleres auf das direkt am Hafen gelegene Rathaus zuführte. Es werden die fünf anderen Stadttore beschrieben, wie sie aussähen und wohin sie führten.

Das alles ist der geographische und architektonische Rahmen. Ein einziges Gebäude wird hervorgehoben: das Rathaus. Diesem kurialen Humanisten und Konzilsteilnehmer fiel es nicht ein, noch andere Gebäude zu erwähnen, zum Beispiel Kirchen. Auf die Geographie läßt er atmosphärische Eindrücke folgen, sehr persönlich gefärbt, aber üppig verziert mit antiken Reminiszenzen: Ohne ihr Verschulden würden die Bewohner der Stadt die Strafe für das Mahl des Thyest erleiden, der bekanntlich von seinem Bruder Atreus das Fleisch seiner eigenen Söhne vorgesetzt erhalten hatte, worauf die Sonne in ihrem Lauf kehrtmachte und das Land in Finsternis hüllte[30]. Denn das Antlitz der Sonne bekämen die Konstanzer kaum je zu sehen, fortwährend sei sie durch Wolken verdeckt. Seit er sich in Konstanz aufhalte, also von Ende Oktober 1414 bis Mitte Februar 1415, will er noch keinen vollen Sonnentag erlebt haben. Mal gebe es Wind, mal Schnee, dann Regen, und manchmal alles zusammen. Die Kälte habe man gefürchtet, als man hierher kam, aber sie sei eigentlich nicht so schlimm gewesen; in Bologna könne es kälter sein. Und gäbe es einmal wirklichen Frost, was selten vorkäme, dann wärme man sich am Kachelofen oder am Kamin.

(22) Vom Klima geht Benedetto über zu den Früchten der Natur: Feigenbäume wüchsen in Konstanz nicht, auch der „Baum der Athene“, der Ölbaum, fehle. Das Öl müsse vielmehr von weither importiert werden, und meistens verwende man Butter als Substitut. Aber von Konstanz weiß er nicht nur Mängel zu berichten: Gutes Weißbrot habe man, der Wein sei dem Falerner überlegen [was diesem vermutlich kein gutes Zeugnis ausstellt], im Überfluß vorhanden seien Fleisch, Milch, Käse, Eier, Fische, Äpfel, die noch im Februar frisch schmeckten, Weintrauben, deren Zeit zwar längst vorbei sei, die aber zur Erntezeit durchaus die nötigen Oexlegrade hätten. Kurz: Alles sei in verschwenderischer Fülle vorhanden, was nur erdenklich sei zur Befriedigung all dessen, was man zum Leben brauche, zu Körperpflege und Körperschmuck, zu Nutz von Mensch und Tier. Gottgesegnet sei Konstanz, oder besser, und humanisten-typisch: göttergesegnet, und Benedetto zählt die neuen Schutzpatrone der Stadt auf von Ceres und Bacchus bis zu Neptun und Thetis, die Nymphlein im Wasser nicht zu vergessen! „Die Mutter des Aeneas“ - bekanntlich Venus - könnte Konstanz besonders in ihr Herz geschlossen haben, sei doch der römische Bürger - nicht Kaiser! - Constantius ihr Namengeber gewesen.

Nun denn, in welcher Hinsicht die Liebesgöttin in Konstanz ein Zuhause hatte, will ich nicht näher untersuchen. Auf die halbseidene Seite der Venus-Verehrung wollte Benedetto jedenfalls nicht anspielen, denn er faßt den Grund für ihre Nennung in ein Frauenlob[31]: „So groß ist die Schar der herrlichsten Frauen und Jungfrauen, die durch ihre zarte Gesichtsfarbe den Schnee übertreffen, daß man auch von Konstanz mit Recht sagen kann, was Ovid von Rom behauptet: Äneas’ Mutter herrscht (constat!) in dieser Stadt.“

