Nationalmuseum
und Bibliothek des Metropolitankapitels in Prag bewahren zwei Hussiten-Bibeln
auf, die vielleicht nicht wegen ihrer künstlerischen Vollkommenheit
bezüglich Schrift und Schmuck, gewiß aber hinsichtlich der inhaltlichen
Originalität von Bild wie Wort ihresgleichen suchen. Gemeint sind
die Handschriften Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 und Kap. A 135/2. Als originell
begreife ich weniger den Bibel-Teil, ihren Hauptinhalt, sondern Textstücke
und Bildelemente, die diesem beigegeben sind, und hier insbesondere zwei
Komplexe, die im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen sollen:
einen Totentanz in Bild und Wort sowie autobiographische Notizen des Schreibers
und Hauptilluminators, der die beiden Handschriften in der Ausklangsphase
der hussitischen Revolution anlegte[1].
Über
die Eignung eines Totentanzes als Gabe an einen Jubilar mag man im Zweifel
sein. Daß dieser Prager Totentanz und sein Kontext aber fähig
sind, dem Rektor actu regens der Karlsuniversität Karel Malý
eine Freude zu bereiten, ist sich der Verfasser dieser Zeilen sicher. (145)
I.
Begonnen
sei mit einer kurzen Beschreibung der beiden Handschriften!
1. Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18[2]
Pergament,
15. Jh. (1441, fol. 543r), 545 + II Folien, einspaltig, Blattspiegel 206-216
x 147-157 mm, Schriftspiegel 165-175 x 105-122 mm. Einband modern, 1987
restauriert unter Verwendung von Resten des alten Einbands wohl aus dem
15. Jh. Provenienz unbekannt; die Handschrift gelangte erst 1936 in den
Besitz des Prager Nationalmuseums. Aufgrund der Kelchsymbolik auf der Miniatur
fol. 541r gilt die Handschrift als ‘Bibel eines hussitischen Priesters’.
Die
Handschrift ist von einer einzigen Hand in einer wenig hochstehenden Bastarda
geschrieben. Sie weist neben Rubrizierungen zahlreiche mehr und minder
kunstvolle Initialen, Rankenornamente und Miniaturen auf, die Pavel Brodský
drei Illuminatoren zugewiesen hat, von denen der eine mit Sicherheit auch
der Schreiber der Handschrift war. Er hat sich auf der erwähnten,
ihrer hussitischen Ikonographie wegen einzigartigen Miniatur fol. 541r
in Dedikantenpose, gekleidet in einen schlichten grauen mantelartigen Überwurf,
ein Denkmal gesetzt.
Inhalt:
Fol. 1r-11r: Incipit bibilia
(so fast immer!) pauperum. Gemeint ist eine nach Kapiteln geordnete
Inhaltsangabe der biblischen Bücher, von der Genesis bis zur Apokalypse. Inc.:
1.
Sex opera dierum et creatio celi et terre. 2. Prohibet dominus Adam et
Evam, ne comedant de ligno vite. ... Expl.: ... Apokalypsis ...
22. (vv.12.13) „Venio et merces mea mecum est reddere unicuique
secundum opera sua. Ego sum altissimus, primus et novissimus.“ Amen.
Kolophon: Bibilia codicibus perfecta texitur istis / Profert capitula
distincte mille tricenta / Et quadraginta simul unum bibilia tota etc.
(Spatium) Sunt Rome mille triginta quinque capelle.
Fol.
11r: Notat. (Rot) De temptationibus, quas in heremo patiebatur, beatus
Ieronimus exclamat[3]: (Schwarz)
O
quotiens in heremo constitutus in illa vasta solitudine, que exusta solis
ardoribus horridum monachis prestat habitaculum ... et ante hominem suum
iam carne premortua sola libidinum incendia buliebant. (Rot) Inchoantur
prologi beati Ieronimi super bibliam.
Fol.
11v: leer.
Fol. 12r-516r: (Gold) Bibilia.Das
ist die hieronymianische Bibel mit Prologen, von der Genesis bis zur Apokalypse.
Das Alte Testament endet fol. 396r mit dem 2. Makkabäer-Buch. Das
Neue Testament mit Apostelbriefen, Apostelgeschichte und Johannes-Apoka(146)lypse
umfaßt fol. 396v-516r. Kolophon
(fol. 516r, rot): Laus tibi, Christe, qui es creator idem et salvator./
Propter hoc opus dei miserere omnium, deus, et mei./ Gloria tibi trinitas
equalis una deitas, pater et filius et spiritus sanctus./ Sit
laus patri cum filio sancto simul paraclito. Amen./ Pro labore isto sit
laus et gloria Iesu Christo./ Benedicamus patrem et filium cum sancto spiritu
laudemus./ Et superexaltemus eum in secula seculorum. Amen.
Deo g(ratias).
Hucusque bibilia.
Fol. 516r: Auf den Kolophon zum
Bibeltext folgen, gleichfalls rubriziert, versifizierte Lebensregeln, die
sich in Hans Walthers „Proverbia“ bzw. „Initia carminum“[4]
großenteils (aber nicht ausschließlich) als gängige Münze
nachweisen lassen:
Mortis[5]
vel vite brevis[6]
est „Ite! Venite!“
Dicetur reprobis: „Ite!“, et
iustis: „Venite!“
Quantus[7]
erit fructus, cum dixerit ille: „Venite!“
Tantus erit luctus, iudex cum
dixerit: „Ite!“
Laus[8]
tua, non tua fraus; virtus, non copia rerum
Scandere te fecit hoc genus
eximium.
Sit[9]
tua condicio stabilis nec tempore parvo
Vivere te faciat omnipotens
deus hic.
In
grege commisso male te regis et pede scisso.
Claudus es, inspicito, qui
pena futura reddito.
Fol. 516v: Zwei moralisierende
Exzerpte aus Pseudo-Augustin [= Alcher von Clairvaux], „De spiritu et anima“,
c. 6 und 17: (Rot) Augustinus in libro de spiritu at anima. Inc.
(1[10]):
Miser
ego quantum deum deberem diligere, qui me fecit ...Expl.:
...Hec
preter rem videor dixisse, sed forte non preter utilitatem michi et hiis
qui mecum sentiunt, quod ego sentio etc. ...(Rot:)
Ibidem
in eidem capitulo. Inc.
(2[11]):
Pater siquidem tradidit filium suum quo redimeret servos ... Expl.:
...
quasi plus cruciet eum compassio miseri quam ipsum miserum passio sui. Hec
Augustinus.
Fol. 517r-526v: (Rot) Incipit
Registrum super epistolis et ewangelia per circulum anni.
Fol. 527r-543r: Folgen diverse
Notate in Form von Sentenzen der Kirchenväter und anderer theologischer
Autoritäten (z.B. Thomas von Aquin) über die Kommunion in beiderlei
Gestalt, über die Aufgaben des Priesters und vieles andere mehr, dazu
eine Reihe inbrünstiger Gebete. Dieses Material bietet ungemein wertvolle
Einblicke in die Spiritualität eines utraquistischen Gläubigen
der mittleren oder unteren Ebene und verdient eine (147) eigene
Untersuchung. Autor ist sicherlich der Schreiber der Handschrift. Im Kontext
dieser Textpassagen findet sich fol. 541r die für die hussitische
Ikonographie wichtige Miniatur, die der Handschrift den Namen gegeben hat,
mit dem knieenden Stifter/Schreiber vor dem lehrhaft thronenden Christus
unter einem Altar mit Kelch und Hostie, flankiert von einem Leidenschristus
auf der einen, einem anbetenden Paar auf der anderen Seite, alles drapiert
von Spruchbändern, die das paränetische Programm ausführlich
erläutern (Abb. 4)[12].
