XXXV. Der italienische Humanismus auf dem Konstanzer
Konzil (1414-1418)
(5)
Wer im weiten Felde der
Geschichte nach dem Augenblicke sucht, zu dem Konstanz weltgeschichtliche
Bedeutung besaß, der sieht sich auf die Zeit des Konstanzer Konzils verwiesen.
Und wer die Suche unter den besonderen Aspekt der Verbindung zwischen Konstanz
und Italien stellt, der wird sein Augenmerk auf Renaissance und Humanismus
richten. In den vier Jahren von 1414 bis 1418 war Konstanz das erste und bisher
einzige Mal in seiner Geschichte Drehscheibe der abendländischen Welt,
versammelte sich in seinen Mauern, was Rang und Namen in Europa hatte, und mehr
als jemals sonst verlieh Italien der Stadt Glanz. Dies durch nichts anderes als
eine Schar erlauchter Geister, die jene Ideale menschlicher Bildung und
Gesinnung verkörperten, die man mit dem Begriff des Humanismus verbindet.
Doch neben Personen von Geist entsandte Italien nach Konstanz
Personen, die die Aura der Macht umgab. Der römische König und spätere Kaiser
Sigismund steht an der Spitze der illustren Besucher - Italiener gewissermaßen
von Berufs wegen! König von Ungarn war er, König von Böhmen sollte er - nicht
gerade zu seinem Glück! -später auch noch werden, aber seine vornehmste
Herrscherwürde gründete sich zweifellos auf das Imperium Romanum, und das hieß
gemäß der seit Friedrich II. Tradition gewordenen Herrscherideologie: Sigismund
amtierte in Konstanz in der Nachfolge des Kaisers Augustus - unbestreitbar
eines Italieners. Sichtbar wurde das aller Welt bei seinem feierlichen Einzug
in Konstanz an Heiligabend 1414[1],
als er im Münster bei der Weihnachtsmette höchstpersönlich die Worte (6) des Weihnachtsevangeliums las: Exiit edictum a Caesare Augusto ...!
König Sigismund hatte wie kein anderer am Zustandekommen des Konstanzer Konzils
Anteil gehabt, er hat ihm und dessen Agenda den Stempel seines politischen
Willens aufgedrückt - und vor allem: er hat durch seine fast permanente
Gegenwart Konstanz für vier Jahre zur gar nicht einmal heimlichen Hauptstadt
seines, des Römischen Reiches gemacht. Dieses Reich war damals noch nicht auf
die kümmerliche titularische Größe eines „Römischen Reiches„ bloß „deutscher
Nation„ zusammengeschrumpft, sondern meinte noch das ganze universale Reich des
christlichen Weltenherrschers. Konstanz war also, dank römisch-imperialer
Herrschernähe, für vier Jahre ein regelrechtes zweites Rom, Mittelpunkt der
westlichen Hemisphäre.
Dies aber auch deshalb, weil sich neben
dem Kaiser ein Papst in Konstanz aufhielt, um genau zu sein, waren es sogar am
Ende deren zwei: einer, der das Konzil einberufen hatte und den das Konzil
absetzte, und einen, den es der Christenheit als „papa indubitatus“ am Ende
gab. Die bête noire war bekanntlich Johannes XXIII., die Transfiguration des
Papsttums zu erneuerter Lichtengel-Qualität vollzog sich mit Martin V. aus dem
römischen Adelsgeschlecht der Colonna, der als Wiederbegründer des
Kirchenstaates, ja als Wiederbegründer der Römischen Kirche in die Geschichte
eingegangen ist.
Johannes XXIII. steht nicht ohne Grund in
üblem Ansehen, aber seine schlechte Presse hat er doch nicht ganz verdient. Er
war als Papst wie als Mensch nicht schlechter als die meisten seiner Vorgänger
oder Nachfolger. Für unser Thema hatten sein Papat wie sein Besuch in Konstanz
jedenfalls schlechthin konstitutive Bedeutung. Denn der italienische Humanismus
hatte seine Hauptwirkungsstätte neben dem Florenz der Medici an der päpstlichen
Kurie. In Konstanz hielt er daher Einzug im Gefolge keines anderen als des
verfemten Papstes Johannes XXIII.! Ihn begleitete die meist noch jugendliche
Garde jener Männer, die dem Humanismus der italienischen Renaissance damals das
Gesicht gaben.
I.
(7) Beginnen will ich meine Skizze mit einem
Mann, der in Konstanz auch sein Grab fand und damit sehr real zu einem Teil der
Stadt geworden ist! Gemeint ist, was auf den ersten Blick erstaunen mag, ein
Grieche aus Byzanz, Manuel Chrysoloras[2].
Er fand die letzte Ruhe im Chor der ehemaligen Dominikanerkirche, das heißt im
innersten Sakralraum jenes Orts, welcher der italienischen Nation der
körperschaftlich in „Nationen“ gegliederten Konzilsversammlung als
Tagungsstätte diente. Bedeutend als Mann der Kirche wie als Humanist, schien
Manuel Chrysoloras seinen Freunden der rechte Mann zu sein für einen Papst, der
nicht nur das seit 1378 andauernde Große Abendländische Schisma, sondern der
auch das viel ältere, seit 1054 schon bestehende Schisma zwischen der römischen
und der griechischen Kirche werde überwinden können. Dazu schienen diesen Mann
seine griechische Herkunft zu prädestinieren wie seine diplomatische Erfahrung
im Dienst des Basileus (Manuels II.), auch seine gelehrte Bildung, die ihn als
Freund des bedeutenden Theologen Demetrios Kydones - dem man nachsagte, daß er
sein Latein an des Thomas von Aquin „Summa contra gentiles“ erlernt hätte[3]
- mit der abendländischen Tradition hatte vertraut werden lassen. Die hohe
Wertschätzung für Manuel Chrysoloras ergab sich aber vor allem aus der Tasache,
daß ihm die Herzen der Wortführer des neuen humanistischen Bildungsideals
zugeflogen waren, die in ihm einen der ihren sahen. Denn zwischen Ost und West
pendelnd, hatte er sich von Coluccio Salutati, dem Staatskanzler von Florenz,
verpflichten lassen, dort griechische Sprache und Literatur zu lehren; mit ihm
nahm die Wiederansiedlung des (8)
Griechischen im Kanon abendländisch-humanistischer Bildung ihren Anfang. Ein
Leonardo Bruni und Pier Paolo Vergerio zählten zu seinen Schülern, für sie
verfaßte er seine „Fragen der griechischen Sprache“ (¸ñùôÞìáôá ôyò eëëçíéêyò
ãëþóóçò), d.h. die erste griechische Elementargrammatik in Italien. Als einen
„göttergleichen Mann„ (homo prope divinus)
von „überwältigender ‘Humanität’“ - incredibili
humanitate - rühmt ihn der ihm freundschaftlich verbunden gewesene Cencio Rustici
in einem Brief aus Konstanz, mit dem er Manuels Sohn Johannes zum Tod des
Vaters kondolierte[4].
‘Humanitas’ - das ist die zentrale Kategorie im Wertekanon der italienischen
Humanisten!
Diesem Mann also erwies die „italienische
Konzilsnation“ die Ehre, im Kirchenchor ihrer Tagungsstätte begraben zu werden,
und sie stiftete ihm eine noch heute erhaltene, in der sog. Bischofsstube des
heutigen Inselhotels eingemauerte Grabplatte, auf der sich die schönen, vom
Geist des Humanismus durchdrungenen Worte finden[5]:
Vor diesem Altar ruht der Ritter Manuel Chrysoloras aus Konstantinopel,
aus altem römischem Adelsgeschlecht, das im Gefolge Kaiser Konstantins <aus
Rom> ausgewandert war: Ein exzellenter Mann, gelehrt und klug, der zur Zeit
des Konstanzer Konzils verstarb. So hoch war sein Ansehen, daß er von allen als
würdig des höchsten geistlichen Amtes erachtet wurde. Man bestattete ihn am 15.
April 1415.
