XXVII. Totentanz, hussitische Revolution und Prager Universität

Ein dalmatinischer Student der Carolina wird Schuster und Kalligraph


 


 


 


 




 

Nationalmuseum und Bibliothek des Metropolitankapitels in Prag bewahren zwei Hussiten-Bibeln auf, die vielleicht nicht wegen ihrer künstlerischen Vollkommenheit bezüglich Schrift und Schmuck, gewiß aber hinsichtlich der inhaltlichen Originalität von Bild wie Wort ihresgleichen suchen. Gemeint sind die Handschriften Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 und Kap. A 135/2. Als originell begreife ich weniger den Bibel-Teil, ihren Hauptinhalt, sondern Textstücke und Bildelemente, die diesem beigegeben sind, und hier insbesondere zwei Komplexe, die im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen sollen: einen Totentanz in Bild und Wort sowie autobiographische Notizen des Schreibers und Hauptilluminators, der die beiden Handschriften in der Ausklangsphase der hussitischen Revolution anlegte[1].

Über die Eignung eines Totentanzes als Gabe an einen Jubilar mag man im Zweifel sein. Daß dieser Prager Totentanz und sein Kontext aber fähig sind, dem Rektor actu regens der Karlsuniversität Karel Malý eine Freude zu bereiten, ist sich der Verfasser dieser Zeilen sicher. (145)

I.

Begonnen sei mit einer kurzen Beschreibung der beiden Handschriften!

1. Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18[2]

Pergament, 15. Jh. (1441, fol. 543r), 545 + II Folien, einspaltig, Blattspiegel 206-216 x 147-157 mm, Schriftspiegel 165-175 x 105-122 mm. Einband modern, 1987 restauriert unter Verwendung von Resten des alten Einbands wohl aus dem 15. Jh. Provenienz unbekannt; die Handschrift gelangte erst 1936 in den Besitz des Prager Nationalmuseums. Aufgrund der Kelchsymbolik auf der Miniatur fol. 541r gilt die Handschrift als ‘Bibel eines hussitischen Priesters’.

Die Handschrift ist von einer einzigen Hand in einer wenig hochstehenden Bastarda geschrieben. Sie weist neben Rubrizierungen zahlreiche mehr und minder kunstvolle Initialen, Rankenornamente und Miniaturen auf, die Pavel Brodský drei Illuminatoren zugewiesen hat, von denen der eine mit Sicherheit auch der Schreiber der Handschrift war. Er hat sich auf der erwähnten, ihrer hussitischen Ikonographie wegen einzigartigen Miniatur fol. 541r in Dedikantenpose, gekleidet in einen schlichten grauen mantelartigen Überwurf, ein Denkmal gesetzt.
Inhalt:
Fol. 1r-11r: Incipit bibilia (so fast immer!) pauperum. Gemeint ist eine nach Kapiteln geordnete Inhaltsangabe der biblischen Bücher, von der Genesis bis zur Apokalypse. 
Inc.: 1. Sex opera dierum et creatio celi et terre. 2. Prohibet dominus Adam et Evam, ne comedant de ligno vite. ... Expl.: ... Apokalypsis ... 22. (vv.12.13) „Venio et merces mea mecum est reddere unicuique secundum opera sua. Ego sum altissimus, primus et novissimus.“ Amen. Kolophon: Bibilia codicibus perfecta texitur istis / Profert capitula distincte mille tricenta / Et quadraginta simul unum bibilia tota etc. (Spatium) Sunt Rome mille triginta quinque capelle.
Fol. 11r: Notat. (Rot) De temptationibus, quas in heremo patiebatur, beatus Ieronimus exclamat[3](Schwarz) O quotiens in heremo constitutus in illa vasta solitudine, que exusta solis ardoribus horridum monachis prestat habitaculum ... et ante hominem suum iam carne premortua sola libidinum incendia buliebant. (Rot) Inchoantur prologi beati Ieronimi super bibliam.
Fol. 11v: leer.
Fol. 12r-516r: (Gold) Bibilia.
Das ist die hieronymianische Bibel mit Prologen, von der Genesis bis zur Apokalypse. Das Alte Testament endet fol. 396r mit dem 2. Makkabäer-Buch. Das Neue Testament mit Apostelbriefen, Apostelgeschichte und Johannes-Apoka(146)lypse umfaßt fol. 396v-516r. Kolophon (fol. 516r, rot): Laus tibi, Christe, qui es creator idem et salvator./ Propter hoc opus dei miserere omnium, deus, et mei./ Gloria tibi trinitas equalis una deitas, pater et filius et spiritus sanctus./ Sit laus patri cum filio sancto simul paraclito. Amen./ Pro labore isto sit laus et gloria Iesu Christo./ Benedicamus patrem et filium cum sancto spiritu laudemus./ Et superexaltemus eum in secula seculorum. Amen. Deo g(ratias). Hucusque bibilia.
Fol. 516r: Auf den Kolophon zum Bibeltext folgen, gleichfalls rubriziert, versifizierte Lebensregeln, die sich in Hans Walthers „Proverbia“ bzw. „Initia carminum“[4] großenteils (aber nicht ausschließlich) als gängige Münze nachweisen lassen:
Mortis[5] vel vite brevis[6] est „Ite! Venite!“
Dicetur reprobis: „Ite!“, et iustis: „Venite!“
Quantus[7] erit fructus, cum dixerit ille: „Venite!“
Tantus erit luctus, iudex cum dixerit: „Ite!“

Laus[8] tua, non tua fraus; virtus, non copia rerum
Scandere te fecit hoc genus eximium.

Sit[9] tua condicio stabilis nec tempore parvo
Vivere te faciat omnipotens deus hic.

In grege commisso male te regis et pede scisso.
Claudus es, inspicito, qui pena futura reddito.

Fol. 516v: Zwei moralisierende Exzerpte aus Pseudo-Augustin [= Alcher von Clairvaux], „De spiritu et anima“, c. 6 und 17: (Rot) Augustinus in libro de spiritu at anima. Inc. (1
[10]): Miser ego quantum deum deberem diligere, qui me fecit ...Expl.: ...Hec preter rem videor dixisse, sed forte non preter utilitatem michi et hiis qui mecum sentiunt, quod ego sentio etc. ...(Rot:) Ibidem in eidem capitulo. Inc. (2[11]): Pater siquidem tradidit filium suum quo redimeret servos ... Expl.: ... quasi plus cruciet eum compassio miseri quam ipsum miserum passio sui. Hec Augustinus. 
Fol. 517r-526v: (Rot) Incipit Registrum super epistolis et ewangelia per circulum anni.
Fol. 527r-543r: Folgen diverse Notate in Form von Sentenzen der Kirchenväter und anderer theologischer Autoritäten (z.B. Thomas von Aquin) über die Kommunion in beiderlei Gestalt, über die Aufgaben des Priesters und vieles andere mehr, dazu eine Reihe inbrünstiger Gebete. Dieses Material bietet ungemein wertvolle Einblicke in die Spiritualität eines utraquistischen Gläubigen der mittleren oder unteren Ebene und verdient eine (147) eigene Untersuchung. Autor ist sicherlich der Schreiber der Handschrift. Im Kontext dieser Textpassagen findet sich fol. 541r die für die hussitische Ikonographie wichtige Miniatur, die der Handschrift den Namen gegeben hat, mit dem knieenden Stifter/Schreiber vor dem lehrhaft thronenden Christus unter einem Altar mit Kelch und Hostie, flankiert von einem Leidenschristus auf der einen, einem anbetenden Paar auf der anderen Seite, alles drapiert von Spruchbändern, die das paränetische Programm ausführlich erläutern (Abb. 4)[12]. Im selben Kontext fol. 542r-v in einer Folge von acht Bildern jener Totentanz der uns im folgendem noch näher beschäftigen wird (Abb.1/2, Beilage I)[13]. Des weiteren enthalten die etwas langatmigen preces et gratiarum actiones dieses Notat-Materials auf fol. 541v (der Verso-Seite des Stifterbildes!) folgende autobiographische Bemerkungen: Et hoc in rei veritate dico, quod habui intentum tantum librum Iudith perscribere pro vacatione diebus festivis, in quibus licitum fuit requiescere a labore et ab arte sutoria, et ut facilius possim precavere me a wanis cogitationibus, et stringere pedes meos a latitationibus ad hastiludia ad thabernas ad conwiwia, et a wanis otiis. 
Et hoc postulavi a domino, et dominus deus dedit michi plus quam postulavi. Rogo, domine deus, ne statuas michi pro peccato hanc ignobilitatem, si in hoc volumine, quam apposui ...(der Text bricht am Ende des Blattes ab, die Fortsetzung ist verloren).
Am Ende dieses Textteils, dessen Lagenverbund durch Neubinden zum Schluß heillos gestört ist und der infolge Verlusts mehrerer Blätter auch nicht mehr vollständig ist, fol. 543r der Schreibervermerk: Explicit labor huius operis / per manus cuiusdam sutoris,/ qui ad horam scribebat / et ad tempus okreas suebat./Sub anno domini Mo CCCCo XLIo in vigilia sancti Laurencii ffinitum est hoc opus. Amen. Ein Schuster, der sonst Gamaschen (ocreae) verfertigt haben will, hat demzufolge die Arbeit an dieser Handschrift im Jahre 1441 am Vorabend des Laurentius-Tages abgeschlossen, d.h. am 9. August.
Fol. 543v-545v: Hussitischer Kalender und anderes Komputistisches. (a) fol. 543v-544v Kalender mit den Monaten (auf tschechisch), mit Sonntagsbuchstaben, goldener Zahl und tschechichsprachigen Tagesbezeichnungen. (b) fol. 545r: Tabula ad inveniendum intervallum. Durat triginta octo annis incipiendo ab anno domini Millesimo CCCCo XXXII, umfaßt also den Zeitraum von 1432 bis 1469; eingestreut sind moralisierende Sprüche (Expendite in egenis ... Confundite perfidos usw.). (c) fol. 545v: Tabula ad adveniendum intervallum omni anno, mit einer Anleitung zum Gebrauch.

