Zusammenfassung
In einer geschlossenen Population kommt es aufgrund der geringen Anzahl an Vorfahren zu Paarungen
zwischen verwandten Tieren (Inzucht). Verwandte Tiere stimmen in einem Teil ihres Genoms überein. Damit
steigt die Wahrscheinlichkeit für die Nachkommen, von den Eltern Kopien desselben Allels eines
gemeinsamen Ahnen zu erben und an dem betrachteten Genort homozygot zu werden. Je enger die
Verwandtschaft zwischen den Eltern ist, desto höher ist der erwartete Anteil homozygoter Loci bei den
Nachkommen. Auf dieser Grundlage spiegelt der Inzuchtkoeffizient (Wright, 1921) die Zunahme der
Homozygotie in einer Population oder den erwarteten Anteil der herkunftsgleichen Allele eines Individuums
wider. Neben dieser Wahrscheinlichkeitsaussage kann die individuelle Homozygotie beim Huhn auch mit
verschiedenen genetischen Markern, z.B. mit RFLPs, mit Protein-Polymorphismen oder mit
Mikrosatelliten-Markern, direkt bestimmt werden. Die Aufgabenstellung der vorliegenden Arbeit bestand in
der Analyse der genetischen Variabilität in einer geschlossenen New Hampshire Linie, wobei der Vergleich
der erwarteten (anhand des Inzuchtkoeffizienten) mit der tatsächlichen Homozygotie im Mittelpunkt stand.
Die New Hampshire Linie wurde seit 1955 in der Versuchsstation des Institutes für Nutztierwissenschaften
der Humboldt-Universität zu Berlin (Standort Blumberg) gehalten. Die Linie war in 15 Stämme zu 10 bis 15
Hennen je Stamm geteilt, an den nach einem Rotationsprinzip einmal jährlich je ein Hahn so angepaart
wurde, daß Inzucht vermieden wird. Die Berechnungen der individuellen Inzuchtkoeffizienten (nach Wright)
beruhen auf einer Gesamtanalyse der rund 8100 Zuchttiere seit 1955. Für die molekulargenetische Analyse
wurde DNA aus Vollblutproben (Generation 1994: 79 Hühner) und aus Blutplasmaproben (Generation 1982:
58 Hühner) isoliert. Die Individuen wurden anhand von 17 Mikrosatelliten in nichtkodierenden Bereichen und
6 Markern innerhalb kodierender Regionen genotypisiert. Auf der Basis der Genotypenfrequenzen wurden
die Allelfrequenzen und die erwarteten Genotypenfrequenzen berechnet und deren Abweichungen vom
Hardy-Weinberg-Gleichgewicht (HWG) geprüft. Der individuelle Homozygotiestatus wurde als Anteil
homozygoter Genotypen an allen untersuchten Loci bestimmt.
In der New Hampshire Linie waren 22 Marker polymorph mit einer geringen Allelanzahl (2 bis 4) je Locus.
Beim Vergleich der Generationen 1982 und 1994 wurden signifikante Änderungen der Allelfrequenzen bei
80% der Genorte beobachtet, die teilweise mit einem Allelverlust in der Stichprobe 1994 verbunden waren.
Bei 5 Loci wichen die beobachteten Genotypenfrequenzen in beiden Generationen signifikant vom HWG ab,
aber im Gegensatz zur Theorie vor allem mit der Tendenz zur Heterozygotie. Im Mittel nahm die Homozygotie
von 56,4 % (1982) auf 61,6% (1994) zu. In derselben Zeit stieg die Inzucht nach Wright im Mittel von 18,8%
auf 24,3% an und erreichte nach 43 Generationen 26,6%. Die geringe Inzuchtrate ist im Paarungssystem
begründet, das auf Inzuchtvermeidung ausgerichtet war. Die anhand der Marker geschätzte
Homozygotiezunahme in der Linie war höher als nach dem Inzuchtanstieg zu erwarten war.
Im allgemeinen ist eine Überschätzung der Homozygotie durch den Inzuchtkoeffizienten zu erwarten, weil
heterozygote Tiere Selektionsvorteile haben und sich deshalb stärker vermehren. Diese Vorteile können
durch Heterozygotie von Genen erklärt werden, die für Fruchtbarkeit und Vitalität verantwortlich sind. Die in
der vorliegenden Arbeit ausgewählten Marker stammen hauptsächlich aus nichtkodierenden Bereichen (17
Mikrosatelliten), die im Durchschnitt eine Homozygotiezunahme zeigten, aber auch aus kodierenden
DNA-Bereichen (6 Mikrosatelliten), in denen im Mittel eine Heterozygotiezunahme beobachtet werden
konnte. Die geringe Inzuchtrate und leichte Selektion zur Erhaltung der Linie, die zu einer Kompensation von
Inzuchtdepressionen führte, könnten der erwarteten Heterozygotieabnahme entgegen gewirkt haben. |