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Kapitel 7 - Göttinger Gelehrte | Übersicht |


62 Die Institutiones oratoriae in Nicolas Jensons Antiqua

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Marcus Fabius Quintilianus:
Institutiones oratoriae.
Venedig: Nicolas Jenson, 21. V. 1471.
Signatur: 4° Auct. Lat. IV, 3474 Inc.
Provenienz: Johann Matthias Gesner, 1764

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4 ° Auct. Lat. IV, 3474 Inc. (Ausschnitt)
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Marcus Fabius Quintilianus (35 – um 96) fasste in den zwölf Büchern der Institutiones oratoriae die gesamte Erfahrung seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Rhetoriklehrer zusammen. Quintilian unterrichtete u.a. am römischen Kaiserhof und propagierte eine möglichst natürliche Redeweise, womit er sich gegen die gängige, sehr gekünstelte Rhetorik seiner Zeitgenossen wandte. Durch seine fundierten Ausführungen erwarb Quintilian auch bei den Humanisten hohes Ansehen. Viele Gelehrte wurden von ihm direkt oder indirekt beeinflusst und schulten ihr Sprachgefühl an den Schriften des antiken Redelehrers.

Eine der typographisch schönsten Ausgaben der Institutiones oratoriae brachte 1471 Nicolas Jenson (1420 – 1481) in Venedig auf den Markt. Der in Frankreich geborene Jenson lernte den Buchdruck bei Gutenberg kennen und begann nach dessen Tod eine sehr erfolgreiche Karriere als Schriftschneider, Drucker und Buchhändler in Italien. Mit den ab 1470 entstandenen Schriften hat Jenson die Buch- und Schriftästhetik nicht nur seiner Zeit nachhaltig geprägt. Seine schönste Schrifttype ist die hier zu sehende kräftige und lebendige Antiqua. Diese Schriftfamilie wurde in den romanischen Sprachgebieten schon in der Renaissance bevorzugt, während die vor allem im deutschen Sprachraum benutzten gebrochenen Schriften deutlich weniger verbreitet waren. Gründe dafür gibt es viele, nicht zuletzt politische. Doch die Antiquaschriften, allen voran die Jenson-Antiqua, stehen auch für ein Programm: Im ebenmäßigen, leicht lesbaren und perfekt ausgewogenen Schriftbild spiegeln sich Klarheit und Freiheit des Denkens, auch wenn man dabei dem Irrtum aufsaß, die Antiquaschrift gehe unmittelbar auf antike Schriftvorbilder zurück. Tatsächlich basiert sie auf Schriften der karolingischen Zeit.

Nicolas Jensons Antiqua inspiriert die Typographen bis heute. Auch Harry Graf Kessler ließ für seine Cranach-Presse diese Schrift nachschneiden und druckte damit u.a. seine Vergilausgabe von 1926 (s. Nr. 47). Aufgeschlagen ist der Beginn von Buch 1 der Institutiones. Das Exemplar aus dem Besitz von Johann Matthias Gesner, der es selbst im Jahr 1736 geschenkt bekam, ist nur unvollständig und wenig sorgfältig rubriziert. Um so mehr kann jedoch die wunderbare Schrift wirken.

(JM)