2. Hs. Prag, Kap. A 135/2[14]

Pergament, 15. Jh. (1447, fol. 467vb), 524 Folien, zweispaltig, Blattspiegel 274 x 200 mm, (148) Schriftspiegel 210 x 150 mm. Einband: Holzdeckel, mit grauem schmucklosem Leder überzogen, Buckelverzierungen und Messingschließen, beides teilweise abgefallen; Zeitstellung: 15. Jh. Innenseite des Vorderdeckels und Vorderseite des Schmutzblattes enthalten Bemerkungen zum Inhalt der Handschrift, durchweg erst aus dem 16./17. Jh. Dort (fol. 1r) auch der älteste Besitzeintrag: Georgius Hanussius Landtskronen(sis) decanus Altae Mytae 1598. Dieser Mann nennt sich auch am unteren Rand von fol. 467v, dem Ende des Bibelteils, wo sich auch der Kolophon des Schreibers findet (s.u.), diesmal aber mit anderer Funktion und anderem Datum: Georgius Hanussius Landtskronen(sis) parochus Micro Pragensis 1612. Georg Hanuš von Landskron/Lanškroun, dürfte diese Handschrift also während seiner Amtszeit als - notabene utraquistischer! - Dekan von Hohenmauth/Vysoké Mýto erworben haben und brachte während seiner Amtszeit als „Pfarrer der Prager Kleinseite“ - das ist St. Niklas - kurz vor seinem Tod (1613) den Eintrag fol. 467v an[15].

Geschrieben ist der Kodex von derselben Hand wie Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18; er enthält gleichfalls zahlreiche Illuminationen, die auch hier weitestgehend vom Schreiber stammen[16]. Die Handschrift setzte ursprünglich einmal mit einem Quatern ein, von dem heute nur noch das erste Blatt (fol. 1r/v) vorhanden ist, dessen Recto-Seite jetzt die Funktion eines Vorsatzblattes erfüllt und dessen Verso-Seite einen siebenarmigen Leuchter zeigt (Candelabrum quod ostendit dominus Moysi in monte), begleitet von ausdeutenden Beischriften (Tres calami, qui hinc inde exeunt, prelatos significant usw.); es steht zu vermuten, daß die herausgeschnittenen sieben Folien gleichfalls Miniaturen enthielten. 

Inhalt:
Die Handschrift enthält in der Hauptsache, genau wie die Hs. XVIII B 18 des Nationalmuseums, das hieronymianische Bibel-Corpus samt Prologen (fol. 2ra-364va Altes Testament; fol. 364vb unter einer Art ‘Drei-Stände’-Bild mit Papst, Kaiser, Bauer in vertikaler Folge die 12 Propheten[17] (fol. 365r als Pendant in Form einer Randleiste die 12 Apostel); fol. 365ra-467vb Neues Testament samt Apostelbriefen, Apostelgeschichte und Johannes-Apokalypse, beschlossen von dem Schreibervermerk: Et sic est finitus labor huius operis in nomine domini per manus cuiusdam Dalmaciensis sub anno domini Mo CCCCo XLo septimo, mense Aprilis, die sabbato ante Palmarum etc. Dieser Teil der Handschrift wäre demnach am 1. April 1447 fertiggestellt gewesen. Darauf folgen fol. 468ra-503rb unter dem Namen des Hieronymus „Interpretationes nominum Hebraico(149)rum“[18]. Inc.: Aaz - apprehendens vel apprehensio ...
Expl.: ... Zusim consilium vel consiliatores. Fol. 503va-509vb: Registrum epistolarum et ewangelistorum(!) per circulum anni.

Bis zu dieser Stelle bietet die Handschrift nach Ausstattung und Inhalt nichts Außergewöhnliches. Dann aber folgen Textstücke, die man in einer Bibel-Handschrift nicht vermutet:
-Fol. 510ra-517vb: (Rot) Figura ista materialiter depicta signat contrarietates in disputationibus fidei katholice contra errorem Iudeorum. (Schwarz) Ista sunt excerpta de erroribus Iudeorum in Thalmuth, que transtulit frater Theobaldus supprior ordinis Predicatorum Parisiensis. Inc. prol.: In disputationibus contra Iudeos notate triplicem cautelam ...
Inc. textus: Tolle arma tua, pharetram ...Expl. pars I (fol. 513rb): ... commendatio gentium. Deo gratias. Inc. pars II (fol. 513rb): Thalmuth et(!) doctrina est, dividitur in quatuor libros, quorum quilibet appellatur Chezer, ut nos vocamus bibliam. Habet tamen quilibet nomen speciale. Primus vocatur Methes(!), id est terminus ... Expl. pars II: ... Et iterum dictum est de ipso domino: „Quantus est iste, cui throni“ etc., qui est gloria communis Iudeorum et christianorum, qui est Christus dominus noster. Amen etc. Bei der Pars I handelt es sich um die bekannte „Pharetra fidei contra Iudeos“, in der Regel überliefert unter dem Namen des Pariser Dominikaner-Suppriors Theobald von Sézanne. Die Pars II aber gehört dem Traditionszusammenhang einer Fassung von Talmud-Exzerpten an, die mehr Übereinstimmung mit der Version des sog. Passauer Anonymus aufzuweisen scheint als mit der „Pharetra“[19]. Beide Formen der lateinischen Talmud-Überlieferung gehen auf einen wohl tatsächlich von Theobald von Sézanne im Zusammenhang mit der Pariser Talmud-Verurteilung von 1242 abgefaßten Traktat zurück, dessen ursprüngliche Fassung sich aber bisher nicht hat auffinden lassen[20]. Eine genauere Einordnung des hier vorliegenden Textes muß einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben, doch spricht alles dafür, daß es sich talis qualis um ein Unikat handelt.
-Fol. 518ra: Nicht identifizierbarer Text, durch Blattverlust der letzten Lage am Anfang unvollständig; Farbreste lassen auf Miniaturen-Verlust schließen. Inc.: ... /mulierum insatiabilis est ... Expl.: ... condempnatio, laus vero bonis sit. Amen.
-Fol. 518ra-rb: Vätersentenzen über die Würdigkeit des Priesters. Inc.: Augustinus. Certa et secura potest esse expectatio beatitudinis ... Expl.: ... Bernardus ... Qui missam dicis post amplexum meretricis etc.
-Fol. 518va-520va: Wenerabilis Ysidorus scribit hanc epistolam ad quendam ado(150)
lescentem de norma vivendi sic dicens: Age,fili, ut oportet, age ut decet, age ut dignum est ... Expl.: ...ne bonum, quod cepisti, despicias. Amen. Druck: Migne, PL 83, 1247-1252, Appendix XV zu den echten Werken Isidors von Sevilla, unter die dieser kleine Brieftraktat wohl nicht einzureihen ist[21].
-Fol. 520va-523vb: Mores philosophorum (=Pseudo-Walter Burley, De vitis philosophorum), tschechisch, zum Schluß infolge Blattverlusts unvollständig. Die Reihe der Philosophen beginnt mit Diogenes, der letzte ist Alexander der Große. Dieser Schrift und ihrer Rezeption in Böhmen hat Anežka Vidmanová mehrere Studien gewidmet, in denen sie auch unsere Handschrift würdigte[22].
-Fol. 524r: Totentanz mit versifizierter Ständekritik (Abb. 3, Beilage I)[23].
-Fol. 524va-vb: Sententia de necessitate cause. Das ist eine Begründung des Schreibers für die ungewöhnliche Text-Zusammensetzung seiner Abschrift. (Siehe unten Beilage II).

Sieht man einmal von dem das Ganze kommentierenden letzten Abschnitt ab, so ist all diesen zu einer Bibelhandschrift wenig passenden Texten eine exhortativ moralisierende Tendenz gemeinsam. Ohne weiteres erkennbar ist das beim Totentanz, und schon im Titel De norma vivendi verrät (Pseudo-)Isidors Brieftraktat eine solche Richtung; die wenigen als Incipit und Explicit zitierten Worte lassen auch das nicht identifizierbare Textfragment fol. 518ra-rb hierher einordnen wie auch die Vätersentenzen über die Würdigkeit des Priesters. Auf den ersten Blick ist diese Ausrichtung bei den Talmud-Exzerpten nicht ohne weiteres ersichtlich, aber sie ließe sich aus ihnen durchaus herauslesen, und der Schreiber motiviert damit sogar ausdrücklich die Aufnahme dieses Textstücks in unsere Handschrift[24].

Über die gemeinsame Tendenz hinaus verraten die Texte nach Auswahl und zum Teil auch nach dem Stil einen individuellen Zuschnitt, der den Anteil des Schreibers an der Abfassung der von ihm niedergeschriebenen Stücke relativ hoch einschätzen läßt. Das läßt sich mit Gewißheit für die Talmud-Exzerpte feststellen, wo der Scriptor zumindest bei deren Pars II eine anderswo in dieser Form nicht belegte Fassung notierte. Auf Individualität der Textauswahl wies sodann bei dem auf Pseudo-Walter Burleys „Vitae philosophorum“ beruhenden Textabschnitt Anežka Vidmanová hin[25]. (151)

II.

