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Kapitel 8 - Auswärtige Wissenschaftler | Übersicht |


87 Das Ilfelder Evangeliar –
vom Tegernsee in den Südharz

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Evangelia, lateinisch.
Sedulius Scottus: Collectaneen.
Pergamenthandschrift,
Tegernsee und Norddeutschland, 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts.
Signatur: 4° Cod. Ms. Cod. theol. 38 Cim.
Provenienz: Heinrich Philipp Konrad Henke, 1810 / 1811

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4° Cod. Ms. Cod. theol. 38 Cim. (Ausschnitt)
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Evangeliare enthalten den vollständigen Text der vier Evangelien, dem im Mittelalter zumeist sogenannte Kanontafeln vorangestellt wurden, in denen inhaltlich übereinstimmende Textstellen aus den Evangelien in Konkordanztabellen aufgelistet sind. Bei dem vorliegenden Evangeliar aus dem 11. Jahrhundert ist vor den Kanontafeln noch ein Text des irischen Dichters Sedulius Scottus (Wirkungszeit 848 – 874) zu finden, der aber ursprünglich nicht mit dem Evangeliar verbunden war. Paläographische Untersuchungen ergaben, dass die fünf Handschriften im Evangeliar im Wesentlichen von Schreibern aus dem im Jahr 978 neu gegründeten Kloster Tegernsee stammen.

Nach seiner Anfertigung in Süddeutschland könnte das Evangeliar in ein norddeutsches Kloster gelangt sein, wo der Buchschmuck, die Kanontafeln und die ganzseitigen Bilder der Evangelisten Markus, Lukas und Johannes beigefügt wurden (eine Darstellung des Evangelisten Matthäus ist nicht vorhanden). Auf dem vorderen Einbanddeckel findet sich der Eintrag „Ilefelt“, so dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass der Bestimmungsort des noch ungeschmückten Evangeliars das 1189 gestiftete Prämonstratenserkloster Ilfeld im Südharz gewesen war. Die drei Evangelistenbilder sind mit Sicherheit erst nachträglich in den Kodex eingefügt worden, was auch dadurch bestätigt wird, dass die Rückseiten der Miniaturen frei geblieben sind. Auf diesen Bildern sind die Evangelisten häufig schreibend mit einem Schriftband oder einem Kodex dargestellt. Der auf einem Sessel mit Kissen sitzende Evangelist Lukas ist hier damit beschäftigt, den Textbeginn seines Evangeliums in eine geöffnete Handschrift zu schreiben, die auf einem Pult ruht. Die verzwickte Entstehungsgeschichte des Buches wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass die aufgeschlagene Schriftseite auf dem Lukas-Bild eine Minuskelschrift zeigt, die mit keiner der fünf in dem Kodex enthaltenen Handschriften übereinstimmt. Dennoch belegt das Ilfelder Evangeliar eindrucksvoll, dass schon im Mittelalter jedes Buch seine eigene Geschichte hat.

Die Handschrift stammt aus dem Nachlass des Theologen Heinrich Philipp Konrad Henke (1752 – 1809), dessen Bibliothek im Jahre 1810 versteigert wurde. Sie enthielt 124 Handschriften und mehr als 14.000 gedruckte Bücher, aus denen die Göttinger Bibliothek 25 Handschriften und knapp 300 Drucke erwerben konnte.

(HR)