Im selben Kontext fol. 542r-v in einer Folge von acht Bildern jener Totentanz
der uns im folgendem noch näher beschäftigen wird (Abb.1/2, Beilage
I)[13].
Des weiteren enthalten die etwas langatmigen preces et gratiarum actiones
dieses Notat-Materials auf fol. 541v (der Verso-Seite des Stifterbildes!)
folgende autobiographische Bemerkungen: Et hoc in rei veritate dico,
quod habui intentum tantum librum Iudith perscribere pro vacatione diebus
festivis, in quibus licitum fuit requiescere a labore et ab arte sutoria,
et ut facilius possim precavere me a wanis cogitationibus, et stringere
pedes meos a latitationibus ad hastiludia ad thabernas ad conwiwia, et
a wanis otiis. Et
hoc postulavi a domino, et dominus deus dedit michi plus quam postulavi. Rogo,
domine deus, ne statuas michi pro peccato hanc ignobilitatem, si in hoc
volumine, quam apposui ...(der
Text bricht am Ende des Blattes ab, die Fortsetzung ist verloren).
Am Ende dieses Textteils, dessen
Lagenverbund durch Neubinden zum Schluß heillos gestört ist
und der infolge Verlusts mehrerer Blätter auch nicht mehr vollständig
ist, fol. 543r der Schreibervermerk: Explicit labor huius operis / per
manus cuiusdam sutoris,/ qui ad horam scribebat / et ad tempus okreas suebat./Sub
anno domini Mo CCCCo XLIo in vigilia sancti
Laurencii ffinitum est hoc opus. Amen.
Ein Schuster, der sonst Gamaschen (ocreae) verfertigt haben will,
hat demzufolge die Arbeit an dieser Handschrift im Jahre 1441 am Vorabend
des Laurentius-Tages abgeschlossen, d.h. am 9. August.
Fol. 543v-545v: Hussitischer Kalender
und anderes Komputistisches. (a) fol. 543v-544v Kalender mit den Monaten
(auf tschechisch), mit Sonntagsbuchstaben, goldener Zahl und tschechichsprachigen
Tagesbezeichnungen. (b)
fol. 545r: Tabula ad inveniendum intervallum. Durat
triginta octo annis incipiendo ab anno domini Millesimo CCCCo
XXXII, umfaßt
also den Zeitraum von 1432 bis 1469; eingestreut sind moralisierende Sprüche
(Expendite in egenis ... Confundite perfidos usw.). (c) fol. 545v:
Tabula
ad adveniendum intervallum omni anno, mit einer Anleitung zum Gebrauch.
2.
Hs. Prag, Kap. A 135/2[14]
Pergament,
15. Jh. (1447, fol. 467vb), 524 Folien, zweispaltig, Blattspiegel 274 x
200 mm,
(148) Schriftspiegel 210 x 150 mm. Einband: Holzdeckel,
mit grauem schmucklosem Leder überzogen, Buckelverzierungen und Messingschließen,
beides teilweise abgefallen; Zeitstellung: 15. Jh. Innenseite des Vorderdeckels
und Vorderseite des Schmutzblattes enthalten Bemerkungen zum Inhalt der
Handschrift, durchweg erst aus dem 16./17. Jh. Dort (fol. 1r) auch der
älteste Besitzeintrag: Georgius Hanussius Landtskronen(sis)
decanus Altae Mytae 1598. Dieser Mann nennt sich auch am unteren Rand
von fol. 467v, dem Ende des Bibelteils, wo sich auch der Kolophon des Schreibers
findet (s.u.), diesmal aber mit anderer Funktion und anderem Datum: Georgius
Hanussius Landtskronen(sis) parochus Micro Pragensis 1612. Georg
Hanuš von Landskron/Lanškroun, dürfte diese Handschrift also während
seiner Amtszeit als - notabene utraquistischer! - Dekan von Hohenmauth/Vysoké
Mýto erworben haben und brachte während seiner Amtszeit als
„Pfarrer der Prager Kleinseite“ - das ist St. Niklas - kurz vor seinem
Tod (1613) den Eintrag fol. 467v an[15].
Geschrieben
ist der Kodex von derselben Hand wie Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18; er enthält
gleichfalls zahlreiche Illuminationen, die auch hier weitestgehend vom
Schreiber stammen[16].
Die Handschrift setzte ursprünglich einmal mit einem Quatern ein,
von dem heute nur noch das erste Blatt (fol. 1r/v) vorhanden ist, dessen
Recto-Seite jetzt die Funktion eines Vorsatzblattes erfüllt und dessen
Verso-Seite einen siebenarmigen Leuchter zeigt (Candelabrum quod ostendit
dominus Moysi in monte), begleitet von ausdeutenden Beischriften (Tres
calami, qui hinc inde exeunt, prelatos significant usw.); es steht
zu vermuten, daß die herausgeschnittenen sieben Folien gleichfalls
Miniaturen enthielten.
Inhalt:
Die Handschrift enthält in
der Hauptsache, genau wie die Hs. XVIII B 18 des Nationalmuseums, das hieronymianische
Bibel-Corpus samt Prologen (fol. 2ra-364va Altes Testament; fol. 364vb
unter einer Art ‘Drei-Stände’-Bild mit Papst, Kaiser, Bauer in vertikaler
Folge die 12 Propheten[17]
(fol. 365r als Pendant in Form einer Randleiste die 12 Apostel); fol. 365ra-467vb
Neues Testament samt Apostelbriefen, Apostelgeschichte und Johannes-Apokalypse,
beschlossen von dem Schreibervermerk: Et sic est finitus labor huius
operis in nomine domini per manus cuiusdam Dalmaciensis sub anno domini
Mo CCCCo XLo septimo, mense Aprilis, die
sabbato ante Palmarum etc. Dieser Teil der Handschrift wäre demnach
am 1. April 1447 fertiggestellt gewesen. Darauf folgen fol. 468ra-503rb
unter dem Namen des Hieronymus „Interpretationes nominum Hebraico(149)rum“[18].
Inc.: Aaz - apprehendens vel apprehensio ...Expl.:
... Zusim consilium vel consiliatores. Fol. 503va-509vb: Registrum
epistolarum et ewangelistorum(!) per circulum anni.
