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2.2 One-Person-Libraries (OPLs)

 

Die "Ein-Personen-Bibliothek" oder "One-Person-Library" ist ein Typ der wissenschaftlichen Spezialbibliotheken, der in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung im Bibliothekswesen gewonnen hat. Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind die allgemeinen Sparmaßnahmen in Institutionen. Hiervon sind Wirtschaftsunternehmen genauso betroffen wie Trägerinstitutionen des Bundes oder der Länder.
Das Arbeitsfeld der OPLs unterscheidet sich erheblich von dem einer "normalen" wissenschaftlichen Bibliothek. Während in einer großen Bibliothek die Aufgaben an Abteilungen und Mitarbeiter delegiert werden, hat die OPL-Mitarbeiterin alle Aufgaben zu erfüllen, die in der Bibliothek anfallen. Im Folgenden wird auf die Tätigkeit einer OPL-Mitarbeiterin näher eingegangen.

Arbeitsfeld:
Das Aufgabengebiet einer Bibliothekarin in einer OPL erfordert einen hohen Grad an Selbständigkeit und zeugt von einer großen Vielseitigkeit, da alle Belange der Bibliothek von ihr geregelt werden müssen. Der Arbeitsalltag ist nicht durch Routine geprägt, wie es oft in den Fachabteilungen einer großen Bibliothek üblich ist, sondern erfordert hohe Flexibilität, um Kundenanfragen schnell und zufriedenstellend beantworten zu können. Hierfür muß die gerade begonnene Arbeit unterbrochen werden und kann oftmals erst nach Stunden wieder aufgenommen werden. Das bibliothekarische Spezialwissen, also die Kenntnis von Regelwerken und ihrer Einhaltung spielt in der OPL eine eher untergeordnete Rolle, vielmehr ist Benutzerfreundlichkeit und inhaltliche Beratungskompetenz gefordert. Ein großes persönliches Engagement ist nötig, um die eigene Isolation in der Institution zu überwinden. Die täglichen Entscheidungen und solche für die zukünftige Arbeit in der Bibliothek können nicht mit Kollegen abgesprochen werden. In der OPL ist man auf sich gestellt und kann kein Team um Rat fragen. Dieser mangelnde Kollegenkreis macht es unentbehrlich, mit anderen OPL-Bibliothekarinnen Kontakt aufzunehmen, um Erfahrungen auszutauschen. Hierzu dienen Fortbildungen und Workshops bibliothekarischer Einrichtungen, der Bibliothekartag, die Mailing-Listen im Internet oder der persönliche Kontakt zu Bibliothekarinnen in der örtlichen Umgebung und in themenverwandten Einrichtungen. Die Kommunikation über das Internet ist normalerweise problemlos möglich, da die technische Ausstattung in den meisten OPLs sehr gut ist. Die mit dem Internet gegebene Möglichkeit, in Datenbanken zu recherchieren, Aufsätze im Volltext im Netz aufzufinden und das WWW zur Informationsvermittlung einzusetzen, ist in den One-Person-Libraries größtenteils bereits etabliert und bietet eine große Hilfe für die tägliche Arbeit. Innerhalb der Mailing-Listen können aktuelle Probleme diskutiert und Erfahrungen an die beteiligten Kollegen weitergegeben werden.
Das "auf sich allein gestellt sein" weist natürlich auch Vorteile auf. Innovationen im Bereich der Bibliothek, z.B. Umstellung der Regale oder Änderungen in der Systematik müssen nicht erst in einem bürokratischen System besprochen und in mehreren Instanzen genehmigt werden. Hier ist die Bibliothekarin eigenverantwortlich tätig. Nicht zu unterschätzen ist der Arbeitsaufwand in der Buchbearbeitung: Einarbeitung, Kleben von Signaturen, Durchführung kleinerer Reparaturen und nicht zuletzt der körperliche Einsatz bei Rück- und Reinigungsarbeiten.

Bibliotheksorganisation:
In der OPL ist überwiegend nur eine hauptamtliche Bibliothekarin beschäftigt. In seltenen Fällen sind studentische Hilfskräfte oder Praktikanten für eine zeitlich begrenzte Zeit in der Bibliothek tätig. Diese mangelnde Konstanz bei dem Hilfspersonal führt zu einer immer wiederkehrenden, zeitaufwendigen Einarbeitung der "Neuen" in den Arbeitsalltag. Selten existiert eine Vertretungsregelung für die OPL-Bibliothekarin; meistens fehlen schon die Vertretungen zur täglichen Mittagspause - in jedem Fall aber bei berufsbedingter Abwesenheit (Fortbildung), Urlaubszeiten oder Krankheitsfällen. Dieser Zustand setzt die Bibliothekarin unter ständigen Druck und fordert ihre dauernde Verfügbarkeit gegenüber den Benutzern. In vielen Fällen wäre die Festanstellung einer geeigneten Hilfskraft die Lösung für dieses Problem. Neben der personellen Organisation ist die Existenzfrage und -berechtigung, die sich innerhalb der Institution gegenüber der Bibliothek immer wieder stellt, ein schwerwiegendes Problem für die Mitarbeiterin der OPL. Nur wenige Abteilungen stehen unter einem vergleichbaren Erfolgsdruck wie die Bibliothek. Entscheidungen wie z.B. die Etatvergabe hängen häufig wesentlich mehr von fachfremden Faktoren ab als von fachlichen Argumenten und Leistungen der Bibliothek. Für die Bibliothekarin bedeutet diese Stellung in der Institution einen ständigen Kampf um Geräte und Arbeitsmittel, der ohne die Unterstützung des direkten Vorgesetzten nicht selten zu Ungunsten der Bibliothek entschieden würde. Die räumliche Situation der Bibliothek läßt vielfach zu wünschen übrig. Die Unterteilung eines Raumes in Arbeitsraum und Benutzungsbereich ist einer effektiven Arbeit beider Seiten nicht zuträglich. Außerdem erfordert die räumliche Beengtheit ein ständiges Aussortieren und Aussondern des Bestandes, um die maximale Kapazität des Raumes auszunutzen. Diese Revisionen sind zeitaufwendig und, sollte eine Verfilmung für manche Bestände nötig sein, auch kostspielig.