(23) Das Enkomium schließt mit einer Eloge auf die politische Führung (früher hätte man gesagt: Obrigkeit)[32]: „Konstanz kann etwas höcht Seltenes und Vortreffliches für sich in Anspruch nehmen - die Stadt blüht unter dem Regiment eines erlauchten und trefflichen Fürsten und genießt rein und unverfälscht die Freiheit!“ Das Motiv der bürgerlich-städtischen Freiheit ist kein beiläufiges Motiv bei einem italienischen Humanisten, das Interesse an der staatlich-städtischen Verfassung von Konstanz tritt uns auch in dem fast gleichzeitig abgefaßten Brief von Leonardo Bruni aus Konstanz entgegen. Wer die Freiheitsrhetorik der Florentiner Humanisten kennt, weiß, daß beides, rechte Stadtverfassung und bürgerliche Freiheit, in ihrer Sicht eine Einheit bildeten. Ob die Konstanzer Bürger das auch so sahen? Ob sie bei ihren städtischen Freiheiten, die sie gewiß hochhielten, an die Freiheit als Menschenrecht dachten, ist eher zweifelhaft. Wieweit sie Sigismunds Regiment, dem die Nachwelt keine Ruhmeskränze flocht, als Zeit der Blüte ansahen, sei ebenfalls dahingestellt. König Sigismund haben sie im Freskenzyklus der Kirche des Augustiner-Eremiten-Konvents, wo er sich während des Konzils zumeist aufgehalten hatte, zwar ein Denkmal gesetzt; aber er verließ die Stadt mit einem Sack voll Schulden. Das hat den städtischen Panegyriker des Konzils, Ulrich von Richental, zu grimmigen Bemerkungen in seiner Konzilschronik bewogen[33].

 

VIII.

Was tat ein Italiener in Konstanz sonst noch, wenn er nicht gerade nach vergrabenen Bücherschätzen suchte, Vorlesungen über antike Autoren vor illustrem Konzilspublikum hielt und Briefe über Konstanz schrieb, die von Sottisen über die alemannischen Tiermenschen ebenso strotzten wie von antiken Zitat-(24)schmuckstücken? Nun, in gewissem Umfang beobachtete man auch das Konzilsgeschehen, selbst wenn die dortige Agenda in den Humanistenbriefen in der Regel keinen Niederschlag gefunden hat. Es gibt jedenfalls nur wenige Äußerungen namhafter italienischer Humanisten zum Konzilsgeschehen, zwei[34] stammen erneut von Poggio.

Das eine ist eine Rede an die Konzilsväter über die Laster des Klerus[35], die jeder Kapuzinerpredigt zur Ehre gereicht hätte und die zu verstehen ist als Teil der großen Debatte, die namentlich gegen Konzilsende über die Kirchenreform „an Haupt und Gliedern„ geführt wurde. Viel leeres moralisches Stroh wird zwar da von Poggio gedroschen, reich garniert mit Cicero- und anderen Zitaten, obwohl unter anderem auch die Unsitte, gelehrten Putz an die Stelle inhaltlicher Substanz zu setzen, Gegenstand von Poggios Kritik war. Die Predigt besticht dennoch durch die beißende Schärfe, mit der Poggio die Reformgesinnung der Prälaten, die vordinglich „das Haupt“, d.h. das Papsttum, reformieren wollten, erst dann (und am besten gar nicht) „die Glieder“, d.h. sich selbst, als das geißelt, was sie war: als den Versuch der Kirchenfürsten in der zweiten Reihe, die Machtmittel der kurialen Spitze, des Papsttums also, in die eigenen Taschen zu lenken -  nichts sonst!

Die andere Äußerung Poggios ist ungemein bewegend. Auf sie will ich etwas ausführlicher eingehen und mir ihr schließen. Das ist ein Nachruf auf den am 30. Mai 1416 vom Konzil als Ketzer verurteilten böhmischen Reformer Hieronymus von Prag, ver-(25)brannt an gleicher Stelle wie ein knappes Jahr zuvor sein Freund und Weggefährte Jan Hus. Hieronymus von Prag hat mehrere Nachrufe bekommen: Von Freunden ist er als Märtyrer verklärt, von Gegnern als Ketzer beschimpft worden. Poggio, der Kuriensekretär, setzt ihm, dem böhmischen Ketzer, als einem Verwandten im humanistischen Geiste ein literarisches Denkmal! Das Denkmal hat die Form des Briefs, gerichtet an Leonardo Bruni. Der hier berührende Kernsatz lautet, in der etwas freien Übersetzung von Heinrich Finke[36]: „Du hättest den Tod irgend eines antiken Philosophen zu sehen geglaubt. Ja, mit größerem Mute und größerer Unerschrockenheit, als womit Hieronymus in den Flammentod ging, hielt auch einst Mucius Scaevola seine Hand nicht ins Feuer und trank Sokrates nicht seinen Giftbecher!“