Bis
zu dieser Stelle bietet die Handschrift nach Ausstattung und Inhalt nichts
Außergewöhnliches. Dann aber folgen Textstücke, die man
in einer Bibel-Handschrift nicht vermutet:
-Fol. 510ra-517vb: (Rot) Figura
ista materialiter depicta signat contrarietates in disputationibus fidei
katholice contra errorem Iudeorum. (Schwarz) Ista sunt excerpta
de erroribus Iudeorum in Thalmuth, que transtulit frater Theobaldus supprior
ordinis Predicatorum Parisiensis. Inc. prol.: In disputationibus
contra Iudeos notate triplicem cautelam ...Inc.
textus:
Tolle arma tua, pharetram ...Expl.
pars I (fol. 513rb): ... commendatio gentium. Deo gratias. Inc.
pars II (fol. 513rb): Thalmuth et(!) doctrina est, dividitur in quatuor
libros, quorum quilibet appellatur Chezer, ut nos vocamus bibliam. Habet
tamen quilibet nomen speciale. Primus vocatur Methes(!), id est
terminus ... Expl. pars II: ... Et iterum dictum est de ipso domino:
„Quantus est iste, cui throni“ etc., qui est gloria communis Iudeorum et
christianorum, qui est Christus dominus noster. Amen
etc. Bei der Pars
I handelt es sich um die bekannte „Pharetra fidei contra Iudeos“, in der
Regel überliefert unter dem Namen des Pariser Dominikaner-Suppriors
Theobald von Sézanne. Die Pars II aber gehört dem Traditionszusammenhang
einer Fassung von Talmud-Exzerpten an, die mehr Übereinstimmung mit
der Version des sog. Passauer Anonymus aufzuweisen scheint als mit der
„Pharetra“[19].
Beide Formen der lateinischen Talmud-Überlieferung gehen auf einen
wohl tatsächlich von Theobald von Sézanne im Zusammenhang mit
der Pariser Talmud-Verurteilung von 1242 abgefaßten Traktat zurück,
dessen ursprüngliche Fassung sich aber bisher nicht hat auffinden
lassen[20].
Eine genauere Einordnung des hier vorliegenden Textes muß einer späteren
Untersuchung vorbehalten bleiben, doch spricht alles dafür, daß
es sich talis qualis um ein Unikat handelt.
-Fol. 518ra: Nicht identifizierbarer
Text, durch Blattverlust der letzten Lage am Anfang unvollständig;
Farbreste lassen auf Miniaturen-Verlust schließen. Inc.: ... /mulierum
insatiabilis est ... Expl.: ... condempnatio, laus vero bonis
sit. Amen.
-Fol. 518ra-rb: Vätersentenzen
über die Würdigkeit des Priesters. Inc.:
Augustinus.
Certa et secura potest esse expectatio beatitudinis ... Expl.: ...
Bernardus ... Qui missam dicis post amplexum meretricis etc.
-Fol. 518va-520va: Wenerabilis
Ysidorus scribit hanc epistolam ad quendam ado(150)lescentem
de norma vivendi sic dicens: Age,fili,
ut oportet, age ut decet, age ut dignum est ... Expl.: ...ne bonum,
quod cepisti, despicias. Amen.
Druck: Migne, PL 83, 1247-1252, Appendix XV zu den echten Werken Isidors
von Sevilla, unter die dieser kleine Brieftraktat wohl nicht einzureihen
ist[21].
-Fol. 520va-523vb: Mores philosophorum
(=Pseudo-Walter Burley, De vitis philosophorum), tschechisch, zum Schluß
infolge Blattverlusts unvollständig. Die Reihe der Philosophen beginnt
mit Diogenes, der letzte ist Alexander der Große. Dieser Schrift
und ihrer Rezeption in Böhmen hat Anežka Vidmanová mehrere
Studien gewidmet, in denen sie auch unsere Handschrift würdigte[22].
-Fol. 524r: Totentanz mit versifizierter
Ständekritik (Abb. 3, Beilage I)[23].
-Fol. 524va-vb: Sententia de
necessitate cause. Das ist eine Begründung des Schreibers für
die ungewöhnliche Text-Zusammensetzung seiner Abschrift. (Siehe unten
Beilage II).
Sieht
man einmal von dem das Ganze kommentierenden letzten Abschnitt ab, so ist
all diesen zu einer Bibelhandschrift wenig passenden Texten eine exhortativ
moralisierende Tendenz gemeinsam. Ohne weiteres erkennbar ist das beim
Totentanz, und schon im Titel De norma vivendi verrät (Pseudo-)Isidors
Brieftraktat eine solche Richtung; die wenigen als Incipit und Explicit
zitierten Worte lassen auch das nicht identifizierbare Textfragment fol.
518ra-rb hierher einordnen wie auch die Vätersentenzen über die
Würdigkeit des Priesters. Auf den ersten Blick ist diese Ausrichtung
bei den Talmud-Exzerpten nicht ohne weiteres ersichtlich, aber sie ließe
sich aus ihnen durchaus herauslesen, und der Schreiber motiviert damit
sogar ausdrücklich die Aufnahme dieses Textstücks in unsere Handschrift[24].
Über
die gemeinsame Tendenz hinaus verraten die Texte nach Auswahl und zum Teil
auch nach dem Stil einen individuellen Zuschnitt, der den Anteil des Schreibers
an der Abfassung der von ihm niedergeschriebenen Stücke relativ hoch
einschätzen läßt. Das läßt sich mit Gewißheit
für die Talmud-Exzerpte feststellen, wo der Scriptor zumindest bei
deren Pars II eine anderswo in dieser Form nicht belegte Fassung notierte.
Auf Individualität der Textauswahl wies sodann bei dem auf Pseudo-Walter
Burleys „Vitae philosophorum“ beruhenden Textabschnitt Anežka Vidmanová
hin[25].
(151)
II.
Dasselbe
scheint mir nun auch beim Totentanz[26]
und der ihn begleitenden Ständekritik gegeben, womit sich ein Eindruck
verfestigt, den schon die nicht auf den Bibeltext bezogenen Partien der
Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 nahelegten[27].
Das Genus des Totentanzes wird seiner Entstehung nach gemeinhin mit den
Pestepidemien des späteren 14. Jhs. in Verbindung gebracht[28],
doch gilt es festzuhalten, daß vor dem berühmten Totentanz auf
der Innenwand der Arkaden des Kreuzgangs vom Franziskanerkonvent Aux SS.
Innocents in Paris von 1424, welcher in der 1485 von dem Pariser Drucker
Guyot Marchant emittierten Holzschnittfolge weite Verbreitung fand[29],
kein sicheres Zeugnis eines Totentanzes bekannt geworden ist[30].
Danach mehren sich die Fälle, wo man bezüglich der historischen
Einordnung auf festerem Boden steht - wie etwa bei dem um 1440 entstandenen
Basler Totentanz - doch scheint bislang vor der Mitte des 15. Jahrhunderts
kein einziges Beispiel bekannt zu sein, bei dem Text und Bild noch im Original
erhalten geblieben wären; sämtliche Aussagen über die frühe
Entwicklung des Totentanzes beruhen auf hypothetischen und bisweilen recht
gewagten Rückschlüssen aus späteren Überlieferungsformen[31].
Insoweit ist es eine kleine Sensation, wenn man feststellen darf, daß
unser (152)
auf 1441 bzw. 1447 als Terminus ad quem datierbarer
Prager Totentanz nicht nur ganz im allgemeinen zu den frühen Exemplaren
der Gattung gezählt werden darf, daß er nicht nur der älteste
böhmische[32],
sondern anscheinend der älteste im Original mit Text und Bild erhaltene
schlechthin ist.
Dieser
Umstand müßte Folgen für die Aussagen über die Entwicklung
der Gattung haben, da unser Totentanz in mancher Hinsicht vom Schema abweicht
und sich nur schwer mit Hypothesen in Einklang bringen läßt,
die die jüngere Forschung gemeint hat aufstellen zu müssen. Auffallend
ist bereits das relativ unverbundene Nebeneinander von Bild und Wort in
Kap. A 135/2, abweichend von der etwa für den Pariser oder Basler
Totentanz charakteristischen Verschränkung von Bildsequenz und Ständekritik,
wo jedes Bild einen Stand repräsentiert und diesem ein moralisierendes
Verspaar mit Memento-mori-Tendenz zugeordnet ist. In unserem Prager Totentanz
hingegen fällt beides einerseits auseinander, andererseits gibt es
eine gewisse Doppelung. Denn dieser Totentanz hat zwei deutlich unterscheidbare
Bestandteile.
