Zusammenfassung
Die Transmembrandomänen integraler Membranproteine zeigen eine außergewöhnliche
Anreicherung mit den Aminosäuren Tyrosin und Tryptophan, besonders ausgeprägt in der
Region, die dem Bereich der höchsten Dichte in der Lipidmembran entspricht. In der
vorliegenden Arbeit wird gezeigt, daß diese beiden Aminosäuren essentielle antioxidative
Funktionen in der Lipidmembran ausüben und die Zelle vor oxidativer Zerstörung schützen.
Tyrosin und Tryptophan enthaltende Peptide mit Sequenzen, wie sie in den
Transmembrandomänen verschiedener integraler Membranproteine auftauchen, verhindern
die Disintegration der Zellmembran und den Zelltod neuronaler Zellen unter oxidativem
Streß. Langkettig acylierte Tyrosin- und Tryptophanderivate, nicht jedoch Derivate des
Phenylalanins, anderer Aminosäuren, und auch nicht nur kurzkettig acylierte Derivate, sind
effektive Inhibitoren der zellulären Peroxidakkumulation, der Lipidperoxidation sowie des
oxidativen Zelltods. Die antioxidative Funktion von intramembranärem Tyrosin und
Tryptophan liefert eine spezifische Erklärung für ihr distinktes Verteilungsmuster in
Transmembranproteinen sowie möglicherweise auch für die hohe Vulnerabilität der sich
durch einen sehr niedrigen Membranproteingehalt auszeichnenden neuronalen Membranen
gegenüber oxidativem Streß. Diese hohe Vulnerabilität wird bei verschiedenen
neurodegenerativen Erkrankungen beobachtet, und langkettig acylierte Tyrosin- und
Tryptophanderivate könnten Dank ihrer potentiellen Blut-Hirn-Schrankengängigkeit
interessante Leitstrukturen für die pharmazeutische Entwicklung neuroprotektiver Agentien
sein.
Peptidhormone sind eine zweite, in dieser Arbeit neu beschriebene Klasse endogener,
antioxidativ wirksamer Strukturen, deren radikalmodulatorische Effekte auf ihren Tyrosin-und Tryptophangehalt zurückzuführen sind. Die kurzkettigen sekretorischen Peptide LHRH,
Enkephalin, Angiotensin und Oxytocin wirken als biochemische Antioxidantien in wäßrigen
Systemen. Sie reagieren direkt mit freien Peroxylradikalen, verhindern die Oxidation von
LDL, und sie hemmen die Peroxidation von Hirnmembranen. Außerdem sättigen sie reaktive
Stickstoffspezies wie Stickstoffmonoxid und Peroxynitrit ab und wirken als direkte
Spinquencher, wobei ihre antioxidativen Eigenschaften auf dem Vorhandensein frei
zugänglicher Tyrosin- und Tryptophanreste beruhen. Als Produkte aus der Reaktion von
Peptidhormonen mit freien Radikalen lassen sich verschiedene Peptid-Radikal-Addukte sowie
auch modifizierte Peptiddimere nachweisen. Signifikante antioxidative Effekte werden in
nanomolaren Konzentrationen beobachtet. Vermutlich stellen sekretorische Peptidhormone somit einen wichtigen Teil des endogenen antioxidativen Verteidigungssystems dar, und die
direkte chemische Wechselwirkung zwischen radikalischen Signalmolekülen wie Peroxynitrit
und Peptidhormonen könnte ein ungewöhnlicher Typus des Crosstalks zwischen biologischen
Signalen sein. Das Potential der beschriebenen Antioxidantien für die Entwicklung neuer
Pharmaka für den Einsatz bei degenerativen Erkrankungen des Menschen wird diskutiert.
Schließlich werden die gefundenen, generellen antioxidativen Eigenschaften Tyrosin- und
Tryptophan-tragender Strukturen mit einigen bislang nicht in diesem Zusammenhang
diskutierten biochemischen Erkenntnissen in Beziehung gesetzt, und es wird die Hypothese
aufgestellt, daß Tyrosin und Tryptophan evolutiv sehr junge Aminosäuren sind, die erst nach
dem Auftreten von Sauerstoff in der Biosphäre vor 2,5 Milliarden Jahren zu den anderen
codierten Aminosäuren hinzugekommen sind. |