Der Brief ist sensationell! An Vergleichbares kann ich mich aus dem ganzen Mittelalter nicht erinnern! Poggios Bewunderung ist echt. Gerade wenn wir seine Zeugnisse abgrundtiefer Verachtung für Unbildung ins Auge fassen, ist die Bewunderung für den Prager Magister der Artes ernst zu nehmen. Poggio schildert den Auftritt des Hieronymus vor dem versammelten Konzil als Kenner und Bewunderer rhetorischer Könnerschaft. „Ich gestehe“, so faßt er den Tenor seiner Würdigung zusammen[37], „daß ich niemals jemandem begegnet bin, der beim Vortrag seines Anliegens - aus dem Stegreif heraus! - an Beredsamkeit den antiken Vorbildern nähergekommen wäre, die wir so bewundern. Es war wunderbar zu erleben, mit welch ausgesuchten Worten, welcher Vortragskunst, welcher Argumentationskraft, (26) mit welchem Mienenspiel, welcher Stimmgewalt, welchem Selbstvertrauen er den Gegnern Antwort gab und zum Schluß sein Anliegen in freier Rede vortrug. Ein wahrer Jammer, daß ein so edler, ein so herausragender Geist sich mit solch nichtswürdigem Häresientrödel abgab - wenn es denn stimmt, was man ihm vorwirft!“ Poggio bewundert des Hieronymus Schlagfertigkeit, denn in seinen Repliken ist Präzision mit Witz gepaart. Er bewundert die rhetorische Brillianz, die über die elegante Wortwahl hinaus den ganzen Menschen umfaßt, in Stimme, Gestus usw. Er bewundert die Fülle der Gelehrsamkeit und den Geschmack in der Auswahl der gelehrten Argumentations-Schmuckstücke, denn sie entspricht in der Mischung von Antik-Heidnischem und Christlich-Patristischem ganz dem seinen; das kann man in Poggios Reform-Rede über die Laster des Klerus leicht vergleichen. Aufs höchste bewundert er aber, daß Hieronymus dieses Feuerwerk gelehrten Wissens aus dem Stand heraus abzubrennen vermochte, ohne alle Vorbereitung, denn in seinem Kerker hatte er ein Jahr lang kein Licht gesehen, geschweige denn etwas zu lesen gehabt. Wer das Gewebe der Zitatensplitter einer Poggio-Rede analysiert hat, der weiß, daß man eine Bibliothek braucht, um die rhetorischen Gemmen so zielsicher und in solcher Fülle einsetzen zu können. Dies alles aus dem Kopf heraus vorbringen zu können, erregt in Poggio daher die staunende Anerkennung des Fachmanns. Zum Schluß die Haltung des Mannes[38]: „Furchtlos, unerschrocken, voll Todesverachtung - einen zweiten Cato meint man zu erblicken!“ Das Ideal philologischer Gelehrsamkeit sieht Poggio also vereint mit dem Ethos eines Stoikers. „Ein[39] Mann wert unsterblichen Gedenkens!“ - auch das in Wort und Geist eine antike Reminiszenz! „Nicht daß ich seiner Kirchenkritik Beifall spende“, fährt (27) Poggio fort, „sondern seine Gelehrsamkeit bewundere ich, sein immenses Wissen, sein rhetorisches Feuer, den einschmeichelnden Fluß seiner Rede, die Schärfe seiner Repliken.“ Und düster schließt er: „Doch ich fürchte, daß all diese Schätze der Natur ihm nur zu seinem Verderben geschenkt worden sind.“ Mannhaft läßt er Hieronymus den Scheiterhaufen besteigen: Er habe darauf bestanden, daß das Feuer vor seinen Augen, nicht in seinem Rücken entzündet würde, und damit läßt ihn Poggio auch als groß handelnden, nicht bloß groß redenden Menschen in den Tod gehen, so wie man es in den damals beliebten biographischen Abrissen über die großen Männer der Antike beispielhaft geschildert fand. Hoc modo vir praeter fidem egregius consumptus est. „So wurde dieser Mann ein Raub der Flammen, der - abgesehen von seinem Glauben - einer der ganz Großen war.“ Vidi hunc exitum, singulos actus inspexi. „Ich sah die Hinrichtung, jeden einzelnen Vorgang konnte ich beobachten.“ Sive perfidia, sive pertinacia hoc egerit, certe ex philosophiae schola virum interemptum esse descripsisses. „Ob er nun aus Verrat am Glauben oder wegen Verstocktheit auf den Scheiterhaufen kam,“ - den charakteristischen Verurteilungsgründen für Häresie! - „eines ist sicher: man muß das Ende dieses Mannes als den Tod eines Philosophen beschreiben!“ Dies der Schluß von Poggios Nachruf auf Hieronymus von Prag!