Der
eine Teil ist eine lateinische versifizierte Ständekritik, monologisch
in exhortativem Predigtstil abgefaßt und nur überliefert in
Kap. A 135/2. Sie beginnt bei den Fürsten, den Herren dieser Welt,
nimmt dann die hohe Geistlichkeit aufs Korn, danach die Ritter und ihre
Knechte, schließlich - am unteren Ende der Gesellschaftspyramide
- die Tuchwalker (fullones) als Repräsentanten des verachteten
Handwerkerstandes[33],
die bei schlecht gehenden Geschäften dem Kunden um den Bart gingen
und sich gemein benähmen, wenn sie wirtschaftlich obenauf seien; ganz
zum Schluß folgen mit allen Zeichen der Geringschätzung die
Bauern als der gesellschaftlich niedrigste Stand. Hervorzuheben an der
Kritik ist ihr stellenweiser aktueller Bezug: Hat die Ständekritik
des Totentanzes sonst den Charakter des allzeit Gültigen, so arbeitet
der Verfasser des Prager Totentanzes auch mit dem Kontrast-Schema Einst
und Jetzt. ‘Einst’ (olim) waren die Fürsten fromm und gottesfürchtig,
stifteten Klöster und erzogen ihre Untertanen auch zur Gottesfurcht;
jetzt aber sei das ganz anders, da beraubten sie die Armen und die Kirchen
und scherten sich nicht im geringsten um das Heil ihrer Seele. Ähnliches
wird von den Rittern gesagt und ihrem Gefolge: Einst sorgten sie sich um
Witwen und Waisen, jetzt aber seien sie ganz dem Kampfgetümmel hingegeben
und ihr Gefolge sei eine wahre Landplage, die als ‘kathanae’, Henkers-
oder Folterknechte - eine mittellateinische Neubildung von tschech. ‘katan’!
-, im Wortspiel mit ‘sathanae’, Teufel, apostrophiert wird. Aktualitätswert
besitzt auch die herbe Kritik am geistlichen Stand, namentlich an den Prälaten
der (römischen) Kurie. Das (153) ist zwar gängige Münze,
fällt aber mit Geißelung von Geldgier, Ungerechtigkeit, mangelndem
Sinn für das Wichtige, von Hurerei, Spielsucht und zugleich Kastraten-
wie Lüstlings-Charakter doch auffallend scharf aus. Dies um so mehr,
als eine antithetische Gegenüberstellung von ‘Einst’ und ‘Jetzt’ fehlt,
der Klerus also als solcher kritisiert wird. Die Ständekritik schließt
mit dem Aufruf zur Buße, ganz im Einklang mit einem der Hauptmerkmale
der Gattung Totentanz[34].
Der
zweite Teil ist eine Bilderfolge. In der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18
ist sie das einzige Element des Totentanzes. In Kap. A 135/2 hingegen ist
sie der Ständekritik an der Stirnseite des Blattes vor- und übergeordnet
und führt scheinbar ein Eigenleben. Man erkennt in Kap. A 135/2 vier
Figuren, in zwei übereinander stehenden Reihen paarweise angeordnet,
jeweils mit einem in der künstlerischen Ausführung an Karel Èapeks
Molche erinnernden Tod als Dialogpartner, der aus dem offenen Grab heraus
seine Rede führt[35].
Jeder Figur ist ein Spruchband zugeordnet und in gleicher Weise respondiert
der Tod. Dieses Schema ist also - im Unterschied zur Ständekritik
- dialogisch, nicht monologisch.
Die vier Bilddarstellungen sind
nicht eigentlich Elemente einer Ständekritik, sondern zielen auf den
‘Kosmos Menschheit’[36].
Dargestellt sind Jungfrau und Jüngling in der oberen Reihe, Astronom
und Hirt in der unteren. Ihre Spruchbänder und die ihnen jeweils entsprechenden
des Todes bezeichnen Jungfrau und Jüngling als Urbilder des Menschen,
den Astronom - Typus des Philosophen, d.h. des (Universitäts-)Gelehrten
- und den Hirten als Urbilder menschlichen Schaffens: der eine mit dem
Kopf, der andere mit der Hand.
Als
Urbild des Menschseins reflektieren die junge Frau und der junge Mann das
Vergänglichkeitsmotiv allen Lebens in der Zeitspanne zwischen der
Jugend mit ihrer Schönheit und Kraft und dem Tod, der einen mitten
im Leben ereilt, oder dem Alter mit seinen elenden Gebrechen. „Eine Braut
bin ich, wohlgeformt und schön, wie die Welt es verlangt“, sagt sie.
„Schon hast Du Dich verändert und bist jetzt der Lebensfarbe beraubt“,
entgegnet der Tod. Das klassisch gewordene Motiv vom Tod und dem Mädchen[37]!
Etwas andere Worte variieren das Motiv beim Jüngling[38]:
„Die Zeit der Jugend ist am Zug, das Alter ist noch fern, lebenshungrig
traf sie mich“. „Du Tor! Es steht der Tod vor der Tür, und er hat
erbärmliche Qualen im Gefolge“, ist die Antwort des Todes. Nicht leicht
ist die Devise des Hirten zu deuten: „Ich bin Hirt einer Herde - Willst
Du mir vielleicht einen Schatz entwinden[39]?“
Das scheint auf den Schatz des Lebens hinzudeuten - eine ambiva(154)lente
Metapher bei einer elenden Hirtenexistenz! Vom Bild des Schatzes her ergäbe
sich jedenfalls eine mögliche Verbindung zur Replik des Todes: „Wenn
Du auf dem Friedhof liegst, wirst Du den Königen gleich sein!“ Gleichheit
im Tode ist traditionelles Totentanz-Motiv[40].
Wäre die Gleichheit zwischen König und Hirt tatsächlich
über das Schatz-Motiv hergestellt, dann klänge das freilich eher
ironisch-grimmig als tröstlich. Mit offener Sympathie wird der Gelehrte
bedacht, dessen Existenz als Mensch auch in der Responsio des Todes von
negativen Konnotationen beinahe ganz frei ist. Auf seine Worte, daß
er als ‘Astronom des Lebensalters’ - also als einer, der über die
ehernen Regeln von Werden und Vergehen Bescheid weiß - im Bilde sei
über ‘die Zeiten der Gesundheit’, d.h. wisse, wann man mit dem Tode
rechnen müsse und wann nicht, Wissen also in faustischer Manier über
das Leben Macht verleihe, - und damit auch über den Tod! -, schlägt
ihn der Tod in milder Ironie mit den eigenen Waffen: „In der Philosophie“
- des Gelehrten Metier! - „fand ich, man müsse den anvertrauten Geist
zurückerstatten[41].“
Auch der Gelehrte muß zum Schluß sein Bestes hingeben!