(9) Die unangemessene Ritter-Bezeichnung
(miles; Vergerio schreibt antikisierend eques) und die fiktive Auswanderung
seiner ‘adligen’ Vorfahren mit Kaiser Konstantin dem Großen nach
Byzanz/Konstantinopel, der im Jahre 330 zum zweiten Rom erhobenen neuen
Hauptstadt des Imperiums, machten den Griechen Manuel Chrysoloras
landsmannschaftlich zu einem verkappten Römer und sozial zu einem ebenbürtigen
Partner der hohen konziliaren Geistlichkeit. Dieser Grenzgänger zwischen
orthodoxem Osten und katholischem Westen, zwischen Griechenland und Italien,
erschien als die Verkörperung der Hoffnung auf Union all dessen, was die
Christenheit an Trennendem erlebt und noch vor Augen hatte. Daß er, der
Vermittler, auf einem Allgemeinen Konzil starb, hat daher Symbolwert. Daß er
dort im Schoß der italienischen Nation starb und begraben wurde aber war mehr
als ein Symbol - es hatte programmatische Bedeutung im Sinne der neuen
Geistesart des Humanismus! Denn Manuel Chrysoloras war nicht nur dessen
Exponent, sondern er gehörte zu dessen Wegbereitern - und Konstanz ist ein
Zeuge dafür! Hier und nirgends sonst wurde die Rede des Aelius Aristides auf
Dionysos aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt, und zwar von Cencio
Rustici, dessen Kondolenzbrief zum Tode Manuels schon zu erwähnen war. Im
Vorwort seiner Übersetzung beruft sich Cencio bei Erläuterung seiner
Übersetzungsgrundsätze ausdrücklich auf seinen Lehrer Manuel Chrysoloras[6].
II.
Der zweite große Humanist, der hier zu
nennen wäre, ist Leonardo Bruni, eine der zentralen Gestalten des Florentiner
Humanismus. Er hielt sich nur kurze Zeit in Konstanz auf, bis zum Sturz Papst
Johannes’ XXIII., in dessen Entourage er zum Konzil gekommen war und das er
eilends verließ, als sein Herr und Meister zu flüchten suchte. Die Zeit reichte
immerhin für (10) einen
Stimmungsbericht aus Konstanz. Er trägt höchst ambivalente Züge, denn dem Humanisten
Bruni begegnete die so hoch geschätzte römische Vergangenheit in Konstanz in
Gestalt einer Tradition, deren Lebendigkeit ihn ebenso beeindruckte wie er sie
verächtlich fand. Im Mauerwerk der Mauritius-Rotunde des Münsters erblickte er
nämlich einen Stein, den Bischof Konrad im 10. Jh. als Spolie aus dem
ehemaligen römischen Kastell Oberwinterthur nach Konstanz hatte schaffen und in
das an das Hl. Grab erinnernde Mauritiusheiligtum einmauern lassen. Dort fand
sich eine Inschrift eingemeißelt, die den Namen eines Kaisers Constantius trug,
des Heros eponymos quasi der Stadt. Die Inschrift konnte zwar niemand in
Konstanz lesen, die Tafel galt indessen als Gegenstand besonderer religiöser
Verehrung, obwohl sie heidnischen Ursprungs war und eher in eine christenverfolgende
als den christlichen Glauben befördernde Tradition zu stellen wäre. An ihr
rieben sich, wie Leonardo naserümpfend berichtet, Frauen „und die übrige
ungebildete Menge“ die Hände, um sich danach über das Gesicht zu fahren, so daß
sie schon fast alle Buchstaben auf der Tafel gelöscht hätten[7].
Das empfand Leonardo Bruni wohl als Begegnung mit der Antike, aber in Form nur
von Mummenschanz!
III.
(11) Der dritte namhafte Humanist in Konstanz
war Poggio Bracciolini. Von ihm wird und muß hier viel die Rede sein, denn sein
Aufenthalt auf dem Konstanzer Konzil hat Furore gemacht! An ihm läßt sich am
besten erläutern, was unter dem Aspekt der Beziehung des italienischen
Humanismus zu Konstanz in den Jahren 1414-1418 epochale Bedeutung erlangt hat.
Poggio war als „scriptor apostolicus“,
also als berufsmäßiger Schreiber der päpstlichen Kanzlei - eine hochgeachtete
Position! -, nach Konstanz gelangt, und beim Schreiben zugezogene Beschwerden
an der Hand gaben ihm Veranlassung, im Frühjahr 1416 die warmen Quellen von
Baden-Baden aufzusuchen. Von dort schrieb er an den Freund Niccolò Niccoli
einen Brief, der vor allem wegen seiner anzüglichen Schilderung Baden-Badener
Badefreuden Berühmtheit erlangt hat. Ich nenne ihn aus anderem Grund. Denn
Poggio teilt dort auch mit, daß er in Konstanz bei einem konvertierten Juden
Hebräisch-Studien aufgenommen hätte. Damit wäre wohl die philologische Trias
des humanistischen Bildungsideals in seiner Person komplett gewesen, hätte er
von Hebräisch-Lehrer und hebräisch-sprachiger Literatur eine bessere Meinung
bekommen, als er sie gegenüber seinem Florentiner Freunde zum Ausdruck brachte:
Den Hebräisch-Lehrer nennt er einen Leichtfuß, dumm und wankelmütig. Die
Konversion des Mannes hatte auf Poggio einen denkbar ungünstigen Eindruck
gemacht. Für die hebräische Literatur hat er nur Worte wie „roh, unkultiviert,
bäurisch“ übrig, gerade wert, um Witze (facetiae!)
darüber zu reißen[8].
Das läßt auf eher oberflächliche Vertrautheit mit hebräisch-sprachigem
Schrifttum schließen. Immerhin, daß ein italienischer Humanist erst nach (12) Konstanz kommen mußte, um
Hebräisch zu lernen, verdient vermerkt zu werden!
Berühmt geworden ist Poggios Konstanzer
Aufenthalt aber natürlich vor allen Dingen wegen seiner Funde klassischer
Autoren in Bibliotheken des Bodenseeraums, aber auch an weiter entfernten Orten
wie etwa im burgundischen Cluny, im elsässischen Murbach oder im hessischen
Fulda, wohin ihn seit dem Frühjahr 1415 förmliche Suchkampagnen führten. Mit
der Novelle „Plautus im Nonnenkloster“ hat C. F. Meyer diesen Aspekt der
Verbindung italienischer Humanisten mit Konstanz und seinem Konzil literarisch
unsterblich gemacht, auch wenn er es dabei mit der historischen Treue nicht
allzu genau nahm. (Der Fund der Plautus-Komödien geht bekanntlich auf Nikolaus
von Kues zurück, ist auf 1425 zu datieren - also lange nach dem Konzil von
Konstanz - und trug sich in Köln zu[9]).
Es ist aber auch sensationell, was Poggio
an längst verloren geglaubten oder nur in lückenhafter Gestalt bekannten Werken
der Antike wiederfand[10]!
Am meisten Aufsehen erregte angesichts der hohen Wertschätzung rhetorisch
geschliffener Rede im Humanistenlager ohne Frage der seit Petrarca schmerzlich
vermißte vollständige Text von Quintilians „Institutio oratoria“ in St. Gallen[11],
die Poggio dort zusammen mit Teilen der „Argonautica“ des Valerius Flaccus fand
(I-III, zur Hälfte IV), zu (13)
schweigen von neuen Überlieferungen an sich schon bekannt gewesener Werke wie
Vitruvs „De architectura“, Priscians Kommentar zu Versen von Vergils Aeneis,
oder der Schrift „De opificio hominis“ von Laktanz[12].
Schätze wie neue Cicero-Briefe, Cicero-Reden oder Cicero-Kommentare[13]
tat er auf; den Humanisten gänzlich unbekannte Werke fand er wie „De rerum
natura“ des Lukrez, die 5 Bücher über Astronomie des M. Manilius oder die
„Silvae“ des Statius und nicht als geringstes, aus der Sicht des Historikers,
das Geschichtswerk des Ammianus Marcellinus[14].