Dasselbe scheint mir nun auch beim Totentanz[26] und der ihn begleitenden Ständekritik gegeben, womit sich ein Eindruck verfestigt, den schon die nicht auf den Bibeltext bezogenen Partien der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 nahelegten[27]. Das Genus des Totentanzes wird seiner Entstehung nach gemeinhin mit den Pestepidemien des späteren 14. Jhs. in Verbindung gebracht[28], doch gilt es festzuhalten, daß vor dem berühmten Totentanz auf der Innenwand der Arkaden des Kreuzgangs vom Franziskanerkonvent Aux SS. Innocents in Paris von 1424, welcher in der 1485 von dem Pariser Drucker Guyot Marchant emittierten Holzschnittfolge weite Verbreitung fand[29], kein sicheres Zeugnis eines Totentanzes bekannt geworden ist[30]. Danach mehren sich die Fälle, wo man bezüglich der historischen Einordnung auf festerem Boden steht - wie etwa bei dem um 1440 entstandenen Basler Totentanz - doch scheint bislang vor der Mitte des 15. Jahrhunderts kein einziges Beispiel bekannt zu sein, bei dem Text und Bild noch im Original erhalten geblieben wären; sämtliche Aussagen über die frühe Entwicklung des Totentanzes beruhen auf hypothetischen und bisweilen recht gewagten Rückschlüssen aus späteren Überlieferungsformen[31]. Insoweit ist es eine kleine Sensation, wenn man feststellen darf, daß unser (152) auf 1441 bzw. 1447 als Terminus ad quem datierbarer Prager Totentanz nicht nur ganz im allgemeinen zu den frühen Exemplaren der Gattung gezählt werden darf, daß er nicht nur der älteste böhmische[32], sondern anscheinend der älteste im Original mit Text und Bild erhaltene schlechthin ist. 

Dieser Umstand müßte Folgen für die Aussagen über die Entwicklung der Gattung haben, da unser Totentanz in mancher Hinsicht vom Schema abweicht und sich nur schwer mit Hypothesen in Einklang bringen läßt, die die jüngere Forschung gemeint hat aufstellen zu müssen. Auffallend ist bereits das relativ unverbundene Nebeneinander von Bild und Wort in Kap. A 135/2, abweichend von der etwa für den Pariser oder Basler Totentanz charakteristischen Verschränkung von Bildsequenz und Ständekritik, wo jedes Bild einen Stand repräsentiert und diesem ein moralisierendes Verspaar mit Memento-mori-Tendenz zugeordnet ist. In unserem Prager Totentanz hingegen fällt beides einerseits auseinander, andererseits gibt es eine gewisse Doppelung. Denn dieser Totentanz hat zwei deutlich unterscheidbare Bestandteile.

Der eine Teil ist eine lateinische versifizierte Ständekritik, monologisch in exhortativem Predigtstil abgefaßt und nur überliefert in Kap. A 135/2. Sie beginnt bei den Fürsten, den Herren dieser Welt, nimmt dann die hohe Geistlichkeit aufs Korn, danach die Ritter und ihre Knechte, schließlich - am unteren Ende der Gesellschaftspyramide - die Tuchwalker (fullones) als Repräsentanten des verachteten Handwerkerstandes[33], die bei schlecht gehenden Geschäften dem Kunden um den Bart gingen und sich gemein benähmen, wenn sie wirtschaftlich obenauf seien; ganz zum Schluß folgen mit allen Zeichen der Geringschätzung die Bauern als der gesellschaftlich niedrigste Stand. Hervorzuheben an der Kritik ist ihr stellenweiser aktueller Bezug: Hat die Ständekritik des Totentanzes sonst den Charakter des allzeit Gültigen, so arbeitet der Verfasser des Prager Totentanzes auch mit dem Kontrast-Schema Einst und Jetzt. ‘Einst’ (olim) waren die Fürsten fromm und gottesfürchtig, stifteten Klöster und erzogen ihre Untertanen auch zur Gottesfurcht; jetzt aber sei das ganz anders, da beraubten sie die Armen und die Kirchen und scherten sich nicht im geringsten um das Heil ihrer Seele. Ähnliches wird von den Rittern gesagt und ihrem Gefolge: Einst sorgten sie sich um Witwen und Waisen, jetzt aber seien sie ganz dem Kampfgetümmel hingegeben und ihr Gefolge sei eine wahre Landplage, die als ‘kathanae’, Henkers- oder Folterknechte - eine mittellateinische Neubildung von tschech. ‘katan’! -, im Wortspiel mit ‘sathanae’, Teufel, apostrophiert wird. Aktualitätswert besitzt auch die herbe Kritik am geistlichen Stand, namentlich an den Prälaten der (römischen) Kurie. Das (153) ist zwar gängige Münze, fällt aber mit Geißelung von Geldgier, Ungerechtigkeit, mangelndem Sinn für das Wichtige, von Hurerei, Spielsucht und zugleich Kastraten- wie Lüstlings-Charakter doch auffallend scharf aus. Dies um so mehr, als eine antithetische Gegenüberstellung von ‘Einst’ und ‘Jetzt’ fehlt, der Klerus also als solcher kritisiert wird. Die Ständekritik schließt mit dem Aufruf zur Buße, ganz im Einklang mit einem der Hauptmerkmale der Gattung Totentanz[34].

Der zweite Teil ist eine Bilderfolge. In der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 ist sie das einzige Element des Totentanzes. In Kap. A 135/2 hingegen ist sie der Ständekritik an der Stirnseite des Blattes vor- und übergeordnet und führt scheinbar ein Eigenleben. Man erkennt in Kap. A 135/2 vier Figuren, in zwei übereinander stehenden Reihen paarweise angeordnet, jeweils mit einem in der künstlerischen Ausführung an Karel Èapeks Molche erinnernden Tod als Dialogpartner, der aus dem offenen Grab heraus seine Rede führt[35]. Jeder Figur ist ein Spruchband zugeordnet und in gleicher Weise respondiert der Tod. Dieses Schema ist also - im Unterschied zur Ständekritik - dialogisch, nicht monologisch.
Die vier Bilddarstellungen sind nicht eigentlich Elemente einer Ständekritik, sondern zielen auf den ‘Kosmos Menschheit’[36]. Dargestellt sind Jungfrau und Jüngling in der oberen Reihe, Astronom und Hirt in der unteren. Ihre Spruchbänder und die ihnen jeweils entsprechenden des Todes bezeichnen Jungfrau und Jüngling als Urbilder des Menschen, den Astronom - Typus des Philosophen, d.h. des (Universitäts-)Gelehrten - und den Hirten als Urbilder menschlichen Schaffens: der eine mit dem Kopf, der andere mit der Hand.

Als Urbild des Menschseins reflektieren die junge Frau und der junge Mann das Vergänglichkeitsmotiv allen Lebens in der Zeitspanne zwischen der Jugend mit ihrer Schönheit und Kraft und dem Tod, der einen mitten im Leben ereilt, oder dem Alter mit seinen elenden Gebrechen. „Eine Braut bin ich, wohlgeformt und schön, wie die Welt es verlangt“, sagt sie. „Schon hast Du Dich verändert und bist jetzt der Lebensfarbe beraubt“, entgegnet der Tod. Das klassisch gewordene Motiv vom Tod und dem Mädchen[37]! Etwas andere Worte variieren das Motiv beim Jüngling[38]: „Die Zeit der Jugend ist am Zug, das Alter ist noch fern, lebenshungrig traf sie mich“. „Du Tor! Es steht der Tod vor der Tür, und er hat erbärmliche Qualen im Gefolge“, ist die Antwort des Todes. Nicht leicht ist die Devise des Hirten zu deuten: „Ich bin Hirt einer Herde - Willst Du mir vielleicht einen Schatz entwinden[39]?“ Das scheint auf den Schatz des Lebens hinzudeuten - eine ambiva(154)lente Metapher bei einer elenden Hirtenexistenz! Vom Bild des Schatzes her ergäbe sich jedenfalls eine mögliche Verbindung zur Replik des Todes: „Wenn Du auf dem Friedhof liegst, wirst Du den Königen gleich sein!“ Gleichheit im Tode ist traditionelles Totentanz-Motiv[40]. Wäre die Gleichheit zwischen König und Hirt tatsächlich über das Schatz-Motiv hergestellt, dann klänge das freilich eher ironisch-grimmig als tröstlich. Mit offener Sympathie wird der Gelehrte bedacht, dessen Existenz als Mensch auch in der Responsio des Todes von negativen Konnotationen beinahe ganz frei ist. Auf seine Worte, daß er als ‘Astronom des Lebensalters’ - also als einer, der über die ehernen Regeln von Werden und Vergehen Bescheid weiß - im Bilde sei über ‘die Zeiten der Gesundheit’, d.h. wisse, wann man mit dem Tode rechnen müsse und wann nicht, Wissen also in faustischer Manier über das Leben Macht verleihe, - und damit auch über den Tod! -, schlägt ihn der Tod in milder Ironie mit den eigenen Waffen: „In der Philosophie“ - des Gelehrten Metier! - „fand ich, man müsse den anvertrauten Geist zurückerstatten[41].“ Auch der Gelehrte muß zum Schluß sein Bestes hingeben!