Poggio hat dafür in unserer Zeit viel Anerkennung gefunden[40]. Das hat er auch verdient, aber wichtiger als die moralische Wertung ist für uns die historische[41]: Glaubensgegensätze wurden offensichtlich irrelevant gegenüber einem aus gelehrter Bildung erwachsenen Verhalten edler Menschlichkeit. Das läßt (28) sich schon bei Dante beobachten, macht man sich klar, daß in seinem „Inferno“ nicht nur die interessanteren Figuren der Weltgeschichte sitzen, sondern zu einem großen Teil vor allem solche, denen praeter fidem oder außer irgendeinem anderen Gebrechen nichts an wahrem Menschentum gefehlt hätte. Wenn der kuriale Kleriker Poggio, in Dantes Spuren wandelnd, in dem böhmischen Ketzer Hieronymus einen Geistesverwandten erblickte, dann kommt darin eine das Mittelalter revolutionierende Veränderung zum Ausdruck: Die Scheidelinie zwischen Gut und Böse, zwischen Wahr und Falsch, zwischen Freund und Feind verläuft nicht mehr entlang kirchlich-autoritativ festgelegten theologischen Dogmen, sondern neuer Gradmesser im Wertekanon wahren Menschseins wird die Vertrautheit mit antiker Bildung und dem ihr eigentümlichen Ethos. Mit unverhohlener Verachtung charakterisiert Poggio des Hieronymus’ dominikanische Gegner, als nähme er im Geiste die Dunkelmänner-Briefe eines Hutten vorweg. Die Dominikaner sind ihm Symbole einer verstaubten, abgelebten Geistigkeit, und damit ergibt sich zu ihnen im gleichen Maße, wenn auch aus anderem Grunde, dieselbe Feindschaft wie bei Hieronymus.

Man sollte bei Poggio nicht von Indifferenz in Glaubensdingen reden. Man kann vielmehr sagen, daß in Bezug auf rechten Glauben und rechtes Leben für ihn sehr wohl ein Wertekanon verbindlich gewesen ist - aber Poggios Christlichkeit war an antiker Geistigkeit und Moral orientiert, und an nichts sonst. Dieser Wertekanon darf als das schönste Vermächtnis des italienischen Humanismus an die Nachwelt gelten. Poggios Nachruf auf Hieronymus von Prag ist das vielleicht glänzendste Zeugnis dieser Gesinnung. Konstanz, sein Konzil und Italien sind damit untrennbar verbunden!



[1]              Der Bericht über das Ereignis in der ‘Chronik’ des Ulrich von Richental § 46-48, ed. Otto Feger, Das Konzil zu Konstanz 1414-1418, Bd. 1: Faksimile, Bd. 2: Kommentar und Text (Sigmaringen 1964), hier Bd. 2 S. 169-171; dazu Hermann Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Tradition als historische Kraft, hg. von N. Kamp und J. Wollasch (Berlin 1982) S. 388-411; ders., Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 39 (1983) S. 131-206, hier S. 169ff.

[2]              Zu ihm Giuseppe Cammelli, I dotti bizantini e le origini dell’Umanesimo, Bd. 1: Manuele Crisolora (Firenze 1941). Vgl. zum folgenden auch Roberto Weiss, Gli inizi dello studio del greco a Firenze, in: ders., Medieval and Humanist Greek. Collected Essays (Padova 1977) S. 227-254.

