Kapitel 8 - Auswärtige Wissenschaftler | Übersicht |
79 Und die Moral von der Geschicht’ …
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Aesopus:
Vita et Fabulae, lateinisch u. deutsch.
Ulm: Johann Zainer d. Ä., [um 1476].
Signatur: 4° Fab. Rom. I, 5245 Inc.
Provenienz: Gottfried Thomasius, 1770
Die mündliche Überlieferung von Fabeln reicht mindestens bis in das 7. Jahrhundert v. Chr. zurück; dennoch gilt Aesop, der große Geschichtenerzähler der Griechen (um 600 v. Chr.), als Ahnherr dieser Gattung. Über seine Herkunft und sein Leben ist fast nichts bekannt. Die von ihm geschaffene Sammlung wurde von einer Reihe späterer römischer Fabeldichter (Phaedrus, Babrius, Avianus) nachgedichtet und ergänzt. Im Mittelpunkt der kurzen, pointiert berichteten Handlung stehen zumeist Tiere, aber auch Pflanzen, Götter und Heroen, Menschen des Alltags oder historische Personen, die stets so auftreten, dass sofort eine Übereinstimmung mit allgemeinmenschlichen Verhaltensweisen erkannt werden kann. Auf diese Weise dient die erzählte Geschichte als einprägsames Beispiel einer Moral oder Lebensweisheit. Neid und Geiz, Habsucht und Eitelkeit, Hochmut und Fressgier und immer wieder die Dummheit werden bloßgestellt und entlarvt. Gerade wegen ihres belehrenden Charakters und der leicht verständlichen Anwendung auf die alltäglichen Erfahrungen des Menschen sind die Fabeln des Aesop über die Jahrtausende hinweg lebendig geblieben.
Die erste gedruckte Übersetzung der griechisch-römischen Fabeln war eine lateinisch-deutsche und mit mehr als 200 Holzschnitten versehene Fassung, die der Ulmer Humanist und Stadtarzt Heinrich Steinhöwel (1412 – 1478) um 1476 herausbrachte (vermutlich eines der ersten zweisprachig gedruckten Bücher überhaupt). Drucken ließ er seine Übertragung bei Johann Zainer, dem seit 1472 in Ulm wirkenden Bruder des Augsburger Erstdruckers Günther Zainer. In der Folgezeit sollte Steinhöwel weitere deutsche Übersetzungen humanistischer Werke bei Johann Zainer herausgeben, darunter Boccaccios De claribus mulieribus.
Der berühmte Ulmer Aesop ist eines der Hauptwerke der deutschen Buchillustration im 15. Jahrhundert; mit ihm begann „der hundertjährige Siegeslauf der ... Fabel durch die europäischen Sprachlandschaften“ (Schirokauer). Der erste der zahlreichen Nachdrucke erschien bereits im Folgejahr bei Günther Zainer in Augsburg; die ersten der vielen Übersetzungen folgten nur wenige Jahre darauf: in das Französische (1484), Englische (1484), Niederländische (1485), Spanische (1487) usw. Von der vorliegenden ersten Ausgabe des Ulmer Aesop sind nur insgesamt zehn Exemplare bekannt, sechs davon befinden sich in Deutschland.
(HR)