Bestand:
Der Bestand der OPLs ist von Kleinschriften und grauer Literatur geprägt, die über den Buchhandel nicht erhältlich sind. Die Nachweise sind nur selten in der Nationalbibliographie enthalten, so daß eine intensive Literaturauswahl über Fachzeitschriften und Artikel, Literaturhinweise und über den Austausch mit Kollegen getroffen werden muß. Diese unkonventionellen Wege der Auswahl sind sehr zeitintensiv und setzen ein gutes Gespür der Bibliothekarin für die Beschaffung der gewünschten Literatur voraus. Desiderata, also Benutzerwünsche, werden dankend entgegengenommen und in den meisten OPLs umgehend angeschafft. Weiterhin gelangt graue Literatur über Institutionsmitarbeiter, die z.B. an Tagungen teilgenommen haben, in den Bestand der Bibliothek, zuweilen erst auf Drängen der Bibliothekarin. Eine Entlastung des Etats wird durch den Internet-Zugang erreicht, da Nachschlagewerke, die inzwischen über das Netz abrufbar sind, nicht mehr angeschafft werden müssen und so einen etatgebundenen Posten für die Anschaffung anderer Literatur freigeben.

Benutzung:
Eine individuelle Betreuung und Beratung steht im Vordergrund einer jeden OPL. Oberste Priorität hat die schnelle Bereitstellung der gefragten Information, selbst wenn die bibliothekarische Routinearbeit darunter leiden sollte. Der intensive Kontakt zu den Benutzern der Institution ermöglicht es der Bibliothekskraft, auf charakterliche Eigenarten einzugehen und dementsprechend zu reagieren. Grundsätzlich wird der Mitarbeiter der Institution vorrangig betreut, entsprechend der Aufgabe der Bibliothek. Eine Differenzierung in schriftliche und telephonische Anfragen wird anhand der Bearbeitungstiefe vorgenommen. Nach Abwägen des Aufwandes wird der externe Nutzer bedient, ohne daß der interne Mitarbeiter Nachteile erfährt. Die Intensität der Betreuung der Bibliothek für die Institution entspricht der einer Informationsvermittlungsstelle; es wird versucht, jegliche relevante Information für den Kunden zu recherchieren und ihm zur Verfügung zu stellen.

Öffentlichkeitsarbeit:
Aufgrund der eher schwachen Position, die die Bibliothek innerhalb der Trägerinstitution einnimmt, ist eine offensive Öffentlichkeitsarbeit notwendig und unerläßlich. Den Führungskräften im Haus muß der Stellenwert der Bibliothek, nämlich der Nutzen für die eigene Arbeit und die repräsentative Außenwirkung für die Institution, deutlich gemacht werden. Hier ist die Innovationsfähigkeit der Bibliothekarin gefragt, die durch das Anbieten verschiedenster Dienstleistungen auf ihre Abteilung aufmerksam macht. Neuerwerbungslisten für die internen Mitarbeiter, Current Contents und Zeitschriftenumläufe sind zwar zeitaufwendige, aber hierfür werbewirksame Methoden. Überdies kann die Entwicklung von Faltblättern, die die Leistungen der Bibliothek herausstellen und auf Neuerungen und Verbesserungen aufmerksam machen, der Benutzung förderlich sein. Je nach Institution bieten sich Ausstellungen zu aktuellen Themen an. Bibliotheksführungen und Einführungen in die Datenbankrecherche sind ebenfalls probate Mittel, wie sie aus großen wissenschaftlichen Bibliotheken bekannt sind. Alles in allem sollen diese Maßnahmen den Servicecharakter der OPL unterstreichen und den "Kostenfaktor Bibliothek" gegenüber seinem Nutzen in den Hintergrund stellen.

Dieser Einblick in das Tätigkeitsfeld der OPL-Bibliothekarin verdeutlicht die Schwierigkeiten ihres Berufsalltages und stellt gleichzeitig die Vorteile einer solchen verantwortungsvollen und selbständigen Stelle heraus.<