Der
Totentanz mit seiner Sequenz von vier Bildern, zusammen mit der versifizierten
Ständekritik genau auf eine Seite plaziert, könnte als eine in
sich geschlossene Form nach Art eines Einblattdruckes wenig späterer
Zeiten gelten, gäbe es nicht die ältere Parallelüberlieferung
in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18. Diese aber enthält über
die vier in der Hs. Kap. A 135/2 überlieferten Bilder hinaus - und
diesen vorangestellt - eine Folge von vier weiteren Bildern: Papst, Kaiser,
Krieger/Ritter, Kaufmann/Bürger. Diese vier Bilder und ihre Spruchbänder
beinhalten eine unzweideutige Ständekritik, verquickt mit einem Memento-mori-Appell:
(a) Der Papst sitzt auf einem Thron und trägt das Spruchband: „Ich
bin der Papst, Hirte der Prälaten und der Apostelkrösus.“ Nicht
um die oves, das gemeine Kirchenvolk, kümmert sich also dieser
Seelenhirte, sondern um seine Funktionäre; und als Nachfolger Petri
hätte er dessen Typus als Apostelfürst, princeps, nicht
locuples
apostolorum repräsentieren müssen. Dieser Typ von Papstkritik
ist kennzeichnend für den Hussitismus[42].
Der Tod erscheint als Richter[43]:
„Weil Du Deine Herde schlecht geleitet hast, bist Du nach dem Gesetz gerichtet.“
(b) Das Bild des Kaisers (mit Bügelkrone) könnte sich, (155)
dessen
Ruf nach, konkret an Sigismund orientiert haben[44]:
„Ich bin König und Kaiser und Liebhaber eines süßen Lebens.“
Der Tod erinnert ihn: „Einst hast Du den Völkern kaiserlich geboten,
jetzt bist Du die Beute der Würmer.“ (c) Der Krieger/Ritter, in Kettenhemd,
mit Helm und Langschwert, ein wahrer Goliath[45]:
„Ein Riese bin ich als Kämpfer, sehr stark und kräftig.“ Der
Tod: „Wenn Du in der Grube liegst, kannst Du Dich gegen die Würmer
nicht wehren.“ (d) Der Kaufmann[46],
in knielangem Gewand, mit Mantelumhang und Hut, einen großen Beutel
vor sich in der Hand[47]:
„Je mehr ich [Besitz] anhäufe, um so mehr gewinne ich an Lohn (mercesco).“
‘Mercesco’ ist ein in diesem Zusammenhang höchst vieldeutiges Wort,
das nicht nur im Sinne der positiven Bedeutung des Grundwortes ‘mereo’
an merces/merx, ‘Lohn’, ‘Gnade’ - himmlische wie weltliche -, oder
zumindest wertneutral an mercator, ‘Warenhändler’, also Kaufmann,
sondern auch an den mercennarius, ‘Lohnarbeiter’, denken läßt,
der im Johannes-Evangelium (10, 12.13) als das Gegenbild des Guten Hirten
geschmäht wird. Wenn einer also zunimmt an merces, an ‘Lohn’
oder auch an ‘Waren’, dann ist das durchaus doppeldeutig zu verstehen,
als profanes Element des Erwerbslebens wie als Metapher für Wertschöpfung
bei geistlichen Gütern. Der Tod: „Du Geldsack (avarus)! Von
dem Ort, wo Du im Augenblick des Todes (oder: wo Du bald) sein wirst, kannst
Du Dich von der Wahrheit (a vero) nicht loskaufen.“
Die
Bilder sind in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 so angeordnet, daß
je vier von ihnen Recto- und Verso-Seite von fol. 542 ausfüllen. Weiterer
Text rahmt sie - in ursprünglich anscheinend paarweise angeordneten
Versen - am oberen und unteren Rand beider Seiten. Diese Verse sind infolge
Abnutzung und Beschnitt so gut wie unlesbar geworden, gerade noch daß
sich eine allgemein gehaltene Memento-mori-Tendenz mitrecht
morbiden Zügen erkennen läßt[48].
Anderes scheint aber nicht verloren gegangen zu sein, obwohl der Lagenverbund
gerade an dieser Stelle gestört ist. Das heißt, die Ständekritik
dürfte unser Autor erst für die Hs. Kap. A 135/2 entworfen haben.
Hat er aber in Umformung der ersten Fassung seines Totentanzes auch in
die Sequenz der Bilder eingegriffen? Anders gefragt: Haben wir in der auf
vier Bilder reduzierten Fassung der Hs. Kap. A 135/2 eine durch den Autor
bewußt vorgenommene Verkürzung oder eine durch Ungunst der Überlie(156)ferung
eingetretene Verstümmelung vor uns? Die Antwort fällt nicht leicht,
denn inhaltlich wie formal besticht die Version des Totentanzes in Kap.
A 135/2 durch ihre Geschlossenheit und es fällt schwer, sich auf dem
letzten Drittel einer vorangehenden Seite den Beginn des Totentanzes vorzustellen.
Auch liegen den beiden in je vier Einheiten gegliederten Bilder-Gruppen
unterschiedliche anthropologische Konzepte zugrunde: Menschheit als Ständereihe
hier, Allgemeinmenschliches dort; und da in Kap. A 135/2 die verbalisierte
Ständekritik funktional dieselbe Bedeutung hat wie in Prag, Nat.-Mus.,
XVIII B 18 die Bildsequenz der Ständereihe, wäre es vorstellbar,
daß dem Autor bei der Neubearbeitung des Totentanz-Themas in Kap.
A 135/2 die Bilderfolge der Ständereihe als überflüssig
erschien und er sie wegließ. Der Überlieferungsbefund zeigt
jedoch, daß in Kap. A 135/2 gerade vor unserem Totentanz Blattverlust
zu beklagen ist. Man muß daher damit rechnen, daß die in der
Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 erhaltene Bildfolge nicht nur die ältere
und damit ursprüngliche Fassung des Prager Totentanzes darstellt,
sondern auch die einzig vollständige, daß also die Bildfolge
der Hs. Kap. A 135/2 am Anfang nur fragmentarisch auf uns gekommen ist.
Es
könnte jemand meinen, der Prager Totentanz, gleich ob in der älteren
oder in der jüngeren Gestalt, sei wohl gar kein Totentanz, nur eine
Vorform vielleicht davon, oder etwas bloß damit Verwandtes, denn
die gelehrte Welt scheint sich neuerdings darin einig zu sein, daß
das Tanzmotiv für das Genus schlechthin konstitutiv war[49].
Im Prager Totentanz aber fehlt es. Der Text der Ständekritik geht
mit keiner Silbe darauf ein, und im Bilderzyklus ist es auch nicht vorhanden.
Die menschlichen Figuren sind vielmehr ganz statuarisch dargestellt (der
Papst sitzt sogar auf seinem Thron), und der Tod wirkt zwar bewegt, er
gestikuliert, Würmer, Schlangen, Kröten umspielen seine Glieder,
von Tanz oder gar von Reigen aber ist nichts zu erkennen, weder im Bild
noch im Text der Spruchbänder. Vor uns steht also ein Toten-‘Tanz’
ohne Tanzelemente.
Das
führt erneut zu der Frage nach der entwicklungsgeschichtlichen Einordnung
des Prager Totentanzes. Könnte man den Annahmen der gelehrten Forschung
vertrauen, so wäre die Hineinnahme, ja Dominanz der menschheitsgeschichtlichen
Figuren ein jüngeres Element, denn angeblich lag die Ständekritik
am Ursprung der Gattung[50].