Das ist ein ganz beträchtlicher Teil des uns bekannten antiken Bildungskanons!
Für die Such- und Findaktionen der Humanisten erlangte Konstanz dadurch
fundamentale Bedeutung!
Bezüglich der St. Galler Funde sind wir
über Details unterrichtet. Einesteils durch Poggio selbst, andernteils durch
Schilderungen seines schon erwähnten Freundes Cencio Rustici, der ihn dorthin
begleitet hatte[15].
Man fand die kostbaren Bücher dort im finsteren Gewölbe eines Turmes
aufbewahrt, den Poggio nicht einmal einem Kapitalverbrecher als Aufenthaltsort
gewünscht hätte. Der Quintilian war halb vermodert und ganz verstaubt. In den
engen Kerkern von Barbaren, die der Sprache ihrer Schätze gar nicht mächtig
wären[16],
müßten solche Autoren wie Gefangene schmachten - dies ein ständiger Refrain in
den Humanisten-(14)briefen der Zeit[17]!
Man kann es nachempfinden, wenn da ein Humanist von Ehre und Gewissen auf
Befreiung sann: Die gefundenen Werke wurden nach Konstanz ausgeliehen, den
Quintilian, die Argonautica und den Kommentar des Q. Asconius Pedianus zu
Ciceros Reden schrieb Poggio eigenhändig ab, seine Gefährten taten es ihm nach,
und triumphierend sandten sie Nachrichten über ihre Schatzfunde an die Freunde
daheim in Italien, wenn nicht sogar Abschriften der Werke selbst, so daß sich
die sensationelle Kunde wie ein Lauffeuer verbreitete.
IV.
Man mag die bitterbösen, von Arroganz und
Selbstgefälligkeit nicht freien Äußerungen Poggios und seiner humanistischen
Gefährten über den mangelhaften Bildungsstand der Besitzer jener ihnen so
teuren Geistesschätze übertrieben finden, aber die Begegnung der Humanisten mit
dem Bildungsdurchschnitt ihres Konstanzer Gastortes muß ein wahrer Kulturschock
gewesen sein. Man kann das nachvollziehen, hält man sich den Bildungsstand
eines St. Galler oder Reichenauer Mönches oder Abtes aus dieser Zeit vor Augen,
von denen wir wissen, daß sie von geistlicher Lebensart recht weit entfernt
waren und deren Bibliotheken - soweit noch vorhanden - mehr aus alten denn aus
neuen Büchern bestand[18].
Eine Bibliothek aber, die nicht ergänzt wird, (15) läßt erkennen, daß sie auch nicht benutzt wird! Doch selbst
wenn man sie hätte benutzen wollen, war das technisch nicht immer möglich. Denn
die Fähigkeit, alte, zumal vorkarolingische Schriften zu lesen, war im 15. Jh.
genauso selten anzutreffen wie heute. Die berühmten Funde eines Poggio aber
betrafen in der Regel gerade solche wirklich sehr alten Handschriften, und
benutzbar waren sie nur für den, dessen philologische Gewandtheit und
imaginatives Einfühlungsvermögen in den Text sich messen konnten mit der
sprachlichen Fertigkeit der Verfasser dieser Texte selbst. Ein Poggio besaß
diese Fähigkeit, und seine emendierende Hand ist vielfach nachgewiesen in
Originalüberlieferungen wie Abschriften damals aufgefundener Texte. Aber wie
muß er gelitten haben bei Lektüre der Kopieerzeugnisse seines ‘deutschen’, aus
Konstanz stammenden Schreibers, den er auf seine Hss.-Kampagnen des Jahres 1417
mitgenommen hatte! Den Silius Italicus, des Statius „Silvae“ und das
„Astronomicum“ des M. Manilius hatte er von diesem Berufsschreiber seines
Gastlandes kopieren lassen. „Der diese Werke abschrieb“, so klagt er seinem
Freund Francesco Barbaro, war „über die Maßen dumm“ (ignorantissimus omnium viventium fuit), und Fehlerzahl wie
Fehlerart der nachweisbar von der Feder dieses Konstanzer Schreibers
herrührenden Abschriften sind derart grotesk, sind derart bar jeden
Textverständnisses, daß man aus dem sprachlichen Unvermögen des Kopisten schon
wieder Kapital schlagen kann, denn bestimmte Fehlerformen lassen auf bestimmte
Schriftformen der Vorlage schließen - etwa auf bestimmte Merkmale der in
frühkarolingischer Zeit in Deutschland vielfach begegnenden angelsächsischen
Schrift - und geben damit sichere Anhaltspunkte für Textemendationen[19].
V.
(16) Ein Italiener aus der auch damals noch
nicht überwältigend großen Schar der humanistischen Bildungselite nahm Konstanz
also wahr als kulturelle Einöde, die Bewohner des Landes als Barbaren.
Fremdheit, ‘Alterität’, nicht Vertrautheit, ‘Identität’ war der erste und blieb
für diese Italiener vielfach auch der letzte Eindruck von Konstanz und seiner
Bevölkerung. Wenn man mit den Autochthonen nichts anzufangen wußte, blieb nur
der Weg der Zirkelbildung im Lager der Gleichgesinnten aus der Fremde. Einer
der in diesem Rahmen geistigen Austausch quasi institutionalisierte, war
Benedetto da Piglio, der im Gefolge des Kardinals Stefaneschi von Bologna nach
Konstanz gekommen war. Als Papst Johannes XXIII. aus Konstanz floh, suchte auch
Kardinal Stefaneschi das Weite, und mit ihm Benedetto da Piglio. Das Verlassen
des Konzils versuchten der König und seine Leute jedoch zu unterbinden, und wie
den Papst der König, so fing den Kardinal und dessen Gefolge der Graf von
Neuchâtel am Genfer See, und da der Kardinal wortbrüchig aus der zunächst
verhängten Ehrenhaft entwich, hielt sich der Graf an dem Gefolge schadlos und
steckte so auch Benedetto in den Kerker. Daraus befreite ihn erst nach längerer
Zeit die Intervention König Sigismunds, so daß er, wenn schon nicht in seine
Heimat Italien, doch wenigstens nach Konstanz zurückkehren konnte. Dort
verfaßte er Gedichte, unter anderem eine Ekloge auf seinen Retter König
Sigismund, worin Konstanz als gleichsam verwunschene Stadt in einer Waldwildnis
figuriert[20].
Doch was für die geistige Existenz eines Humanisten im Exil bezeichnender ist:
in Konstanz hat er Vorlesungen über die erbauliche Anekdoten- und Sprüchesammlung
des Valerius Maximus gehalten - (17)
ein beliebter Lesestoff in Humanistenkreisen! -, auch über Seneca und Lucan las
er. Sein Publikum, so läßt die Vorrede in seine Lucan-Vorlesung erkennen, ist
nicht das Konstanzer Bürgertum gewesen, sondern waren hochgestellte Teilnehmer
am Konzil[21].
Die Erfahrung der Andersartigkeit gegenüber der einheimischen Bevölkerung wird
also auszugleichen gesucht durch Gedankenaustausch mit anderen
Schicksalsgenossen, die derselbe Anlaß: eben das Konzil, nach Konstanz geführt
hatte. Die gebildete Schicht der Konzilsteilnehmer tritt uns als
nationenübergreifende Geisteselite entgegen, jedoch nur als ghettoartig
geschlossener Zirkel. Konstanz lieferte dafür den Rahmen, aber mehr auch nicht.
VI.
Wie die Konstanzer Rahmen-Funktion für
die Vermittlung humanistischen Wissens sonst noch aussehen konnte, sei
beispielhaft an dem Besitzeintrag einer Reimser Handschrift vor Augen geführt[22]:
„Ich, Wilhelm, Kardinal von S. Marco vermache dieses Werk, das ich viele Jahre
lang gesucht, endlich in Florenz ge-(18)funden
und hier“ - d.h. in Konstanz - „habe
abschreiben lassen, der Reimser Kirche. Ich bitte darum, gut darauf zu achten;
denn ich glaube, dies ist das erste Exemplar des Werks in Frankreich.“ Die Rede
ist von der „Geographie“ (Ãåùãñáößáò FÕöÞãçóéò) des Claudius Ptolemaeus, deren
das europäische Weltbild und die europäische Kartographie revolutionierende
lateinische Rezeption im Augenblick der Abschrift dieser Reimser Handschrift
noch keine zehn Jahre zuvor eingesetzt hatte[23].