Der Totentanz mit seiner Sequenz von vier Bildern, zusammen mit der versifizierten Ständekritik genau auf eine Seite plaziert, könnte als eine in sich geschlossene Form nach Art eines Einblattdruckes wenig späterer Zeiten gelten, gäbe es nicht die ältere Parallelüberlieferung in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18. Diese aber enthält über die vier in der Hs. Kap. A 135/2 überlieferten Bilder hinaus - und diesen vorangestellt - eine Folge von vier weiteren Bildern: Papst, Kaiser, Krieger/Ritter, Kaufmann/Bürger. Diese vier Bilder und ihre Spruchbänder beinhalten eine unzweideutige Ständekritik, verquickt mit einem Memento-mori-Appell: (a) Der Papst sitzt auf einem Thron und trägt das Spruchband: „Ich bin der Papst, Hirte der Prälaten und der Apostelkrösus.“ Nicht um die oves, das gemeine Kirchenvolk, kümmert sich also dieser Seelenhirte, sondern um seine Funktionäre; und als Nachfolger Petri hätte er dessen Typus als Apostelfürst, princeps, nicht locuples apostolorum repräsentieren müssen. Dieser Typ von Papstkritik ist kennzeichnend für den Hussitismus[42]. Der Tod erscheint als Richter[43]: „Weil Du Deine Herde schlecht geleitet hast, bist Du nach dem Gesetz gerichtet.“ (b) Das Bild des Kaisers (mit Bügelkrone) könnte sich, (155) dessen Ruf nach, konkret an Sigismund orientiert haben[44]: „Ich bin König und Kaiser und Liebhaber eines süßen Lebens.“ Der Tod erinnert ihn: „Einst hast Du den Völkern kaiserlich geboten, jetzt bist Du die Beute der Würmer.“ (c) Der Krieger/Ritter, in Kettenhemd, mit Helm und Langschwert, ein wahrer Goliath[45]: „Ein Riese bin ich als Kämpfer, sehr stark und kräftig.“ Der Tod: „Wenn Du in der Grube liegst, kannst Du Dich gegen die Würmer nicht wehren.“ (d) Der Kaufmann[46], in knielangem Gewand, mit Mantelumhang und Hut, einen großen Beutel vor sich in der Hand[47]: „Je mehr ich [Besitz] anhäufe, um so mehr gewinne ich an Lohn (mercesco).“ ‘Mercesco’ ist ein in diesem Zusammenhang höchst vieldeutiges Wort, das nicht nur im Sinne der positiven Bedeutung des Grundwortes ‘mereo’ an merces/merx, ‘Lohn’, ‘Gnade’ - himmlische wie weltliche -, oder zumindest wertneutral an mercator, ‘Warenhändler’, also Kaufmann, sondern auch an den mercennarius, ‘Lohnarbeiter’, denken läßt, der im Johannes-Evangelium (10, 12.13) als das Gegenbild des Guten Hirten geschmäht wird. Wenn einer also zunimmt an merces, an ‘Lohn’ oder auch an ‘Waren’, dann ist das durchaus doppeldeutig zu verstehen, als profanes Element des Erwerbslebens wie als Metapher für Wertschöpfung bei geistlichen Gütern. Der Tod: „Du Geldsack (avarus)! Von dem Ort, wo Du im Augenblick des Todes (oder: wo Du bald) sein wirst, kannst Du Dich von der Wahrheit (a vero) nicht loskaufen.“ 

Die Bilder sind in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 so angeordnet, daß je vier von ihnen Recto- und Verso-Seite von fol. 542 ausfüllen. Weiterer Text rahmt sie - in ursprünglich anscheinend paarweise angeordneten Versen - am oberen und unteren Rand beider Seiten. Diese Verse sind infolge Abnutzung und Beschnitt so gut wie unlesbar geworden, gerade noch daß sich eine allgemein gehaltene Memento-mori-Tendenz mitrecht morbiden Zügen erkennen läßt[48]. Anderes scheint aber nicht verloren gegangen zu sein, obwohl der Lagenverbund gerade an dieser Stelle gestört ist. Das heißt, die Ständekritik dürfte unser Autor erst für die Hs. Kap. A 135/2 entworfen haben. Hat er aber in Umformung der ersten Fassung seines Totentanzes auch in die Sequenz der Bilder eingegriffen? Anders gefragt: Haben wir in der auf vier Bilder reduzierten Fassung der Hs. Kap. A 135/2 eine durch den Autor bewußt vorgenommene Verkürzung oder eine durch Ungunst der Überlie(156)ferung eingetretene Verstümmelung vor uns? Die Antwort fällt nicht leicht, denn inhaltlich wie formal besticht die Version des Totentanzes in Kap. A 135/2 durch ihre Geschlossenheit und es fällt schwer, sich auf dem letzten Drittel einer vorangehenden Seite den Beginn des Totentanzes vorzustellen. Auch liegen den beiden in je vier Einheiten gegliederten Bilder-Gruppen unterschiedliche anthropologische Konzepte zugrunde: Menschheit als Ständereihe hier, Allgemeinmenschliches dort; und da in Kap. A 135/2 die verbalisierte Ständekritik funktional dieselbe Bedeutung hat wie in Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 die Bildsequenz der Ständereihe, wäre es vorstellbar, daß dem Autor bei der Neubearbeitung des Totentanz-Themas in Kap. A 135/2 die Bilderfolge der Ständereihe als überflüssig erschien und er sie wegließ. Der Überlieferungsbefund zeigt jedoch, daß in Kap. A 135/2 gerade vor unserem Totentanz Blattverlust zu beklagen ist. Man muß daher damit rechnen, daß die in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 erhaltene Bildfolge nicht nur die ältere und damit ursprüngliche Fassung des Prager Totentanzes darstellt, sondern auch die einzig vollständige, daß also die Bildfolge der Hs. Kap. A 135/2 am Anfang nur fragmentarisch auf uns gekommen ist.

Es könnte jemand meinen, der Prager Totentanz, gleich ob in der älteren oder in der jüngeren Gestalt, sei wohl gar kein Totentanz, nur eine Vorform vielleicht davon, oder etwas bloß damit Verwandtes, denn die gelehrte Welt scheint sich neuerdings darin einig zu sein, daß das Tanzmotiv für das Genus schlechthin konstitutiv war[49]. Im Prager Totentanz aber fehlt es. Der Text der Ständekritik geht mit keiner Silbe darauf ein, und im Bilderzyklus ist es auch nicht vorhanden. Die menschlichen Figuren sind vielmehr ganz statuarisch dargestellt (der Papst sitzt sogar auf seinem Thron), und der Tod wirkt zwar bewegt, er gestikuliert, Würmer, Schlangen, Kröten umspielen seine Glieder, von Tanz oder gar von Reigen aber ist nichts zu erkennen, weder im Bild noch im Text der Spruchbänder. Vor uns steht also ein Toten-‘Tanz’ ohne Tanzelemente. 

Das führt erneut zu der Frage nach der entwicklungsgeschichtlichen Einordnung des Prager Totentanzes. Könnte man den Annahmen der gelehrten Forschung vertrauen, so wäre die Hineinnahme, ja Dominanz der menschheitsgeschichtlichen Figuren ein jüngeres Element, denn angeblich lag die Ständekritik am Ursprung der Gattung[50]. Nun fehlt das Element der Ständekritik in unserem Totentanz ja keineswegs; es ist in der ursprünglichen Fassung von 1441 sogar ein integraler Bestandteil. Etwas anders steht es mit der versifizierten Ständekritik der jüngeren Fassung von 1447. Sie ist nicht ins Bild integriert. Mehr noch: dieser Kritik fehlt als Dialogpartner der Tod; sie ist nicht eigentlich totentanzspezifisch, sondern in einem allgemeineren Sinn der Memento-mori-Literatur verhaftet. Bild und Wort sind miteinander verbunden, aber nicht ineins verschmolzen. Die Bilder illustrieren nicht den Text, und der Text nimmt keinen Bezug auf die Bilder; er bedarf gar keiner Bilder. 

Wie sind diese, aus dem inzwischen fast kanonisierten Vorstellungskreis von Wesen (157) und Entwicklung des Totentanzes herausfallenden Beobachtungen zu bewerten? Liest man die einschlägigen Werke aufmerksam, dann wird man bald gewahr, wie ungefestigt unser Wissen von der Herkunft und den frühen Entwicklungsstufen dieses Genus insgesamt ist, daß Materialgrundlage und Hypothesenfestigkeit in keinem guten Verhältnis zueinander stehen und einlinige Betrachtungsweisen öfter anzutreffen sind als es der Diskussion gut tat[51]. Für die frühe Geschichte des Totentanzes ist die Arbeit von Grund auf noch zu leisten. 

Der hier vorgestellte Prager ‘Totentanz’ - eine Bezeichnung, an der ich aus Gründen der Konvenienz festhalten möchte - könnte dazu einen wichtigen Beitrag leisten, nimmt man seine im Vergleich zur ausgebildeten Form des Pariser und Basler Totentanzes abweichenden Formen nur ernst, betrachtet sie nicht als belangloses Sondergut, sondern als Varianten des Grundmusters, das in seinen frühen Formen Abbild seines polymorphen Ursprungs gewesen sein müßte. Dann bestätigt sich, was die Überlieferung auch anderer Totentänze nahelegt, daß Wort und Bild erst später, und jedenfalls nicht immer, zueinander fanden und keineswegs notwendig eine Einheit bildeten[52]. Dann erhalten auch Zweifel Nahrung an dem in letzter Zeit überaus stark betonten Tanzmotiv und im Gefolge davon einer ungebührlichen Dämonisierung des Genres. Diese Züge fehlen der Totentanz-Gattung wahrlich nicht, Kröten, Schlangen und Würmer sind im Gefolge von Tod wie Teufel anzutreffen, die Sphären beider weisen also durchaus Konvergenzpunkte auf[53]. Sie liegen im Element des Makabren, an dem das Dämonische teilhat, ohne es doch zu beherrschen oder etwa ganz auszufüllen. Daß das Element des Dämonischen für den Totentanz, die ‘Danse macabre’, ursprünglich sei oder gar konstitutiv für die Gattung, ist jedenfalls nicht einsichtig. Das widerlegt, wie mir scheint, der Prager Totentanz. Denn er zeigt bei allen makabren Beimischungen, daß die Gattung den paränetischen Horizont von Memento mori und Bußaufruf nicht überschritten haben mußte, um zu einer genuinen Artikulation ihrer selbst zu finden. Insgesamt weist dieses Beispiel auf den Kompositcharakter der Gattung hin, die vielerlei Elemente in ihrem Ursprung vereint, bildliche wie textliche, und die in der Zeit der ersten Blüte - als die man die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts wohl mit Fug und Recht bezeichnen darf - offenbar noch über einen Formenkanon von erheblicher Vielgestaltigkeit verfügte. 

III.