Nun fehlt das Element der Ständekritik in unserem Totentanz ja keineswegs;
es ist in der ursprünglichen Fassung von 1441 sogar ein integraler
Bestandteil. Etwas anders steht es mit der versifizierten Ständekritik
der jüngeren Fassung von 1447. Sie ist nicht ins Bild integriert.
Mehr noch: dieser Kritik fehlt als Dialogpartner der Tod; sie ist nicht
eigentlich totentanzspezifisch, sondern in einem allgemeineren Sinn der
Memento-mori-Literatur verhaftet. Bild und Wort sind miteinander verbunden,
aber nicht ineins verschmolzen. Die Bilder illustrieren nicht den Text,
und der Text nimmt keinen Bezug auf die Bilder; er bedarf gar keiner Bilder.
Wie
sind diese, aus dem inzwischen fast kanonisierten Vorstellungskreis von
Wesen (157) und Entwicklung des Totentanzes herausfallenden Beobachtungen
zu bewerten? Liest man die einschlägigen Werke aufmerksam, dann wird
man bald gewahr, wie ungefestigt unser Wissen von der Herkunft und den
frühen Entwicklungsstufen dieses Genus insgesamt ist, daß Materialgrundlage
und Hypothesenfestigkeit in keinem guten Verhältnis zueinander stehen
und einlinige Betrachtungsweisen öfter anzutreffen sind als es der
Diskussion gut tat[51].
Für die frühe Geschichte des Totentanzes ist die Arbeit von Grund
auf noch zu leisten.
Der
hier vorgestellte Prager ‘Totentanz’ - eine Bezeichnung, an der ich aus
Gründen der Konvenienz festhalten möchte - könnte dazu einen
wichtigen Beitrag leisten, nimmt man seine im Vergleich zur ausgebildeten
Form des Pariser und Basler Totentanzes abweichenden Formen nur ernst,
betrachtet sie nicht als belangloses Sondergut, sondern als Varianten des
Grundmusters, das in seinen frühen Formen Abbild seines polymorphen
Ursprungs gewesen sein müßte. Dann bestätigt sich, was
die Überlieferung auch anderer Totentänze nahelegt, daß
Wort und Bild erst später, und jedenfalls nicht immer, zueinander
fanden und keineswegs notwendig eine Einheit bildeten[52].
Dann erhalten auch Zweifel Nahrung an dem in letzter Zeit überaus
stark betonten Tanzmotiv und im Gefolge davon einer ungebührlichen
Dämonisierung des Genres. Diese Züge fehlen der Totentanz-Gattung
wahrlich nicht, Kröten, Schlangen und Würmer sind im Gefolge
von Tod wie Teufel anzutreffen, die Sphären beider weisen also durchaus
Konvergenzpunkte auf[53].
Sie liegen im Element des Makabren, an dem das Dämonische teilhat,
ohne es doch zu beherrschen oder etwa ganz auszufüllen. Daß
das Element des Dämonischen für den Totentanz, die ‘Danse macabre’,
ursprünglich sei oder gar konstitutiv für die Gattung, ist jedenfalls
nicht einsichtig. Das widerlegt, wie mir scheint, der Prager Totentanz.
Denn er zeigt bei allen makabren Beimischungen, daß die Gattung den
paränetischen Horizont von Memento mori und Bußaufruf nicht
überschritten haben mußte, um zu einer genuinen Artikulation
ihrer selbst zu finden. Insgesamt weist dieses Beispiel auf den Kompositcharakter
der Gattung hin, die vielerlei Elemente in ihrem Ursprung vereint, bildliche
wie textliche, und die in der Zeit der ersten Blüte - als die man
die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts wohl mit Fug und Recht bezeichnen
darf - offenbar noch über einen Formenkanon von erheblicher Vielgestaltigkeit
verfügte.
III.
Dies
alles führt uns zu der Frage nach dem ‘Sitz im Leben’ dieses Prager
Totentanzes. Sie läßt sich stellen als die Frage nach dem Autor.
Natürlich ist auch dieser Totentanz in (158) seinen beiden
Bestandteilen: Bild wie Wort, keine Schöpfung aus dem Nichts, weist
er Elemente einer Tradition auf, die der Autor vorfand und umformte, aber
nicht erst schuf. Diese Tatsache läßt sich bereits an dem einen
Beispiel der wörtlichen Übereinstimmung mit dem Totentanz der
Heidelberger Handschrift cpg 314 ablesen: dem Christus in den Mund gelegten
Wortspiel ‘Venite!’ - ‘Ite!’[54],
vergleichbar dem ‘Gerettet’ - ‘Gerichtet’ in Goethes „Faust“. Der Autor
kannte also den Totentanz-Stoff aus vorgegebenen Quellen. Das zeigt - bei
aller Originalität - nicht zuletzt die Traditionsgebundenheit in der
Verwendung gattungstypischer Elemente und Formen, bis hin zur Verswahl
der Vagantendichtung, die ganz mit dem lateinischen Totentanz der Heidelberger
Handschrift übereinstimmt. Aber der Prager Totentanz trägt nach
inhaltlicher Aussage wie nach Wort- und Motivwahl in bestimmendem Maße
Züge einer individuellen Ausprägung, die ihn mehr sein läßt
als eine bloße Kompilation fertig bereitliegender Versatzstücke.
Das Werk ist, so wie es vorliegt, eine Neuschöpfung!
Ist
seine Überlieferung in den Handschriften Kap. A 135/2 und Prag, Nat.-Mus.,
XVIII B 18 Abschrift oder (doppelt gefaßte) Urschrift? Ich bin vom
letzteren überzeugt. Schreiber und Autor sind meiner Ansicht nach
identisch. Daß die versifizierte Ständekritik eine Person slawischer
Zunge zum Verfasser hat, zeigt bereits die Verwendung der aus dem Tschechischen
stammenden mittellateinischen Neubildung ‘kathanas’, die derart in den
Text integriert ist, daß nur ein des Slawischen Kundiger das Wort
und das damit verbundene Wortspiel begreifen konnte. Dieser Text kann also
nicht in Deutschland oder Frankreich, den für die Entstehung der Totentanz-Gattung
in Anspruch genommenen Ländern, entstanden sein. Greift man zum Nächstliegenden
und liest die Ständekritik als ein Echo auf die politische Situation
Böhmens in der Zeit der Entstehung der Handschrift, die sie überliefert,
so paßt alles aufs beste zusammen[55].