Der Donator ist Guillaume Fillastre d. Ä., langjähriger Dekan des Reimser
Domkapitels, den Johannes XXIII. 1411 zum Kardinal erhoben hatte und der als
Mitglied von dessen Obödienz nach Konstanz gekommen war. Ein französischer
Prälat im Gefolge eines italienischen Papstes, der ein für die damalige
Geisteswelt bahnbrechendes antikes Werk aus Italien nach Konstanz kommen und
dort abschreiben läßt und diese Abschrift als den ersten Textzeugen des Werkes
am Ende nach Frankreich vermittelt - ich glaube nicht, daß es ein besseres
Beispiel gibt, an dem sich aufzeigen ließe, was es mit der Drehscheibenfunktion
von Konstanz zur Zeit des Konzils aus Sicht der Verbreitung
antik-humanistischen Schrifttums auf sich haben konnte[24]!
Die Bedeutung der geschilderten Vorgänge
ist dennoch nur schwer einzuschätzen. Paul Lehmann war in einem die Diskussion
bestimmenden Beitrag schon 1921 zu einer recht skeptischen Einschätzung gelangt[25].
Ungeachtet der ja unbestreitba-(19)ren
persönlichen Begegnungen, der Handschriften-Funde und Lehraktivitäten, fand er
die Ausbeute an Handschriften mit typisch humanistischen Inhalten in mittel-,
nord- und ost-europäischen Bibliotheken, die nachweislich auf Konstanz und das
Konzil zurückgehen, doch überaus bescheiden. Der Durchbruch der Humanismus-Rezeption
nördlich der Alpen erfolgte in der Tat erst sehr viel später, Mitte des 15.
Jhs.[26],
und wenn ein Konzil daran maßgebenden Anteil hatte, dann das Basler, nicht so
sehr das Konstanzer[27].
Den Konstanzer Anteil an der Humanismus-Rezeption nördlich der Alpen sollte man
dennoch nicht geringschätzen. Wir stehen mit dem Konstanzer Konzil ganz
sichtlich erst an deren Anfang; da darf man nicht auf große Quantitäten hoffen,
sondern muß für jeden einzelnen Nachweis dankbar sein. Diese der Zahl nach
nicht allzu vielen Nachweise indizieren zwar noch keinen Durchbruch auf breiter
Front, aber sie zeigen, daß in Konstanz erstmals in weithin sichtbarer Weise
ein Tor aufgestoßen wurde, das humanistischen Geist außerhalb Italiens gelangen
ließ.
Man kann sogar noch weitergehen. Peter
Lebrecht Schmidt hat am Beispiel der Schicksale einer in Konstanz im Auftrag
des ermländischen Bischofs Johannes Abeczier angefertigten Cicero-Handschrift
zeigen können, wie über die bloße Entdeckung und Sammlung von Texten der
klassischen Antike hinaus in der Vermittlung der damit verbundenen
Bildungsinhalte und Bildungsideale die Drehscheibenfunktion von Konstanz in
Erscheinung tritt. Der Kopierauftrag nicht nur dieses Ciceronianus, sondern die
ganze Physiognomie der sicher oder wahrscheinlich im Besitz dieses Bischofs
befindlich gewesenen Bücher lassen Schmidt von Johannes Abeczier mit vollem
Recht behaupten, „daß er, der sich den humanistischen Einflüssen in Konstanz (20) nicht entzog, zu einem ihrer
ersten Repräsentanten im deutschen Nordosten wurde“[28].
VII.
Umgekehrt bot Konstanz den italienischen
Humanisten einen Rahmen, in dem sie ihren Herzensanliegen vier Jahre lange
frönen konnten. Muße dazu hatten sie genug, wie sie beteuerten! Wie sie mit
ihrer Situation als Quasi-Exulanten fertigwurden, trug, wie wir sahen,
sicherlich zum Teil ghettohafte Züge - Gelehrte exklusiv unter sich! Aber
manchmal kam es doch zu einer Art Symbiose zwischen humanistischem Geist und
Konstanzer Natur. Ein schönes Beispiel dafür ist der Brief, den Benedetto da
Piglio am 14. Februar 1415, also schon bald nach seiner Ankunft und lange vor
seinen humanistischen Vorlesungen, an seinen Bruder sandte mit einer Huldigung
an Konstanz nach Art eines „Städtelobs“[29].
Es ist bezeichnend, daß von ihm und Leonardo Bruni - diesen der Stadt innerlich
so fernstehenden italienischen Humanisten! - die ersten Beschreibungen von
Konstanz stammen.
Doch was fand Benedetto mitteilenswert an
ihr? „Konstanz ist eine kleine Stadt“, so führt er aus, „und kann doch
wunderbarerweise viele Menschen beherbergen. Ihre Maße entsprechen in der Länge
zwei Bogenschüssen (bona balista), in
der Breite halb soviel.“ Das ist keine sehr präzise Angabe, aber an ihr will
Benedetto demonstrieren, wie winzig klein die Stadt ist, und er kann es gar
nicht fassen, wieviele Menschen dort doch Platz finden. Italien möge da nur ja
ganz stille sein, denn dort gäbe es schwerlich eine Stadt, die Belastungen, wie
sie ein ökumenisches Konzil mit sich brächte, gewachsen wäre. Der See wird
gerühmt mit seinem (21) glasklaren,
sauberen Wasser. Viele verschiedene und wohlschmeckende Fische schwimmen darin,
der Rhein fließe hindurch, einen Hafen gebe es. Er habe drei Anlegestege, die
jeweils ein Hafenbecken bildeten und eigene Tore hätten, deren mittleres auf
das direkt am Hafen gelegene Rathaus zuführte. Es werden die fünf anderen
Stadttore beschrieben, wie sie aussähen und wohin sie führten.
Das alles ist der geographische und
architektonische Rahmen. Ein einziges Gebäude wird hervorgehoben: das Rathaus.
Diesem kurialen Humanisten und Konzilsteilnehmer fiel es nicht ein, noch andere
Gebäude zu erwähnen, zum Beispiel Kirchen. Auf die Geographie läßt er
atmosphärische Eindrücke folgen, sehr persönlich gefärbt, aber üppig verziert
mit antiken Reminiszenzen: Ohne ihr Verschulden würden die Bewohner der Stadt
die Strafe für das Mahl des Thyest erleiden, der bekanntlich von seinem Bruder
Atreus das Fleisch seiner eigenen Söhne vorgesetzt erhalten hatte, worauf die
Sonne in ihrem Lauf kehrtmachte und das Land in Finsternis hüllte[30].
Denn das Antlitz der Sonne bekämen die Konstanzer kaum je zu sehen, fortwährend
sei sie durch Wolken verdeckt. Seit er sich in Konstanz aufhalte, also von Ende
Oktober 1414 bis Mitte Februar 1415, will er noch keinen vollen Sonnentag
erlebt haben. Mal gebe es Wind, mal Schnee, dann Regen, und manchmal alles
zusammen. Die Kälte habe man gefürchtet, als man hierher kam, aber sie sei
eigentlich nicht so schlimm gewesen; in Bologna könne es kälter sein. Und gäbe
es einmal wirklichen Frost, was selten vorkäme, dann wärme man sich am
Kachelofen oder am Kamin.