Dies alles führt uns zu der Frage nach dem ‘Sitz im Leben’ dieses Prager Totentanzes. Sie läßt sich stellen als die Frage nach dem Autor. Natürlich ist auch dieser Totentanz in (158) seinen beiden Bestandteilen: Bild wie Wort, keine Schöpfung aus dem Nichts, weist er Elemente einer Tradition auf, die der Autor vorfand und umformte, aber nicht erst schuf. Diese Tatsache läßt sich bereits an dem einen Beispiel der wörtlichen Übereinstimmung mit dem Totentanz der Heidelberger Handschrift cpg 314 ablesen: dem Christus in den Mund gelegten Wortspiel ‘Venite!’ - ‘Ite!’[54], vergleichbar dem ‘Gerettet’ - ‘Gerichtet’ in Goethes „Faust“. Der Autor kannte also den Totentanz-Stoff aus vorgegebenen Quellen. Das zeigt - bei aller Originalität - nicht zuletzt die Traditionsgebundenheit in der Verwendung gattungstypischer Elemente und Formen, bis hin zur Verswahl der Vagantendichtung, die ganz mit dem lateinischen Totentanz der Heidelberger Handschrift übereinstimmt. Aber der Prager Totentanz trägt nach inhaltlicher Aussage wie nach Wort- und Motivwahl in bestimmendem Maße Züge einer individuellen Ausprägung, die ihn mehr sein läßt als eine bloße Kompilation fertig bereitliegender Versatzstücke. Das Werk ist, so wie es vorliegt, eine Neuschöpfung!

Ist seine Überlieferung in den Handschriften Kap. A 135/2 und Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 Abschrift oder (doppelt gefaßte) Urschrift? Ich bin vom letzteren überzeugt. Schreiber und Autor sind meiner Ansicht nach identisch. Daß die versifizierte Ständekritik eine Person slawischer Zunge zum Verfasser hat, zeigt bereits die Verwendung der aus dem Tschechischen stammenden mittellateinischen Neubildung ‘kathanas’, die derart in den Text integriert ist, daß nur ein des Slawischen Kundiger das Wort und das damit verbundene Wortspiel begreifen konnte. Dieser Text kann also nicht in Deutschland oder Frankreich, den für die Entstehung der Totentanz-Gattung in Anspruch genommenen Ländern, entstanden sein. Greift man zum Nächstliegenden und liest die Ständekritik als ein Echo auf die politische Situation Böhmens in der Zeit der Entstehung der Handschrift, die sie überliefert, so paßt alles aufs beste zusammen[55].

Das ist freilich noch kein Nachweis der Autorschaft des Schreibers am Text des Totentanzes. Der legt sich indessen nahe, betrachtet man die auf der Verso-Seite unseres Totentanzes in der Hs. Kap. A 135/2 befindliche ‘ratio editionis’ für die inhaltliche Zusammenstellung des gesamten Kodex aus der Feder ihres Schreibers. Das ist eine Autobiographie in nuce! Sie stammt von einem Mann, der - gleich ob als Schuster oder Kalligraph - ein Metier betrieb, dessen Angehörige im allgemeinen keine autobiographischen Notizen hinterlassen. Es ist allerdings auch ein besonderer Handwerker, der hier seine Profession ausübte. Sein Handwerk war ihm nicht an der Wiege gesungen worden, vielmehr wollte er einmal höher hinaus: In Dalmatien geboren, zog er - wohl noch im ersten Dezennium des 15. Jahrhunderts - als Halbwüchsiger mit seinem Lehrer, der auf dem Wege starb, nach Prag, um an der Alma mater Carolina zu studieren. Dort aber geriet er in die Turbulenzen der hussitischen Revolution und mußte sein Studium abbrechen. Denn an der Karlsuniversität herrschte Chaos (rectura studii quasi anichilata erat), und die Pflege des (159) Latein - Symbol der Bildung schlechthin - war nahezu hoffnungslos am Ende. Statt in Ausübung einer gelehrten Profession zu Ansehen und Wohlstand zu gelangen - als eingefleischter Philologe dachte er dabei anscheinend eher an die Artes liberales als an eine der wirklichen artes lucrativae, wie z.B. die Jurisprudenz - und seinen Eltern ein wenig von dem rückzuerstatten, was er von ihnen für sein Studium erhalten hatte, mußte er sich den Artes mechanicae, der verachteten Handarbeit[56], zuwenden, um sich und seine Kinder durchzubringen; wie wir aus der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 wissen: als Schuster und dann und wann an Sonn- und Feiertagen, in seiner Freizeit, als Kalligraph. Auch da vermochte er nach seinen Worten nur ein elendes Leben zu fristen, über Wasser gehalten von ‘guten Menschen’, hinter denen man vielleicht auch die (geistlichen) Auftraggeber seiner kalligraphischen Produktion vermuten darf, deren Namen er übrigens ebenso bewußt verbarg wie er es peinlich vermied, den seinen zu nennen. So bittet er am Ende einen jeden - d.h. den Leser und Benutzer seines Werkes -, daß er seine Eltern ins Gebet einschlösse, damit sie wenigstens diesen Gewinn aus der so wenig geradlinigen Berufsbildung ihres Sohnes davontrügen. 

Ein anrührendes Zeugnis! Zumal für jeden Carolina-Rektor, dem es ernst ist mit der Aufgabe, die rectura studii Pragensis in unruhiger Zeit mit festem Griff in die Hand zu nehmen und die dort beheimateten Wissenschaften - auch das Latein! - nach Jahren der Dürre und der Turbulenzen wieder zum Erblühen zu bringen. 

Dieses Zeugnis ist aber zugleich auch ein Beleg für die Autorschaft des anonymen Dalmatiners für unseren Totentanz. Autobiographische Notiz und Totentanz atmen denselben Geist. Auch die Sprache beider Texte scheint verwandt, jedenfalls verraten sie einen Autor, der ein brauchbares, aber kein sehr hochstehendes und in Wortwahl, Syntax und Grammatik ungelenkes, bisweilen auch fehlerhaftes Latein schrieb, dessen Sinn deswegen auch nicht überall ganz deutlich wird. Obwohl Vers und Prosa nicht ohne weiteres vergleichbar sind, hätte ich doch dem Sprachcharakter nach keine Schwierigkeiten, die autobiographische Schreibernotiz und den Totentanz mitsamt der versifizierten Ständekritik demselben Verfasser zuzuweisen. Zu dieser Annahme fügt sich aufs beste die Stilanalyse bezüglich der Miniaturtechnik des Totentanzes. Brodský und Stejskal stimmen darin überein, daß die Ausführung der Totentanz-Miniaturen in Kap. A 135/2 wie Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 vom gleichen Illuminator sind, dem sie indessen die Qualität eines (160) professionellen Miniaturisten absprechen: als naiv, dilettantisch, amateurhaft bezeichnet Brodský dessen Werk, es entzöge sich jeder stilistischen Einordnung[57]; ein aus ästhetischer und kunstgeschichtlicher Sicht gewiß zutreffendes Urteil. Aber gerade das paßt ins Bild des ‘abgebrochenen Studenten’, den die hussitische Revolution aus der universitären Bildungsbahn warf und zum halbintellektuellen Schuster und kalligraphischen Autodidakten werden ließ, der von allem etwas verstand, aber nichts wirklich beherrschte. Die geistige wie materielle Hinterlassenschaft dieses Mannes aber legt nicht weniger Zeugnis ab von dem unzerstörbaren Willen des geistig wahrhaft produktiven Menschen zur Artikulation seiner Gedanken als von den Bedingungen und Möglichkeiten eines revolutionären Zeitalters zur geistigen Produktion. Bei allem Mangel an Kunstgerechtem - dies ist ein historisches Denkmal von erstrangiger Bedeutung!

Ist diese Einschätzung der Dinge richtig, dann hätte es auch seine eigentümliche Bewandtnis, weshalb der Astronom/Philosoph im Totentanz so gut davonkommt: Er wäre Sinnbild des Traums von einem guten, weil gelehrten Leben, wie ihn in jungen Jahren ein Student der Carolina einmal träumte.

Beilage I
 

PRAGERTOTENTANZ



1) Spruchbänder der Bilderfolge

Überlieferung:Prag, Bibliothek des Metropolitankapitels, Kap. A 135/2 fol. 524r (M).
Prag, Nationalmuseum, XVIII B 18 fol. fol. 542r-v (N).
Die vier ersten Bilder fehlen in M, wohl aufgrund von Blattverlust.


a)Papst (N):Sum papa, prelatorum pastor,
et locuples apostolorum.
Tod (N):Quia male rexisti gregem,
iam es iudicatus per legem.

b)Kaiser (N):Sum rex et imperator
et deliciarum amator.
Tod (N):Olim imperabas gentibus,
iam es superatus a vermibus.

c)Krieger /Ritter(N):Gigas sum bellator
ffortissimus robore.
Tod (N):Dum in fosa eris,
deffendere te vermibus non potueris. (161)

d) Kaufmann/Bürger (N):Dum plus akkumulo,
tantum plus mercesco[58].
Tod (N):Avare, ubi articulo[59] eris,
et a vero non redimeris.

e)Jungfrau (M/N):Sum sponsa formosa
mundo et speciosa.
Tod (M/N):Iam es mutata,
a colore nunc spoliata.

f)Jüngling (M/N):Tempus instat iuventutis,
sed non aptum senectutis,
[cupidum
[60] me leserat].
Tod (M/N):O stulte! Mors stat[61] in foribus
cum vilissimis doloribus.

g)Astrolog (M/N):Sum astronomus etatis,
nosco tempora sanitatis.
Tod (N):Multi philozophi fuerunt,
Hi mortem aluerunt.
Tod (M):In philosophia reperi
spiritum concessum reddi.

h)Hirt (M/N):Sum pastor gregis -
an
[62] thezaurum a me torquere queris?
Tod (M/N):Dum in cimitorio eris,
equalis regibus eris.

2) Ständekritik

Überlieferung:Prag, Bibliothek des Metropolitankapitels, Kap. A 135/2 fol. 524r (M).

Universi audiantquidnam sum dicturus
Omnes tamquam penitusnullum dimissurus
Servos[63] atque dominosverbo puniturus
Veritati cuiquesua sum daturus.

Dominorum dominiscire noluistis
Post mundi fallaciaomnes iam abistis (162)
Mundo atque demoniplene obedistis
Expectatque iugitervos infernus tristis.

Olym namque dominideo serviebant
Orantes, ieiuniaplura faciebant
Pulcra monasteriadeo construebant
Et servire Dominosubditos docebant.

Modo vero dominiprincipes terrarum
Crudele spectaculumDeoque amarum
Predatores pauperumet ecclesiarum
De salute animevalde curant parum.