[3]              Demetrios Kydones, Briefe. Übersetzt und erläutert von  Franz Tinnefeld, Bd. 1, 1 (Stuttgart 1981) S. 11f.  Die Nachweise für des Manuel Chrysoloras Vertrautheit mit der lateinischen Kultur bei Cammelli S. 36f.

[4]              Ludwig Bertalot, Cincius Romanus und seine Briefe, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 21 (1929-30) S. 209-255, hier S. 221f.

[5]              Ante aram situs est dominus Manuel Chrissolora, miles Constantinopolitanus, ex vetusto genere Romanorum, qui cum Constantino imperatore migrarunt: Vir doctissimus, prudentissimus, optimus, qui tempore generalis concilii Constantiensis diem obiit, ea extimatione, ut ab omnibus summo sacerdotio dignus haberetur. Die XV Aprilis conditus est Mo CCC XVo . Der Text nach der Abbildung der Grabplatte bei Helmut Maurer, Konstanz im Mittelalter, 2 Bde. (Konstanz 1989), hier Bd. 2, S. 45. Diese und die anderen unter den Humanisten kursierenden, voneinander leicht abweichenden Versionen der Inschrift bei Cammelli S. 167-169. Als ihr Verfasser gilt Pier Paolo Vergerio.

[6]              Bertalot (wie Anm. 4) S. 210f.

[7]              Leonardo Bruni, Brief IV 3, ed. Laurentius Mehus, Leonardi Bruni Arretini epistolarum libri VIII, Bd. 1 (Florentiae 1741) S. 102-109, hier S. 107f.: De Constantiae antiquitate et origine, cum saepe a quibusdam civibus quaesissem, nemo adhuc michi occurrit, qui vel avi sui nomen et memoriam nedum urbis tenere videretur. Ego cum diligentius perscrutarer, tabulam inveni marmoream vetustas litteras continentem, ex quibus apparet a Constantio, Constantini patre, qui a Diocletiano et Maximiano caesar dictus est, hanc urbem nomen coepisse, cum prius Vitodura nuncuparetur. Hanc tabulam nemo Constantiensium legere scit, tenetque vulgus opinio esse santuarium quoddam praecipuae religionis. Itaque mulierculae et cetera imperita turba fricandis per eam manibus et ad faciem refricandis iam litteras pene totas ex tabula deleverunt, cum ibi scripta sint non sanctorum Christi, sed persecutorum Christianae fidei nomina. Vgl. Francesco Paolo Luiso, Studi su l’epistolario di Leonardo Bruni (Studi storici 122-124, Roma 1980) S. 81f. Siehe auch Maurer, Konstanz im Mittelalter 1, S. 72. Leonardo Brunis Schilderung machte Schule: Die Weltchronik des Hartmann Schedel, 1493 bei Koberger in Nürnberg gedruckt, vermittelte der deutschlesenden gelehrten Welt das Bild der Stadt Konstanz vornehmlich in Form einer Paraphrase von Leonardos Bericht (fol. 240v-241r).

[8]              Poggio Bracciolini, Lettere I: Lettere a Niccolò Niccoli, a cura di Helene Harth (Firenze 1984) S. 128-135, Nr. 46. S. 128: ... Dicebam multa de litteris ebraicis, quibus operam dabam, plura iocabar in doctorem ipsum, ut captus eorum est, qui ex iudeis christiani efficiuntur, virum levem, insulsum atque inconstantem; litteras vero ac doctrinam ut rudem, incultam atque agrestem facetiis quibusdam leviter perstringebam.

[9]              Es fand sich indessen eine humanistische Abschrift der Komödien [Vat. lat. 3870], deren Glossen der Plautus-Herausgeber Ritschl mit guten Gründen Poggio zuweisen konnte; vgl. Cesare Questa, Per la storia del testo di Plauto nell’umanesimo, I: La „recensio“ di Poggio Bracciolini (Quaderni Athena 6, Roma 1968). Das bildet denn doch eine Brücke zu C. F. Meyers Dichtung.

