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Kapitel 13 - Wissenschaftliche Nachlässe | Übersicht |


121 Ein spöttischer Blick
auf die Universitätsstadt Göttingen

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Georg Christoph Lichtenberg:
„Seitdem mein Kutscher und mein Schicksal ...“. Satirisches Gedicht über Göttingen.
Eigenhändige Handschrift,
Göttingen, Mai 1769.
Signatur: Cod. Ms. Lichtenberg IV, 10 (Bl.1)
Provenienz: Georg Christoph Lichtenberg, um 1900

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Cod. Ms Lichtenberg IV, 10 (Bl. 1) (Ausschnitt)
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Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) nahm sein Studium in Göttingen im Sommersemester des Jahres 1763 auf und schrieb sich für die Naturwissenschaften und die Mathematik ein. Göttingen war drei Jahrzehnte nach der Gründung der Georgia Augusta immer noch eine kleine Provinzstadt, die außerhalb der Universität für einen Studenten kaum geistige Anregungen bot. Die Einwohnerzahl ging als Folge des Siebenjährigen Kriegs um etwa 2.500 Personen zurück und lag 1763 bei etwa 6.000 Personen. Lichtenberg beendete sein Studium im Jahre 1767 und lernte auf einer Englandreise 1770 König Georg III. kennen. Die Verbindung zum Hof war der Karriere des jungen Fachgelehrten förderlich: Er wurde kurz nach Ende der Reise zum außerordentlichen Professor an die Universität Göttingen berufen. Bereits während seines Studiums begann er, in Notizbüchern Beobachtungen, Pläne zu Veröffentlichungen und sonstige Gedanken festzuhalten. Diese „Sudelbücher“ waren es, die ihn nach seinem Tode als Satiriker und Aphoristiker berühmt machten. In einem kurz nach Ende seines Studiums verfassten Gedicht, das als „Schreiben an einen Freund“ charakterisiert ist, gibt Lichtenberg eine spöttische Schilderung Göttingens als „geistliches Schlaraffen Ländgen“:

Seitdem mein Kutscher und mein Schicksal Mich, Theuerster, aus deinem Blick stahl Leb’ ich in diesem Vaterstädtgen Von manchen Hefften und Tracktätgen, Berühmt in allerley Bedeutung Durch Würste, Bibliotheck und Zeitung Durch Professorn und Regenwetter, Und breite Stein und Wochenblätter; Durch junge Herrn aus allen Reichen Der Welt, und Mädgen und dergleichen. Du kennst zwar schon aus einem Bändgen Dieß geistliche Schlaraffen Ländgen Wo Wahrheit kommt von selbst geflogen Bald mit der Haut bald abgezogen Zuweilen künstlich Skeletirt Zuweilen gantz französ’sch candirt Und wo man folglich um gelehrt Zu werden nur sich recht aufsperrt. Der Preiß ist für so viel und so schön Vier Theler vier und zwanzig Groschen. (Viel mehr kost’ts was der Leib indes iss’t, Wenns auch nur trocken brod und Käß ist:) Doch wirst Du vieles noch vermissen, Was man hier weiß und nicht will wissen. Professorn schreiben nur qua tales Und dann wer Hencker weiß denn alles?

(HR)