Prelatorum etiamcurie tumentes
Pleni sunt superbiasymoniam sequentes
Semper pro iustitiamunera petentes
Parwa nimis ponderantmagna obmittentes.

Abbates prepositiet omnes rectores
Dimiserunt penitusomnes bonos mores
Serviuntque Veneritaxellum lusores
Sunt effecti pariterkapones lepores
[64].

Erant olym militesper mundum currentes[65]
Pro viduis orphanissecure pungnantes.
Sed moderni militesprelio inhiantes
[66]
Bonos malos spoliantnullum
[67] venerantes[68].

Horum certe famulikathane[69] vocantur,
Sed sathane nomini[70]satis proximantur
Qui peiora fecerintillum venerantur
Nam per illos demonescuncta operantur. (163)

Fullones[71] artifices,mundi deceptores,
Pusillum prosperantur,dicunt se minores[72],
Mox dum instat crepitusceteris viliores.
Ni si<t> penitentiatrahunt<ur> ad supplicia.

Quid dicam de rusticis?Male[73] vivunt satis.
Bonis temporalibuspro collectis datis
Perdunt eternaliadecimis furatis
Cum eorum dominissic pereunt gratis.

Ergo vos, o domini,mala corrigatis,
Ne post vos invenianthiis peiora satis,
Sed purgari gratiaDei valeatis,
Ut ad celi gloriammundi veniatis!

Amen.

(Rot:)Qualis erit fructus hiis,cum dixerit: ‘Venite!’
Talis erit luctus reprobis,iudex cum dixerit: ‘Ite[74]!’

Beilage II

AUTOBIOGRAPHISCHENOTIZDESANONYMUSDALMATINUS

Überlieferung:Prag, Bibliothek des Metropolitankapitels, Kap. A 135/2 fol. 524va-b (M).

(Rot)Incipit sententia de necessitate cause

Omnipotens, fortissime deus, cognitor spirituum universe carnis, si ex ignorantia aut excessu mentis mee aliqua in hoc volumine obmisi aut apposui, que non debui, preter ea, que eciam negligenter[75] ostendunt exemplaria esse non integre ex defectu scriptorum et etiam debilitate duorum luminum meorum, que tamen in correctione emendari poterunt[76] - ecce confiteor hodie coram omnipotenti deo et omni legenti et audienti, nichil aliter sapere nec (164) pensare[77] quam oportet. Et ne michi inponat aliquis, considerans meam ruditatem, quod ego vellem aliquid specificare ex proprio aut sentire aut credere[78] quam quod institutum est credere et sancta tenet mater ecclesia et fides katholica approbat, sedis[79] Romana confirmat de omnibus sacramentis fidei christiane et institutione apostolica et omnium imitantium eos et de omnibus que sunt necessaria ad salutem anime et corporis, existimet[80] me aliquis aliter sapere! Absit hoc a me! Et illa sit causa, quod hoc dico, quia in fine huius voluminis sunt duo quinterni additi, sine quibus optime et integre ac perfecte dante deo volumen hoc est terminatum absque ullo defectu. Sed quia sunt optima dicta et de difficili et antiquissimo exemplari translata - et sunt due particule, licet non integre, quia defecit ulterius exemplar, et sic incipiunt: "Ista sunt excerpta de Thalmuth contra errorem Iudeorum etc." -, et ego dico, quod valebunt et in futurum, non tantum pro nunc, quia adhuc omnes non sumus in pede pontis[81] etc.; et non tantum contra errorem Iudeorum, sed - proh[82] dolor! - etiam aliquos semichristianos, ut manifestum est istis temporibus in fide miserabiliter corruptis, illi sic, illi aliter, cum tamen una sit fides katholica, quam nisi quisque integre servaverit, absque dubio salvus esse non poterit. Ergo si modicum proficiunt, ut sic dicam, estimo etiam, quod illa dicta in fine huius voluminis comprehensa parum alicui nocent secundum simplicem meum intellectum. 

Ac tamen, ut proprio sensu non credam et ignobilitatem meam revelem, ut correctus potius sileam coram omni legenti audienti et intelligenti, si qua reperientur esse superflua vel diminuta, que plus nocerent quam edificarent, non recuso emendari, ymmo et excidere coram informatoribus et rectoribus et magistris et spiritualibus patribus, quorum sanctitate et precibus communicamus singuli et eorum doctrina heredes Christi efficimur. Quibus conscientiam meam non occulto et fragilitatem humanitatis mee sepius innotesco, quamvis et ista pensata[83] ad me non pertinent, ut videbitur in processu. Sed quia illa aliquantulum prius studui, et quia ego ab aliquot et XL annis a parentibus meis elongatus et ab informatore meo ad studium nowellus a Dalmacia usque huc deductus illo obeunte[84] veniam, si sicud navis absque vectore non habens gubernatorem, ego autem, sicud me propria voluntas regebat, sic gradiebar. Et quia ante XX annos in regno disturbia et infestationes bellorum versabantur et rectura studii quasi anichilata erat, et quasi spes non erat Latine lingwe, nec locum habebat ad tempus ut manifestum est plurimis, et ego latitans vagus hinc inde coartabar. Benedictus dominus deus in eternum et in seculum seculi, qui liberavit me multotiens a periculo corporis et anime - et sic heu lapsus a studio litterarum ad artem perveni mechanicam[85], in qua pro nunc utor cum pueris meis, quos omnipotens deus donavit michi, sustenti auxilio omnipotentis, misericordis miserantis, et adiutorio proborum hominum, quibus omnipotens deus sit retributio, quos dubito nominare in hoc loco, ne eorum merite mercedis in retributione iustorum in eterna beatitudine temporali ac humana laude molestus efficiar, et quia ego eis pari retribuere non possum, existens in hac arte, in qua quis vult absque invidia periurio fallacia et aliis multis transgressionibus[86] vix penuriose vivere poterit. Et ista (165) est causa maxima huius laboris in hoc volumine, parum eximium studii mei, quia, quod arbitrati sunt parentes de me, non perveni nec fui dignus. Et ut omnino non parwipendam curas parentum quas habuerunt propter me, et expensas quas apposuerunt in me, ut saltem aliquid modicum ex ingenio studii mei relinquam in laudem et gloriam dei omnipotentis et ad profectum ministrorum ecclesie Christi et rectorum fidei katholice et ad salutem animarum - memoret quisque eos, ut deus celestibus iungat eos! Amen.