(22) Vom Klima geht Benedetto über zu den
Früchten der Natur: Feigenbäume wüchsen in Konstanz nicht, auch der „Baum der
Athene“, der Ölbaum, fehle. Das Öl müsse vielmehr von weither importiert
werden, und meistens verwende man Butter als Substitut. Aber von Konstanz weiß
er nicht nur Mängel zu berichten: Gutes Weißbrot habe man, der Wein sei dem
Falerner überlegen [was diesem vermutlich kein gutes Zeugnis ausstellt], im
Überfluß vorhanden seien Fleisch, Milch, Käse, Eier, Fische, Äpfel, die noch im
Februar frisch schmeckten, Weintrauben, deren Zeit zwar längst vorbei sei, die
aber zur Erntezeit durchaus die nötigen Oexlegrade hätten. Kurz: Alles sei in
verschwenderischer Fülle vorhanden, was nur erdenklich sei zur Befriedigung all
dessen, was man zum Leben brauche, zu Körperpflege und Körperschmuck, zu Nutz
von Mensch und Tier. Gottgesegnet sei Konstanz, oder besser, und
humanisten-typisch: göttergesegnet, und Benedetto zählt die neuen Schutzpatrone
der Stadt auf von Ceres und Bacchus bis zu Neptun und Thetis, die Nymphlein im
Wasser nicht zu vergessen! „Die Mutter des Aeneas“ - bekanntlich Venus - könnte
Konstanz besonders in ihr Herz geschlossen haben, sei doch der römische Bürger
- nicht Kaiser! - Constantius ihr Namengeber gewesen.
Nun denn, in welcher Hinsicht die
Liebesgöttin in Konstanz ein Zuhause hatte, will ich nicht näher untersuchen.
Auf die halbseidene Seite der Venus-Verehrung wollte Benedetto jedenfalls nicht
anspielen, denn er faßt den Grund für ihre Nennung in ein Frauenlob[31]:
„So groß ist die Schar der herrlichsten Frauen und Jungfrauen, die durch ihre
zarte Gesichtsfarbe den Schnee übertreffen, daß man auch von Konstanz mit Recht
sagen kann, was Ovid von Rom behauptet: Äneas’ Mutter herrscht (constat!) in dieser Stadt.“
(23) Das Enkomium schließt mit einer Eloge
auf die politische Führung (früher hätte man gesagt: Obrigkeit)[32]:
„Konstanz kann etwas höcht Seltenes und Vortreffliches für sich in Anspruch
nehmen - die Stadt blüht unter dem Regiment eines erlauchten und trefflichen
Fürsten und genießt rein und unverfälscht die Freiheit!“ Das Motiv der
bürgerlich-städtischen Freiheit ist kein beiläufiges Motiv bei einem
italienischen Humanisten, das Interesse an der staatlich-städtischen Verfassung
von Konstanz tritt uns auch in dem fast gleichzeitig abgefaßten Brief von
Leonardo Bruni aus Konstanz entgegen. Wer die Freiheitsrhetorik der Florentiner
Humanisten kennt, weiß, daß beides, rechte Stadtverfassung und bürgerliche
Freiheit, in ihrer Sicht eine Einheit bildeten. Ob die Konstanzer Bürger das
auch so sahen? Ob sie bei ihren städtischen Freiheiten, die sie gewiß
hochhielten, an die Freiheit als Menschenrecht dachten, ist eher zweifelhaft.
Wieweit sie Sigismunds Regiment, dem die Nachwelt keine Ruhmeskränze flocht,
als Zeit der Blüte ansahen, sei ebenfalls dahingestellt. König Sigismund haben
sie im Freskenzyklus der Kirche des Augustiner-Eremiten-Konvents, wo er sich
während des Konzils zumeist aufgehalten hatte, zwar ein Denkmal gesetzt; aber
er verließ die Stadt mit einem Sack voll Schulden. Das hat den städtischen
Panegyriker des Konzils, Ulrich von Richental, zu grimmigen Bemerkungen in
seiner Konzilschronik bewogen[33].
VIII.
Was tat ein Italiener in Konstanz sonst
noch, wenn er nicht gerade nach vergrabenen Bücherschätzen suchte, Vorlesungen
über antike Autoren vor illustrem Konzilspublikum hielt und Briefe über
Konstanz schrieb, die von Sottisen über die alemannischen Tiermenschen ebenso
strotzten wie von antiken Zitat-(24)schmuckstücken?
Nun, in gewissem Umfang beobachtete man auch das Konzilsgeschehen, selbst wenn
die dortige Agenda in den Humanistenbriefen in der Regel keinen Niederschlag
gefunden hat. Es gibt jedenfalls nur wenige Äußerungen namhafter italienischer
Humanisten zum Konzilsgeschehen, zwei[34]
stammen erneut von Poggio.
Das eine ist eine Rede an die
Konzilsväter über die Laster des Klerus[35],
die jeder Kapuzinerpredigt zur Ehre gereicht hätte und die zu verstehen ist als
Teil der großen Debatte, die namentlich gegen Konzilsende über die Kirchenreform
„an Haupt und Gliedern„ geführt wurde. Viel leeres moralisches Stroh wird zwar
da von Poggio gedroschen, reich garniert mit Cicero- und anderen Zitaten,
obwohl unter anderem auch die Unsitte, gelehrten Putz an die Stelle
inhaltlicher Substanz zu setzen, Gegenstand von Poggios Kritik war. Die Predigt
besticht dennoch durch die beißende Schärfe, mit der Poggio die Reformgesinnung
der Prälaten, die vordinglich „das Haupt“, d.h. das Papsttum, reformieren
wollten, erst dann (und am besten gar nicht) „die Glieder“, d.h. sich selbst,
als das geißelt, was sie war: als den Versuch der Kirchenfürsten in der zweiten
Reihe, die Machtmittel der kurialen Spitze, des Papsttums also, in die eigenen
Taschen zu lenken - nichts sonst!
Die andere Äußerung Poggios ist ungemein
bewegend. Auf sie will ich etwas ausführlicher eingehen und mir ihr schließen.
