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Kapitel 9 - Aus den Bibliotheken privater Büchersammler | Übersicht |


91 Der erste deutsche Weltatlas

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Claudius Ptolemaeus:
Cosmographia, lateinisch.
Ulm: Lienhart Holl, 16. VII. 1482.
Signatur: 2° Auct. graec. V, 4145 Inc. Rara
Provenienz: Friedrich Wilhelm von Duve, 1782

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2° Auct. graec. V, 4145 Inc. Rara (Ausschnitt)
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Im 2. Jahrhundert verfasste der alexandrinische Gelehrte Claudius Ptolemaeus eine theoretisch fundierte Darstellung der bekannten Welt in acht Büchern. Während die Erstausgabe der Cosmographia des Ptolemaeus 1475 noch ohne Landkarten gedruckt wurde, erschienen von 1477 bis zum Ende der Inkunabelzeit in Deutschland und Italien insgesamt sechs Ausgaben des ptolemaeischen Werkes mit Landkarten-Holzschnitten. Man kann diese Editionen deshalb schon als Atlanten bezeichnen. Die im Jahre 1482 in Ulm von Lienhart Holl gedruckte Ausgabe der Cosmographia ist der erste Weltatlas, der nördlich der Alpen hergestellt wurde, und mit seinen 32 Karten die bis dahin umfangreichste Ptolemaeus-Ausgabe. Sogar der Künstler, der die Holzstöcke für die Kartenbilder schuf, ist bekannt. Die doppelseitige Weltkarte ist mit „Insculptum est per Johannem Schnitzer de Armßheim“ signiert: die erste namentlich gekennzeichnete Karte der Druckgeschichte. Johannes stammte aus Rheinhessen und war in Ulm als Formschneider tätig; der Beiname „Schnitzer“ ist nicht als Familienname, sondern als Berufsbezeichnung (Formschneider) zu verstehen. Als Urheber auch aller anderen Karten in Holls Ausgabe verrät ihn sein konsequent falsch geschriebenes Versal-„N“.

Die Landkarten haben eine charakteristische trapezförmige Projektion, als deren Erfinder der deutsche Geistliche Nikolaus Germanus anzusehen ist. Im 15. Jahrhundert hat er in Italien für mehrere Fassungen des Ptolemaeus Karten in dieser Form entworfen. Die Darstellung der Gebirge, Gewässer und Landesgrenzen ist für die Zeit von erstaunlicher Exaktheit. Die sorgfältig kolorierten Karten, einige schöne Initialen am Beginn der Vorrede und des Textes, „Maiblumeninitialen“ und die italienisch anmutenden Einfassungsleisten um die Begleittexte machen den Ulmer Weltatlas zu einem typographischen Meisterwerk. Die Sorgfalt, mit der Lienhart Holl bei seinem Atlas zu Werke ging, zeigt sich neben der künstlerischen Ausstattung auch darin, dass er sich das Papier für den Druck aus Mailand besorgte und eigens für den Ptolemaeus eine übergroße, gut lesbare Antiqua-Type anschaffte. Trotzdem brachte dieser erste große Druck seiner Offizin nicht den gewünschten Erfolg. Er musste sich stark verschulden und einige Jahre später Bankrott anmelden.

(HR/JM)