[10]             Remigio Sabbadini, Le scoperte dei codici latini e greci ne’ secoli XIV e XV. Edizione anastatica con nuove aggiunte e correzioni dell’autore a cura di Eugenio Garin (Bibliotexa storica del Rinascimento 4, Firenze 1967) S. 72-84, 191-193.

[11]             Man identifiziert den St. Galler Quintilian mit dem heutigen Codex C 74a der Zentralbibliothek Zürich. Vgl. Leo Cunibert Mohlberg, Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, Bd. 1: Mittelalterliche Handschriften (Zürich 1951) S. 41. Siehe auch Paul Lehmann, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Bd. 1: Die Bistümer Konstanz und Chur (München 1918) S. 57, 64, 118.

[12]             Cencio Rustici (wie Anm. 15) erwähnt diese Funde; Poggio hielt sie nicht für der Rede wert.

[13]             Asconius Pedianus zu 5 Reden Ciceros; ein anonymer Kommentar zu den Reden in Verrem; Sabbadini S. 78.

[14]             Vgl. Enrico Flores, Le scoperte di Poggio e il testo di Lucrezio (Napoli 1980).

[15]             Poggio, Brief I 5 an Guarino, ed. Thomas De Tonellis 1 (Florentiae 1832) S. 25-29, bes. S. 28f. [= anastatischer Nachdruck in: Poggius Bracciolini, Opera omnia, besorgt von Ricardo Fubini, Bd. 3, Torino 1964]. Dazu der Parallelbericht bei Cencio Rustici, ed. Bertalot (wie Anm. 4) S. 222-225.

[16]             So Cencio in seiner Schilderung des Fundes, ed. Bertalot S. 223f.: .... eripite me - so würde die Büchersammlung ausrufen, wäre ihr Sprache verliehen - ab hoc carcere, in cuius tenebris tantum librorum lumen apparere non potest. Erant in monasterio illo abbas monachique ab omni litterarum cognitione alieni. O barbariem, Latine lingue inimicam! O perditissimam hominum colluvionem!

[17]             Poggio, ebd. S. 28f.: Fortuna quaedam fuit, cum sua, tum maxime nostra, ut, cum essemus Constantiae ociosi, cupido incesseret videndi eius loci, quo ille reclusus tenebatur. Est autem Monasterium Sancti Galli prope urbem hanc mil. pas. XX. Itaque nonnulli animi laxandi et simul perquirendorum librorum, quorum magnus numerus dicebatur, gratia eo perreximus. Ibi inter confertissimam librorum copiam, quos longum esset recensere, Quintilianum comperimus adhuc salvum et incolumem, plenum tamen situ et pulvere squalentem. Erant enim non in Bibliotheca libri illi, ut eorum dignitas postulabat, sed in teterrimo quodam et obscuro carcere, fundo scilicet unius turris, quo ne capitalis quidem rei damnati retruderentur. Atqui ego pro certo existimo, si essent, qui haec barbarorum ergastula quibus hos detinent viros rimarentur ac recognoscerent more maiorum, similem fortunam experturos in multis, de quibus iam est conclamatum. ....

[18]             Vgl. Paul Lehmann, Mittelalterliche Bibliothekskataloge (wie Anm. 11) S. 57.

[19]             Den Brief edierte erstmals A. C. Clark, The Literary Discoveries of Poggio, in: The Classical Review 13 (1899) S. 119-130, hier S. 125. Dazu Enrico Flores, Le scoperte di Poggio (wie Anm. 13) S. 33f. Anm. 3 sowie S. 79-83.

[20]             Ediert von Wilhelm Wattenbach, Benedictus de Pileo, in: Festschrift zur Begrüßung der 24. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, veröffentlicht von dem historisch-philologischen Vereine zu Heidelberg (Leipzig 1865) S. 97-131, hier S. 124-127. Vgl. das Incipit: Forte sub umbrosa cepit Constantia silva / Pastores; ... Dazu das Postskript: Ex nemore Constantiensi, XVI Kl. Novembris, anno etc. 1416.

[21]             Vgl. Ludwig Bertalot, Benedictus de Pileo in Konstanz, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 29 (1938-1939) S. 312-316.

