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Kapitel 5 - Buchhandel und Antiquariat | Übersicht |


47 Eines der schönsten deutschen
Bücher des 20. Jahrhunderts

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Publius Vergilius Maro:
Eclogen und Georgica in der Ursprache und deutsch. Band 1: Die Eclogen.
Weimar: Cranach-Presse, 1926.
Signatur: 4° Auct. Lat. II, 7660 Rara
Provenienz: Galerie Gerd Rosen, Berlin 1961

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4° Auct. Lat. II, 7660 Rara (Ausschnitt)
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Der gebürtige Hamburger Harry Graf Kessler (1868 – 1937) hat wie nur wenige andere mit einer Vielzahl an Aktivitäten und in einem weit gespannten Netzwerk von Freunden und Bekanntschaften das kulturelle und politische Leben seiner Zeit mit geformt, ohne selbst dauerhaft in der vordersten Reihe der öffentlich wahrgenommenen Protagonisten gestanden zu haben. Nach einem Jurastudium widmete sich Kessler ganz der Kunst und gehörte schon mit 25 Jahren dem Redaktionsstab der berühmten Kunstzeitschrift Pan an. In Weimar versuchte er, mit namhaften Künstlern und Literaten ein fortschrittliches, weltoffenes Kulturprogramm zu installieren, scheiterte jedoch am Widerstand konservativer Kreise. Kessler pflegte engen Kontakt zum Insel-Verlag, gründete den Deutschen Künstlerbund, war nach dem Ersten Weltkrieg deutscher Gesandter in Warschau, gehörte zu den Mitbegründern der Deutschen Demokratischen Partei und veröffentlichte zukunftsweisende Gedanken über den Aufbau einer politischen Weltorganisation.

Neben diesen vielfältigen Verpflichtungen führte Kessler die Geschäfte seiner Cranach-Presse (so benannt nach der Straße in Weimar, in der Kessler gewohnt hatte). Mit diesem Unternehmen stellte er sich in die Tradition der Privatpressen, die sich bereits am Ende des 19. Jahrhunderts zur Aufgabe gemacht hatten, dem zur Massenware gewordenen Handelsgut „Buch“ den künstlerisch gestalteten, handwerklich perfekten Druck gegenüber zu stellen. Mit der Gestaltung und Herstellung von Büchern hatte sich Kessler schon vor der Gründung seiner Presse intensiv beschäftigt, seine Kontakte zu Schriftschneidern, Illustratoren, Literaten und Verlegern kamen ihm jetzt sehr zugute. Schon sehr früh interessierte er sich für Vergil, doch erst in den 20er Jahren konnte er das Projekt vorantreiben und fertigstellen.

Die eigens angefertigte Schrifttype orientierte sich an der Antiquaschrift, die Nicolaus Jenson 1470 in Venedig benutzt hatte. Für den Buchschmuck gewann Kessler den französischen Künstler Aristide Maillol (1861 – 1944), den er mit viel Überredungskunst und List zur Gestaltung der Abbildungen und Verzierung der Initialen brachte. Der Aufwand lohnte sich. Es entstand eines der schönsten deutschen Bücher des 20. Jahrhunderts, das schon 1927 auf der Buchkunst- Ausstellung in Leipzig prämiert wurde. Hergestellt wurden von der deutschen Ausgabe (es gab auch eine französische und eine englische) acht Exemplare auf Pergament, 36 Stücke auf Seidenpapier und 250 Drucke auf Büttenpapier. Die Universitätsbibliothek Göttingen besitzt das nummerierte Exemplar 195.

(JM)