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Kapitel 1 - Der Grundstock im Jahre 1734 | Übersicht |


1 Die Taschenbibel eines Wanderpredigers

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Biblia, lateinisch.
Pergamenthandschrift, Nordfrankreich, 1. Hälfte 13. Jh.
Signatur: 8° Cod. Ms. theol. 5 Cim.
Provenienz: Joachim Hinrich von Bülow, 1734

Trommler
8° Cod. Ms. theol. 5 Cim. (Ausschnitt)
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Diese in Frankreich während des 13. Jahrhunderts entstandene Bibel gehörte zur Bibliothek des Joachim Hinrich von Bülow, wie das in den vorderen Deckel eingeklebte Exlibris verrät. Unter dem Wappen des im Jahre 1705 von Kaiser Joseph I. in den Reichsherrenstand erhobenen von Bülow findet sich eine handschriftliche Eintragung, die auf Philipp August Schlüter († 1761) als möglichen weiteren Vorbesitzer hinweist. Schlüter hatte bis zum Tode von Bülows im Jahr 1724 dessen Bibliothek verwaltet und wirkte in den Anfangsjahren der Göttinger Universität von Hannover aus als Bibliothekar der noch jungen Universitätsbibliothek. Der Orientalist und Bibliothekar Johann David Michaelis (1717 – 1791) charakterisierte Schlüter folgendermaßen:

„Dieser Mann, der sein Vergnügen an der Bücherkenntniß fand, las Auctionscatalogos mit der Empfindung, mit der ein Poet Hallers Gedichte liest, und machte seine Lieblingsbeschäftigung daraus, die hießige Bibliothek vermehren zu helfen“.

Die 930 Seiten starke lateinische Bibel enthält den gesamten Text des Alten und des Neuen Testaments. Am Ende der Handschrift folgen noch ein Verzeichnis der Laster und Tugenden sowie ein Verzeichnis der Lesungen für 122 kirchliche Fest- und Heiligentage. Sie hat trotz ihres Umfangs ein handliches Format, was hauptsächlich an der in der Handschrift verwendeten zierlichen gotischen Minuskel oder Perlschrift liegt, die durchgängig von einer Hand stammt. Die in Frankreich entstandenen kleinformatigen Bibeln werden deshalb auch „Perlbibeln“ genannt. Als Beschreibstoff wurde ein ausgesprochen dünnes Pergament verwendet, das von sehr jungen Tieren stammen muss, so dass die Handschrift trotz ihres großen Seitenumfangs nur ca. 5 cm stark ist.

Der Bilderschmuck besteht aus mehr als 150 Deckfarbeninitialen, Ranken und grotesken Tierdarstellungen, die bei ihrer geringen Größe sehr sorgfältig ausgeführt wurden. Auffällig sind die länglichen Schlangen-, Drachen- und Hundeleiber, die sich um die I-Initialen herumwinden. Aber auch zahlreiche figürliche Darstellungen sind in den Initialen zu entdecken, wie ein Trommel schlagender Narr als Illustration zu Psalm 52 (Bl. 198r). Wegen der in der Handschrift enthaltenen dominikanischen Festtagslesungen könnte diese Taschenbibel im Auftrag eines dominikanischen Wanderpredigers angefertigt worden sein. Die Ornamentik der Initialen und der Figuren- und Gewandstil lassen vermuten, dass die Bibel in Nordfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand.

(HR)