[22]             Das Zitat nach Charles Samaran - Robert Marichal, Catalogue des manuscrits en écriture latine portants des indications de date, de lieu ou de copiste 5 (Paris 1965) S. 301: Ego Guillelmus cardinalis S. Marci hunc librum, quem habere multis annis prosequtus sum et habitum de Florencia transcribi hic feci, dono bibliothece ecclesie Remensis. Quem bene custodiri precor; credo enim hunc esse primum in Galliis. Scriptum manu propria Constancie, in concilio generali, anno ... Domini 1418, mense Ianuario. Die Warnung hatte Erfolg. Vgl. den Eintrag des Reimser Bibliothekars: Hic cathenatus 10o Februarii, anno 1417. Es handelt sich um die Hs. Reims, Bibl. mun. 1320. Ebd. S. 302 weitere Schenkungen Fillastres an das Reimser Kathedralkapitel, die der Kardinal teilweise ebenfalls in Konstanz hatte kopieren lassen: Reims Nr. 1321, 1322, 1337, 1338. Siehe auch Jürgen Miethke, Die Konzilien als Forum der öffentlichen Meinung im 15. Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 37 (1981) S. 736-773, hier S. 764.

[23]             Jacopo Angeli, auch er aus dem Schülerkreis des Manuel Chrysoloras, hatte das von seinem Lehrer begonnene Übersetzungswerk 1409 vollendet und ein Jahr später dem gelehrten Humanisten-Papst Alexander V. überreicht. Vgl. Roberto Weiss, Jacopo Angeli da Scarperia (ca. 1360 - 1410/11), in: ders., Medieval and Humanist Greek (wie Anm. 2) S. 255-277, bes. S. 270. Der Titel „Geographia“ stammt von Manuel Chrysoloras; Jacopo Angeli wählte die Überschrift „Cosmographia“, die sich auch in der Reimser Handschrift findet. Zur Titelgebung siehe Cammelli (wie Anm. 2) S. 180 mit Anm. 1.

[24]             Zu dem ganz ähnlichen Fall einer Cicero-Handschrift des ermländischen Bischofs Johannes Abeczier siehe weiter unten.

[25]             Paul Lehmann, Konstanz und Basel als Büchermärkte während der großen Kirchenversammlungen (1921), benutzt nach dem Nachdruck in: ders., Erforschung des Mittelalters 1 (Leipzig 1941) S. 253-280.

[26]             Darin dürfte allgemeiner Konsens bestehen. Ich verweise nur auf Walter Rüegg, Das Aufkommen des Humanismus, in: Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, hg. von W. Rüegg (München 1993) S. 387-408, bes. S. 401ff.

[27]             Das wird aus allen einschlägigen Untersuchungen deutlich. Vgl. etwa Miethke (wie Anm. 22), oder Sabbadini (wie Anm. 12).

[28]             Peter Lebrecht Schmidt, eine Cicero-Handschrift des ermländischen Bischofs Johannes Abeczier, Rheinisches Museum für Philologie, N.F. 109 (1966) S. 170-184, hier S. 181. Schmidt konnte nachweisen, daß Ciceros Schrift „De legibus“ im heutigen Vat. Reg. Lat. 1481 (der aus dem Besitz der schwedischen Königin Christine, der Tochter Gustav Adolfs, in die Vatikanische Bibliothek gelangte) in Konstanz für den ermländischen Bischof Johannes Abeczier aus Poggios Autugraph kopiert worden war.

[29]             Ediert von Wattenbach, Benedictus de Pileo S. 128-131.

[30]             Das in der antiken Dichtung vielfach behandelte Motiv möglicherweise nach Lucan, Phars. I 538-544: ... / Iam Phoebe toto fratrem cum redderet orbe, / Terrarum subita percussa expalluit umbra. / Ipse caput medio Titan cum ferret Olympo, / Condidit ardentes atra caligine currus / Involvitque orbem tenebris gentesque coegit / Desperare diem; qualem fugiente per ortus / Sole Thyesteae noctem duxere Mycenae. Siehe aber auch Seneca, Thyestes v.v. 776/777: O Phoebe patiens, fugeris retro licet / medioque raptum merseris caelo diem. Das Motiv scheint unter den in Konstanz weilenden Humanisten recht beliebt gewesen zu sein. Es findet sich auch in dem Anm. 19 zitierten Poggio-Brief.

