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Kapitel 4 - Wer bietet mehr? Ersteigert auf Auktionen | Übersicht |


38 Der Hebammenlehrer Europas

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Eucharius Rösslin:
Der schwangeren Frauen und Hebammen Rosengarten.
Straßburg: Martin Flach, 1513.
Signatur: 8° Med. Chir. III, 61110 Rara
Provenienz: Pastor Pappe aus Pechau bei Magdeburg, Auktion Magdeburg, 1786

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8° Med Chir. III, 61110 Rara (Ausschnitt)
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Eucharius Rösslin (1470 – 1526) war ein angesehener Mediziner, der seit 1493 als Apotheker in Freiburg im Breisgau, seit 1506 als Stadtarzt in Frankfurt am Main und in Worms wirkte. 1508 war Rösslin als Leibarzt der Herzogin Katharina von Sachsen und Braunschweig in Lüneburg tätig. Ihr widmete er seinen 1513 bei dem Frühdrucker Martin Flach (um 1440 – um 1510) in Straßburg erschienenen Rosengarten. Sieht man von Ortolff von Bayerlands Frauenbüchlein, einem um 1495 in Ulm gedruckten kleinen, nur 13-seitigen Bändchen ab, so handelt es sich bei Rösslins Werk um das erste gedruckte Handbuch zur Geburtshilfe. Auf der Grundlage antiker Texte, vor allem der Werke des Epheser Arztes Soranos (um 100 n. Chr.), verfasst, ging es weit über diätetische Vorschriften für werdende Mütter hinaus, indem es Beschreibungen von Kindsstellungen im Uterus mit Anweisungen darüber verband, wie das Kind im Falle von abnormen Lagen oder Geburtsschwierigkeiten zu wenden sei und welche Instrumente zu verwenden seien.

Dem aus 13 Kapiteln bestehenden Buch sind 25 einprägsame Holzschnitte beigegeben, die verschiedene Kindsstellungen und die Konstruktion eines Gebärstuhls illustrieren. Wie Rösslin selbst in seiner dem Rosengarten vorangestellten „Ermahnung“ berichtet, reagiert er mit seiner Schrift auf die „Rohheit und jämmerliche Unwissenheit der Hebammen“. Tatsächlich führten in einer Zeit, die durch eine hohe Sterblichkeitsrate der Kinder bzw. ihrer Mütter gekennzeichnet war, insbesondere abnorme Lagen nicht selten zum Tod von Kind und Mutter. Wie groß das Bedürfnis nach einem solchen Werk war, zeigt die außerordentlich hohe Zahl von mehr als 100 Druckausgaben (einschließlich seiner Übersetzungen), und die mehr als 200-jährige Wirkungsgeschichte, die der Rosengarten erlebte. Rösslin selbst ging als „Hebammenlehrer Europas“ in die Wissenschaftsgeschichte ein.

Das Göttinger Exemplar wurde 1786 auf einer Magdeburger Auktion der Bibliothek des Pastor Pappe aus dem nahegelegenen Pechau erworben. Die Bibliothek des verstorbenen Geistlichen umfasste mehrere tausend Bücher, darunter vor allem Bibelausgaben, theologische, philosophische, historische und philologische Titel. Wie gut die Göttinger Bibliothekare auf dieses Ereignis vorbereitet waren, zeigt der Auktionskatalog, der noch heute im Besitze der Bibliothek ist. Ein Bibliothekar hat offenbar die für Göttingen interessanten Titel am Katalog geprüft und mit Bleistift angemerkt, ob der Titel vorhanden war oder nicht. Im Bestand vorhandene Titel tragen den Vermerk „ad“ für „adest“, fehlende Titel eine kleine Null. Der Titeleintrag des Rosengartens findet sich auf S. 76 unter Pos. 565 und ist am Rande handschriftlich „abgenullt“.

(SG/KN)