Das
ist freilich noch kein Nachweis der Autorschaft des Schreibers am Text
des Totentanzes. Der legt sich indessen nahe, betrachtet man die auf der
Verso-Seite unseres Totentanzes in der Hs. Kap. A 135/2 befindliche ‘ratio
editionis’ für die inhaltliche Zusammenstellung des gesamten Kodex
aus der Feder ihres Schreibers. Das ist eine Autobiographie in nuce! Sie
stammt von einem Mann, der - gleich ob als Schuster oder Kalligraph - ein
Metier betrieb, dessen Angehörige im allgemeinen keine autobiographischen
Notizen hinterlassen. Es ist allerdings auch ein besonderer Handwerker,
der hier seine Profession ausübte. Sein Handwerk war ihm nicht an
der Wiege gesungen worden, vielmehr wollte er einmal höher hinaus:
In Dalmatien geboren, zog er - wohl noch im ersten Dezennium des 15. Jahrhunderts
- als Halbwüchsiger mit seinem Lehrer, der auf dem Wege starb, nach
Prag, um an der Alma mater Carolina zu studieren. Dort aber geriet er in
die Turbulenzen der hussitischen Revolution und mußte sein Studium
abbrechen. Denn an der Karlsuniversität herrschte Chaos (rectura
studii quasi anichilata erat), und die Pflege des (159) Latein
- Symbol der Bildung schlechthin - war nahezu hoffnungslos am Ende. Statt
in Ausübung einer gelehrten Profession zu Ansehen und Wohlstand zu
gelangen - als eingefleischter Philologe dachte er dabei anscheinend eher
an die Artes liberales als an eine der wirklichen artes lucrativae, wie
z.B. die Jurisprudenz - und seinen Eltern ein wenig von dem rückzuerstatten,
was er von ihnen für sein Studium erhalten hatte, mußte er sich
den Artes mechanicae, der verachteten Handarbeit[56],
zuwenden, um sich und seine Kinder durchzubringen; wie wir aus der Hs.
Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 wissen: als Schuster und dann und wann an Sonn-
und Feiertagen, in seiner Freizeit, als Kalligraph. Auch da vermochte er
nach seinen Worten nur ein elendes Leben zu fristen, über Wasser gehalten
von ‘guten Menschen’, hinter denen man vielleicht auch die (geistlichen)
Auftraggeber seiner kalligraphischen Produktion vermuten darf, deren Namen
er übrigens ebenso bewußt verbarg wie er es peinlich vermied,
den seinen zu nennen. So bittet er am Ende einen jeden - d.h. den Leser
und Benutzer seines Werkes -, daß er seine Eltern ins Gebet einschlösse,
damit sie wenigstens diesen Gewinn aus der so wenig geradlinigen Berufsbildung
ihres Sohnes davontrügen.
Ein
anrührendes Zeugnis! Zumal für jeden Carolina-Rektor, dem es
ernst ist mit der Aufgabe, die rectura studii Pragensis in unruhiger
Zeit mit festem Griff in die Hand zu nehmen und die dort beheimateten Wissenschaften
- auch das Latein! - nach Jahren der Dürre und der Turbulenzen wieder
zum Erblühen zu bringen.
Dieses
Zeugnis ist aber zugleich auch ein Beleg für die Autorschaft des anonymen
Dalmatiners für unseren Totentanz. Autobiographische Notiz und Totentanz
atmen denselben Geist. Auch die Sprache beider Texte scheint verwandt,
jedenfalls verraten sie einen Autor, der ein brauchbares, aber kein sehr
hochstehendes und in Wortwahl, Syntax und Grammatik ungelenkes, bisweilen
auch fehlerhaftes Latein schrieb, dessen Sinn deswegen auch nicht überall
ganz deutlich wird. Obwohl Vers und Prosa nicht ohne weiteres vergleichbar
sind, hätte ich doch dem Sprachcharakter nach keine Schwierigkeiten,
die autobiographische Schreibernotiz und den Totentanz mitsamt der versifizierten
Ständekritik demselben Verfasser zuzuweisen. Zu dieser Annahme fügt
sich aufs beste die Stilanalyse bezüglich der Miniaturtechnik des
Totentanzes. Brodský und Stejskal stimmen darin überein, daß
die Ausführung der Totentanz-Miniaturen in Kap. A 135/2 wie Prag,
Nat.-Mus., XVIII B 18 vom gleichen Illuminator sind, dem sie indessen die
Qualität eines (160) professionellen Miniaturisten absprechen:
als naiv, dilettantisch, amateurhaft bezeichnet Brodský dessen Werk,
es entzöge sich jeder stilistischen Einordnung[57];
ein aus ästhetischer und kunstgeschichtlicher Sicht gewiß zutreffendes
Urteil. Aber gerade das paßt ins Bild des ‘abgebrochenen Studenten’,
den die hussitische Revolution aus der universitären Bildungsbahn
warf und zum halbintellektuellen Schuster und kalligraphischen Autodidakten
werden ließ, der von allem etwas verstand, aber nichts wirklich beherrschte.
Die geistige wie materielle Hinterlassenschaft dieses Mannes aber legt
nicht weniger Zeugnis ab von dem unzerstörbaren Willen des geistig
wahrhaft produktiven Menschen zur Artikulation seiner Gedanken als von
den Bedingungen und Möglichkeiten eines revolutionären Zeitalters
zur geistigen Produktion. Bei allem Mangel an Kunstgerechtem - dies ist
ein historisches Denkmal von erstrangiger Bedeutung!
Ist
diese Einschätzung der Dinge richtig, dann hätte es auch seine
eigentümliche Bewandtnis, weshalb der Astronom/Philosoph im Totentanz
so gut davonkommt: Er wäre Sinnbild des Traums von einem guten, weil
gelehrten Leben, wie ihn in jungen Jahren ein Student der Carolina einmal
träumte.
Beilage
I
PRAGERTOTENTANZ
1)
Spruchbänder der Bilderfolge
Überlieferung:Prag,
Bibliothek des Metropolitankapitels, Kap. A 135/2 fol. 524r (M).
Prag, Nationalmuseum, XVIII
B 18 fol. fol. 542r-v (N).
Die vier ersten Bilder fehlen
in M, wohl aufgrund von Blattverlust.
a)Papst
(N):Sum papa, prelatorum pastor,
et locuples apostolorum.
Tod (N):Quia
male rexisti gregem,
iam es iudicatus per legem.
b)Kaiser
(N):Sum
rex et imperator
et deliciarum amator.
Tod
(N):Olim
imperabas gentibus,
iam es superatus a vermibus.
c)Krieger
/Ritter(N):Gigas sum bellator
ffortissimus robore.
Tod (N):Dum
in fosa eris,
deffendere te vermibus non potueris.
(161)
d)
Kaufmann/Bürger
(N):Dum plus akkumulo,
tantum plus mercesco[58].
Tod
(N):Avare,
ubi articulo[59]
eris,
et a vero non redimeris.
e)Jungfrau
(M/N):Sum sponsa formosa
mundo et speciosa.
Tod (M/N):Iam
es mutata,
a colore nunc spoliata.
f)Jüngling
(M/N):Tempus instat iuventutis,
sed non aptum senectutis,
[cupidum[60]
me leserat].
Tod
(M/N):O
stulte! Mors
stat[61]
in foribus
cum vilissimis doloribus.
g)Astrolog
(M/N):Sum astronomus etatis,
nosco tempora sanitatis.
Tod
(N):Multi
philozophi fuerunt,
Hi mortem aluerunt.
Tod
(M):In
philosophia reperi
spiritum concessum reddi.
h)Hirt
(M/N):Sum pastor gregis -
an[62]
thezaurum a me torquere queris?
Tod
(M/N):Dum
in cimitorio eris,
equalis regibus eris.
2)
Ständekritik
Überlieferung:Prag,
Bibliothek des Metropolitankapitels, Kap. A 135/2 fol. 524r (M).
Universi audiantquidnam
sum dicturus
Dominorum dominiscire
noluistis
Omnes tamquam penitusnullum
dimissurus
Servos[63]
atque dominosverbo puniturus
Veritati cuiquesua
sum daturus.
Post mundi fallaciaomnes
iam abistis (162)
Mundo atque demoniplene
obedistis
Expectatque iugitervos
infernus tristis.