[31]             Ich folge der Übersetzung von Heinrich Finke, Bilder vom Konstanzer Konzil, in: Neujahrsblätter der Badischen Historischen Kommission, N. F. 6 (Heidelberg 1903) S. 69. Das Original: Tanta enim speciosissimarum et pulcerrimarum dominarum ac puellarum nivem candore vincentium multitudo datur hic conspici, ut decenter et huic loco convenire videatur ille Nasonis nostri versiculus de Roma compositus: „Mater et Aeneae constat in urbe sua.“

[32]             Wattenbach, Benedictus de Pileo S. 131: Accedit his quod perrarum atque optimum est: haec civitas sub serenissimo atque optimo principe floret ac sincera et vera fruitur libertate.

[33]             Ulrich von Richental § 305 und 306, ed. Feger (wie Anm. 1) Bd. 2, S. 258f.

[34]             Finke (wie Anm. 31) S. 63 erwähnt darüber hinaus noch eine Streitschrift an das Kardinalskollegium aus den letzten Tagen des Konzils, als es anläßlich der Papstkrönung Martins V. angeblich zu einem Vorrangstreit zwischen päpstlichen Notaren und Sekretären gekommen sei, eine Auseinandersetzung, in die auch Leonardo Bruni eingegriffen hätte. Diesen Streit gab es, und die entsprechenden literarischen Äußerungen ebenfalls, der Vorgang betrifft aber nicht mehr das Konstanzer Konzil, sondern ist auf 1426 zu datieren. Vgl. F. P. Luiso (wie Anm. 7) S. 104f. mit Anm. 107.

[35]             Herausgegeben von Riccardo Fubini, Il ‘teatro del mondo’ nelle prospettive morali e storico-politiche di Poggio Bracciolini, in: Poggio Bracciolini, 1380-1980. Nel VI centenaio della nascita (Firenze 1982) S. 1-136, hier S. 93-132.

[36]             Finke (wie Anm. 31) S. 64. Den lateinischen Orignaltext edierte am besten Václav Novotný, Fontes rerum Bohemicarum 8 (Praha 1932) S. 323-334, hier S. 334: ... res tibi narrare (volui) paululum similes historiis priscorum. Nam neque Mutius ille tam fidenti animo passus est membrum uri, quam iste universum corpus. Neque Socrates tam sponte venenum bibit, quam iste ignem suscepit.

[37]             Ebd. S. 324: Fateor, me neminem unquam vidisse, qui in causa dicenda, praesertim capitis, magis accederet ad facundiam priscorum, quos tantopere admiramur. Mirum est vidisse, quibus verbis, qua facundia, quibus argumentis, quo vultu, quo ore, qua fiducia responderit adversariis ac demum causam perorarit, ut dolendum sit, tam nobile ingenium tamque axcellens ad illa haeresis studia divertisse, si tamen vera sunt, quae sibi obiciuntur.

[38]             Ebd. S. 332: Stabat impavidus, intrepidus, mortem non contemnens solum, sed eciam appetens, ut alterum Catonem dixisses.

[39]             Ebd.: O virum dignum memoria hominum sempiterna! Non laudo, si quid adversus instituta ecclesiae sentiebat; doctrinam admiror, rerum plurimarum scientiam, eloquentiam, dicendi suavitatem et argutiam resondendi; sed vereor, ne omnia in pestem suam sibi fuerint a natura concessa.

[40]             Ich zitiere nur als eine von vielen Stimmen, freilich eine der gewichtigsten, František Šmahel, Poggio und Hieronymus, in: Studien zum Humanismus in den böhmischen Ländern, hg. von H.-B. Harder u.a. (Köln - Wien 1988) S.75-91.

[41]             Meine Einschätzung berührt sich in manchem mit Hubert Herkommer, Die Geschichte vom Leiden und Sterben des Jan Hus als Ereignis und Erzählung, in: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, hg. von L. Grenzmann und K. Stackmann (Stuttgart 1984) S. 114-145, hier S. 123f. Siehe auch Šmahel S. 78f.