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Kapitel 8 - Auswärtige Wissenschaftler | Übersicht |


80 Die Abenteuer des Marco Polo –
eine Erfindung?

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Marco Polo:
Das Buch des edlen Ritters und Landfahrers Marco Polo.
Nürnberg: Friedrich Creussner, 1477.
Signatur: 4° Itin. I, 2268 Inc.
Provenienz: Gottfried Thomasius, 1770

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4° Itin. I, 2268 Inc. (Ausschnitt)
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Marco Polo wurde im Jahr 1254 als Sohn des Kaufmanns Niccolò Polo in Venedig geboren. Sein Vater widmete sich vor allem dem Handel mit dem Nahen Osten. Niccolò Polo unternahm nach 1260 zusammen mit seinem Bruder Matteo Polo ausgedehnte Reisen nach Kleinasien, die sie 1266 sogar bis an den Hof des Großkhans in Peking führten. Vom Jahr 1271 an begleitete der erst 17 Jahre alte Marco Polo seinen Vater und seinen Onkel auf einer diplomatischen Mission, die sie im Auftrag Papst Gregors X. erneut zum Hof des Kaisers von China führen sollte. Die Männer reisten in dreieinhalb Jahren von Venedig über Jerusalem, Persien, Afghanistan, die Seidenstraße und die Wüste Gobi nach Peking, wo sie im Jahr 1275 ankamen. Hier traf Marco Polo angeblich den mongolischen Herrscher Kublai Khan, der ihm verschiedene diplomatische Missionen übertrug, die ihn nach Tibet und in andere Provinzen des riesigen Reiches führten. Der Aufenthalt der drei venezianischen Gesandten am Hofe des Großkhans sollte bis zum Jahre 1291 dauern, und die Rückreise nahm weitere vier Jahre in Anspruch.

Schon zu Lebzeiten Marco Polos wurden wesentliche Teile seiner Berichte für nicht wirklichkeitsgetreu gehalten, und einige seiner Zeitgenossen bezweifelten deren Wahrhaftigkeit sogar vollständig. Als Marco Polo 1298 nach einer Seeschlacht in Genuesische Gefangenschaft geriet, diktierte er offenbar einem Mitgefangenen seinen Bericht, dessen erste Fassung in französischer Sprache unter dem Titel Le Livre des merveilles du monde abgefasst war. Im 14. Jahrhundert verbreitete sich der Text in Handschriften rasch auch in italienischer Sprache unter dem Titel Il milion – möglicherweise die Kurzform des Spitznamens der venezianischen Familie Polo „Emilione“. Noch heute sind etwa 150 Handschriften erhalten. Der deutsche Erstdruck des Reiseberichts stammt aus der Werkstatt des Nürnberger Druckers Friedrich Creussner, der ihm 1477 den Titel Das Buch des edlen Ritters und Landfahrers Marco Polo gab.

Auch in der neueren Forschung sind starke Zweifel an der Authentizität des Werks geäußert worden. Zum einen finden zahlreiche auffällige Erscheinungen des täglichen Lebens in China keinerlei Erwähnung (Tee, die Schriftzeichen, die chinesische Mauer), zum andern erwähnt der Bericht Einzelheiten, die nachweislich falsch sind. Das vernichtende Urteil eines Fachmannes lautet daher: „der kolossalste Schwindel der globalen Entdeckungsgeschichte“ (Dietmar Henze). Dennoch kann dem Buch eine Wirkung auf die Beziehungen zwischen Europa und Asien nicht abgesprochen werden.

(KN/HR)