Zusammenfassung
Die Konsequenzen der Futteraufnahme beeinflussen das Fressverhalten von Tieren. Junge Pflanzenfresser erwerben
aber auch durch soziales Lernen eine Präferenz für ein von der Mutter gern gefressenes Futtermittel. In dieser Arbeit
wird die Frage untersucht, ob diese konditionierte Präferenz durch das Beispiel der Mutter die spätere
Futtermittelselektion der Kitze bestimmt, oder ob vielmehr das Kitz dem mütterlichen Beispiel zwar folgt, letztendlich
jedoch das postingestive feedback aus dem Verdauungstrakt bestimmender Faktor für die Futterselektion des Kitzes ist.
Die Hypothese war daher, dass das mütterliche Beispiel die Futterselektion ihrer Kitze nachhaltig beeinflusst, unabhängig
vom postingestive feedback der Futtermittel.
Fünfzehn Ziegenkitze wurden in eine Versuchsgruppe A und eine Versuchsgruppe B aufgeteilt. Den Kitzen wurden
zweimal täglich für eine begrenzte Zeit jeweils zwei energiereiche Futtermittel angeboten; morgens zwei Futtermittel mit
unterschiedlichem Gehalt an Tannin und abends Futtermittel mit unterschiedlichen Aromastoffen vermischt. Während
einer mehrwöchigen Lernphase konnten die Kitze zunächst die Futtermittel zusammen mit der Mutterziege fressen.
Danach wurde während zweier Testphasen die Futteraufnahme der Kitze ohne die Mutterziege gemessen. Allen Kitzen
wurden während der Lernphase zwei der Futtermittel so angeboten, dass sie ein Futtermittel simultan mit der Mutter an
der von der Mutter bevorzugten Futterstelle (Futterstelle mit maternaler Präferenz) fressen konnten oder ein anderes
Futtermittel an einer Futterstelle fanden, an der die Mutterziege nur sehr wenig fraß (Futterstelle mit maternaler
Aversion).
Die Kitze der Versuchsgruppe A bekamen während der Lernphase an sechs Tagen morgens ein von der Mutterziege
wenig gefressenes Futtermittel (Futtermittel mit relativer maternaler Aversion) an der Futterstelle mit maternaler
Präferenz angeboten. Gleichzeitig wurde ein von der Mutterziege bevorzugtes Futtermittel an der Futterstelle mit
maternaler Aversion angeboten. Die Kitze der Versuchsgruppe B dagegen bekamen das Futtermittel, das die Mutterziege
bevorzugt fraß, an der Futterstelle mit maternaler Präferenz angeboten und ein von der Mutterziege wenig gefressenes
Futtermittel an der Futterstelle mit maternaler Aversion. Zusätzlich wurden abends unterschiedlich aromatisierte
Futtermittel entweder an der Futterstelle mit maternaler Präferenz oder Aversion angeboten. Während der
anschließenden zwei Testphasen wurde die Futteraufnahme der Kitze beider Gruppen ohne die Mutterziege gemessen.
Folgende Ergebnisse wurden erzielt:
1) Das Beispiel der Mutter beeinflusste während der Lernphase die Futterauswahl der Kitze (siehe Abb. 5-8, Abb. 17 und
20). Die von den Kitzen in wiederholten Versuchen während der Lernphase getroffene Futterwahl und die
aufgenommene Futtermenge demonstrieren, dass die Futterselektion der Kitze durch die Wahl des Futterplatzes der
Mutter beeinflusst war.
2) In Abwesenheit des Muttertieres (Testphasen) hatte die Futterselektion der Mutter keinen Einfluss auf die
Futterselektion der Kitze (siehe Abb. 9-16). Die Selektion der Kitze erfolgte nach den negativen postingestiven
Konsequenzen der Aufnahme von Futtermitteln. Die Konzentration an Tannin im Futtermittel (1% und 8%) hatte einen
negativen Effekt auf die Futteraufnahme. Es konnte gezeigt werden, dass Futtermittel deren Aufnahme sich im
postingestiven feedback Aufnahme nicht unterschied (aromatisierte Futtermittel), auch in gleichen Mengen von den
Kitzen aufgenommen wurden.
3) Während der Phase, in der Kitze lernen eine geeignete Diät zu selektieren, beeinflusst das Beispiel der Mutterziege
die Wahl des Futterplatzes und dadurch die Futterselektion des Kitzes. Indem Mutterziege und Kitz simultan fressen
(co-feeding), erhöht sich für das Kitz der Bekanntheitsgrad derjenigen Pflanzen, welche die Mutterziege selektiert. Die
Mutterziege überträgt ihre Futterselektion auf ihre Kitze indem sie deren Neophobie vor Futtermitteln verringert.
4) Negative postingestive Konsequenzen der Aufnahme eines Futtermittels begrenzen die individuell aufgenommene
Futtermenge bei Ziegenkitzen in Abwesenheit der Mutter. Die Übertragung der Futterselektion von Mutterziege auf das
Kitz entspricht daher einer Nachahmung des mütterlichen Verhaltens, nicht aber einer Nahrungsprägung durch die
Mutter.
Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, dass das Training der Kitze mit ihren Müttern nicht zu einer permanenten
Nachahmung mütterlicher Futterselektion führt. Vielmehr sind es die negativen Konsequenzen der Futteraufnahme die
die Futterselektion bestimmen. Das Lernen am Beispiel der Mutter spielt demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle. |