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Kapitel 6 - Von adliger Herkunft | Übersicht |


48 Matthias Corvinus –
ein königlicher Bibliophile

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Aristoteles:
Physicorum libri VIII per Johannem Argyropylum traducti, lateinisch.
Pergamenthandschrift,
Italien, 15. Jahrhundert.
Signatur: 2° Cod. Ms. philol. 36 Cim.
Provenienz: Fürst Georg zu Waldeck und Pyrmont, 1794

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2° Cod. Ms. philol. 36 Cim (Ausschnitt)
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Die in Italien im 15. Jahrhundert entstandene Handschrift gehörte zu der Bibliothek des bibliophilen ungarischen Königs Matthias Corvinus (1443 – 1490), die im ausgehenden Mittelalter eine der größten Privatbibliotheken ihrer Zeit war. In der unteren Zierleiste prangt das Wappen des Königs, umgeben von den Buchstaben M und A für „Matthias Augustus“. Es handelt sich um eine lateinische Fassung der Vorlesungen des Aristoteles über die Natur oder Physik, die um 1460 in Italien entstanden ist. Im Göttinger Handschriften-Katalog findet sich die Bemerkung: „Der Hauptwerth der Handschrift besteht in ihrer Ausstattung und ihrer Geschichte.“ Auffällig ist zum einen die Gleichmäßigkeit und Genauigkeit der Schrift, einer humanistischen Minuskel. Auf dem ersten Textblatt der Handschrift (Bl. 3r) findet sich eine aufwändig gemalte Zierleiste aus weißem Rankenwerk auf blauem Grund, die mit Putten, Vögeln, Faltern und einem Hasen ausgeschmückt ist.

Die Bibliothek des Königs Matthias bestand fast ausschließlich aus wertvollen illuminierten Renaissance-Handschriften, enthielt aber nur wenige gedruckte Bücher. Nach dem Tod des Königs wurde der Bestand stark dezimiert, und besonders bei der Befreiung Ofens von den Türken 1686 wurden viele wertvolle Stücke vernichtet. In den Bibliotheken Europas sind bisher 107 lateinische Handschriften in 33 Bibliotheken bekannt, die auf die Bibliotheca Corviniana zurückzuführen sind. Im 16. Jahrhundert gelangte die Aristoteles-Handschrift in den Besitz einer Familie namens von Haym in Reichenstein in Österreich. Mehr als 200 Jahre später gab Christian Gottlob Heyne (1729 – 1812) eine schriftliche Beurteilung über die Handschrift ab. In einem Brief vom 22. Februar 1782 an den Besitzer der Corvine, Georg Prinz von Waldeck, nahm er zu der Handschrift Stellung. Der Prinz machte die Corvine im Jahre 1794 der Königlichen Universitätsbibliothek Göttingen zum Geschenk.

Die Physik des Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) fasst in acht Büchern die wesentlichen naturphilosophischen Überlegungen des griechischen Philosophen zusammen; sie kann gleichsam als Vorwort zur Gesamtheit seiner naturwissenschaftlichen Schriften angesehen werden. Seine Definitionen von Begriffen wie Ort, Leere und Zeit, von Stoff und Form, aber insbesondere seine Gedanken zur Bewegung haben das naturwissenschaftliche Denken bis hin zu Galileo Galilei (1564 – 1642) bestimmt.

(HR)