Olym
namque dominideo serviebant
Orantes, ieiuniaplura
faciebant
Pulcra monasteriadeo
construebant
Et servire Dominosubditos
docebant.
Modo
vero dominiprincipes terrarum
Prelatorum
etiamcurie tumentes
Crudele spectaculumDeoque
amarum
Predatores pauperumet
ecclesiarum
De salute animevalde
curant parum.
Pleni sunt superbiasymoniam
sequentes
Semper pro iustitiamunera
petentes
Parwa nimis ponderantmagna
obmittentes.
Abbates
prepositiet omnes rectores
Erant olym militesper
mundum currentes
Dimiserunt penitusomnes
bonos mores
Serviuntque Veneritaxellum
lusores
Sunt effecti pariterkapones
lepores[64].
Pro viduis orphanissecure
pungnantes.
Sed moderni militesprelio
inhiantes[66]
Bonos malos spoliantnullum[67]
venerantes[68].
Horum
certe famulikathane[69]
vocantur,
Fullones Quid dicam de rusticis?Male Ergo
vos, o domini,mala corrigatis,
Sed sathane nomini[70]satis
proximantur
Qui peiora fecerintillum
venerantur
Nam per illos demonescuncta
operantur. (163)
Pusillum prosperantur,dicunt
se minores[72],
Mox dum instat crepitusceteris
viliores.
Ni si<t> penitentiatrahunt<ur>
ad supplicia.
Bonis temporalibuspro
collectis datis
Perdunt eternaliadecimis
furatis
Cum eorum dominissic
pereunt gratis.
Ne post vos invenianthiis
peiora satis,
Sed purgari gratiaDei
valeatis,
Ut ad celi gloriammundi
veniatis!
Amen.
(Rot:)Qualis
erit fructus hiis,cum dixerit: ‘Venite!’
Talis erit luctus reprobis,iudex
cum dixerit: ‘Ite
Beilage II
AUTOBIOGRAPHISCHENOTIZDESANONYMUSDALMATINUS
Überlieferung:Prag,
Bibliothek des Metropolitankapitels, Kap. A
135/2 fol. 524va-b (M).
(Rot)Incipit
sententia de necessitate cause
Omnipotens,
fortissime deus, cognitor spirituum universe carnis, si ex ignorantia aut
excessu mentis mee aliqua in hoc volumine obmisi aut apposui, que non debui,
preter ea, que eciam negligenter[75]
ostendunt exemplaria esse non integre ex defectu scriptorum et etiam debilitate
duorum luminum meorum, que tamen in correctione emendari poterunt[76]
- ecce confiteor hodie coram omnipotenti deo et omni legenti et audienti,
nichil aliter sapere nec (164) pensare[77]
quam oportet. Et
ne michi inponat aliquis, considerans meam ruditatem, quod ego vellem aliquid
specificare ex proprio aut sentire aut credere[78]
quam quod institutum est credere et sancta tenet mater ecclesia et fides
katholica approbat, sedis[79]
Romana confirmat de omnibus sacramentis fidei christiane et institutione
apostolica et omnium imitantium eos et de omnibus que sunt necessaria ad
salutem anime et corporis, existimet[80]
me aliquis aliter sapere! Absit
hoc a me! Et illa sit causa, quod hoc dico, quia in fine huius voluminis
sunt duo quinterni additi, sine quibus optime et integre ac perfecte dante
deo volumen hoc est terminatum absque ullo defectu. Sed quia sunt optima
dicta et de difficili et antiquissimo exemplari translata - et sunt due
particule, licet non integre, quia defecit ulterius exemplar, et sic incipiunt:
"Ista sunt excerpta de Thalmuth contra errorem Iudeorum etc." -, et ego
dico, quod valebunt et in futurum, non tantum pro nunc, quia adhuc omnes
non sumus in pede pontis[81]
etc.; et non tantum contra errorem Iudeorum, sed - proh[82]
dolor! - etiam aliquos semichristianos, ut manifestum est istis temporibus
in fide miserabiliter corruptis, illi sic, illi aliter, cum tamen una sit
fides katholica, quam nisi quisque integre servaverit, absque dubio salvus
esse non poterit. Ergo si modicum proficiunt, ut sic dicam, estimo etiam,
quod illa dicta in fine huius voluminis comprehensa parum alicui nocent
secundum simplicem meum intellectum.
Ac
tamen, ut proprio sensu non credam et ignobilitatem meam revelem, ut correctus
potius sileam coram omni legenti audienti et intelligenti, si qua reperientur
esse superflua vel diminuta, que plus nocerent quam edificarent, non recuso
emendari, ymmo et excidere coram informatoribus et rectoribus et magistris
et spiritualibus patribus, quorum sanctitate et precibus communicamus singuli
et eorum doctrina heredes Christi efficimur. Quibus conscientiam meam non
occulto et fragilitatem humanitatis mee sepius innotesco, quamvis et ista
pensata[83]
ad me non pertinent, ut videbitur in processu. Sed quia illa aliquantulum
prius studui, et quia ego ab aliquot et XL annis a parentibus meis elongatus
et ab informatore meo ad studium nowellus a Dalmacia usque huc deductus
illo obeunte[84]
veniam, si sicud navis absque vectore non habens gubernatorem, ego autem,
sicud me propria voluntas regebat, sic gradiebar. Et quia ante XX annos
in regno disturbia et infestationes bellorum versabantur et rectura studii
quasi anichilata erat, et quasi spes non erat Latine lingwe, nec locum
habebat ad tempus ut manifestum est plurimis, et ego latitans vagus hinc
inde coartabar. Benedictus dominus deus in eternum et in seculum seculi,
qui liberavit me multotiens a periculo corporis et anime - et sic heu lapsus
a studio litterarum ad artem perveni mechanicam[85],
in qua pro nunc utor cum pueris meis, quos omnipotens deus donavit michi,
sustenti auxilio omnipotentis, misericordis miserantis, et adiutorio proborum
hominum, quibus omnipotens deus sit retributio, quos dubito nominare in
hoc loco, ne eorum merite mercedis in retributione iustorum in eterna beatitudine
temporali ac humana laude molestus efficiar, et quia ego eis pari retribuere
non possum, existens in hac arte, in qua quis vult absque invidia periurio
fallacia et aliis multis transgressionibus[86]
vix penuriose vivere poterit. Et ista (165) est causa maxima huius
laboris in hoc volumine, parum eximium studii mei, quia, quod arbitrati
sunt parentes de me, non perveni nec fui dignus. Et ut omnino non parwipendam
curas parentum quas habuerunt propter me, et expensas quas apposuerunt
in me, ut saltem aliquid modicum ex ingenio studii mei relinquam in laudem
et gloriam dei omnipotentis et ad profectum ministrorum ecclesie Christi
et rectorum fidei katholice et ad salutem animarum - memoret quisque eos,
ut deus celestibus iungat eos! Amen.
O vos viventes,huius
mundi sapientes,
Cordibus apponiteduo
verba Christi: „Venite!“
Necnon et: „Ite!“Per
primum ianua vitae
Iustis erit nota,sed
per aliud quoque porta
Inferi monstratur:sic
res diversificatur.
Bezug ist Matth. 4, 19 und 8, 32. Das Thema hat unser Autor bereits
an anderer Stelle seiner Bibel-Abschrift in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII
B 18 fol. 516r anklingen lassen; s.o. S. 3.