[1]Die vorliegende kleine Studie bedurfte vielfältiger Hilfe, für die ich insbesondere Manfred Fuhrmann, Ingo Herklotz, Ivan Hlaváèek, Walter Koller, Gabriel Silagi, Zuzana Silagiová, František Šmahel und Peter Stotz sowie Anežka Vidmanová zu Dank verpflichtet bin.
[2]Die Handschrift wurde noch nirgendwo beschrieben. Ihr reicher Bildschmuck fand eine eingehende Würdigung in der noch unpublizierten Beschreibung von Pavel Brodský, Iluminované rukopisy Knihovny Národního muzea v Praze (Prag 1988 [masch. = Arbeit zur Erlangung des CSc-Grades]) S. 428-431, die mir der Verfasser freundlicherweise zugänglich machte. Auf sie verweist auch Karel Stejskal, Iluze a symbol v knižní malbì první poloviny 15. století, Umìní 35 (1987) S. 240-259, hier S. 251; ders. und Petr Voit, Iluminované rukopisy doby husitské (Praha 1991) S. 62 Nr. 48.
[3]Hieronymus, ep. 22 § 7, ed. I. Hilberg, CSEL 54 (Wien - Leipzig 1910) S. 152f.
[4]HansWalther, Proverbia sententiaeque latinitatis medii aevi, 6 Teile (Göttingen 1963-1969); ders., Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris Latinorum (Göttingen 21969).
[5]Walther, Proverbia 15266; Initia 11312. Der Nachweis bezieht sich nur auf die ersten zwei Verse. 
[6]Ergänze littera.
[7]An dieser Stelle der Hs. am Rand Handzeichen mit Verweis: Apok. ultimo, also auf den Schlußabschnitt des auf derselben Seite endenden Bibeltextes mit der Prophetie von Christi Wiederkunft und Weltgericht in Apoc. 22.
[8]Walther, Proverbia 13605; Initia 10203, dazu Nachträge in: Mittellateinisches Jahrbuch 15 (1980) S. 271.
[9]Walther, Proverbia 29881a; Initia 18348.
[10]Migne, PL 40, 792f. (c. 17).
[11]Migne, PL 40, 783f. (c. 6).
[12]Obwohl die Handschrift 1991 in der Ausstellung über die „Illuminierten Handschriften der Hussitenzeit“ gezeigt wurde, ist daraus weder dieses noch ein anderes Bild in den Ausstellungskatalog (s. Anm. 2) gelangt.
[13]Der erste, der auf diesen Totentanz aufmerksam machte, war Karel Stejskal, Obrazy smrti ve výtvarném umìní a jejich divadelní inspirace, in: Státní knihovna ÈSR - Miscellanea oddìlení rukopisù a vzácných tiskù 4/2 (Praha 1987) S. 303-334, hier S. 312.
[14]Eine heutigen Bedürfnissen genügende Beschreibung gibt es nicht. Auch die folgenden Ausführungen wollen und können dafür kein vollwertiger Ersatz sein, zumal bei einer fachkundigen Katalogisierung ebensosehr der Kunsthistoriker wie der Allgemeinhistoriker gefragt wäre. Vgl. daher vorderhand immer noch Ad. Patera - Ant. Podlaha, Soupis rukopisù Knihovny metropolitní kapitoly pražské 1 (Praha 1910) S. 154f. Nr. 239. 
[15]Vgl. zu ihm Rukovìť humanistického básnictví 2 (Praha 1966) S. 263-266. 
[16]Sie sind dokumentiert bei A. Podlaha, Topographie der historischen und Kunst-Denkmale im Königreiche Böhmen, von der Urzeit bis zum Anfange des 19. Jhs. Die königliche Hauptstadt Prag: Hradschin, Bd. 2: Die Bibliothek des Metropolitankapitels (Prag 1904) S. 147-150 (= S. 139-142 der tschechischen Ausgabe). Eine der gelungensten Miniaturen - Diogenes in der Tonne mit Alexander d. Gr. im Hintergrund (fol. 520va) - ziert die Titelseite der Aufsatzsammlung von Anežka Vidmanová, Laborintus (Praha 1994). Die Frage nach Anzahl und ggf. Anteil der Illuminatoren bedarf noch der Klärung; zwei düften es zumindest gewesen sein. 
[17]Abbildung bei František Graus, Littérature et mentalité médiévales: le roi et le peuple, Historica 16 (1969) S. 5-79, Abb. 21.
[18]Zu Text, Editionen und Überlieferung vgl. Matthias Thiel, Grundlagen und Gestalt der Hebräischkenntnisse des frühen Mittelalters (Biblioteca degli „Studi medievali“ 4, Spoleto 1973) S. 158ff., beschrieben unter dem Namen Pseudo-Beda. Der Text ist nach dem Ausweis des unter Federführung der Berliner Staatsbibliothek in Arbeit befindlichen Kreuzregisters der nach DFG-Richtlinien publizierten Handschriften-Kataloge sehr viel häufiger überliefert, als es Thiels Angaben erwarten lassen.
[19]Vgl. A. Patschovsky, Der Passauer Anonymus. Ein Sammelwerk gegen Ketzer, Juden, Antichrist aus der Mitte des 13. Jhs. (Schriften der MGH 22, Stuttgart 1968) S. 178ff.
[20]Weiterführende Hinweise bei A. Patschovsky, Der „Talmudjude“. Vom mittelalterlichen Ursprung eines neuzeitlichen Themas, in: Juden in der christlichen Umwelt während des späten Mittelalters (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 13, Berlin 1992) S. 13-27, hier S. 18f.
[21]Den Nachweis verdanke ich Herrn Dr. Peter Burkhart (Frankfurt/Jena).
[22]AnežkaSchmidtová (Vidmanová), De Burlei Vitarum codicibus Bohemicis, Eos 49, 1 (1957/58) S. 171-181, hier bes. S. 180; dies., Burleyovy Životy starých filosofù a jejich èeské pøeklady (Rozpravy Èeskoslovenské akademie vìd. Øada spoleèenských vìd, roèník 72, sešit 7, Praha 1962), hier bes. S. 46f. Zuletzt: La formation de la seconde rédaction des „Vite philosophorum“ et sa relation à l’oeuvre originale, Medioevo 16 (1990) S. 253-272.
[23]Die Bilderfolge des Totentanzes der Handschrift ist abgebildet bei Podlaha (wie Anm. 3) S. 148/150 [tschech. Ausgabe S. 141-142] Abb. 156, auch bei Graus (wie Anm. 17) Abb. 20. Graus geht im Text nirgends auf die Bilderfolge ein; sie soll wohl ‘peuple’ illustrieren. Aus kunstgeschichtlicher Sicht fand sie Beachtung bei K. Stejskal (wie oben Anm. 2 und 13). 
[24]Siehe unten S. 25.
[25]A. Vidmanová, Eos 49, 1 S. 180.
[26]K.Stejskal, Obrazy Smrti, S. 312, geht knapp darauf ein und weist erstmals auf den Zusammenhang mit dem Totentanz in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 fol. 542r-v hin.
[27]Siehe oben S. 147
[28]Den besten Einstieg in die Totentanz-Problematik gewährt Gert Kaiser, Der tanzende Tod (insel taschenbuch 647, Frankfurt am Main1982). Aus der jüngeren Literatur seien hervorgehoben die Studien von Joël Saugnieux, Les Danses macabres de France et d’Espagne et leurs prolongements littéraires (Bibliothèque de la Faculté des Lettres de Lyon, fasc. 30, Paris 1972), sowie Reinhold Hammerstein, Diabolus in musica (Bern - München 1974); ders., Tanz und Musik des Todes. Die mittelalterlichen Totentänze und ihr Nachleben (Bern - München 1980). Nur mit größten Bedenken sei hingewiesen auf Hellmut Rosenfeld, Die mittelalterlichen Totentänze. Entstehung - Entwicklung - Bedeutung (Köln - Graz 1954, benutzt in der 2. Auflage 1968); vgl. dazu die herbe Kritik von Frederick P. Pickering, in: Euphorion, 3. Folge 49 (1955) S. 483-488. Konzentriert auf die Textseite der Totentanz-Gattung: Erwin Koller, Totentanz. Versuch einer Textbeschreibung (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 10, Innsbruck 1980).
[29]Dazu speziell Pierre Vaillant, La Danse macabre de 1485 et les fresques du charnier des Innocents, in: La mort au moyen âge (Strasbourg 1977) S. 81-86. 
[30]Hellmut Rosenfelds Würzburger Totentanz von ca. 1350 ist eine Chimäre. Der von ihm S. 307 gegebene „Stammbaum der Totentänze“ unterscheidet bezüglich der Zeitstellung nicht zwischen Überlieferungsbefund und hypothetisch erschlossenem Alter. Die Zuverlässigkeit seiner Angaben läßt zudem zu wünschen übrig. Die von André Corvisier, La représentation de la société dans les Danses des morts du XVe au XVIIe siècle, Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 16 (1969) S. 489-539, auf S. 536-539 gelieferte tabellarische Übersicht beruht auf einer unkritischen Übernahme von Rosenfelds Daten, dessen Thesen der Verfasser auch sonst unbesehen seinen Ausführungen zugrunde legt. Eigenständig ist Erwin Kollers Zugang zum Gegenstand, aber seine rein germanistische und auf die spätere Entwicklung konzentrierte Fragestellung gibt seiner Darstellung für das gesamte Mittelalter eine nur sehr geringe Bedeutung. Fazit: Eine solide begründete chronologische Übersicht über die Totentänze und ihre Überlieferung ist ein Desiderat. 
[31]Das gilt strictu sensu auch für die erhalten gebliebenen Fragmente des Basler Totentanzes, die nicht in originaler, sondern nur in später übermalter Form auf uns gekommen sind. Entstehung zwischen 1443 und 1447 wird bei dem von G. Kaiser (S. 276) sog. oberdeutschen Totentanz in der Heidelberger Handschrift cpg 341 angenommen; diese Handschrift enthält Texte (auf denen Rosenfeld seine ausufernden Hypothesen aufbaut), aber keine Bilder. Umgekehrt haben die Totentänze von La Chaise-Dieu in der Auvergne und Kermaria-en-Isquit in der Bretagne Bilder, aber keinen Text; zudem schwanken die Angaben der Literatur hinsichtlich der Datierung beträchtlich: La Chaise-Dieu 1410/20 Hammerstein, ca. 1470 Saugnieux; Kermaria um 1430 Hammerstein, 1460 Saugnieux. Zum Totentanz des Ulmer Wengen-Klosters, sicher auf 1440 datiert und im 2. Weltkrieg zerstört, vgl. Rosenfeld S. 95 mit Abb. 16. Alles andere liegt später. Vgl. am besten Saugnieux S. 18, Hammerstein (1980) S. 29f., 63ff., 67ff.
[32]Die Erschließung des böhmischen Totentanzmaterials ist ganz kümmerlich. Verwiesen wird allgemein auf H. Rosenfeld, S. 255ff., 307, dessen einziges mittelalterliches Beispiel ein auf 1496-1499 abschriftlich datierter versifizierter ‘Nordböhmischer Totentanz’ ist.
[33]Warum gerade sie diese Funktion zu übernehmen hatten, ist unklar. Indessen gehören sie schon in der Antike zu den artes aut sordidae aut squalidae; vgl. die Belege im Thesaurus linguae Latinae 6 (Leipzig 1912-1926) Sp. 1524.
[34]G.Kaiser, Totentanz S. 43, 45.
[35]In der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 führt der Tod - von Schlangen, Würmern und Kröten schauerlich umwunden - aus einem offenen Sarg wie aus einem Schilderhäuschen heraus seine Dialoge.
[36]G.Kaiser, Totentanz S. 47.
[37]G.Kaiser setzt mit diesem Motiv bei seiner Totentanz-Studie ein. Variationen des Motivs bei E. Koller (wie Anm. 28) S. 217ff.
[38]Vgl. die Beispiele für den Typus bei E. Koller S. 198f. Zu beachten sind die Differenzen der Überlieferung bezüglich der dritten Zeile (Cupidum me leserat).
[39]In der Überlieferung von Kap. A 135/2 ist das ‘an’ absichtlich oder unabsichtlich weggefallen; siehe unten S. 161. Das Motiv des Hirten im Totentanz ist sehr selten; E. Koller S. 170 hat lediglich drei Belege, auch sie nur aus jüngerer Zeit.
[40]G.Kaiser, Totentanz S. 36ff.
[41]Ursprünglich lautete die Antwort des Todes etwas anders: „Es hat viele Philosophen gegeben, sie alle nährten den Tod“; siehe unten S. 161. Der Astronom ist eine im Totentanz-Genre gut belegte Figur; vgl. E. Koller S. 138.
[42]Vgl. die auf Nikolaus von Dresden zurückgeführten Gegenüberstellungen der „Tabule veteris ac novi coloris“, untersucht und herausgegeben von Howard Kaminsky u.a., Master Nicholas of Dresden: The Old Color and the New. Selected Works Contrasting the Primitive Church and the Roman Church, Transactions of the American Philosophical Society, N.S. 55, 1, Philadelphia 1965).
[43]Das steht ihm natürlich an sich nicht zu: der Tod ist eben gerade nicht die Quittung für ein verfehltes Leben, so wenig wie sich aus rechtem Leben ein Anspruch auf Unsterblichkeit ergibt. Diese Problematik ist indessen damals sehr populär, sie beherrscht z. B. den „Ackermann aus Böhmen“; siehe dazu Antonín Hrubý, Das eschatologische Moment im „Ackermann aus Böhmen“, in: Eschatologie und Hussitismus, hg. von A. Patschovsky und F. Šmahel (Historica, s.n., Supplementum 1, Praha 1995) S. 81-90. Kritik am Papst ist in der Totentanz-Gattung topisch; aber die von E. Koller S. 101f. beigebrachten Belege haben alle eine andere Stoßrichtung.
[44]Das Vergleichsmaterial bei E. Koller S. 119f. weist allenfalls Parallelen zur Antwort des Todes auf, aber nichts dem Spruchband der Kaiser-Figur Entsprechendes.
[45]E.Kollers Beispiele zu Ritter (S. 124f.) und Soldat (S. 165f.) stehen unserem Text recht fern. 
[46]K.Stejskal, Obrazy smrti S. 313 identifiziert die Figur als Fürsten (kníže). Dazu scheint ihn die prächtige Gewandung des Mannes bewogen zu haben, doch paßt diese auch zu einem reichen Kaufmann. Die Spruchbänder weisen jedenfalls ganz eindeutig in diese Richtung, auch das Tableau der Bildsequenz läßt an dieser Stelle als Pendant des Kriegers/Ritters eher einen Kaufmann/Bürger erwarten. Brodský spricht von einem „Reichen“ (boháè). Die großen Bildsequenzen (Paris, Basel, ‘Oberdeutscher Totentanz’, Berlin) bestätigen die hier vorgenommene Identifikation: reiche knielange Gewandung mit Hut als Kopfbedeckung sowie Geldbeutel kennzeichnen ikonographisch den Kaufmann sowie dessen Spezialfall: den Wucherer; vgl. Kaiser S. 150, 152; 234; 314; Kaufmann (1980) Abb. 35/38.
[47]Der Tendenz nach unserem Text nahestehende Beispiele bei E. Koller S. 147f. und 181.
[48]Ich notiere die mir lesbaren Wortfetzen: (fol. 542r, oben) ... sunt ventura, que non cur... (fol. 542r, unten) Ut quid pingwescam? Propter arando vermibus escam./ Quantum plus pingwescar, magis in vermum(?) convertar(?). (fol. 542v, oben) ... die ... cave, tempus consu... prave./ (fol. 542v, unten) Quid nisi terra homo? Et quid terra est nisi limus?/ <Si?> simus limus(?), nescimus quando perimus.
[49]So vor allem R. Hammerstein (wie Anm. 28); vgl. auch G. Kaiser, Totentanz S. 52ff.
[50]G.Kaiser, Totentanz S. 46f.
[51]Ich schließe von dieser Kritik keines der Anm. 28 genannten Werke ganz aus, möchte aber doch betonen, daß zwischen den Phantastereien eines Hellmut Rosenfeld und der Hypothesenbildung eines Reinhold Hammerstein oder Gert Kaiser Welten liegen.
[52]So auch E. Koller (wie Anm. 28) S. 37ff., 266f., 284ff., 292f., mit freilich durchwegs jüngeren Beispielen.
[53]Man vgl. nur den von G. Kaiser S. 64 (Abb. 9) wiedergegebenen Einblattdruck von Hans Hauser, Ulm 1495, mit dem Tod im Höllenrachen, umwunden von einer Schlange, die Scham ersetzt durch eine Kröte. Ivan Hlaváèek fühlte sich beim Anblick der Totentanz-Fassung in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIIII B 18 bezeichnenderweise eher an den Teufel als an den Tod erinnert (briefl. Mitteilung). 
[54]Siehe unten S. 23 mit Anm. 69.
[55]Es kann auch daran erinnert werden, daß das Todesthema in Böhmen mit dem ‘Ackermann’ und dem ‘Tkadleèek’ seine eigene Tradition hatte. In Hervorhebung gerade der eigenwilligen Züge zuletzt hierzu A. Hrubý (wie Anm. 43).
[56]Zu ihrem Rang im mittelalterlichen Wertekanon vgl. Peter Sternagel, Die Artes mechanicae im Mittelalter. Begriffs- und Bedeutungsgeschichte bis um Ende des 13. Jahrhunderts (Münchener Historische Studien, Abt. mittelalterliche Geschichte 2, Kallmünz 1966). - Zu der seit dem Artikel von A. Vidmanová, Krejèí a ševci v Husovì listu z Kostnice (K výkladu slov sutor a sartor), Zprávy Jednoty klasických filologù 9 (1967) S. 135-138, verschiedentlich, zuletzt von František Šmahel, Husitští „doktoøi“ jehly a verpánku, in: Smìøování (Praha 1983) S. 89-96, diskutierten Frage des Realitätswertes der Erwähnung von Schustern und Schneidern als Trägern des Hussitismus trägt unser Beispiel im Grunde nichts bei. Die verstreuten biographischen Angaben unseres Anonymus Dalmatinus über seine Schuster-Existenz sind unzweifelhaft ernst zu nehmen. Ebenso fraglos aber läßt sich sein Beispiel nicht verallgemeinern. Sein Selbstzeugnis ist auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt als die in den genannten Artikeln, insbesondere bei F. Šmahel, besprochenen Texte.
[57]Stejskal (wie Anm. 2 und 13). Brodský (wie Anm. 2) S. 431: „Kvalita tìchto èástí je nejnižší. Jde o kresebné, naivní iluminace. Autorem byl diletant; iluminace jsou amatérské. Naivita je tak silná, že po slohové stránce nelze iluminátora hodnotit.“
[58]Die inchoative Form, herzuleiten wohl eher von ‘mereo/mereor’ als von ‘mercare/mercari’, ist ein in den von mir konsultierten Lexika nicht belegter Neologismus. 
[59]Ergänze mortis, oder auch temporis; eris articulo Wortstellung N.
[60]Fehlt cupidum me leserat N.
[61]Fehlt M.
[62]Fehlt M. 
[63]servus atque dominus M.
[64]Die Hasen-Metapher kann sowohl Feigheit (‘Hasenfuß’) wie übermäßige Geschlechtlichkeit bedeuten; die Antithese zu ‘Eunuch’ läßt eher an das letztere denken, zumal im Lasterkanon der Geistlichkeit Feigheit nicht zu deren klassischen Untugenden gehörte, wohl aber die Unzucht.
[65]Man würde auch hier eine Endung auf -antes erwarten.
[66]inh(ab)itant M.
[67]Man erwartet neminem.
[68]verentur M.
[69]Neologismus, wohl von tschechisch katan. Das Wort ist bei Jan Gebauer, Slovník staroèeský 2 (Praha 1916) nicht nachgewiesen. Vgl. jedoch B. Sulán, Sur quelques éléments hongrois du vocabulaire tchèque, Studia slavica Academiae Scientiarum Hungaricae 3 (1957) S. 281f., mit Nachweisen für ein Bedeutungsspektrum, das neben ‘Henker’ und ‘Henkersknecht’ auch ‘Soldat’ umfaßt, was im Sinn eines marodierenden Landsknechtstypen hier recht gut passen würde. Sulán möchte das Wort aus dem Ungarischen herleiten; sein Argument, es fehlten ältere Belege im Tschechischen, wird aber nach freundlicher Auskunft von Frau Silagiová durch das ungedruckte Material des Alttschechischen Wörterbuchs widerlegt, das einen auf 1468/69 datierbaren Beleg aufweist.
[70]nomine M.
[71]Die folgenden vier Verse bieten in der gegebenen Überlieferung nach Reim wie Wortbedeutung große Schwierigkeiten. Bei den Emendationsvorschlägen habe ich namentlich Gabriel Silagi zu danken.
[72]beatos M, vielleicht zurückzuführen auf eine Fehllesung von bores.
[73]satis male vivunt Wortstellung M.
[74]Vgl. den lateinischen Totentanz der Heidelberger Handschrift, ed. Rosenfeld S. 320, Hammerstein (1980) S. 31:


