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Kapitel 9 - Aus den Bibliotheken privater Büchersammler | Übersicht |


96 Vom Sturz berühmter Männer

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Giovanni Boccaccio:
De casibus virorum illustrium, englisch.
London: Richard Pynson, 27. I. 1494.
Signatur: 4º Hist. un. I, 1285 Inc. Rara
Provenienz: H. G. Goltermann, 1837

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4° Hist. un. I, 1285 Inc. Rara (Ausschnitt)
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Der aus Suffolk stammende John Lydgate (ca. 1370 – ca. 1450) verbrachte den Großteil seines Lebens seit etwa 1385 als Mönch, seit 1397 als Priester in der Benediktiner-Abtei Bury St. Edmunds. Vermutlich durch ein Studium in Oxford umfassend gebildet und als großer Bewunderer seines Zeitgenossen Geoffrey Chaucer (um 1343 – 1400) selbst literarisch ambitioniert, schuf er im Auftrag oder mit der Unterstützung der Könige Heinrich IV., Heinrich V. und Heinrich VI., vor allem aber seines Gönners Humphrey, Herzog von Gloucester, des einflussreichen Sohnes Heinrichs IV., ein umfangreiches dichterisches Werk, das ihn zum im 15. Jahrhundert produktivsten englischen Schriftsteller werden ließ. Anregungen für seine Werke entnahm Lydgate Standardwerken der mittelalterlichen Literatur: So diente ihm Guido de Columnis (1210 – 1287) Historia destructionis Troiae als stoffliche Hauptquelle des Troy Book (1412 – 1420) und – über weitere Prosabearbeitungen – der altfranzösische Roman de Thèbes als Anregung für The Siege of Thebes (1421), eine Huldigung an sein Vorbild Chaucer. Zwischen 1431 und 1438 / 39 war Lydgate im Auftrag des Herzogs von Gloucester mit einem Werk beschäftigt, das mit 36.365 Verszeilen eine selbst für seine Maßstäbe gewaltige und tatsächlich seine umfangreichste Arbeit bleiben sollte.

The Fall of Princes, auf der Grundlage einer französischen Prosaübertragung Laurent de Premierfaits (1409) verfasst, stellt eine Versübersetzung von Giovanni Boccaccios (1313 – 1375) De casibus virorum illustrium (1356 – 1360) dar. Lydgates Interesse galt einem Buch, das einen Höhepunkt innerhalb der mittelalterlichen De-Casibus-Literatur darstellt und bis zum 16. Jahrhundert eine höhere Bekanntheit als Boccaccios Meisterwerk, der Novellenzyklus Il Decamerone, genoss. Das Werk schildert in neun Büchern das Schicksal berühmter Männer und Frauen aus der Mythologie und Geschichte, die von höchster Macht in tiefstes Unglück stürzen, und verleiht so dem mittelalterlichen Topos vom Glücksrad der – im Werk selbst als Figur auftretenden – Fortuna sinnfälligen Ausdruck.

Den Druck der englischen Erstausgabe besorgte der aus der Normandie stammende Richard Pynson (1449 – 1529), der um 1490 in London zu drucken begann und bereits wenige Jahre später mit seinem Konkurrenten, dem Caxton-Nachfolger Wynkyn de Worde († 1532), das englische Druckwesen dominierte. Aufgeschlagen ist eine Holzschnittillustration zum Aufstieg und Fall des alttestamentarischen Königs Saul.

(SG)