Das ist ein Nachruf auf den am 30. Mai 1416 vom Konzil als Ketzer verurteilten
böhmischen Reformer Hieronymus von Prag, ver-(25)brannt an gleicher Stelle wie ein knappes Jahr zuvor sein
Freund und Weggefährte Jan Hus. Hieronymus von Prag hat mehrere Nachrufe
bekommen: Von Freunden ist er als Märtyrer verklärt, von Gegnern als Ketzer
beschimpft worden. Poggio, der Kuriensekretär, setzt ihm, dem böhmischen
Ketzer, als einem Verwandten im humanistischen Geiste ein literarisches
Denkmal! Das Denkmal hat die Form des Briefs, gerichtet an Leonardo Bruni. Der
hier berührende Kernsatz lautet, in der etwas freien Übersetzung von Heinrich
Finke[36]:
„Du hättest den Tod irgend eines antiken Philosophen zu sehen geglaubt. Ja, mit
größerem Mute und größerer Unerschrockenheit, als womit Hieronymus in den
Flammentod ging, hielt auch einst Mucius Scaevola seine Hand nicht ins Feuer
und trank Sokrates nicht seinen Giftbecher!“
Der Brief ist sensationell! An
Vergleichbares kann ich mich aus dem ganzen Mittelalter nicht erinnern! Poggios
Bewunderung ist echt. Gerade wenn wir seine Zeugnisse abgrundtiefer Verachtung
für Unbildung ins Auge fassen, ist die Bewunderung für den Prager Magister der
Artes ernst zu nehmen. Poggio schildert den Auftritt des Hieronymus vor dem
versammelten Konzil als Kenner und Bewunderer rhetorischer Könnerschaft. „Ich
gestehe“, so faßt er den Tenor seiner Würdigung zusammen[37],
„daß ich niemals jemandem begegnet bin, der beim Vortrag seines Anliegens - aus
dem Stegreif heraus! - an Beredsamkeit den antiken Vorbildern nähergekommen
wäre, die wir so bewundern. Es war wunderbar zu erleben, mit welch ausgesuchten
Worten, welcher Vortragskunst, welcher Argumentationskraft, (26) mit welchem Mienenspiel, welcher
Stimmgewalt, welchem Selbstvertrauen er den Gegnern Antwort gab und zum Schluß
sein Anliegen in freier Rede vortrug. Ein wahrer Jammer, daß ein so edler, ein
so herausragender Geist sich mit solch nichtswürdigem Häresientrödel abgab -
wenn es denn stimmt, was man ihm vorwirft!“ Poggio bewundert des Hieronymus
Schlagfertigkeit, denn in seinen Repliken ist Präzision mit Witz gepaart. Er
bewundert die rhetorische Brillianz, die über die elegante Wortwahl hinaus den
ganzen Menschen umfaßt, in Stimme, Gestus usw. Er bewundert die Fülle der
Gelehrsamkeit und den Geschmack in der Auswahl der gelehrten
Argumentations-Schmuckstücke, denn sie entspricht in der Mischung von
Antik-Heidnischem und Christlich-Patristischem ganz dem seinen; das kann man in
Poggios Reform-Rede über die Laster des Klerus leicht vergleichen. Aufs höchste
bewundert er aber, daß Hieronymus dieses Feuerwerk gelehrten Wissens aus dem
Stand heraus abzubrennen vermochte, ohne alle Vorbereitung, denn in seinem Kerker
hatte er ein Jahr lang kein Licht gesehen, geschweige denn etwas zu lesen
gehabt. Wer das Gewebe der Zitatensplitter einer Poggio-Rede analysiert hat,
der weiß, daß man eine Bibliothek braucht, um die rhetorischen Gemmen so
zielsicher und in solcher Fülle einsetzen zu können. Dies alles aus dem Kopf
heraus vorbringen zu können, erregt in Poggio daher die staunende Anerkennung
des Fachmanns. Zum Schluß die Haltung des Mannes[38]:
„Furchtlos, unerschrocken, voll Todesverachtung - einen zweiten Cato meint man
zu erblicken!“ Das Ideal philologischer Gelehrsamkeit sieht Poggio also vereint
mit dem Ethos eines Stoikers. „Ein[39]
Mann wert unsterblichen Gedenkens!“ - auch das in Wort und Geist eine antike
Reminiszenz! „Nicht daß ich seiner Kirchenkritik Beifall spende“, fährt (27) Poggio fort, „sondern seine
Gelehrsamkeit bewundere ich, sein immenses Wissen, sein rhetorisches Feuer, den
einschmeichelnden Fluß seiner Rede, die Schärfe seiner Repliken.“ Und düster
schließt er: „Doch ich fürchte, daß all diese Schätze der Natur ihm nur zu
seinem Verderben geschenkt worden sind.“ Mannhaft läßt er Hieronymus den
Scheiterhaufen besteigen: Er habe darauf bestanden, daß das Feuer vor seinen
Augen, nicht in seinem Rücken entzündet würde, und damit läßt ihn Poggio auch
als groß handelnden, nicht bloß groß redenden Menschen in den Tod gehen, so wie
man es in den damals beliebten biographischen Abrissen über die großen Männer
der Antike beispielhaft geschildert fand. Hoc
modo vir praeter fidem egregius consumptus est. „So wurde dieser Mann ein
Raub der Flammen, der - abgesehen von seinem Glauben - einer der ganz Großen
war.“ Vidi hunc exitum, singulos actus
inspexi. „Ich sah die Hinrichtung, jeden einzelnen Vorgang konnte ich
beobachten.“ Sive perfidia, sive
pertinacia hoc egerit, certe ex philosophiae schola virum interemptum esse
descripsisses. „Ob er nun aus Verrat am Glauben oder wegen Verstocktheit
auf den Scheiterhaufen kam,“ - den charakteristischen Verurteilungsgründen für
Häresie! - „eines ist sicher: man muß das Ende dieses Mannes als den Tod eines
Philosophen beschreiben!“ Dies der Schluß von Poggios Nachruf auf Hieronymus
von Prag!
Poggio hat dafür in unserer Zeit viel
Anerkennung gefunden[40].
Das hat er auch verdient, aber wichtiger als die moralische Wertung ist für uns
die historische[41]:
Glaubensgegensätze wurden offensichtlich irrelevant gegenüber einem aus
gelehrter Bildung erwachsenen Verhalten edler Menschlichkeit. Das läßt (28) sich schon bei Dante beobachten,
macht man sich klar, daß in seinem „Inferno“ nicht nur die interessanteren
Figuren der Weltgeschichte sitzen, sondern zu einem großen Teil vor allem
solche, denen praeter fidem oder
außer irgendeinem anderen Gebrechen nichts an wahrem Menschentum gefehlt hätte.
Wenn der kuriale Kleriker Poggio, in Dantes Spuren wandelnd, in dem böhmischen
Ketzer Hieronymus einen Geistesverwandten erblickte, dann kommt darin eine das
Mittelalter revolutionierende Veränderung zum Ausdruck: Die Scheidelinie
zwischen Gut und Böse, zwischen Wahr und Falsch, zwischen Freund und Feind verläuft
nicht mehr entlang kirchlich-autoritativ festgelegten theologischen Dogmen,
sondern neuer Gradmesser im Wertekanon wahren Menschseins wird die Vertrautheit
mit antiker Bildung und dem ihr eigentümlichen Ethos. Mit unverhohlener
Verachtung charakterisiert Poggio des Hieronymus’ dominikanische Gegner, als
nähme er im Geiste die Dunkelmänner-Briefe eines Hutten vorweg. Die Dominikaner
sind ihm Symbole einer verstaubten, abgelebten Geistigkeit, und damit ergibt
sich zu ihnen im gleichen Maße, wenn auch aus anderem Grunde, dieselbe
Feindschaft wie bei Hieronymus.
Man sollte bei Poggio nicht von
Indifferenz in Glaubensdingen reden. Man kann vielmehr sagen, daß in Bezug auf
rechten Glauben und rechtes Leben für ihn sehr wohl ein Wertekanon verbindlich
gewesen ist - aber Poggios Christlichkeit war an antiker Geistigkeit und Moral
orientiert, und an nichts sonst. Dieser Wertekanon darf als das schönste
Vermächtnis des italienischen Humanismus an die Nachwelt gelten. Poggios
Nachruf auf Hieronymus von Prag ist das vielleicht glänzendste Zeugnis dieser
Gesinnung. Konstanz, sein Konzil und Italien sind damit untrennbar verbunden!
[1] Der
Bericht über das Ereignis in der ‘Chronik’ des Ulrich von Richental § 46-48,
ed. Otto Feger, Das Konzil zu Konstanz 1414-1418, Bd. 1: Faksimile, Bd. 2:
Kommentar und Text (Sigmaringen 1964), hier Bd. 2 S. 169-171; dazu Hermann
Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel,
in: Tradition als historische Kraft, hg. von N. Kamp und J. Wollasch (Berlin 1982)
S. 388-411; ders., Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in:
Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 39 (1983) S. 131-206, hier S.
169ff.
[2] Zu ihm Giuseppe Cammelli, I dotti
bizantini e le origini dell’Umanesimo, Bd. 1: Manuele Crisolora (Firenze 1941).
Vgl. zum folgenden auch Roberto Weiss, Gli inizi dello studio del greco a
Firenze, in: ders., Medieval and Humanist Greek. Collected Essays (Padova 1977) S. 227-254.
[3] Demetrios
Kydones, Briefe. Übersetzt und erläutert von
Franz Tinnefeld, Bd. 1, 1 (Stuttgart 1981) S. 11f. Die Nachweise für des Manuel Chrysoloras
Vertrautheit mit der lateinischen Kultur bei Cammelli S. 36f.
[4] Ludwig
Bertalot, Cincius Romanus und seine Briefe, in: Quellen und Forschungen aus
italienischen Archiven und Bibliotheken 21 (1929-30) S. 209-255, hier S. 221f.
[5] Ante aram situs est dominus Manuel
Chrissolora, miles Constantinopolitanus, ex vetusto genere Romanorum, qui cum
Constantino imperatore migrarunt: Vir doctissimus, prudentissimus, optimus, qui
tempore generalis concilii Constantiensis diem obiit, ea extimatione, ut ab
omnibus summo sacerdotio dignus haberetur. Die XV Aprilis conditus est Mo CCC XVo . Der Text nach der Abbildung der
Grabplatte bei Helmut Maurer, Konstanz im Mittelalter, 2 Bde. (Konstanz 1989),
hier Bd. 2, S. 45. Diese und die anderen unter den Humanisten kursierenden,
voneinander leicht abweichenden Versionen der Inschrift bei Cammelli S.