O vos viventes,huius mundi sapientes,
Cordibus apponiteduo verba Christi: „Venite!“
Necnon et: „Ite!“Per primum ianua vitae
Iustis erit nota,sed per aliud quoque porta
Inferi monstratur:sic res diversificatur.
Bezug ist Matth. 4, 19 und 8, 32. Das Thema hat unser Autor bereits an anderer Stelle seiner Bibel-Abschrift in der Hs. Prag, Nat.-Mus., XVIII B 18 fol. 516r anklingen lassen; s.o. S. 3.

[75]Der Satz bietet Probleme. Das Wort negligenter erscheint überflüssig; statt integre wäre eher integra zu erwarten.
[76]poterit M.
[77]pe(n)nare M; siehe auch unten Anm. 82. Trotz des zweimaligen Vorkommens eines von penna, ‘Feder’, auch ‘Schreibfeder’ abzuleitenden Wortes - vgl. R. E. Latham, Revised Medieval Latin Word-List from British and Irish Sources (London 1965) S. 339b (erstmals belegt für ca. 1452) - in unserem Text ist wohl in beiden Fällen aufgrund der festliegenden Bedeutung von pennatus = ‘gefiedert’ nicht an einen Neologismus, sondern an eine Verschreibung zu denken, zumal das Nebeneinander von sapere und pensare in vergleichbaren Kontexten gut bezeugt ist; vgl. etwa Gregor d. Gr., Reg. epp. IV 44, ed. P, Ewald - L. Hartmann, MGH Epp. 1, 279 Z. 23 (freundl. Hinweis Gabriel Silagi).
[78]Ergänze aliud
[79]So M, korr. anscheinend aus sedes.
[80]Vor existimet ist ne vom Satzanfang zu wiederholen.
[81]Eine Anspielung auf die Jenseitsbrücke; vgl. dazu Peter Dinzelbacher, Die Jenseitsbrücke im Mittelalter (Dissertationen der Universität Wien 104, Wien 1973).
[82]p(ro)hcM.
[83]pe(n)nata M. Siehe oben Anm. 77.
[84]obeunti M.
[85]mechaicam M.
[86]t(ra)nq(ui)litatibus M.