Zusammenfassung
Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine neurodegenerative Erkrankung des Menschen, die durch Mutationen im ?Survival of Motor Neurons? Gen (SMN) hervorgerufen wird. Die initiale Charakterisierung des SMN-Proteins (SMN) zeigte, daß SMN in vivo mit Protein-Faktoren von U snRNPs assoziiert ist. U snRNPs sind kleine RNA-Protein-Komplexe und stellen funktionelle Untereinheiten des Spleißosoms dar, der zellulären Maschinerie, die die Prozessierung von prä-mRNA-Molekülen zu reifen mRNAs im Zellkern katalysiert.
Die spleißosomalen U snRNPs (U1, U2, U4 und U5) enthalten einen gemeinsamen Satz von sieben Sm-Proteinen (SmB/B?, D1, D2, D3, E, F und G), die an die einzelsträngige, Uridin-reiche Sm-Stelle der snRNA binden. Hierbei bildet sich die Sm-core-Domäne, die als das strukturelle Grundgerüst der verschiedenen U snRNPs gilt. Obwohl in vitro durchgeführte Studien andeuteten, daß die Zusammenlagerung der U snRNPs spontan abläuft, häuften sich die Hinweise, daß dieser Prozeß in vivo von Faktoren wie SMN abhängig ist, die keine integralen Bestandteile der U snRNPs sind.
In der vorliegenden Arbeit wurde die putative Funktion von SMN bei der Zusammenlagerung von U snRNPs biochemisch untersucht. In vitro durchgeführte Bindungsexperimente zeigten, daß SMN über seine zentrale Tudor-Domäne direkt an spleißosomale Sm-Proteine bindet. Damit konnte der Tudor-Domäne, die bisher nur als Sequenzmotiv charakterisiert war, erstmalig eine Funktion als Protein-Protein Interaktionsfläche zugewiesen werden. Injektionsexperimente in Oozyten von Xenopus laevis zeigten dann, daß Antikörper, die spezifisch die Interaktion der Tudor-Domäne von SMN mit Sm-Proteinen blockieren, die Bildung der Sm-core-Domäne in vivo verhindern. Damit wurde der Nachweis erbracht, daß SMN ein essentieller Faktor für die Zusammenlagerung von U snRNPs in vivo ist. Durch die Analyse einer SMA-verursachenden Punktmutation in der Tudor-Domäne konnte die reduzierte Interaktion zwischen SMN und Sm-Proteinen zudem als ein biochemischer Defekt identifiziert werden, der möglicherweise bei SMA-Patienten auftritt.
Durch Fraktionierung von Zellextrakten wurden mehrere makromolekulare SMN-Komplexe isoliert, die wahrscheinlich die Funktion von SMN während der U snRNP Biogenese in vivo vermitteln und über ein gemeinsames, strukturelles Grundgerüst aus acht Proteinen verfügen. Mit GIP1/Gemin4, unrip, Hsc70 und p175 konnten vier neue, SMN-assoziierte Faktoren identifiziert werden, die zusammen mit SMN und den bekannten SMN-assoziierten Proteinen SIP1, U1A und Gemin3/dp103 dieses Grundgerüst bilden. Durch die Etablierung eines zellfreien Systems, das die in vitro Rekonstitution der Sm-core Domäne in einer SMN-abhängigen Weise erlaubt, wurde gezeigt, daß die Bildung der Sm-core-Domäne in vivo, im Gegensatz zu bisherigen Vermutungen, ein energieabhängiger Prozeß ist.
Dieses U snRNP Rekonstitutionssystem und die Verfügbarkeit der isolierten SMN-Komplexe in präparativen Mengen werden es in Zukunft möglich machen, die genauen mechanistischen Aspekte der Zusammenlagerung von U snRNPs in vivo auszuarbeiten und die funktionelle Rolle der verschiedenen SMN-Komplexe und ihrer Komponenten dabei zu analysieren. |