167-169. Als ihr Verfasser gilt Pier Paolo Vergerio.
[6] Bertalot
(wie Anm. 4) S. 210f.
[7] Leonardo Bruni, Brief IV 3, ed.
Laurentius Mehus, Leonardi Bruni Arretini epistolarum libri VIII, Bd. 1
(Florentiae 1741) S. 102-109, hier S. 107f.: De Constantiae antiquitate et origine, cum saepe a quibusdam civibus
quaesissem, nemo adhuc michi occurrit, qui vel avi sui nomen et memoriam nedum
urbis tenere videretur. Ego cum diligentius perscrutarer, tabulam inveni
marmoream vetustas litteras continentem, ex quibus apparet a Constantio,
Constantini patre, qui a Diocletiano et Maximiano caesar dictus est, hanc urbem
nomen coepisse, cum prius Vitodura nuncuparetur. Hanc tabulam nemo Constantiensium legere
scit, tenetque vulgus opinio esse santuarium quoddam praecipuae religionis.
Itaque mulierculae et cetera imperita turba fricandis per eam manibus et ad
faciem refricandis iam litteras pene totas ex tabula deleverunt, cum ibi
scripta sint non sanctorum Christi, sed persecutorum Christianae fidei nomina. Vgl.
Francesco Paolo Luiso, Studi su l’epistolario di Leonardo Bruni (Studi storici
122-124, Roma 1980) S. 81f. Siehe
auch Maurer, Konstanz im Mittelalter 1, S. 72. Leonardo Brunis Schilderung
machte Schule: Die Weltchronik des Hartmann Schedel, 1493 bei Koberger in
Nürnberg gedruckt, vermittelte der deutschlesenden gelehrten Welt das Bild der
Stadt Konstanz vornehmlich in Form einer Paraphrase von Leonardos Bericht (fol.
240v-241r).
[8] Poggio Bracciolini, Lettere I:
Lettere a Niccolò Niccoli, a cura di Helene Harth (Firenze 1984) S. 128-135,
Nr. 46. S. 128: ... Dicebam multa de
litteris ebraicis, quibus operam dabam, plura iocabar in doctorem ipsum, ut
captus eorum est, qui ex iudeis christiani efficiuntur, virum levem, insulsum
atque inconstantem; litteras vero ac doctrinam ut rudem, incultam atque
agrestem facetiis quibusdam leviter perstringebam.
[9] Es fand sich indessen eine
humanistische Abschrift der Komödien [Vat. lat. 3870], deren Glossen der
Plautus-Herausgeber Ritschl mit guten Gründen Poggio zuweisen konnte; vgl.
Cesare Questa, Per la storia del testo di Plauto nell’umanesimo, I: La
„recensio“ di Poggio Bracciolini (Quaderni Athena 6, Roma 1968). Das bildet denn doch eine Brücke zu C. F.
Meyers Dichtung.
[10] Remigio Sabbadini, Le scoperte dei
codici latini e greci ne’ secoli XIV e XV. Edizione anastatica con nuove
aggiunte e correzioni dell’autore a cura di Eugenio Garin (Bibliotexa storica
del Rinascimento 4, Firenze 1967) S. 72-84, 191-193.
[11] Man
identifiziert den St. Galler Quintilian mit dem heutigen Codex C 74a der
Zentralbibliothek Zürich. Vgl. Leo Cunibert Mohlberg, Katalog der Handschriften
der Zentralbibliothek Zürich, Bd. 1: Mittelalterliche Handschriften (Zürich
1951) S. 41. Siehe auch Paul Lehmann, Mittelalterliche Bibliothekskataloge
Deutschlands und der Schweiz, Bd. 1: Die Bistümer Konstanz und Chur (München
1918) S. 57, 64, 118.
[12] Cencio
Rustici (wie Anm. 15) erwähnt diese Funde; Poggio hielt sie nicht für der Rede
wert.
[13] Asconius
Pedianus zu 5 Reden Ciceros; ein anonymer Kommentar zu den Reden in Verrem;
Sabbadini S. 78.
[14] Vgl. Enrico Flores, Le scoperte di
Poggio e il testo di Lucrezio (Napoli 1980).
[15] Poggio, Brief I 5 an Guarino, ed. Thomas De
Tonellis 1 (Florentiae 1832) S. 25-29, bes. S. 28f. [=
anastatischer Nachdruck in: Poggius Bracciolini, Opera omnia, besorgt von
Ricardo Fubini, Bd. 3, Torino 1964]. Dazu
der Parallelbericht bei Cencio Rustici, ed. Bertalot (wie Anm. 4) S. 222-225.
[16] So
Cencio in seiner Schilderung des Fundes, ed. Bertalot S. 223f.: .... eripite me - so würde die
Büchersammlung ausrufen, wäre ihr Sprache verliehen - ab hoc carcere, in cuius tenebris tantum librorum lumen apparere non
potest. Erant in monasterio
illo abbas monachique ab omni litterarum cognitione alieni. O barbariem, Latine
lingue inimicam! O perditissimam hominum colluvionem!
[17] Poggio, ebd. S. 28f.: Fortuna quaedam fuit, cum sua, tum maxime nostra,
ut, cum essemus Constantiae ociosi, cupido incesseret videndi eius loci, quo
ille reclusus tenebatur. Est autem Monasterium Sancti Galli prope urbem hanc
mil. pas. XX. Itaque nonnulli animi laxandi et simul perquirendorum librorum,
quorum magnus numerus dicebatur, gratia eo perreximus. Ibi inter confertissimam
librorum copiam, quos longum esset recensere, Quintilianum comperimus adhuc
salvum et incolumem, plenum tamen situ et pulvere squalentem. Erant enim non in
Bibliotheca libri illi, ut eorum dignitas postulabat, sed in teterrimo quodam
et obscuro carcere, fundo scilicet unius turris, quo ne capitalis quidem rei
damnati retruderentur. Atqui ego pro certo existimo, si essent, qui haec
barbarorum ergastula quibus hos detinent viros rimarentur ac recognoscerent
more maiorum, similem fortunam experturos in multis, de quibus iam est
conclamatum. ....
[18] Vgl.
Paul Lehmann, Mittelalterliche Bibliothekskataloge (wie Anm. 11) S. 57.
[19] Den Brief edierte erstmals A. C.
Clark, The Literary Discoveries of Poggio, in: The Classical Review 13 (1899)
S. 119-130, hier S. 125. Dazu Enrico Flores, Le scoperte di Poggio (wie Anm. 13)
S. 33f. Anm. 3 sowie S.
79-83.
[20] Ediert
von Wilhelm Wattenbach, Benedictus de Pileo, in: Festschrift zur Begrüßung der
24. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, veröffentlicht von dem
historisch-philologischen Vereine zu Heidelberg (Leipzig 1865) S. 97-131, hier
S. 124-127. Vgl. das Incipit: Forte sub
umbrosa cepit Constantia silva / Pastores; ... Dazu das Postskript: Ex nemore Constantiensi, XVI Kl. Novembris,
anno etc. 1416.
[21] Vgl.
Ludwig Bertalot, Benedictus de Pileo in Konstanz, in: Quellen und Forschungen
aus italienischen Archiven und Bibliotheken 29 (1938-1939) S. 312-316.
[22] Das Zitat nach Charles Samaran -
Robert Marichal, Catalogue des manuscrits en écriture latine portants des
indications de date, de lieu ou de copiste 5 (Paris 1965) S. 301: Ego Guillelmus cardinalis S. Marci hunc
librum, quem habere multis annis prosequtus sum et habitum de Florencia
transcribi hic feci, dono bibliothece ecclesie Remensis. Quem bene custodiri precor; credo enim hunc esse primum
in Galliis. Scriptum manu propria Constancie, in concilio generali, anno ...
Domini 1418, mense Ianuario. Die
Warnung hatte Erfolg. Vgl. den Eintrag des Reimser Bibliothekars: Hic cathenatus 10o
Februarii, anno 1417. Es
handelt sich um die Hs. Reims, Bibl. mun. 1320. Ebd. S. 302 weitere Schenkungen Fillastres an das Reimser
Kathedralkapitel, die der Kardinal teilweise ebenfalls in Konstanz hatte
kopieren lassen: Reims Nr. 1321, 1322, 1337, 1338. Siehe auch Jürgen Miethke,
Die Konzilien als Forum der öffentlichen Meinung im 15. Jahrhundert, in:
Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 37 (1981) S. 736-773, hier S.
764.
[23] Jacopo
Angeli, auch er aus dem Schülerkreis des Manuel Chrysoloras, hatte das von
seinem Lehrer begonnene Übersetzungswerk 1409 vollendet und ein Jahr später dem
gelehrten Humanisten-Papst Alexander V. überreicht. Vgl. Roberto Weiss, Jacopo
Angeli da Scarperia (ca. 1360 - 1410/11), in: ders., Medieval and Humanist
Greek (wie Anm. 2) S. 255-277, bes. S. 270. Der Titel „Geographia“ stammt von
Manuel Chrysoloras; Jacopo Angeli wählte die Überschrift „Cosmographia“, die
sich auch in der Reimser Handschrift findet. Zur Titelgebung siehe Cammelli
(wie Anm. 2) S. 180 mit Anm. 1.
[24] Zu
dem ganz ähnlichen Fall einer Cicero-Handschrift des ermländischen Bischofs
Johannes Abeczier siehe weiter unten.
[25] Paul
Lehmann, Konstanz und Basel als Büchermärkte während der großen
Kirchenversammlungen (1921), benutzt nach dem Nachdruck in: ders., Erforschung
des Mittelalters 1 (Leipzig 1941) S. 253-280.
[26] Darin
dürfte allgemeiner Konsens bestehen. Ich verweise nur auf Walter Rüegg, Das
Aufkommen des Humanismus, in: Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter,
hg. von W. Rüegg (München 1993) S. 387-408, bes. S. 401ff.
[27] Das
wird aus allen einschlägigen Untersuchungen deutlich. Vgl. etwa Miethke (wie
Anm. 22), oder Sabbadini (wie Anm. 12).
[28] Peter
Lebrecht Schmidt, eine Cicero-Handschrift des ermländischen Bischofs Johannes
Abeczier, Rheinisches Museum für Philologie, N.F. 109 (1966) S. 170-184, hier
S. 181. Schmidt konnte nachweisen, daß Ciceros Schrift „De legibus“ im heutigen
Vat. Reg. Lat. 1481 (der aus dem Besitz der schwedischen Königin Christine, der
Tochter Gustav Adolfs, in die Vatikanische Bibliothek gelangte) in Konstanz für
den ermländischen Bischof Johannes Abeczier aus Poggios Autugraph kopiert
worden war.
[29] Ediert
von Wattenbach, Benedictus de Pileo S. 128-131.
[30] Das
in der antiken Dichtung vielfach behandelte Motiv möglicherweise nach
Lucan, Phars. I 538-544: ... / Iam Phoebe toto fratrem cum redderet
orbe, / Terrarum subita percussa expalluit umbra. / Ipse caput medio Titan cum
ferret Olympo, / Condidit ardentes atra caligine currus / Involvitque orbem
tenebris gentesque coegit / Desperare diem; qualem fugiente per ortus / Sole
Thyesteae noctem duxere Mycenae. Siehe aber auch Seneca, Thyestes v.v.
776/777: O Phoebe patiens, fugeris retro
licet / medioque raptum merseris caelo diem. Das Motiv scheint unter den in
Konstanz weilenden Humanisten recht beliebt gewesen zu sein. Es findet sich
auch in dem Anm. 19 zitierten Poggio-Brief.
[31] Ich
folge der Übersetzung von Heinrich Finke, Bilder vom Konstanzer Konzil, in:
Neujahrsblätter der Badischen Historischen Kommission, N. F. 6 (Heidelberg
1903) S. 69. Das Original: Tanta enim
speciosissimarum et pulcerrimarum dominarum ac puellarum nivem candore
vincentium multitudo datur hic conspici, ut decenter et huic loco convenire
videatur ille Nasonis nostri versiculus de Roma compositus: „Mater et Aeneae
constat in urbe sua.“
[32] Wattenbach,
Benedictus de Pileo S. 131: Accedit his
quod perrarum atque optimum est: haec civitas sub serenissimo atque optimo
principe floret ac sincera et vera fruitur libertate.
[33] Ulrich
von Richental § 305 und 306, ed. Feger (wie Anm. 1) Bd. 2, S. 258f.
[34] Finke
(wie Anm. 31) S. 63 erwähnt darüber hinaus noch eine Streitschrift an das
Kardinalskollegium aus den letzten Tagen des Konzils, als es anläßlich der
Papstkrönung Martins V. angeblich zu einem Vorrangstreit zwischen päpstlichen
Notaren und Sekretären gekommen sei, eine Auseinandersetzung, in die auch
Leonardo Bruni eingegriffen hätte. Diesen Streit gab es, und die entsprechenden
literarischen Äußerungen ebenfalls, der Vorgang betrifft aber nicht mehr das
Konstanzer Konzil, sondern ist auf 1426 zu datieren. Vgl. F. P. Luiso (wie Anm.
7) S. 104f. mit Anm. 107.
[35] Herausgegeben von Riccardo Fubini,
Il ‘teatro del mondo’ nelle prospettive morali e storico-politiche di Poggio
Bracciolini, in: Poggio Bracciolini, 1380-1980. Nel VI centenaio della nascita
(Firenze 1982) S. 1-136, hier S. 93-132.
[36] Finke
(wie Anm. 31) S. 64. Den lateinischen Orignaltext edierte am besten Václav
Novotný, Fontes rerum Bohemicarum 8 (Praha 1932) S. 323-334, hier S. 334: ... res tibi narrare (volui) paululum
similes historiis priscorum. Nam neque Mutius ille tam fidenti animo passus est
membrum uri, quam iste universum corpus. Neque Socrates tam sponte venenum
bibit, quam iste ignem suscepit.
[37] Ebd. S. 324: Fateor, me neminem unquam vidisse, qui in causa dicenda, praesertim
capitis, magis accederet ad facundiam priscorum, quos tantopere admiramur.
Mirum est vidisse, quibus verbis, qua facundia, quibus argumentis, quo vultu,
quo ore, qua fiducia responderit adversariis ac demum causam perorarit, ut
dolendum sit, tam nobile ingenium tamque axcellens ad illa haeresis studia
divertisse, si tamen vera sunt, quae sibi obiciuntur.
[38] Ebd. S. 332: Stabat impavidus, intrepidus, mortem non contemnens solum, sed eciam
appetens, ut alterum Catonem dixisses.
[39] Ebd.: O virum dignum memoria hominum sempiterna! Non laudo, si quid adversus
instituta ecclesiae sentiebat; doctrinam admiror, rerum plurimarum scientiam,
eloquentiam, dicendi suavitatem et argutiam resondendi; sed vereor, ne omnia in
pestem suam sibi fuerint a natura concessa.
[40] Ich
zitiere nur als eine von vielen Stimmen, freilich eine der gewichtigsten,
František Šmahel, Poggio und Hieronymus, in: Studien zum Humanismus in den
böhmischen Ländern, hg. von H.-B. Harder u.a. (Köln - Wien 1988) S.75-91.
[41] Meine
Einschätzung berührt sich in manchem mit Hubert Herkommer, Die Geschichte vom
Leiden und Sterben des Jan Hus als Ereignis und Erzählung, in: Literatur und
Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, hg. von L.
Grenzmann und K. Stackmann (Stuttgart 1984) S. 114-145, hier S. 123f. Siehe
auch Šmahel S. 78f.